Georg Büchner (1813 – 1827)
![]() |
Deutscher
Dichter, der Naturwissenschaften, Medizin und Philosophie studiert
hatte und Bruder des Ludwig Büchner war. Georg Büchner war ein entschiedener Gegner der Reaktion von 1834 und beteiligte sich aktiv an den politischen Kämpfen in Hessen in dem er die sozialistische Flugschrift »Der hessische Landbote« verfasste,
in der er mit dem berühmt gewordenen Satz »Friede
den Hütten! Kampf den Palästen! leidenschaftlich zum Widerstand gegen die Machtinhaber aufrief. Der junge Rebell floh nach Straßburg,
dann nach Zürich, wo er als Dozent für Anatomie zuletzt sein Brot verdiente. Büchner’s Hauptwerke sind - in ihrer klaren, auf den Punkt gebrachten Sprache - würdige
Vorläufer des Naturalismus und Expressionismus. In Bezug auf Gott und
die Weltentstehung teilte er die Ansicht des griechischen Philosophen Anaxagoras (Dantons Tod, 3.
Akt, 1. Szene). Georg Büchner wurde nur 24 Jahre alt: es scheint uns heute nahezu
unglaublich, welch unermesslich wertvollen, tiefgeschürften und immergrünen Schatz er in seiner äußerst knapp bemessenen Lebenszeit aus sich
gebor(g)en hat - zu vieler Menschen Freude und Bewunderung. Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Der Hessische Landbote | Diskussion
über Gott und die Schöpfung Das Gewissen |
ERSTE BOTSCHAFT
Darmstadt, im Juli 1834.
Vorbericht
Dieses Blatt soll dem hessischen Lande die Wahrheit
melden, aber wer die Wahrheit sagt, wird gehenkt; ja sogar der, welcher die
Wahrheit liest, wird durch meineidige Richter vielleicht gestraft. Darum haben
die, welchen dies Blatt zukommt, folgendes zu beobachten:
1. Sie müssen das Blatt sorgfältig außerhalb
ihres Hauses vor der Polizei verwahren;
2. sie dürfen es nur an treue Freunde mitteilen;
3. denen, welchen sie nicht trauen wie sich selbst, dürfen sie es nur heimlich
hinlegen;
4. würde das Blatt dennoch bei einem gefunden, der es gelesen hat, so muss
er gestehen, dass er es eben dem Kreisrat habe bringen wollen;
5. wer das Blatt nicht gelesen hat, wenn man es bei ihm findet, der ist natürlich
ohne Schuld.
Friede den Hütten! Krieg den Palästen!
Im Jahre 1834 siehet es aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es
sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am fünften Tage
und die Fürsten und Vornehmen am sechsten gemacht, und als hätte der
Herr zu diesen gesagt: »Herrschet über alles Getier, das auf Erden
kriecht«, und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm gezählt.
Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag: sie wohnen in schönen Häusern,
sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und reden eine eigne
Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker. Der Bauer
geht hinter dem Pflug, der Vornehme aber geht hinter ihm und dem Pflug und treibt
ihn mit den Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und lässt ihm die Stoppeln.
Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Äcker
vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz
auf dem Tische des Vornehmen.
Im Großherzogtum Hessen sind 718373 Einwohner, die geben an den Staat
jährlich 6363436 Gulden, als
1.
Direkte Steuern 2. Indirekte Steuern 3. Domänen 4. Regalien 5. Geldstrafen 6. Verschiedene Quellen |
2128131 Fl. 2478264 Fl. 1547394 Fl. 46938 Fl. 98511 Fl. 64198 Fl. ________________________________________ 6363436 Fl. |
Dies Geld ist der Blutzehnte, der vom Leib des Volkes genommen wird. An 700000
Menschen schwitzen, stöhnen und hungern dafür. Im Namen des Staates
wird es erpresst, die Presser berufen sich auf die Regierung, und die Regierung
sagt, das sei nötig, die Ordnung im Staat zu erhalten. Was ist denn nun
das für gewaltiges Ding: der Staat? Wohnt eine Anzahl Menschen in einem
Land und es sind Verordnungen oder Gesetze vorhanden, nach denen jeder sich
richten muß, so sagt man, sie bilden einen Staat. Der Staat also sind
alle; die Ordner im Staate sind die Gesetze, durch welche das Wohl aller gesichert
wird und die aus dem Wohl aller hervorgehen sollen. - Seht nun, was man in dem
Großherzogtum aus dem Staat gemacht hat; seht, was es heißt: die
Ordnung im Staate erhalten! 700000 Menschen bezahlen dafür 6 Millionen,
d. h. sie werden zu Ackergäulen und Pflugstieren gemacht, damit sie in
Ordnung leben. In Ordnung leben heißt hungern und geschunden werden.
