Johann Valentin Andreae (1586 – 1654)
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Deutscher
evangelischer Theologe und Mystiker, der seit 1614
in verschiedenen hohen kirchlichen Ämtern tätig war. Der höchste
Stand ist für ihn der von Gott berufene Predigerstand. Andreae gilt als Reorganisator der württembergischen Kirche. Unter dem Einfluss der Mystik von Johann Arndt (1555
- 1621) und Valentin Weigel (1533
- 1588) wollte er den Protestantismus aus Glaubensstreitigkeiten in den Bereich der praktischen Liebestätigkeit lenken. Von dem jungen Andreae und seinem Kreis sind die ersten Schriften der Rosenkreuzer verfasst worden. Seine Erstlingsschrift ist die mit geheimnisvollen Rätseln,
mystischen Metaphern und Symbolen verwobene »Chymische
Hochzeit Christiani Rosenkreuz anno 1459«, die sich mit dem
stufenweisen mystischen Aufstieg eines Geistsuchers befasst, der in der
sogenannten »Heiligen Hochzeit« gipfelt.
In seinem Werk »Christianopolis« entwickelt Andreae seine - mit mystischen Inhalten
und verschiedenen Einweihungsgraden angereicherte - Vorstellung eines christlichen
Staates. Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Der
höchste Stand
Christianopolis
Kollegium,
Triumvirat, Religion,
Verfassung,
Metaphysik, Theosophie,
Geheime Zahlen,
Auditorium der Theologie, Theologische
Praxis,
Weissagungen, Tempel
Der höchste
Stand
Ihr habt gewählt den höchsten Stand,
der mehr G’fahr denn Meeres Sand
und wird durch d’ Welt stets angerannt,
darum bedürft ihr Gottes Hand.
Kein Stand auf Erd’ je werter war,
als der durch Gott berufen war,
sein Wort und Willen zu verkünden
und dadurch pflegen Gottes Kinden, –
sein’ Wahrheit und Gerechtigkeit,
sein’ Wahrheit und Barmherzigkeit,
sein’ Langmut und auch großen Zorn,
sein’ Wunder und des Heiles Horn
fürtragen durch des Geistes Sprach’
den Frommen z’ Gut, der Welt zur Rach’, –
da Gott eins Menschen Zung’ und Hand
gebraucht gleichsam zu sei’m Beistand.
Sein Geist und Pfand zu dispensieren,
damit in sein Reich einzuführen.
Dem wird vertraut Gottes liebstes Gut
Und Jesu Christi Fleisch und Blut,
als auch des Geistes Freudenöl,
damit beseligt manche Seel’.
Der Stand lasst euch kein Mensch erleiden,
vor dem all andre Ständ’ sich neigen.
Ist nun der Stand so hoch und wert,
so hat er billig sein Beschwerd’. S.
106f.
Enthalten in: Das teure Predigtamt. Gebete und Weisungen für den Dienst
am Wort aus dem Schatz der Kirche. Im Furche-Verlag Berlin
Christianopolis
26.
Das Kollegium
Es ist nun an der Zeit, daß wir uns dem eigentlichen Innersten der Stadt
zuwenden, das man mit Recht als Lebenszentrum des Gemeinwesens bezeichnen mag.
Es ist viereckig, außen 270, innen 190 Schuh in der Ausdehnung, mit vier
Türmen in den Ecken umschlossen und ebenso vielen gegenüberliegenden
durchschnitten, außerdem von einer doppelten Reihe Gärten umgeben.
Das ganze Gebäude hat vier Stockwerke, die bis 12, 11, 10 und 9 Schuh emporsteigen,
über die die Türme noch einmal mit 8 Schuh hinausragen. Zum innerhalb
gelegenen Markt hin gibt es einen mit seinen 72 Säulen beachtlichen Kreuzgang.
Hier haben Religion, Gerechtigkeit und Bildung ihren Sitz, die die Stadt regieren;
als Dolmetscherin ist ihnen die Beredsamkeit beigegeben. Niemals habe ich ein
solches Maß an menschlicher Vollkommenheit an einem Platz vereinigt gesehen,
was ihr zugeben werdet, wenn ihr die Beschreibung in allen Einzelheiten gehört
habt. Man muß sich doch wundern, was diejenigen sich davon versprechen,
die die besten Dinge auseinanderbringen und zergliedern, deren Zusammenfügung
uns glücklich machen könnte, soweit die Erde sich erstreckt. Es gibt
Menschen, die fromm sein wollen und alles Menschliche von sich abwerfen; es
gibt welche, denen das Herrschen gefällt, auch wenn es ganz ohne Religion
geschieht. Die Wissenschaft mischt sich ein mit gewaltigem Tönen, begünstigt
bald den, bald jenen, zollt sich selbst aber immer noch den meisten Beifall.
