Ludwig Büchner (1824 – 1899)

  Deutscher Arzt und Philosoph, der ein Bruder des bekannten Dichters Georg Büchner war. Ludwig Büchner war ein engagierter Vertreter des natuwissenschaftlichen Vulgärmaterialismus.

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Inhaltsverzeichnis
Die Materie ist der Urgrund alles Seins
Der Kosmos selbst ist ein Komplex unabänderlicher Naturgesetze

Die Gottesidee
Persönliche Fortdauer

Die Materie ist der Urgrund alles Seins

Haben diejenigen, welche von Gott und nicht von der Materie ausgehen, uns jemals eine Auskunft über die Qualitäten des Stoffs oder die Gesetze, nach denen, wie sie sagen, die Welt regiert wird, geben können? Konnten sie uns sagen, ob die Sonne gehe oder stehe? ob die Erde rund sei oder eine Ebene? was Gottes Plan und Absicht sei? usw. Nein! denn es wäre eine Unmöglichkeit. »In der Betrachtung und Erforschung der Natur von Gott ausgehen« ist eine Redensart ohne Sinn, welche nichts bedeutet und nichts erreicht. Diejenige traurige Richtung der Naturforschung und philosophischen Naturbetrachtung, welche glaubte, von theoretischen Vordersätzen ausgehend, das Weltall konstruieren und Naturwahrheiten auf spekulativem Wege ergründen zu können, ist glücklicherweise längst überwunden, und gerade aus der entgegengesetzten wissenschaftlichen Richtung sind jene großen Fortschritte und segensreichen Wirkungen der Naturforschung in den letzten Jahrzehnten hervorgegangen. Warum sollen also diejenigen, welche von der Materie ausgehen, die Materie nicht begreifen können? In der Materie wohnen alle Natur- und geistigen Kräfte, in ihr allein können sie offenbar werden, in die Erscheinung treten; die Materie ist der Urgrund alles Seins. An wen anders könnten wir uns daher in der Erforschung von Welt und Dasein zunächst halten, als an die Materie selbst?
Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 102, Büchner, Kraft und Stoff, S. 27
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlags, Stuttgart

Der Kosmos selbst ist ein Komplex unabänderlicher Naturgesetze
Dogmatische Werke nennen es eine Gottes unwürdige Ansicht, dass die sichtbare Welt gleich einem Uhrwerk von selbst gehe; vielmehr müsse Gott als der stete Regulator und Neuschöpfer angesehen werden. So hat man es auch Alexander von Humboldt übelgenommen, dass er den Kosmos als Komplex von Naturgesetzen und nicht als ein Produkt eines schaffenden Willens dargestellt hat (Erdmann). Ebensowohl könnte man es den Naturwissenschaften übelnehmen, dass sie überhaupt existieren; denn nicht die Naturforscher, sondern die Natur selbst hat uns den Kosmos als einen Komplex unabänderlicher Naturgesetze kennen gelehrt. Alles, was theologisches Interesse oder wissenschaftliche Borniertheit gegen dieses Faktum vorbringen mag, scheitert an der Macht der Tatsachen, die klar und unzweifelhaft nur für eine Seite entscheiden. Freilich fehlt es auch den Gegnern der Naturforschung angeblich nicht an Tatsachen; freilich trocknete Gott das Rote Meer aus, damit die Juden hindurchziehen konnten; freilich erschreckte er zu allen Zeiten die Menschen mit Kometen oder Sonnenfinsternis, freilich kleidet er die Lilien auf dem Felde und nährt die Vögel unter dem Himmel. Aber welcher Verständige kann heute darin etwas anderes erblicken, als das ewige, unabänderliche Spiel und Walten natürlicher Kräfte, und wer wüsste nicht, dass auch die Vögel unter dem Himmel dem Mangel nicht zu widerstehen imstande sind? - Und kann es endlich als eine Gottes würdigere Ansicht angesehen werden, wenn man sich in demselben eine Kraft vorstellt, welche hier und da der Welt in ihrem Gange einen Stoß versetzt, eine Schraube zurechtrückt usw., ähnlich einem Uhrenreparateur? Die Welt soll von Gott vollkommen erschaffen sein; wie könnte sie einer Reparatur bedürfen?
Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 102, Büchner, Kraft und Stoff, S. 33f.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlags, Stuttgart

Die Gottesidee

Gott ist eine leere Tafel, auf der nichts
weiter steht, als was du selbst darauf geschrieben.

Luther

In seinen Göttern malt sich der Mensch.

Schiller

Wenn es richtig ist, dass es keine angebornen Anschauungen gibt, so muß auch die Behauptung derjenigen unrichtig sein, welche annehmen, daß die sogenannte Gottesidee oder der Begriff eines höchsten persönlichen Wesens, welches die Welt erschaffen hat, regiert und erhält, etwas dem menschlichen Geiste von Natur Eingeborenes, Notwendiges und darum durch alle Vernunftgründe Unwiderlegliches sei. Es behaupten die Anhänger dieser Ansicht, es werde durch die Erfahrung gelehrt, daß es keine noch so rohen oder ungebildeten Völker oder Individuen gebe, bei denen die Gottesidee oder der Glaube an ein höchstes persönliches Wesen nicht vorgefunden werde. In der Tat aber lehrt uns eine genaue Kenntnis und unbefangene Beobachtung der Einzelnen wie der Völker in rohen und unentwickelten Bildungszuständen gerade das Gegenteil. Gewiß nur eine bereits befangene Meinung wird imstande sein, in den sogenannten Tierreligionen alter und neuer Völker etwas dem wahren Gottesglauben Analoges zu erkennen. Es entspricht keineswegs dem Begriffe einer Gottesidee, wenn wir die Menschen solchen Tieren eine besondere Verehrung erweisen sehen, welche ihnen erfahrungsmäßig Nutzen oder Schaden bringen; wenn der Ägypter die Kuh oder das Krokodil, wenn der Indianer die Klapperschlange, der Afrikaner die Kongoschlange anbetet usw.