Wer sind denn die, welche diese Ordnung gemacht haben und die wachen, diese
Ordnung zu erhalten? Das ist die Großherzogliche Regierung. Die Regierung
wird gebildet von dem Großherzog und seinen obersten Beamten. Die andern
Beamten sind Männer, die von der Regierung berufen werden, um jene Ordnung
in Kraft zu erhalten. Ihre Anzahl ist Legion: Staatsräte und Regierungsräte,
Landräte und Kreisräte, geistliche Räte und Schulräte, Finanzräte
und Forsträte usw. mit allem ihrem Heer von Sekretären usw. Das Volk
ist ihre Herde, sie sind seine Hirten, Melker und Schinder; sie haben die Häute
der Bauern an, der Raub der Armen ist in ihrem Hause; die Tränen der Witwen
und Waisen sind das Schmalz auf ihren Gesichtern; sie herrschen frei und ermahnen
das Volk zur Knechtschaft. Ihnen gebt ihr 6000000 Fl. Abgaben; sie haben dafür
die Mühe, euch zu regieren; d. h. sich von euch füttern zu lassen
und euch eure Menschen- und Bürgerrechte zu rauben. Sehet, was die Ernte
eures Schweißes ist!
Für das Ministerium des Innern und der Gerechtigkeitspflege werden bezahlt
1110607 Gulden.
Dafür habt ihr einen Wust von Gesetzen, zusammengehäuft aus willkürlichen
Verordnungen aller Jahrhunderte, meist geschrieben in einer fremden Sprache.
Der Unsinn aller vorigen Geschlechter hat sich darin auf euch vererbt, der Druck,
unter dem sie erlagen, sich auf euch fortgewälzt. Das Gesetz ist das Eigentum
einer unbedeutenden Klasse von Vornehmen und Gelehrten, die sich durch ihr eignes
Machwerk die Herrschaft zuspricht. Diese Gerechtigkeit ist nur ein Mittel, euch
in Ordnung zu halten, damit man euch bequemer schinde; sie spricht nach Gesetzen,
die ihr nicht versteht, nach Grundsätzen, von denen ihr nichts wisst, Urteile,
von denen ihr nichts begreift. Unbestechlich ist sie, weil sie sich gerade teuer
genug bezahlen lässt, um keine Bestechung zu brauchen. Aber die meisten
ihrer Diener sind der Regierung mit Haut und Haar verkauft. Ihre Ruhestühle
stehen auf einem Geldhaufen von 461373 Gulden (so viel
betragen die Ausgaben für die Gerichtshöfe und die Kriminalkosten).
Die Fräcke, Stöcke und Säbel ihrer unverletzlichen Diener sind
mit dem Silber von 197502 Gulden beschlagen (so viel kostet
die Polizei überhaupt, die Gendarmerie usw.). Die Justiz ist in
Deutschland seit Jahrhunderten die Hure der deutschen Fürsten. Jeden Schritt
zu ihr müsst ihr mit Silber pflastern, und mit Armut und Erniedrigung erkauft
ihr ihre Sprüche. Denkt an das Stempelpapier, denkt an euer Bücken
in den Amtsstuben und euer Wachestehen vor denselben. Denkt an die Sporteln
für Schreiber und Gerichtsdiener. Ihr dürft euern Nachbar verklagen,
der euch eine Kartoffel stiehlt; aber klagt einmal über den Diebstahl,
der von Staats wegen unter dem Namen Abgabe und Steuern jeden Tag an eurem Eigentum
begangen wird; damit eine Legion unnützer Beamten sich von eurem Schweiße
mästen; klagt einmal, dass ihr der Willkür einiger Fettwänste
überlassen seid und dass diese Willkür Gesetz heißt, klagt,
dass ihr die Ackergäule des Staates seit, klagt über eure verlorne
Menschenrechte: wo sind die Gerichtshöfe, die eure Klage annehmen, wo die
Richter, die Recht sprächen? - Die Ketten eurer Vogelsberger Mitbürger,
die man nach Rockenburg schleppte, werden euch Antwort geben.
Und will endlich ein Richter oder ein andrer Beamte von den wenigen, welchen
das Recht und das gemeine Wohl lieber ist als ihr Bauch und der Mammon, ein
Volksrat und kein Volksschinder sein, so wird er von den obersten Räten
des Fürsten selber geschunden.
Für das Ministerium der Finanzen 1551502
Fl.
Damit werden die Finanzräte, Obereinnehmer, Steuerboten, die Untererheber
besoldet. Dafür wird der Ertrag eurer Äcker berechnet und eure Köpfe
gezählt. Der Boden unter euren Füßen, der Bissen zwischen euren
Zähnen ist besteuert. Dafür sitzen die Herren in Fräcken beisammen,
und das Volk steht nackt und gebückt vor ihnen; sie legen die Hände
an seine Lenden und Schultern und rechnen aus, wie viel es noch tragen kann,
und wenn sie barmherzig sind, so geschieht es nur, wie man ein Vieh schont,
das man nicht so sehr angreifen will.
Für das Militär wird bezahlt 914820 Gulden.
Dafür kriegen eure Söhne einen bunten Rock auf den Leib, ein Gewehr
oder eine Trommel auf die Schulter und dürfen jeden Herbst einmal blind
schießen und erzählen, wie die Herren vom Hof und die ungeratenen
Buben vom Adel allen Kindern ehrlicher Leute vorgehen und mit ihnen in den breiten
Straßen der Städte herumziehen mit Trommeln und Trompeten. Für
jene 900000 Gulden müssen eure Söhne den Tyrannen schwören und
Wache halten an ihren Palästen. Mit ihren Trommeln übertäuben
sie eure Seufzer, mit ihren Kolben zerschmettern sie euch den Schädel,
wenn ihr zu denken wagt, dass ihr freie Menschen seid. Sie sind die gesetzlichen
Mörder, welche die gesetzlichen Räuber schützen; denkt an Södel!