Was sonst also kann die Zunge ausrichten als Gott herausfordern, die Menschen
verwirren und sich selbst zugrunde richten? So müßte denn eine Eintracht
dasein, wie sie nur das Christentum bieten kann, die Gott und Menschen vereinigt
und ebenso die Menschen unter sich verbindet, auf daß sie fromm im Glauben
sind, gut im Handeln und tief in ihrem Wissen, daß sie schließlich
selig sterben, um ewig zu leben. Oh, mögen wir doch dereinst vereinigt
werden, mögen wir nicht in alle Ewigkeit auseinandergerissen sein!
27.
Das Triumvirat
Was die Staatsform in Christianopolis angeht, so gilt es zu bedenken, warum
man dort die Aristokratie der Monarchie vorzieht. Denn geht auch in der Monarchie
vieles angenehmer vonstatten, so wollen sie doch die Herrscherwürde allein
Christus zugestehen und mißtrauen auch mit gutem Grund der menschlichen
Fähigkeit, sich zu bescheiden. Christus duldet keinen absolut herrschenden
Sachwalter, und ein Mann, der zu hoch erhoben wurde, sieht nicht auf zum Himmel,
sondern richtet seinen Blick nach unten auf die Erde. Diese Erfahrungen sind
wohl sehr geläufig; sie sind um so trauriger, je mehr der Mensch zu Tyrannei
und Schwachheit neigt. Da es so steht, ist ein Triumvirat das sicherste, zu
dem nur die Besten und Erfahrensten des Staates zugelassen sind, und man muß
durch alle Stufen der Tugend bis dahin emporsteigen. Jeder der Oberen erfüllt
die Obliegenheiten seines Bereichs, aber natürlich nicht ohne Wissen der
anderen, und über das Wohl des Staates beratschlagen sie alle gemeinsam.
Jeder hat seinen eigenen Senat, aber an bestimmten Tagen finden sie sich zusammen,
um in allseitigem Einvernehmen über die wichtigsten Gegenstände zu
beschließen. Es versteht sich, daß alle fromm, klug und weise sein
müssen; dennoch sind nur bestimmte, ganz besonders fähige Männer
zu diesen Rängen ausersehen. Dem Kanzler obliegt die Verlautbarung aller
Beschlüsse der Väter, er macht sie bekannt und verbreitet sie. Der
Posten des Kanzlers erfordert größte Geschicklichkeit und Vertrauenswürdigkeit.
Prozesse werden hier nicht ausgefochten, denn ihre Streitigkeiten sind nicht
so bedeutend, daß sie nicht durch den Schiedsspruch der Stadtrichter beigelegt
werden könnten. Vielmehr wird beraten über die Wahrheit der christlichen
Religion, die Pflege der Tugenden, die Möglichkeiten der Schärfung
des Verstandes, ferner über die Erforderlichkeit von Bündnissen, Krieg,
Handel, Bauwesen und Ernährung. Dies geschieht mit großer Freiheit
des Geistes, aber in Bescheidenheit und unter Würdigung der Gaben Gottes.
So führen sie ernste Dinge mit heiterem Sinne aus, während andere
Menschen verwirrt und krampfhaft Lächerlichkeiten betreiben, was zum deutlichsten
Zeugnis der Eitelkeit wird, indem sie sich Beschwerlichkeiten schaffen, oder,
wo es die nicht gibt, sie sieh einbilden, um in ständiger Beschäftigung
damit sich nur quälen zu können.
28.
Die Religion
Während ich all dies in Erfahrung brachte, hätte ich leicht auf den
Gedanken kommen können, es handle sich hier um eine Stadt von Schwärmern;
denn in der Welt mag ja alles, was den Himmel sucht, als ketzerisch gelten.
Aber von diesem Irrtum befreite mich bald eine doppelte Tafel, auf der in goldenen
Lettern die Grundzüge ihres Glaubensbekenntnisses und ihrer Lebensführung
geschrieben waren. Der Inhalt, wie er von mir abgeschrieben wurde, lautet so:
I. Wir glauben mit ganzem Herzen an den einen, dreieinigen, besten, weisesten,
größten und ewigen Gott, an den Vater, der die Welt aus nichts geschaffen
hat, sie bewahrt, bewegt und regiert, dessen Diener die guten Engel sind, gegen
den sich der verdammte Satan empört, dessen Freude der Mensch ist, einst
Ebenbild der Gottheit und Herrscher der Welt, dem die Sünde verhaßt
ist, dessen Vermittler aller Weisheit und Güte die Heilige Schrift ist,
dessen Liebe durch die Hingabe seines Sohnes in übergroßer Mildherzigkeit
offenbar wurde.
II. Wir glauben mir ganzem Herzen an Jesus Christus, den Sohn Gottes und Mariens,
gleichen Wesens mit dem Vater, gleich auch den Menschen, unseren Erlöser,
dessen zwei Naturen sich in seiner Person verbunden haben und sich einander
mitteilen, unseren Propheten, König und Priester, dessen Gesetz die Gnade,
dessen Zepter das des Friedens ist, der sich am Kreuz geopfert hat.
