Homer, gr.Homeros, lt. Homerus (8. Jh. v. Chr.)

  Griechischer Dichter, der in der Philologie zunächst als fiktive Persönlichkeit betrachtet, heute aber als historische Person (wandernder blinder? Rhapsode) anerkannt wird. Homer soll nach der antiken Tradition die Epen »Ilias« und »Odyssee« verfasst haben, in denen ausführlich auf die griechische Götterwelt, die Unterwelt (Hades) sowie die Belohnungen und Strafen in den damit verbundenen Unsterblichkeitsvorstellungen eingegangen wird, wodurch er für die Griechen zum ersten und eigentlichen Gestalter ihrer frühen Weltanschauung wurde. Die folgenden Textstellen sind von Heinrich Voß vom Griechischen ins Deutsche übersetzt worden.

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Inhaltsverzeichnis

Nur einer sei Herrscher
Gottvertrauen
Verdammung von Zank und Zorn
Schicksal
Hunger lässt alles andere vergessen
Gott schafft die Menschen ungleich
Geduld ist besser als Ungeduld
Unsterblichkeitsvorstellungen
Lohn und Strafe der Toten
Orions Schicksal
Tityos’ Strafe
Tantalusqualen
Sisyphusarbeit
Lohn des Herakles
 

Nur einer sei Herrscher
Niemals frommt Vielherrschaft im Volk; nur einer sei Herrscher,
Einer König allein, dem der Sohn des verborgenen Kronos
Zepter gab und Gesetze, daß ihm die Obergewalt sei.
S. 25
Aus: Homer, Ilias nach der Übertragung von Johann Heinrich Voß, Zweiter Gesang, Zeile 204-206, Wilhelm Goldmann Verlag München

Gottvertrauen
Leicht wohl könntest du sonst ein Besseres raten denn solches!
Aber wofern du wirklich in völligem Ernste geredet,
Sieh, dann raubeten dir die Unsterblichen selbst die Besinnung:
Der du befiehlst, zu vergessen des Donnerers Zeus Kronion
Ratschluß, welchen er selbst mir zugewinkt und gelobet.
Aber du ermahnest, den weitgeflügelten Vögeln
Mehr zu vertraun. Ich achte sie nicht, noch kümmert mich solches,
Ob sie rechts hinfliegen zum Tagesglanz und zur Sonne,
Oder auch links dorthin, zum nächtlichen Dunkel gewendet.
Nein, des erhabenen Zeus Ratschluß vertrauen wir lieber,
Der die Sterblichen all‘ und unsterbliche Götter beherrschet!
S.170
Aus: Homer, Ilias nach der Übertragung von Johann Heinrich Voß, Zwölfter Gesang, Zeile 233-242, Wilhelm Goldmann Verlag München

Verdammung von Zank und Zorn
Möchte der Zank aus Göttern und sterblichen Menschen vertilgt sein,
Und der Zorn, der selbst auch den Weiseren pflegt zu erbittern:
Der, weit süßer zuerst denn sanfteingleitender Honig,
Bald in der Männer Brust aufwächst wie dampfendes Feuer!
S. 260
Aus: Homer, Ilias nach der Übertragung von Johann Heinrich Voß, Achtzehnter Gesang, Zeile 106-110, Wilhelm Goldmann Verlag München

Schicksal
Mögen die Götter dir schenken, so viel dein Herz nur begehret,
Einen Mann und ein Haus, und euch mit seliger Eintracht
Segnen! Denn nichts ist besser und wünschenswerter auf Erden,
Als wenn Mann und Weib, in herzlicher Liebe vereinigt,
Ruhig ihr Haus verwalten: den Feinden ein kränkender Anblick,
Aber Wonne den Freunden; und mehr noch genießen sie selber!
Ihm antwortete drauf die lilienarmige Jungfrau:
Keinem geringen Manne noch törichten gleichst du, o Fremdling.
Aber der Gott des Olympos erteilet selber den Menschen,
Vorrnehm oder geringe, nach seinem Gefallen ihr Schicksal.
Dieser beschied dir dein Los, und dir geziemt es zu dulden.
S. 72
Aus: Homer, Odyssee nach der Übertragung von Johann Heinrich Voß, Sechster Gesang, Zeile 180-190, Wilhelm Goldmann Verlag München

Hunger lässt alles andere vergessen
Keinem Unsterblichen gleich, die den weiten Himmel bewohnen,
Weder an Kleidung noch Wuchs; ich gleiche sterblichen Menschen.
Kennt ihr einen, der euch der unglückseligste aller
Sterblichem scheint, ich bin ihm gleich zu achten an Elend!
Ja, ich wüßte vielleicht noch größere Leiden zu nennen,
Welche der Götter Rat auf meine Seele gehäuft hat!
Aber erlaubt mir nun zu essen, wie sehr ich auch traure.
Denn nichts ist unbändiger als der zürnende Hunger,
Der mit tyrannischer Wut an sich die Menschen erinnert,
Selbst den leidenden Mann mit tief bekümmerter Seele.
Also bin ich von Herzen bekümmert; aber beständig
Fordert er Speis und Trank, der Wüterich! und ich vergesse
Alles was ich gelitten, bis ich den Hunger gesättigt
. S. 80
Aus: Homer, Odyssee nach der Übertragung von Johann Heinrich Voß, Siebenter Gesang, Zeile 209-229, Wilhelm Goldmann Verlag München