Eure Brüder, eure Kinder waren dort Bruder- und Vatermörder.
Für die Pensionen 480000 Gulden.
Dafür werden die Beamten aufs Polster gelegt, wenn sie eine gewisse Zeit
dem Staate treu gedient haben, d. h. wenn sie eifrige Handlanger bei der regelmäßig
eingerichteten Schinderei gewesen, die man Ordnung und Gesetz heißt.
Für das Staatsministerium und den Staatsrat
174600 Gulden.
Die größten Schurken stehen wohl jetzt allerwärts in Deutschland
den Fürsten am nächsten, wenigstens im Großherzogtum. Kommt
ja ein ehrlicher Mann in einen Staatsrat, so wird er ausgestoßen. Könnte
aber auch ein ehrlicher Mann jetzo Minister sein oder bleiben, so wäre
er, wie die Sachen stehen in Deutschland, nur eine Drahtpuppe, an der die fürstliche
Puppe zieht; und an dem fürstlichen Popanz zieht wieder ein Kammerdiener
oder ein Kutscher oder seine Frau und ihr Günstling oder sein Halbbruder
- oder alle zusammen.
In Deutschland stehet es jetzt, wie der Prophet Micha
schreibt, Kap. 7, V. 3 und 4: »Die Gewaltigen
raten nach ihrem Mutwillen, Schaden zu tun, und drehen es, wie sie es wollen.
Der Beste unter ihnen ist wie ein Dorn, und der Redlichste wie eine Hecke.«
Ihr müsst die Dörner und Hecken teuer bezahlen! denn ihr müsst
ferner für das großherzogliche Haus
und den Hofstaat 827772 Gulden bezahlen.
Die Anstalten, die Leute, von denen ich bis jetzt gesprochen, sind nur Werkzeuge,
sind nur Diener. Sie tun nichts in ihrem Namen, unter der Ernennung zu ihrem
Amt steht ein L., das bedeutet Ludwig von Gottes Gnaden,
und sie sprechen mit Ehrfurcht: «Im Namen
des Großherzogs.» Dies ist ihr Feldgeschrei, wenn sie euer
Gerät versteigern, euer Vieh wegtreiben, euch in den Kerker werfen. Im
Namen des Großherzogs sagen sie, und der Mensch, den sie so nennen, heißt:
unverletzlich, heilig, souverän, königliche Hoheit. Aber tretet zu
dem Menschenkinde und blickt durch seinen Fürstenmantel. Es isst, wenn
es hungert, und schläft, wenn sein Auge dunkel wird. Sehet, es kroch so
nackt und weich in die Welt wie ihr und wird so hart und steif hinausgetragen
wie ihr, und doch hat es seinen Fuß auf eurem Nacken, hat 700000 Menschen
an seinem Pflug, hat Minister, die verantwortlich sind für das, was es
tut, hat Gewalt über euer Eigentum durch die Steuern, die es ausschreibt,
über euer Leben durch die Gesetze, die es macht, es hat adliche Herrn und
Damen um sich, die man Hofstaat heißt, und seine göttliche Gewalt
vererbt sich auf seine Kinder mit Weibern, welche aus ebenso übermenschlichen
Geschlechtern sind.
Wehe über euch Götzendiener! - Ihr seid wie die Heiden, die das Krokodil
anbeten, von dem sie zerrissen werden. Ihr setzt ihm eine Krone auf, aber es
ist eine Dornenkrone, die ihr euch selbst in den Kopf drückt; ihr gebt
ihm ein Zepter in die Hand, aber es ist eine Rute, womit ihr gezüchtigt
werdet; ihr setzt ihn auf euern Thron, aber es ist ein Marterstuhl für
euch und eure Kinder. Der Fürst ist der Kopf des Blutigels, der über
euch hinkriecht, die Minister sind seine Zähne und die Beamten sein Schwanz.
Die hungrigen Mägen aller vornehmen Herren, denen er die hohen Stellen
verteilt, sind Schröpfköpfe, die er dem Lande setzt. Das L., was unter
seinen Verordnungen steht, ist das Malzeichen des Tieres, das die Götzendiener
unserer Zeit anbeten. Der Fürstenmantel ist der Teppich, auf dem sich die
Herren und Damen vom Adel und Hofe in ihrer Geilheit übereinander wälzen
- mit Orden und Bändern decken sie ihre Geschwüre, und mit kostbaren
Gewändern bekleiden sie ihre aussätzigen Leiber. Die Töchter
des Volks sind ihre Mägde und Huren, die Söhne des Volks ihre Lakaien
und Soldaten. Seht einmal nach Darmstadt und seht, wie die Herren sich für
euer Geld dort lustig machen, und erzählt dann euern hungernden Weibern
und Kindern, dass ihr Brot an fremden Bäuchen herrlich angeschlagen sei,
erzählt ihnen von den schönen Kleidern, die in ihrem Schweiß
gefärbt, und von den zierlichen Bändern, die aus den Schwielen ihrer
Hände geschnitten sind, erzählt von den stattlichen Häusern,
die aus den Knochen des Volks gebaut sind; und dazu kriecht in eure rauchigen
Hütten und bückt euch auf euren steinichten Äckern, damit eure
Kinder auch einmal hingehen können, wenn ein Erbprinz mit einer Erbprinzessin
für einen andern Erbprinzen Rat schaffen will, und durch die geöffneten
Glastüren das Tischtuch sehen, wovon die Herren speisen, und die Lampen
riechen, aus denen man mit dem Fett der Bauern illuminiert.