III. Wir glauben an die Wiedergeburt des Geistes durch ihn, an die Zulassung
der Sünde, sogar an die Bruderschaft unseres Fleisches mit ihm und in ihm,
an die Wiederherstellung unserer Würde, die durch Adams Fall verlorengegangen
war.
IV. Wir glauben, daß durch sein Leben, sein Leiden und seinen Tod Gottes
Gerechtigkeit Genüge getan worden ist, daß uns so Gottes Erbarmen
verdient und durch das Evangelium nahegebracht wurde, unserem Glauben geschenkt,
der Reinheit des Lebens anvertraut und daß dadurch die Herrschaft der
Sünde gekreuzigt, zerstört und begraben wurde.
V. Wir glauben, daß das Reich der Hölle und das Gift des Todes zerstört
und durch den Sieg der Auferstehung uns unter Gottes Obhut die Sicherheit wiedergegeben
wurde.
VI. Wir glauben an ein unendliches und ewiges Reich Christi, da dieser zur Rechten
des Vaters allmächtig und allgegenwärtig seiner Kirche beisteht und
so im Worte geistlich, in Fleisch und Blut aber wirklich und wahrhaftig sie
weidet, erhält und ernährt.
VII. Wir glauben an sein letztes Gericht, in dem er allen Menschen, guten wie
bösen, in höchster Majestät Recht sprechen und das Gerechte vom
Ungerechten genauestens scheiden wird.
VIII. Wir glauben mit ganzem Herzen an den Heiligen Geist, unseren Tröster
und Lehrer, durch den wir geheiligt, belebt und geziert werden, nachdem wir
der Fähigkeit zum Guten verlustig gegangen, durch den wir die Natur geistig
überragen, gegen die Natur gerüstet sind und mit der Natur unser Auskommen
haben, durch den wir recht entbrennen und nach Sprachen vereinigt und getrennt
sind, durch den wir Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges in
angemessener Weise sehen und hören, durch den wir Einblick in das Wort
Gottes haben.
IX. Wir glauben an eine heilige und allgemeine Kirche, die durch das Wasser
der Taufe von Kindheit an gereinigt, durch den Genuß der Eucharistie genährt
und so mit den Zeichen des Neuen Bundes gesichert ist, durch den Dienst des
Wortes vorläufig unterwiesen, durch das Kreuz geprüft, im Gebet beflissen,
in der Nächstenliebe rührig, in der Einigung großzügig,
in der Ausschließung furchtbar, die über den ganzen Erdkreis verstreut
ist, aber von der Einheit des Glaubens zusammengehalten wird, von der Vielfalt
der Gottesgaben vermehrt, von Christus, ihrem Bräutigam und Haupt, unbesiegbar
gemacht, der die Ordnung der Stände und die Keuschheit der Ehe zur Zierde
gereicht.
X. Wir glauben an eine freie Vergebung aller Sünden durch den Dienst des
Wortes und unsere daraus erwachsende Pflicht zu Dankbarkeit und Gehorsam.
XI. Wir glauben an eine allgemeine Auferstehung des Fleisches, die von den Gläubigen
so sehr herbeigesehnt wird, daß der zeitliche Tod ihnen höchst erwünscht
ist, der den Unfrommen so schrecklich scheint, daß ihnen ihr zeitliches
Leben verdammenswert vorkommt.
XII. Wir glauben an ein ewiges Leben, durch das wir vollkommenes Licht, Fertigkeit,
echte Ruhe, Wissen, Zufriedenheit und Glück besitzen werden, wodurch Satans
Bosheit, der Welt Unreinheit, der Menschen Verderbtheit zurückgewiesen
werden wird, wodurch es den Guten wohl, den Bösen übel ergeht und
die Glorie der hochheiligen Dreieinigkeit uns ewig gegenwärtig sein wird.
29.
Die Verfassung
So weit nun durften wir über die Religion von Christianopolis hören;
über Sittlichkeit und Lebensregeln gibt die andere Tafel Auskunft, auf
der folgende Worte standen:
1. Wir streben mit allen Kräften danach, Gott, dem Schöpfer und einzigen
Herren des Menschengeschlechts, in aller Verehrung und Anbetung zu dienen, ihm
nichts Himmlisches oder Irdisches vorzuziehen, unser Leben und alle unsere Handlungen
seiner Herrlichkeit zu widmen und mit seiner Hilfe gelingen zu lassen.
II. Wir streben danach, den hochheiligen Namen Gottes durch keine Lästerung
herauszufordern, nicht durch Murren uns ihm zu entfremden, nicht leichtsinnig
ihn zu schänden, aus Faulheit nicht zu vernachlässigen und die heiligsten
Geheimnisse unseres Heils ehrfürchtig hochzuhalten.