Den Negern auf Guinea ist ein Stein, ein Klotz, ein Baum, ein Fluß, ein Alligator, ein Bündel Lumpen, eine Schlange göttliches Idol. Esdrückt sich in solcher Verehrung nicht die Idee an ein über Natur und Menschen herrschendes allmächtiges und allweises Wesen, welches die Weltregierung leitet, aus, sondern nur eine blinde Angst vor Naturmächten, welche dem ungebildeten Menschen furchtbar oder überirdisch scheinen, weil er nicht im Stande ist, den inneren natürlichen Zusammenhang der Dinge zu erkennen. Wäre wirklich die Idee eines höchsten Wesens der menschlichen Natur durch überirdische Weisheit und in unverwischbarer Weise eingeprägt worden, so könnte es nicht möglich sein, daß dieser Begriff alsdann in so unklarer, unvollkommener, roher und unnatürlicher Weise, wie in diesen Tierreligionen, zutage träte. Das Tier ist seinem ganzen Wesen nach dem Menschen unter-, nicht übergeordnet, und ein Gott in Gestalt eines Tieres ist kein Gott, sondern eine Fratze. Englische Reisende in Nordamerika (London Athenaeum, Juli 1849) erzählen, »daß die religiösen Ansichten der Indianer des Oregongebiets einem ganz niederen Ideenkreise angehören. Es ist zweifelhaft, ob sie überhaupt von einem höchsten Wesen eine Vorstellung haben. Das Wort Gott suchte man natürlich bald zu übersetzen, allein in keinem der Oregonschen Dialekte war selbst mit Hilfe der Missionäre und geschickter Dolmetscher ein passender Ausdruck aufzufinden. Ihre größte Gottheit heißt der Wolf und scheint, ihren Beschreibungen zufolge, eine Art Zwittergeschöpf von Gottheit und Tier zu sein.« -

Die sogenannten Kaloschen, ein indianischer Stamm, haben gar keinen äußern Kultus und stellen sich das höchste Wesen unter dem Bilde eines Raben vor. Von den Tusken, einer zur mongolischen Rasse gehörigen Völkerschaft an der nordöstlichen Spitze des asiatischen Kontinents von sehr guten Charaktereigentümlichkeiten, erzählt der britische Leutnant Hooper: »Ob bei ihnen die Ahnung einer göttlichen Vorsehung, einer höheren sogenannten Weltregierung dämmert, ob sie einen wohlwollenden Geist neben den Dämonen verehren, dies war nicht zu ermitteln, oder vielmehr davon ergab sich keine Spur.«

Von den Corrados, den ehemaligen Souveränen in der Provinz Rio de Janeiro, erzählt Burmeister, daß das Bedürfnis nach Religion bei ihnen nicht vorhanden scheine. Sie drücken sich an den Kirchentüren vorbei, ohne den Kopf zu wenden oder den Hut zu ziehen. Der südamerikanische Wilde oder Urmensch hat keinerlei religiöse Anschauungen; er läßt sich die Taufe gefallen, weiß aber nicht, was sie bedeutet. Ähnliche oder gleichlautende Fakta bei verschiedenen Völkern kann man fast in jeder Reisebeschreibung lesen. Die ursprüngliche Religion des Buddha weiß nichts weder von Gott noch von Unsterblichkeit. -

Derselben Erscheinung begegnen wir in unserer eigenen Mitte bei solchen Individuen, bei denen Erziehung, Lehre oder Mitteilung keine Gelegenheit hatte, die Idee eines höchsten Wesens wachzurufen. Häufig genug kann man lesen, wie vor den Zuchtpolizeigerichten großer Städte, wie Paris oder London, fortwährend Menschen erscheinen, welche von den Begriffen, die man mit den Worten Gott, Unsterblichkeit, Religion u. dgl. verbindet, auch nicht die leiseste Ahnung besitzen. Der letzte Zensus in England hat nachgewiesen, daß daselbst sechs Millionen Menschen leben, die nie die Schwelle einer Kirche betreten haben und die nicht wissen, welcher Sekte oder welchem Glaubensbekenntnis sie angehören. Der Taubstumme Meystre hatte, wie im vorigen Kapitel erzählt wurde, keine Idee von Gott, und konnte ihm eine solche trotz aller Anstrengung nicht beigebracht werden. Wenn die Natur nicht imstande ist, mit größerer Gewalt ihr Recht auch ohne Lehre und Erziehung geltend zu machen, so muß geschlossen werden, daß dieselbe von solchen ursprünglichen Begriffen überhaupt nichts weiß. Wollte man die Gottesidee eine angeborene nennen, so könnte man am Ende nicht anders, als auch der Idee eines bösen, mit höherer Macht ausgerüsteten Wesens, eines Teufels, Satans, eines oder mehrerer Dämonen, dasselbe Prädikat beizulegen. Der Glaube an böse, den Menschen feindliche Mächte hat nachweisbar dieselbe, ja unter Naturvölkern oft eine noch weit größere Ausbreitung und Bedeutung gewonnen, als der Glaube an einen wohlwollenden Gott. Alle diese Begriffe sind anerzogene, aus eignem oder anderer Nachdenken hervorgegangene, geschlossene, nicht angeborne.

Niemand hat den rein menschlichen Ursprung der Gottesidee besser erklärt und nachgewiesen als Ludwig Feuerbach. Derselbe nennt alle Vorstellungen von Gott und göttlichem Wesen Anthropomorphismen, d.h. Erzeugnisse menschlicher Phantasie und menschlicher Anschauungsweise, gebildet nach dem Muster der eignen menschlichen Individualität. Den Ursprung dieses Anthropomorphismus sucht Feuerbach in dem Abhängigkeitsgefühl und sklavischen Sinn, welcher der menschlichen Natur innewohnt. »Der außer- und übermenschliche Gott«, sagt Feuerbach, »ist nichts anderes als das außer- und übernatürliche Selbst, das seinen Schranken entrückte, über sein objektives Wesen gestellte subjektive Wesen des Menschen.« In der Tat ist die Geschichte aller Religionen ein fortlaufender Beweis für diese Behauptung, und wie könnte es auch anders sein? Ohne Kenntnis oder Begriff vom Absoluten, ohne eine unmittelbare Offenbarung, deren Dasein zwar von fast allen religiösen Sekten behauptet, aber nicht bewiesen wird - können alle Vorstellungen von Gott, einerlei welcher Religion sie angehören, keine andern als menschliche sein, und da der Mensch in der belebten Natur kein höher stehendes geistig begabtes Wesen als sich selbst kennt, so können auch seine Vorstellungen eines höchsten Wesens nicht anders als von seinem eignen selbst abstrahiert sein, sie müssen eine Selbstidealisierung darstellen. Daher spiegeln sich denn auch in den religiösen Vorstellungen aller Völker die jedesmaligen Zustände, Wünsche, Hoffnungen, ja die geistige Bildungsstufe und besondere geistige Richtung eines jeden Volkes jedesmal auf treueste und charakteristischste ab, und wir sind gewohnt, aus dem Götterdienste eines Volkes auf seine geistige Individualität und den Grad seiner Bildung zu schließen. Man denke an den poetischen, von ideellen Kunstgestalten bevölkerten Himmel der Griechen, in welchem die in ewiger Jugend und Schönheit blühenden Götter menschlich genießen, lachen, kämpfen, Intrigen spinnen und den eigentlichen Reiz ihres Daseins in dem persönlichen Eingreifen in menschliche Schicksale finden - jenen Himmel, welcher Schiller zu seinem schönen sehnsüchtigen Gedichte an die Götter Griechenlands begeisterte.


