Michel Eyquem de Montaigne (1533 - 1592)
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Französischer
Schriftsteller und Philosoph, der als Erfinder des Essays in eigenständiger
literarischer Form angesehen wird. Mit seiner vorurteilsfreien Menschenbeobachtung steht Montaigne am Anfang der französischen
Moralistentradition Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
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Inhaltsverzeichnis
Gottesbeleidigung ist Gotteslästerung
Der Mensch konstruiert sich Gott, indem er ihm seine eigenen Eigenschaften einverleibt
Gott kann nicht alles tun?
Gott hat den Menschen dem Schatten ähnlich gemacht
Gott ist eine unbegreifliche Macht
Wider die Vermenschlichung Gottes
Gottesbeleidigung
ist Gotteslästerung
Unsere Religion ist dazu gestiftet, die Laster auszurotten: allein sie bahnt
ihnen den Weg, unterhält, und reizt sie.
Man darf Gott keinen Bart aus Stroh machen, wie man im Sprichworte sagt. Wenn
wir ihn glaubten, ich sage nicht mit einem wahrhaftigen, sondern nur mit einem
gemeinen Glauben; ja, und ich sage es zu unserer großen Schande, wenn
wir ihn so glaubten und erkennen würden, wie eine andere Sache, oder wie
einen von unsern guten Freunden: so würden wir ihn wegen der unendlichen
Gütigkeit und Schönheit, die an ihm hervor leuchtet, über alle
Dinge lieben. Zum wenigsten würde er unsere Zuneigung mit den Reichtümern,
den Ergötzlichkeiten, der Ehre, und unsern guten Freunden teilen.
Allein, der beste unter uns scheut sich nicht so sehr ihn zu beleidigen, als
er sich seinen Nachbarn, seinen Anverwandten, seinen Herrn zu beleidigen scheut.
Ist einer wohl so einfältig, dass er, wenn er auf einer Seite eine
von unsern lasterhaften Belustigungen vor Augen hätte, und auf der andern
eben so gut von dem Zustande einer ewigen Herrlichkeit überzeugt wäre,
eines gegen das andere vertauschen sollte? Und dennoch begeben wir uns desselben
aus bloßer Verachtung. Denn, was für eine Lust
reizt uns zur Gotteslästerung an, wenn es nicht etwa selbst die Lust ist,
die wir an der Beleidigung finden?
Als man den Philosophen Antisthenes zu den Geheimnissen des Orpheus einweihte,
und der Priester zu ihm sagte, dass diejenigen, die sich diesem Dienste
widmen, nach ihrem Tode ewige und vollkommene Güter zu hoffen hätten,
fragte er denselben: »Warum stirbst du denn also
nicht selbst, wenn du dieses glaubst«?
Diogenes antwortete seiner Art nach ungestümer, und nicht so geschickt
zu unserer gegenwärtigen Materie, dem Priester, der ihm ebenfalls vorpredigte,
dass er zu seinem Orden übertreten sollte, damit er dadurch die Güter
der zukünftigen Welt erlangte:»Willst du mich
bereden, dass Agesilaus und Epaminondas, die so große Männer,
werden dereinst elend, und du armer Schafskopf hingegen, ungeacht du nichts
taugliches tust, wirst glücklich sein, weil du ein Priester bist«? Wenn die großen Verheißungen von der ewigen Seligkeit nur
eben so viel bei uns gälten, als eine philosophische Betrachtung: so würden
wir uns nicht so sehr vor dem Tode entsetzen, als wir wirklich tun.
Wir würden uns bei dem Tode nicht über unsere
Auflösung beschweren, sondern uns freuen, daß wir in Freiheit gesetzt
werden, und wie eine Schlange die Haut, oder wie ein alter Hirsch die hohen
Geweihe, ablegen. (Lucret. L. III, 62)
Wir würden sagen: »Ich habe Lust abzuscheiden,
und bei Jesu Christo zu sein«. Die Stärke des Platonischen
Gespräches von der Unsterblichkeit der Seelen trieb einige seiner Zuhörer
zum Tode an, damit sie desto geschwinder der Hoffnung, die er ihnen machete,
teilhaftig werden möchten. Alles dieses ist ein sehr deutliches Zeichen,
daß wir unsere Religion bloß nach unserer Art und mit unsern Händen,
und nicht anders annehmen, als die andern Religionen ergriffen werden.
