Martin Luther, ursprüngl. Luder (1483 - 1546)

Deutscher Reformator. Martin Luther ist zweite Sohn des Bergmanns Hans Luder aus Möhra, wo die Familie einen Erbzinshof besaß (die Schreibweise »Luther« wird von Martin selbst erst im Jahre 1517 festgelegt). Nach einem in schwerem Gewitter abgelegten Gelübde: »Hilf, heilige Anna, ich will ein Mönch werden!« kehrte Luther seinem anfänglichen Studium der Rechtswissenschaft den Rücken und trat am 17. 7. 1505 in das Kloster der Augustiner-Eremiten in Erfurt ein, wo er 1507 zum Priester geweiht wurde. 1508 - 10 hielt er philosophische und theologische Vorlesungen in Wittenberg und Erfurt und wurde nach seiner Romreise (1510/11) 1512 Doktor der Theologie und - als Nachfolger seines Freundes, des Ordensprovinzial Johannes von Staupitz - Professor für Bibelauslegung in Wittenberg.

In
Martin Luthers innerer Entwicklung fand eine plötzliche Wandlung statt, die man allgemein als das »Turmerlebnis« bezeichnet, denn im Turme seines Augustinerklosters, in der dort befindlichen Latrine, kam ihm eine Art plötzlicher Erleuchtung, die über sein weiteres Leben entscheiden sollte. Die innere Diskrepanz von religiösem Erleben und theologischer Forschung führte ihn hier zu einer Klärung seiner Frage nach der Gerechtigkeit Gottes. Entsprechend Röm. 1, 16 - 17 sei sie keine Leistung des Menschen, sondern Geschenk Gottes, das der Mensch in Demut hinzunehmen habe. Gerechtigkeit und Gnade fallen somit nach Luthers Ansicht in Gott zusammen. Die Gerechtigkeit Gottes ist demnach nicht die richtende (justitia activa), sondern die Gnade schenkende Gerechtigkeit (justitia passiva). Nur im Glauben kann der Mensch aus Gottes erbarmender Liebe, die sich in Christus offenbart, die Gerechtigkeit empfangen, in der auf dem Gnadenwege von der Todsünde freigesprochen wird. Nicht durch kirchliche Gnadenmittel oder Ablässe und irgendwelche guten Werke, sondern nur im selbstlos handelnden Glauben (sola fide), nur durch göttliche Gnade (sola gratia) und nur durch Christus kann der Mensch das erlösende Heil erlangen. Dies ist im wesentlichen der Inhalt seines »Turmerlebnisses«, das auch seinen Niederschlag in den 28 Thesen der »Heidelberger Disputation« fand. Nach neuerer Vermutung hat das »Turmerlebnis« Anfang 1513 stattgefunden und dürfte wohl in Luthers Innenleben schlussendlich der ausschlaggebende Anlass für die Reformation sein (geistige Geburtsstunde der Reformation). Der äußere Beginn der Reformation wird in dem überraschend großen Echo sichtbar, das seine 95 Thesen fanden, die er als Antwort auf die Ablasspredigt Johann Tetzels am 31. 10. 1517 veröffentlichte. Anzeigen in Rom führten zu einem anfangs mit geringem Ernst geführten Ketzerprozess. Im Oktober 1518 musste sich Luther vor dem päpstlichen Legaten Cajetanus verantworten. Den von ihm geforderten Widerruf lehnte er schlichtweg ab. Die Leipziger Disputation mit Johannes Eck (1519) machte ihm dann die Tiefe seines Gegensatzes zu Rom klar.

Er
erkannte, dass das Papsttum eine rein menschliche Institution ist und deshalb voll dem menschlichen Irrtum unterworfen ist. Die Kurie drohte ihm in der Bulle »Exsurge Domine« vom 15. 6. 1520 den Bann an. Statt eines Widerrufs verbrannte er die Bulle zusammen mit scholastischen Schriften vor dem Elstertor in Wittenberg und vollzog damit endgültig den Bruch mit Rom. Das Jahr 1520 war für ihn zugleich eine Zeit großer literarischer Schaffenskraft; über 30 Schriften entstanden, darunter die drei reformatorischen Hauptschriften (»An den christlichen Adel deutscher Nation«, »Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche«, »Von der Freiheit eines Christenmenschen«). Die beiden Linien der Kritik an der Kirche, die durch das späte Mittelalter laufen — die innere Kritik, die die Bibel zur Grundlage des Glaubens und der Theologie wie zum Maßstab des Kirchenwesens machte, und die äußere Kritik an den sittlichen Schäden der Kirche (Gravamen)trafen hier zusammen. Am 3. 1. 1521 gebannt, verteidigte sich Luther am 17. und 18. 4. 1521 vor dem Reichstag in Worms, lehnte auch hier den Widerruf ab: »Hier stehe ich, . . . Gott helfe mir! Amen« und wurde in die Reichsacht getan. Von seinem Landesherrn, Kurfürst Friedrich dem Weisen, wurde Luther heimlich auf die Wartburg gebracht, übersetzte hier das Neue Testament (Erstdruck 1522) und kehrte im März 1522 trotz Acht und Bann nach Wittenberg zurück, um den Einfluss der revolutionärer »Zwickauer Propheten« zurückzudrängen. 1525 trennte sich Luther um der Reinheit seines Werks willen von drei mit ihm sympathisierenden Richtungen: Er wandte sich scharf gegen die Wiedertäufer (»Wider die himmlischen Propheten«), gegen die bloße Bildungsreligion des Humanismus (»De servo arbitrio«, »dass der freie Wille nicht‘ sei« (Erasmus), und gegen den Aufstand der Landleute im Bauernkrieg, die zu keiner friedlichen Lösung bereit waren (»Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern«).

Der
Zeit des reformatorischen Beginns folgten Jahre innerkirchlichen Aufbaus, der Neuordnung des Gottesdienstes und mit dem Beginn der Visitation, die Organisation eines Landeskirchentums in Kursachsen. In diese Zeit fallen auch sein heftiger literarischer Streit mit Zwingli über das Abendmahl, die beiden Katechismen und die Übersetzung der Bibel. Für ein in Aussicht genommenes Konzil schrieb Luther als einzige von ihm selbst stammende Bekenntnisschrift die Schmalkaldischen Artikel.

Luther war kein
Systematiker, dennoch weist seine Lehre eine innere Einheit auf. In ihrer Mitte steht die Erfahrung von der Rechtfertigung des Sünders allein durch den Glauben (sola fide). Das Christensein vollzieht sich in täglicher Buße, in einem ständigen Sterben und Auferstehen. Gerechter und Sünder zugleich (simul justus et peccator), das ist die paradoxe Existenz des Christenmenschen bis an sein Lebensende. Damit hat er die Eigenart des ursprünglichen christlichen Gottesbegriffes wiederhergestellt, nach dem Gott nicht den Gerechten, sondern den Sünder sucht. Dieser Gott ist am Kreuz verborgen (lat. deus absconditus).

Den
Grund für die Gewissheit der Gnade findet Luther außerhalb aller menschlichen Erfahrung allein in dem Wort Gottes. Die Sakramente sichern durch äußere Zeichen die Zusage des Wortes; sie bewirken das Heil nur für den Glauben, der dem Wort im Zeichen traut. Von den 7 Sakramenten der mittelalterlichen Kirche behielt er nur Taufe und Abendmahl bei. Die unmittelbare Glaubensbeziehung zwischen Gott und Mensch machte für ihn jede priesterliche Mittlerschaft unnötig (allgemeines Priestertum der Gläubigen). In Zusammenhang mit Luthers Wiederentdeckung des Evangeliums steht seine »Zwei-Reiche-Lehre.«

Eine eigentliche Luther-Forschung wurde
erst möglich, nachdem Luther nicht mehr allgemein als Vater der evangelischen Kirche und Spalter ihrer Einheit galt. Auf katholischer Seite ist eine objektive Beschäftigung mit Luther erst in der letzten Generation möglich geworden. — Wissenschaftliche Ausgaben der Werke Luthers liegen seit dem 19. Jahrhundert vor. Durch seine Bibelübersetzung, seine deutschen Schriften und seine geistlichen Dichtungen hat Luther die Entwicklung der deutschen Sprache entscheidend beeinflusst. Er schuf eine Ausgleichssprache aus ostmittel- und ostoberdeutschen Elementen, in der lokale und regionale Sprachformen zunehmend an Bedeutung verloren. So wurde er zum Begründer einer gemeindeutschen Hochsprache, in die viele seiner Wortschöpfungen eingingen. Ihre Wirkung wurde durch seine Absicht gesteigert, die deutsche Sprache neben die heiligen Sprachen des Mittelalters (Hebräisch, Griechisch, Latein) zu stellen und die Religion von der Muttersprache her zu erschließen.

Siehe auch Wikipedia , Kirchenlexikon und Heiligenlexikon


Inhaltsverzeichnis

Luther über seinen reformatorischen Werdegang (1545)
Die fünfundneunzig Thesen wider den Ablass (1517)
Die Heidelberger Disputation (1518)

Ist der Papst der Antichrist? (1520)
An den christlichen Adel deutscher Nation
(1520)
Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520)
Der kleine Katechismus (1529)
Die Schmalkaldischen Artikel
(1537)
Über Hiob
Tischreden
Was das sei: Gott ist Nichts und doch Alles,
Von Gottes unerforschlicher Majestät,
Über das Licht der Vernunft,

>>>Christus
Der Glaube an Jesus Christum (Galaterbrief-Kommentar 1535)
Jesus (Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben 1519)

Luther über seinen reformatorischen Werdegang (1545)
Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe der lateinischen Schriften Luthers
Martin Luther an den frommen Leser

Rechtfertigung der Schriften
Lange und ernstlich habe ich denen widerstanden, die meine Schriften oder richtiger die verworrenen Überbleibsel meiner Studien gesammelt und gedruckt zu sehen wünschten. Denn einmal wollte ich die Werke der alten Väter nicht durch den Reiz der Neuheit verdrängen, der in den Augen des Lesers meinen Schriften zugute kommt. Sodann aber gibt es jetzt durch Gottes Gnade viele wohlgeordnete Lehrbücher, vor allem die ausgezeichneten »Loci communes« (Grundbegriffe der Glaubenslehre) Melanchthons, aus denen sich jeder Theologe und Seelenhirte trefflich und gründlich unterrichten kann, um sich als tüchtigen Lehrer und Prediger des göttlichen Wortes zu erweisen. Vor allem aber kann man jetzt die Heilige Schrift fast in jeder Sprache lesen. Meine Bücher aber, entstanden, wie es der Zufall oder vielmehr der Zwang der sich überstürzenden Ereignisse mit sich brachte, bilden ebenso eine wirre, zusammenhanglose Masse, die mir selbst zu ordnen schwer fallen sollte.

Aus diesen Gründen wünschte ich eigentlich, dass meine Schriften ewiger Vergessenheit anheimfielen, um besseren Platz zu machen. Aber mit erbarmungsloser Zudringlichkeit und Hartnäckigkeit lag man mir täglich in den Ohren und stellte mir vor, dass, wenn ich die Herausgabe bei meinen Lebzeiten nicht gestattete, sie nach meinem Tode um so gewisser erfolgen würde und zwar durch Leute, die von den Beweggründen sind den geschichtlichen Verhältnissen keine Ahnung haben und so in ihrer Verworrenheit immer neue Verwirrungen anstiften würden. So ereichten sie mit ihrem Drängen, dass ich einwilligte. Überdies war es der Wunsch und Wille unseres erlauchten Herrn, des Kurfürsten Johann Friedrich, der den Druckern befahl und sie geradezu zwang, nicht nur den Satz zu unternehmen, sondern die Ausgabe sogar zu beschleunigen.

Luthers Saulus’sche Papst-Hörigkeit
Vor allem aber bitte ich um unseren Herrn Jesu Christi willen, das alles mit gesundem Urteil und tiefem Erbarmen zu lesen. Man muss wissen, dass ich damals ein Mönch und ein ganz unsinniger Papist war, als ich jenes Werk in Angriff nahm, so berauscht, ja so versunken in die Glaubenslehren des Papsttums, daß ich imstande gewesen wäre, jeden womöglich zu ermorden, zu solcher Tat Beihilfe zu leisten oder wenigstens sie gutzuheißen, der dem Papste auch nur mit einem Worte den Gehorsam verweigert hätte. Ein solcher Saulus war ich damals, wie es heute noch viele gibt. Im Vergleich mit mir waren Dr. Eck und seinesgleichen frostig,, ja wie Eiszapfen in ihrer Verteidigung des Papsttums, denn sie pflegten dieses Geschäft nur um ihres Bauches willen zu betreiben und mit so wenig Ernst zu Werke zu gehen, dass sie mir heute noch vielmehr des Papstes zu spotten scheinen, diese Epikureer. Ich aber meinte es ernst, da ich eine furchtbare Angst vor der Todessünde hatte und dabei aus tiefstem Herzen mich danach sehnte, selig zu werden.

Aus meinen älteren Schriften ist demnach zu ersehen, welche weitgehenden Befugnisse ich damals in aller Demut dem Papste noch beigelegt habe, die ich später als ärgste Gotteslästerung erkannt und verdammt habe. Der Leser möge also diese Unsicherheit oder, wie meine Gegner es verdächtigen, diesen Widerspruch meiner damaligen Lage und Unerfahrenheit zugute halten. Ich stand anfangs allein und war für ein so gewaltiges Unterfangen doch gar zu einfältig und ungelehrt; denn ich bin nur durch die Verkettung der Umstände, nicht aus freien Stücken und mit Vorbedacht in diesen Sturm hineingeraten: des ist Gott mein Zeuge! [...]

Das Papsttum als Teufelswerk?
Und so kann man an meinem Beispiel wieder einmal sehen, wie schwer es ist, sich durchzuringen, aus einem Meer von Irrtümern aufzutauchen, die in der Meinung einer ganzen Welt fest begründet und ihr durch die Länge der Gewohnheit zur andern Natur geworden sind. Wie wahr ist doch das Sprichwort: »Alte Gewohnheit lässt sich schwerlich verändern« oder: »Gewohnheit wird zur zweiten Natur«; und wie treffend sagt Augustinus: »Gewohnheit, der man nicht Widerstand leistet, wird zum Zwang.« Denn obwohl ich nun schon sieben Jahre gelehrt und die Heilige Schrift in öffentlichen und privaten Vorlesungen fleissig erklärt hatte, so dass ich fast alles im Gedächtnis hatte; obwohl ich ferner den Anfang einer reineren Erkenntnis des christlichen Glaubens schon hinter mir hatte, nämlich die Einsicht, dass wir nicht durch die Werke, sondern durch den Glauben an Christum gerecht und selig werden, endlich den Satz schon öffentlich verfochten hatte, dass der Papst nicht nach göttlichem Recht das Oberhaupt der Kirche sei, so zog ich doch noch nicht die Folgerung, dass dann das Papsttum notwendig ein Werk des Satans sein müsse. Denn was nicht von Gott stammt, muss auf den Teufel zurückgehen.

Damals aber wahrlich so überwältigt von dem Wesen und der Würde der heiligen Kirche und eigner Gewohnheit, dass ich dem Papsttum immer noch das geschichtliche Recht beilegte, das doch, wenn es nicht auf den Willen Gottes sich berufen kann, nur Lüge und Teufelswerk ist. Denn den Eltern und der Obrigkeit gehorchen wir nicht um ihres Anspruchs willen, sondern weil es Gottes Gebot ist: Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn Willen (1. Petr. 2, 13). Daher kann ich den hartnäckigen Anhängern des Papsttums um so weniger zürnen, besonders den ungebildeten Laien, da ich selbst trotz jahrelanger und fleissiger Beschäftigung mit der Theologie so zähe daran festgehalten habe. [...]

Studium der Paulusbriefe
Inzwischen hatte ich mich in jenem Jahre (1513) schon wieder der Auslegung des Psalters zugewandt, im Vertrauen darauf, dass ich durch die schulmäßige Behandlung der Briefe S. Pauli an die Römer und Galater und des Hebräerbriefs größere Übung erlangt hatte. Ich war von einer unglaublichen Sehnsucht befangen, den Verfasser des Römerbriefs verstehen zu lernen. Nicht als ob es mir an dem herzhaften Entschluss zu eindringender Forschung gefehlt hätte; ich stutzte einzig vor dem Worte (Röm. 1, 17) von

»der Gerechtigkeit Gottes, die im Evangelium offenbart wird«.


Denn dieser Begriff der »Gerechtigkeit Gottes« mir geradezu verhasst, weil ich gewohnt war, ihn nach dem Vorgange aller Theologen im Sinne der scholastischen Philosophie zu verstehen als die »formale oder aktive« Gerechtigkeit, vermöge deren Gott sich gerecht erweist, indem er die Sünder als die Ungerechten bestraft.

Luthers »Turmerlebnis« im Turm des schwarzen Klosters zu Wittenberg (1513)
Ich aber fühlte mich, obwohl ich als Mönch ein untadeliges Leben führte, vor Gott als einen von Gewissensqualen verfolgten Sünder, und da ich nicht darauf vertrauen konnte, Gott durch Genugtuung versöhnt zu haben, liebte ich nicht, sondern ich hasste förmlich jene gerechte, die Sünder bestrafende Gottheit. Denn ich sagte mir: als ob es nicht genug wäre, daß die elenden Sünder, die schon durch den Fluch der Erbsünde ewiger Verdammnis preisgegeben sind, nach dem Gesetz des Alten Bundes allen erdenklichen Strafen heimgesucht werden, wenn nicht Gott durch das neue Evangelium die Qual noch vermehrte, indem er auch durch die Botschaft des Neuen Bundes uns nur seine zürnende und strafende Gerechtigkeit ankündigt. So marterte ich mich in der Strenge und Verworrenheit meines Gewissens; dabei aber brütete ich unablässig über jenem Ausspruch des Apostels, dessen Sinn ich mit glühender Begierde zu enträtseln suchte.

Bis nach tage- und nächtelangem Nachsinnen sich Gott meiner erbarmte, daß ich den inneren Zusammenhang der beiden Stellen

»Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbar«

und wiederum:

»Der Gerechte lebt durch seinen Glauben«

fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes zu begreifen, kraft deren der Gerechte aus Gottes Gnade selig wird, nämlich durch den Glauben: daß die Gerechtigkeit Gottes, die durch das Evangelium offenbart werde, in dem passiven Sinne zu verstehen ist, daß Gott in seiner Barmherzigkeit uns durch den Glauben rechtfertigt, wie geschrieben steht: »Der Gerechte lebt aus Glauben«. Nun fühlte ich mich geradezu wie neugeboren und glaubte, durch weit geöffnete Tore in das Paradies eingetreten zu sein. Ich ging dann die Heilige Schrift durch, soweit ich sie im Gedächtnis hatte und fand in anderen Wendungen den entsprechenden Sinn: so ist das »Werk Gottes« dasjenige, was Gott in uns wirkt, die »Stärke Gottes« das, wodurch er uns stark macht, die »Weisheit Gottes«, durch die er uns weise macht, und so ist auch die »Kraft Gottes«, das »Heil Gottes«, die »Ehre Gottes« aufzufassen.

Je lebhafter ich also bisher das Wort von der »Gerechtigkeit Gottes« gehaßt hatte, um so liebevoller mußte ich nun diese gnadenreiche Vorstellung umfassen, und so hat mir jener Ausspruch des Apostels in der Tat die Pforten des Himmels erschlossen. Nachher las ich Augustins Schrift »Über den Geist und den Buchstaben« (de spiritu et litera), wo ich wider Erwarten fand, daß auch dieser die Gerechtigkeit Gottes auffaßt als diejenige, die Gott uns legt, indem er uns rechtfertigt. Und wiewohl das noch unvollkommen gedacht ist und dieser Vorgang der Beilegung nicht alles deutlich erklärt, war ich doch zufrieden, daß hier die Gerechtigkeit Gottes dahin erläutert wurde, daß wir durch sie gerecht gesprochen werden.

Durch solche Gedankengänge besser ausgerüstet, begann ich die Psalmen ein zweites Mal zu erklären, und aus dieser Arbeit. wäre ein umfangreicher Kommentar entstanden, wenn ich nicht im folgenden Jahre durch die Berufung vor den durch Kaiser Karl V. in Worms abgehaltenen Reichstag zu neuer Unterbrechung genötigt worden wäre.

Das aber erzähle ich dir, lieber Leser, damit du beim Durchgehen meiner Schriftchen dir vergegenwärtigst, daß ich, wie Augustin von sich selbst sagt, einer von denen gewesen bin, die sich durch Schreiben und Lehren vorwärtszubringen suchten, nicht von denen, die aus nichts mit einem Schlage alles werden, obwohl sie doch nichts gearbeitet, keine Versuchung bestanden, keine Erfahrungen gesammelt, sondern auf den ersten Anlauf sich des gesamten Inhalts der Heiligen Schrift bemächtigt haben.

Bis hierher war in den Jahren 1520 und 1521 der Ablaßstreit gediehen; ihm schlossen sich an der Abendmahlsstreit und die Kämpfe mit den Wiedertäufern, zu denen ich in den folgenden Bänden, sofern ich noch lebe, eine Einleitung geben werde.

Und nun Gott befohlen, lieber Leser, und bete für das Gedeihen des göttlichen Wortes trotz der Macht und List des Satans, der gerade jetzt sich wütend und grausam gebärdet, weil er weiß, daß seine Zeit kurz bemessen ist und die Herrschaft des Papstes ins Wanken geraten ist. Gott aber möge das in uns bekräftigen, was er selbst gewirkt hat, und das Werk vollführen, das er uns angefangen hat (Phil. 1, 6), zu seiner Ehre. Amen.
Geschrieben am 5. März 1545.
Nach: Luther. Ausgewählt von Karl Gerhard Steck. Eingeleitet von Helmut Gollwitzer, Fischerbücherei Band 76 (S.19-24)

Die Heidelberger Disputation (1518)

1. Das Gesetz Gottes, die allerheilsamste Lehre des Lebens, vermag den Menschen nicht zur Gerechtigkeit bringen, sondern ist diesem Ziel eher hinderlich.
Das geht aus den Worten des Apostels, Röm 3, 21: »Nun ist aber ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten« klar hervor. Dies legt St. Augustinus in seiner Schrift vom Geist und Buchstaben so aus: »Ohne das Gesetz, d.h. ohne sein Zutun!« Und Röm 5, 20 heißt es: »Das Gesetz aber ist dazwischen hineingekommen, damit die Sünde mächtiger würde«, und Röm 7, 9: »Da aber das Gebot kam, wurde die Sünde lebendig.« Deshalb nennt Paulus Röm 8, 2 das Gesetz »ein Gesetz der Sünde und des Todes«, ja
2. Kor 3, 6 sagt er: »Der Buchstabe tötet«, was St. Augustinus in seinem Buch ›Vom Geist und Buchstaben‹ durchweg von jedem Gesetz versteht, auch vom Gesetz Gottes, das doch das heiligste ist.

2. Noch viel weniger können das Menschenwerke fertig bringen, auch wenn sie mit Hilfe einer natürlichen Regel - wie man sagt - immer wieder von neuem wiederholt würden.
Wenn nun das heilige und unbefleckte Gesetz Gottes, das wahre und gerechte, das dem Menschen zur Hilfe von Gott gegeben ist, um ihn über seine natürlichen Kräfte hinaus zu erleuchten und zum Guten zu bewegen, trotzdem nur das Gegenteil bewirkt, so daß er eher schlechter (als besser) wird, wie kann er dann, allein seinen eigenen Kräften überlassen, ohne solche Hilfe zum Besseren gelangen? Wenn er nicht einmal mit fremder Hilfe das Gute tut, so wird er es noch viel weniger aus eigenem Antrieb tun. Daher sagt der Apostel Röm 3,10ff: »Da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der nach Gott fragt. Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut.«
Wenn auch menschliche Werke schön aussehen und gut erscheinen mögen, so gilt dennoch, daß sie Todsünden sind.

3. Die Werke der Menschen, mögen sie auch äußerlich scheinbar noch so glänzend und gut sein, sind dennoch Todsünden.

Die Werke der Menschen mögen zwar äußerlich glänzen, aber innerlich sind sie verdorben, wie Christus Mt 23,27 von den Pharisäern sagt. Ihnen selbst und anderen erscheinen sie gut und schön, aber Gott urteilt nicht nach dem Schein, sondern »prüfet Nieren und Herz« (Ps 7, 10). Aber ohne Gnade und Glauben ist es unmöglich, ein reines Herz zu haben. Denn nach
Apg 15, 9 reinigt Gott die »Herzen durch den Glauben «
Der Beweis für dieses ist: Wenn die Werke der gerechten Menschen Sünde sind, wie These 7 sagt, wieviel mehr sind es dann die Werke der noch nicht gerechten. Die Gerechten aber beten (Ps 143, 2) um ihrer eigenen Werken willen: »Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, Herr, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.« Ebenso sagt der Apostel Gal 3, 10: »Denn die aus den Werken des Gesetzes leben, die sind unter dem Fluch.« Die Werke der Menschen sind aber Gesetzeswerke und der Fluch wird nicht auf lässliche Sünden gelegt; also sind sie Todsünden. Drittens heißt es in Röm 2,21: »Du lehrst nun andere und lehrst dich selber nicht? Du sprichst, man solle nicht stehlen, und du stiehlst«, was St. Augustinus so auslegt: Freilich sind die nach ihrem schuldhaften Wollen selbst Diebe, wenn sie nach außen urteilen und lehren, andere seien Diebe.

4. Wenn auch die Werke Gottes, scheinbar missgestaltet aussehen und übel zu sein scheinen, sind sie doch in Wahrheit über den Tod hinaus wirkende Verdienste.
Dass die Werke Gottes missgestaltet aussehen, wird
aus Jes 53,2 deutlich: »Er hat keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte« und 1.Sam 2,6: »Der Herr tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf.« Das ist so zu verstehen: Der Herr demütigt und erschreckt uns durch das Gesetz und den Anblick unserer Sünden, daß wir uns sowohl vor den Menschen und als vor uns selbst wie nichts, als Toren und Böse erkennen sollen, wie wir es ja auch wirklich sind. Wenn wir das erkennen und uns dazu bekennen, so haben wir »keine Gestalt noch Schöne«, leben aber in der Verborgenheit Gottes, d.h. in bloßem Vertrauen auf seine Barmherzigkeit und können uns in uns selbst auf nichts berufen als auf Sünde, Torheit, Tod und Hölle, wie der Apostel 2.Kor 6, 9f. sagt: » Als die Sterbenden, und siehe, wir leben als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; « (vgl. Kol 3,3). Das ist es, was Jes 28,21 Gottes »fremdes Werk« nennt: »damit sein Werk an uns geschehe«; d.h. er demütigt uns in uns selbst und lässt uns verzweifeln, um uns in seiner Barmherzigkeit zu erheben und uns zu Hoffenden zu machen, wie es Hab 3, 2 heißt: »Im Zorne denke an Barmherzigkeit.« Ein solcher Mensch missfällt sich also in allen seinen Werken, sieht an sich keine Schönheit, sondern lediglich seine Verunstaltung. Ja, er tut draußen, was anderen töricht und ungeschickt erscheint.
Solche Verunstaltung entsteht aber in uns, wenn Gott uns züchtigt oder vielmehr wenn wir uns selbst anklagen, wie
1. Kor 11, 31 sagt: »Wenn wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet. Wenn wir aber von dem Herrn gerichtet werden, dann werden wir gezüchtigt, damit wir nicht samt der Welt verdammt werden.« Das ist es, was 5. Mose 32, 36 meint: »Denn der Herr wird seinem Volk Recht schaffen, und über seine Knechte wird er sich erbarmen.« So sind also die »verunstalteten Werke«, die Gott in uns wirkt, das heißt eben solche, die in Demut und Furcht vollbracht werden, wahrhaft unsterblich; denn Demut und Gottesfurcht sind unser ganzes Verdienst.

5. Nicht in dem Sinne sind die menschlichen Werke Todsünden - wir sprechen von denen, die scheinbar gut sind -, dass sie Verbrechen wären.
Verbrechen nämlich sind Taten, die auch von Menschen
(vor Menschen) angeklagt werden können, wie Ehebruch, Diebstahl, Totschlag, üble Nachrede usw. Aber Todsünden sind Taten, die nach außenhin scheinbar gut sind und dennoch inwendig aus einer schlechten Wurzel kommen und Früchte eines bösen Baumes sind, wie Augustinus in seinem 4. Buch gegen Julianus schreibt.

6. Nicht in dem Sinne sind die Werke Gottes Verdienste - wir sprechen von denen, die durch den Menschen getan werden -, dass sie nicht immer zugleich auch Sünde wären.
Der Prediger Salomon (7, 20) sagt: »Denn es ist kein Mensch so gerecht auf Erden, dass er nur Gutes tue und nicht sündige.« Hier aber sagen andere (Ausleger): Ein Gerechter sündigt zwar auch, aber nicht dann, wenn er Gutes tut. Denen ist zu antworten: Wenn der Prediger dieses sagen wollte, warum verwendet er dann soviel Worte? Oder hat der Heilige Geist etwa Vergnügen an Vielrednerei und unnützem Geschwätz? Denn eine solche Ansicht wäre mehr als genügend ausgedrückt mit den Worten: »Denn es ist kein Mensch so gerecht auf Erden, daß er nicht sündige«; wozu fügt er nun »dass er nur Gutes tue« bei? Als ob ein anderer gerecht wäre, der Schlechtes tut, denn nur ein Gerechter handelt gut. Wo Salomo aber von der Sünde spricht, die nicht guten Werken zusammenhängt, sagt er: »Denn ein Gerechter fällt siebenmal (am Tage) und steht wieder auf, aber die Gottlosen versinken im Unglück« (Spr 24, 16). Hier sagt er nicht: Siebenmal täglich fällt der Gerechte, wenn er Gutes tut. Dazu ein Gleichnis: Wenn einer mit einer rostigen und schartigen Axt zuschlägt, so macht seine Axt, mag er selbst ein noch so guter Handwerker sein, dennoch schlechte, holprige und raue Kerben. So auch Gott, wenn er durch uns wirkt.

7. Die Werke der Gerechten wären Todsünden, würden sie nicht von den Gerechten in frommer Gottesfurcht als Todsünden gefürchtet.
Das geht erstens aus der 4. These hervor. Denn sein Vertrauen auf ein Werk setzen, bei dem man sich eigentlich fürchten müsste, heißt sich selber ehren und Gott die Ehren rauben, den man bei jedem Werk fürchten soll und muss. Darin aber besteht die ganze Verkehrtheit, dass man sich selbst gefällt, sich selbst in seinen Werken als höchsten Zweck genießt und sich wie einen Götzen anbetet. So macht es jeder, der selbstsicher und ohne Gottesfurcht lebt. Wenn er sich nämlich fürchtete, wäre er nicht selbstsicher und hätte kein Gefallen an sich, sondern gefiele sich nur in Gott.

Zweitens wird es klar aus Ps 143,2: » Und gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht« und
Ps 32,5: »Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen. Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünde« Dass dies aber nicht um lässliche Sünden handeln kann, geht aus der Ansicht der Scholastiker hervor: Für lässliche Sünden braucht man keine Buße noch Beichte. Wenn es also Todsünden sind und »alle Heiligen dafür beten«, wie es hier (Ps 32,6) heißt, dann sind also die Werke der Heiligen Todsünden. Die Werke der Heiligen aber sind gute Werke; also können sie für sie nur verdienstlich sein durch ihr demütiges und gottesfürchtiges Bekenntnis.

Drittens sei aus dem Gebet des Herrn angeführt: »Und vergib uns unsere Schuld, wie wir auch vergeben unseren Schuldigern« (Mt 6, 12). Das ist ein Gebet der Heiligen; also sind die Schulden, für die sie beten, ihre guten Werke. Dass es sich hier aber auch um Todsünden handelt, geht aus folgenden Worten hervor: »Denn wenn ihr den Menschen ihre Fehler nicht vergebt, da wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben« (Mt 6, 15). Solche Sünden sind es also, die sie ohne Vergebung in Verdammnis brächten, wenn sie nicht aufrichtig dieses Gebet beteten und anderen vergeben würden.

Viertens heißt es in Offb 21, 27: »Und nichts Unreines wird (ins Himmelreich) hineinkommen und keiner, der Gräuel tut und Lüge«. Daher ist alles, was den Eingang ins Himmelreich hindert, Todsünde - oder man müsste den Begriff »Todsünde« anders bestimmen. Auch die lässliche Sünde verhindert dies, denn sie befleckt die Seele, und kann im Himmelreich nicht bestehen, also ...
(ist sie ebenfalls Todsünde).

8. Um so mehr sind Menschenwerke erst recht Todsünden, wenn sie ganz ohne Furcht in falscher und böser Selbstsicherheit getan werden.
Das ergibt sich mit Notwendigkeit aus dem Vorangehenden. Denn wo keine Furcht ist, da ist keine Demut; wo keine Demut ist, da ist Hochmut und da sind Zorn und Gericht Gottes. »Denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade«
(1. Petr 5, 5). Ja, würde der Hochmut weichen: Es gäbe keine Sünden mehr!