Man denke an den zürnenden, finstern Jehovah der Juden, welcher bis ins dritte und vierte Glied straft; an den christlichen Himmel, in welchem Gott seine unendliche Allmacht mit seinem Sohne teilt und die himmlische Rangordnung der Seligen ganz nach menschlichen Begriffen bestimmt; an den Himmel der Katholiken, in welchem die im Schoße des Heilands liegende Jungfrau Maria ihre sanfte weibliche Überredungskunst zugunsten der Straffälligen bei dem himmlischen Richter geltend macht; an den Himmel der Orientalen, welcher blühende Huris in Menge, rauschende Kaskaden, ewige Kühle und ewigen sinnlichen Genuss verspricht; an den Himmel des Grönländers, in welchem dessen höchster Wunsch in dem reichlichsten Überfluß an Tran und Fischen sich ausspricht; an den Himmel des jagenden Indianers, in welchem eine ewige reichliche Jagd den Seligen lohnt usw.

Auch in der Art des religiösen Kultus, der äußeren Form der Gottesverehrung, wies Feuerbach die rein menschliche Vorstellungsweise von Gott überall mit Evidenz nach. Der Grieche opfert seinen Göttern Fleisch und Wein, der Neger speit die zerkauten Speisen seinen Götzen als Opfer ins Gesicht; der Ostiake beschmiert seine Götzen mit Blut und Fett und stopft ihnen die Nase mit Schnupftabak voll; der Christ und Mohammedaner glauben ihren Gott durch persönliches Zureden, durch Gebete zu versöhnen. Überall menschliche Schwächen, menschliche Leidenschaften, menschliche Genußsucht! Alle Völker und Religionen teilen die Gewohnheit, hervorragende Menschen unter die Götter oder die Heiligen zu versetzen - ein auffallender Beweis für das menschliche Wesen der göttlichen Idee! Wie fein und richtig ist die Bemerkung Feuerbachs, dass der gebildete Mensch ein unendlich höheres Wesen als der Gott der Wilden ist, der Gott, dessen geistige und körperliche Beschaffenheit natürlich in gradem Verhältnis zu dem Bildungsgrade seiner Verehrer stehen muss. Dieser notwendige Zusammenhang des Menschlichen mit dem Göttlichen und die Abhängigkeit des letzteren von dem ersteren muss sich selbst Luther als unabweisbar aufgedrängt haben, da er sagt:
»Wenn Gott für sich allein im Himmel säße, wie ein Klotz, so wäre er nicht Gott.«

Ist der einfache Menschenverstand nicht imstande gewesen, eine reine und abgezogene Idee vom Absoluten zu gewinnen, so ist der Verstand der Philosophen in diesen Versuchen womöglich noch unglücklicher gewesen. Wollte sich jemand die Mühe nehmen, alle die philosophischen Definitionen, welche von Gott, vom Absoluten oder von der sogenannten Weltseele der Naturphilosophen gemacht worden sind, zusammenzustellen, so müßte ein höchst wunderlicher Mischmasch herauskommen, in welchem von Anbeginn der historischen Zeit an bis heute trotz des engeblichen Fortschritts der philosophischen Wissenschaften nichts wesentlich Neues oder Besseres zutage gebracht wurde. An schönen Worten und klingenden Phrasen würde es dabei freilich nicht fehlen, aber solche können kein Ersatz für den Mangel innerer Wahrheit sein. Hören wir z.B., wie sich einer unserer jüngsten Schriftsteller, der gläubige Naturforscher Fechner, in seinem Zendavesta über jenen Begriff äußert: »Gott als Totalität des Seins und Wirkens hat keine Außenwelt mehr außer sich, kein Wesen sich äußerlich mehr gegenüber, er ist der einzige und alleinige; alle Geister regen sich in der Innenwelt seines Geistes; alle Körper in der Innenwelt seines Leibes; rein kreist er in sich selbst, wird durch nichts von außen mehr bestimmt, bestimmt sich rein aus sich in sich, indem er aller Existenz Bestimmungsgründe einschließt.« Welcher denkende Mensch ist imstande, sich aus solchen Phrasen eine klare Vorstellung von der Meinung des Definitors zu machen! Ein Gott, in dessen leiblichem und geistigem Innern sich alle Geister und Körper regen sollen und der dabei nur in sich selbst kreist und durch nichts von außen mehr bestimmt wird! Wenn sich alle Geister in dem Geist, alle Leiber in dem Leib Gottes regen, wenn er keine Außenwelt mehr außer sich hat, wie kann er da noch persönlicher Gott sein?

Persönlicher Gott, als welchen ihn Fechner an andern Stellen ausdrücklich auftreten lässt! Ist er alsdann nicht vielmehr Inbegriff alles körperlichen und geistigen Daseins oder die Gesamtsumme der Welt selbst, welche sich der Definitor in Gestalt einer Person gedacht hat, während doch gerade die Welt in ihrer unendlichen Vielheit und Mannigfaltigkeit die Verneinung jeder Personifikation ist! Jene Vorstellung einer durch die ganze Welt verbreiteten und in deren Äußerungen unmittelbar sich manifestierenden Göttlichkeit hat man mit einem philosophischen Kunstausdruck »pantheistisch« schon zu einer Zeit genannt, da Herrn Fechners persönliche Seele noch tief in der Weltseele verborgen lag. Aber unsere modernen Philosophen glauben eine Tat zu tun, wenn sie altes Gemüse mit neuen Redensarten aufwärmen und als letzte Erfindung der philosophischen Küche auftischen!
Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 102, Büchner, Kraft und Stoff, S.145ff.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlags, Stuttgart


Persönliche Fortdauer


Vom Augenblicke des Todes an hat der
Leib wie die Seele ebensowenig irgendeine
Empfindung wie vor der Geburt.

Plinius

Wir glauben in einem vorhergehenden Kapitel die innige und unlösliche Verbindung von Geist und Körper, von Seele und Gehirn, und die unbedingte Abhängigkeit der Seele in allen bemerkbaren Lebensäußerungen von ihrem materiellen Substrat durch sprechende Tatsachen nachgewiesen zu haben; wir haben dieselbe zugleich mit diesem Substrat entstehen, wachsen, abnehmen und erkranken gesehen. Können wir uns auch über das nähere Wie dieser Verbindung keine ganz klare Vorstellung machen, so sind wir doch durch jene Tatsachen zu dem Ausspruche berechtigt, dass diese Verbindung in einer Weise besteht, welche jede dauernde Trennung beider als unmöglich erscheinen lässt.