Nach : Montaigne: Schutzschrift für Raimond von
Sebonde, S. 14-16. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
Veröffentlichung auf Philo-Website mit freundlicher Erlaubnis des Verlages
der Directmedia Publishing GmbH, Berlin
Der
Mensch konstruiert sich Gott, indem er ihm seine eigenen Eigenschaften einverleibt
Der Mensch ist sehr unbesonnen. Er kann nicht eine Milbe machen, und macht dutzendweise
Götter. Man höre nur einmal wie Trismegistos
unsere Geschicklichkeit lobt:
Unter allen bewundernswürdigen Dingen ist nichts
wunderbarer, als daß der Mensch die göttliche Natur hat finden und
machen können.
Hier sind Beweisgründe selbst aus der Schule der
Weltweisheit, denn allein ihr ist alle Kenntnis von der Götter Leben oder
dessen Unerkennbarkeit gegeben:
Wenn Gott ist: so ist er ein Tier. Wenn er ein Tier ist: so hat er Sinne: Wenn
er Sinne hat: so ist er der Verwesung unterworfen. Wenn er ohne Körper
ist: so ist er ohne Seele, und folglich untätig. Und wenn er einen Körper
hat: so ist er vergänglich. Ist dies nicht ein herrlicher Sieg? Wir können
unmöglich die Welt gemacht haben: es muss daher ein vortrefflicheres
Wesen geben, welches dabei Hand angelegt hat. Es würde ein törichter
Hochmut sein, wenn wir uns für das vollkommenste Ding in der Welt hielten.
Es gibt also noch ein besseres. Dieses ist Gott.
Wenn einer eine herrliche und prächtige Wohnung sieht: so wird er, wenn
er gleich nicht weiß, wer derselben Eigentumsherr ist, doch nicht sagen,
dass sie für Ratten gemacht sei. Und haben wir also nicht Ursache
zu glauben, dass der göttliche Bau, den wir an dem Himmelspalaste
wahrnehmen, der Aufenthalt eines größern Herrn ist, als wir sind?
Ist das höchste nicht allezeit das vortrefflichste? Und wir befinden uns
am niedrigsten.
Kein unbeseeltes und unvernünftiges Wesen kann ein der Vernunft fähiges
Tier hervorbringen. Die Welt bringt uns hervor. Also hat sie eine Seele und
Vernunft.
Jeder Teil von uns, ist kleiner als wir. Wir sind Teile der Welt. Die Welt besitzt
also Weisheit und Vernunft; und zwar mehr als wir.
Eine große Herrschaft ist etwas schönes: die Herrschaft der Welt
ist also einem glückseligen Wesen eigen.
Die Sterne fügen uns keinen Schaden zu: sie sind also voll Güte.
Wir haben Nahrung nötig: folglich auch die Götter; und sie erhalten
sich von den Dämpfen, die von hier unten in die Höhe steigen.
Die weltlichen Güter sind keine Güter für Gott: also sind sie
auch keine Güter für uns.
Beleidigen und beleidiget werden, sind beides Beweise der Schwachheit: also
ist es eine Torheit, sich vor Gott zu fürchten.
Gott ist seiner Natur nach gut: der Mensch aber durch seinen Fleiß; welches
mehr ist.
Die göttliche Weisheit ist von der menschlichen in weiter nichts unterschieden,
als darinnen, daß diese letztere ewig ist. Allein die Dauer setzt der
Weisheit nichts zu. Also sind wir Mitgenossen.
Wir haben Leben, Vernunft und Freiheit, wir schätzen die Güte, die
Liebe, und die Gerechtigkeit: also besitzt die Gottheit diese Eigenschaften.
Kurz, der Mensch sieht bloß auf sich, wenn er eine Gottheit macht oder
vernichtet, oder ihr gewisse Eigenschaften belegt. Was für ein Muster und
Vorbild! Laßt uns die menschlichen Eigenschaften länger ziehen, austreiben,
und vergrößern, so sehr wir wollen. Blase dich auf, armer Mensch,
und immer noch mehr und mehr,
und wenn du platztest, wirst du es nicht so weit bringen. (
Horat. L. II. Sat. 3. v. 31)
Gewiß, die Menschen denken sich selbst, statt Gottes,
den sie nicht denken können, und vergleichen nicht ihn, sondern sich selbst,
nicht ihm, sondern sich. (D. Augustin. de Civitate
Dei, L. XII. c. 15)
Bei den natürlichen Dingen stellen die Wirkungen ihre Ursachen nur halb
vor. Wie steht es mit dieser hier? Sie ist über die Ordnung der Natur.