9. Zu sagen daß die nicht in Christus getätigten Werke zwar tot seien, aber keine Todsünden, scheint mir eine gefährliche Preisgabe der Gottesfurcht.
Denn damit werden die Menschen in falscher Sicherheit gewiegt und dadurch hochmütig, was gefährlich ist. So verweigert man nämlich Gott dauernd die ihm zustehende Ehre und misst sie sich selbst zu, obgleich man doch mit ganzem Eifer danach streben müsste, ihm seine Ehre so rasch wie möglich zu geben. So rät auch die Heilige Schrift: »Darum zögere nicht, dich zum Herrn zu bekehren« (Sir 5, 8). Wenn ihn schon der beleidigt, der ihm die Ehre entzieht, um wieviel mehr der, der dies fortwährend in völlig unangemessener Selbstanmaßung tut. Aber wer nicht in Christus ist oder von ihm weicht, entzieht ihm die Ehre, wie da geschrieben steht.

10. Es ist ja sehr schwer zu verstehen, wie denn solch ein Werk tot und dennoch keine schädliche Todsünde sein soll.

Zum Beweis erstens dies: Die Schrift spricht nicht so vom Tod, daß etwas, was doch tot ist, nicht auch tödlich wäre. Ja auch die Grammatik nicht, nach der »tot« eine Steigerung zu »tödlich« ist. Die Scholastiker sagen: Ein tödliches Werk ist ein Werk, das tötet. Ein an sich totes Werk ist aber nicht eines, das abgestorben ist, sondern eines, das nie lebendig war. Aber ein solches nicht lebendiges Werk missfällt Gott, wie es in den Sprüchen Salomonis 15, 8 heißt: »Der Gottlosen Opfer ist dem Herrn ein Gräuel, aber das Gebet der Frommen ist ihm wohlgefällig.«

Zweitens: Überhaupt wirkt ja der Wille auf jedes solche tote Werk irgendwie ein, sei es in Liebe oder in Hass. Hassen kann er es nicht, weil er ja böse ist. Also liebt er es, und zwar als Totes. Und so bringt er in sich selbst eine böse Willenshandlung gegen Gott hervor, den er auch hier wie in allem Tun und Werk lieben und ehren müsste.

11. Der falschen Selbsteinschätzung (Vermessenheit) kann man nur da entgehen und wahre Hoffnung kann allein da sein, wo man bei jeder Handlung das Verdammungsurteil fürchtet.
Das geht aus der 4. These hervor. Denn es ist unmöglich, auf Gott zu hoffen, ohne die Hoffnung auf alle Kreatur fahren zu lassen, und ohne zu wissen, daß nichts helfen kann, als Gott allein Da es aber niemanden gibt, der, wie wir oben sagten, eine solche reine Hoffnung hat, und wir nicht selten Vertrauen in eine Kreatur setzen (vgl. Röm 1, 25), so ist es klar, daß wir wegen solcher Unreinheit in allen Dingen Gottes Gericht zu fürchten haben. Und so soll Vermessenheit nicht nur beim Tun, sondern auch schon beim Verlangen vermieden werden, d. h., es muss uns missfallen, weiterhin unser Vertrauen in Kreaturen zu setzen.

12. Nur dann sind Sünden vor Gott wirklich lässliche Sünden, wenn sie von den Menschen als Todsünden gefürchtet werden.
Das geht zur Genüge aus dem Gesagten hervor. Nur in dem Maße wie wir uns selbst beschuldigen (anklagen), entschuldigt uns Gott nach dem Worte: »Bekenne deine Missetat, damit du gerechtfertigt wirst« (vgl. Jes 43, 26) und jenem, wo es heißt: »Neige mein Herz nicht zum Bösen (um Entschuldigungen zu finden für die Sünden)«
(Ps 141,4).

13. Der freie Wille existiert nach dem Sündenfall nur noch dem Namen nach, und wenn einer tut, was in ihm alles möglich ist, begeht er eine Todsünde.
Das erste ist klar: der Wille ist ein Gefangener und ein Sklave der Sünde. Nicht, daß er nichts wäre, sondern daß er nur zum Bösen frei ist! Joh 8, 34 und 36: »Wer Sünde tut, ist der Sünde Knecht«, »Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.« Darum sagt auch St. Augustinus in seinem Buch ›Vom Geist und Buchstaben‹: »Der freie Wille ohne die Gnade hat nur Macht zum Sündigen« und im 2. Buch gegen Julianus: »Frei nennt ihr ihn, aber ein Geknechteter ist er.« Und so noch an unzähligen anderen Stellen.

Das zweite geht aus dem oben Gesagten hervor und aus
Hos 13,9: »Israel, du bringst dich in Unglück; denn dein Heil steht allein bei mir.«

14. Die Entscheidungsfreiheit zum Guten gibt es nach dem Sündenfall nur noch als ursprüngliche (aber vergangene) Möglichkeit des Willens. Zum Bösen hin kann er aber jederzeit als tatsächliche Kraft wirken.
Dazu ein Gleichnis: Vom Leben eines Toten kann man nur im Hinblick auf eine ursprüngliche (aber vergangene) Möglichkeit (zu leben) reden, vom Tode eines Lebenden als von einer stets vorhandenen Möglichkeit. Der sogenannte freie Wille (zum Guten) dagegen ist tot; dafür sind die Toten ein Zeichen, die der Herr erweckte, wie schon die heiligen Kirchenlehrer sagen. St. Augustinus beweist diese These an mehreren Stellen in seinen Schriften gegen die Pelagianer.

15. Aber auch im Stand der Unschuld kann der Wille nicht tatsächlich, sondern nur auf Grund seiner ursprünglichen Möglichkeit nach bestehen, geschweige denn, daß er im Guten Fortschritte machen kann.
Der Meister der Sentenzen (Petrus Lombardus) sagt im
2. Buch, Abschnitt 24, Kap. 1 unter Berufung auf St. Augustinus am Schluss folgendes: »Durch diese Zeugnisse wird zwingend erwiesen, daß der Mensch ein rechtes Wesen und einen guten Willen bei der Schöpfung empfangen hat und eine Hilfe erfuhr, durch die er (im Guten) hätte beharren können. Sonst könnte es den Anschein haben, dass er nicht durch seine eigene Schuld gefallen ist.« Er spricht hier von dem tatsächlichen Vermögen (potentia activa), was offenkundig gegen die Anschauung von Augustinus ist, der in seiner Schrift ›Von der Zurechtweisung und der Gnade‹ folgendes sagt: »Er hatte zwar das Können empfangen, sofern er wollte, aber er hat das Wollen nicht gehabt, wodurch er es (verwirklichen) konnte«, wobei er unter dem »Können« eine ursprüngliche Bestimmung (potentia subjectiva), unter dem »Wollen, durch das er konnte«, aber eine tatsächliche wirksame Kraft (potentia activa) versteht.
Der zweite Teil (der These) aber ist vom Meister hinlänglich erklärt in der gleichen Gegenüberstellung.

16. Der Mensch, der da meint, er könne dadurch Gnade erlangen, daß er alles tut, was ihm möglich ist, fügt Sünde zu Sünde, so daß er doppelt schuldig wird.
Aus dem Gesagten geht klar hervor, dass der Mensch sündigt, wenn er all das tut, was ihm möglich ist, und so nur ganz und gar das Seine sucht. Wenn er aber meint, dass er durch die Sünde der Gnade würdig oder für sie geeignet werde, fügt er noch eine hochmütige Selbstanmaßung hinzu und hält die Sünde nicht für Sünde, das Böse nicht für Böses, was eine über die Maßen große Sünde ist. So heißt es
Jer 2,13: »Denn mein Volk tut eine zwiefache Sünde: Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die doch rissig sind und kein Wasser geben.« Das heißt, durch die Sünde sind sie ganz weit weg von mir und maßen sich dennoch an, aus sich heraus Gutes tun zu können.

Du sagst nun: Was sollen wir denn tun? Sollen wir nichts tun, weil wir nichts als Sünde tun können? Ich antworte darauf: Nein, sondern höre auf diese Worte, knie nieder, bitte um Gnade und setze deine ganze Hoffnung auf Christus, denn in ihm ist unser Heil und Leben und unsere Auferstehung. Denn darum werden wir so belehrt, darum macht uns das Gesetz mit der Sünde bekannt, damit wir unsere Sünde erkennen und sodann Gnade erbitten und erlangen. So, ja so »gibt er dem Demütigen Gnade«
(1. Petr 5,5) und (Mt 23,12) »Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht«. Das Gesetz erniedrigt, die Gnade erhöht. Das Gesetz schafft Furcht und Zorn, die Gnade Hoffnung und Erbarmen. »Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde« (Röm. 3, 20), durch die Erkenntnis der Sünde aber erlangt man Demut, und durch die Demut Gnade. So führt Gottes fremdes Werk (opus alienum dei) schließlich sein eigentliches Werk (opus proprium) herbei, indem er den Menschen zum Sünder macht, um ihn gerecht zu machen.

17. So zu reden, heißt nun nicht, dem Menschen Anlass zur Hoffnungslosigkeit geben, sondern ihn zur Demut rufen und den Eifer anzustacheln, die Gnade Christi zu suchen.
Das geht aus dem Gesagten klar hervor. Denn nach dem Evangelium ist das Himmelreich den Kleinen und den Demütigen gegeben, und diese liebt Christus. Demütig können aber nicht die sein, die nicht einsehen, daß sie verdammungswürdige und abscheuliche Sünder sind. Sünde aber wird aber nur durch das Gesetz erkannt. Daraus erhellt sich, daß nicht die Verzweiflung, sondern vielmehr die Hoffnung gepredigt wird, wenn man predigt, daß wir Sünder sind. Diese Predigt Sündenpredigt oder besser die Erkenntnis der Sünde und der Glaube an eine solche Predigt ist Bereitung zur Gnade. Erst dann nämlich entsteht die Sehnsucht nach Gnade, wenn die Sündenerkenntnis da ist. Erst, wenn er das Übel seiner Krankheit erkennt, verlangt der Kranke nach Medikamenten. Es bedeutet daher nicht, Grund zu Hoffnungslosigkeit oder Tod zu geben, wenn man den Kranken über das Gefährliche seiner Krankheit aufklärt, sondern man treibt ihn dadurch vielmehr dazu an, sich um ein Heilmittel zu kümmern. Ebenso ist das Bekennen, daß wir nichts sind und immer sündigen, wenn wir tun, was uns möglich ist, nicht Hoffnungslose schafft (es sei denn, sie es handelt sich um Toren), sondern solche die sich nach der Gnade unseres Herrn Jesu Christi sehnen.

18. Ganz gewiss muss ein Mensch zuallererst an sich selbst verzweifeln, damit er die Gnade Christi überhaupt empfangen kann.
Das eben will das Gesetz, dass der Mensch an sich selbst verzweifle, darum »führt es ihn in die Hölle« (1.Sam 2, 6) und »macht ihn arm« (1 Sam 2, 7) und erweist ihn in allen seinen Werken als Sünder, wie der Apostel in Röm 3, 9f. tut, indem er spricht: »dass alle unter der Sünde sind, wie (in Ps. 14, 1-3) geschrieben steht: >Da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der nach Gott fragt. Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer.<« Wer aber tut, was ihm möglich ist, und glaubt, dass er damit etwas Gutes schafft, der kommt sich durchaus nicht als ein Nichts vor und verzweifelt auch nicht an seinen Kräften. Vielmehr ist er darin noch anmaßend, daß er sich für die Erlangung der Gnade auf seine eigenen Fähigkeiten verlässt.

19. Der nicht wert, ein Theologe genannt zu werden, der »Gottes unsichtbares Wesen« aus »der Schöpfung der Welt« erkennt und versteht. (Röm 1,20).
Das wird an denen klar, die solche Theologen sein wollten und nach dem Apostel Röm 1, 22 »zu Narren geworden« sind, »da sie sich für Weise hielten«. Das unsichtbare Wesen Gottes »ist seine ewige Kraft und Gottheit«, seine Weisheit, Gerechtigkeit, Güte u.ä. Die Erkenntnis alles dessen macht nicht würdig und weise.

20. Nur der verdient ein rechter Theologe genannt zu werden, der das der Welt zugewandte Wesen Gottes als die in (fühlbarem) Leiden und Kreuz sichtbar gemachte (abgründige) Rückseite (des göttlichen Wesens) erblickt und begreift.
Das uns zugewandte, sichtbare Wesen Gottes – das ist seine Menschlichkeit, Schwachheit, Torheit - ist dem unsichtbaren entgegengesetzt, wie 1.Kor 1, 25 (»Denn die Torheit Gottes ist weiser als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker als die Menschen sind«) von der göttlichen Schwachheit und Torheit sagt. Weil die Menschen nämlich die Erkenntnis Gottes aufgrund seiner Werke missbrauchten, wollte nun Gott aus dem Leiden erkannt werden. Er wollte solche »Weisheit des Unsichtbaren« durch eine »Weisheit des Sichtbaren« verwerfen, damit die, die Gott nicht verehrten, wie er in seinen Werken offenbar wird, ihn verehren als den, der in den Leiden verborgen ist (absconditum in passionibus), wie es 1.Kor 1, 21 heißt: »Denn weil die Welt, umgeben von Gottes Weisheit, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.« So reicht es für niemand aus, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht zugleich in der Niedrigkeit und Schmach seines Kreuzes erkennt. »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen« (1.Kor 1, 19), wie Jesaja weiter sagt: »Fürwahr, du bist ein verborgener Gott« (Jes 45, 15).
So auch Joh 14, 8: Als Philippus in der Art der Theologie der Herrlichkeit sprach »Herr, zeige uns den Vater und es genügt uns«, holte Christus ihn gleich zurück und konzentrierte seine Gedanken, die abschweiften, anderswo Gott zu suchen, auf sich zurück und sprach: »Philippus, wer mich sieht, sieht den Vater« (Joh 14, 9). In Christus dem Gekreuzigten also ist die wahre Theologie und Gotteserkenntnis, wie es auch Joh 14, 6 und 10, 9 bestätigen: »Niemand kommt zum Vater denn durch mich«; »Ich bin die Tür« usw.

21. Der Theologe, der Gottes unverborgene Herrlichkeit sucht, nennt das Böse gut und das Gute böse. Der Theologe des Kreuzes nennt die Dinge, bei ihrem wirklichen Namen.
Das ist klar. Solange er doch Christus nicht wirklich erkennt, kennt er auch nicht den im Leiden verborgenen Gott. Daher zieht er die Werke dem Leiden, die Herrlichkeit dem Kreuze, die Kraft der Schwachheit, die Weisheit der Torheit und überhaupt das Gute dem Schlechten vor. Das sind die, die der Apostel »Feinde des Kreuzes Christi« (Phil 3, 18) nennt. Jedenfalls hassen sie das Kreuz und die Leiden. Sie lieben aber die Werke und ihren Ruhm, und so nennen sie das Gut des Kreuzes schlecht und das Schädliche des Werkes gut. Wie schon gesagt, kann Gott aber nur in Kreuz und Leiden gefunden werden. Darum nennen die Freunde des Kreuzes das Kreuz gut und die Werke schlecht, weil durch das Kreuz die Werke niedergerissen werden und der lieber durch die Werke aufgerichtete »alte Adam« gekreuzigt wird. Es ist nämlich unmöglich, auf Grund seiner »guten Werke« nicht aufgeblasen zu werden, wenn man vorher nicht durch Leiden und Schaden ganz leer und niedrig geworden ist, bis zu der Erkenntnis, daß man selbst nichts ist und die Werke nicht uns sondern Gott gehören.

22. Jene Weisheit, die Gottes unsichtbares Wesen in dem geschaffenen Werk erkennt und schaut, bläht auf, macht blind und verstockt.
Das ist schon gesagt. Denn weil sie das Kreuz nicht kennen und es hassen, müssen sie notwendig das Gegenteil lieben, also Weisheit, Herrlichkeit, Ruhm, Macht u.ä. So werden sie durch solche Vorlieben noch mehr verblendet und verstockt. Unmöglich ist es nämlich, daß ihre Gier durch Erfüllung der Wünsche gestillt wird; denn wie die Sucht zum Geld im gleichen Maße wie das Geld selbst wächst, so ist es auch mit der Sucht des Menschen nach Wasser. Je mehr er trinkt, desto mehr dürstet ihn, wie der Dichter sagt: »Je mehr sie getränkt werden, um so mehr dürsten sie nach Wasser«, und so heißt es (Pred 1,8): »Das Auge sieht sich niemals satt, und das Ohr hört sich niemals satt.« So ist es aber bei allen Begierden.

Daher wird auch die Wissbegierde nicht durch das Wissen, das man erlangt, befriedigt, sondern noch mehr entfacht. So wird die Ehrsucht nicht durch Erlangen der Ehre, die Herrschsucht nicht durch Macht und Herrschaft, die Ruhmsucht nicht durch erlangten Ruhm gestillt usw., wie Christus in Joh 4, 13 bezeichnenderweise sagt: »Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten.«

Es bleibt also nur ein Heilmittel: heil werden nicht durch Stillen der Begierde, sondern durch Auslöschen. Das heißt, wenn jemand weise werden will, so soll er nicht im Vorgriff, sondern im Rückgriff nach Weisheit trachten und im Verlangen nach »Torheit« einfältig werden. Ebenso soll, wer reich an Macht und Ruhm und an Lust und an allen Dingen satt werden will, Macht, Ruhm, Lust und Befriedigung in allen Dingen eher fliehen als suchen. Das ist die Weisheit, die der Welt eine Torheit ist.

23. Und »das Gesetz wirkt den Zorn« Gottes (Röm 4, 15), es tötet, verflucht, klagt an, richtet und verdammt alles, was nicht in Christus ist.

So heißt es in Gal 3, 13: »Christus hat uns erlöst von dem Fluche des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns«, und eben dort: »Denn die aus den Werken Gesetzes Werken leben, die sind unter dem Fluch« (Gal 3, 10), und Röm 4, 15: »Denn das Gesetz richtet nur Zorn an«, und Röm 7, 10: »Ich aber starb und so fand sich’s, dass das Gebot mir den Tod brachte, das doch zum Leben gegeben war«, und Röm 2, 12: »Alle die unter dem Gesetz gesündigt haben, werden durchs Gesetz verurteilt werden.« Wer sich also als ein Weiser und Gelehrter des Gesetzes rühmt, der rühmt sich seiner Schande, seines Fluches, des Zornes Gottes, des Todes, wie es Röm 2, 23 heißt: »Was rühmst du dich des Gesetzes und schändest Gott durch Übertretung des Gesetzes?«

24. Nun ist zwar jene Weisheit als solche nicht schlecht, und dem Gesetz soll man sich nicht entziehen; aber der Mensch mi
ssbraucht ohne die Theologie des Kreuzes die besten Dinge Beste zum Schlimmsten.
Denn »das Gesetz ist heilig« (Röm 7, 12), und »alle Gabe Gottes ist gut« (1.Tim 4, 4; Jak 1, 17), »alles Geschaffene ist sehr gut« (1.Mose 1, 31). Aber wie schon oben gesagt, wer noch nicht erniedrigt und durch Kreuz und Leiden zu einem Nichts gemacht ist, der schreibt Werke und Weisheit sich selbst, nicht aber Gott zu und missbraucht so die Gaben Gottes und besudelt sie.

Wer aber durch Leiden von seinen Begierden befreit wurde, der handelt nicht mehr selbst, sondern weiß, daß Gott in ihm alles wirkt und schafft. Ob dieser nun in ihm wirkt oder nicht, ist für ihn dasselbe: er rühmt sich nicht, wenn Gott in ihm wirkt, er schämt sich nicht, wenn er es nicht tut; er weiß, es ist ihm genug, wenn er durch das Kreuz leidet und (sein selbstsüchtiger Eigenwille) zunichte gemacht wird, damit er selbst immer mehr zu einem Nichts werde. Das ist, was
Christus
in Joh 3, 7 sagt: »Ihr müsst von neuem geboren werden.« Um wiedergeboren zu werden, muss man vorher sterben und mit dem Menschensohn erhöht werden: ich sage sterben, das ist den Tod als beständige Gegenwart empfinden.

25. Nicht der ist gerecht, der viel Werke tut, sondern wer ohne Werke viel an Christus glaubt.
Denn die Gerechtigkeit Gottes wird nicht durch ständige Wiederholung von Handlungen erworben, wie Aristoteles lehrt, sondern durch den Glauben eingegossen. »Der Gerechte wird aus Glauben leben«, Röm 1, 17 und Röm 10, 10: »Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht.« Daher will ich die Worte »ohne Werke« so verstanden wissen: Nicht dass der Gerechte nichts wirke, sondern dass seine Werke ihm keine Gerechtigkeit verschaffen. Vielmehr schafft seine Gerechtigkeit Werke. Denn ohne unser Zutun werden Gnade und Glaube eingegossen, und alsbald folgen dann die Werke. So heißt es Röm 3, 20: »Kein Mensch kann durch die Werke des Gesetzes, vor Gott gerecht sein«, und Röm 3, 28: »So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben«, d. h. zur Rechtfertigung tragen die Werke nichts bei.

Von jetzt an weiß, wer in diesem Glauben handelt, dass seine Werke nicht ihm, sondern Gott gehören. Deswegen sucht er durch sie nicht gerechtfertigt oder verherrlicht zu werden, vielmehr sucht er Gott selbst. Die Gerechtigkeit genügt ihm, die ihm aus dem im Glauben an
Christus
zuströmt, d. h. Christus ist seine Weisheit, Gerechtigkeit usw., wie es 1.Kor 1, 30 heißt. Er selbst aber ist Christi Wirken oder Werkzeug (operatio seu instrumentum).

26. Das Gesetz sagt: »Tue das!«, und es geschieht niemals. Die Gnade spricht: »An den sollst du glauben!«, und alles ist schon getan.
Der erste Satz ist durch den Apostel und seinen Ausleger Augustinus an vielen Stellen belegt, und es ist oben zur Genüge dargelegt, dass das »Gesetz« viel eher »Zorn bewirkt« und alle unter dem Fluch hält. Ebenso wird die im zweiten Satz ausgesprochene »Rechtfertigung durch den Glauben« von beiden bezeugt. Das Gesetz verlangt, wie St. Augustinus sagt, was der Glaube erlangt. So ist jedenfalls Christus durch den Glauben in uns, ja mit uns eins. Christus aber ist der, der gerecht ist und alle Gebote Gottes erfüllt. Darum erfüllen auch wir durch ihn alles, wenn er durch den Glauben der unsre geworden ist.

27. Mit Recht könnte man Christi Werk als das eigentlich Wirkende (operans) nennen und das unsere als das Bewirkte (operatum) und somit sagen, daß das so bewirkte Werk Gott nur wegen dem Tun des Wirkenden gefällt.
Sobald Christus durch den Glauben in uns wohnt, bewirkt er unser Wirken durch diesen lebendigen Glauben an seine Werke. Die Werke nämlich, die er selbst tut, sind die Erfüllung von Gottes Geboten und werden uns durch den Glauben geschenkt. Schauen wir sie an, so werden (wir von ihm) getrieben, sie nachzuahmen. Deswegen sagt der Apostel: »So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder« (Eph 5, 1). Daher entzünden sich Werke der Barmherzigkeit an seinen Werken, durch die er uns erlöste, wie St. Gregor sagt: »Jede Tat Christi ist uns eine Unterrichtung, ja, ein Antrieb.« Wenn sein Wirken in uns wirksam ist, so ist es in uns durch den Glauben lebendig, und mit Ungestüm lockt es uns entsprechend den Worten Salomos (Hld 1, 3f): »Es riechen deine Salben; dein Name ist eine ausgschüttete Salbe. Zieh mich dir nach, und so wollen wir laufen«.

28. Die Liebe Gottes findet nicht vor, sondern schafft sich, was sie liebt. Die Liebe des Menschen entsteht nur an dem, was sie liebenswert findet.

Der zweite Teil des Satzes leuchtet ein und entspricht der Erkenntnis aller Theologen und Philosophen. Der Gegenstand (objectum) ist die Ursache der Liebe, indem man nach Aristoteles alles Vermögen der Seele als passiven Stoff setzt, der nur im Aufnehmen tätig ist, wodurch er selbst bezeugt, daß seine Philosophie gegen die Theologie ist, weil sie in allem das Ihre sucht und in höherem Maße Gutes empfängt als gibt. Der erste Teil ist klar, weil die Liebe Gottes im Menschen, wenn sie im Menschen lebendig wirksam ist, die Sünder, die Bösen, die Toren und die Schwachen liebt, um sie gerecht, gut, weise und stark zu machen, und so strömt sie heraus und teilt Gutes aus. Darum nämlich, weil sie geliebt werden, sind die Sünder »schön«, nicht aber werden sie geliebt, weil sie »schön« sind. Menschliche Liebe flieht daher die Sünder und Bösen. Christus sagt aber: »Ich bin gekommen die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten« (Mt 9, 13). Solcher Art ist die am Kreuz geborene Liebe des Kreuzes, dass sie sich nicht dorthin wendet, wo sie das Gute findet, um es zu genießen, sondern dorthin, wo sie den Bösen und Bedürftigen Gutes bringen kann. »Geben ist seliger als nehmen«, sagt der Aposte1 (Apg 20, 35). Daher heißt es Ps 41, 2: »Wohl dem, der sich des Schwachen annimmt!« Der Verstand freilich kann sich natürlicherweise nicht mit dem befassen, was für ihn scheinbar nichts ist, das heißt mit dem Armen und Bedürftigen, sondern nur mit dem, was etwas ist, mit dem Wahren und Guten. Daher urteilt er nach dem äußeren Schein und nimmt das Ansehen des Menschen wichtig und urteilt nach dem Augenschein.

Scheinbare Nichtigkeiten, wie Arme und Bedürftige, sind keine Gegenstände der natürlichen Aufmerksamkeit, sondern diese sind solche, die etwas sind und scheinbar wahr und gut sind. Also urteilt sie (die menschliche Liebe) nach dem äußeren Augenschein und dem Ansehen (Bedeutung, Wichtigkeit) der Person, also nach dem was (scheinbar) offen am Tage liegt.
WA 1 (349), 355-365
Der vorstehende Text wurde anhand dreier unterschiedlicher Textvorlagen vom Herausgeber sorgfältig überarbeitet und - soweit es für das Verständnis förderlich schien - behutsam dem heutigen Sprachgebrauch angeglichen und an einigen Stellen sinngemäß vertieft.

Die fünfundneunzig Thesen wider den Ablass (1520)
Aus rechter Liebe zur Wahrheit und im Bestreben, sie ans Licht zu bringen, soll zu Wittenberg unter dem Vorsitz des ehrwürdigen Vaters Dr. Martinus Luther, Augustiners, Magisters der freien Künste und der Heiligen Schrift, auch deren ordentlichen Lehrers, daselbst über folgende Sätze disputiert werden. Hierzu bittet er die, die sich nicht mit uns mündlich damit auseinandersetzen können, dies schriftlich zu tun. Im Namen unseres Herrn Jesu Christi. Amen.

1. Wenn unser Herr und Meister Jesus Christus sagt: »Tut Buße« usw., so will er, daß das ganze Leben seiner Gläubigen auf Erden eine stete Buße sein soll.

2. Dieses Wort kann nicht vom Sakrament der Buße her, das heißt von der Beichte und der Genugtuung, die durch der Priester Amt vollzogen wird, verstanden werden.

3. Jedoch meint er auch nicht nur die innerliche Buße; ja, die innerliche Buße wäre nichtig und keine Buße, wenn sie nicht äußerlich allerlei Werke zur Ertötung des Fleisches bewirkte.

4. Deshalb währt die göttliche Strafe so lange, als der Mensch Mißfallen an sich selber hat — das ist die wahre innere Buße —, nämlich bis zum Eingang in das ewige Leben.

5. Der Papst will und kann nur solche Strafen erlassen, die er nach seinem Urteil oder nach den kirchlichen Satzungen auferlegt hat.

6. Der Papst kann keine Sündenschuld anders erlassen als insofern, daß er erklärt und bestätigt, daß sie von Gott vergeben sei. Er kann sie außerdem in den Fällen, die er sich vorbehalten hat, erlassen. Wenn man ihn hier nicht achten würde, bliebe die ganze Schuld unaufgehoben.

7. Gott vergibt keinem die Schuld, den er nicht zugleich ganz und gar demütig macht und so dem Priester als seinem Stellvertreter unterwirft.

8. Die kirchlichen Satzungen, wie man beichten und büßen soll, sind nur den Lebenden auferlegt. Den Sterbenden soll laut diesem nichts auferlegt werden.

9. Daher tut uns der Heilige Geist durch den Papst darin wohl, daß dieser stets in seinen Erlassen den Fall des Todes und der äußersten Not ausnimmt.

10. Die Priester handeln unverständig und übel, die den sterbenden Menschen kirchliche Bußen noch für das Fegfeuer vorbehalten, damit sie dort erst genugtun.

11. Dieses Unkraut, daß man die kirchlichen Bußstrafen in Strafen des Fegfeuers umwandeln könne, ist anscheinend gesät worden während die Bischöfe schliefen.

12. Vorzeiten verhängte man »kanonische Strafen«, das heißt Buße oder Genugtuung für begangene Sünde, nicht nach, sondern vor der Absolution, um dabei die Aufrichtigkeit der Reue zu prüfen.

13. Die Sterbenden büßen für alles durch ihren Tod und sind den Strafen der kirchlichen Satzungen gestorben und also mit Recht von ihnen entbunden.

14. Unvollkommene Frömmigkeit oder unvollkommene Liebe des Sterbenden bringt notwendig große Furcht mit sich, ja, um wieviel die Liebe geringer ist, um soviel ist die Furcht größer.

15. Diese Furcht und dieser Schrecken sind an sich — um von anderen Dingen zu schweigen — hinreichend, um des Fegfeuers Pein und Qual fühlen zu lassen, weil sie der Angst der Verzweiflung ganz nahekommen.

16. Hölle, Fegfeuer und Himmel scheinen sich voneinander genauso zu unterscheiden wie Verzweifeln, beinahe Verzweifeln und des Heils gewiß sein.

17. Augenscheinlich bedürfen die Seelen im Fegfeuer, daß Angst und Schrecken abnehme, zugleich aber auch die Liebe wachse und zunehme.

18. Es scheint auch weder durch Vernunftgründe noch aus der Schrift bewiesen zu sein, daß die Seelen im Fegfeuer sich nicht in dem Stande des Verdienstes oder des Zunehmens an Liebe befinden.

19. Es ist nicht oder zum mindesten nicht für alle Seelen im Fegfeuer erwiesen, daß sie ihrer Seligkeit gewiß und versichert sind, wenn wir auch daran keinen Zweifel hegen.

20. Deshalb meint der Papst mit diesen Worten »vollkommene Vergebung aller Strafen« nicht, daß schlechthin alle Strafen vergeben würden, sondern nur die Strafen, die er selbst auferlegt hat.

21. Daher irren alle die Ablaßprediger, die da verkünden, daß durch des Papstes Ablaß der Mensch von aller Strafe los und selig werde.

22. Ja, der Papst erläßt den Seelen im Fegfeuer keine einzige Strafe, die sie in diesem Leben, laut den kirchlichen Satzungen, hätten büßen müssen.

23. Ja, wenn jemandem alle Strafen erlassen werden können, so gilt das doch nur für die Vollkommensten, das heißt für sehr wenige.

24. Darum wird der größere Teil des Volkes betrogen, wenn man ihm unterschiedslos und mit großen Worten verheißt, sie seien von aller Strafe befreit.

25. Die gleiche Gewalt, die der Papst über das Fegfeuer im allgemeinen hat, hat auch ein jeder Bischof und Seelsorger in seinem Bistum und seiner Pfarre im besonderen.

26. Der Papst tut sehr wohl daran, daß er nicht auf Grund seiner Schlüsselgewalt, die sich nicht so weit erstreckt, sondern mit Hilfe der Fürbitte den Seelen Vergebung schenkt.

27. Menschenlehre predigen die, die da vorgehen, daß, sobald der Groschen im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer auffahre.

28. Das ist gewiß, daß, sobald der Groschen im Kasten klingt, Gewinst und Geiz zunehmen können, die Hilfe oder die Fürbitte der Kirche aber steht allein in Gottes Wohlgefallen.

29. Wer weiß, ob auch alle Seelen im Fegfeuer losgekauft sein wollen, wie man sagt, daß es mit den Heiligen Severinus und Paschalis sich zugetragen habe.

30. Niemand ist sicher, ob seine Reue aufrichtig ist; viel weniger kann er sicher sein, ob er vollkommene Vergebung der Sünden bekommen hat.

31. Wie selten die sind, die wahrhaftig Reue haben, ebenso selten sind auch die, die wahrhaftigen Ablaß erwerben, das heißt, ihrer sind sehr wenige.

32. Die werden samt ihren Lehrern verdammt sein, die durch Ablaßbriefe ihrer Seligkeit meinen gewiß zu sein.

33. Man soll sich sehr vor denen hüten, die da sagen, des Papstes Ablaß sei jene höchste und unschätzbare Gabe Gottes, durch die der Mensch mit Gott versöhnt werde.

34. Denn die Ablaßgnade bezieht sich nur auf die Strafen der sakramentalen Genugtuung, die von Menschen auferlegt worden sind.

35. Die predigen Unchristliches, die da lehren, daß die, welche Seelen aus dem Fegfeuer loskaufen oder Beichtbriefe erwerben wollen, keiner Reue bedürften.

36. Ein jeder Christ, der über seine Sünden wahre Reue empfindet, hat vollkommene Vergebung von Strafe und Schuld zu erwarten, auch ohne Ablaßbriefe.

37. Ein jeder wahrhaftige Christ, er sei lebend oder tot, ist teilhaftig aller geistlichen Güter Christi und der Kirche durch Gottes Geschenk, auch ohne Ablaßbriefe.