III. Wir streben danach, für unseren Gott Muße zu haben und der Unrast
des Fleisches zu entsagen, der Dreieinigkeit ein stilles Heiligtum, dem Nächsten
eine reine Wohnung und der Kreatur Erholsamkeit zu bieten und uns einzig dem
göttlichen Wort zu widmen.
IV. Wir streben danach, den Eltern Liebe zu erweisen und zu erhalten, den Oberen
Ehre, den Gleichen Achtung, den uns Anvertrauten Bescheidenheit, dem Staat Arbeit,
der Nachkommenschaft das gute Beispiel, und in wechselseitigem Dienen die Aufgaben
der christlichen Nächstenliebe zu erfüllen.
V. Wir streben danach, unseren Zorn zu bändigen, die hitzige Ungeduld abzukühlen,
den Wert des Menschenbluts zu achten, die Rache zu vergessen, den Neid zu verabscheuen
und sorgfältig dem mildesten Herzen Christi nachzueifern.
VI. Wir streben danach, die Unschuld der Jugend, die Unberührtheit der
Jungfrau, die Keuschheit der Ehe und die unbefleckte Zucht des Witwenstandes
zu beschützen und durch Mäßigung und Fasten des Fleisches Üppigkeit
und Schwelgerei zu zähmen.
VII. Wir streben danach, die uns von Gott anvertrauten Güter so sorgfältig
und friedfertig wie möglich, angemessen und unter Danksagung zu genießen,
ihre Verteilung so gerecht, ihre Verwendung so bescheiden und ihre Bewahrung
so sicher wie möglich zu gestalten.
VIII. Wir streben danach, das Licht der Wahrheit, die Reinheit des Gewissens
und die Unbeflecktheit des Zeugnisses recht und frei weiterzugeben, jederzeit
und überall die Gegenwart Gottes zu verehren, die Unschuldigen zu beschützen
und die Schuldigen auf den rechten Weg zu führen.
IX. Wir streben danach, niemandem zu nahe zu treten, Göttliches und Menschliches
nicht miteinander zu vermischen, mit unserem Los zufrieden zu sein, unsere Häuser
still zu bewohnen und die vergängliche Herberge dieser ganzen Welt zu verachten.
X. Wir streben danach, unsere Gemeinschaft so einzurichten, daß jedem
das Seinige zugeteilt und erhalten werde und niemand sich des Eigentums eines
anderen gelüsten lasse, sondern das seine wohl ordne oder zu Gottes Ruhm
und dem öffentlichen Wohl opfere.
Als ich diese Tafeln gelesen haue, wurde ich nicht weniger in der Überzeugung bestärkt, daß hier das Volk Christi wohne, dessen Religion mit den Aposteln, dessen Verfassung mit dem Gesetz Gottes übereinstimme. Denn wenn sich auch falsche Christen dieser beiden Dinge rühmen, wird jeder, der auch nur oberflächlich mit ihnen zu tun hatte, leicht sehen, daß sie heilig in ihren Worten, aber heimlich in ihrem schlimmen Tun sind. Ihr Bekenntnis macht sich prächtig und ist doch nur beschränktes Durcheinander; sie spiegeln Einigkeit vor, und Uneinigkeit die Menge tritt offen zutage; ihr Fleisch klagen sie an, doch sie verweigern die Hilfe von Gottes Hand und das Eingreifen des Heiligen Geistes.
59.
Die Metaphysik
Andere hören an diesem Ort Vorlesungen zur Metaphysik, einer Wissenschaft,
die sich allem Zusammengesetzten entzieht und sich emporschwingt zum ersten
Seienden, würdig des Menschen, dessen Wesen dazu angelegt ist, sich dem
Irdischen zu entziehen. Hier betrachten sie das Wahre, Gute, Schöne, Eine,
die Ordnung und ähnliches, und dies um so erfolgreicher, als ihnen das
göttliche Licht beigegeben ist. Wo die Philosophen im Dunkeln tappen, da
ist es erlaubt, die göttliche Sonne um Rat zu fragen und zu Gott als einem
bekannten Gott emporzusteigen, der den Heiden unbekannt war. Es ist aber verwunderlich,
daß der Mensch, der mit seinem Geiste dorthin schweift, um das Wesen getrennt
von den Dingen zu erblicken, schmachvoll zu seinem Körper zurückkehrt
und sich mit ihm durch allen möglichen Schmutz wälzt; oder daß
er, der die wahre Idee des Guten und Schönen erblickt, so leicht sich vom
Irrigen, Schlechten und Häßlichen ergreifen und täuschen läßt.