So wenig ein Gedanke ohne Gehirn sein kann, so wenig kann ein normal gebildetes und ernährtes Gehirn sein, ohne zu denken,
und es wiederholt sich in diesem Gesetz der oberste Grundsatz unserer philosophischen Naturbetrachtung: »Kein Stoff ohne Kraft! keine Kraft ohne Stoff!« - »Es ist so unmöglich«, sagt Moleschott, »da
ss ein unversehrtes Gehirn nicht denkt, wie es unmöglich ist, dass der Gedanke einem andern Stoff als dem Gehirn als seinem Träger angehöre.« Ein Geist ohne Körper ist ein ebenso undenkbares Ding, als eine Elektrizität, ein Magnetismus ohne Metalle oder ohne jene Stoffe, an welchen diese Kräfte wirksam und sichtbar werden. Im Einklang damit haben wir nachgewiesen, wie die tierische Seele nicht mit sogenannten angebornen Anschauungen zur Welt kömmt, wie sie nicht ein ens per se darstellt, sondern ein Produkt der in einer gegebenen Zeit auf sie einwirkenden Außendinge ist, und wie sie ohne diese Außendinge niemals existierend geworden sein würde.

Im Angesicht eines solchen Komplexes von Tatsachen kann eine vorurteilsfreie Naturforschung nicht anders, als sich mit Entschiedenheit gegen die Ideen einer individuellen Unsterblichkeit, einer persönlichen Fortdauer nach dem Tode zu erklären. Mit dem Untergang und Zerfall seines materiellen Substrats und mit dem Heraustritt aus derjenigen Umgebung, durch welche allein es zu einem bewussten Dasein und zu einer Person geworden ist, muss auch ein geistiges Wesen ein Ende nehmen, das wir allein auf diesem doppelten Boden und in innigster Abhängigkeit von demselben haben emporwachsen sehen. Alle Kenntnis, welche diesem Wesen zuteil geworden ist, bezieht sich auf irdische Dinge; es hat sich selbst erkannt und ist sich seiner bewusst geworden nur in, mit und durch diese Dinge; es ist Person geworden nur durch sein Gegenübertreten gegen irdische abgegrenzte Individualitäten; wie sollte es denkbar oder möglich sein, dass dieses Wesen, herausgerissen aus diesen ihm wie Lebensluft nötigen Bedingungen, mit Selbstbewusstsein und als dieselbe Person weiterexistieren könne! Nicht Überlegung, sondern nur eigensinnige Willkür, nicht die Wissenschaft, sondern nur der Glaube können die Idee einer persönlichen Fortdauer stützen.

»Die Physiologie«, sagt Karl Vogt, »erklärt sich bestimmt und kategorisch gegen eine individuelle Unsterblichkeit, wie überhaupt gegen alle Vorstellungen, welche sich an diejenige der speziellen Existenz einer Seele anschließen. Die Seele fährt nicht in den Fötus, wie der böse Geist in den Besessenen, sondern sie ist ein Produkt der Entwicklung des Gehirns, so gut als die Muskeltätigkeit ein Produkt der Muskelentwicklung, die Absonderung ein Produkt der Drüsenentwicklung ist. Sobald die Substanzen, welche das Gehirn bilden, wieder in derselben Form zusammengewürfelt werden, so werden auch dieselben Funktionen wieder eintreten usw. - Wir haben gesehen, daß wir die Geistestätigkeiten zerstören können, indem wir das Gehirn verletzen; wir können uns ebenso leicht aus der Beobachtung der embryonalen Entwicklung und aus derjenigen des Kindes überzeugen, daß die Seelentätigkeiten sich in dem Maße entwickeln, als das Gehirn seine allmähliche Ausbildung erlangt. Man kennt keine Äußerungen von Seelentätigkeit bei dem Fötus. Erst nach der Geburt entwickeln sich die Seelentätigkeiten; aber nach der Geburt auch erst bekommt das Gehirn allmählich diejenige materielle Ausbildung, welche es überhaupt erlangen kann. Mit dem Umlauf des Lebens erhalten auch die Seelentätigkeiten eine bestimmte Veränderung und hören ganz auf mit dem Tode des Organs.« -

In der Tat lehrt uns denn auch die alltäglichste und einfachste Beobachtung und Empirie, dass der geistige Effekt mit der Zerstörung seines materiellen Substrats zugrunde geht, da
ss der Mensch stirbt. »Da war's Gebrauch«, sagt Macbeth, »dass, war das Hirn heraus, der Mensch auch starb.« Keine wirkliche Erscheinung gibt es und keine hat es jemals gegeben, welche uns glauben oder annehmen ließe, es existiere die Seele eines gestorbenen Individuums weiter; sie ist tot auf Nimmerwiederkehr. »Dass die Seele eines gestorbenen Individuums«, sagt Burmeister, »mit dem Tode desselben zu erscheinen aufhört, wird von verständigen Leuten nicht bestritten. Geister oder Geistererscheinungen haben nur kranke oder abergläubische Leute beobachtet.« -

Nachdem wir so unsere Ansicht im ganzen festgestellt, können wir nicht umhin, im folgenden auf einige der hauptsächlichsten Gründe, welche man im Interesse individueller Unsterblichkeit geltend gemacht hat, näher einzugehen, und werden dabei Gelegenheit finden, diese wichtige und interessante Frage von einigen empirischen Seiten spezieller zu beleuchten. Dabei muss der große Eifer verdächtig erscheinen, mit welchem man zu verschiedenen Zeiten häufig und unaufgefordert und mit Aufwand aller nur erdenklichen Argumente eine Sache zu verteidigen sich bemüht hat und noch täglich bemüht, welche aus leicht begreiflichen Gründen im ganzen ziemlich selten ernsthafte wissenschaftliche Anfechtung erfahren hat. Es deutet dieser Eifer darauf hin, daß es den Verteidigern jener Sache bei ihrer eigenen zukünftigen Gottseligkeit etwas bange ums Herz sein muß, da der schlichte Verstand und tägliche Erfahrung doch gar wenig zugunsten einer Voraussetzung reden, welche nur theoretische Gründe für sich ins Feld führen kann. Komisch mag es auch erscheinen, dass man zu allen Zeiten durchschnittlich diejenigen am lautesten für individuelle Unsterblichkeit kämpfen und eifern sah, deren persönliche Seele einer so langen und sorgsamen Aufbewahrung vielleicht am wenigsten würdig gewesen wäre!