Sie ist allzu hoch, allzu entfernt, allzu mächtig, als dass sie sich
durch unsere Schlüsse binden und fesseln ließe. Durch uns gelangt
man nicht dahin: dieser Weg ist allzu niedrig. Wir sind auf dem Mont Cenis dem
Himmel nicht näher, als in dem tiefsten Abgrund des Meeres; man darf nur
das Astrolabium dabei zu Rate ziehen. S. 193-195 [...]
Keine von unsern Eigenschaften kann auf irgend eine Art mit der göttlichen
Natur gepaart, oder mit derselben verglichen werden, ohne dieselbe mit eben
so viel Unvollkommenheit zu beflecken und zu verunstalten. Wie kann die unendliche
Schönheit, Macht, und Güte, eine Übereinstimmung und Ähnlichkeit
mit einer so nichtswürdigen Sache, als wir sind, haben, ohne dass
ihre göttliche Hoheit ganz ungemein viel dabei leidet und verliert? S.178f.
Nach : Montaigne: Schutzschrift für Raimond von
Sebonde,. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
Veröffentlichung auf Philo-Website mit freundlicher Erlaubnis des Verlages
der Directmedia Publishing GmbH, Berlin
Gott
kann nicht alles tun?
Mir hat es allezeit geschienen, als ob die Redensarten, Gott
kann nicht sterben, Gott kann nicht widerrufen, Gott kann das oder jenes nicht
tun, sehr unbescheiden und unehrerbietig wären. Ich halte nicht
für gut, die göttliche Macht auf diese Art den Gesetzen unserer Sprache
zu unterwerfen. Man sollte das Scheinbare, was diese Sätze an sich haben,
ehrerbietiger und gottesfürchtiger ausdrücken. S.
186 [...]
In unsern gegenwärtigen Religionsstreitigkeiten, werden die Gegner, wenn
man allzu sehr in sie dringt, ganz frei sagen, es stünde nicht in Gottes
Gewalt, zu machen, daß sein Leib in dem Paradiese und auf der Erde, und
an vielen Orten zugleich sein könnte. Und wie macht sich dieses der alte
Spötter Plinius zu Nutze, welcher spricht: »Wenigstens
ist es kein geringer Trost für den Menschen, wenn er sieht, dass Gott
nicht alles tun kann. Denn, er kann sich nicht umbringen, wenn er auch wollte,
welches der größte Vorteil ist, den wir bei unsern Umständen
haben: er kann die Sterblichen nicht unsterblich, die Toten nicht wieder lebendig
machen, und es nicht so weit bringen, dass einer der gelebt hat, nicht
gelebt hätte, dass einer, der Ehrenämter gehabt hat, keine gehabt
hätte, weil er über das Vergangene kein anderes Recht, als das Recht
der Vergessenheit hat. Und, damit endlich diese Gesellschaft zwischen dem Menschen
und Gott noch durch lustige Beispiele geschlossen wird, er kann nicht machen,
dass zweimal zehn nicht zwanzig sind.« Dies sind seine Worte,
die ein rechter Christ nicht in den Mund nehmen sollte.
S.188
Nach : Montaigne: Schutzschrift für Raimond von Sebonde,. Digitale Bibliothek
Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
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Gott
hat den Menschen dem Schatten ähnlich gemacht
Die heilige Schrift erklärt diejenigen unter uns für elend, die sich
selbst hoch schätzen. Erde und Asche, sagt sie, wessen kannst du dich rühmen?
Gott hat den Menschen dem Schatten ähnlich gemacht: wer will davon urteilen,
wenn er wegen Entfernung des Lichts ver-schwunden ist? Wir sind nichts. Unsere
Kräfte können die Hoheit Gottes so wenig begreifen, daß unter
allen Werken unsers Schöpfers diejenigen, von denen wir das wenigste verstehen,
die meisten ihm eigene Kennzeichen haben, und ihm vor andern zugehören.
Die Christen finden allezeit eine Gelegenheit zu glauben, wenn sie etwas unglaubliches
antreffen. Eine Sache ist um so viel vernünftiger, je mehr sie der menschlichen
Vernunft widerspricht. Käme sie mit der Vernunft überein: so würde
sie kein Wunder mehr sein. Wenn es ähnliche Beispiele davon gäbe:
so würde sie nichts besonderes sein.