Aber es wird deutlich, daß der Mensch nur Schlüpfriges findet, wohin
er sich auch außerhalb seiner selbst begibt, und daß er wankt und
schließlich fällt. Deshalb wird der ganz fest stehen in dem einen,
wahren und guten Gott, der seine Fleischlichkeit ablegt und ihm den davon getrennten
Geist übergibt. Unaussprechliches wird er erfahren, wird sehen, wie die
ganze Welt in ihrem innersten Mittelpunkt gegründet ist, und zwar nicht
bei trübem oder gefärbtem Himmel, sondern in höchster kristallener
Klarheit. So wird er in höchstem Entzücken, das der Bewunderung anderer
Dinge nicht vergleichbar ist, die ersten Linien der Künste, die ersten
Punkte der Dinge entdecken. Diese wahre Schönheit, die ja vielen unbekannt
ist, weckt einen Ekel vor dieser Welt und läßt den eigenen, von so
vielem Schmutz widrigen und mit den mühseligsten Gewichten der Erde behafteten
Körper zurück. Daher sind die Christianopolitaner in dieser Schule
zahlreich und fleißig, damit sie lernen, sich selbst zu verlassen und
von irdischen Dingen fortzurufen, wodurch sie sich wiederum mit Gewinn weit
edlerer Dinge befähigen.
60.
Die Theosophie
Ebendieses Auditorium dient einer noch höheren Form der Betrachtung. Es
ist dies die Theosophie, eine Wissenschaft, die nichts zu erkennen sucht, was
mit menschlicher Erfindung und Forschung zu tun hat, sondern alles Gott verdankt.
Wo die Natur aufhört, fängt sie an, und, vom höchsten göttlichen
Geheimnis selbst belehrt, hütet sie fromm ihre Geheimnisse. Wenige Menschen,
und auch nicht jeder Andächtige, hat Zutritt zu ihr, denn allein in Gottes
Macht liegt es, durch sein Licht oder das Kreuz Gutes zu wirken. In einem Augenblick
offenbart sich Gott, hält sich lange in seinem Heiligtum verborgen, ist
allezeit der Beste, aber selten sichtbar. Und doch ist unendlich viel von dem
geoffenbart, worin jeder wahre Christ sich erfreuen kann. Wir Unbesonnenen,
die wir den Aristoteles uns selbst vorziehen und ihn, ein Menschlein, nicht
aber Gottes Wunder erheben, die ihn beschämen müssen! An Gottes »Es
werde!«, der Engel Dienstbarkeit, die Aura des Feuers, die Dichte des
Wassers, den Druck der Atmosphäre, die Erhebung der Erde, die Unendlichkeit
des Menschen, die Sprache der Tiere, das Stillstehen der Sonne und die Grenzen
des Erdkreises konnte oder wollte er nicht glauben — Dinge, die für
uns feststehen. Wenn wir auf Gott hören, wird uns bei ihm weit mehr als
dies geoffenbart. Warum sollten wir nicht auf ihn hören, von dessen Taten
auch eine einzige, noch so kleine, den Glauben an alle verdient und uns überzeugt?
Wenn wir an ein Wunder glauben, müssen wir an alle glauben, die er uns
dartut. Denn wie könnten wir unter den Werken seiner Allmacht unterscheiden?
Deshalb ist dies die Schule der Demut und des Gehorsams, in der die Jugendlichen
lernen, ihren Verstand den Worten Gottes unterzuordnen und in seinen Geheimnissen
lieber andächtiges Schweigen als Neugier sehen zu. lassen. Mag die Philosophie
grübeln: die Theosophie bleibt in ihrer Ruhe; mag jene widersprechen: diese
dankt; mag jene unschlüssig sein: diese ruht in Gewißheit zu Christi
Füßen. Selig der Mensch, der sich beim ersten Ruf Gottes erhebt,
seliger noch, wer ihm folgt, am seligsten, wer niemals zurückschaut! Doch
steht dies nur in Wunsch und Verlangen des Menschen; wenn Gott seine Zustimmung
gibt, ist es gut; will er uns aber unter der Gebrechlichkeit des Fleisches prüfen
und schwächen, so geschehe der Wille des Herrn.
63.
Die geheimen Zahlen
Diejenigen aber, die älter an Jahren sind, gelangen noch höher hinauf,
da auch Gott seine Zahlen und Maße hat, die zu betrachten dem Menschen
ziemt. Denn jener höchste Baumeister hat keineswegs dieses Weltgebäude
aufs Geratewohl geschaffen, sondern es mit Maßen, Zahlen und Verhältnissen
sehr weise angereichert und die durch wunderbare Harmonie eingeteilte Zeit hinzugefügt.