38. Doch ist des Papstes Vergebung und Beteiligung mitnichten zu verachten, weil, wie schon gesagt, seine Vergebung die Erklärung der göttlichen Vergebung ist.

39. Es ist auch für den gelehrtesten Theologen über die Maßen schwer, die verschwenderische Spende des Ablasses und zugleich die wahre Reue vor dem Volk zu rühmen.

40. Wahre Reue sucht und liebt die Strafe; die Fülle der Ablässe aber erläßt die Strafe und schafft Widerwillen gegen sie, gibt wenigstens Gelegenheit dazu.

41. Von dem päpstlichen Ablasse soll man vorsichtig predigen, damit der gemeine Mann nicht fälschlich meine, daß dieser den andern Werken der Liebe vorgezogen werde.

42. Man soll die Christen lehren, daß es nicht des Papstes Meinung sei, daß Ablaßkaufen irgendeinem Werke der Barmherzigkeit gleich sei.

43. Man soll die Christen lehren, daß der, der dem Armen gibt, oder dem Bedürftigen leiht, besser tut, als wenn er Ablaß kauft.

44. Denn durch das Werk der Liebe wächst die Liebe, und der Mensch wird besser. Durch den Ablaß aber wird er nicht besser, sondern nur freier von Strafen.

45. Man soll die Christen lehren, daß der, welcher seinen Nächsten darben sieht und dessen ungeachtet Ablaß kauft, nicht des Papstes Ablaß gewinnt, sondern Gottes Ungnade auf sich ladet.

46. Man soll die Christen lehren, daß sie, wenn sie nicht überflüssigen Reichtum besitzen, verpflichtet sind, für ihr Haus zu behalten, was zur Notdurft gehört, und es mitnichten für den Ablaß verschwenden sollen.

47. Man soll die Christen lehren, daß das Kaufen von Ablaß freiwillig und nicht geboten ist.

48. Man soll die Christen lehren, daß der Papst, wenn er Ablaß gewährt, eines andächtigen Gebetes mehr bedarf und so auch dessen mehr begehrt als des Geldes.

49. Man soll die Christen lehren, daß des Papstes Ablaß gut sei, sofern man nicht sein Vertrauen darauf setzt, dagegen höchst schädlich wird, wenn man dadurch die Gottesfurcht verliert.

50. Man soll die Christen lehren, daß der Papst, wenn er von den Erpressungen der Ablaßprediger wüßte, lieber wollte, daß die Peterskirche zu Asche verbrannt würde, als daß es mit Haut, Fleisch und Gebein seiner Schafe erbaut werden sollte.

51. Man soll die Christen lehren, daß der Papst, wie er es schuldig ist, sein eigenes Geld, und selbst wenn die Peterskirche dazu verkauft werden müßte, an die vielen Leute austeilen würde, die jetzt durch etliche Ablaßprediger um ihr Geld gebracht werden.

52. Durch Ablaßbriefe selig werden zu können ist ein nichtiges Vertrauen, wenn auch der Ablaßkommissar, ja der Papst selbst seine Seele dafür zu Pfande setzen wollte.

53. Das sind Feinde Christi und des Papstes, die wegen der Ablaßpredigt das Wort Gottes in andern Kirchen zu verkünden ganz verbieten.

54. Es geschieht dem Wort Gottes Unrecht, wenn man in einer Predigt ebensoviel oder mehr Zeit aufwendet, den Ablaß zu verkündigen als das Wort Gottes.

55. Des Papstes Meinung kann nichts anderes sein, als daß, wenn man den Ablaß, der nur geringen Wert hat, mit einer Glocke, mit einfachem Gepränge und einer Feier begeht, man dagegen das Evangelium, als das Wertvollste, mit hundert Glocken, hundertfachem Gepränge und festlichen Gebräuchen ehren und preisen sollte.

56. Der »Schatz« der Kirche, aus dem der Papst den Ablaß austeilt, ist bei der Gemeinde Christi weder genau genug bezeichnet noch bekannt gemacht worden.

57. Denn daß es nicht zeitliche Schätze sein können, ist schon daran erkennbar, daß viele Prediger diese Art Schätze nicht so leicht hingeben, sondern sie vielmehr nur zu sammeln suchen.

58. Er besteht auch nicht in den Verdiensten Christi und der Heiligen, denn diese bewirken allezeit, ohne Zutun des Papstes, die Gnade des innerlichen Menschen und zugleich das Kreuz, Tod und Hölle für den äußerlichen Menschen.

59. S. Laurentius hat die Armen der Gemeinde den Schatz der Kirche genannt; aber er hat dabei das Wort in dem Sinne seiner Zeit gebraucht.

60. Wir erklären mit gutem Grunde und ohne Leichtfertigkeit, daß dieser Schatz die Schlüsselgewalt der Kirche sei, die ihr durch das Verdienst Christi geschenkt worden ist.

61. Denn es ist klar, daß des Papstes Gewalt an sich zum Erlaß der Strafe und zur Lossprechung in den ihm vorbehaltenen Fällen ausreicht.

62. Der wahre Schatz der Kirche aber ist das heilige Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.

63. Dieser Schatz steht aber natürlich in geringem Ansehen; denn er macht ja, daß die Ersten die Letzten werden.

64. Der Ablaßschatz dagegen ist natürlich der allerangenehmste: denn er macht aus den Letzten die Ersten.

65. Darum sind die Schätze des Evangeliums Netze, mit denen man vorzeiten die reichen Leute fing.

66. Die Schätze des Ablasses aber sind die Netze, mit denen man jetzt den Reichtum der Menschen fängt.

67. Der Ablaß, den die Prediger als »größte Gnade« ausrufen, ist freilich für eine große Gnade zu halten, da er großen Gewinst und Genuß einträgt.

68. Und doch ist dieser Ablaß wahrhaftig die allergeringste Gnade, wenn man ihn mit der Gnade Gottes und der Gottseligkeit des Kreuzes vergleicht.

69. Die Bischöfe und Seelsorger sind verpflichtet, die Kommissare päpstlichen Ablasses mit aller Ehrerbietung zuzulassen.

70. Aber viel mehr noch sind sie verpflichtet, mit Augen und Ohren aufzumerken, daß diese Kommissarien nicht anstatt des päpstlichen Auftrags ihre eigenen Hirngespinste predigen.

71. Wer wider die Wahrheit des päpstlichen Ablasses redet, der sei verflucht und vermaledeit!

72. Wer aber gegen die mutwilligen und frechen Worte des Ablaßpredigers seine Sorge richtet, der sei gesegnet!

73. Wie der Papst mit Recht diejenigen mit seiner Ungnade und dem Bann heimsucht, die zum Nachteil des Ablasses mit irgendwelchen listigen Anschlägen handeln;

74. so trachtet er noch viel mehr, diejenigen mit Ungnade und Bann zu treffen, die unter dem Vorwande des Ablasses zum Nachteil der heiligen Liebe und Wahrhaftigkeit listige Umtriebe ins Werk setzen.

75. Des Papstes Ablaß für so wirksam zu halten, daß er einen Menschen von der Sünde erlösen könne, selbst wenn er, falls es möglich wäre, die Mutter Gottes geschändet hätte, ist vollkommener Unsinn.

76. Dagegen behaupten wir, daß des Papstes Ablaß nicht die allergeringste läßliche Sünde hinwegnehmen kann, soweit deren Schuld in Frage steht.

77. Daß man sagt, Sankt Peter könnte, wenn er jetzt Papst wäre, nicht größere Gnaden spenden, ist eine Lästerung gegen Sankt Peter und den Papst.

78. Dawider behaupten wir, daß auch dieser und ein jeder Papst größere Gnaden zu vergeben hat, nämlich das Evangelium, die geistlichen Kräfte, die Gabe, gesund zu machen usw., von denen im 1. Kor. 12 die Rede ist.

79. Zu sagen, daß das Kreuz, das mit dem Wappen des Papstes herrlich aufgerichtet wird, so viel vermöge wie das Kreuz Christi, ist eine Gotteslästerung.

80. Die Bischöfe, Seelsorger und Theologen, die da gestatten, solche Worte vor dem Volke zu reden, werden einst Rechenschaft dafür geben müssen.

81. Diese freche und unverschämte Ablaßpredigt macht, daß es selbst den Gelehrten schwer wird, des Papstes Ehre und Würde gegen Verleumdungen zu verteidigen oder jedenfalls gegen die unleugbar scharfsinnigen Fragen des gemeinen Mannes.

82. Zum Beispiel: Warum befreit denn der Papst nicht alle Seelen zugleich aus dem Fegfeuer um der allerheiligsten Liebe und der höchsten Not der Seelen willen? Das wäre doch für ihn die allerbilligste Ursache, wo er doch unzählig viele Seelen erlöst um des elenden Geldes willen zum Bau der Peterskirche, also um der leichtfertigsten Ursache willen?

83. Oder: Warum bleiben die Exequien und Jahrfeiern der Verstorbenen bestehen und warum gibt der Papst nicht alles gestiftete Geld zurück oder läßt es zurücknehmen, das man den Toten zu Gunsten gestiftet hat, da es doch unrecht ist, für die schon Erlösten noch weiter zu beten?

84. Oder: Was ist das für eine neue Frömmigkeit Gottes und des Papstes, daß sie dem Gottlosen und dem Feinde für Geld gestatten, eine gottesfürchtige und von Gott geliebte Seele zu erlösen, und nicht vielmehr diese gottesfürchtige und geliebte Seele um ihrer selbst und ihrer großen Not willen aus Liebe umsonst erlösen wollen?

85. Oder: Warum werden die alten Bußsatzungen, die doch tatsächlich und durch Nichtgebrauch an sich schon längst für abgetan und tot gelten müssen, noch mit Geld abgelöst im Zusammenhang mit dem Ablaß, als wären sie noch in Kraft und lebendig?

86. Oder: Warum baut jetzt der Papst die eine Peterskirche nicht lieber von seinem eigenen Gelde als von dem Gelde der armen Christen, da doch sein Vermögen größer ist als des reichsten Crassus Güter?

87. Oder: Was erläßt oder teilt der Papst denen mit, die schon durch vollkommene Reue zu vollkommener Vergebung und zur Teilnahme an allen geistlichen Gutem berechtigt sind?

88. Oder: Was könnte der Kirche Besseres widerfahren, als wenn der Papst nicht bloß einmal, wie er‘s jetzt tut, sondern hundertmal am Tage jedem Gläubigen diesen Erlaß und diesen Anteil schenkte?

89. Wenn es dem Papste beim Ablaß mehr um das Heil der Seelen als um das Geld zu tun ist, warum hat er dann die früher bewilligten Briefe über Ablässe aufgehoben, da sie doch ebenso wirksam sind?

90. Diese recht spitzen und bedenklichen Einwendungen der Laien nur mit Gewalt dämpfen und sie nicht mit vernünftigen Gegengründen beschwichtigen zu wollen heißt die Kirche und den Papst den Feinden zum Gespött preisgeben und die Christen unglücklich machen.

91. Wenn der Ablaß im Geist und im Sinn des Papstes gepredigt würde, wären diese Einwände leicht zu beseitigen, ja, sie wären nie entstanden.

92. Mögen also alle die Propheten verschwinden, die dem Volk Christi zurufen: »Friede, Friede«, während doch kein Friede ist.

93. All den Propheten aber möge es wohlergehen, die dem Volk Christi zurufen: »Kreuz, Kreuz«, und ist doch kein Kreuz.

94. Man soll die Christen vermahnen, daß sie ihrem Haupte Christus durch Kreuz, Tod und Hölle nachzufolgen sich befleißigen,

95. und mehr Vertrauen darauf setzen, durch viele Trübsal ins Himmelreich einzugehen als in dem sorglosen Wahn, es sei Friede.
Aus: Martin Luther, Von der Kraft des Wortes, Ausgewählte Schriften, Predigten, Gespräche und Briefe (S.289ff.), Sigbert Mohn Verlag

Ist der Papst der Antichrist?
Brief an Georg Spalatin, 24. Februar 1520
An den hochgeehrten Herrn, Georg Spalatin, Priester Christi und Hofprediger, seinen in Christo Geliebten.
... Ich habe durch die Gefälligkeit des Dominicus Schleupner die durch Laurentius Valla widerlegte Schenkung Constantins in Händen, welche (Ulrich von) Hutten herausgegeben hat. Lieber Gott, welch eine große Finsternis oder Nichtswürdigkeit der Römlinge! und, worüber du dich in Gottes Gericht wundern kannst, dass sie nicht allein so viele Jahrhunderte lang gedauert haben, sondern auch geherrscht, und dass unter die Dekretalen so unreine, so grobe, so unverschämte Lügen gesetzt worden sind und (damit nichts an dem greulichsten Greuel fehle) die Stelle von Glaubensartikeln eingenommen haben. Ich werde so in die Enge getrieben, da
ss ich fast nicht zweifle, dass der Papst recht eigentlich der Antichrist sei, den nach der allgemein angenommenen Meinung die Welt erwartet; so sehr bestimmt alles dazu, was er lebt, tut, redet und ordnet. Aber hievon mündlich mehr... (St. L. XXI a, 233.)
Brief an Johann Lang, 18. August 1520
Dem ehrwürdigen
Vater Johann Lang, dem lauteren Theologen, derzeitigen Vikar der Augustiner zu Erfurt, seinem Oberen im Herrn.
... Wir sind hier der Überzeugung, dass das Papsttum der Sitz des wahren und leibhaftigen Antichrist ist, gegen dessen Betrug und Bosheit uns um des Heils der Seelen willen unserer Meinung nach alles erlaubt ist. Ich für meine Person bekenne, dass ich dem Papst keinen anderen Gehorsam schuldig bin als den, den ich dem wahren Antichrist schuldig bin. Das Übrige bedenke Du selbst und urteile nicht leichthin über uns; wir haben gute Gründe, bei dieser Meinung zu bleiben. ...
Siehe auch >>>Schmalkaldische Artikel

An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520)
Dem achtbaren und würdigen Herrn, Herrn Nicolaus von Amsdorf, der Heiligen Schrift Lizentiat und Domherrn zu Wittenberg, meinem besonderen, geneigten Freunde. D. Martinus Luther.

Gnade und Friede Gottes zuvor. Achtbarer, würdiger, lieber Herr und Freund!

Die Zeit des Schweigens ist vergangen und die Zeit zu reden ist kommen, wie der Prediger (Pred. 3, 7) sagt. Ich habe unserer Absicht entsprechend zusammengetragen etliche Stücke, christlichen Standes Besserung belangend, dem christlichen Adel deutscher Nation vorzulegen, ob Gott wollte doch durch den Laienstand seiner Kirchen helfen; sintemal der geistliche Stand, dem es mit mehr Recht gebührte, ist ganz unachtsam geworden. Sende das alles Euer Würden, darüber zu urteilen und, wo es not ist, es zu bessern. Ich bedenke wohl, daß mir‘s nicht wird unverwiesen bleiben, daß ich verachteter, begebener [weltabgewandter] Mensch solche hohen und großen Stände wage anzureden in so trefflichen, großen Sachen, als wäre sonst niemand in der Welt denn Doktor Luther, der sich des christlichen Stands annähme und so hochverständigen Leuten Rat gäbe. Ich lass meine Entschuldigung dahingestellt, verweise mir‘s, wer da will, ich bin vielleicht meinem Gott und der Welt noch eine Torheit schuldig; die habe ich mir jetzt vorgenommen, wenn mir‘s gelingt, redlich zu zahlen und auch einmal ein Hofnarr zu werden; gelingt mir‘s nicht, so hab ich dennoch einen Vorteil: es braucht mir niemand eine Kappe zu kaufen noch den Kamm zu scheren. Es steht aber noch dahin, wer dem anderen die Schelle anknüpft! Ich muß das Sprichwort erfüllen:

»Was die Welt zu schaffen hat, da mu
ss ein Mönch bei sein und sollt‘ man ihn dazu malen.«

Es hat wohl mehrmals ein Narr weislich geredet und viele Male sind weise Leute gröblich zu Narren geworden, wie Paulus sagt: »Wer da will weise sein, der muss ein Narr werden« (1. Kor. 3, 18.). Auch dieweil ich nicht allein ein Narr, sondern auch ein geschworener Doktor der Heiligen Schrift, bin ich froh, daß sich mir die Gelegenheit gibt, meinem Eid eben in derselben Narrenweise genug zu tun. Ich bitte, wollet mich entschuldigen bei den mäßig Verständigen, denn der Überhochverständigen Gunst und Gnade weiß ich nicht zu verdienen, welche ich so oft mit großer Mühe gesucht habe, hinfort auch nicht mehr haben noch achten will. Gott helf uns, dass wir nicht unsere, sondern allein seine Ehre suchen. Amen.
Zu Wittenberg, im Augustinerkloster, am Abend Sankt Johannis Baptiste (23.Juni). Im Tausendfünfhundertundzwanzigsten Jahr.


Der allerdurchlauchtigsten, großmächtigsten Kaiserlichen Majestät und Christlichem Adel deutscher Nation, D. Martinus Luther.

Gnade und Stärke von Gott zuvor, Allerdurchlauchtigster! Gnädigste, liebe Herren!
Es ist nicht aus lauter Fürwitz noch Frevel geschehen, daß ich einzelner armer Mensch mich unterstanden, vor euren hohen Würden zu reden. Die Not und Beschwerung, die alle Stände der Christenheit, zuvor die deutschen Lande, drückt, hat nicht allein mich, sondern jedermann bewegt, vielmals zu schreien und Hilfe zu begehren, und hat mich auch jetzt gezwungen, zu schreien und zu rufen, ob Gott jemandem den Geist geben wolle, seine Hand zu reichen der elenden Nation. Es ist oft durch Concilia etwas vorgebracht, aber durch etlicher Menschen List behendiglich verhindert und immer ärger geworden; welche Tücke und Bosheit ich jetzt, Gott helf mir, zu durchleuchten gedenke, auf daß sie, erkannt, hinfort nicht mehr so hinderlich und schädlich sein könnten. Gott hat uns ein junges edles Blut zum Haupt gegeben, damit viel Herzen zu großer, guter Hoffnung erweckt; daneben will sich‘s ziemen, das Unsere dazu zu tun und der Zeit und Gnade nützlich zu brauchen.

Das erste, das in dieser Sache vornehmlich zu tun ist, ist, daß wir uns stets vorsehen mit gro-ßem Ernst und nicht etwas anheben im Vertrauen auf große Macht oder Vernunft, wenn gleich aller Welt Gewalt unser wäre; denn Gott kann und will‘s nicht dulden, daß ein gut Werk werde angefangen im Vertrauen auf eigene Macht und Vernunft. Er stößet es zu Boden, dagegen hilft nichts, wie im 33. Psalm (V. 16) steht: »Es wird kein König bestehen durch seine große Macht und kein Herr durch die Größe seiner Stärke«. Und aus diesem Grunde, sorge ich, ist es vorzeiten gekommen, daß die teuren Fürsten, Kaiser Friedrich der Erste und der andere, und viel mehr deutscher Kaiser, so jämmerlich sind von den Päpsten mit Füßen getre-ten und bedrückt worden, vor welchen sich doch die Welt fürchtete. Sie haben sich vielleicht verlassen auf ihre Macht mehr denn auf Gott, drum haben sie müssen fallen. Und was hat zu unseren Zeiten den Blutsäufer Julium secunclum so hoch erhoben, wenn nicht, wie ich fürchte, daß Frankreich, die Deutschen und Venedig haben auf sich selbst gebaut. Es schlugen die Kinder Benjamin zweiundvierzigtausend Israeliten, darum, daß sie sich auf ihre Stärke verließen (Richter 20, 21-25).

Daß es uns nicht auch so gehe mit diesem edlen Blut Carolo, müssen wir uns dessen bewußt sein, daß wir in dieser Sache nicht mit Menschen, sondern mit den Fürsten der Hölle handeln, die wohl können mit Krieg und Blutvergießen die Welt erfüllen, aber sie lassen sich damit nicht überwinden. Man muß hier mit einem Verzagen an leiblicher Gewalt, in demütigem Vertrauen auf Gott die Sache angreifen und mit ernstlichem Gebet Hilfe bei Gott suchen und nichts anderes sich vor Augen stellen denn der elenden Christenheit Jammer und Not, unangesehen das, was böse Leute verdienet haben. Wenn das nicht geschieht, so wird sich das Spiel wohl lassen anfangen mit großem Schein, aber wenn man hinein kommt, werden. die bösen Geister eine solche Irrung anrichten, daß die ganze Welt muß im Blut schweben und dennoch wäre damit nichts ausgerichtet; darum laßt uns hier mit Furcht Gottes und weislich handeln. Je größer die Gewalt, desto größer das Unglück, wenn nicht in Gottes Furcht und Demut gehandelt wird. Haben die Päpste und Römer können bisher durch des Teufels Hilfe die Könige ineinander verwirren, so können sie auch jetzt noch wohl tun, wenn wir ohne Gottes Hilfe mit unsrer Macht und Kunst vorgehen.

Die Romanisten (Verfechter der päpstlichen Bulle) haben drei Mauern mit großer Behendigkeit um sich gezogen, mit denen sie sich bisher geschützt, so daß sie niemand hat können reformieren, wodurch die ganze Christenheit greulich gefallen ist.

Zum ersten: Wenn man sie bedrängt hat mit weltlicher Gewalt, haben sie behauptet und gesagt, weltliche Gewalt habe kein Recht über sie, sondern im Gegenteil:
geistliche sei über die weltliche.

Zum andern: Hat man sie mit der Heiligen Schrift wollen strafen, setzen sie dagegen.: es gebühre die Schrift niemandem auszulegen denn dem Papst.

Zum dritten: drohet man ihnen mit einem Concilio, so erdichten sie, es könne niemand ein Concilium berufen denn der Papst. So haben sie die drei Ruten uns heimlich gestohlen, damit sie ungestraft bleiben könnten, und haben sich in die sichere Festung dieser drei Mauern gesetzt, alle Büberei und Bosheit zu treiben, die wir denn jetzt sehen;‘ und wenn sie schon ein Concilium mußten machen, haben sie doch dasselbe zuvor matt gemacht damit, daß sie die Fürsten zuvor mit Eiden verpflichteten, sie bleiben zu lassen, wie sie sind, dazu dem Papst volle Gewalt zu geben über alle Ordnung des Conciliums, so daß es gleich ist, ob es viele Concilia gibt oder keine Concilia, unangesehen, daß sie sowieso nur mit Larven und Spiegelfechten betrügen. So gar greulich fürchten sie für ihre Haut vor einem rechten, freien Concilio. Und haben damit Könige und Fürsten schüchtern gemacht, daß sie glauben, es wäre wider Gott, wenn man ihnen nicht gehorchte in all solchen schalkhaftigen, listigen Spuknissen (Gespenstereien).

Nun helf‘ uns Gott und geb‘ uns der Posaunen eine, womit die Mauern Jerichos wurden umgeworfen (Jos. 6, 20), daß wir diese strohernen und papiernen Mauern auch umblasen und die christlichen Ruten, Sünde zu strafen, losmachen, des Teufels List und Trug an den Tag zu bringen, auf daß wir durch Strafe uns bessern und seine Huld wiedererlangen.

Wollen die erste Mauer am ersten angreifen!
Man hat‘s erfunden, daß Papst, Bischöfe, Priester und Klostervolk wird der geistliche Stand genannt, Fürsten, Herrn, Handwerks- und Ackerleute der weltliche Stand, welches gar ein fein Komment [phantasievolle Auslegung] und Gleißen ist; doch soll niemand darob schüchtern werden, und das aus dem Grund: Denn alle Christen sind wahrhaft geistliches Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied denn des Amts halben allein, wie Paulus, 1. Korinth. 12, sagt, daß wir allesamt ein Körper sind, doch ein jeglich Glied sein eigen Werk hat, womit es den andern dienet; das macht alles, daß wir eine Taufe, ein Evangelium, einen Glauben haben und sind gleiche Christen, denn die Taufe, Evangelium und Glauben, die machen allein geistlich und Christenvolk. Daß aber der Papst oder Bischof salbet, Platten [Mönchstonsuren] macht, ordiniert, weihet, anders denn Laien kleidet, mag einen Gleisner und Ölgötzen machen, macht aber nimmermehr einen Christen oder geistlichen Menschen. Demnach so werden wir alle-samt durch die Taufe zu Priestern geweihet, wie Sankt Peter, 1. Petr. 2, sagt: »Ihr seid ein königliches Priestertum und ein priesterliches Königreich«, und die Offenbarung 5, 10: »Du hast uns gemacht durch dein Blut zu Priestern und Königen.« Denn wo nicht eine höhere Weihe in uns wäre, als der Papst oder Bischof gibt, so würde nimmermehr durch des Papstes und Bischofs Weihen ein Priester gemacht, könnte auch weder Messe halten, noch predigen, noch absolvieren.

Drum ist des Bischofs Weihe nichts anderes, denn als wenn er an Statt und Person der ganzen Versammlung einen aus dem Haufen nähme — die alle gleiche Gewalt haben — und ihm beföhle, dieselbe Gewalt für die andern auszurichten, gleich als wenn zehn Brüder, Königs Kinder und gleiche Erben, einen erwählten, das Erbe für sie zu regieren; sie wären ja alle Könige und gleicher Gewalt, und doch einem zu regieren befohlen wird. Und daß ich‘s noch klarer sage: wenn ein Häuflein frommer Christenlaien würden gefangen und in eine Wüstenei gesetzt, die nicht bei sich hätten einen von einem Bischof geweihten Priester, und würden allda der Sache eins, erwählten einen unter sich, er wäre verheiratet oder nicht, und beföhlen ihm das Amt, zu taufen, Messe zu halten, zu absolvieren und predigen, der wäre wahrhaftig ein Priester, als ob ihn alle Bischöfe und Päpste hätten geweihet. Daher kommt‘s, daß in der Not ein jeglicher taufen und absolvieren kann, was nicht möglich wäre, wenn wir nicht alle Priester wären. Solch große Gnade und Gewalt der Taufe und des christlichen Standes haben sie uns durchs geistliche Recht völlig niedergelegt und unbekannt gemacht. Auf diese Weise erwählten vor Zeiten die Christen aus dem Haufen ihre Bischöfe und Priester, die darnach von andern Bischöfen wurden bestätigt ohne alles Prangen, das jetzt regiert. So ward St. Augustin, Ambrosius, Cyprianus Bischof.

Dieweil denn nun die weltliche Gewalt ist gleich mit uns getauft, hat denselben Glauben und Evangelium, so müssen wir sie lassen Priester und Bischof sein und ihr Amt zählen als ein Amt, das da gehöre und nützlich sei der christlichen Gemeine. Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, daß es schon zum Priester, Bischof und Papst geweihet sei, obwohl nicht einem jeglichen ziemt, solch Amt zu üben. Denn weil wir alle gleich Priester sind, muß sich niemand selbst hervortun und sich unterwinden, ohne unser Bewilligen und Erwählen das zu tun, des wir alle gleiche Gewalt haben; denn was allgemein ist, kann niemand ohne der Gemeine Willen und Befehl an sich nehmen. Und wo es geschähe, daß jemand erwählet zu solchem Amt und durch seinen Mißbrauch würde abgesetzt, so wäre er gleich wie vorher. Drum sollte ein Priesterstand nicht anders sein in der Christenheit denn als ein Amtmann: dieweil er im Amt ist, geht er vor; wo er abgesetzt, ist er ein Bauer oder Bürger wie die andern. Ebenso wahrhaftig ist ein Priester nicht mehr Priester, wo er abgesetzt wird. Aber nun haben sie erdichtet characteres indelebiles* und schwätzen, daß ein abgesetzter Priester dennoch etwas anderes sei denn ein schlichter Laie. Ja, ihnen träumet, es könne ein Priester nimmermehr anderes denn Priester oder ein Laie werden; das sind alles von Menschen erdichtete Reden und Gesetze.
*Character indelebilis: nach katholischer Lehre ein geistliches, unauslöschliches Siegel, das nicht nur dem Sakrament der Priesterweihe. sondern auch der Taufe und der Firmung eignet.

So folget aus diesem, daß Laien, Priester, Fürsten, Bischöfe und, wie sie sagen, »Geistliche« und »Weltliche« keinen andern Unterschied im Grunde wahrlich haben, denn des Amtes oder Werkes halben und nicht des Standes halben, denn sie sind alle gleiches Standes, wahrhaftige Priester, Bischöfe und Päpste, aber nicht einerlei gleiches Werkes, gleichwie auch unter den Priestern und Mönchen nicht einerlei Werk ein jeglicher hat. Und das steht bei St. Paulus, Röm. 12 und 1. Korinth. 12, und bei Petrus 1. Petr. 2, wie ich droben gesagt, daß wir alle ein Körper sind des Hauptes Jesu Christi, ein jeglicher des andern Gliedmaß. Christus hat nicht zwei, noch zweierlei Art Körper, einen weltlich, den andern geistlich: ein Haupt ist, und einen Körper hat er.

Gleich wie nun die, so man jetzt geistlich heißt oder Priester, Bischöfe oder Päpste, sind von den andern Christen nicht weiter noch würdiger geschieden, als daß sie das Wort Gottes und die Sakramente sollen behandeln, das ist ihr Werk und Amt; also hat die weltliche Obrigkeit das Schwert und die Ruten in der Hand, die Bösen damit zu strafen, die Frommen zu schützen. Ein Schuster, ein Schmied, ein Bauer, ein jeglicher seines Handwerks Amt und Werk hat, und doch sind alle gleich geweihte Priester und Bischöfe, und ein jeglicher soll mit seinem Amt oder Werk den andern nützlich und dienstlich sein, daß also vielerlei Werke alle auf eine Gemeine gerichtet sind, Leib und Seele zu fördern gleich wie die Gliedmaßen des Körpers alle eines dem andern dienen.

Nun sieh, wie christlich das gesetzt und gesagt sei, weltliche Obrigkeit sei nicht über die Geistlichkeit, solle sie auch nicht strafen. Das ist ebensoviel gesagt wie: die Hand soll nichts dazu tun, ob das Auge große Not leidet. Ist‘s nicht unnatürlich, geschweige unchristlich, daß ein Glied dem andern nicht helfen, seinem Verderben nicht wehren soll? Ja, je edler das Glied ist, je mehr die andern ihm helfen sollen. Drum sag‘ ich, dieweil weltliche Gewalt von Gott geordnet ist, die Bösen zu strafen und die Frommen zu schützen, so soll man ihr Amt lassen frei gehen unbehindert durch den ganzen Körper der Christenheit ohne Ansehen der Person, sie treffe Papst, Bischöfe, Pfaffen, Mönche, Nonnen oder was es ist. Wenn so das genug wäre, die weltliche Gewalt zu hindern, daß sie geringer ist unter den christlichen Ämtern denn der Prediger und Beichtiger Amt oder geistliche Stand, so sollte man auch verhindern die Schneider, Schuster, Steinmetze Zimmerleute, Köche, Kellner, Bauern und alle zeitlichen Handwerke, daß sie dem Papst, Bischöfen, Priestern, München keine Schuhe, Kleider, Haus, Essen, Trinken machten, noch Zins gäben Läßt man aber diesen Laien ihre Werke unbehindert, was machen dann die römischen Schreiber mit ihren Gesetzen, daß sie sich entziehen dem Wirken weltlicher, christlicher Gewalt, daß sie nur frei können böse sein und erfüllen, was St. Peter gesagt hat (2. Petrus 2, 1 und 3): »Es werden falsche Meister unter euch erstehen und mit falschen, erdichteten Worten mit euch umgehen, euch im Sack zu verkaufen.«

Drum soll weltliche christliche Gewalt ihr Amt üben frei unbehindert, unangesehen, ob‘s Papst, Bischof oder Priester sei, den sie trifft; wer schuldig ist, der leide; was geistliches Recht dawider gesagt hat, ist lauter erdichtete römische Vermessenheit. Denn also sagt St. Paul allen Christen (Römer 13, 1-7): »Eine jegliche Seele« (ich halte dafür, des Papstes auch) »soll untertan sein der Obrigkeit, denn sie trägt nicht umsonst das Schwert, sie dienet Gott damit, zur Strafe der Bösen und zu Lob den Frommen«, auch St. Petrus (1. Petrus 2, 13): »Seid untertan allen menschlichen Ordnungen um Gottes willen, der es so haben will.« Er hat es auch verkündet, daß kommen würden solche Menschen, die die weltliche Obrigkeit würden verachten (2. Petr. 2), wie denn geschehen ist durch geistliches Recht.

Also mein‘ ich, diese erste papierne Mauer liege darnieder, sintemal weltliche Herrschaft ist ein Mitglied geworden des christlichen Körpers und, wiewohl sie ein leibliches Werk hat, doch geistliches Standes ist; darum ihr Werk soll frei unbehindert gehen in alle Gliedmaßen des ganzen Körpers, strafen und treiben, wo es die Schuld verdienet oder Not fordert, unangesehen der Päpste, Bischöfe, Priester, sie mögen drohen oder bannen, wie sie wollen. — Daher kommt‘s, daß die schuldigen Priester, so man sie in das weltliche Recht überantwortet, zuvor entsetzt werden priesterlicher Würden, was doch nicht recht wäre, wo nicht zuvor aus göttlicher Ordnung das weltliche Schwert über dieselben Gewalt hätte. Es ist auch zuviel, daß man so hoch im geistlichen Recht hebt der Geistlichen Freiheit, Leib und Güter, gerade als wären die Laien nicht auch so geistlich gute Christen als sie, oder als gehörten sie nicht zur Kirche. Warum ist dein Leib, Leben, Gut und Ehre so frei und nicht das meine, so wir doch gleiche Christen sind, gleiche Taufe, Glauben, Geist und alle Dinge haben? Wird ein Priester erschlagen, so liegt ein Land im Interdikt; warum nicht auch, wenn ein Bauer erschlagen wird? Wo kommt her solch großes Unterscheiden unter den gleichen Christen? Allein aus Menschen-Gesetzen und Dichten!