Das alles duldet ihr, weil euch Schurken sagen: diese Regierung sei von Gott.
Diese Regierung ist nicht von Gott, sondern vom Vater der Lügen. Diese
deutschen Fürsten sind keine rechtmäßige Obrigkeit, sondern
die rechtmäßige Obrigkeit, den deutschen Kaiser, der vormals vom
Volke frei gewählt wurde, haben sie seit Jahrhunderten verachtet und endlich
gar verraten. Aus Verrat und Meineid, und nicht aus der Wahl des Volkes, ist
die Gewalt der deutschen Fürsten hervorgegangen, und darum ist ihr Wesen
und Tun von Gott verflucht! ihre Weisheit ist Trug, ihre Gerechtigkeit ist Schinderei.
Sie zertreten das Land und zerschlagen die Person des Elenden. Ihr lästert
Gott, wenn ihr einen dieser Fürsten einen Gesalbten des Herrn nennt, d.
h. Gott habe die Teufel gesalbt und zu Fürsten über die deutsche Erde
gesetzt. Deutschland, unser liebes Vaterland, haben diese Fürsten zerrissen,
den Kaiser, den unsere freien Voreltern wählten, haben diese Fürsten
verraten, und nun fordern diese Verräter und Menschenquäler Treue
von euch! - Doch das Reich der Finsternis neiget sich zum Ende. Über ein
kleines, und Deutschland, das jetzt die Fürsten schinden, wird als ein
Freistaat mit einer vom Volk gewählten Obrigkeit wieder
auferstehen. Die Heilige Schrift sagt: »Gebet dem Kaiser, was des Kaisers
ist.« Was ist aber dieser Fürsten, der Verräter? – Das
Teil von Judas!
Für die Landstände 16000 Gulden.
Im Jahr 1789 war das Volk in Frankreich müde, länger die Schindmähre
seines Königs zu sein. Es erhob sich und berief Männer, denen es vertraute,
und die Männer traten zusammen und sagten, ein König sei ein Mensch
wie ein anderer auch, er sei nur der erste Diener im Staat, er müsse sich
vor dem Volk verantworten, und wenn er sein Amt schlecht verwalte, könne
er zur Strafe gezogen werden. Dann erklärten sie die Rechte des Menschen: «Keiner erbt vor dem andern mit der Geburt ein Recht
oder einen Titel, keiner erwirbt mit dem Eigentum ein Recht vor dem andern.
Die höchste Gewalt ist in dem Willen aller oder der Mehrzahl. Dieser Wille
ist das Gesetz, er tut sich kund durch die Landstände oder die Vertreter
des Volks, sie werden von allen gewählt, und jeder kann gewählt werden;
diese Gewählten sprechen den Willen ihrer Wähler aus, und so entspricht
der Wille der Mehrzahl unter ihnen dem Willen der Mehrzahl unter dem Volke;
der König hat nur für die Ausübung der von ihnen erlassenen Gesetze
zu sorgen.» Der König schwur, dieser Verfassung treu zu sein;
er wurde aber meineidig an dem Volke, und das Volk richtete ihn, wie es einem
Verräter geziemt. Dann schafften die Franzosen die erbliche Königswürde
ab und wählten frei eine neue Obrigkeit, wozu jedes Volk nach der Vernunft
und der Heiligen Schrift das Recht hat. Die Männer, die über die Vollziehung
der Gesetze wachen sollten, wurden von der Versammlung der Volksvertreter ernannt,
sie bildeten die neue Obrigkeit. Sie waren Regierung und Gesetzgeber vom Volk
gewählt, und Frankreich war ein Freistaat.