Vor allem in seinen Werkstätten und typischen Gebäuden hat er für
uns seine Geheimnisse niedergelegt, daß wir mit dem Davidischen
Schlüssel* Länge, Breite und Tiefe der Gottheit aufschließen
und den Messias als über alles Ausgebreiteten erkennen, daß wir entdecken,
wie er in unaussprechlicher Harmonie alles zusammenhält, alles machtvoll
und weise bewegt, und uns in der Anbetung des Namens Jesu erfreuen. Dies alles
aber wird durch keine Kunst begriffen, sondern beruht auf Offenbarung und wird
unter den Gläubigen wechselseitig einander mitgeteilt. Daher betreten diejenigen
Labyrinthe, welche von der menschlichen Philosophie Meßruten und Zirkel
borgen, um das neue Jerusalem auszumessen, seinen Kalender und die heilige Zeitrechnung
zu bestimmen oder es gegen die Feinde zu befestigen. Es sollte uns genügen,
daß Christus uns alles dargelegt hat, was das Leben besser und erträglicher
machen kann. Das helle Licht können wir nicht alle betreten, so nicht Christi
Licht uns vorangeht und zu den verschlosseneren Geheimnissen ruft. Das Vertrauen
darauf hat einige hervorragende Männer wider Erwarten um so mehr betrogen,
weil sie sich selbst nicht ohne Inspiration zu reden dünkten. In dieser
Kabbala heißt es vorsichtig sein und mit Mutmaßungen sich zurückhalten;
denn die Gegenwart macht uns Mühe, die Vergangenheit ist uns dunkel, die
Zukunft aber hat Gott sich allein vorbehalten, um sie nur ganz wenigen, dazu
in größten Zeitabständen, mitzuteilen. Wir wollen aber Gottes
offene Geheimnisse lieben und nicht mit dem Pöbel fortwerfen, was über
uns ist, noch Göttliches dem Menschlichen gleich achten. Denn Gott ist
gut in allen Dingen, wunderbar aber in seinen eigenen.
*Davidischer Schlüssel: geheimnisvolles Symbol
des Alten und Neuen Testaments, später der Kabbala und Geheimwissenschaften.
Wer ihn besitzt, »öffnet, so daß niemand schließt, und
schließt, so daß niemand öffnet» (Jes. 22, 22 und Offb.
3, 7).
76.
Das Auditorium der Theologie
Es bleibt noch das achte Auditorium, das der Theologie geweiht ist, der Königin
aller Dinge, die Menschen besitzen, und der Herrin der Philosophie. Sie lehrt
vor allem die Ausdrucksweise des Heiligen Geistes in den heiligen Schriften
und deren Kraft, Erlesenheit, Wirksamkeit und Tiefe, damit die Jünglinge
wissen, was die heilige Weisheit mit dem einen oder anderen Satz, unter jener
Hülle von Worten habe sagen wollen, daß sie diese Redeweise über
alle Beredsamkeit der Welt hinaus bewundern lernen. Darauf werden sie zu demütiger
Nachahmung dieser göttlichen Rede angeleitet, daß, wenn sie schon
von Kind auf den ungeheuren Schatz heiliger Weisheiten gesammelt haben, sie
lernen, diese nun auch für die Belange der Sterblichen nutzbar zu machen,
und daß sie lernen, in demselben Geiste und mit denselben Worten, in denen
Christi Apostel den Völkern das Evangelium predigen, nun auch zu anderen
zu sprechen. Drittens wappnen sie sie mit den Beweisgründen und der Stärke
dieses unbesiegten Wortes, damit sie, wenn sie mit Ketzereien sich anlegen oder
wenn Satan, der Vater der Spitzfindigkeit selbst, sie angreift, es verstehen,
die Reinheit der Wahrheit, die von der Wahrheit selbst geborgt ist, zu schützen
und überall und immer die klaren Quellen Israels vor irdischem Schmutz
und Beeinflussung durch menschliche Vernünftelei zu bewahren. Und dies
nennen sie ihre scholastische Theologie, welche die Worte der Heiligen Schrift
verstehen, nachahmen und verteidigen lehrt, in der sie die Ihren so üben,
daß sie sie daran gemahnen, nichts von diesen Dingen sei — was das
Christentum betrifft — bereits gänzlich ausgeführt, man müsse
vielmehr alles zu einem frommen Vorrat machen. Die Namen der Sekten vermeiden
sie eifrigst und gebrauchen sie nur unwillig; wenn sie auch die Bezeichnung
»Lutheraner« nicht ungern hören, betonen sie doch, einfach
Christen zu sein. Ich schloß daraus, daß sie es nicht mit denen
halten, die eine Übersetzung der Heiligen Schrift zulassen und mit ihr
getrost zu Bette gehen, aber wenig darum besorgt sind, ob der Heilige Geist
dies oder etwas anderes gesagt habe. Außerdem beschränken sie nicht
die ganze Theologie auf die Fähigkeit zu predigen, denn es kann geschehen,
daß ein so gottloser wie ungelehrter Mann heilige, doch anderswo entlehnte
Worte vor dem Volke tönen läßt. Aber sie bewundern auch nicht
die, für die sich die gesamte Theologie in Schwerter, Degen und Bogen verwandelt,
und die als Verehrung Gottes nur Zank und Streit zulassen. Schließlich
dulden sie auch nicht, daß jeder in unschuldiger Meinung vorgebrachte
Widerspruch zur Zersplitterung in Sekten und Haß führe, sondern sie
belehren ihre Schüler so, daß sie, sooft es nötig, die Versionen
der Schrift beurteilen, das Volk ansprechen, die Wahrheit verteidigen und Spaltungen
vermeiden können, daß sie, was vielleicht erfolgreicher, sicher aber
bescheidener ist, lieber sich mit dem Aufbau eines christlichen Lebens beschäftigen
wollen, da Christus den Frommen mehr zugetan ist als den Wissenden und den Gehorsamen
mehr als den Disputierenden. Und die Redekünste des menschlichen Geistes
selbst richten weniger gegen die Angriffe der Todesstunde aus als die vom Blut
Christi gereinigte Kraft des Gewissens.