Es muß auch kein guter Geist sein, der solche Ausnahme erfunden und die Sünde frei, unsträflich gemacht hat. Denn so wir schuldig sind, wider den bösen Geist, seine Werke und Worte zu streiten und ihn zu vertreiben, so gut wir können, wie uns Christus gebietet und seine Apostel, wie kämen wir denn dazu, daß wir sollten stillhalten und schweigen, wo der Papst oder die Seinen teuflische Worte oder Werke vornehmen? Sollten wir um des Menschen willen göttliches Gebot und Wahrheit lassen niederlegen, der wir in der Taufe geschworen haben beizustehen mit Leib und Leben, fürwahr, wir wären schuldig aller Seelen, die dadurch verlassen und verführet würden. Drum muß das der Hauptteufel selbst gesagt haben, was im geistlichen Recht steht :»Wenn der Papst so schädlich böse wäre, daß er gleich die Seelen mit großen Haufen zum Teufel führte, könnte man ihn dennoch nicht absetzen.« Auf diesen verfluchten, teuflischen Grund bauen sie zu Rom und meinen, man solle eher alle Welt zum Teufel lassen fahren, denn ihrer Büberei widerstreben. Wenn es genug wäre daran, daß einer über den andern ist, weshalb er nicht zu strafen sei, müßte kein Christ den andern strafen, sintemal Christus gebietet: ein jeglicher soll sich für den Untersten und Geringsten halten.

Wo Sünde ist, da ist schon kein Behelf [Ausflucht] mehr wider die Strafe, wie auch St. Gregorius schreibt, daß wir wohl alle gleich seien, aber die Schuld mache einen untertan dem andern. Nun sehen wir, wie sie mit der Christenheit umgehen; nehmen sich die Freiheit ohne alle Beweisung aus der Schrift, mit eigenem Frevel, die Gott und die Apostel haben unterworfen dem weltlichen Schwert, daß zu besorgen ist, es sei des Endchrists Spiel oder sein nächster Vorläufer.

Die andere Mauer ist noch loser und untüchtiger, daß sie allein wollen Meister der Schrift sein, ob sie schon ihr Lebelang nichts drinnen lernen; sie vermessen sich allein der Obrigkeit, gaukeln vor uns mit unverschämten Worten, der Papst könne nicht irren im Glauben, er sei böse oder fromm, können darüber aber nicht einen Buchstaben vorzeigen. Daher kommt es, daß so viele ketzerische und unchristliche, ja unnatürliche Gesetze stehen im geistlichen Recht, davon jetzt nicht not ist zu reden. Denn dieweil sie dafür achten, der Heilige Geist verlasse sie nicht, sie seien so ungelehrt und böse, wie sie könnten, werden sie kühn hinzusetzen, was sie nur wollen. Und wo das wäre, wozu wäre die Heilige Schrift not oder nütze? Lasset sie uns verbrennen und begnügen an den ungelehrten Herrn zu Rom, die der Heilige Geist innehat, der doch nichts denn fromme Herzen mag innehaben. Wenn ich‘s nicht gelesen hätte, wäre mir‘s unglaublich gewesen, daß der Teufel sollte zu Rom solch ungeschickte Dinge vorwenden und Anhang gewinnen.

Doch daß wir nicht mit Worten wider sie fechten, wollen wir die Schrift herbringen. St. Paulus spricht 1. Kor. 14 »So jemand etwas Besseres offenbar wird, ob er schon sitzt und dem andern zuhöret im Gotteswort, so soll der erste, der da redet, stillschweigen und weichen.« Was wäre dies Gebot nütze, so allein dem zu glauben wäre, der da redet oder obenan sitzt. Auch Christus sagt, Joh. 6, daß alle Christen sollen gelehret werden von Gott. So mag es ja geschehen, daß der Papst und die Seinen böse sind und nicht rechte Christen sind; noch von Gott gelehret, rechten Verstand haben, wiederum ein geringer Mensch den rechten Verstand habe: warum sollte man ihm denn nicht folgen? Hat nicht der Papst vielmal geirret? Wer wollte der Christenheit helfen, so der Papst irret, wo nicht einem andern mehr denn ihm geglaubt würde, der die Schrift für sich hätte?

Drum ist‘s eine frevelhaft erdichtete Fabel, und sie können auch keinen Buchstaben aufbringen, womit sie bewähren, daß des Papstes allein sei, die Schrift auszulegen oder ihre Auslegung zu bestätigen. Sie haben sich die Gewalt selbst genommen! Und ob sie vorgeben, es wäre St. Peter die Gewalt gegeben, da ihm die Schlüssel seien gegeben, ist‘s offenbar genug, daß die Schlüssel nicht allein St. Petro, sondern der ganzen Gemeine gegeben sind. Dazu die Schlüssel nicht zur Lehre oder zum Regiment, sondern allein die Sünde zu binden oder zu lösen verordnet sind, und es ist eitel erdichtetes Ding, was sie anders und weiter aus den Schlüsseln sich zuschreiben. Daß aber Christus sagt zu Petro (Lukas 22, 32): »Ich habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht zergehe«, kann sich nicht erstrecken auf den Papst, sintemal der größere Teil der Päpste ohne Glauben gewesen ist, wie sie selbst bekennen müssen. So hat Christus auch nicht allein für Petro gebeten, sondern auch für alle Apostel und Christen, wie er sagt Joh. 17: »Vater, ich bitte für sie, die du mir gegeben hast, und nicht allein für sie, sondern für alle, die durch ihr Wort glauben an mich«. Ist das nicht klar genug geredet?

Denk doch bei dir selbst! Sie müssen bekennen, daß fromme Christen unter uns sind, die den rechten Glauben, Geist, Verstand, Wort und Meinung Christi haben. Ja, warum sollte man denn derselben Wort und Verstand verwerfen und dem Papst folgen, der nicht Glauben noch Geist hat? Wäre doch das den ganzen Glauben und die christliche Kirche verleugnet! Item, es muß ja nicht allein der Papst recht haben, so der Artikel recht ist: »Ich glaube an eine heilige christliche Kirche«; oder wir müssen also beten: »Ich glaube an den Papst zu Rom«, und also die christliche Kirche ganz in einen Menschen ziehen, welches nichts anderes denn teuflischer und höllischer Irrtum wäre.

Überdies sind wir doch alle Priester, wie droben gesagt ist, haben alle einen Glauben, ein Evangelium, einerlei Sakrament, wie sollten wir denn nicht auch haben Macht, zu schmecken und zu urteilen, was da Recht oder Unrecht im Glauben wäre? Wo bleibt das Wort Pauli, 1. Korinth. 2: »Ein geistlicher Mensch richtet alle Dinge und wird von niemand gerichtet«, und 2. Korinth. 4: »Wir haben alle einen Geist des Glaubens«; wie sollten wir denn nicht fühlen so wohl wie ein ungläubiger Papst, was dem Glauben eben [gemäß] oder uneben ist? Aus diesem allen und vielen andern Sprüchen sollen wir mutig und frei werden und den Geist der Freiheit (wie ihn Paulus nennet) nicht lassen mit erdichteten Worten der Päpste abschrecken, sondern frisch hindurch alles, was sie tun oder lassen, nach unserm gläubigen Verständnis der Schrift richten und sie zwingen, zu folgen dem bessern, und nicht ihrem eigenen Verstand. Mußte doch vor Zeiten Abraham (1. Mose 21, 12) seine Sara hören, die doch ihm härter unterworfen war, denn wie jemand auf Erden; so war die Eselin Bileams (4. Mose 22, 28) auch klüger denn der Prophet selbst. Hat Gott da durch eine Eselin geredet gegen einen Propheten, warum sollte er nicht noch reden können durch einen frommen Menschen gegen den Papst? Item, St. Paul straft St. Peter als einen Irrigen, Galat. 2. Drum gebührt einem jeglichen Christen, daß er sich des Glaubens annehme, ihn zu verstehen und verfechten und alle Irrtümer zu verdammen.

Die dritte Mauer fällt von selbst, wo diese ersten zwei fallen. Denn wo der Papst wider die Schrift handelt, sind wir schuldig, der Schrift beizustehen, ihn zu strafen und zwingen nach dem Wort Christi, Matth. 18: »Sündiget dein Bruder wider dich, so gehe hin und sag‘s ihm zwischen dir und ihm allein; höret er dich nicht, so nimm noch einen oder zwei zu dir; höret er die nicht, so sag‘ es der Gemeine; höret er die Gemeine nicht, so halt ihn als einen Heiden«. Hier wird befohlen einem jeglichen Gliede, für das andere zu sorgen; wie viel mehr sollen wir dazu tun, wo ein die Gemeine regierendes Glied übel handelt, welches durch sein Handeln viel Schaden und Ärgernis gibt den andern; soll ich ihn denn verklagen vor der Gemeine, so muß ich sie ja zusammenbringen.

Sie haben auch keinen Grund der Schrift, daß allein dem Papst gebühre, ein Concilium zu berufen oder bestätigen, denn allein ihre eigenen Gesetze, die nicht weiter gelten, als sofern sie nicht schädlich sind der Christenheit und Gottes Gesetzen. Wo nun der Papst sträflich ist, hören solche Gesetze schon auf, dieweil es schädlich ist der Christenheit, ihn nicht zu strafen durch ein Concilium.

So lesen wir Apostelgesch. 15, daß der Apostel Concilium nicht St. Peter hat berufen, sondern alle Apostel und die Ältesten; wo nun St. Peter das allein hätte gebührt, wäre das nicht ein christliches Concilium, sondern ein ketzerisches Conciliabulum** gewesen. Auch das berühmteste Concilium Nicaenum* hat der Bischof von Rom weder berufen noch bestätigt, sondern der Kaiser Constantinus; und nach ihm haben viel andere Kaiser desselben gleichen getan, was doch die allerchristlichsten Concilia gewesen sind. Aber sollte der Papst allein die Gewalt haben, so müßten sie alle ketzerisch gewesen sein. Auch wenn ich ansehe die Concilia, die der Papst gemacht hat, find‘ ich nichts Besonderes, was drinnen ist ausgerichtet.
* Konzil von Nicaea in Kleinasien (325) zur Beilegung des arianischen Streits, in welchem die wahre Gottheit Jesu Christi gegenüberder rarional-mythologischen Auffassung des Presbyrers Arius festgehalten wurde. Auch die andern altkirchlichen, allgemeinen Konzilien sind nicht ohne Mitwirkung des (ost)römischen Kaisers zustande gekommen. — **Conciliabulum: kleines Konzil, Ausdruck der Geringschätzung.

Darum, wo es die Not fordert und der Papst ärgerlich der Christenheit ist, soll dazu tun, wer am ersten kann, als ein treues Glied des ganzen Körpers, daß ein rechtes, freies Concilium werde, welches niemand so wohl vermag als das weltliche Schwert, sonderlich dieweil sie nun auch Mitchristen sind, Mitpriester, Mitgeistliche, Mitmächtige in allen Dingen, und sollen ihr Amt und Werk, das sie von Gott haben über jedermann, lassen frei gehen, wo es not und nütze ist zu gehen. Wäre das nicht ein unnatürliches Vornehmen, so ein Feuer in einer Stadt aufginge und jedermann sollte stille stehen, lassen für und für brennen, was da brennen mag, allein darum, daß sie nicht die Macht des Bürgermeisters hätten oder das Feuer vielleicht an des Bürgermeisters Haus anhübe? Ist nicht hier ein jeglicher Bürger schuldig, die andern zu bewegen und berufen? Wieviel mehr soll das in der geistlichen Stadt Christi geschehen, so ein Feuer des Ärgernisses sich erhebt, es sei an des Papstes Regiment oder wo es wolle. Desselben gleichen geschieht auch, so die Feinde eine Stadt überfielen: da verdienet der Ehr‘ und Dank, der die andern am ersten aufbringt. Warum sollte denn der nicht Ehre verdienen, der die höllischen Feinde verkündet und die Christen erweckt und beruft?
Daß sie aber ihre Gewalt rühmen, der sich‘s nicht zieme widerzufechten, ist gar nichts geredet. Es hat niemand in der Christenheit Gewalt, Schaden zu tun, oder zu verbieten, Schaden zu wehren. Es ist keine Gewalt in der Kirche denn nur zur Besserung. Drum, wo der Papst wollte die Gewalt gebrauchen, zu verwehren ein freies Concilium zu machen, damit verhindert würde die Besserung der Kirche, so sollen wir ihn und seine Gewalt nicht ansehen, und wo er bannen und donnern würde, sollte man das verachten als eines tollen Menschen Vornehmen und ihn, in Gottes Zuversicht, wiederum bannen und treiben, wie man mag, denn solche vermessene Gewalt ist nichts, er hat sie auch nicht und wird bald mit einem Spruch der Schrift niedergelegt, denn Paulus zu den Korinthern sagt (2. Korinth. 10, 8) : »Gott hat uns Gewalt gegeben, nicht zu verderben, sondern zu bessern die Christenheit.« Wer will über diesen Spruch hüpfen? Des Teufels und Endchrists Gewalt ist‘s, die da wehret, was zur Besserung dienet der Christenheit, darum ihr gar nicht zu folgen, sondern zu widerstehen ist mit Leib, Gut und allem, was wir vermögen.

Und wo gleich ein Wunderzeichen für den Papst wider die weltliche Gewalt geschähe oder jemand eine Plage widerführe, wie etliche Male sie rühmen geschehen sei, soll man dasselbe nicht anders achten, denn als durch den Teufel geschehen, um des Ge¬brechens unseres Glaubens zu Gott, wie dasselbe Christus verkündigt hat, Matth. 24: »Es werden kommen in meinem Namen falsche Christen und falsche Propheten, Zeichen und Wunder tun, daß sie auch die Auserwählten möchten verführen«; und St. Paul sagt den Thessalonichern, daß der Endchrist werde durch Satanam mächtig sein in falschen Wunderzeichen (2. Thessal. 2, 9ff.).

Drum lasset uns das festhalten: Christliche Gewalt vermag nichts wider Christum; wie St. Paul sagt (2. Korinth. 13, 8): »Wir vermögen nichts wider Christum, sondern für Christo zu tun.« Tut sie aber etwas wider Christum, so ist sie des Endchrists und Teufels Gewalt, und sollte sie Wunder und Plagen regnen und schloßen [herabsenden]. Wunder und Plagen bewähren nichts, sonderlich in dieser letzten, ärgsten Zeit, von welcher falsche Wunder verkündet sind in aller Schrift. Drum müssen wir uns an die Worte Gottes halten mit festem Glauben, so wird der Teufel seine Wunder wohl lassen.

Hiermit, hoff‘ ich, soll das falsche, lügenhaftige Schrecken, womit uns nun lange Zeit die Römer haben schüchterne und blöde Gewissen gemacht, darnieder liegen; und daß sie mit uns allen gleich dem Schwert unterworfen sind, die Schrift nicht Macht haben auszulegen durch lauter Gewalt ohne Kunst, und keine Gewalt haben, ein Concilium zu wehren oder es nach ihrem Mutwillen zu verpfänden, verpflichten und seine Freiheit zu nehmen, und wo sie das tun, daß sie wahrhaftig des Endchrists und Teufels Gemeinschaft sind, nichts von Christo denn den Namen haben. S.47ff.
Nach: Luther. Ausgewählt von Karl Gerhard Steck. Eingeleitet von Helmut Gollwitzer, Fischerbücherei Band 76

Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520)
Zum ersten: Daß wir gründlich mögen erkennen, was ein Christenmensch sei und wie es getan sei um die Freiheit, die ihm Christus erworben und gegeben hat, davon St. Paulus viel schreibt, will ich setzen diese zwei Beschlüsse:

Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.

Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.

Diese zwei Beschlüsse sind klar: St. Paulus, 1. Kor. 9: »Ich bin frei in allen Dingen und habe mich eines jedermanns Knecht gemacht.«Item Römer 13: »Ihr sollt niemand in etwas verpflichtet sein, außer daß ihr euch untereinander liebet.« Liebe aber, die ist dienstbar und untertan dem, was sie lieb hat; also auch von Christo, Galat. 4: »Gott hat seinen Sohn ausgesandt, von einem Weibe geboren, und dem Gesetz untertan gemacht.«

Zum andern: Diese zwei sich widersprechenden Reden der Freiheit und Dienstbarkeit zu vernehmen, sollen wir gedenken, daß ein jeglicher Christenmensch ist zweierlei Natur, geistlicher und leiblicher. Nach der Seele wird er ein geistlicher, neuer, innerlicher Mensch genannt, nach dem Fleisch und Blut wird er ein leiblicher, alter und äußerlicher Mensch genannt. Und um dieses Unterschiedes willen werden von ihm gesagt in der Schrift Worte, die da stracks wider einander sind, wie ich jetzt gesagt von der Freiheit und Dienstbarkeit.

Zum dritten: So wir uns vornehmen den inwendigen, geistlichen Menschen, zu sehen, was dazu gehöre, daß er ein frommer, freier Christenmensch sei und heiße, so ist's offenbar, daß kein äußerliches Ding kann ihn noch fromm machen, wie es mag immer genannt werden, denn seine Frömmigkeit und Freiheit, wiederum seine Bösheit und Gefängnis sind nicht leiblich noch äußerlich. Was hilft's der Seele, daß der Leib ungefangen, frisch und gesund ist, isset, trinkt, lebt, wie er will! Wiederum, was schadet das der Seele, daß der Leib gefangen, krank und matt ist, hungert, dürstet und leidet, wie er nicht gern wollte! Diese Dinge reichen keines bis an die Seele, sie zu befreien oder fangen, fromm oder böse zu machen.

Zum vierten: Also hilft es der Seele nichts, ob der Leib heilige Kleider anlegt, wie es die Priester und Geistlichen tun, auch nicht, ob er in den Kirchen und heiligen Stätten sei, auch nicht, ob er mit heiligen Dingen umgehe, auch nicht, ob er leiblich bete, faste, walle und alle guten Werke tue, die durch und in dem Leibe geschehen möchten ewiglich. Es muß noch ganz etwas anderes sein, was der Seele bringt und gebe Frömmigkeit und Freiheit. Denn alle diese obgenannten Stücke, Werke und Weisen mag auch an sich haben und üben ein böser Mensch, ein Gleißner und Heuchler; auch durch solch Wesen kein ander Volk denn eitel Gleißner werden. Wiederum schadet es der Seele nichts, wenn der Leib unheilige Kleider trägt, an unheiligen Orten ist, ißt, trinkt wallet, nicht betet und läßt alle die Werke anstehen, die die obgenannten Gleißner tun.

Zum fünften hat die Seele kein ander Ding, weder im Himmel noch auf Erden, darinnen sie lebe, fromm, frei und Christ sei, denn das heilige Evangelium, das Wort Gottes, von Christo gepredigt, wie er selbst sagt, Johann. 11: »Ich bin das Leben und die Auferstehung, wer da glaubt an mich, der lebet ewiglich«; item 14: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben«; item Matth. 4: »Der Mensch lebet nicht allein von dem Brot, sondern von allen Worten, die da gehen von dem Mund Gottes.« So müssen wir nun gewiß sein, daß die Seele kann alles Dinges entbehren außer dem Worte Gottes, und ohne das Wort Gottes ist ihr mit keinem Ding geholfen. Wo sie aber das Wort hat, bedarf sie auch keines andern Dinges mehr, sondern sie hat in dem Wort genug Speise, Freude, Friede, Licht, Kunst, Gerechtigkeit, Wahrheit, Weisheit, Freiheit und alles Gut überschwänglich. Also lesen wir im Psalter, sonderlich im 119. Psalm, daß der Prophet nicht mehr schreiet denn nach dem Gotteswort. Und in der Schrift es für die allerhöchste Plage und Gotteszorn gehalten wird, so er sein Wort von den Menschen nimmt; wiederum für keine größere Gnade, als wo er sein Wort hinsendet, wie im Psalm 107 steht: »Er hat sein Wort ausgesandt, womit er ihnen hat geholfen.« Und Christus um keines andern Amts willen, denn zu predigen das Wort Gottes, gekommen ist. Auch alle Apostel, Bischöfe, Priester und der ganze geistliche Stand allein um des Wortes willen ist berufen und eingesetzt, wiewohl es nun leider anders geht.

Zum sechsten fragst du aber: »Welches ist denn das Wort, das solch große Gnade gibt, und wie soll ich's gebrauchen?« Antwort: Es ist nichts anderes denn die Predigt, von Christo geschehen, wie das Evangelium enthält, welche soll sein und ist also angetan, daß du hörest deinen Gott zu dir reden, wie all dein Leben und Werke nichts seien vor Gott, sondern müssest mit allem dem, was in dir ist, ewiglich verderben. So du solches recht glaubst, wie du schuldig bist, so mußt du an dir selber verzweifeln und bekennen, daß wahr sei der Spruch Hoseas: »O Israel, in dir ist nichts denn dein Verderben, allein aber in mir steht deine Hilfe!« Daß du aber aus dir und von dir, das ist aus deinem Verderben, kommen mögest, so setzt er dir vor seinen lieben Sohn Jesum Christum und läßt dir durch sein lebendiges, tröstliches Wort sagen: Du sollst in denselben mit festem Glauben dich ergeben und frisch auf ihr vertrauen. So sollen dir um desselben Glaubens willen alle deine Sünden vergeben, all dein Verderben überwunden sein und du gerecht, wahrhaftig, befriedet, fromm und alle Gebote erfüllet sein, von allen Dingen frei sein, wie St. Paulus sagt, Römer 1: »Ein gerechtfertigter Christ lebt nur von seinem Glauben«; und Römer 10: »Christus ist das Ende und die Fülle aller Gebote denen, die an ihn glauben.«

Zum siebenten:
Darum sollte das billig aller Christen einziges Werk und Übung sein, daß sie das Wort und Christum wohl in sich bildeten, solchen Glauben stetig übten und stärkten. Denn kein ander Werk kann einen Christen machen, wie Christus, Johann. 6, zu den Juden sagt. Da sie ihn fragten, was sie für Werke tun sollten, daß sie göttliche und christliche Werke täten, sprach er: »Das ist das einzige göttliche Werk, daß ihr glaubt an den, den Gott gesandt hat«, welchen Gott, der Vater, allein auch dazu verordnet hat. Darum ist's ein gar überschwänglicher Reichtum: ein rechter Glaube in Christo, denn er bringet mit sich alle Seligkeit und nimmt ab alle Unseligkeit, wie Markus am letzten sagt: »Wer da glaubt und getauft ist, der wird selig; wer nicht glaubt, der wird verdammt.« Darum der Prophet Jesaja den Reichtum desselben Glaubens ansah und sprach: »Gott wird eine kurze Summe machen auf Erden, und die kurze Summe wird wie eine Sintflut einflößen die Gerechtigkeit«; das ist: der Glaube, darin kurz aller Gebote Erfüllung steht, wird im Überflusse rechtfertigen alle, die ihn haben, daß sie nichts mehr bedürfen, daß sie gerecht und fromm seien. Also sagt St. Paul, Römer 10: »Daß man von Herzen glaubt, das macht einen gerecht und fromm.«

Zum achten: Wie geht es aber zu, daß der Glaube allein kann fromm machen, und ohne alle Werke so überschwänglichen Reichtum geben, so doch so viel Gesetze, Gebote, Werke und Weisen uns vorgeschrieben sind in der Schrift? Hier ist fleißig zu merken und ja mit Ernst zu behalten, daß allein der Glaube ohne alle Werke fromm, frei und selig machet, wie wir hernach mehr hören werden, und ist zu wissen, daß die ganze Heilige Schrift wird in zweierlei Worte geteilet, welche sind: Gebote oder Gesetze Gottes und Verheißungen oder Zusagen. Die Gebote lehren und schreiben uns vor mancherlei gute Werke, aber damit sind sie noch nicht geschehen. Sie weisen wohl, sie helfen aber nicht, lehren, was man tun soll, geben aber keine Stärke dazu. Darum sind sie nur dazu geordnet, daß der Mensch darinnen sehe sein Unvermögen zu dem Guten und lerne an sich selbst verzweifeln. Und darum heißen sie auch das Alte Testament und gehören alle ins Alte Testament. Wie das Gebot: »Du sollst nicht böse Begierde haben« beweiset, daß wir allesamt Sünder sind und kein Mensch vermag zu sein ohne böse Begierde, er tue, was er will, woraus er lernet an sich selbst verzagen und anderswo zu suchen Hilfe, daß er ohne böse Begierde sei und also das Gebot erfülle durch einen andern, was er aus sich selbst nicht vermag, also sind auch alle anderen Gebote uns unmöglich.

Zum neunten: Wenn nun der Mensch aus den Geboten sein Unvermögen gelernet und empfunden hat, so daß ihm nun Angst wird, wie er dem Gebot Genüge tue, sintemal das Gebot muß erfüllet sein oder er muß verdammt sein, so ist er recht gedemütigt und zunichte geworden in seinen Augen, findet nichts in sich, damit er könne fromm werden. Dann kommt das andere Wort, die göttliche Verheißung und Zusagung, und spricht: »Willst du alle Gebote erfüllen, deine böse Begierde und Sünde los werden, wie die Gebote zwingen und fordern, siehe da, glaube an Christum, in welchem ich dir zusage alle Gnade, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit; glaubst du, so hast du, glaubst du nicht, so hast du nicht. Denn was dir unmöglich ist mit allen Werken der Gebote, deren viele und doch keines nütze sein müssen, das wird dir leicht und kurz durch den Glauben. Denn ich habe kurz in den Glauben gestellet alle Dinge, daß, wer ihn hat, soll alle Dinge haben und selig sein; wer ihn nicht hat, soll nichts haben. Also geben die Zusagungen Gottes, was die Gebote erfordern, und vollbringen, was die Gebote heißen, auf daß es alles Gottes eigen sei, Gebot und Erfüllung. Er heißet allein, er erfüllet auch allein. Darum sind die Zusagungen Gottes Worte des Neuen Testaments und gehören auch ins Neue Testament.

Zum zehnten:
Nun sind diese und alle Gottesworte heilig, wahrhaftig, gerecht, friedsam, frei und aller Güte voll; darum, wer ihnen mit einem rechten Glauben anhängt, des Seele wird mit ihm vereinigt so ganz und gar, daß alle Tugenden des Wortes auch eigen werden der Seele und also durch den Glauben die Seele von dem Gotteswort heilig, gerecht, wahrhaftig, friedsam, frei und aller Güte voll, ein wahrhaftiges Kind Gottes wird, wie Johann. 1 sagt: »Er hat ihnen gegeben, daß sie mögen Kinder Gottes werden, alle, die in seinem Namen glauben.«
Hieraus leichtlich zu merken ist, warum der Glaube so viel vermag und daß keine guten Werke ihm gleich sein können. Denn kein gutes Werk hänget an dem göttlichen Wort wie der Glaube, kann auch nicht in der Seele sein, sondern allein das Wort und der Glaube regieren in der Seele. Wie das Wort ist, so wird auch die Seele von ihm, gleich wie das Eisen wird glutrot wie das Feuer aus der Vereinigung mit dem Feuer. Also sehen wir, daß an dem Glauben ein Christenmensch genug hat; er bedarf keines Werkes, daß er fromm sei. Bedarf er denn keines Werks mehr, so ist er gewißlich entbunden von allen Geboten und Gesetzen; ist er entbunden, so ist er gewißlich frei. Das ist die christliche Freiheit, der einzige Glaube, der da macht, nicht daß wir müßig gehen oder übel tun können, sondern daß wir keines Werks bedürfen, zur Frömmigkeit und Seligkeit zu gelangen, wovon wir hernach mehr sagen wollen.

Zum elften: Weiter ist's mit dem Glauben also getan, daß, welcher dem andern glaubt, der glaubt ihm darum, daß er ihn für einen frommen, wahrhaftigen Mann achtete, welches die größte Ehre ist, die ein Mensch dem andern tun kann, wie es wiederum die größte Schmach ist, so er ihn für einen losen, lügenhaftigen, leichtfertigen Mann achtet. Also auch, wenn die Seele Gottes Wort festiglich glaubt, so hält sie ihn für wahrhaftig, fromm und gerecht, womit sie ihm tut die allergrößte Ehre, die sie ihm tun kann. Denn da gibt sie ihm recht, da läßt sie ihm recht, da ehret sie seinen Namen und läßt mit sich handeln, wie er will, denn sie zweifelt nicht, er sei fromm, wahrhaftig in allen seinen Worten. Wiederum kann man Gott keine größere Unehre antun, denn ihm nicht glauben, womit die Seele ihn für einen Untüchtigen, Lügenhaftigen, Leichtfertigen hält und, soviel an ihr ist, ihn verleugnet mit solchem Unglauben und einen Abgott ihres eignen Sinns im Herzen wider Gott aufrichtet, als wollte sie es besser wissen denn er.
Wenn dann Gott siehet, daß ihm die Seele Wahrheit gibt und ihn also ehret durch ihren Glauben, so ehret er sie wiederum und hält sie auch für fromm und wahrhaftig, und sie ist auch fromm und wahrhaftig durch solchen Glauben. Denn daß man Gott die Wahrheit und Frömmigkeit gebe, das ist Recht und Wahrheit und macht recht und wahrhaftig, dieweil es wahr ist und recht, daß Gott die Wahrheit geben werde; welches die nicht tun, die nicht glauben und doch sich mit vielen guten Werken treiben und mühen.

Zum zwölften: Nicht allein gibt der Glaube so viel, daß die Seele dem göttlichen Wort gleich wird, aller Gnaden voll, frei und selig, sondern vereinigt auch die Seele mit Christo wie eine Braut mit ihrem Bräutigam; aus welcher Ehe folget, wie St. Paulus sagt, daß Christus und die Seele ein Leib werden; so werden auch beider Güter, Fall, Unfall und alle Dinge gemeinsam, so daß, was Christus hat, das ist eigen der gläubigen Seele; was die Seele hat, wird eigen Christi. So hat Christus alle Güter und Seligkeit: die sind der Seele eigen; so hat die Seele alle Untugend und Sünde auf sich: die werden Christi eigen. Hier erhebt sich nun der fröhliche Wechsel und Streit. Dieweil Christus ist Gott und Mensch, welcher noch nie gesündigt hat, und seine Frömmigkeit unüberwindlich, ewig und allmächtig ist, so er denn der gläubigen Seele Sünde durch ihren Brautring, das ist der Glaube, sich selbst zu eigen macht und nicht anders tut, als hätte er sie getan, so müssen die Sünden in ihm verschlungen und ersäuft werden. Denn seine unüberwindliche Gerechtigkeit ist allen Sünden zu stark. Also wird die Seele von allen ihren Sünden nur durch ihren Mahlschatz, das ist des Glaubens halber, ledig und frei und begabt mit der ewigen Gerechtigkeit ihres Bräutigams Christi. Ist nun das nicht eine fröhliche Wirtschaft, da der reiche, edle, fromme Bräutigam Christus das arme, verachtete, böse Hürlein zur Ehe nimmt und sie entledigt von allem Übel, zieret mit allen Gütern! So ist's nicht möglich, daß die Sünden sie verdammen, denn sie liegen nun auf Christo und sind in ihm verschlungen. So hat sie so eine reiche Gerechtigkeit in ihrem Bräutigam, daß sie abermals wider alle Sünden bestehn kann, ob sie schon auf ihr lägen. Davon sagt Paulus, 1. Kor. 15: »Gott sei Lob und Dank, der uns hat gegeben eine solche Überwindung in Christo Jesu, in welcher verschlungen ist der Tod mit der Sünde.«

Zum dreizehnten: Hier siehst du abermals, aus welchem Grunde dem Glauben so viel billig zugeschrieben wird, daß er alle Gebote erfüllet und ohne alle andren Werke fromm macht. Denn du siehest hier, daß er das erste Gebot erfüllet allein, wo geboten wird: Du sollst deinen Gott ehren. Wenn du nun eitel gute Werke wärest bis auf die Fersen, so wärest du dennoch nicht fromm und gäbest Gott noch keine Ehre, und also erfülltest du das allererste Gebot nicht. Denn Gott kann nicht geehrt werden, ihm werde denn Wahrheit und alles Gute zugeschrieben, wie er denn wahrlich ist. Das tun aber keine guten Werke, sondern allein der Glaube des Herzens. Darum ist er allein die Gerechtigkeit des Menschen und aller Gebote Erfüllung. Denn wer das erste Hauptgebot erfüllet, der erfüllet gewißlich und leichtlich auch alle andern Gebote. Die Werke aber sind tote Dinge, können nicht ehren noch loben Gott, wiewohl sie mögen geschehen und lassen sich tun, Gott zu Ehren und Lobe. Aber wir suchen hier den, der nicht getan wird wie die Werke, sondern den Selbsttäter und Werkmeister, der Gott ehret und die Werke tut. Das ist niemand denn der Glaube des Herzens; der ist das Haupt und ganze Wesen der Frömmigkeit. Darum es eine gefährliche, finstere Rede ist, wenn man lehret, die Gebote Gottes mit Werken zu erfüllen, während die Erfüllung vor allen Werken durch den Glauben muß geschehen sein und die Werke folgen nach der Erfüllung, wie wir hören werden.