Die übrigen Könige aber entsetzten sich vor der Gewalt des französischen
Volkes; sie dachten, sie könnten alle über der ersten Königsleiche
den Hals brechen und ihre misshandelten Untertanen möchten bei dem Freiheitsruf
der Franken erwachen. Mit gewaltigem Kriegsgerät und reisigem Zeug stürzten
sie von allen Seiten auf Frankreich, und ein großer Teil der Adligen und
Vornehmen im Lande stand auf und schlug sich zu dem Feind. Da ergrimmte das
Volk und erhob sich in seiner Kraft. Es erdrückte die Verräter und
zerschmetterte die Söldner der Könige. Die junge Freiheit wuchs im
Blut der Tyrannen, und vor ihrer Stimme bebten die Throne und jauchzten die
Völker. Aber die Franzosen verkauften selbst ihre junge Freiheit für
den Ruhm, den ihnen Napoleon darbot, und erhoben ihn auf den Kaiserthron. -
Da ließ der Allmächtige das Heer des Kaisers in Russland erfrieren
und züchtigte Frankreich durch die Knute der Kosaken und gab den Franzosen
die dickwanstigen Bourbonen wieder zu Königen, damit Frankreich sich bekehre
vom Götzendienst der erblichen Königsherrschaft und dem Gotte diene,
der die Menschen frei und gleich geschaffen. Aber als die Zeit seiner Strafe
verflossen war und tapfere Männer im Julius 1830 den meineidigen König
Karl den Zehnten aus dem Lande jagten, da wendete dennoch das befreite Frankreich
sich abermals zur halberblichen Königsherrschaft und band sich in dem Heuchler Louis
Philipp eine neue Zuchtrute auf. In Deutschland und ganz Europa aber
war große Freude, als der zehnte Karl vom Thron gestürzt ward, und
die unterdrückten deutschen Länder rüsteten sich zum Kampf für
die Freiheit. Da ratschlagten die Fürsten, wie sie dem Grimm des Volkes
entgehen sollten, und die listigen unter ihnen sagten: Lasst uns einen Teil
unserer Gewalt abgeben, dass wir das übrige behalten. Und sie traten vor
das Volk und sprachen: Wir wollen euch die Freiheit schenken, um die ihr kämpfen
wollt. Und zitternd vor Furcht warfen sie einige Brocken hin und sprachen von
ihrer Gnade. Das Volk traute ihnen leider und legte sich zur Ruhe. - Und so
ward Deutschland betrogen wie Frankreich.
Denn was sind diese Verfassungen in Deutschland? Nichts als leeres Stroh, woraus
die Fürsten die Körner für sich herausgeklopft haben. Was sind
unsere Landtage? Nichts als langsame Fuhrwerke, die man einmal oder zweimal
wohl der Raubgier der Fürsten und ihrer Minister in den Weg schieben, woraus
man aber nimmermehr eine feste Burg für die deutsche Freiheit bauen kann.
Was sind unsere Wahlgesetze? Nichts als Verletzungen der Bürger- und Menschenrechte
der meisten Deutschen. Denkt an das Wahlgesetz im Großherzogtum, wonach
keiner gewählt werden kann, der nicht hochbegütert ist, wie rechtschaffen
und gutgesinnt er auch sei, wohl aber der Grolmann, der euch um die zwei Millionen bestehlen wollte. Denkt an die Verfassung des
Großherzogtums. -
Nach den Artikeln derselben ist der Großherzog unverletzlich, heilig und
unverantwortlich. Seine Würde ist erblich in seiner Familie, er hat das
Recht, Krieg zu führen, und ausschließliche Verfügung über
das Militär. Er beruft die Landstände, vertagt sie oder löst
sie auf. Die Stände dürfen keinen Gesetzesvorschlag machen, sondern
sie müssen um das Gesetz bitten, und dem Gutdünken des Fürsten
bleibt es unbedingt überlassen, es zu geben oder zu verweigern. Er bleibt
im Besitz einer fast unumschränkten Gewalt, nur darf er keine neuen Gesetze
machen und keine neuen Steuern ausschreiben ohne Zustimmung der Stände.
Aber teils kehrt er sich nicht an diese Zustimmung, teils genügen ihm die
alten Gesetze, die das Werk der Fürstengewalt sind, und er bedarf darum
keiner neuen Gesetze. Eine solche Verfassung ist ein elend jämmerlich Ding.
Was ist von Ständen zu erwarten, die an eine solche Verfassung gebunden
sind? Wenn unter den Gewählten auch keine Volksverräter und feige
Memmen wären, wenn sie aus lauter entschlossenen Volksfreunden bestünden?!
Was ist von Ständen zu erwarten, die kaum die elenden Fetzen einer armseligen
Verfassung zu verteidigen vermögen! -
Der einzige Widerstand, den sie zu leisten vermochten, war die Verweigerung
der zwei Millionen Gulden, die sich der Großherzog von dem überschuldeten
Volke wollte schenken lassen zur Bezahlung seiner Schulden. -
Hätten aber auch die Landstände des Großherzogtums genügende
Rechte, und hätte das Großherzogtum, aber nur das Großherzogtum
allein, eine wahrhafte Verfassung, so würde die Herrlichkeit doch bald
zu Ende sein. Die Raubgeier in Wien und Berlin würden ihre Henkerskrallen
ausstrecken und die kleine Freiheit mit Rumpf und Stumpf ausrotten. Das ganze
deutsche Volk muß sich die Freiheit erringen. Und diese Zeit, geliebte
Mitbürger, ist nicht ferne. - Der Herr hat das schöne deutsche Land,
das viele Jahrhunderte das herrlichste Reich der Erde war, in die Hände
der fremden und einheimischen Schinder gegeben, weil das Herz des deutschen
Volkes von der Freiheit und Gleichheit seiner Voreltern und von der Furcht des
Herrn abgefallen war, weil ihr dem Götzendienste der vielen Herrlein, Kleinherzoge und Däumlings-Könige euch ergeben
hattet.