77.
Die theologische Praxis
Hierauf gürten sie sich mit großer Andacht zur praktischen Theologie,
die das Beten, Betrachten und den Widerstand gegen die Versuchung lehrt. Sie
ist jene Weisheit, die uns die Heilige Schrift einprägt und in uns hineinführt,
damit wir Gottes Geheimnisse verkünden. Dabei ist nicht nur Zustimmung
zum göttlichen Wort erforderlich, sondern Übereinstimmung und Einklang
mit ihm. Denn wie Christus die Erfüllung aller Geheimnisse ist, so setzt
die Wiedergeburt in uns eine neue Kindheit, eine neue Jugend und ein neues Mannesalter
in Gang und vermehrt es, welches nicht dem alten Adam, sondern Christus, dem
Buch des Lebens, entspricht. Dies verstehen die nicht, die die Theologie nach
Regeln der Kunst einrichten. Denn es bedarf eines ätzenden und scharfen
Scheidewassers, das tief hineingegossen wird, um diese geistreichen Richtlinien
zu zerstören und zu schwächen. Wenn wir nicht ein Ende nehmen, beginnt
Christus nicht; wenn wir nicht schweigen, spricht Gott nicht; wenn wir nicht
zur Ruhe kommen, regt sich der Geist nicht. Dies ist jener Sabbath, um dessentwillen
die Frommen aller Zeitalter der Welt zum Spott gereichten. Dies ist jener Unverstand
der Heiligen Christi, daß sie nicht so sehr an den Gekreuzigten glauben
als vielmehr selbst gekreuzigt werden wollen. Dies ist die Torheit des Paulinischen
Evangeliums, sich keines anderen Dings als seiner Schwäche zu rühmen.
Hier droht gewöhnlich ungeheure Gefahr vom Satan, der immer schlecht, in
diesem Punkt aber verrucht ist, indem er mit wunderbarem Gaukelspiel den Menschen
sich selbst entfremdet, so daß er nicht länger Gottes ist. Hierher
rührt alle Wut, Einbildung und Verblendung und anderes Spottwerk, das nicht
von Gott hervorgerufen ist, sondern aus der Seele selbst stammt. Deshalb ermahnen
die Christianopolitaner die Ihrigen und Fremde gewichtig, nichts ohne Gottes
Rat zu fordern oder zu versuchen, was über die christliche Einfalt hinausgeht.
Denn mit Paulus können wir nicht in den dritten Himmel entrückt werden,
wohl aber können wir mit ihm Christus ähnlich werden. Wenn wir dem
Evangelium und den Aposteln gehorchen, wird dies ausreichen zu einer kraftvollen
Theologie, und so bedürfen wir keiner Offenbarung oder eines Engels, der
uns anders predigte. Wie also die kraftvolle Theologie nicht jene groben und
fleischlichen Christen zuläßt, so anerkennt sie auch nicht jene Übergenauen
und vor lauter Geist Schwachen. Dies ist die beste Maßgebung des Kreuzes,
die nach der Waage Christi allen Kindern Gottes ihr gebührendes Gewicht
auflädt und die einzelnen so prüft, daß sie Grund dazu haben,
Gott um Hilfe anzurufen.
78.
Die Weissagungen
Wenn nun dennoch der gütigste Vater einem Menschen darüber hinaus
etwas zukommen läßt, so weisen sie es nicht unbesonnen von sich,
sondern prüfen die betreffenden Fähigkeiten. So haben sie eine Schule
der Propheten, gewißlich aber nicht, um dort die Kunst der Wahrsagerei,
die schon so viele getäuscht hat, zu lehren, sondern damit die prophetisch
Begabten über Harmonie und Wahrheit nachsinnen. Da dies nicht ohne göttliche
Eingebung möglich ist, beraten sie darüber in der Furcht des Herrn,
wenn sie glauben, es sei einem ein ungewöhnlicher Teil des Lichtes zugefallen.