Zum vierzehnten: Um weiter zu sehen, was wir in Christo haben und wie großes Gut sei ein rechter Glaube, ist zu wissen, daß vor und in dem Alten Testament Gott sich auszog und vorbehielt alle erste männliche Geburt von Menschen und Tieren; und die erste Geburt war köstlich und hatte zwei große Vorteile vor allen andern Kindern, nämlich die Herrschaft und Priesterschaft oder Königreich und Priestertum, also daß auf Erden das erste geborene Knäblein war ein Herr über alle seine Brüder und ein Pfaffe oder Papst vor Gott, durch welche Figur wird bedeutet Jesus Christus, der eigentlich dieselbe erste männliche Geburt ist Gottes des Vaters von der Jungfrau Maria. Darum ist er ein König und Priester, doch geistlich, denn sein Reich ist nicht irdisch noch in irdischen, sondern in geistlichen Gütern, als da sind Wahrheit, Weisheit, Friede, Freude, Seligkeit usw.. Damit aber nicht ausgenommen ist zeitliches Gut, denn es sind ihm alle Dinge unterworfen in Himmel, Erde und Hölle, wiewohl man ihn nicht sieht, das macht, weil er geistlich, unsichtbar regiert.
Also auch sein Priestertum besteht nicht in den äußerlichen Gebärden und Kleidern, wie wir bei den Menschen sehen, sondern es besteht im Geiste unsichtbar also, daß er vor Gottes Augen ohne Unterlaß für die Seinen steht und sich selbst opfert und alles tut, was ein frommer Priester tun soll. Er bittet für uns, wie St. Paul, Röm. 8 sagt; ebenso lehret er uns inwendig im Herzen, welches sind zwei eigentliche, rechte Ämter eines Priesters, denn also bitten und lehren auch äußerliche, menschliche, zeitliche Priester.

Zum fünfzehnten: Wie nun Christus die erste Geburt hat mit ihrer Ehre und Würdigkeit, also teilet er sie mit allen seinen Christen, daß sie durch den Glauben müssen auch alle Könige und Priester sein mit Christo, wie St. Petrus sagt, 1. Petr. 2: »Ihr seid ein priesterliches Königreich und ein königliches Priestertum.« Und das geht also zu, daß ein Christenmensch durch den Glauben so hoch erhaben wird über alle Dinge, daß er, aller Herr, wird geistlich, denn es kann ihm kein Ding nicht schaden zur Seligkeit. Ja, es muß ihm alles untertan sein und helfen zur Seligkeit, wie St. Paulus lehret, Röm. 8: »Alle Dinge müssen helfen den Auserwählten zu ihrem Besten.«, es sei Leben, Sterben, Sünde, Frömmigkeit, Gutes oder Böses, wie man es nennen mag; item 1. Kor. 3: »Alle Dinge sind euer, es sei das Leben oder der Tod, Gegenwärtiges oder Zukünftiges usw.« Nicht daß wir aller Dinge leiblich mächtig sind, sie zu besitzen oder zu brauchen, wie die Menschen auf Erden, denn wir müssen sterben leiblich und kann niemand dem Tode entfliehen; so müssen wir auch viel andern Dingen unterliegen, wie wir an Christo und seinen Heiligen sehen. Denn dies ist eine geistliche Herrschaft, die da regiert in der leiblichen Unterdrückung, das ist, ich kann mich an allen Dingen bessern nach der Seele, daß auch der Tod und Leiden müssen mir dienen und nützlich sein zur Seligkeit. Das ist eine gar hohe, ehrliche Würdigkeit und eine rechte, allmächtige Herrschaft, ein geistliches Königreich, da kein Ding ist so gut, so böse, es muß mir dienen zum Guten, so ich glaube, und ich bedarf sein doch nicht, sondern mein Glaube ist mir genugsam. Siehe, wie ist das eine köstliche Freiheit und Gewalt der Christen!

Zum sechzehnten: Überdies sind wir Priester, das ist noch viel mehr, denn König sein, darum, daß das Priestertum uns würdig macht, vor Gott zu treten und für andere zu bitten. Denn vor Gottes Augen zu stehn und bitten, gebührt niemand denn den Priestern. Also hat uns Christus erworben, daß wir können geistlich vor einander treten und bitten, wie ein Priester vor das Volk leiblich tritt und bittet. Wer aber nicht glaubt an Christum, dem dienet kein Ding zum Guten; er ist ein Knecht aller Dinge, muß sich aller Dinge ärgern. Dazu ist sein Gebet nicht angenehm, kommt auch nicht vor Gottes Augen. Wer kann nun ausdenken die Ehre und Höhe eines Christenmenschen? Durch sein Königreich ist er aller Dinge mächtig, denn Gott tut, was er bittet und will, wie da steht geschrieben im Psalter: »Gott tut den Willen derer, die ihn fürchten, und erhöret ihr Gebet«, zu welchen Ehren er nur allein durch den Glauben und durch kein Werk kommt. Daraus man klar siehet, wie ein Christenmensch frei ist von allen Dingen und über alle Dinge, also daß er keiner guter Werke dazu bedarf, daß er fromm und selig sei; sondern der Glaube bringt's ihm alles überflüssig. Und wo er so töricht wäre und meinete, durch ein gutes Werk fromm, frei, selig oder Christ zu werden, so verlöre er den Glauben mit allen Dingen, gleich wie der Hund, der ein Stück Fleisch im Mund trug und nach dem Schemen im Wasser schnappte, damit Fleisch und Schemen verlor.

Zum siebzehnten fragest du: Was ist denn für ein Unterschied zwischen den Priestern und Laien in der Christenheit, so sie alle Priester sind? Antwort: Es ist dem Wörtlein »Priester«, »Pfaffe«, »geistlich« und desgleichen Unrecht geschehen, daß sie von dem gemeinen Haufen sind bezogen auf den kleinen Haufen, den man jetzt nennet geistlichen Stand. Die Heilige Schrift gibt keinen andern Unterschied, denn daß sie die Gelehreten oder Geweiheten nennet ministros, servor, oeconomos, das ist Diener, Knechte, Schaffner, die da sollen den andern Christum, Glauben und christliche Freiheit predigen. Denn ob wir wohl alle gleich Priester sind, können wir doch nicht alle dienen oder schaffen und predigen. Also sagt St. Paulus, 1. Kor. 4: »Wir wollen für nichts mehr von den Leuten gehalten sein denn Christi Diener und Schaffner des Evangeliums.« Aber nun ist aus der Schaffnerei geworden eine solch weltliche, äußerliche, prächtige, furchtbare Herrschaft und Gewalt, daß ihr die rechte weltliche Macht in keinem Wege kann gleichen, gerade als wären die Laien etwas anderes denn Christenleute, womit hingenommen ist der ganze Verstand christlicher Gnade, Freiheit, Glaubens und alles, was wir von Christo haben, und Christus selbst; wir haben dafür überkommen viel Menschen-Gesetz und -Werk, sind ganz Knechte geworden der alleruntüchtigsten Leute auf Erden.

Zum achtzehnten: Aus dem allen lernen wir, daß es nicht genug sei gepredigt, wenn man Christi Leben und Werk obenhin und nur als eine Historie und Chronikgeschichte predigt, geschweige denn, so man seiner gar schweigt und das geistliche Recht oder andere Menschen-Gesetze und -Lehren predigt. Ihrer sind auch viele, die Christum also predigen und lesen, daß sie ein Mitleiden über ihn haben, mit den Juden zürnen oder sonst mehr kindische Weise darinnen üben. Aber er soll und muß also gepredigt sein, daß mir und dir der Glaube draus erwachse und erhalten werde, welcher Glaube dadurch erwächst und erhalten wird, wenn mir gesagt wird, warum Christus gekommen sei, wie man seiner gebrauchen und genießen soll, was er mir gebracht und gegeben hat: das geschieht, wo man recht auslegt die christliche Freiheit, die wir von ihm haben, und wie wir Könige und Priester sind, aller Dinge mächtig, und daß alles, was wir tun, vor Gottes Augen angenehm und erhöret sei, wie ich bisher gesagt habe. Denn wo ein Herz also Christum höret, das muß fröhlich werden von ganzem Grunde, Trost empfangen und süß werden gegen Christum, ihn wiederum lieb zu haben. Dahin es nimmermehr mit Gesetzen oder Werken kommen kann. Denn wer will einem solchen Herzen Schaden tun oder es erschrecken? Fällt die Sünde und der Tod daher, so glaubt es, Christi Frömmigkeit sei sein und seine Sünden seien nimmer sein, sondern Christi; so muß die Sünde verschwinden vor Christi Frömmigkeit in dem Glauben, wie droben gesagt ist und lernet mit dem Apostel dem Tod und der Sünde Trotz bieten und sagen: »Wo ist nun, du Tod, dein Sieg? Wo ist nun, Tod, dein Spieß? Dein Spieß ist die Sünde. Aber Gott sei Lob und Dank, der uns hat gegeben den Sieg durch Jesum Christum, unsern Herrn. Und der Tod ist ersäuft in seinem Sieg usw.«

Zum neunzehnten: Das sei nun genug gesagt von dem innerlichen Menschen, von seiner Freiheit und der Hauptgerechtigkeit, welche keines Gesetzes noch guten Werkes bedarf; ja, es ihr schädlich ist, so jemand dadurch wollte gerechtfertigt zu werden sich vermessen. Nun kommen wir auf's andere Teil, auf den äußerlichen Menschen. Hier wollen wir antworten allen denen, die sich ärgern aus den vorigen Reden und pflegen zu sprechen: »Ei, so denn der Glaube alle Dinge ist und gilt allein genugsam, um fromm zu machen, warum sind denn die guten Werke geboten? So wollen wir guter Dinge sein und nichts tun.« Nein, lieber Mensch, nicht also! Es wäre wohl also, wenn du allein ein innerlicher Mensch wärest und ganz geistlich und innerlich geworden, welches nicht geschieht bis am jüngsten Tag. Es ist und bleibt auf Erden nur ein Anheben und Zunehmen, welches wird in jener Welt vollbracht. Daher heißet's der Apostel primitias spiritus, das sind die ersten Früchte des Geistes; darum gehört hierher, was droben gesagt ist: »Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan«; gleich: Wo er frei ist, braucht er nichts zu tun; wo er Knecht ist, muß er allerlei tun. Wie das zugehe, wollen wir sehen.

Zum zwanzigsten: Obwohl der Mensch inwendig nach der Seele durch den Glauben genugsam gerechtfertigt ist und alles hat, was er haben soll, außer daß derselbe Glaube und Genüge muß immer zunehmen bis in jenes Leben, so bleibt er doch noch in diesem leiblichen Leben auf Erden und muß seinen eignen Leib regieren und mit Leuten umgehen. Da heben sich nun die Werke an. Hier muß er nicht müßig gehn, da muß fürwahr der Leib mit Fasten, Wachen, Arbeiten und mit aller mäßigen Zucht getrieben und geübt sein, daß er dem innerlichen Menschen und dem Glauben gehorsam und gleichförmig werde, nicht hindere noch widerstrebe, wie seine Art ist, wo er nicht gezwungen wird. Denn der innerliche Mensch ist mit Gott eins, fröhlich und lustig um Christi willen, der ihm soviel getan hat, und besteht alle seine Lust darin, daß er wiederum möchte Gott auch umsonst dienen in freier Liebe. Da findet er in seinem Fleisch einen widerspenstigen Willen, der will der Welt dienen und suchen, was ihn gelüstet. Das mag der Glaube nicht leiden und legt sich mit Lust an seinen Hals, ihn zu dämpfen und ihm zu wehren, wie St. Paul sagt, Römer 7: «Ich habe eine Lust an Gottes Willen nach meinem innern Menschen; da finde ich einen andern Willen in meinem Fleisch, der will mich mit Sünden gefangen nehmen.» Item: »Ich züchtige meinen Leib und treibe ihn zu Gehorsam, auf daß ich nicht selbst verwerflich werde, der ich die andern lehren soll.« Item, Galater 5: »Alle, die Christo angehören, kreuzigen ihr Fleisch mit seinen bösen Lüsten.«

Zum einundzwanzigsten: Aber dieselben Werke müssen nicht geschehen in der Meinung, daß dadurch der Mensch fromm werde vor Gott, denn die falsche Meinung kann der Glaube nicht leiden, der allein ist und sein muß die Frömmigkeit vor Gott; sondern nur in der Meinung, daß der Leib gehorsam werde und gereinigt von seinen bösen Lüsten und das Auge nur sehe auf die bösen Lüste, sie auszutreiben. Denn dieweil die Seele durch den Glauben rein ist und Gott liebet, wollte sie gern, daß auch also alle Dinge rein wären, zuvor ihr eigner Leib, und jedermann Gott mit ihr liebte und lobte. So geschieht's, daß der Mensch seines eigenen Leibes halben nicht kann müßig gehen und muß viel guter Werke darob üben, daß er ihn zwinge; und doch die Werke nicht das rechte Gut sind, davon er fromm und gerecht sei vor Gott, sondern tue sie aus freier Liebe umsonst, Gott zu gefallen, nichts darin anders gesucht noch angesehen, denn daß es Gott also gefällt, dessen Willen er gern täte auf's allerbeste. Daraus denn ein jeglicher kann selbst nehmen Maß und Bescheidenheit, den Leib zu kasteien, denn er fastet, wachet, arbeitet, soviel er sieht, daß dem Leib not sei, seinen Mutwillen zu dämpfen. Die andern aber, die da meinen, mit Werken fromm zu werden, haben keine Acht auf die Kasteiung, sondern sehen nur auf die Werke und meinen, wenn sie derselben nur viele und große tun, so sei es wohlgetan und sie würden fromm; zuweilen zerbrechen die Köpfe und verderben ihre Leiber darüber. Das ist eine große Torheit und Unverstand christlichen Lebens und Glaubens, daß sie ohne Glauben, durch Werke fromm und selig werden wollen.

Zum zweiundzwanzigsten: Daß wir davon etliche Gleichnisse geben, soll man die Werke eines Christenmenschen, der durch seinen Glauben und aus lautrer Gnade Gottes umsonst ist gerechtfertigt und selig geworden, nicht anders achten, denn wie die Werke Adams und Evas im Paradies gewesen wären, davon Genesis 2 steht geschrieben, daß Gott den geschaffenen Menschen setzte ins Paradies, daß er dasselbe bearbeiten und hüten sollte. Nun war Adam von Gott fromm und wohl geschaffen, ohne Sünde, daß es durch sein Arbeiten und Hüten nicht erst brauchte fromm und gerechtfertigt zu werden; doch daß er nicht müßig ginge, gab ihm Gott zu schaffen, das Paradies zu pflanzen, zu bauen und bewahren. Dieses wären eitel freie Werke gewesen, um keines Dings willen getan, denn allein Gott zu gefallen, und nicht um Frömmigkeit zu erlangen, die er zuvor hatte, welche uns auch allen natürlich wäre angeboren gewesen. Also auch eines gläubigen Menschen Werk, welcher durch seinen Glauben ist wiederum ins Paradies gesetzt und von neuem geschaffen, bedarf keiner Werke, fromm zu werden; sondern daß er nicht müßig gehe und seinen Leib anstrenge und bewahre, sind ihm solche freie Werke zu tun, allein Gott zu gefallen, befohlen.
Item, gleichwie ein geweiheter Bischof, wenn er Kirchen weihet, firmelt oder sonst seines Amtes Werk übet, so machen ihn dieselben Werke nicht zu einem Bischof - ja, wenn er nicht zuvor zum Bischof geweihet wäre, so taugte derselben Werke keines und wäre eitel Narrenwerk -; also ein Christ, der, durch den Glauben geweihet, gute Werke tut, wird durch dieselben nicht besser oder mehr geweihet (was nichts denn des Glaubens Mehrung tut) zu einem Christen; ja, wenn er nicht zuvor glaubte und Christ wäre, so gälten alle seine Werke nichts, sondern wären eitel närrische, sträfliche, verdammliche Sünden.

Zum dreiundzwanzigsten: Darum sind die zwei Sprüche wahr: »Gute, fromme Werke machen nimmermehr einen guten, frommen Mann, sondern ein guter, frommer Mann macht gute, fromme Werke«; »Böse Werke machen nimmermehr einen bösen Mann, sondern ein böser Mann macht böse Werke«, also daß allerwegen die Person zuvor muß gut und fromm sein vor allen guten Werken und gute Werke folgen und ausgehn von der frommen, guten Person, gleichwie Christus sagt: »Ein böser Baum trägt keine gute Frucht; ein guter Baum trägt keine böse Frucht.« Nun ist's offenbar, daß die Früchte tragen nicht den Baum; so wachsen auch die Bäume nicht auf den Früchten, sondern wiederum: die Bäume tragen die Früchte, und die Früchte wachsen auf den Bäumen. Wie nun die Bäume müssen früher sein denn die Früchte und die Früchte machen nicht die Bäume weder gut noch böse, sondern die Bäume machen die Früchte, also muß der Mensch in der Person zuvor fromm oder böse sein, ehe er gute oder böse Werke tut, und seine Werke machen ihn nicht gut oder böse, sondern er macht gute oder böse Werke.
Desgleichen sehen wir in allen Handwerken. Ein gutes oder böses Haus macht keinen guten oder bösen Zimmermann, sondern ein guter oder böser Zimmermann macht ein böses oder gutes Haus; kein Werk macht einen Meister, darnach das Werk ist, sondern wie der Meister ist, darnach ist sein Werk auch. Also sind die Werke des Menschen auch: wie es mit ihm steht im Glauben oder Unglauben, darnach sind seine Werke gut oder böse, und nicht wiederum, wie seine Werke stehn, darnach sei er fromm oder (un)gläubig. Die Werke, gleichwie sie nicht gläubig machen, so machen sie auch nicht fromm; aber der Glaube, gleichwie er fromm macht, so macht er auch gute Werke. So denn die Werke niemand fromm machen und der Mensch zuvor muß fromm sein, ehe er wirkt, so ist's offenbar, daß allein der Glaube aus lautrer Gnade durch Christum und sein Wort die Person genugsam fromm und selig machet und daß kein Werk, kein Gebot einem Christen not sei zur Seligkeit, sondern er frei ist von allen Geboten und aus lauterer Freiheit umsonst tut alles, was er tut, in nichts damit zu suchen seinen Nutzen oder Seligkeit (denn er schon satt und selig ist durch seinen Glauben und Gottes Gnade), sondern nur um Gott darinnen zu gefallen.

Zum vierundzwanzigsten: Wiederum dem, der ohne Glauben ist, ist kein gutes Werk förderlich zur Frömmigkeit und Seligkeit; wiederum keine bösen Werke ihn böse und verdammt machen, sondern der Unglaube, der die Person und den Baum böse macht, der tut böse und verdammte Werke, darum, wenn man fromm oder böse wird, hebet sich's nicht an den Werken an, sondern an dem Glauben, wie der weise Mann sagt: «Anfang aller Sünde ist von Gott weichen und ihm nicht trauen.» Also lehret auch Christus, wie man nicht an den Werken muß anheben, und sagt: «Entweder macht den Baum gut und seine Früchte gut, oder macht den Baum böse und seine Früchte böse», ebenso sollte er sagen: wer gute Früchte haben will, muß zuvor an dem Baum anheben und denselben gut setzen. Also, wer da will gute Werke tun, muß nicht an den Werken anheben, sondern an der Person, die die Werke tun soll. Die Person aber macht niemand gut denn allein der Glaube, und niemand macht sie böse denn allein der Unglaube. Das ist wohl wahr: Die Werke machen einen fromm oder böse vor den Menschen, das ist, sie zeigen äußerlich an, wer fromm oder böse ist, wie Christus sagt, Matth. 7: »Aus ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.« Aber das ist alles im Schein und äußerlich, welches Ansehen irre macht viele Leute, die da schreiben und lehren, wie man gute Werke tun soll und fromm werden, so sie doch des Glaubens nimmer gedenken, gehen dahin und führet immer ein Blinder den andern, martern sich mit vielen Werken und kommen doch nimmer zu der rechten Frömmigkeit, von welchen St. Paul sagt, 2.Tim 3: »Sie haben einen Schein der Frömmigkeit, aber der Grund ist nicht da, gehen hin und lernen immer und immer, und kommen doch nimmer zur Erkenntnis der wahren Frömmigkeit.« Wer nun mit denselben Blinden nicht will irren, muß weiter sehen denn in die Werke, Gebote oder Lehre der Werke: er muß in die Person sehen vor allen Dingen, wie die fromm werde. Die wird aber nicht durch Gebot und Werk, sondern durch Gottes Wort (das ist, durch seine Verheißung der Gnade) und den Glauben fromm und selig, auf daß bestehe seine göttliche Ehre, daß er uns nicht durch unsere Werke, sondern durch sein gnädiges Wort umsonst und aus lauter Barmherzigkeit selig mache.

Zum fünfundzwanzigsten: Aus diesem allem ist leichtlich zu verstehen, wie gute Werke zu verwerfen und nicht zu verwerfen sind und wie man alle Lehren verstehen soll, die da gute Werke lehren. Denn wo der falsche Anhang und die verkehrte Meinung dein ist, daß durch die Werke wir fromm und selig werden wollen, sind sie schon nicht gut und ganz verdammlich, denn sie sind nicht frei und schmähen die Gnade Gottes, die allein durch den Glauben fromm und selig macht, welches die Werke nicht vermögen, und nehmen es sich doch vor, zu tun, und damit der Gnade in ihr Werk und ihre Ehre greifen. Darum verwerfen wir die guten Werke, nicht um ihrer selbst willen, sondern um desselben bösen Zusatzes und falscher, verkehrter Meinung willen, welche macht, daß sie nur gut scheinen, und sind doch nicht gut; sie betrügen sich und jedermann damit gleich wie die reißenden Wölfe in Schafskleidern. Aber derselbe böse Zusatz und verkehrte Meinung in den Werken ist unüberwindlich, wo der Glaube nicht ist. Er muß sein in demselben Werkheiligen, bis der Glaube kommt und zerstöre ihn; die Natur vermag ihn von sich selbst nicht auszutreiben, ja, auch nicht zu erkennen, sondern sie hält ihn für ein köstliches, seliges Ding, drum werden ihrer auch so viel dadurch verführet. Derhalben, obwohl es gut ist, von Reue, Beichte, Genugtuung zu schreiben und predigen, so man aber nicht weiter fähret bis zum Glauben, sind es gewißlich eitel teuflische, verführerische Lehren. Man muß nicht einerlei allein predigen, sondern alle beide Worte Gottes. Die Gebote soll man predigen, die Sünder zu erschrecken und ihre Sünden zu offenbaren, daß sie Reue haben und sich bekehren. Aber dabei soll es nicht bleiben, man muß das andere Wort, die ohne welchen die Gebote, Reue und alles andere vergebens geschieht. Es sind wohl noch geblieben Prediger, die Reue der Sünde und Gnade predigen, aber sie streichen die Gebote und Zusagungen Gottes nicht so heraus, daß man lerne, woher und wie die Reue und Gnade kommt. Denn die Reue fließt aus den Geboten, der Glaube aus den Zusagungen Gottes, und also wird der Mensch durch den Glauben göttlicher Worte gerechtfertigt und erhoben, der durch die Furcht vor dem Gebote Gottes gedemütigt und zur Selbsterkenntnis gekommen ist.

Zum sechsundzwanzigsten: Das sei von den Werken gesagt insgemein und von denen, die ein Christenmensch gegen seinen eignen Leib üben soll. Nun wollen wir von mehr Werken sagen, die er gegen andere Menschen tut. Denn der Mensch lebt nicht allein in seinem Leibe, sondern auch unter andern Menschen auf Erden. Darum kann er nicht ohne Werke sein gegen dieselben, er muß ja mit ihnen zu reden und zu schaffen haben, wiewohl ihm derselben Werke keines not ist zur Frömmigkeit und Seligkeit. Darum soll seine Meinung in allen Werken frei und nur dahin gerichtet sein, daß er andern Leuten damit diene und nütze sei, nichts anderes sich vorstelle, denn was den andern not ist. Das heißt dann ein wahrhaftiges Christenleben, und da geht der Glaube mit Lust und Liebe ins Werk, wie St. Paulus lehret die Galater. Dann zu den Philippern, da er sie gelehret hatte, wie sie alle Gnade und Genüge hätten durch ihren Glauben in Christo, lehret er sie weiter und sagt: »Ich vermahne euch alles Trostes, den ihr in Christo habt, und alles Trostes, den ihr habt von unserer Liebe zu euch, und aller Gemeinschaft, die ihr habt mit allen geistlichen, frommen Christen, ihr wollt mein Herz erfreuen vollkommen, und das damit, daß ihr hinfort wollet eines Sinnes sein, einer gegen den andern Liebe erzeigen, einer dem andern dienen und ein jeglicher acht haben nicht auf sich, noch auf das Seine, sondern auf den andern, und was demselben not sei.« Siehe, da hat Paulus klärlich ein christliches Leben dahingestellet, daß alle Werke sollen gerichtet sein dem Nächsten zu gute, dieweil ein jeglicher für sich selbst genug hat an seinem Glauben und alle andern Werke und Leben ihm übrig sind, seinem Nächsten damit aus freier Liebe zu dienen. Dazu führet er ein Christum zu einem Exempel und sagt: »Seid also gesinnet, wie ihr's seht in Christo, welcher, obwohl er voll göttlicher Form war und für sich selbst genug hatte und ihm sein Leben, Wirken und Leiden nicht not war, daß er damit fromm oder selig würde, dennoch hat er sich alles dessen entäußert und sich gebärdet wie ein Knecht, allerlei getan und gelitten, nichts angesehen denn unser Bestes und ist also, ob er wohl frei war, doch um unseretwillen ein Knecht geworden.«

Zum siebenundzwanzigsten: Also soll ein Christenmensch wie Christus, sein Haupt, voll und satt sich auch begnügen lassen an seinem Glauben, denselben immer mehren, welcher sein Leben, Frömmigkeit und Seligkeit ist, der ihm gibt alles, was Christus und Gott hat - wie droben gesagt ist und St. Paul, Galat. 2 spricht: »Was ich noch in dem Körper lebe, das lebe ich in dem Glauben Christi, Gottes Sohnes« - und ob er nun ganz frei ist, sich wiederum williglich zu einem Diener machen, seinem Nächsten zu helfen, mit ihm verfahren und handeln, wie Gott mit ihm durch Christum gehandelt hat; und das alles umsonst, nichts darinnen suchen denn göttliches Wohlgefallen und also denken: »Wohlan, mein Gott hat mir unwürdigem, verdammtem Menschen, ohne alle Verdienste, rein umsonst und aus eitel Barmherzigkeit gegeben durch und in Christo vollen Reichtum aller Frömmigkeit und Seligkeit, daß ich hinfort nichts mehr bedarf, denn zu glauben, es sei also. Ei, so will ich solchem Vater, der mich mit seinem überschwenglichen Gütern also überschüttet hat, wiederum frei, fröhlich und umsonst tun, was ihm wohl gefällt, und gegen meinen Nächsten auch werden ein Christ, wie Christus mir geworden ist, und nichts mehr tun, denn was ich nur sehe, das ihm not, nützlich und selig sei, dieweil ich doch durch meinen Glauben aller Dinge in Christo genug habe.« Siehe, also fließet aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies, williges, fröhliches Leben, dem Nächsten zu dienen umsonst. Denn gleichwie unser Nächster Not leidet und unseres Übrigen bedarf, also haben wir vor Gott Not gelitten und seiner Gnaden bedurft. Darum, wie uns Gott hat durch Christum umsonst geholfen, also sollen wir durch den Leib und seine Werke nichts anderes tun, als dem Nächsten zu helfen. Also sehen wir, wie ein hohes, edles Leben es sei um ein christliches Leben, das leider nun in aller Welt nicht allein darniederliegt, sondern auch nicht mehr bekannt ist, noch gepredigt wird.

Zum achtundzwanzigsten: Also lesen wir, Luk. 2, daß die Jungfrau Maria zur Kirche ging nach den sechs Wochen und ließ sich reinigen nach dem Gesetz wie alle andern Weiber, während sie doch nicht gleich mit ihnen unrein war, noch schuldig derselben Reinigung, bedurfte ihrer auch nicht. Aber sie tat's aus freier Liebe, daß sie die andern Weibe nicht verachtete, sondern mit dem Haufen bliebe. Also ließ St. Paul St. Timotheum beschneiden - nicht daß es not wäre, sondern daß er den schwachgläubigen Juden nicht Ursache gäbe zu bösen Gedanken - der doch wiederum Titum nicht wollte lassen beschneiden, da man drauf dringen wollte, er müßte beschnitten sein, und es wäre not zur Seligkeit. Und Christus, Matth. 17, da von seinen Jüngern ward der Zinspfennig gefordert, disputierte er mit St. Peter, ob nicht Königskinder frei wären, Zins zu geben. Und als St. Peter ja sagte, hieß er ihn doch hingehen an das Meer und sprach: »Auf daß wir sie nicht ärgern, so geh' hin; den ersten Fisch, den du fängst, den nimm, und in seinem Maul wirst du finden einen Pfennig, den gibt für mich und dich.« Das ist ein feines Exempel zu dieser Lehre, da Christus sich und die Seinen freie Königskinder nennet, die keines Dings bedürfen, und doch sich unterwirft williglich, dienet und gibt den Zins. Wie viel nun das Werk Christo not war und gedienet hat zu seiner Frömmigkeit oder Seligkeit, so viel sind alle seine anderen und seiner Christen Werke ihnen not zur Seligkeit; sonderlich da alle sind freie Dienste, zu Willen und Besserung der andern. Also sollten auch aller Priester, Klöster und Stifter Werke getan sein, daß ein jeglicher seines Standes und Ordens Werk allein darum täte, den andern zu willfahren und seinen Leib zu regieren, den andern Exempel zu geben, auch also zu tun, die auch bedürften, ihre Leiber zu zwingen, doch sich allezeit vorsehen, daß nicht dadurch fromm und selig zu werden sich vorgenommen werde, welches allein des Glaubens Vermögen ist. Auf die Weise gebietet auch St. Paul, Römer 13 und Titus 3, daß sie sollen weltlicher Gewalt untertan und bereit sein, nicht daß sie dadurch fromm werden sollen, sondern daß sie den andern und der Obrigkeit damit frei dieneten und ihren Willen täten aus Liebe und Freiheit. Wer nun diesen Verstand hätte, der könnte leichtlich sich einrichten in die unzähligen Gebote und Gesetze des Papstes, der Bischöfe, der Klöster, der Stifter, der Fürsten und Herren, die etlich tolle Prälate also treiben, als wären sie not zur Seligkeit, und heißen es Gebote der Kirche, wiewohl mit Unrecht. Denn ein freier Christ spricht also: »Ich will fasten, beten, dies und das tun, was geboten ist, nicht daß ich's bedarf oder dadurch wollte fromm oder selig werden, sondern ich will's dem Papst, Bischof, der Gemeine oder meinem Mitbruder, Herrn zu Willen, Exempel und Dienst tun und leiden, gleichwie mir Christus viel größere Dinge zu Willen getan und gelitten hat, dessen ihm viel weniger not war. Und obschon die Tyrannen Unrecht tun, solches zu fordern, so schadet's mir doch nicht, dieweil es nicht wider Gott ist.«

Zum neunundzwanzigsten: Hieraus mag ein jeglicher ein gewisses Urteil und Unterscheidung nehmen unter allen Werken und Geboten, auch welches blinde, tolle oder rechtgesinnte Prälaten seien. Denn welches Werk nicht dahinaus gerichtet ist, dem andern zu dienen oder seinen Willen zu leiden, sofern er nicht zwingt, wider Gott zu tun, so ist's nicht ein gut christliches Werk. Daher kommt's, daß ich sorge, wenige Stifter, Kirchen, Klöster, Altäre, Messen, Testamente christlich seien, dazu auch die Fasten und Gebete, zu etlichen Heiligen besonders getan. Denn ich fürchte, daß in dem allesamt ein jeglicher nur das Seine sucht, vermeinend, damit seine Sünden zu büßen und selig zu werden, welches alles kommt aus Unwissenheit des Glaubens und christlicher Freiheit; und etlich blinde Prälaten die Leute dahin treiben und solch Wesen preisen, mit Ablaß schmücken und den Glauben nimmermehr lehren. Ich rate dir aber, willst du etwas stiften, beten, fasten, so tu es nicht in der Meinung, daß du wollest dir etwas Gutes tun, sondern gib's dahin frei, daß andere Leute desselben genießen mögen, und tu es ihnen zu gute, so bist du ein rechter Christ. Was sollen dir deine Güter und guten Werke, die dir übrig sind, deinen Leib zu regieren und versorgen , so du genug hast am Glauben, darin dir Gott alle Dinge gegeben hat? Siehe, also müssen Gottes Güter fließen aus einem in den andern und gemein werden, daß ein jeglicher sich seines Nächsten also annehme, als wäre er's selbst. Aus Christo fließen sie in uns, der sich unser hat angenommen in seinem Leben, als wäre er das gewesen, was wir sind. Aus uns sollen sie fließen in die, so ihrer bedürfen, auch so ganz, daß ich muß auch meinen Glauben und Gerechtigkeit für meinen Nächsten setzen vor Gott, seine Sünden zuzudecken, sie auf mich nehmen und nicht anders tun, denn als wären sie mein eigen, eben wie Christus uns allen getan hat. Siehe, das ist die Natur der Liebe, wo sie wahrhaftig ist. Da ist sie aber wahrhaftig, wo der Glaube wahrhaftig ist. Darum gibt der heilige Apostel der Liebe zu eigen, 1. Kor. 13, daß sie nicht sucht das Ihre, sondern was des Nächsten ist.