Der Herr, der den Stecken des fremden Treibers Napoleon
zerbrochen hat, wird auch die Götzenbilder unserer einheimischen Tyrannen
zerbrechen durch die Hände des Volks. Wohl glänzen diese Götzenbilder
von Gold und Edelsteinen, von Orden und Ehrenzeichen, aber in ihrem Innern stirbt
der Wurm nicht, und ihre Füße sind von Lehm. - Gott wird euch Kraft geben, ihre Füße zu zerschmeißen, sobald
ihr euch bekehret von dem Irrtum eures Wandels und die Wahrheit erkennet: dass
nur ein Gott ist und keine Götter neben ihm, die sich Hoheiten und Allerhöchste,
heilig und unverantwortlich nennen lassen, dass Gott alle Menschen frei und
gleich in ihren Rechten schuf, und dass keine Obrigkeit von Gott zum Segen verordnet
ist als die, welche auf das Vertrauen des Volkes sich gründet und vom Volke
ausdrücklich oder stillschweigend erwählt ist! dass dagegen die Obrigkeit,
die Gewalt, aber kein Recht über ein Volk hat, nur also von Gott ist, wie
der Teufel auch von Gott ist, und dass der Gehorsam gegen eine solche Teufelsobrigkeit
nur so lange gilt, bis ihre Teufelsgewalt gebrochen werden kann! - dass der
Gott, der ein Volk durch eine Sprache zu einem Leibe vereinigte, die Gewaltigen,
die es zerfleischen und vierteilen oder gar in dreißig Stücke zerreißen,
als Volksmörder und Tyrannen hier zeitlich und dort ewiglich strafen wird,
denn die Schrift sagt: was Gott vereinigt hat, soll der Mensch nicht trennen!
und dass der Allmächtige, der aus der Einöde ein Paradies schaffen
kann, auch ein Land des Jammers und des Elends wieder in ein Paradies umschaffen
kann, wie unser teuerwertes Deutschland war, bis seine Fürsten es zerfleischten
und schunden.
Weil das deutsche Reich morsch und faul war und die Deutschen
von Gott und von der Freiheit abgefallen waren, hat Gott das Reich zu Trümmern
gehen lassen, um es zu einem Freistaat zu verjüngen. Er hat eine
Zeitlang den Satansengeln Gewalt gegeben, daß sie Deutschland mit Fäusten
schlugen, er hat den Gewaltigen und Fürsten, die in der Finsternis herrschen,
den bösen Geistern unter dem Himmel (Ephes. 6), Gewalt gegeben, daß
sie Bürger und Bauern peinigten und ihr Blut aussaugten und ihren Mutwillen
trieben mit allen, die Recht und Freiheit mehr lieben als Unrecht und Knechtschaft.
- Aber ihr Maß ist voll!
Sehet an das von Gott gezeichnete Scheusal, den König Ludwig von Bayern,
den Gotteslästerer, der redliche Männer
vor seinem Bilde niederzuknien zwingt und die, welche die Wahrheit bezeugen,
durch meineidige Richter zum Kerker verurteilen lässt! das Schwein, das
sich in allen Lasterpfützen von Italien wälzte, den Wolf, der sich
für seinen Baals-Hofstaat für immer jährlich fünf Millionen
durch meineidige Landstände verwilligen lässt, und fragt dann: »Ist das eine Obrigkeit von Gott, zum Segen verordnet?«
Ha! du wärst Obrigkeit von Gott?
Gott spendet Segen aus;
Du raubst, du schindest, kerkerst ein,
Du nicht von Gott, Tyrann!
Ich sage euch: sein und seiner Mitfürsten Maß ist voll.
Gott, der Deutschland um seiner Sünden willen geschlagen hat durch diese
Fürsten, wird es wieder heilen. «Er wird die Hecken und Dörner
niederreißen und auf einem Haufen verbrennen.» Jesaias 27,4. So
wenig der Höcker noch wächset, womit Gott diesen König Ludwig
gezeichnet hat, so wenig werden die Schandtaten dieser Fürsten noch wachsen
können. Ihr Maß ist voll. Der Herr wird ihre Körper zerschmeißen,
und in Deutschland wird dann Leben und Kraft als Segen der Freiheit wieder erblühen.
Zu einem großen Leichenfelde haben die Fürsten die deutsche Erde
gemacht, wie Ezechiel im 37. Kapitel beschreibt:
»Der Herr führte mich auf ein weites Feld,
das voller Gebeine lag, und siehe, sie waren sehr verdorrt.« Aber
wie lautet des Herrn Wort zu den verdorrten Gebeinen: »Siehe, ich will euch Adern geben und Fleisch lassen über euch wachsen,
und euch mit Haut überziehen, und will euch Odem geben, daß ihr wieder
lebendig werdet, und sollt erfahren, daß Ich der Herr bin.«
Und des Herrn Wort wird auch an Deutschland sich wahrhaftig beweisen, wie der
Prophet spricht: «Siehe, es rauschte und regte sich,
und die Gebeine kamen wieder zusammen, ein jegliches zu seinem Gebein. - Da
kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und richteten sich auf ihre
Füße, und ihrer war ein sehr groß Heer.» Wie der
Prophet schreibet, also stand es bisher in Deutschland: eure Gebeine sind verdorrt,
denn die Ordnung, in der ihr lebt, ist eitel Schinderei. Sechs Millionen bezahlt
ihr im Großherzogtum einer Handvoll Leute, deren Willkür euer Leben
und Eigentum überlassen ist, und die anderen in dem zerrissenen Deutschland
gleich also. Ihr seid nichts, ihr habt nichts! Ihr seid rechtlos. Ihr müsset
geben, was eure unersättlichen Presser fordern, und tragen, was sie euch
aufbürden. So weit ein Tyrann blicket - und Deutschland hat deren wohl
dreißig -, verdorret Land und Volk. Aber wie der Prophet schreibet, so
wird es bald stehen in Deutschland: der Tag der Auferstehung wird nicht säumen.