Denn wer die Bilder der Heiligen Schrift im ganzen und einzeln auslegen kann,
Weissagungen aus ihren Geheimnissen hervorholen, Moses‘ heilige Bräuche
mit denen Christi vergleichen, der Apostel und Christi Lehren, die aus dem Alten
Testament hervorgingen, verstehen oder diesem Ähnliches beibringen kann,
hat unter so vielen Auslegern selten Vertrauen bei ihnen erweckt; dagegen gab
es für viele Grund zum Zweifel daran, ob nicht der eine oder andere sich
zu unvorsichtig geäußert habe. So bekennen sie, daß sie die
Aussprüche des Heiligen Geistes, soweit sie sich auf die Erkenntnis der
Zukunft oder die deutende Anwendung der Vergangenheit beziehen, noch nicht verstehen,
daß sie aber nichtsdestoweniger mit den göttlichen Offenbarungen,
aus denen das ewige Heil besteht, zufrieden sind. Sie bitten Gott aber, daß
er in seiner großen Gnade willens sei, ihnen wenigstens einiges von seiner
tiefen Weisheit zu entdecken, was im Abgrund seines Wortes sich verbirgt, und
seinen Sohn auf jeder Seite der Schrift zu zeigen. Was sie mit diesem frommen
Gebet aber erlangen, haben sie mir nicht mitgeteilt.
Und so bin ich in meiner ungehobelten Schreibart alles durchgegangen, was mir
in den christlichen Auditorien gezeigt worden ist. Möge der Bericht nichts
von meinem Stammeln und meiner Vergeßlichkeit an sich haben! Ich möchte
hoffen, daß, wo nicht alles, so doch einiges dem christlichen Leser gefällt
oder ihm gar den Mut gehen wird, selbst einst nach Christianopolis zu gehen
und bessere und genauere Kunde zu erhalten als durch mich. Wenn er das Erfahrene
dann mit der gleichen Redlichkeit und Ehrlichkeit mir mitteilt, wird er gewiß
den größten Dank derer, denen es zum Nutzen ist, verdienen und auch
den meinigen, dem er geholfen und den er gebessert hat.
82.
Der Tempel
Endlich wurde mir auch der im Mittelpunkt der Stadt liegende Tempel aufgetan,
ein Werk königlicher Pracht, in dem Aufwand und Kunst miteinander wetteifern,
was wahrhaftig nicht zu mißbilligen ist, da niemand im Staate darben muß.
Die Gestalt ist rund, der Umfang beträgt 316 Schuh, die Höhe 70 Schuh.
In der einen Hälfte der Mitte, wo die Versammlung des Volkes stattfindet,
sind die Stühle aus der Erde herausgeschnitten und ausgehöhlt, damit
ihr Bau sich weniger erhebe und aller Ohren vom Mund des Sprechenden überall
gleich weit entfernt seien. Die andere Hälfte ist der Austeilung der Sakramente
und der Musik zugedacht. Hier haben die Senatoren mit den Oberen ihren abgetrennten
Platz nicht weit von der Kanzel, wie wir in der Skizze gezeigt haben. Aber auch
sakrale Schauspiele, von denen sie sehr viel halten, und die sie jeden dritten
Monat genießen, werden hier im Tempel vorgestellt, damit den Seelen der
Jugend die Begebenheiten der Heilsgeschichte um so beständiger anhaften
und ihre Gemüter fähiger und bereitwilliger im Betreiben solcher Dinge
werden. Welche Künstler sie darin sind, konnte ich nicht genug bewundern,
als ich selbst den Jeremias des Naogeorg öffentlich dargeboten sah. Die
umgebende Mauer des Tempels ist voller Fenster, so daß das Licht überall
herein kann. Die übrigen Wände sind kunstvoll geschmückt mit
heiligen Bildern, will sagen: Darstellungen aus der biblischen Geschichte. Ich
erblickte kein einziges Kultbild außer dem des gekreuzigten Christus,
das in seiner kunstvollen Arbeit auch das härteste Herz hätte bewegen
müssen. Den übrigen Zierat will ich nicht beschreiben, ich möchte
es denn öffentlich geschehen wissen. Sicherlich konnte ich die Kunst und
Schönheit nicht genug bewundern, besonders da ich mich an jene erinnerte,
die unter dem Vorwand der Religion die Kirchen plündern und dann, wenn
die Verödung der heiligen Stätten erreicht ist, zu Hause keineswegs
die Üppigkeit vergessen. Das sind mir allerdings gewissenhafte evangelische
Christen, denen es eine Sünde ist, wenn die Stiftungen der alten Einfalt
anderswo als in ihren eigenen Häusern das Volk beleidigen! Welch fromme
Reformatoren, die, um die Kirchenschätze zu leeren, ihre eigenen Häuser
dem unnützen und prunkvollen Glanz zur Verfügung stellten! Wenn es
auch Menschen gibt, die verbieten, Gottes Wohnungen zu schmücken, oder
andere, die hierin so hartnäckig sind wie sonst verschwenderisch —
hier hätten sie etwas zu lernen. Ich aber will nicht davon reden, was ich
für richtig halte, sondern was ich gesehen habe.
Aus: Johann Valentin Andreae, Christianopolis
Aus dem Lateinischen übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort herausgegeben
von Wolfgang Biesterfeld
Reclams Universalbibliothek Nr. 9786 (S.46-53, 85-88, 90-91, 107-111, 115-116)
© 1975 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
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