Gott schafft die Menschen ungleich
Wisse, Gott verleiht nicht alle vereinigte Anmut
Allen sterblichen Menschen: Gestalt und Weisheit und Rede.
Denn wie mancher erscheint in unansehnlicher Bildung,
Aber es krönet Gott die Worte mit Schönheit, und alle
Schaun mit Entzücken auf ihn; er redet sicher und treffend,
Mit anmutiger Scheu; ihn ehrt die ganze Versammlung;
Und durchgeht er die Stadt, wie ein Himmlischer wird er betrachtet.
Mancher andere scheint den Unsterblichen ähnlich an Bildung,
Aber seinen Worten gebricht die krönende Anmut.
Also prangst auch du mit reizender Bildung; nicht schöner
Bildete selber ein Gott: doch dein Verstand ist nur eitel
. S. 87
Aus: Homer, Odyssee nach der Übertragung von Johann Heinrich Voß, Achter Gesang, Zeile 167-177, Wilhelm Goldmann Verlag München

Geduld ist besser als Ungeduld
Siehe, kein Wesen ist so eitel und unbeständig
Als der Mensch, von allem, was lebt und webet auf Erden.
Denn solange die Götter ihm Heil und blühende Jugend
Schenken, trotzt er und wähnt, ihn treffe nimmer ein Unglück.
Aber züchtigen ihn die seligen Götter mit Trübsal,
Dann erträgt er sein Leiden mit Ungeduld und Verzweiflung
Denn wie die Tage sich ändern, die Gott vom Himmel uns sendet,
Ändert sich auch das Herz der erdebewohnenden Menschen.
Siehe, ich selber war einst ein glücklicher Mann, und verübte
Viel Unarten, vom Trotz und Übermute verleitet,
Weil mein Vater mich schützte und meine mächtigen Brüder. ,
Drum erhebe sich nimmer ein Mann und frevele nimmer;
Sondern genieße, was ihm die Götter bescheren, in Demut!
S. 207
Aus: Homer, Odyssee nach der Übertragung von Johann Heinrich Voß, Achtzehnter Gesang, Zeile 129-141, Wilhelm Goldmann Verlag München

Unsterblichkeitsvorstellungen
Lohn und Strafe der Toten
Und ich wandte den Blick auf Minos, den göttlichen Zeus‘ Sohn:
Dieser saß, in der Hand das goldene Zepter, und teilte
Strafe den Toten und Lohn; sie rechteten rings um den König,
Sitzend und stehend, im weitgeöffneten Hause des Ais.


Orions Schicksal
Und nach diesem erblickt ich den ungeheuren Orion.
Auf der Asphodeloswiese verfolgt‘ er die drängenden Tiere,
Die er im Leben einst auf wüsten Gebirgen getötet:
In den Händen die eherne, nie zerbrechliche Keule.

Tityos’ Strafe
Auch den Tityos sah ich, den Sohn der gepriesenen Erde.
Dieser lag auf dem Boden und maß neun Hufen an Länge;
Und zween Geier saßen ihm links und rechts und zerhackten
Unter der Haut ihm die Leber; vergebens scheuchte der Frevler,
Weil er Leto entehrt, Zeus‘ heilige Lagergenossin,
Als sie gen Pytho ging durch Panopeus‘ liebliche Fluren.


Tantalusqualen
Auch den Tantalos sah ich, mit schweren Qualen belastet.
Mitten im Teiche stand er, das Kinn von der Welle bespület,
Lechzte hinab vor Durst und konnte zum Trinken nicht kommen.
Denn sooft sich der Greis hinbückte, die Zunge zu kühlen,
Schwand das versiegende Wasser hinweg, und rings um die Füße
Zeigte sich schwarzer Sand, getrocknet vom feindlichen Dämon.
Fruchtbare Bäume neigten um seinen Scheitel die Zweige,
Voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven,
Oder voll süßer Feigen und rötlichgesprenkelter Äpfel.
Aber sobald sich der Greis aufrechte, der Früchte zu. pflücken,
Wirbelte plötzlich der Sturm sie empor zu den schattigen Wolken.


Sisyphusarbeit
Auch den Sisyphos sah ich, von schrecklicher Mühe gefoltert
Einen schweren Marmor mit großer Gewalt fortheben.
Angestemmt arbeitet‘ er stark mit Händen und Füßen,
Ihn von der Au aufwälzend zum Berge. Doch glaubt‘ er ihn jetzo
Auf den Gipfel zu drehn, da mit einmal stürzte die Last um,
Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor
Und von vorn arbeitet‘ er, angestemmt, daß der Angstschweiß
Seinen Gliedern entfloß und Staub sein Antlitz umwölkte


Lohn des Herakles
Und nach diesem erblickt ich die hohe Kraft Herakles‘,
Seine Gestalt; denn er selber feirt mit den ewigen Göttern
Himmlische Wonnegelag‘ und umarmt die blühende Hebe,
Zeus‘, des gewaltigen, Tochter und Heres mit goldenen Sohlen.
Ringsum schrie, wie Vögelgeschrei, das Geschrei der gescheuchten
Flatternden Geister um ihn; er stand, der graulichen Nacht gleich,
Hielt den entblößten Bogen gespannt, und den Pfeil auf der Sehne,
Schauete drohend umher und schien beständig zu schnellen.
Seine Brust umgürtet‘ ein fürchterlich Wehrgehenke,
Wo, getrieben aus Gold, die Wunderbildungen strahlten:
Bären und Eber voll Wut und grimmig funkelnde Löwen,
Treffen und blutige Schlachten und Niederlagen und Morde.
Immer feire der Künstler, auf immer von seiner Arbeit,
Der ein solches Gehenke mit hohem Geiste gebildet!
S. 134f.
Aus: Homer, Odyssee nach der Übertragung von Johann Heinrich Voß, Elfter Gesang, Zeile 568-614, Wilhelm Goldmann Verlag München