Zunächst hat man von naturphilosophischer Seite versucht, aus der Unsterblichkeit der Materie auf die Unsterblichkeit des Geistes zu schließen. Wie es überhaupt, sagte man, keine absolute Vernichtung gibt, so ist es auch an sich undenkbar, ja unmöglich, dass der menschliche Geist, einmal vorhanden, wiederum vernichtet werde; es streitet diese Annahme gegen Vernunft- und Naturgesetz. Dagegen ist zu bemerken, dass jene Analogie zwischen Materie und Geist bezüglich der Unzerstörbarkeit gar nicht besteht. Während die sicht- und greifbare Materie ihre Unzerstörbarkeit auf sinnliche Weise zur Evidenz dartut, kann von dem Geist oder der Seele, welche nicht selbst Materie, sondern nur ideelles Produkt einer gewissen Kombination mit Kräften begabter Stoffe darstellt, unmöglich dasselbe gesagt werden. Mit dem Auseinanderfall jener Stoffe, ihrer Zerstreuung und ihrem Eingang in andere, untereinander nicht in Zusammenhang befindliche Kombinationen muß auch jener Krafteffekt verschwinden, welchen wir Seele nannten. Zertrümmern wir eine Uhr, so zeigt sie keine Stunde mehr und wir zerstören gleichzeitig den ganzen ideellen Begriff, welchen wir mit einem solchen Instrumente zu verbinden gewohnt sind; wir haben keine stundenzeigende Uhr mehr vor uns, sondern einen Haufen beliebiger Stoffe, welche nichts Ganzes mehr darstellen. Daß eine solche Analogie anwendbar ist, indem die organische Welt nicht, wie viele meinen, Ausnahmsgesetzen folgt, sondern ganz von denselben Stoffen und Naturkräften gebildet wird, wie die anorganische - dies werden wir in dem Kapitel »Lebenskraft« näher zu erörtern Gelegenheit haben. - Mit dieser Anschauungsweise im Einklang lehrt uns denn auch die Erfahrung, dass die persönliche Seele trotz ihrer angeblichen Unvernichtbarkeit eine Ewigkeit lang in derTat vernichtet, nicht existierend war! Wäre sie unvernichtbar wie der Stoff, so müßte sie nicht nur gleich diesem ewig bleiben, sondern auch ewig gewesen sein.


Wo aber befand sich dieselbe, als der Leib, zu dem sie gehört, noch nicht gebildet war? Sie war nicht da; kein, auch nicht das leiseste Zeichen verriet ihre Existenz, und eine solche dennoch anzunehmen, wäre eine rein willkürliche Hypothese. Was aber einmal nicht war, kann auch wieder untergehen, vernichtet werden. - Einen weiteren ganz direkten Beweis für die Vernichtbarkeit der Seele liefert der Zustand des Schlafes. Infolge körperlicher Verhältnisse wird die Funktion des Denkorgans im Schlaf für einige Zeit sistiert und damit die Seele im wahren Sinne des Wortes vernichtet. Das geistige Wesen ist entflohen, und nur der Körper existiert oder vegetiert weiter ohne Selbstbewußtsein und in einem Zustand, welcherdem Zustand jener Tiere gleicht, denen Flourens die Gehirnhemisphären weggeschnitten hatte. Beim Erwachen findet sich die Seele genau da wieder, wo sie sich beim Einschlafen vergessen hatte; die lange Zwischenzeit war für sie nicht vorhanden, sie befand sich im Zustand eines geistigen Todes. Dieses eigentümliche Verhältnis ist so in die Augen springend, daß manvon je Schlaf und Tod miteinander verglich und sie Brüder nannte. Während der französischen Revolution ließ der bekannte Chaumette die Inschrift an die Kirchhofstüren setzen: »Der Tod ist ein ewiger Schlaf.« Andreä, der Verfasser einer alten descriptio reipublicae christianopolitanae aus dem Jahr 1619, sagt: »Diese eine Republik kennt den Tod nicht, und doch ist er bei ihr in aller Vertraulichkeit, aber sie nennen ihn Schlaf Im Moment des Einschlafens beschleicht uns das unheimliche Gefühl der bevorstehenden geistigen Vernichtung und der Unwissenheit darüber, ob sie zeitlich oder ewig sein werde. Mit schönen Worten schildert dies Gefühl der Dichter:

»Ich will zur Ruh und sterben jetzt im Schlaf -
Denn Schlaf ist Tod. Hinweg, o Seele, fliehe
Und schwebe ob dem ruhenden Gerüst,
Das leblos lebt, und schütz' und hüte es
Vor der heimtück'schen Nacht, daß sie mich wieder
Heraus dem Leben gibt......«


Gegen diese ganze Anschauung hat man die Träume als faktischen Gegenbeweis geltend zu machen versucht und behauptet, dieselben zeigten, dass der Geist auch im Schlafe, wenn auch in einer untergeordneten Weise, tätig sei. Dieser ganze Einwand beruht auf einem tatsächlichen Irrtum. Es ist bekannt genug, dass die Träume nicht den Zustand des eigentlichen Schlafs, sondern nur der Übergangszeit zwischen Schlaf und Wachen, also eine Art Halbwachen, bezeichnen. Diese Bemerkung kann jeder aufmerksame Beobachter an sich selbst machen. Ganz gesunde Menschen kennen nicht einmal diesen Übergang, sie träumen bekanntlich überhaupt nicht. Der tiefe Schlaf kennt keinen Traum, und ein aus solchem Zustand plötzlich aufgerüttelter Mensch besitzt gewöhnlich eine Zeitlang nach dem Erwecken so wenig den Gebrauch seiner geistigen Kräfte, dass dieser Zustand als kriminelle Unzurechnungsfähigkeit bedingend angesehen wird, indem der Übergang aus dem einen Zustand in den andern allzu schroff und unvermittelt ist. - Noch mehr als der Schlaf sind gewisse krankhafte Zustände geeignet, diese Vernichtbarkeit unseres geistigen Wesens darzutun. Es gibt Krankheiten des Gehirns, z.B. Erschütterungen, Verletzungen usw., welche dasselbe in seiner Funktion derart beeinträchtigen, daß das Selbstbewusstsein vollkommen aufgehoben wird und die Kranken von ihrem körperlichen oder geistigen Zustande nicht die geringste Empfindung, Vorstellung oder Erinnerung haben. Solche vollkommen bewußtlose Zustände können unter Umständen sehr lange, selbst Monate hindurch andauern. Kommen solche Kranke zur Genesung, so macht man an ihnen die Erfahrung, dass sie nicht die geringste Ahnung oder Rückerinnerung von dieser ganzen langen Zeit besitzen, sondern ihr geistiges Leben wiederum an dem Zeitpunkt fortsetzen, an welchem ihnen zuerst das Bewusstsein entschwunden ist; diese ganze Zeit war für sie eine Zeit tiefen Schlafes oder geistigen Todes; sie sind gewissermaßen gestorben und zum zweitenmal geboren. Tritt nach einer solchen Periode anstatt der Genesung der wirkliche Tod ein, so ist der Moment dieser Katastrophe ganz irrelevant für das betreffende Individuum; der geistige Tod setzte sich in den körperlichen fort, ohne dass ihm dieser Moment zum Bewusstsein kam; es war als Person, als geistig belebtes Wesen bereits früher gestorben, d.h. in jenem Moment, als die Krankheit das Selbstbewusstsein schwinden machte.