In dem Leichenfelde wird sich's regen und wird rauschen, und der Neubelebten
wird ein großes Heer sein.
Hebt die Augen auf und zählt das Häuflein eurer Presser, die nur stark
sind durch das Blut, das sie euch aussaugen, und durch eure Arme, die ihr ihnen
willenlos leihet. Ihrer sind vielleicht 10000 im Großherzogtum und eurer
sind es 700000, und also verhält sich die Zahl des Volkes zu seinen Pressern
auch im übrigen Deutschland. Wohl drohen sie mit dem Rüstzeug und
den Reisigen der Könige, aber ich sage euch: Wer das Schwert erhebt gegen
das Volk, der wird durch das Schwert des Volkes umkommen. Deutschland ist jetzt
ein Leichenfeld, bald wird es ein Paradies sein. Das deutsche Volk ist ein Leib,
ihr seid ein Glied dieses Leibes. Es ist einerlei, wo die Scheinleiche zu zucken
anfängt. Wann der Herr euch seine Zeichen gibt durch die Männer, durch
welche er die Völker aus der Dienstbarkeit zur Freiheit führt, dann
erhebet euch, und der ganze Leib wird mit euch auferstehen.
Ihr bücktet euch lange Jahre in den Dornäckern der Knechtschaft, dann
schwitzt ihr einen Sommer im Weinberge der Freiheit und werdet frei sein bis
ins tausendste Glied.
Ihr wühltet ein langes Leben die Erde auf, dann wühlt ihr euren Tyrannen
ein Grab. Ihr bautet die Zwingburgen, dann stürzt ihr sie und bauet der
Freiheit Haus. Dann könnt ihr eure Kinder frei taufen mit dem Wasser des
Lebens. Und bis der Herr euch ruft durch seine Boten und Zeichen, wachet und
rüstet euch im Geiste und betet ihr selbst und lehrt eure Kinder beten: «Herr, zerbrich den Stecken unserer Treiber und lass dein Reich zu uns
kommen - das Reich der Gerechtigkeit. Amen.»
Aus: Georg Büchner, Lenz. Der Hessische Landbote.
Nachwort Martin Greiner Durchgesehene Ausgabe 2002 auf der Grundlage der neuen
amtlichen Rechtschreibregeln
Reclams Universalbibliothek Nr. 7955© 1957, 2002 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlages
Diskussion
über Gott und die Schöpfung
Dantons Tod, 3. Akt, 1. Szene,
Das Luxemburg, Ein Saal mit Gefangnen
CHAUMETTE, PAYNE, MERCIER, HÉRAULT-SÈCHELLES
und ANDERE GEFANGNE.
CHAUMETTE (zupft
Payne am Ärmel). Hören Sie Payne es könnte doch so sein,
vorhin überkam es mich so; ich habe heute Kopfweh, helfen Sie mir ein wenig
mit Ihren Schlüssen, es ist mir ganz unheimlich zu Mut.
PAYNE. So komm Philosoph Anaxagoras
ich will dich katechisieren. Es gibt keinen
Gott, denn: entweder hat Gott die Welt geschaffen oder nicht. Hat er sie nicht geschaffen so hat die Welt ihren Grund
in sich und es gibt keinen Gott, da Gott nur dadurch Gott wird, dass er den
Grund alles Seins enthält. — Nun kann aber Gott die Welt nicht geschaffen
haben, denn entweder ist die Schöpfung ewig wie Gott, oder sie hat einen Anfang. Ist Letzteres der
Fall so muss Gott sie zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen haben, Gott muss
also nachdem er eine Ewigkeit geruht einmal tätig geworden sein, muss also einmal eine Veränderung
in sich erlitten haben, die den Begriff Zeit auf
ihn anwenden lässt, was beides gegen das Wesen Gottes streitet. Gott kann
also die Welt nicht geschaffen haben. Da wir nun aber sehr deutlich wissen,
dass die Welt oder dass unser Ich wenigstens vorhanden ist und dass sie dem
Vorhergehenden nach also auch ihren Grund in sich oder in etwas haben muss,
das nicht Gott ist, so kann es keinen Gott geben. Quod
erat demonstrandum.
CHAUMEYTTE. Ei wahrhaftig, das
gibt mir wieder Licht, ich danke, danke.
MERCIER. Halten Sie, Payne, wenn
aber die Schöpfung ewig ist?
PATHE. Dann ist sie schon keine
Schöpfung mehr, dann ist sie eins mit Gott oder ein Attribut desselben,
wie Spinoza sagt, dann ist Gott in allem, in Ihnen
Wertester, im Philosoph Anaxagoras und in mir;
das wäre so übel nicht, aber Sie müssen mir zugestehen dass es
gerade nicht viel um die himmlische Majestät ist, wenn
der liebe Herrgott in jedem von uns Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig
begraben werden oder wenigstens die sehr unangenehmen Vorstellungen davon
haben kann.