Zum dreißigsten:
Aus dem allem folget der Beschluß, das ein Christenmensch lebt nicht in sich selbst, sondern in Christo und seinem Nächsten, in Christo durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe; durch den Glauben fährt er über sich in Gott, aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe, und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe, gleich wie Christus sagt, Johann. 1: »Ihr werdet noch sehen den Himmel offen stehen und die Engel auf- und absteigen über den Sohn des Menschen.« Siehe, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, welche alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde. Das gebe uns Gott, daß wir diese Freiheit recht verstehen und behalten! Amen.
Nach: Luther. Ausgewählt von Karl Gerhard Steck. Eingeleitet von Helmut Gollwitzer, Fischer-Bücherei Band 76 (S.73-95)

Die schmalkaldischen Artikel (1537)
Vorrede D. Martin Luthers
Da der Papst Paul, des Namens der Dritte, ein Konzil ausschrieb, im vergangenen Jahre auf die Pfingsten zu Mantua zu halten, und hernach von Mantua wegrückte, daß man noch nicht weiß, wohin er’s legen will oder kann, und wir uns auf unseren Teil versehen sollten, daß wir, entweder auch zum Konzil berufen oder unberufen, verdammt würden: wurde mir befohlen, Artikel unserer Lehre aufzustellen und zusammenzubringen, ob es zur Verhandlung käme, in was und in wieweit wir den Papisten weichen wollten oder könnten, und auf welchen wir endgültig zu beharren und zu bleiben gedächten.

Demnach habe ich diese Artikel zusammengebracht und unserem Teil überantwortet. Die sind auch von den Unsern angenommen und (von ihnen) einträchtig bekennet und beschlossen, daß man sie (wenn der Papst mit den Seinen einmal so kühn werden wollte, ohne Lügen und Trügen, mit Ernst und wahrhaftig ein recht freies Konzil zu halten, wie er es wohl schuldig wäre) öffentlich übergeben und als unseres Glaubens Bekenntnis vorbringen solle.

Aber weil sich der römische Hof so greulich vor einem freien Konzil fürchtet und das Licht so schändlich flieht, daß er auch denen, die auf seiner Seite sind, die Hoffnung genommen hat, als werde er jemals ein freies Konzil dulden, viel weniger es selbst halten. Daran ärgern sie sich denn, wie billig, sehr und haben nicht geringe Beschwerung drüber, weil sie daran merken, daß der Papst lieber die ganze Christenheit verloren und alle Seelen verdammt sehen wollte, ehe er sich oder die Seinen ein wenig reformieren und seiner Tyrannei ein Maß setzen lasse: So habe ich gleichwohl diese Artikel indes durch öffentlichen Druck an den Tag geben wollen, falls ich eher sterben sollte, als ein Konzil zustande käme (wie ich mich ganz versehe und verhoffe), weil die lichtflüchtigen und tagescheuenden Schelme so jämmerlich Mühe haben, das Konzil hinauszuziehen und zu verhindern; damit die, so nach mir leben und bleiben werden, mein Zeugnis und Bekenntnis haben, über das Bekenntnis hinaus, das ich zuvor habe ausgehen lassen, darauf ich auch noch bisher geblieben bin und bleiben will mit Gottes Gnade.

Denn was soll ich sagen? Wie soll ich klagen? Ich bin noch im Leben, schreibe, predige und lese täglich. Dennoch finden sich solche giftigen Leute nicht allein unter den Widersachern, sondern auch falsche Brüder, die unseres Teils sein wollen, die sich unterstehen, meine Schrift und Lehre stracks gegen mich zu führen; lassen mich zusehen und zuhören, obwohl sie wissen, daß ich anders lehre, und wollen ihr Gift mit meiner Arbeit schmücken und die armen Leute unter meinem Namen verführen; was will doch immermehr nach meinem Tode werden?
Ja, ich sollte billig alles verantworten, weil ich noch lebe. Ja wiederum: Wie kann ich allein alle Mäuler des Teufels stopfen? Sonderlich denen (wiewohl sie alle vergiftet sind), die nicht hören noch merken wollen, was wir schreiben, sondern allein an dem sich üben mit allem Fleiß, wie sie unsere Worte in allen Buchstaben aufs schändlichste verkehren und verderben mögen. Solchen lasse ich den Teufel antworten, oder zuletzt GOttes Zorn, wie sie (es) verdienen. Ich denke oft an den guten Gerson, der zweifelt, ob man etwas Gutes öffentlich schreiben sollte. Tut man’s nicht, so werden viele Seelen versäumet, die man erretten könnte: tut man’s aber, so ist der Teufel da mit unzähligen giftigen, bösen Mäulern, die alles vergiften und verkehren, so daß doch die Frucht verhindert wird. Doch was sie dran gewinnen, sieht man am Tage. Denn, weil sie so schändlich wider uns gelogen und die Leute mit Lügen haben behalten wollen, hat GOtt sein Werk immerfort getrieben, ihren Haufen immer kleiner und unsern größer gemacht und sie mit ihren Lügen zuschanden werden lassen, und noch immerfort.

Ich muß eine Geschichte erzählen: Es ist hier in Wittenberg ein Doktor gewesen, der aus Frankreich gesandt wurde, der hat vor uns öffentlich gesagt, daß sein König dessen gewiß und übergewiß wäre, daß bei uns keine Kirche, keine Obrigkeit, kein Ehestand sei, sondern es ginge alles durcheinander wie das Vieh, und jedermann täte, was er wollte. Nun rate, wie werden uns an jenem Tage vor dem Richtstuhl CHristi die ansehen, die durch ihre Schrift dem Könige und andern Ländern solch grobe Lügen als eitel Wahrheit vorgespiegelt haben? CHristus, unser aller Herr und Richter, weiß ja wohl, daß sie lügen und gelogen haben, das Urteil werden sie wiederum hören müssen, das weiß ich fürwahr. Gott bekehre, die zu bekehren sind, zur Buße! Für die andern wirds heißen: Weh und Ach ewiglich.

Und daß ich wieder zur Sache komme, ich möchte fürwahr wohl gerne ein recht christliches Konzil sehen, damit doch vielen Sachen und Leuten geholfen würde. Nicht, daß wir’s bedürfen, denn unsere Kirchen sind nun durch GOttes Gnaden mit dem reinen Wort und rechtem Brauch der Sakramente, mit Erkenntnis (der rechten Bedeutung) allerlei Ständen und rechten Werken so erleuchtet und versorgt, daß wir unsretwegen nach keinem Konzil fragen und in solchen Stücken vom Konzil nichts Besseres zu hoffen noch zu erwarten wissen; sondern da sehen wir in den (katholischen) Bistümern allenthalben viele Pfarren leer und wüst, daß einem das Herz brechen möchte. Und doch fragen weder Bischöfe noch Domherren danach, wie die armen Leute leben oder sterben, für die doch CHristus gestorben ist. Und sie sollen ihn nicht mit sich reden hören als den rechten Hirten mit seinen Schafen (Joh. 10, 12), so daß mir graut und bange ist, er könnte einmal ein Engelkonzil über Deutschland ergehen lassen, das uns alle in den Grund hinein verdirbt wie S o d o m und G o m o r r a, weil wir seiner so frevelhaft mit dem Konzil spotten.

Über solche notwendigen Kirchensachen wären auch in weltlichem Stande unzählige große Stücke zu bessern. Da ist Uneinigkeit der Fürsten und Stände, Wucher und Habsucht sind wie eine Sintflut eingerissen und eitel Recht geworden; Mutwille, Unzucht, Übermut mit Kleidern, Fressen, Spielen, Prangen, mit allerlei Untugend und Bosheit, Ungehorsam der Untertanen, Gesinde und Arbeiter, aller Handwerke, auch der Bauern Übersetzung (und wer kann’s alles aufzählen?) haben so überhand genommen, daß man’s mit zehn Konzilen und zwanzig Reichstagen nicht wieder zurecht bringen wird. Wenn man solche Hauptstücke des geistlichen und weltlichen Standes, die gegen GOtt sind, im Konzil behandeln würde, so würde man wohl alle Hände voll zu tun kriegen, daß man darüber wohl das Kinderspiel und Narrenwerk vergessen würde von langen (Priester)röcken, großen Tonsuren, breiten (Priester)gürteln, Bischofs- und Kardinalshüten oder -stäben und dergleichen Gaukelei. Wenn wir zuvor GOttes Gebot und Befehl im geistlichen und weltlichen Stande ausgerichtet hätten, so wollten wir Zeit genug finden, die Fastengebote, Kleider, Tonsuren und Meßgewänder zu reformieren. Wenn wir aber solche Kamele verschlingen und dafür Mücken säugen, die Balken stehen lassen und die Splitter richten wollen (Matth. 7,3-5), so könnten wir wohl auch mit dem Konzil zufrieden sein.

Darum habe ich wenige Artikel aufgestellt; denn wir haben ohnehin von GOtt so viele Befehle, in der Kirche, in der Obrigkeit, im Hause auszuführen, daß wir sie nimmermehr ausrichten können. Was soll’s denn, oder wozu hilft’s, daß man darüber im Konzil viele Dekrete
[Erlasse, Verordnungen, Beschlüsse, Verfügungen] und Satzungen macht? Insbesondere wenn man diese Hauptstücke, von GOtt geboten, nicht achtet noch hält? Gerade als müßte er unser Gaukelspiel feiern dafür, daß wir seine ernsten Gebote mit Füßen treten. Aber unsere Sünden drücken uns und lassen GOtt nicht gnädig über uns sein; denn wir büßen auch nicht, wollen dazu noch allen Greuel verteidigen.

Ach lieber Herr JEsus CHristus, halte du selber Konzil und erlöse die deinen durch deine herrliche Wiederkunft! Es ist mit dem Papst und den Seinen verloren. Sie wollen dein nicht. So hilf du uns Armen und Elenden, die wir zu dir seufzen und dich mit Ernst suchen, nach der Gnade, die du uns gegeben hast durch deinen Heiligen Geist, der mit dir und dem Vater lebt und regiert, ewiglich gelobt. Amen.

Der erste Teil
ist von den hohen Artikeln der göttlichen Majestät, als:
I. Daß Vater, Sohn und heiliger Geist, in einem göttlichen Wesen und Natur, drei unterschiedliche Personen, ein einiger GOtt ist, der Himmel und Erde geschaffen hat.

II. Daß der Vater von niemand, der Sohn vom Vater geboren, der heilige Geist vom Vater und Sohn ausgehend ist.

III. Daß nicht der Vater, noch heiliger Geist, sondern der Sohn sei Mensch geworden.

IV. Daß der Sohn sei also Mensch geworden, daß er vom heiligen Geist, ohne männliches Zutun empfangen und von der reinen, heiligen Jungfrau Maria geboren sei. Danach gelitten, gestorben, begraben, zur Hölle gefahren, auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten GOttes, künftig zu richten die Lebendigen und die Toten usw., wie der Apostel Glaubensbekenntnis, ferner das Bekenntnis des Athanasius und der allgemeine Kinderkatechismus lehrt.


Diese Artikel sind in keinem Zank noch Streit, weil wir zu beiden Teilen dieselben bekennen. Darum ist es nicht vonnöten, jetzt davon weiter zu handeln.

Der zweite Teil
ist von den Artikeln, die das Amt und Werk JEsu CHristi oder unsere Erlösung betreffen.
Hier ist der I. und Hauptartikel
Daß JEsus CHristus, unser GOtt und Herr sei, um unserer Sünde willen gestorben, und um unserer Gerechtigkeit willen auferstanden, Röm. 4,25.
Und er allein das Lamm Gottes ist, das der Welt Sünde trägt, Joh. 1,29. Und GOtt unser aller Sünde auf ihn gelegt hat, Jes. 53,6.
Ferner: Sie sind allzumal Sünder und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung JEsu CHristi in seinem Blut usw., Röm. 3,23.24.

Weil nun solches geglaubt werden muß und sonst mit keinem Werk, Gesetz noch Verdienst erlangt oder gefaßt werden kann, so ist es klar und gewiß, daß allein solcher Glaube uns gerecht mache. Wie Röm. 3,28 Paulus spricht: »Wir halten dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne Werke des Gesetzes, durch den Glauben«, desgleichen (Vers 26): »Auf daß er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an JEsu«.

Von diesem Artikel kann man (in) nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde oder was (sonst) nicht bleiben wird. »Denn es ist kein anderer Name den Menschen gegeben, dadurch wir können selig werden«, spricht Petrus Apostelgesch. 4,12, »und durch seine Wunden sind wir geheilt«, Jes. 53,5. Und auf diesem Artikel steht alles, was wir gegen den Papst, Teufel und alle Welt lehren und leben. Darum müssen wir dessen ganz gewiß sein und nicht zweifeln, sonst ist es alles verloren, und behält Papst und Teufel und alles wider uns den Sieg und Recht.

Der II. Artikel, von der Messe.
Daß die Messe im Papsttum der größeste und schrecklichste Greuel sein muß, weil sie stracks und unwiderleglich gegen diesen Hauptartikel strebt, und doch über und vor allen andern päpstlichen Abgöttereien die höchste und schönste gewesen ist. Denn es wird behauptet, daß solches Opfer oder Werk der Messe (auch durch einen bösen Buben getan) helfe den Menschen von Sünden, sowohl hier im Leben und dort im Fegefeuer; welches doch allein das Lamm Gottes tun soll und muß, wie oben gesagt. Von diesem Artikel ist auch nicht zu weichen oder nachzulassen; denn der erste Artikel leidet's nicht.

Und wo etwa vernünftige Papisten wären, möchte man dermaßen und in freundlicher Weise mit ihnen reden:

Erstens, warum sie doch so hart an der Messe festhielten? Ist’s doch ein bloßes Menschenfündlein, von GOtt nicht geboten. Und alle Menschenfündlein sollen wir fallen lassen, wie CHristus Matth. 15,9 sagt: »Sie dienen mir vergeblich mit Menschengeboten«.

Zum zweiten ist’s ein unnötiges Ding, das man ohne Sünde und Gefahr wohl lassen kann.

Zum dritten kann man das Sakrament auf viel bessere und seligere Weise (ja allein auf selige Weise) nach CHristi Einsetzung haben. Was ist’s denn, daß man um einer erdichteten, unnötigen Sache willen die Welt in Jammer und Not hineinzwingen wollte, wenn man’s sonst wohl und seliger haben kann? Man lasse den Leuten öffentlich predigen, wie die Messe, als ein Menschentand, ohne Sünde unterbleiben könne, und niemand verdammt werde, der sie nicht achte, sondern möge wohl ohne Messe, durch bessere Weise selig werden. Was gilt’s, ob die Messe alsdann nicht von selbst (weg)fallen wird, nicht allein bei dem tollen Pöbel, sondern auch bei allen frommen, christlichen, vernünftigen, gottfürchtigen Herzen? Umsomehr, wenn sie hören würden, daß sie eine gefährliches Ding ist, ohne GOttes Wort und Willen erdichtet und erfunden.

Zum vierten, weil solch unzählige, unaussprechliche Mißbräuche in aller Welt mit Kaufen und Verkaufen der Messe entstanden sind, sollte man sie billigerweise fahren lassen, auch schon allein, um solchen Mißbräuchen zu wehren, wenn sie gleich an sich selbst etwas Nützliches und Gutes hätte. Wieviel mehr aber soll man sie fahren lassen, solche Mißbräuche ewig zu verhüten, weil sie doch ganz unnötig, unnütz und gefährlich ist, und man alles nötiger, nützlicher und gewisser ohne die Messe haben kann.

Zum fünften: Da aber die Messe nichts anderes ist noch sein kann (wie der Meßkanon und alle Bücher sagen) als ein Werk der Menschen (auch böser Buben), damit einer sich selbst und andere mit GOtt versöhnen, Vergebung der Sünden und Gnade erwerben und verdienen will (denn so wird sie gehalten, wenn sie aufs allerbeste gehalten wird. Was sollte sie sonst?), so soll und muß man sie verdammen und verwerfen. Denn das ist stracks gegen den Hauptartikel, der da sagt: daß nicht ein böser oder frommer Meßknecht mit seinem Werk, sondern das Lamm GOttes und Sohn GOttes unsere Sünde trägt.

Und wenn einer zum guten Schein vorgeben wollte, er wolle (bloß) zur Andacht sich selbst berichten oder kommunizieren, so ist das nicht ernsthaftig. Denn wenn er mit Ernst kommunizieren will, so hat er’s sicher und aufs beste im Sakrament (Abendmahl), wie es nach der Einsetzung Christi gereicht wird. Aber sich selbst kommunizieren, ist ein Menschendünkel, ungewiss und unnötig, dazu verboten. Und er weiß auch nicht, was er macht, weil er ohne Gottes Wort falschem Menschendünkel (Menschenanmaßung) und –fündlein (Menschenerfindung) folgt. So ists auch nicht richtig (wenn alles sonst klar wäre), daß einer das gemeinsame Sakrament der Kirche nach seiner eigenen Andacht gebrauchen und damit nach seinem Gefallen, ohne Gottes Wort, außerhalb der Gemeinschaft der Kirche spielen (willkürlich verfahren) will.

Dieser Artikel von der Messe wird der Kernpunkt im Konzil sein. Denn wenn es möglich wäre, daß sie uns in allen anderen Artikeln nachgäben, so können sie doch in diesem Artikel nicht nachgeben. Wie der Campegius zu Augsburg gesagt hat: er wollte sich eher in Stücke zerreißen lassen, ehe er die Messe fahren lassen wollte. So werde ich mich auch, mit GOttes Hilfe, eher zu Asche machen lassen, ehe ich einen Meßknecht mit seinem Werk, er sei gut oder böse, meinem Herrn und Heiland JEsus CHristus gleich oder höher sein lasse. Also sind und bleiben wir ewig geschieden und gegeneinander. Sie fühlen’s wohl: wenn die Messe fällt, so liegt das Papsttum darnieder. Ehe sie das geschehen lassen, so töten sie uns alle, sofern sie es vermögen.

Über das alles hinaus hat dieser Drachenschwanz, die Messe, viel Ungeziefer und Gift von mancherlei Abgötterei gezeugt:

Erstens das Fegefeuer. Da hat man mit Seelenmessen, Vigilien, dem Siebenten, dem Dreißigsten und jährlichen Begängnissen, zuletzt mit der Gemeindewoche und dem Allerseelentag, und Seelbad ins Fegfeuer, gehandelt, so daß die Messe schier allein für die Toten gebraucht ist, während doch CHristus das Sakrament allein für die Lebendigen gestiftet hat. Darum ist das Fegefeuer mit allem seinem Gepränge, Gottesdienst und Geschäft für ein reines Teufelsgespenst zu halten. Denn es ist auch wider den Hauptartikel, daß allein CHristus, und nicht Menschenwerk, den Seelen helfen soll. Zudem ist uns auch sonst nichts von den Toten befohlen noch geboten. Deshalb sollte man es wohl (bleiben) lassen, auch wenn es kein Irrtum noch Abgötterei wäre (wie es doch tatsächlich der Fall ist).
Die Papisten führen hier Augustinus und etliche Väter an, die vom Fegfeuer geschrieben haben sollen, und meinen, wir sähen nicht, wozu und in welcher Absicht sie solche Sprüche anführen. St. Augustinus schreibt nicht, daß es ein Fegfeuer gebe, hat auch keine Schriftstelle, die ihn dazu zwänge, sondern läßt es im Zweifel hängen, ob es eines gebe, und sagt: seine Mutter habe begehrt, daß man ihrer am Altar oder beim Sakrament gedenken sollte. Nun solches alles ist ja nichts als Menschenandacht einzelner Personen gewesen, die keine Artikel des Glaubens (was allein GOtt zugehört) stiften. Aber unsere Papisten legen solche Menschenworte dahin aus, daß man ihrem schändlichen, lästerlichen, verfluchten Jahrmarkt von Seelenmessen, fürs Fegefeuer zu opfern usw., glauben solle. Solches werden sie noch lange nicht aus St. Augustinus beweisen. Wenn sie nun den fegefeurischen Messenjahrmarkt abgetan haben, davon St. Augustinus nie geträumt hat, alsdann wollen wir mit ihnen reden, ob St. Augustinus' Worte ohne Schriftgrundlage zu dulden seien, und der Toten bei dem Sakrament gedacht werden könne. Es geht nicht an, daß man aus der heiligen Väter Werk oder Wort Artikel des Glaubens macht. Sonst müßte es auch ein Artikel des Glaubens werden, was sie für Speise, Kleider, Häuser usw. gehabt hätten, wie man mit dem Heiligtum getan hat. Es heißt, GOttes Wort soll Artikel des Glaubens aufstellen, und sonst niemand, auch kein Engel.

Zum zweiten, ist daraus gefolgt: daß die bösen Geister viel Büberei angerichtet haben, daß sie als Menschenseelen erschienen sind, Messen, Vigilien, Wallfahrten und andere Almosen verlangt haben, mit unsäglichen Lügen und Schalkheiten. Welches haben wir alle für Artikel des Glaubens halten und danach leben müssen, und der Papst hat solches bestätigt, wie auch die Messe und alle anderen Greuel. Hier ist auch kein Weichen oder Nachlassen.

Zum dritten
die Wallfahrten. Auch da hat man Messen, Vergebung der Sünden und Gottes Gnade gesucht. Denn die Messe hat’s alles regiert. Nun ist das ja gewiss, daß solche Wallfahrten ohne GOttes Wort uns nicht geboten, auch nicht vonnöten sind, weil wir’s wohl besser haben und sie ohne alle Sünde und Gefahr unterlassen können. Warum vernachlässigt man denn daheim den eigenen Pfarrer, Gottes Wort, Weib und Kind usw., die nötig und geboten sind, und läuft den unnötigen, unsicheren, schädlichen Teufels Irrwischen nach? Nur weil der Teufel den Papst geritten hat, solches zu preisen und zu bestätigen, damit die Leute ja häufig von CHristus auf ihre eigenen Werke fielen und abgöttisch würden. Das ist das Ärgste dran, abgesehen davon, daß es unnötig, ungeboten, ungeraten und unsicher, dazu eine schädliche Sache ist. Darum ist hier auch kein Weichen oder Nachgeben usw. Und man lasse solches predigen, daß es unnötig, dazu gefährlich sei, danach wollen wir sehen, wo die Wallfahrten bleiben.

Zum vierten die Brüderschaften, wo sich die Klöster, Stifte, auch Vikaristen (in regelrechtem Kauf) alle Messen, guten Werke usw., beide für Lebende und für Tote verschrieben und mitgeteilt haben. Das ist nicht allein eitler Menschentand, ohne GOttes Wort, ganz unnötig und ungeboten, sondern auch wider den ersten Artikel der Erlösung und darum keineswegs zu dulden.

Zum fünften
das Heiligtum (Reliquienwesen), darin so manche öffentlichen Lügen und Narrenwerk erfunden worden sind, von Hunds- und Roßknochen. Es sollte auch um solcher Büberei willen, über die der Teufel gelacht hat, längst verdammt worden sein, wenngleich etwas Gutes daran wäre, dazu ist es auch ohne GOttes Wort, weder geboten noch geraten, ein ganz unnötiges und unnützes Ding. Aber das Ärgste ist, daß es auch Ablaß und Vergebung der Sünden hat wirken müssen, als ein gutes Werk und Gottesdienst, wie die Messe usw.
Zum sechsten: Hier gehört her der liebe Ablaß, der beiden, den Lebenden und den Toten, gegeben ist (doch um Geld), und worin der leidige Judas oder Papst das Verdienst CHristi, samt den überschüssigen Verdiensten aller Heiligen und der ganzen Kirche, verkauft usw. Das alles ist nicht zu dulden und auch nicht allein ohne GOttes Wort, ohne Not(wendigkeit), ungeboten, sondern dem ersten Artikel zuwider. Denn CHristi Verdienst wird nicht durch unser Werk oder Pfennig, sondern durch den Glauben aus Gnade erlangt, ohne alles Geld und Verdienst, nicht durch des Papstes Gewalt, sondern durch die Predigt oder GOttes Wort dargeboten.

Von Anrufung der Heiligen
Anrufung der Heiligen ist auch einer der antichristlichen Mißbräuche und streitet gegen den ersten Hauptartikel und tilgt die Erkenntnis CHristi. Ist auch nicht geboten noch geraten, hat auch kein Vorbild in der Schrift, und wir haben’s alles tausendmal besser an CHristus, wenn jenes gleich köstlich gut wäre, was es doch nicht ist.

Und obwohl die Engel im Himmel für uns bitten (wie es CHristus selbst auch tut), wie auch die Heiligen auf Erden, oder vielleicht auch im Himmel, so folgt daraus nicht, daß wir die Engel und Heiligen anrufen, anbeten, um ihretwillen fasten, feiern, Messe halten, opfern, Kirchen, Altar, Gottesdienst stiften und auf andere Weise mehr dienen und sie für Nothelfer halten und ihnen allerlei Hilfe zuschreiben und jeglichem eine besondere zueignen sollten, wie die Papisten es lehren und tun. Denn das ist Abgötterei, und solche Ehre gehört GOtt allein zu. Denn du kannst als ein Christ und Heiliger auf Erden für mich bitten nicht in einer, sondern in allen Nöten. Aber darum soll ich dich nicht anbeten, anrufen, feiern, für dich fasten, opfern, Messe halten dir zu Ehren und auf dich meinen Glauben zur Seligkeit setzen. Ich kann dich sonst auch ehren, lieben und dir danken in CHristus. Wenn nun solche abgöttische Ehre von den Engeln und toten Heiligen weggetan wird, so wird die andere Ehre ohne Schaden sein, ja bald vergessen werden. Denn wenn der Nutzen und Hilfe, sowohl leiblich als auch geistlich, nicht mehr zu erhoffen ist, werden sie die Heiligen wohl in Frieden lassen, sowohl im Grabe als auch im Himmel. Denn umsonst oder aus Liebe wird ihrer niemand viel gedenken, sie achten und ehren.
Und in Summa; was die Messe ist, und was daraus gekommen ist, was daran hängt, das können wir nicht dulden und müssen’s verdammen, damit wir das heilige Sakrament rein und gewiss nach der Einsetzung CHristi, durch den Glauben gebraucht und empfangen, behalten können.

Der III. Artikel, von Stiften und Klöstern.
Daß die Stifte und Klöster, vorzeiten in guter Meinung gestiftet, um gelehrte Leute und züchtige Weibsbilder zu erziehen, wiederum in solchen Brauch geordnet werden sollten, damit man Pfarrherren, Prediger und andere Kirchendiener haben könne, auch sonst notwendige Personen zu weltlichem Regiment in Städten und Ländern, auch wohlerzogene Jungfrauen zu Hausmüttern und Haushalterin usw.

Wo sie dazu nicht dienen wollen, ist’s besser, man lasse sie unbewohnt liegen oder reiße sie ein, als daß sie mit ihrem lästerlichen Gottesdienst, durch Menschen erdichtet, für etwas Besseres als der (all)gemeine Christenstand und die von GOtt gestifteten Ämter und Stände gehalten werden sollten. Denn das ist auch alles gegen den ersten Hauptartikel von der Erlösung durch JEsus CHristus. Zudem, daß sie auch (wie alle anderen Menschenfündlein) nicht geboten, nicht vonnöten, nicht nütze sind, dazu gefährliche und vergebliche Mühe machen, wie die Propheten solche Gottesdienste »Aven«, das ist (auf Hebräisch) »Mühe«, heißen.

Der IV. Artikel, vom Papsttum.
Daß der Papst nicht aus jure divino (göttlichem Recht) oder aus GOttes Wort das Haupt der ganzen Christenheit sei (denn das gehört einem allein zu, der heißt JEsus CHristus), sondern allein Bischof oder Pfarrherr der Kirche zu Rom und derjenigen, die sich, freiwillig oder durch menschliche Kreatur (das heißt durch weltliche Obrigkeit) ihm ergeben haben, nicht unter ihm als einem Herrn, sondern neben ihm als Brüder und Gesellen Christen zu sein, wie solches auch die alten Konzilien und die Zeit St. Cyprians beweisen.

Jetzt aber wagt kein Bischof den Papst Bruder zu nennen, wie zu der Zeit, sondern muß ihn seinen allergnädigsten Herrn heißen, wenn’s auch ein König oder Kaiser wäre. Das wollen, sollen und können wir nicht auf unser Gewissen nehmen; wer es aber tun will, der tue es ohne uns.
Hieraus folgt, das alles dasjenige, was der Papst aus solch falscher, frevelhafter, lästerlicher, angemaßter Gewalt getan oder vorgenommen hat, nichts als teuflische Geschichte und Geschäft gewesen ist und noch sei (außer was das leibliche Regiment anlangt, darin GOtt auch wohl durch einen Tyrannen und Bösewicht einem Volk viel Gutes geschehen läßt), zum Verderben der ganzen heiligen christlichen Kirche (soviel an ihm gelegen) und den ersten Hauptartikel zu zerstören, von der Erlösung durch JEsus CHristus.

Denn da stehen alle seine Bullen und Bücher, in denen er wie ein Löwe brüllt (wie der Engel Offenb. 10,3 darstellt), daß kein Christ selig werden könne, er sei ihm denn gehorsam und untertan in allen Dingen, was er will, was er sagt, was er tut. Welches alles nichts anderes ist, als allsoviel gesagt: Wenn du gleich an CHristus glaubst und alles an ihm hast, was zur Seligkeit nötig ist, so ist’s doch nichts und alles umsonst, wenn du mich nicht für deinen GOtt hältst, mir untertan und gehorsam bist. Dabei ist es doch offenbar, daß die heilige Kirche ohne Papst gewesen ist, zum wenigsten über fünfhundert Jahre, und daß bis auf diesen Tag die griechische und viele Kirchen anderer Sprachen noch nie unter dem Papst gewesen und auch jetzt noch nicht sind. So ist’s, wie oft gesagt, eine Menschenerdichtung, die nicht geboten, ohne Notwendigkeit und vergeblich ist. Denn die heilige christliche Kirche kann gut ohne ein solches Haupt bleiben, und wäre es wohl besser geblieben, wenn solches Haupt nicht durch den Teufel aufgeworfen worden wäre. Und es ist auch das Papsttum ohne Nutzen in der Kirche, denn es übt kein christliches Amt, und die Kirche muß also ohne den Papst bleiben und bestehen.

Und gesetzt den Fall, daß der Papst darauf verzichten wollte, daß er nicht auf Grund göttlichen Rechtes oder aus GOttes Gebot der Oberste wäre, sondern nur deshalb, damit die Einigkeit der Christen gegen die Rotten und Ketzer desto besser erhalten würde, müßte man ein Oberhaupt haben, daran sich die andern alle hielten. Solches Haupt würde nun durch Menschen erwählt, und es stünde in menschlicher Wahl und Gewalt, dieses Haupt zu ändern und abzusetzen, wie das Konzil zu Konstanz es ganz so mit den Päpsten hielt, setzte derer drei ab und wählte den vierten. Gesetzt nun den Fall (sage ich), daß der Papst und der Stuhl zu Rom solches (unter Aufgabe des Bisherigen) annehmen wollte - was doch unmöglich ist, denn er müßte sein ganzes Regiment und Stand mit allen seinen Rechten und Büchern umkehren und zerstören lassen, in Summa, er kann’s nicht tun - wäre dennoch damit der Christenheit nichts geholfen und es würden viel mehr Spaltungen werden als zuvor.

Denn weil man solchem Oberhaupt nicht aus Gottes Befehl untertan sein müßte, sondern aus menschlichem guten Willen, würde es gar leicht und bald verachtet, zuletzt keinen Anhänger behalten, müßte auch nicht immerdar zu Rom oder anderm Ort sein, sondern wo und in welcher Kirche Gott einen solchen Mann gegeben hätte, der tüchtig dazu wäre. O, das würde eine umständliches, unordentliches Wesen (Geschehen) werden!
Darum kann die Kirche niemals (besser) regiert und erhalten werden, als wenn wir alle unter einem Haupte, CHristus, leben und die Bischöfe alle, gleich nach dem Amt (obwohl sie ungleich nach den Gaben sind), fleißig zusammenhalten in einträchtiger Lehre, Glauben, Sakramenten, Gebeten und Werken der Liebe usw.; wie Hieronymus schreibt, daß die Priester zu Alexandria sämtlich und insgemein die Kirche regierten wie die Apostel auch getan und hernach alle Bischöfe in der ganzen Christenheit, bis der Papst seinen Kopf über alle erhob.

Dies Stück zeigt gewaltig, daß er der rechte Endchrist (Antichrist) oder Widerchrist sei, der sich über und wider CHristus gesetzt und erhöht hat, weil er die Christen nicht ohne seine Gewalt selig sein lassen will, die doch nichts ist, von GOtt nicht geordnet noch geboten. Das bedeutet es eigentlich: »sich über GOtt und wider GOtt setzen«, wie Paulus 2. Thess. 2,4 sagt.

So etwas tut nicht einmal der Türke und Tatar, wie große Feinde der Christen sie (auch) sind, sondern sie lassen an CHristus glauben, wer da will, und nehmen bloß Zins und leiblichen Gehorsam von den Christen.