Es möchte denjenigen, welche an eine
persönliche Unsterblichkeit glauben, sehr schwer, ja unmöglich werden, den Zusammenhang solcher Vorgänge zu erklären und auch nur eine gegründete Vermutung darüber auszusprechen, wo und wie die Seele in solchen Zeiträumen sich verhalten habe. In den Dachrinnen unserer Wohnhäuser lebt ein Infusorium
[Aufgusstierchen, Wimpertierchen: der Einzeller entwickelt sich,wenn Wasser auf tierische oder pflanzliche Reste gegossen wird und dort längere Zeit verbleibt], welches mit dem Ablauf des Wassers vertrocknet und aufhört zu leben. Dieser scheinbare Tod dauert so lange, bis ein neuer Regen dasselbe Tierchen zu einem abermaligen Lebenszyklus erweckt, und so fort. Zeigt sich in solchen Beispielen die Seele nicht recht deutlich als ein stofflicher Effekt? - Nicht minder müssen wir uns gegen diejenige Anschauungsweise erklären, welche, von der persönlichen Seele abstrahierend, eine allgemeine geistige Materie, eine Grundseele, annehmen zu dürfen glaubt, aus welcher die einzelnen Seelen bei ihrer Entstehung ausströmen und in welche sie bei Vernichtung ihres materiellen Substrats wieder zurückkehren sollen. Solche Vorstellungen sind ebenso hypothetisch als nutzlos. Die Annahme einer solchen geistigen Materie halten wir überdem für einen Widersinn, weil Geist und Materie, wenn auch unzertrennlich verbunden, doch begrifflich einander entgegengesetzt sind, und weil wir für den Begriff »Geist«, »Kraft«, »Eigenschaft« an sich gerade das Nichtstoffliche, das Stofflose als charakteristisch anzusehen genötigt sind.Die Kraft kann nur sichtbar, überhaupt effektiv werden am Stoff und durch den Stoff; sie würde ohne ihn nicht sein; aber sie ist darum nicht selbst Stoff. »Imponderable Materie«, sagt Burmeister, »ist ein Widerspruch in sich selbst.« Darum scheint uns der Begriff einer »geistigen Materie« oder einer »Seelensubstanz« unmöglich. Überdem ist mit einer solchen Annahme für die Anhänger der persönlichen Unsterblichkeit nichts gewonnen; die Rückkehr in eine allgemeine Urseele, mit Aufgeben der Individualität, mit Verlust der Persönlichkeit und damit der Rückerinnerung an konkrete Zustände käme einer wirklichen Vernichtung gleich, und es könnte dabei für den Einzelnen ganz einerlei sein, ob sein sogenannter geistiger Stoff weitere Verwerfung im Wiederaufbau anderer Seelen fände. Der Glaube, es werde die menschliche Seele nach dem Tode zwar nicht vom Stoffe getrennt werden, aber in einen vollkommener gebauten, feineren Körper übergehen, ist vollkommen hypothetisch und steht im Widerspruch mit physiologischen Tatsachen, welche lehren, dass der menschliche Körper ein mit den feinsten und vollkommensten Organen ausgerüstetes Ganzes ist, welches man sich weder feiner, noch vollkommener in seiner Art denken kann. -

Hat man vom naturphilosophischen Standpunkt aus gegen die Vernichtung der persönlichen Seele nach dem Tode protestiert, so hat man dasselbe nicht minder vom moralischen Standpunkte aus versucht. Man hat gesagt, es streite der Gedanke an eine ewige Vernichtung so sehr gegen alle menschliche Empfindung und empöre so sehr das innerste Gefühl, dass er schon aus diesem Grunde ein unwahrer sein müsse. Abgesehen davon, dass eine solche Appellation an das Gefühl sehr unklare und unwissenschaftliche Standpunkte voraussetzt, so muss gewiss zugegeben werden, da
ss der Gedanke an ein ewiges Leben unendlich abschreckender ist und das innerste Gefühl unendlich mehr abstößt, als der Gedanke an eine ewige Vernichtung. Ja dieser letztere kann für einen philosophisch denkenden Menschen nicht einmal etwas Abschreckendes haben. Vernichtung, Nichtsein ist vollkommene Ruhe, Schmerzlosigkeit, Befreiung von allen quälenden oder überhaupt das geistige Wesen alterierenden Eindrücken und darum auch nicht zu fürchten. Es kann kein Schmerz in der Vernichtung liegen, so wenig wie in der Ruhe des Schlafes, sondern nur in dem Gedanken daran. »Die allen Menschen, selbst den Unglücklichsten oder auch den Weisesten natürliche Furcht vor dem Tode ist nicht ein Grauen vor dem Sterben, sondern«, wie Montaigne richtig sagt, »vor dem Gedanken, gestorben zu sein, den also der Kandidat des Todes nach dem Sterben noch zu haben vermeint, indem er das Kadaver, was nicht mehr er selbst ist, doch als sich selbst im düsteren Grabe oder irgend sonstwo denkt.« Sehr wahr sagt Fichte: »Es ist ganz klar, dass derjenige, welcher nicht existiert, auch keinerlei Schmerz fühlt. Vernichtung, wenn sie stattfindet, ist daher aus diesem Grunde gar kein Übel.« Kann es unsbekümmern, dass wir nicht da waren, als die Griechen Troja belagerten? Ebensowenig kann es uns bekümmern, daß wir nicht da sein werden, wenn zukünftige Kämpfe die Erde oder daß Menschengeschlecht aufregen. Im Gegenteil ist die Idee des ewigen Lebens, der Gedanke des Nichtsterbenkönnens wohl der abschreckendste, den die menschliche Phantasie ersinnen kann, und seine ganze Furchtbarkeit hat die Mythe längst in der Erzählung des nichtsterbenkönnenden Ahasverus ausgedrückt. - Die Schulphilosophen, welche die Haltlosigkeit des Bodens, auf dem sie in der Unsterblichkeitsfrage stehen, wohl fühlen, aber gleichwohl Philosophie und Religion zusammenschweißen wollen, haben sich mitunter auf sehr wunderliche und unphilosophische Weise in dieser kitzligen Frage zu helfen gesucht.