MERCIER. Aber eine Ursache muss
doch da sein.
PAYNE. Wer leugnet dies; aber
wer sagt Ihnen denn, dass diese Ursache das sei, was wir uns als Gott d. h.
als das Vollkommne denken. Halten Sie die Welt für vollkommen?
MERCIER. Nein.
PAYNE. Wie wollen Sie denn aus
einer unvollkommnen Wirkung auf eine vollkommne Ursache schließen? Voltaire wagte es ebenso wenig mit Gott, als mit den Königen zu verderben, deswegen
tat er es. Wer einmal nichts hat als Verstand und ihn nicht einmal konsequent
zu gebrauchen weiß oder wagt, ist ein Stümper.
MERCIER. Ich frage dagegen kann
eine vollkommne Ursache eine vollkommne Wirkung haben d. h. kann etwas Vollkommnes,
was Vollkommnes schaffen? Ist das nicht unmöglich, weil das Geschaffne
doch nie seinen Grund in sich haben kann, was doch wie Sie sagten zur Vollkommenheit gehört?
CHAUMETTE. Schweigen Sie! Schweigen
Sie!
PAYNE. Beruhige dich Philosoph.
Sie haben Recht; aber muss denn Gott einmal schaffen, kann er nur was Unvollkommnes
schaffen, so lässt er es gescheuter ganz bleiben. Ist‘s nicht sehr
menschlich, uns Gott nur als schaffend denken zu können? Weil wir uns immer
regen und schütteln müssen um uns nur immer sagen zu können:
wir sind! müssen wir Gott auch dies elende Bedürfnis andichten?
Müssen wir, wenn sich unser Geist in das Wesen einer harmonisch in sich
ruhenden, ewigen Seligkeit versenkt, gleich annehmen sie müsse die Finger
ausstrecken und über Tisch Brotmännchen kneten? aus überschwänglichem
Liebesbedürfnis, wie wir uns ganz geheimnisvoll in die Ohren sagen. Müssen
wir das alles, bloß um uns zu Göttersöhnen zu machen? Ich nehme
mit einem geringem Vater vorlieb, wenigstens werd ich ihm nicht nachsagen können,
dass er mich unter seinem Stande in Schweinställen oder auf den Galeeren
habe erziehen lassen.
Schafft das Unvollkommne weg, dann allein könnt ihr io Gott demonstrieren, Spinoza hat es versucht. Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen
das Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras,
warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes und rege es sich nur in einem Atom, macht
einen Riss in der Schöpfung von oben bis unten.
MERCIER. Und die Moral?
PAYNE. Erst beweist ihr Gott aus
der Moral und dann die Moral aus Gott. Was wollt ihr denn mit eurer Moral? Ich
weiß nicht ob es an und für sich was Böses oder was Gutes gibt,
und habe deswegen doch nicht nötig meine Handlungsweise zu ändern.
Ich handle meiner Natur gemäß, was ihr angemessen, ist für mich
gut und ich tu es und was ihr zuwider, ist für mich bös und ich tue
es nicht und verteidige mich dagegen, wenn es mir in den Weg kommt. Sie können,
wie man so sagt, tugendhaft bleiben und sich gegen das sogenannte Laster wehren,
ohne deswegen ihren Gegner verachten zu müssen, was ein gar trauriges Gefühl
ist.
CHAUMETTE. Wahr, sehr wahr!
HÉRAULT. O Philosoph Anaxagoras,
man könnte aber auch sagen, damit Gott alles sei, müsse er auch sein
eignes Gegenteil sein, d. h. vollkommen und unvollkommen, bös und gut,
selig und leidend, das Resultat freilich würde gleich Null sein, es würde
sich gegenseitig heben, wir kämen zum Nichts.
Nach: Georg Büchner, Dantons Tod. Ein Drama Reclams
Universalbibliothek Nr. 6060
Das
Gewissen
Dantons Tod, 1. Akt, 6. Szene
DANTON. Das
Gewissen ist ein Spiegel vor dem ein Affe sich quält; jeder putzt
sich wie er kann und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus.
Das ist der Mühe wert sich darüber in den Haaren zu liegen. Jeder
mag sich wehren, wenn ein andrer ihm den Spaß verdirbt. Hast du das Recht
aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer
Leute und aus ihren abgeschlagnen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen
Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebürsteten Rock trägst?
Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken oder Löcher hineinreißen,
aber was geht es dich an, solang sie dich in Ruhe lassen? Wenn sie sich nicht
genieren so herumzugehn, hast du deswegen das Recht sie ins Grabloch zu sperren?
Bist du der Polizeisoldat des Himmels? Und kannst
du es nicht ebenso gut mit ansehn, als dein lieber Herrgott, so halte dir dein
Schnupftuch vor die Augen.
ROBESPIERRE. Du leugnest die Tugend?
DANTON. Und das Laster. Es gibt nur Epikureer
und zwar grobe und feine, Christus war der feinste;
das ist der einzige Unterschied, den ich zwischen den Menschen herausbringen
kann. Jeder handelt seiner Natur gemäß d. h. er tut, was ihm wohl
tut.
Nach: Georg Büchner, Dantons Tod. Ein Drama.
Reclams Universalbibliothek Nr. 6060