Aber der Papst will nicht glauben lassen, sondern spricht: man solle ihm gehorsam sein, so werde man selig. Das wollen wir nicht tun, oder drüber sterben, in GOttes Namen. Das kommt alles daher, daß er nach göttlichem Recht der Oberste über die christliche Kirche hat heißen sollen. Darum hat er sich CHristus gleich und über CHristus setzen müssen, sich das Oberhaupt, hernach einen Herrn der Kirche, zuletzt auch der ganzen Welt, und geradezu einen irdischen Gott rühmen lassen, bis er auch den Engeln im Himmelreich zu gebieten sich unterstand.

Und wenn man des Papstes Lehre von der Heiligen Schrift unterscheidet, oder sie dagegen stellt und hält, so findet sich's, daß des Papstes Lehre dort, wo sie am allerbesten ist, aus dem kaiserlichen heidnischen Recht genommen ist und weltliche Händel und Gerichte lehrt, wie seine Erlasse bezeugen; danach lehrt sie Zeremonien von Kirchen, Kleidern, Speisen, Personen und des(gleichen) Kinderspiels, Larven- und Narrenwerks ohne Maß. Aber in diesem allen ist gar nichts von CHristus, Glauben und GOttes Geboten.

Zuletzt ist’s nichts als reine Teufelei, wenn er seine Lügen von Messen, Fegfeuer, Klosterwesen, eigenen Werken und Gottesdienst (was denn das rechte Papsttum ist) betreibt, über und wider Gott, verdammt, tötet und plagt alle Christen, die solchen seinen Greuel nicht über alles erheben und ehren. Darum, so wenig wir den Teufel selbst als einen Herrn oder Gott anbeten können, so wenig können wir auch seinen Apostel, den Papst oder Endchrist (Antichrist) in seinem Regiment als Haupt oder Herrn leiden. Denn Lügen und Mord, Leib und Seele auf ewig zu verderben, das ist eigentlich sein päpstliches Regiment, wie ich das in vielen Büchern bewiesen habe.

An diesen vier Artikeln werden sie im Konzil genug zu verdammen haben. Denn sie können noch wollen uns nicht das geringste Teilchen von einem dieser Artikel zugeben. Dessen müssen wir gewiß sein und der Hoffnung vertrauen, Christus, unser Herr, habe seinen Widersacher angegriffen und werde sich durchsetzen, beide mit seinem Geist und Zukunft (Wiederkunft). Amen.

Denn im Konzil werden wir nicht vor dem Kaiser oder weltlicher Obrigkeit (wie in Augsburg) - der ein ganz gnädiges Ausschreiben tat und in der Güte die Sachen untersuchen ließ - sondern vor dem Papst und dem Teufel selbst werden wir da stehen, der nichts zu hören, sondern schlechterdings zu verdammen gedenkt, zu morden und zur Abgötterei zu zwingen. Darum müssen wir hier nicht seine Füße küssen oder sagen: Ihr seid mein gnädiger Herr, sondern, wie bei Sacharja (Sach. 3,2) der Engel zum Teufel sprach: »Strafe dich GOTT, Satan«.

Der dritte Teil der Artikel
Folgende Stücke oder Artikel können wir mit Gelehrten, Vernünftigen oder unter uns selbst verhandeln. Der Papst und sein Reich achten sie nicht viel; denn das Gewissen gilt bei ihnen nichts, sondern Geld, Ehre und Gewalt ist’s gar.

I. Von der Sünde
Hier müssen wir bekennen, wie St. Paulus Röm. 5,12 sagt: daß die Sünde von Adam, dem einigen Menschen, hergekommen sei, durch dessen Ungehorsam alle Menschen Sünder geworden sind, dem Tode und dem Teufel unterworfen. Dies heißt die Erbsünde oder Hauptsünde.
Die Früchte dieser Sünde sind danach die bösen Werke, die in den zehn Geboten verboten sind, wie Unglaube, falscher Glaube, Abgötterei, ohne Gottesfurcht sein, Vermessenheit, Verzweifeln, Blindheit, und (in) Summa: GOtt nicht kennen oder achten. Danach: lügen, bei GOttes Namen schwören, nicht beten, nicht anrufen, GOttes Wort nicht achten, den Eltern ungehorsam sein, morden, Unkeuschheit, stehlen, trügen usw.
Solche Erbsünde ist eine so ganz tiefe, böse Verderbnis der Natur, daß sie keine Vernunft kennt, sondern aufgrund der Offenbarung der Schrift geglaubt werden muß (Ps. 51,7; Röm. 5,18; 2. Mose 33,19f.; 1. Mose 3,6ff.). Darum ist’s nichts als Irrtum und Blindheit gegen diesen Artikel, was die Schultheologen gelehrt haben, nämlich:

1. Daß nach dem Erbfall Adams die natürlichen Kräfte des Menschen ganz und unverderbt geblieben sind, und der Mensch von Natur eine rechte Vernunft und guten Willen habe, wie die Philosophen das lehren.

2. Desgleichen, daß der Mensch einen freien Willen habe, Gutes zu tun und Böses zu lassen und umgekehrt, Gutes zu lassen und Böses zu tun.

3. Desgleichen, daß der Mensch aus natürlichen Kräften alle Gebote GOttes zu tun und zu halten vermöge.

4. Desgleichen, er vermöge aus natürlichen Kräften GOtt zu lieben über alles und seinen Nächsten wie sich selbst.

5. Desgleichen, wenn ein Mensch tut, soviel an ihm ist, so gibt ihm GOtt gewiß seine Gnade.

6. Desgleichen, wenn er zum Sakrament gehen will, sei nicht ein guter Vorsatz nötig, Gutes zu tun, sondern es genüge, daß er nicht einen bösen Vorsatz, Sünde zu tun, habe; so ganz gut ist die Natur, und das Sakrament so kräftig.

7. Es sei nicht in der Schrift gegründet, daß zum guten Werke der Heilige Geist mit seiner Gnade vonnöten sei.

Solche und viele ähnliche Stücke sind aus Unverstand und Unwissenheit sowohl der Sünde als auch CHristi, unsers Heilandes, gekommen, rechte heidnische Lehre, die wir nicht dulden können. Denn wenn diese Lehre recht sein sollte, so ist CHristus vergeblich gestorben, weil kein Schade noch Sünde im Menschen ist, für die er sterben müßte, oder er wäre allein für den Leib, nicht auch für die Seele gestorben, weil die Seele gesund und allein der Leib des Todes ist.

II. Vom Gesetze
Hier halten wir dafür, daß das Gesetz von GOtt gegeben sei, erstens um der Sünde zu steuern durch Drohen und Schrecken mit der Strafe und durch Verheißen und Anbieten der Gnade und Wohltat. Aber solches alles ist der Bosheit wegen, die die Sünde im Menschen gewirkt hat, übel geraten. Denn die einen sind davon schlimmer geworden, nämlich die, die dem Gesetz feind sind, weil es verbietet, was sie gern tun, und gebietet, was sie ungern tun. Deshalb, wo sie es nur (ohne Furcht) vor der Strafe können, tun sie nun mehr gegen das Gesetz als zuvor. Das sind denn die rohen, bösen Leute, die Böses tun, wo sie Stätte und Raum haben.

Die andern werden blind und vermessen, lassen sich dünken, sie halten und können das Gesetz halten aus ihren Kräften, wie oben von den Schultheologen gesagt ist; daher kommen die Heuchler und falschen Heiligen.

Aber das vornehmste Amt oder Kraft des Gesetzes ist, daß es die Erbsünde mit den Früchten und allem offenbare und dem Menschen zeige, wie gar tief gefallen seine Natur und bodenlos verderbt ist, dem das Gesetz sagen muß, daß er keinen GOtt habe noch achte und fremde Götter anbete, was er zuvor, und ohne das Gesetz, nicht geglaubt hätte. Damit wird er erschreckt, gedemütigt, verzagt, verzweifelt, wollte gern, daß ihm geholfen würde und weiß nicht, wo (ein und) aus, fängt an, Gott feind zu werden und zu murren usw. Das heißt denn Röm. 4, 15: »Das Gesetz erregt Zorn« und Röm. 5, 20: »Die Sünde wird größer durchs Gesetz«.

III. Von der Buße
Dieses Amt (des Gesetzes) behält das Neue Testament und treibt’s auch, wie St. Paulus das Röm. 1, 18 tut, wenn er sagt: »Gottes Zorn wird vom Himmel offenbart über alle Menschen«, ebenso Röm. 3, 19f.; »Alle Welt ist vor Gott schuldig« und: »kein Mensch ist vor ihm gerecht«. Und CHristus Joh. 16, 8: »Der heilige Geist wird die Welt strafen um der Sünde willen«.

Das ist nun die Donneraxt (der Blitzstrahl) Gottes, womit er beide, die offenbaren Sünder und die falschen Heiligen, über den Haufen wirft und keinen recht haben läßt, treibt sie allesamt in Schrecken und Verzagen. Das ist der Hammer (wie Jeremia 23, 29 spricht): »Mein Wort ist ein Hammer, der die Felsen zerschmettert«. Das ist nicht activa contritio, eine gemachte Reue, sondern passiva contritio, das rechte Herzeleid, Leiden und Fühlen des Todes.

Und das heißt dann die rechte Buße anfangen, und (zwar) muß der Mensch hier dies Urteil hören: Es ist nichts mit euch allen, ihr seid offenkundige Sünder, ihr müßt alle anders werden und anders handeln, als ihr jetzt seid und handelt. Ihr mögt sein, wer und wie groß, weise, mächtig und heilig, wie ihr wollt: Hier ist niemand rechtschaffen.

Aber zu solchem Amt fügt das Neue Testament flugs die tröstliche Verheißung der Gnade durchs Evangelium hinzu, der man glauben solle; wie CHristus (Mark. 1, 15) sagt: »Tut Buße und glaubet dem Evangelium«, das ist: werdet und macht’s anders und glaubet meiner Verheißung. Und vor ihm wird Johannes ein Prediger der Buße genannt, doch zur Vergebung der Sünden, das heißt, er sollte sie alle strafen und zu Sündern machen, auf daß sie wüßten, was sie vor GOtt wären und sich als verlorene Menschen erkennen, und so für den Herrn bereit werden, die Gnade zu empfangen und die Vergebung der Sünden von ihm zu erwarten und anzunehmen. So sagt auch CHristus Luk. 24, 27 selbst: »Man muß in meinem Namen in aller Welt Buße und Vergebung der Sünden predigen«.

Wo aber das Gesetz dieses sein Amt allein treibt, ohne Zutun des Evangeliums, da ist der Tod und die Hölle und muß der Mensch verzweifeln wie Saul und Judas. Wie Paulus Röm. 7, 10 sagt: »Das Gesetz tötet durch die Sünde«. Umgekehrt gibt das Evangelium nicht (nur auf) einerlei Weise Trost und Vergebung, sondern (mannigfach) durchs Wort, Sakrament und dergleichen, wie wir hören werden, auf daß die Erlösung ja reichlich sei bei GOtt, wie der Ps. 130, 7 sagt, »gegen das große Gefängnis der Sünde«.

Aber jetzt müssen wir die falsche Buße der Sophisten gegen die rechte Buße halten, damit sie beide desto besser verstanden werden.

Von der falschen Buße der Papisten.
Unmöglich ist’s gewesen, daß sie recht von der Buße lehren sollten, weil sie die rechten Sünden nicht erkannten. Denn (wie oben gesagt) sie lehrten von der Erbsünde nicht recht, sondern sagen: die natürlichen Kräfte des Menschen seien ganz und unverderbt geblieben, die Vernunft könne recht lehren, und der Wille könne recht danach tun, daß Gott gewiß seine Gnade gibt, wenn ein Mensch tut, soviel an ihm ist, nach seinem freien Willen.
Hieraus mußte folgen, daß sie allein die »wirklichen Sünden« der Buße unterwarfen, wie böse, nicht unterdrückte Gedanken (denn böse Regung, Lust, Reizung war nicht Sünde), böse Worte, böse Werke, die der freie Wille wohl hätte unterlassen können.

Und für solche Buße setzten sie drei Teile ein: Reue, Beichte, Genugtuung, mit solcher Tröstung und Zusage: wo der Mensch recht bereute, beichtet, genugtut, so hätte er damit Vergebung verdient und die Sünde vor Gott bezahlt. Sie wiesen also die Leute in der Buße auf die Zuversicht auf die eigenen Werke. Daher kam das Wort auf der Kanzel, wenn man die allgemeine Beichte dem Volke vorsprach: Friste mir, HERR GOTT, mein Leben, bis ich meine Sünde büße und mein Leben bessere.

Hier war kein CHristus, und nicht des Glaubens gedacht, sondern man hoffte, mit eigenen Werken die Sünde vor GOtt zu überwinden und zu tilgen. Der Meinung wurden wir auch Pfaffen und Mönche, weil wir selbst gegen die Sünde angehen wollten.

Mit der Reue war es so beschaffen: Weil niemand alle seine Sünden bedenken konnte (besonders die das ganze Jahr hindurch begangenen), flickten sie den Pelz also (fanden sie so einen Ausweg): wenn die verborgenen Sünden später ins Gedächtnis kämen, müßte man sie auch (nachträglich) bereuen und beichten usw. Bis dahin waren sie Gottes Gnade befohlen.

Zudem, weil auch niemand wußte, wie groß die Reue sein sollte, damit sie ja vor GOtt genug wäre, gaben sie solchen Trost: wer nicht contritionem, das heißt Reue, haben konnte, der sollte attritionem (Reue aus Furcht vor Strafe) haben, was ich eine halbe oder den Anfang der Reue nennen möchte. Denn sie haben selbst alles beides nicht verstanden, wissen auch noch nicht, was es bedeuten solle, so wenig wie ich. Solche attritio wurde dann als contritio gerechnet, wenn man zur Beichte ging.

Und wenn es vorkam, daß etwa einer sprach, er könne nicht Reue noch Leid um seine Sünde haben, wie es in der Hurenliebe oder der Rachgier usw. geschehen sein mag, fragten sie, ob er denn nicht wünschte oder gern wollte, daß er Reue haben möchte? Sprach er dann: »Ja« (denn wer wollte hier Nein sagen, wenn nicht der Teufel selbst?), so nahmen sie es für die Reue an und vergaben ihm seine Sünde auf dieses sein gutes Werk hin. Hier führten sie St. Bernhard (von Clairvaux) als Beispiel an usw.

Hier sieht man, wie die blinde Vernunft in GOttes Sachen tappet und Trost in eigenen Werken, nach ihrem Gutdünken sucht und an CHristus oder den Glauben nicht denken kann. Wenn man’s nun bei Licht besieht, ist solche Reue ein gemachter und erdichteter Gedanke aus eigenen Kräften, ohne Glauben, ohne Erkenntnis CHristi, darin zuweilen der arme Sünder, wenn er an die Lust oder Rache gedacht, lieber gelacht als geweint hätte - ausgenommen, die entweder von dem Gesetze recht getroffen oder von dem Teufel vergeblich mit traurigem Geist geplagt gewesen sind -, sonst ist solche Reue gewiss lauter Heuchelei gewesen und hat der Sünden Lust nicht getötet. Denn sie mußten bereuen, hätten (aber) lieber mehr gesündigt, wenn es frei gewesen wäre.

Mit der Beichte stand es so: Ein jeder mußte alle seine Sünden aufzählen (was eine unmögliche Sache ist). Das war eine große Marter. Welche er aber vergessen hatte, wurden ihm unter der Bedingung vergeben, daß er sie, wenn sie ihm (hinterher) einfallen würden, noch hernach beichten müßte. Damit konnte er niemals wissen, wann er rein genug gebeichtet oder wann das Beichten einmal ein Ende haben sollte; dennoch wurde er gleichwohl auf sein Werk gewiesen und (ihm) gesagt: je reiner er beichte, und je mehr er sich schäme und sich selbst also vor dem Priester erniedrige, desto eher und besser werde er für die Sünde genugtun, denn solche Demut erwürbe gewißlich Gnade bei GOtt.

Hier war auch kein Glaube noch CHristus, und von der Kraft der Absolution wurde ihm nichts gesagt, sondern auf Sünden- Aufzählen und Sich-Schämen stand sein Trost. Es ist aber nicht zu erzählen, was für Marter, Büberei und Abgötterei solches Beichten angerichtet hat.

Die Genugtuung ist noch das Allerweitläufigste. Denn kein Mensch konnte wissen, wieviel er für eine einzige Sünde tun sollte, geschweige denn für alle. Hier fanden sie nun einen Rat, nämlich daß sie wenig als zur Genugtuung ausreichend festsetzten, was man gut einhalten konnte wie fünf Vaterunser, einen Tag fasten usw. Mit der übrigen Buße wies man sie ins Fegefeuer.

Hier war nun auch nichts als Jammer und Not. Etliche meinten, sie würden niemals aus dem Fegefeuer herauskommen, weil nach den alten Canonen (Bußregeln) sieben Jahre Buße auf eine Todsünde gehören. Dennoch stand die Zuversicht auch auf unserm Werk der Genugtuung. Und wenn die Genugtuung hätte vollkommen sein können, so hätte die Zuversicht ganz darauf gestanden und wäre weder der Glaube noch CHristus nützlich gewesen. Aber sie war unmöglich. Wenn nun einer hundert Jahre so gebüßt hätte, so hätte er doch nicht gewußt, wann er ausgebüßt hätte. Das hieß immerfort gebüßt und nimmermehr zur Buße kommen.

Hier kam nun der heilige Stuhl zu Rom der armen Kirche zu Hilfe und erfand den Ablaß; damit vergab er und hob die Genugtuung auf, zuerst einzeln: sieben Jahre, hundert Jahre usw., und teilte es unter die Kardinäle und Bischöfe auf, daß einer hundert Jahre, einer hundert Tage Ablaß geben konnte. Aber die ganze Genugtuung aufzuheben, behielt er (der Papst) sich allein vor.

Als das nun Geld einzutragen begann und der Bullenmarkt gut wurde, erdachte er das »Goldene Jahr« (das »heilige Jahr«) und legte es nach Rom; das hieß Vergebung aller Strafe und Schuld. Da liefen die Leute hinzu; denn es wollte jedermann gern die schwere, unerträgliche Last los werden. Das hieß die Schätze der Erde finden und erheben. Flugs eilte der Papst weiter und machte viele »Goldene Jahre« aufeinander. Aber je mehr Geld er verschlang, desto weiter wurde ihm der Schlund.

Darum schickte er’s danach durch Legaten (Gesandte) heraus in die Länder, bis alle Kirchen und Häuser voll »Goldener Jahre« wurden. Zuletzt rumpelte er auch ins Fegfeuer unter die Toten, zuerst mit Stiften von Messen und Vigilien, danach mit dem Ablaß und dem »Goldenen Jahr«, und endlich wurden die Seelen so wohlfeil, daß er eine (schon) um einen Schwertgroschen losgab.

Dennoch half auch das alles nicht. Denn der Papst, wiewohl er die Leute lehrte, sich auf solchen Ablaß zu verlassen und zu vertrauen, so machte er’s doch selbst umgekehrt auch ungewiss: Denn er setzte in seinen Bullen fest, wer des Ablasses oder »Goldenen Jahres« teilhaftig sein wollte, der sollte bereut und gebeichtet haben und Geld geben. Nun haben wir oben gehört, daß solche Reue und Beichte bei ihnen ungewiss und Heuchelei ist. Desgleichen wußte auch niemand, welche Seele im Fegefeuer wäre. Auch wenn etliche darin wären, wußte niemand, welche recht bereuet und gebeichtet hätten. Also nahm er das liebe Geld und vertröstete sie dieweil auf seine Gewalt und den Ablaß, und wies sie doch wiederum auf ihr unsicheres Werk zurück.

Da waren nun etliche, die sich nicht solcher »wirklichen Sünden« mit Gedanken, Worten und Werken schuldig fühlten, wie ich und meinesgleichen in Klöstern und Stiften, Mönche und Pfaffen, sein wollten, die wir mit Fasten, Wachen, Beten, Messehalten, harten Kleidern und Lager usw. uns gegen böse Gedanken wehrten und mit Ernst und Gewalt heilig sein wollten. Und wenn dann doch das erbliche angeborene Übel etwa im Schlaf tat (wie auch St. Augustinus und Hieronymus mit andern bekennen), was seine Art ist, so meinte doch ein jeglicher vom andern, daß etliche so heilig wären, wie wir lehrten, die ohne Sünde, voll guter Werke wären, so daß wir darauf unsere guten Werke andern, als für uns, um in den Himmel zu kommen, überflüssig, mitteilten und verkauften. Das ist wirklich wahr, und es sind Siegel, Briefe und Beispiele vorhanden.

Diese bedurften der Buße nicht. Denn was wollten sie bereuen, wo sie doch in böse Gedanken nicht einwilligten? Was wollten sie beichten, wo sie doch (böse) Worte vermieden? Wofür wollten sie genugtun, wo sie doch der Tat nach unschuldig waren? So konnten sie auch andern armen Sündern ihre überschüssige Gerechtigkeit verkaufen. Solche Heilige waren auch die Pharisäer und Schriftgelehrten zur Zeit Christi.

Hier kommt der feurige Engel St. Johannes, der Prediger der rechten Buße, und schlägt mit einem Donnerschlag alle beide in einen Haufen, spricht: »Tut Buße« (Matth. 3, 2). So denken jene: wir haben doch gebüßt. Diese denken: Wir bedürfen keiner Buße. Spricht Johannes: Tut alle beide Buße, denn ihr seid falsche Büßer. So sind diese falschen Heiligen: Ihr bedürft alle beide der Vergebung der Sünden, weil ihr alle beide noch nicht wißt, was die rechte Sünde sei, geschweige denn, daß ihr sie büßen oder meiden solltet. Es ist eurer keiner gut, ihr seid voller Unglauben, Unverstand und Unwissenheit GOttes und seines Willens. Denn da ist er vorhanden, von dessen Fülle wir alle nehmen müssen Gnade um Gnade (1. Joh. 1, 16), und ohne ihn kann kein Mensch vor GOtt gerecht sein. Darum, wollt ihr büßen, so büßet recht; eure Buße tut's nicht. Und ihr Heuchler, die ihr keiner Buße bedürft, ihr Schlangengeziefer, wer hat euch Sicherheit gegeben, daß ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? usw. (Matth. 3, 7).

Also predigt auch St. Paulus Röm. 3, 10-12 und spricht: »Es ist keiner verständig, keiner gerecht, keiner achtet GOttes, keiner tut Gutes, auch nicht einer; allzumal sind sie untüchtig und abtrünnig«. Und Apg. 17, 30: »Nun aber gebietet GOtt allen Menschen an allen Enden, Buße zu tun«. »Allen Menschen« (spricht er), »niemand ausgenommen, der ein Mensch ist«. Diese Buße lehrt uns die Sünde erkennen, nämlich, daß es mit uns allen verloren, an uns gar nichts Gutes ist, und daß wir schlechterdings neue und andere Menschen werden müssen.

Diese Buße ist nicht unvollständig und kümmerlich wie jene, die (nur) die wirklichen Sünden büßt, und ist auch nicht ungewiss wie jene. Denn sie disputiert nicht, was Sünde oder nicht Sünde sei, sondern stößt alles über den Haufen, spricht, es sei alles nichts als Sünde mit uns. Was wollen wir lange suchen, beurteilen oder unterscheiden? Darum ist auch hier die Reue nicht etwas Ungewisses; denn es bleibt nichts da, womit wir etwas Gutes ausdenken könnten, die Sünde zu bezahlen, sondern ein bloßes, eindeutiges Verzagen an allem, was wir sind, denken, reden oder tun usw.
Desgleichen kann die Beichte auch nicht falsch, ungewiss oder unvollkommen sein. Denn wer bekennt, daß alles mit ihm nichts als Sünde sei, der begreift alle Sünden, läßt keine aus und vergißt auch keine. Also kann die Genugtuung auch nicht ungewiß sein, denn sie ist nicht unser ungewisses, sündliches Werk, sondern das Leiden und Blut des unschuldigen Lämmleins GOttes, das der Welt Sünde trägt.

Von dieser Buße predigt Johannes und hernach CHristus im Evangelium und wir auch. Mit dieser Buße stoßen wir den Papst und alles, was auf unsere guten Werke gebaut ist, zu Boden. Denn es ist alles auf einen faulen, nichtigen Grund gebaut, der »gute Werke« oder »Gesetz« heißt, obwohl doch kein gutes Werk da ist, sondern lauter böse Werke. Und niemand tut das Gesetz (wie CHristus Joh. 7, 19 sagt), sondern sie übertreten es allzumal. Darum ist das Gebäude lauter falsche Lügen und Heuchelei, wo es am allerheiligsten und allerschönsten ist.

Und diese Buße währt bei den Christen bis in den Tod; denn sie beißt sich mit der übriggebliebenen Sünde im Fleisch durchs ganze Leben, wie St. Paulus Röm. 7, 23ff. bezeugt, daß er mit dem Gesetz seiner Glieder kämpfe usw., und das nicht durch eigene Kräfte, sondern durch die Gabe des Heiligen Geistes, die auf die Vergebung der Sünden folgt. Diese Gabe reinigt und fegt täglich die noch übrigen Sünden aus und arbeitet daran, den Menschen recht rein und heilig zu machen.

Hiervon wissen Papst, Theologen, Juristen noch irgendwelche anderen Menschen etwas, sondern es ist eine Lehre vom Himmel, durchs Evangelium offenbart, und muß Ketzerei heißen bei den gottlosen Heiligen.

Umgekehrt (gilt das auch) für den Fall, daß etliche Rottengeister kommen würden, wie vielleicht etliche bereits da vorhanden sind und zur Zeit des Aufruhrs (des Bauernkrieges) mir selbst vor Augen kamen, die da meinen, daß alle die, die einmal den Geist oder Vergebung der Sünden empfangen hätten oder gläubig geworden wären, auch wenn sie hernach sündigten, gleichwohl im Glauben blieben und ihnen solche Sünde nicht schade. Und so schreien sie: Tue, was du willst; glaubst du, so ist’s alles nichts; der Glaube vertilgt alle Sünde usw., und sagen dazu: Wenn jemand, nachdem er Glauben und Geist empfangen, sündigt, so habe er den Geist und Glauben nie recht gehabt. Solcher unsinnigen Menschen habe ich viele vor mir gehabt und ich fürchte, daß noch in etlichen solcher Teufel stecke.

Darum ist es vonnöten zu wissen und zu lehren, daß, wo die heiligen Leute über das, so sie die Erbsünde noch haben und fühlen, dawider auch täglich büßen und streiten, etwa in offenkundige Sünde fallen, wie David in Ehebruch, Mord und Gotteslästerung, daß alsdann der Glaube und Geist weg gewesen ist (2. Sam. 11). Denn der heilige Geist läßt die Sünde nicht walten und Überhand gewinnen, daß sie vollbracht werde, sondern steuert und wehrt, daß sie nicht tun darf, was sie will. Tut sie aber, was sie will, so ist der heilige Geist und Glaube nicht dabei. Denn es heißt, wie St. Johannes (1. Joh. 3, 9) sagt: »Wer aus GOtt geboren ist, der sündigt nicht und kann nicht sündigen«. Und es ist doch auch die Wahrheit, was derselbe Johannes (1. Joh. 1, 8) schreibt: »So wir sagen, daß wir nicht Sünde haben, so lügen wir, und GOttes Wahrheit ist nicht in uns«.

IV. Vom Evangelium
Wir wollen nun wieder zum Evangelium kommen, welches nicht nur auf eine Weise Rat und Hilfe gegen die Sünde gibt, denn GOtt ist überschwenglich reich in seiner Gnade:

Erstens durchs mündliche Wort, worin Vergebung der Sünde in aller Welt gepredigt wird, was das eigentliche Amt des Evangeliums ist;

zweitens durch die Taufe;

drittens durchs heilige Sakrament des Altars (das Abendmahl);

viertens durch die Kraft der Schlüssel und auch durch das wechselseitige Gespräch und die Tröstung der Brüder, Matth. 18, 20: »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen«.

V. Von der Taufe
Die Taufe ist nichts anderes als GOttes Wort im Wasser, durch seine Einsetzung befohlen, oder wie St. Paulus sagt: »das Wasserbad im Wort« (Eph. 5, 26), wie auch Augustinus sagt: »Wenn das Wort zum Element hinzutritt, wird daraus das Sakrament«. Und darum halten wir's nicht mit Thomas und den Predigermönchen, die das Wort »GOttes Einsetzung« vergessen und sagen: GOTT habe eine geistliche Kraft ins Wasser gelegt, die die Sünde durchs Wasser abwasche; auch nicht mit Scotus und den Barfüßermönchen, die da lehren, daß die Taufe die Sünden abwasche durch den Beistand göttlichen Willens, so daß diese Abwaschung allein durch GOttes Willen geschieht, gar nicht durchs Wort oder Wasser.
Von der Kindertaufe glauben wir, daß man die Kinder taufen solle; denn sie gehören auch zu der verheißenen Erlösung, durch CHristus geschehen, und die Kirche soll sie ihnen reichen.

VI. Vom Sakrament des Altars
Vom Sakrament des Altars glauben wir, daß Brot und Wein im Abendmahl der wahrhaftige Leib und Blut CHristi sei und nicht allein von gereicht und empfangen werde, von frommen, sondern auch von bösen.

Und daß man es nicht einer Gestalt allein geben solle. Und wir bedürfen der hohen Kunst nicht, die uns lehre, daß unter einer Gestalt so viel sei wie unter beiden, wie uns die Sophisten und das Konzil zu Konstanz lehren (wollen). Denn ob’s gleich wahr wäre, daß unter einer so viel sei wie unter beiden, so ist doch die einige Gestalt nicht die ganze Ordnung und Einsetzung, durch CHristus gestiftet und befohlen. Und besonders verdammen und verfluchen wir in GOttes Namen diejenigen, die nicht allein den Vollzug unter beiderlei Gestalt unterlassen, sondern (ihn) auch gar selbstherrlich zu verbieten wagen, (ihn) verdammen und als Ketzerei lästern, und sich damit gegen und über CHristus, unsern HErrn und GOtt, setzen usw.

Bei der Transsubstantiation (der Wandlungslehre) halten wir gar nichts von den Spitzfindigkeiten, wenn sie lehren, daß Brot und Wein ihr natürliches Wesen verlassen oder verlieren und allein Gestalt und Farbe des Brots bleibe und nicht rechtes Brot. Denn es reimt sich mit der Schrift aufs beste, daß Brot da sei und bleibe, wie es St. Paulus selbst 1. Kor. 10, 16 nennt: »Das Brot, das wir brechen«, und 1. Kor. 11, 28: »Also esse er von dem Brot«.

VII. Von den Schlüsseln
Die Schlüssel sind ein Amt und Gewalt, der Kirche von CHristus gegeben, die Sünden zu binden und zu lösen, nicht allein die groben und wohlbekannten Sünden, sondern auch die feinen, heimlichen, die GOtt allein erkennt; wie geschrieben steht Ps. 19, 13: »Wer weiß, wie oft er fehlet?« Und St. Paulus klagt selbst, Röm. 7, 23, daß er mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde diene. Denn es steht nicht bei uns, sondern bei GOtt allein, zu urteilen, welche, wie groß und wie viel die Sünden sind; wie geschrieben steht Ps. 143, 2; »Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein lebendiger Mensch gerecht«. Und auch St. Paulus sagt 1. Kor. 4, 4: »Ich bin mir wohl nichts bewußt, aber darum bin ich nicht gerecht«.

VIII. Von der Beichte
Weil die Absolution oder Kraft des Schlüssels auch eine Hilfe und Trost ist gegen die Sünde und böses Gewissen, im Evangelium durch CHristus gestiftet, so soll man die Beichte oder Absolution beileibe nicht in der Kirche aus der Übung kommen lassen, besonders um der verzagten Gewissen willen, auch um des jungen, ungebildeten Volkes willen, damit es in der christlichen Lehre verhört und unterrichtet werde.

Frei sein soll einem jeden aber die Aufzählung der Sünden, was er aufzählen oder nicht aufzählen will. Denn solange wir im Fleisch sind, werden wir nicht lügen, wenn wir sagen: Ich bin ein armer Mensch, voller Sünden; Röm. 7, 23: »Ich fühle ein anderes Gesetz in meinen Gliedern« usw. Denn weil die Privatbeichte von dem Amt der Schlüssel herkommt, soll man sie nicht verachten, sondern hoch und wert halten, wie alle andern Ämter der christlichen Kirche.

Und in diesen Stücken, die das mündliche, äußerliche Wort betreffen, ist fest dabei zu bleiben, daß GOtt niemand seinen Geist oder Gnade gibt, außer durch oder mit dem vorangehenden äußerlichen Wort: damit wir uns vor den Enthusiasten (den Schwärmern) bewahren, das heißt vor den Geistern, die sich rühmen, ohne (das Wort) und vor dem Wort den Geist zu haben, und die danach die Schrift oder das mündliche Wort nach ihrem Gefallen richten, deuten und dehnen, wie der (Thomas) Müntzer tat und heutigentags noch viele tun, die zwischen dem Geist und Buchstaben scharfe Richter sein wollen, und nicht wissen, was sie sagen oder behaupten. Denn das Papsttum ist auch nichts als Schwarmgeisterei (Enthusiasmus), darin der Papst sich rühmt, alle Rechte seien im Schrein seines Herzens, und was er mit seiner Kirche urteilt und befiehlt, das soll Geist und Recht sein, wenns gleich über und gegen die Schrift oder das mündliche Wort ist.