»Die Sehnsucht unserer Natur«, sagt z. B. Carrière, »der Drang der Erkenntnis nach der Lösung so vieler Rätsel verlangt die Unsterblichkeit, und viele Schmerzen der Erde würden eine schreiende Dissonanz im Weltakkorde sein, wenn diese nicht dadurch ihre Auflösung in einer höheren Harmonie fände, daß jene für die Läuterung undFortbildung der Persönlichkeit fruchtbar bleiben. Diese und andere Betrachtungen machen uns die Unsterblichkeit auf unserem Standpunkte zur subjektiven Gewißheit, zur Herzensüberzeugung usw.« Herzensüberzeugungen können auch Philosophen haben, sollten aber lieber nicht davon reden. Entweder verträgt sich etwas mit Vernunft und Erfahrung - dann ist es wahr; oder es verträgt sich nicht - dann ist es unwahr und kann vielleicht in kirchlichen, nicht aber in philosophischen Systemen eine Stelle finden. Mag sein, dass wir von vielen Rätseln umgeben sind - mag sein, dass dies Herrn Carrière insbesondere sehr ungelegen ist - mag sein, dass es vielleicht recht schön wäre, wenn im Himmel, wie im letzten Akt eines Rührdramas, sich plötzlich alles in eine wehmütige Harmonie oder allgemeine Freudigkeit und Aufklärung auflösen würde - aber die Wissenschaft hat es nicht mit dem zu tun, was sein könnte, sondern mit dem, was ist; und darnach ist sie gezwungen, aus ihren zahlreichen Erfahrungen mit Notwendigkeit den Schluss auf die Endlichkeit des Menschen zu ziehen. Ja eine vollständige Enthüllung der »Rätselhaftigkeit«des Weltganzen, wie sie Herr Carrière verlangt, also eine vollkommene Erkenntnis mu
ss für den menschlichen Geist aus inneren Gründen als eine Unmöglichkeit angesehen werden. In dem Augenblicke, da wir an diesem Punkte angelangt wären, würden wir Selbstschöpfer und imstande sein, die Materie ganz nach unserem Willen zu lenken. Diese Erkenntnis aber wäre gleichbedeutend mit Auflösung, Vernichtung, Untergang, und kein Wesen existiert, welches sie besitzen kann. Wo kein Streben, da kann auch kein Leben mehr sein; die volle Wahrheit wäre ein Todesurteil für den, der sie begriffen, und er müßte an Apathie und Tatenlosigkeit zugrunde gehen. Schon Lessing verknüpfte mit dieser Idee eine solche Vorstellung von Langeweile, dass ihm, »Angst und Wehe dabei ankam.« Wollte man sich aber damit begnügen,ein immerdauerndes, wenn auch vollkommeneres Streben in einem anderen Leben anzunehmen, so wäre für die letzte Frage von der Endlichkeit oder Unendlichkeit des menschlichen Geistes gar nichts gewonnen, sondern die Entscheidung nur um einige Zeitspannen weiter hinausgerückt; das zweite Leben wäre eine vermehrte und verbesserte Wiederholung des ersten, aber mit denselben Grundmängeln, mit denselben Widersprüchen, mit derselben endlichen Resultatlosigkeit. Aber wie der angehende Staatsaspirant lieber eine Anstellung auf unbestimmte Zeit als gar keine annimmt, so klammern sich Tausende und aber Tausende in geistiger Beschränktheit an eine unbestimmte und ungewisse Aussicht auf eine problematische ewige oder zeitliche Fortdauer. - Solche Philosophen endlich, welche in der Frage von der individuellen Unsterblichkeit sich nicht entblöden, die philosophische Denkweise, mit der sie sonst so sehr sich brüsten, geradezu an den Nagel zu hängen und an eine unbestimmte Übersinnlichkeit zu appellieren, verdienen kaum eine Berücksichtigung. So dekretiert der Philosoph Fichte: »Die unendliche Fortdauer ist aus bloßen Naturbedingungen nicht erklärlich, braucht es aber auch nicht zu sein, weil sie über alle Natur hinausliegt. Wenn wir auch vom sinnlich empirischen Standpunkt nicht einsehen, wie eine ewige Fortdauer möglich sei, so muß sie doch möglich sein; denn sie liegt in dem, was über alle Natur erhaben ist.«

Solche Dekrete können natürlich nur für den Gültigkeit haben, der mit Gewalt glauben will, der siealso eigentlich nicht nötig hat; alle anderen werden es natürlich finden, daß man an eine streitige Frage den Maßstab menschlich-geistiger Erkenntnis lege und untersuche, ob sich Schlüsse bezüglich derselben aus Erfahrung, Vernunft und Naturkenntnissen ziehen lassen. Bei dieser Untersuchung werden sie finden, daß Fichte recht hatte, als er verlangte, daß man Vernunft und sinnliche Erkenntnis an den Nagel hängen müsse, um die Wahrheit der persönlichen Fortdauer zu begreifen. - Kaum einen größeren Wert als diese philosophischen Dekrete haben die Erfindungen einzelner Naturphilosophen, welche glauben, auf hypothetischem Wege wissenschaftliche Anhaltspunkte für die individuelle Unsterblichkeit liefern zu können. So entdeckte Herr Droßbach, dass jeder Weltkörper eine endliche Anzahl selbstbewu
sstseinsfähiger Monaden enthält, die nach und nach zur Entwicklung des Bewusstseins gelangen, beim Tode aber wieder zurückfallen. Entweder in sehr später Zeit oder auf anderen Weltkörpern treten diese Monaden wieder zusammen und bilden einen neuen Menschen mit Erinnerung an sein früheres Leben! Diese problematischen Monaden sind zu ungreifbar, als dass wir uns weiter versucht fühlen könnten, uns an ihnen zu vergreifen. -

Nur im Vorbeigehn möchten wir in bezug auf individuelle Unsterblichkeit an die große Menge unbesiegbarer äußerer Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten erinnern, welche aus dem ewigen Fort- und Zusammenleben jener zahllosen Scharen von Seelen entstehen müßten, welche lebenden Menschen angehört haben, und deren auf der Erde erlangte geistige Bildungsstufe eine so unendlich verschiedene und bis in die äußersten Extreme auseinanderlaufende ist. Das ewige Leben soll nach ziemlich übereinstimmenden Ansichten eine Vervollkommnung, Fortbildung des irdischen darstellen. Darnach würde es notwendiges Erfordernis sein, daß für jede Seele auf der Erde wenigstens eine gewisse Stufe der Bildung erreicht würde, von welcher anfangend weiter gebildet werden könnte. Nun denke man aber an die Seelen der frühe verstorbenen Kinder oder der wilden ungebildeten Völker oder auch nur der unteren Stände unserer europäischen Gesellschaft! Soll die mangelhafte Volksbildung und Kindererziehung sich drüben in einem höheren Maßstabe fortsetzen? »Ich habe das Sitzen auf den Schulbänken satt«, sagt Danton in Georg Büchners »Dantons Tod.« -

Und was soll, möchten wir zuletzt fragen, mit den Seelen der Tiere geschehen? Der menschliche Hochmut hat bei Besorgung dieser Angelegenheit zunächst nur an sich gedacht und nicht einsehen wollen, dass dem Tiere das nämliche Recht zukommt wie dem Menschen. Dass zwischen Mensch und Tier kein wesentlicher und prägnanter naturhistorischer Unterschied besteht, sondern daß hier, wie überall in der Natur, die allmählichsten Übergänge stattfinden, und dass Menschen- und Tierseele fundamental dasselbe sind - werden wir in einem folgenden Kapitel näher auszuführen Gelegenheit finden. Nun dürfte es für die Anhänger der persönlichen Fortdauer, welche die Unsterblichkeit der Tierseele nicht statuieren, schwer, ja unmöglich werden, die Grenze zu bestimmen, an welcher denn die Unvernichtbarkeit der tierischen oder menschlichen Seele beginnen soll. Es unterscheidet sich die letztere von der ersteren nicht qualitativ, sondern nur quantitativ, und ein allgemein gültiges Naturgesetz muss auf beide seine gleichmäßige Anwendung finden. »Ist die menschliche Seele unsterblich, so mu
ss es auch die tierische sein. Beide haben, vermöge ihrer gleichen Grundqualitäten, auch gleiche Ansprüche auf Fortdauer« (Burmeister). Verfolgt man nun diese Konsequenz bis in die untersten Tierreihen, welchen ebensowenig eine Seele abgesprochen werden kann wie den höchsten, so fallen alle jene moralischen Gründe, welche man für individuelle Unsterblichkeit geltend gemacht hat, in sich zusammen, und es kommen Absurditäten heraus, welche das ganze Gebäude schöner Hoffnungen umstürzen müssen.