Das ist alles der alte Teufel und die alte Schlange, der Adam und Eva auch zu Enthusiasten machte, sie vom äußerlichen Worte GOttes auf Schwarmgeisterei und Eigendünkel führte, und tats doch auch durch andere äußerliche Worte. Gleichwie auch unsere Enthusiasten das äußerliche Wort verdammen, während sie doch selbst nicht schweigen, sondern die Welt voll plaudern und schreiben, gerade als könnte der Geist durch die Schrift oder das mündliche Wort der Apostel nicht kommen, aber durch ihre Schrift und Worte müßte er kommen. Warum unterlassen sie auch ihre Predigt und Schrift nicht, bis der Geist selbst in die Leute kommt, ohne und vor ihrer Schrift, wo sie doch rühmen, daß er in sie ohne Predigt der Schrift gekommen sei? Davon zu disputieren ist hier nicht weiter Zeit; wir haben’s sonst genugsam getrieben.

Denn auch die, die vor der Taufe glauben oder in der Taufe gläubig werden, haben’s durch’s vorhergehende äußerliche Wort. Die Alten z.B., die zu Vernunft gekommen sind, müssen zuvor das Wort gehört haben; »Wer da glaubt und getauft wird, der ist selig« (Mark. 16, 16), wenn sie auch gleich, von Anfang an gläubig, (erst) nach zehn Jahren den Geist und die Taufe kriegen. Cornelius, Apg. 10, 4ff., hatte lange zuvor bei den Juden vom künftigen Messias gehört, wodurch er gerecht vor GOtt und sein Gebet und Almosen in solchem Glauben angenehm waren (wie Lukas ihn gerecht und gottesfürchtig nennt). Ohne solch ein vorangehendes Wort oder Gehör konnte er weder glauben noch gerecht sein. Aber St. Petrus mußte ihm offenbaren, daß der Messias (an welchen er als an einen zukünftigen bis daher geglaubt hatte) bereits gekommen wäre, damit sein Glaube vom zukünftigen Messias ihn nicht bei den verstockten, ungläubigen Juden gefangen hielte, sondern damit er wüßte, daß er nun durch den gegenwärtigen Messias selig werden müßte und denselben nicht mit den Juden verleugnen noch verfolgen (sollte) usw.

In Summa: Der Enthusiasmus (das Schwarmgeistertum) steckt in Adam und seinen Kindern vom Anfang bis zum Ende der Welt, von dem alten Drachen in sie eingestiftet und eingegiftet, und ist Ursprung, Kraft und Macht aller Ketzerei, auch des Papsttums und Mohammeds. Darum sollen und müssen wir darauf beharren, daß Gott mit uns Menschen nicht (anders) handeln will als durch sein äußerliches Wort und Sakrament. Alles aber, was ohne dieses Wort und Sakrament vom Geist gerühmt wird, das ist der Teufel. Denn GOtt wollte auch Mose erst durch den feurigen Busch und mündliches Wort erscheinen (2. Mos. 3, 2). Und kein Prophet, weder Elias noch Elisa, haben außer oder ohne die zehn Gebote den Geist bekommen, und Johannes der Täufer wurde nicht ohne Gabriels vorangehendes Wort empfangen, noch sprang er ohne Marias Stimme in seiner Mutter Leibe (Luk. 1, 19, 41). Und St. Petrus spricht 2. Petr. 1, 21: »Die Propheten haben nicht aus menschlichem Willen, sondern aus dem heiligen Geist geweissagt, doch als die heiligen Menschen GOttes«. Aber ohne das äußerliche Wort waren sie nicht heilig, viel weniger hätte sie der heilige Geist zum Reden getrieben, als sie noch unheilig waren; denn sie waren heilig, sagt er, als der heilige Geist durch sie redete.

IX. Vom Bann.
Den »großen Bann«, wie es der Papst nennt, halten wir für eine rein weltliche Strafe, und der geht uns Kirchendiener nichts an. Aber der kleine, das heißt der rechte christliche Bann (gilt bei uns), daß man offenkundige, halsstarrige Sünder nicht zum Sakrament oder anderer Gemeinschaft der Kirche kommen lassen soll, bis sie sich bessern und die Sünde meiden. Und die Prediger sollen in diese geistliche Strafe oder Bann nicht die weltliche Strafe mengen.

X. Von der Weihe und Vocation (Berufung der Prediger).
Wenn die (katholischen) Bischöfe rechte Bischöfe sein und sich der Kirche und des Evangeliums annehmen wollten, so könnte man das um der Liebe und Einigkeit willen, doch nicht als Notwendigkeit, zugegeben sein lassen, daß sie uns und unsere Prediger ordinierten und konfirmierten (bestätigten), jedoch hintangesetzt alle Larven und Gespinste unchristlichen Wesens und Gepränges. Da sie nun aber nicht rechte Bischöfe sind oder es auch nicht sein wollen, sondern weltliche Herren und Fürsten, die weder predigen, noch lehren, noch taufen, noch kommunizieren (das Abendmahl spenden), noch irgendein Werk oder Amt der Kirche betreiben wollen, dazu diejenigen verfolgen und verdammen, die solches Amt berufen betreiben, so darf dennoch um ihretwillen die Kirche nicht ohne Diener bleiben.

Darum, wie uns die alten Beispiele der Kirche und der Väter lehren, wollen und sollen wir selbst tüchtige Personen zu solchem Amt ordinieren. Und das haben sie uns nicht zu verbieten noch zu verwehren, auch nach ihrem eigenen Rechte nicht. Denn ihre Rechte sagen, daß auch diejenigen, die von Ketzern ordiniert sind, ordiniert heißen und bleiben sollen. Gleichwie St. Hieronymus von der Kirche zu Alexandria schreibt, daß sie anfangs ohne Bischöfe, durch die Priester und Prediger gemeinsam regiert worden ist.

XI. Von der Priesterehe.
Daß sie die Ehe verboten und den göttlichen Stand der Priester mit dauernder Ehelosigkeit beschwert haben, dazu haben sie weder Fug noch Recht gehabt, sondern haben als die endchristlichen, tyrannischen, verzweifelten Buben gehandelt, und damit für allerlei erschreckliche, greuliche, unzählige Sünden der Unkeuschheit Ursache gegeben, worin sie denn noch (jetzt) stecken. So wenig nun uns oder ihnen Macht gegeben ist, aus einem Mann ein Frau oder aus einer Frau einen Mann zu machen oder den Unterschied zwischen beiden ganz aufzuheben, so wenig haben sie auch Macht gehabt, solche Kreatur (Ordnung) GOttes zu scheiden oder zu verbieten, daß sie nicht ehrlich und ehelich beieinander wohnen sollten. Darum wollen wir in ihren leidigen Zölibat (Verbot der Priesterehe) nicht einwilligen und ihn auch nicht leiden, sondern die Ehe frei haben, wie sie GOtt geordnet und gestiftet hat. Und wir wollen sein Werk nicht zerreißen noch hindern; denn St. Paulus sagt 1. Tim. 4, 1: es sei eine teuflische Lehre.

XII. Von der Kirche.
Wir gestehen es ihnen nicht zu, daß sie die Kirche seien, und sie sind’s auch nicht; und wir wollen’s auch nicht hören, was sie unter dem Namen der Kirche gebieten oder verbieten. Denn es weiß, GOtt Lob, (schon) ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei, nämlich die Heiligen, Gläubigen und die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören. Denn so beten die Kinder: Ich glaube eine heilige christliche Kirche. Diese Heiligkeit besteht nicht in Chorhemden, Tonsuren, langen Röcken und ihren andern Zeremonien, von ihnen über die heilige Schrift hinaus erdichtet, sondern im Wort GOttes und rechtem Glauben.

XIII. Wie man vor Gott gerecht wird, und von guten Werken.
Was ich davon bisher und stets gelehrt habe, das weiß ich auf keine Weise zu ändern, nämlich daß wir durch den Glauben (wie St. Petrus Apg. 15, 9 sagt) ein anderes, neues, reines Herz bekommen und GOtt um CHristi, unsers Mittlers willen, uns für ganz gerecht und heilig halten will und hält. Obwohl die Sünde im Fleisch noch nicht ganz weg oder tot ist, will er sie doch nicht rächen (anrechnen) noch von ihr wissen.

Und auf solchen Glauben, Erneuerung und Vergebung der Sünde folgen dann gute Werke. Und was an diesen auch noch sündlich oder mangelhaft ist, soll nicht für Sünde oder Mangel gerechnet werden, um eben desselben CHristi willen. Sondern der Mensch soll ganz, sowohl nach der Person als auch nach seinen Werken, gerecht und heilig heißen und sein, aus lauter Gnade und Barmherzigkeit, in CHristus über uns ausgeschüttet und ausgebreitet. Darum können wir nicht viel Verdienst unserer Werke rühmen, wenn sie ohne Gnade und Barmherzigkeit angesehen werden, sondern, wie 1. Kor. 1, 31 geschrieben steht: »Wer sich rühmet, der rühme sich des Herrn«, das heißt, daß er einen gnädigen GOtt hat. Damit ists alles gut. Wir sagen auch weiter, daß, wo gute Werke nicht folgen, der Glaube falsch ist und nicht recht.

XIV. Von Klostergelübden
Weil die Klostergelübde stracks wider den ersten Hauptartikel streiten, so sollen sie schlechthin abgetan sein. Denn sie sinds, von denen CHristus Matth. 24, 5 sagt: (»Es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen:) Ich bin Christus usw. (und werden viele verführen«). Denn wer da ein Klosterleben gelobt, der glaubt, daß er ein besseres Leben führe als der einfache Christenmensch und will durch seine Werke nicht allein sich selbst, sondern auch andern zum Himmel (ver)helfen: das heißt CHristum verleugnen. Und sie rühmen aus ihrem Thomas (von Aquin), daß das Klostergelübde der Taufe gleich sei. Das ist eine Gotteslästerung.

XV. Von Menschensatzungen
Daß die Papisten sagen: Menschensatzungen dienen zur Vergebung der Sünden oder verdienen die Seligkeit, das ist unchristlich und verdammt, wie CHristus (Matth. 15, 9) spricht: »Vergeblich dienen sie mir, weil sie solche Lehren lehren, die nichts als Menschengebote sind«. Ferner Tit. 1, 14: »welche sich von der Wahrheit abwenden«. Desgleichen, daß sie sagen, es sei Todsünde, solche Satzungen zu brechen, ist auch nicht recht.
Dies sind die Artikel, darauf ich stehen muß und stehen will bis in meinen Tod, so GOtt will. Und ich weiß darin nichts zu ändern noch nachzugeben. Will aber jemand etwas nachgeben, das tue er auf sein Gewissen.

Zuletzt ist noch der Gaukelsack des Papstes übrig mit närrischen und kindischen Artikeln, z.B. von Kirchweihe, von Glockentaufen, Altarsteintaufen und Gevattern dazu bitten, die dazu Patengeschenke machen usw. Dieses Taufen ist ein Spott und Hohn der heiligen Taufe, so daß man’s nicht dulden soll.

Danach von Lichtweihen, Palmen-, Fladen-, Gewürz-, Haferweihen usw., was doch nicht geweiht heißen noch sein kann, sondern nichts als Spott und Betrug ist. Und von diesem Gaukelwerk gibt es unzählig viel. Das befehlen wir ihrem Gott an und (überlassen) ihnen selbst, es anzubeten, bis sie es müde werden; wir wollen damit unverworren sein.
Nach: Die schmalkaldischen Artikel. Durch D. Martin Luthern geschrieben, Anno 1537
Gedruckt in Düsselthal. 1850


Der kleine Katechismus (1529)
Das erste Hauptstück:
Die zehn Gebote
Das erste Gebot
Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.

(1) Was ist das?
Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.

Das zweite Gebot
Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnützlich führen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.

(2) Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir bei seinem Namen nicht fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen, sondern denselben in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken.

Das dritte Gebot
Du sollst den Feiertag heiligen.

(3) Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern dasselbe heilig halten, gerne hören und lernen.

Das vierte Gebot
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß dir's wohlgehe und du lange lebest auf Erden.

(4) Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert haben.

Das fünfte Gebot
Du sollst nicht töten.

(5) Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unseren Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und fördern in allen Lebensnöten.

Das sechste Gebot

Du sollst nicht ehebrechen.

(6) Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir keusch und züchtig leben in Worten und Werken und ein jeglicher sein Gemahl lieben und ehren.

Das siebente Gebot
Du sollst nicht stehlen.

(7) Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsers Nächsten Geld oder Gut nicht nehmen noch mit falscher Ware oder Handel an uns bringen, sondern ihm sein Gut und Nahrung helfen bessern und behüten.

Das achte Gebot
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

(8) Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsern Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, afterreden oder bösen Leumund machen, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.

Das neunte Gebot
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.

(9) Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unserm Nächsten nicht mit List nach seinem Erbe oder Hause stehen und mit einem Schein des Rechts an uns bringen, sondern ihn dasselbe zu behalten förderlich und dienstlich sein.

Das zehnte Gebot

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist.

(10) Was ist das?
Wir sollen Gott lieben und fürchten, daß wir unserm Nächsten nicht sein Weib, Gesinde oder Vieh abspannen, abdringen oder abwendig machen, sondern dieselben anhalten, daß sie bleiben und tun, was sie schuldig sind.

(11) Was sagt nun Gott zu diesen Geboten allen?
Er sagt also: Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der über die, so mich hassen, die Sünde der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied; aber denen, so mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl in tausend Glied.

(12) Was ist das?
Gott dräuet (=drohet) zu strafen alle, die diese Gebote übertreten; darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn und nicht wider solche Gebote tun. Er verheißet aber Gnade und alles Gute allen, die solche Gebote halten; darum sollen wir ihn auch lieben und vertrauen und gerne tun nach seinen Geboten.

Das zweite Hauptstück:
Der Glaube
Der erste Artikel - Von der Schöpfung
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

(13) Was ist das?
Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit aller Notdurft und Nahrung dieses Leibes und Lebens mich reichlich und täglich versorget, wider alle Fährlichkeit beschirmet und vor allem Übel behütet und bewahret; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit; daß alles ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin.
Das ist gewißlich wahr.

Der zweite Artikel - Von der Erlösung

Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

(14) Was ist das?
Ich glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr, der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels; nicht mit Gold und Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben; auf daß ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit, gleichwie er ist auferstanden vom Tode, lebet und regieret in Ewigkeit.
Das ist gewißlich wahr.

Der dritte Artikel - Von der Heiligung
Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.
Amen


(15) Was ist das?
Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiliget und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben; in welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich vergibt und am Jüngsten Tag mich und alle Toten auferwecken wird und mir samt allen Gläubigen in Christus ein ewiges Leben geben wird.
Das ist gewißlich wahr.


Das dritte Hauptstück:

Das Vaterunser
(-> Mt 6,9-13; Lk 11,2-4)

Die Anrede
Vater unser im Himmel

(16) Was ist das?
Gott will damit uns locken, daß wir glauben sollen, er sei unser rechter Vater und wir seine rechten Kinder, auf daß wir getrost und mit aller Zuversicht ihn bitten sollen, wie die lieben Kinder ihren lieben Vater.

Die erste Bitte
Geheiligt werde dein Name.

(17) Was ist das?
Gottes Name ist zwar an sich selbst heilig; aber wir bitten in diesem Gebet, daß er auch bei uns heilig werde.

(18) Wie geschieht das?
Wo das Wort Gottes lauter und rein gelehrt wird und wir auch heilig, als die Kinder Gottes, danach leben. Dazu hilf uns, lieber Vater im Himmel. Wer aber anders lehret und lebet, denn das Wort Gottes lehret, der entheiligt unter uns den Namen Gottes. Davor behüte und, himmlischer Vater!

Die zweite Bitte
Dein Reich komme.

(19) Was ist das?
Gottes Reich kommt wohl ohne unser Gebet von sich selbst; aber wir bitten in diesem Gebet, daß es auch zu uns komme.

(20) Wie geschieht das?
Wenn der himmlische Vater uns seinen Heiligen Geist gibt, daß wir seinem heiligen Wort durch seine Gnade glauben und göttlich leben, hier zeitlich und dort ewiglich.

Die dritte Bitte

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.

(21) Was ist das?
Gottes guter, gnädiger Wille geschieht wohl ohne unser Gebet; aber wir bitten in diesem Gebet, daß er auch bei uns geschehe.

(22) Wie geschieht das?
Wenn Gott allen bösen Rat und Willen bricht und hindert, so uns den Namen Gottes nicht heiligen und sein Reich nicht kommen lassen wollen, als da ist des Teufels, der Welt und unsers Fleisches Wille; sondern stärket und behält uns fest in seinem Wort und Glauben bis an unser Ende. Das ist sein gnädiger, guter Wille.

Die vierte Bitte

Unser tägliches Brot gib uns heute.

(23) Was ist das?
Gott gibt täglich Brot, auch wohl ohne unsere Bitte, allen bösen Menschen; aber wir bitten in diesem Gebet, daß er's uns erkennen lasse und wir mit Danksagung empfangen unser täglich Brot.

(24) Was heißt denn täglich Brot?
Alles, was zur Leibes Nahrung und Notdurft gehört, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromm Gemahl, fromme Kinder, fromm Gesinde, fromme und treue Oberherren, gut Regiment, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.

Die fünfte Bitte
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

(25) Was ist das?
Wir bitten in diesem Gebet, daß der Vater im Himmel nicht ansehen wolle unsere Sünden und um derselben willen solche Bitten nicht versagen; denn wir sind der keines wert, das wir bitten, haben's auch nicht verdient; sondern er wolle es uns alles aus Gnaden geben, denn wir täglich viel sündigen und wohl eitel Strafe verdienen. So wollen wir wiederum auch herzlich vergeben und gerne wohltun denen, die sich an uns versündigen.

Die sechste Bitte
Und führe uns nicht in Versuchung

(26) Was ist das?
Gott versucht zwar niemand; aber wir bitten in diesem Gebet, daß uns Gott wolle behüten und erhalten, auf daß uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge und verführe in Mißglauben, Verzweiflung und andere große Schande und Laster; und ob wir damit angefochten würden, daß wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.

Die siebente Bitte
Sondern erlöse uns von dem Bösen

(27) Was ist das?
Wir bitten in diesem Gebet als in der Summa, daß uns der Vater im Himmel von allerlei Übel an Leib und Seele, Gut und Ehre erlöse und zuletzt, wenn unser Stündlein kommt, ein seliges Ende beschere und mit Gnaden von diesem Jammertal zu sich nehme in den Himmel.

Der Beschluß
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

(28) Was heißt Amen?
Daß ich soll gewiß sein, solche Bitten sind dem Vater im Himmel angenehm und erhöret. Denn er selbst hat uns geboten, also zu beten, und verheißen, daß er uns will erhören. Amen, Amen, das heißt: Ja, ja, es soll also geschehen.

Das vierte Hauptstück:
Das Sakrament der heiligen Taufe
Zum Ersten
(29) Was ist die Taufe?
Die Taufe ist nicht allein schlicht Wasser, sondern sie ist das Wasser in Gottes Gebot gefaßt und mit Gottes Wort verbunden.

(30) Welches ist denn solch Wort Gottes?

Da unser Herr Christus spricht bei Matthäus im letzten Kapitel: Gehet hin in alle Welt, lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
(-> Mt 28,18-20)

Zum andern
(31) Was gibt oder nützt die Taufe?
Sie wirkt Vergebung der Sünden, erlöset vom Tode und Teufel und gibt die ewige Seligkeit allen, die es glauben, wie die Worte und Verheißung Gottes lauten.

(32) Welches sind denn solche Worte und Verheißung Gottes?
Das unser Herr Christus spricht bei Markus im letzten Kapitel: Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wir verdammet werden.
(-> Mk 16,16)

Zum dritten
(33) Wie kann Wasser solch große Dinge tun?
Wasser tut's freilich nicht, sondern das Wort Gottes, so mit und bei dem Wasser ist, und der Glaube, so solchem Worte Gottes im Wasser trauet. Denn ohne Gottes Wort ist das Wasser schlicht Wasser und keine Taufe; aber mit dem Worte Gottes ist's eine Taufe, das ist ein gnadenreich Wasser des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im Heiligen Geist, wie Paulus sagt zu Titus im dritten Kapitel: Gott macht uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welchen er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesus Christus, unsern Heiland, auf daß wir durch desselben Gnade gerecht und Erben seine des ewigen Lebens nach der Hoffnung.
(-> Tit 3,5)
Das ist gewißlich wahr.

Zum vierten
(34) Was bedeutet denn solch Wassertaufen?
Es bedeutet, daß der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten; und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinigkeit vor Gott ewiglich lebe.

(35) Wo steht das geschrieben?
Der Apostel Paulus spricht zu den Römern im sechsten Kapitel: Wir sind samt Christus durch die Taufe begraben in den Tod, auf daß, gleichwie Christus ist von den Toten auferweckt durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln.
(-> Röm 6,4)

Der Taufbund
Ich entsage dem Teufel und allen seinen Werken und allem seinem Wesen und ergebe mich dir, du dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, im Glauben und Gehorsam Dir treu zu sein bis an mein letztes Ende.

Das fünfte Hauptstück:
Das Sakrament des Altars oder das heilige Abendmahl
Zum ersten
(42) Was ist das Sakrament des Altars?
Es ist der wahre Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken von Christus selbst eingesetzt.

(43) Wo steht das geschrieben?
So schreiben die heiligen Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und der Apostel Paulus: Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach's und gab's seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; solches tut zu meinem Gedächtnis. Desselbigengleichen nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl, dankte und gab ihnen den und sprach: Nehmet hin und trinket alle daraus: Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden; solches tut, so oft ihr's trinket, zu meinem Gedächtnis.
(-> Mt 26,26-28), (-> Mk 14,22-24), (-> Lk 22,19-20), (-> 1.Kor 11,23-25)

Zum anderen
(44) Was nützt denn solch Essen und Trinken?
Das zeigen uns diese Worte: Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden. Nämlich, daß uns im Sakrament Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit durch solche Worte gegeben wird, denn wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit.

Zum dritten
(45) Wie kann leiblich Essen und Trinken solch große Dinge tun?
Essen und Trinken tut's freilich nicht, sondern die Worte, so da stehen: Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden. Diese Worte sind neben dem leiblichen Essen und Trinken das Hauptstück im Sakrament. Und wer denselben Worten glaubt, der hat, was sie sagen und wie sie lauten, nämlich: Vergebung der Sünden.

Zum vierten
(46) Wer empfängt denn solch Sakrament würdiglich?
Fasten und leiblich sich bereiten ist wohl eine feine äußerliche Zucht; aber der ist recht würdig und wohl geschickt, wer den Glauben hat an diese Worte: Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden; wer aber diesen Worten nicht glaubt oder zweifelt, der ist unwürdig und ungeschickt; denn das Wort für euch fordert eitel gläubige Herzen.

Der Morgensegen
Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen. Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, daß du mich diese Nacht vor allem Schaden und Gefahr behütet hast, und bitte dich, du wollest mich diesen Tag auch behüten vor Sünden und allem Übel, daß dir all mein Tun und Leben gefalle. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir finde. Amen.

Der Abendsegen
Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen. Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, daß du mich diesen Tag gnädiglich behütet hast, und bitte dich, du wollest mir vergeben alle meine Sünden, wo ich unrecht getan habe, und mich diese Nacht gnädiglich behüten. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir finde. Amen

Tischreden

Was das sei: Gott ist Nichts und doch Alles
»Der Heide Plato disputiert von Gott, daß Gott Nichts sei und sei doch Alles. Welchem Eck und die Sophisten gefolget und doch nichts davon verstanden haben, wie ihre Worte anzeigen, die Niemand hat können verstehen. Aber also soll man's verstehen und davon reden:

Gott ist unbegreiflich und unsichtbar, was man aber begreifen und sehen kann, das ist nicht Gott.
Und das kann man auf eine andere Weise also sagen: Gott ist entweder sichtlich oder unsichtlich. Sichtlich ist er in seinem Wort und Werk: wo aber sein Wort und Werk nicht ist, da soll man ihn nicht haben wollen, denn er läßt sich anderswo nicht finden, denn wie er sich selbst offenbaret hat. Sie aber wollen Gott mit ihrem Spekulieren ergreifen, da wird nichts aus; ergreifen den leidigen Teufel dafür, der will auch Gott sein.

Aber ich vermahne und warne Jedermann, daß man das Spekulieren lasse anstehen und flattre nicht zu hoch, sondern bleibe hienieden bei der Krippe und Windeln, darinnen Christus liegt, in welchem wohnet die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, wie Paulus saget Kolos. 2, 9. Da kann man Gottes nicht fehlen, sondern trifft und findet ihn gewißlich. Ich wollt gerne, daß man diese Regel nach meinem Tode hielte«. S.60f.
Aus: Dr. Martin Luthers Tischreden oder Colloquia . . . In einer neuen Auswahl herausgegeben von Friedrich von Schmidt. Druck und Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig 1878

Von Gottes unerforschlicher Majestät
aus Dr. Martin Luthers Schreiben an M. Caspar Aquilam, Pfarrherrn zu Salfeld.
»Die Disputatio des Poeten, Euers Gastes, davon Ihr schreibet, von heimlichen verborgenen Werken Gottes, ist eine hohe Anfechtung, die man nennet Gotteslästerung, in welcher viel verloren und umkommen sind, und ich bin nicht einmal bis auf Todesgefahr damit angefochten worden. Und was ist's doch, daß wir arme elende Menschen grübeln, so wir doch nicht die Strahlen göttlicher Verheißungen mit dem Glauben fassen oder ein Fünklein von Gottes Geboten und Werken begreifen können, welche beide er doch selbst mit Worten und Wunderwerken bestätigt hat? Jedoch werden wir Schwachen und Unreinen gerissen und wollen erforschen und verstehen die unbegreifliche Majestät des unbegreiflichen Lichts der Wunder Gottes.

Wissen wir denn nicht, daß er wohnet in einem Licht, dazu man nicht kommen kann? Und gleichwohl gehen wir herzu, ja vermessen und dazu zu gehen! Wir wissen, daß seine Gerichte unbegreiflich und seine Wege unerforschlich sind (Römer 11, 33), und dennoch unterstehen wir uns, dieselben zu erforschen. Und das tun wir, eh und zuvor wir mit den Strahlen und Fünklein der Verheißungen und Geboten Gottes berichtet und begossen werden, ehe wir das ABC gelernet haben; sehen mit blinden Augen, wie ein Maulwurf, an die Majestät des Lichts, das nicht mit Worten noch Zeichen angezeiget, sondern heimlich im Verborgenen bedeutet ist. Was ist's denn Wunder, daß uns die Herrlichkeit überfället und überschüttet, weil wir nach der Majestät forschen? Was ist's Wunder, weil wir es umkehren und wollen aus Fürwitz, verkehrter, mutwilliger Weise das höchste, größte Licht der himmlischen Sonne vor dem Morgenstern sehen? Der Morgenstern, wie Sanct Petrus (2. Epist. 1, 19) sagt, gehe zuvor auf in unseren Herzen, alsdann erst werden wir ihn sehen im Mittage liegen und ruhen.

Lehren soll man zwar von Gottes unausforschlichem und unbegreiflichem Willen; aber sich unterstehen, denselben zu begreifen, das ist sehr gefährlich und man stürzt den Hals darüber ab. Ich zwar pflege an mich zu halten und wir selber zu steuern mit diesem des Herrn Christi Wort, daß er zu Petro sagt (Joh. 21, 22): »Folge mir nach, was geht's dich an«. Denn Petrus disputierte und bekümmerte sich auch von Gottes Werk, wie er's mit einem andern wollte machen, wie es Johannes würde gehen? Und wie er Philippo antwortet, der da sagte (Joh.14, 8):»Zeige uns den Vater«; was sprach er? »Glaubst du nicht, daß der Vater in mir ist, und ich im Vater (Joh. 14, 9-10). Denn Philippus hätte auch gerne wollen sehen die Majestät und Gesellschaft des Vaters. Darum sagt Salomon, der weise König: »Was dir zu hoch ist, darnach frage nicht«.

Und zu setzen, wenn wir gleich alle diese heimliche Gerichte Gottes wüßten, was Nutzes und Frommes brächte es uns mehr über Gottes Gebot und Verheißung?

Darum siehe und sage jenem, will er Frieden im Herzen haben und nicht sehen und erfahren die Gefahr der Lästerung und Verzweiflung, daß er sich solcher Gedanken entschlage und enthalte, weil er gewiß weiß, daß sie unbegreiflich sind. Warum wollte er sich vom Teufel lassen also plagen mit dem, was unmöglich ist? Gleich als wenn einer sehr sorgte und bekümmerte sich, wie doch das Erdreich auf dem Wasser könne bestehen, daß es nicht ersöffe und unterginge und dergleichen.

Vor allen Dingen aber und zum ersten übe er den Glauben an Gottes Verheißungen und Werke seiner Gebote. Wenn er solchen verrichtet und gehalten hat, so sehe er, ob er sich auch mit unmöglichen Dingen bemühen solle. Wird er die nicht hören, noch derselben annehmen, so sehe er zu, daß es ihn nicht zu langsam gereue, weil kein ander Rat nicht ist, denn solche Gedanken ausschlagen und verachten, wiewohl es sehr schwer ist, sie zu verachten und auszuschlagen; so treibet der Teufel. Denn der Forscher und Bösewicht machet sie nötig zu erforschen; darum muß man hie nicht weniger kämpfen mit der Verachtung als mit dem Unglauben, Verzweiflung, Ketzerei oder andern dergleichen Anfechtungen.

Der größte Haufe wird damit betrogen, daß sie nicht glauben, daß solche Gedanken vom Teufel herkommen, damit er die Leute anficht und versucht; darum verachtet sie schier Niemand nicht, und da er es gleich verachtet, so kämpft er nicht wider solche feurige, verliebte Pfeile der Fürsten der Welt, die im Finsternis dieser Welt herrschen und mit den bösen Geistern unter dem Himmel, wie Sanct Paulus (Ephes. 6, 12) sagt. Denn durch sie ist der Satan vom Himmel gefallen und daraus verstoßen worden, da er dem Allerhöchsten wollte gleich sein und Alles wissen, was Gott weiß, und verachtet zu wissen, was er sollte wissen und ihm von Nöten war.

Darum soll man dafür fliehen und sich hüten, und nicht klüger sein wollen, denn sich's gebühret, sondern bescheidentlich mit Maße handeln. Wer das nicht tut, der wird unterdrückt und muß vergehen, denn von Christo kann man nichts gedenken, so lange diese Gedanken währen und regieren.

Also stürzte der Satan durch die Schlange Adam auch, da er ihn betrog und anfocht von Gottes Weisheit und Willen indem, daß er nicht sollte essen von dem verbotenen Baum.

Summa, dies ist die fürnehmste und höchste Versuchung und eigentlich ganz und gar teuflisch; darum ist's genug, mit menschlicher Anfechtung versucht werden. Wir haben dennoch genug damit zu tun, dürfen uns mit solchen teuflischen Gedanken nicht bekümmern, noch ihnen Statt und Raum geben; denn wir können sie nicht ertragen, sondern wer ihnen nachhängt, dem stürzen sie den Hals ab.

Desgleichen wollet auf die andere Frage antworten und ihm sagen: Daß er warte seines Amts, das ihm Gott befohlen hat, und lasse das fahren, was ihm nicht befohlen ist, nehmlich warum ihn ein ander nicht höre. Was gehet dich's an ? sagt Christo zu Petro (Joh. 21, 22). Folge du mir. Mir, mir folge, nicht deinen Fragen
oder Gedanken«!
21. Otober1530.
S.63ff.
Aus: Dr. Martin Luthers Tischreden oder Colloquia . . . In einer neuen Auswahl herausgegeben von Friedrich von Schmidt
. Druck und Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig 1878

Ob auch das Licht der Vernunft zur Theologie diene?
Unterscheide ich also: die Vernunft, so vom Teufel besessen ist, tut großen Schaden in Gottes Sachen, und je größer und geschickter sie ist, desto größeren Schaden tut sie. Wie wir an weisen, klugen Weltleuten sehen, die mit ihrer Vernunft mit Gottes Wort nicht übereinstimmen; ja, je verständiger und klüger sie sind, je mehr und hoffärtiger sind sie wider Gottes Wort.

Wenn sie aber vom Heiligen Geist erleuchtet wird, so hilft sie judizieren und urteilen die Heilige Schrift. Des Gottlosen Zunge lästert Gott; meine aber lobt und preiset ihn, und doch ist sie ein Glied, Instrument und Werkzeug; an beiden ist‘s eben eine Zunge, vor wie nach dem Glauben; und die Zunge für sich selbst, als eine Zunge, hilft nichts zum Glauben, und doch dient sie ihm, wenn das Herz erleuchtet ist.

Also dienet die Vernunft dem Glauben auch, daß sie einem Dinge nachdenket, wenn sie erleuchtet ist; aber ohne Glauben hilft die Vernunft gar nichts, sie kann es auch nicht, ja, sie schadet mehr; wie die Zunge ohne Glauben, für sich selbst, redet eitel Gotteslästerung. Wenn aber die Vernunft erleuchtet ist, so nimmt sie alle Gedanken aus Gottes Wort, nach demselbigen richtet und lenkt sie diese auch. Die Substanz und das Wesen an im selbst bleibt, wie es geschaffen ist, die Eitelkeit aber und das Böse gehet unter, wenn die Vernunft vom Heiligen Geist erleuchtet wird.
S.79
Aus: Dr. Martin Luthers Tischreden oder Colloquia . . . In einer neuen Auswahl herausgegeben von Friedrich von Schmidt. Druck und Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig 1878