Man hat behauptet und behauptet es noch, dass die Unsterblichkeitsidee (in derselben Weise wie die Gottesidee) eine dem innersten geistigen Wesen jedes Menschen an- und eingeborene, darum durch alle Vernunftgründe unwiderlegliche sei, und daß es auch aus demselben Grunde keine Religion gebe, welche die individuelle Unsterblichkeit nicht als einen ihrer ersten und Hauptgrundsätze festhalte. Was die angeborenen Ideen betrifft, so glauben wir uns darüber bereits hinlänglich verbreitet zu haben, und an Religionen und Religionssekten, welchen die Unsterblichkeitsidee unbekannt war, hat es niemals gefehlt. Die angesehenste Religionssekte der Juden, die Essäer, kannte keine persönliche Fortdauer. Die ursprüngliche Religion des großen Konfutse weiß nichts von einem himmlischen Jenseits. Der Buddhismus, welcher zweihundert Millionen Anhänger zählt, kennt weder Gott noch Unsterblichkeit und predigt das Nichtsein als das höchste Ziel der Befreiung. Die edle und in vielen Stücken der Bildung unsere eingebildete Jetztwelt weit überragende Nation der Griechen kannte nur ein Jenseits der Schatten, und dass im ganzen römischen Altertume der Unsterblichkeitsglaube ein äußerst schwacher und seltener war, ist bekannt. -

Unter den gebildeten und aufgeklärten Männern aller Nationen und Zeiten hat der Unsterblichkeitsglaube nicht allzu viele Anhänger gehabt, wenn auch diese Verneinung sich nicht immer mit gleicher Gewalt an das Licht drängte als ihre Gegnerin. Welche Anfeindungen musste der berühmte Voltaire erdulden, weil er es wagte, seine Überzeugung von der Vergänglichkeit des menschlichen Geistes offen zu bekennen! Nachdem die französische Revolution Herzen und Zungen entfesselt hatte, trat die tiefere Überzeugung des menschlichen Herzens bekanntlich in zahlreichen interessanten Beispielen deutlicher und ungescheuter als sonst zutage und ließ die Mehrzahl der großen Männer jener Zeit oft mit merkwürdigen Äußerungen von der Bühne des Lebens abtreten. Man erstaunt über den Todesmut, mit dem dieselben im Vollgenuß ihrer Kraft und ihres geistigen Bewusstseins dem unheimlichen Augenblicke der Vernichtungentgegengingen. Mirabeau sagte auf dem Totenbette: »Ich gehe ins Nichts!« und der große Danton, als man ihn vor dem Revolutionstribunal nach Stand und Wohnung fragte, rief aus: »Meine Wohnung wird bald das Nichts sein!« Auch einer unserer ersten deutschen Geister, Friedrich der Große, bekannte, dass er an keine persönliche Fortdauer glaube. -

Wie weit sich in dem Punkte der individuellen Unsterblichkeit die religiösen Ansichten der Gebildeten nicht minder als der Ungebildeten in unserem Jahrhundert durchschnittlich von den Dogmen der Kirche entfernen, kann nur derjenige richtig beurteilen, welcher Gelegenheit hatte, die Menschen in ihrer innersten Häuslichkeit und Heimlichkeit und in verzweifelten Lagen des Lebens kennenzulernen. Ein solcher wird nicht selten Erfahrungen machen, die den herkömmlichen Ansichten sehr zuwiderlaufen. Verfasser hat an manchem Sterbebette gestanden und nichts von jenen gläubigen Exklamationen gehört, welche angeblich bei keinem Sterbenden fehlen sollen; im Gegenteil musste er häufig erstaunen über Äußerungen, welche ihm bewiesen, dass der Glaube an eine persönliche Fortdauer nach dem Tode entweder ein sehr schwacher oder gar nicht vorhandener war. »Wer kann«, sagt Feuerbach sehr richtig, »wenn er anders ein Paar Augen im Kopfe hat, verkennen, dass der Glaube an individuelle Fortdauer längst aus dem allgemeinen Leben verschwunden ist, daß er nur in der subjektiven Einbildung der Einzelnen, wenn auch unzähliger, noch existiert?« - Wie sollte denn auch sonst die trotz allen Tröstungen der Religion unter den Menschen fortherrschende Todesfurcht zu erklären sein, wie sollte es möglich sein, dass die Mehrzahl der Menschen den Tod als das größte Übel ansieht, weil er der kurzen Freude des Daseins ein plötzliches Ende macht!

Hören wir zuletzt die ebenso schönen als treffenden Worte, welche ein italienischer Philosoph,
Pomponatius, der zu Anfang des 16. Jahrhunderts lebte, über diesen Gegenstand äußert: »Will man die Fortdauer des Individuums annehmen, so muß man vor allem den Beweis führen, wie die Seele existieren könne, ohne den Körper als Subjekt oder Objekt ihrer Tätigkeit zu bedürfen. Ohne Anschauungen vermögen wir nichts zu denken; diese aber hängen von der Körperlichkeit und ihren Organen ab. Das Denken an sich ist ewig und immateriell, das menschliche jedoch ist mit den Sinnen verbunden, erkennt das Allgemeine nur im Besonderen, ist niemals anschauungslos und niemals zeitlos, da seine Vorstellungen nacheinander kommen und gehen. Darum ist unsere Seele in der Tat sterblich, da weder das Bewusstsein bleibt noch die Erinnerung - »Die Tugend ist doch viel reiner, welche um ihrer selbst willen geübt wird, als um Lohn. Doch sind diejenigen Politiker nicht gerade zu tadeln, welche um des allgemeinen Besten willen die Unsterblichkeit der Seele lehren lassen, damit die Schwachen und Schlechten wenigstens aus Furcht und Hoffnung auf dem rechten Wege gehen, den edle, freie Gemüter aus Lust und Liebe einschlagen. Denn das ist geradezu erlogen, da
ss nur verworfene Gelehrte die Unsterblichkeit geleugnet und alle achtbaren Weisen sie angenommen; ein Homer, Plinius, Simonides und Seneca waren ohne diese Hoffnung nicht schlecht, sondern nur frei von knechtischem Lohndienst.«
Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 102, Büchner, Kraft und Stoff, S.153ff
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlags, Stuttgart