Man erkennt Gott am besten, wenn man demütig bekennt,
dass man nicht weiß, was er ist, sagt der H.
Augustinus.
»Es ist weit heiliger und weit ehrerbietiger, wenn
man die Werke glaubt, als wenn man denselben nachforscht«.
Plato hält dafür, es wäre eine Gottlosigkeit, wenn man sich allzu
sorgfältig um Gott, um die Welt, und um die ersten Ursachen der Dinge bekümmerte.
»Es ist schwer, den Vater dieses Ganzen zu finden:
und, wenn man ihn gefunden hat, darf man ihn nicht dem gemeinem Haufen zeigen«, sagt Cicero.
Wir reden von Macht, Wahrheit, Gerechtigkeit. Diese Worte bedeuten etwas großes:
aber die Sache selbst sehen und begreifen wir nicht. Wir sagen, Gott fürchtet,
Gott zürnt, Gott liebt.
Wir drücken göttliche Dinge mit menschlichen Worten aus.
Alles dieses sind Regungen und Bewegungen, die Gott gar nicht nach unserer Art
zukommen können, und die wir uns nicht auf eine ihm anständige Art
vorzustellen vermögen. Gott allein ist fähig sich selbst zu erkennen,
und seine Werke auszulegen: und tut dieses in unserer Sprache uneigentlich,
um sich bis zu uns, die wir an der Erde kleben, zu erniedrigen und herab zu
lassen. Wie kann ihm die Klugheit zukommen, die in der Wahl zwischen dem Guten
und Bösen bestehet, da bei ihm nichts Böses statt finden kann? Wie
kann er die Vernunft und den Verstand besitzen, deren wir uns bedienen, wenn
wir durch dunkle Begriffe zu deutlichen gelangen wollen; da für Gott nichts
dunkel ist? Wie können wir ihm die Gerechtigkeit beilegen, die jedem, was
ihm gebührt, gibt, und nur für die Gesellschaft der Menschen bestimmt
ist? Wie können wir ihm die Mäßigung zuschreiben; da diese in
der Enthaltung von den fleischlichen Lüsten besteht, die sich bei Gott
gar nicht denken lassen? Die Standhaftigkeit in Erduldung des Schmerzes, der
Arbeit, der Gefährlichkeiten, schickt sich eben so wenig für ihn,
weil diese drei Dinge Gott nicht betreffen können. Deswegen behauptet Aristoteles,
dass Gott sowohl von Tugenden, als von Lastern frei sei.
»Er ist weder des Zorns, noch der Liebe fähig:
weil diese Regungen von nichts anders, als von der Schwachheit, herrühren«.
Der Anteil, welchen wir an der Erkenntnis der Wahrheit haben, mag noch so groß
sein: so haben wir denselben doch nicht durch unsere eigene Kräfte erlangt.
Gott hat uns dieses genugsam durch Zeugen offenbart, die er aus dem gemeinen
Haufen erwählt hat: durch Einfältige und Unwissende, die uns in seinen
bewundernswürdigen Geheimnissen unterrichtet haben. Unser Glaube ist kein
von uns erworbenes Eigentum, sondern ein lauteres Geschenk seiner Freigebigkeit.
Wir haben unsere Religion nicht durch unser Nachdenken, oder durch unsern Verstand,
sondern auf sein Gebot, und seinen Befehl. Die Schwäche unserer Urteilskraft
hilft uns mehr dabei, als ihre Stärke; und unsere Blindheit mehr, als unsere
Scharfsichtigkeit. Wir gelangen eher vermittelst unserer Unwissenheit zu einer
Erkenntnis göttlicher Dinge, als vermittelst unserer Wissenschaft. Es ist
kein Wunder, wenn unsere natürliche und irdische Mittel diese übernatürliche
und himmlische Erkenntnis nicht erreichen können. Wir brauchen, unsers
Teils, nichts als Gehorsam und Unterwürfigkeit. Denn, so stehet geschrieben:
Ich will zu nichte machen die Weisheit der Weisen,
und den Verstand der Verständigen willich verwerfen. Wo sind die Klugen?
Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weltweisen? Hat nicht Gott die Weisheit
dieser Welt zur Torheit gemacht?Denn, dieweil die Welt durch ihre Weisheit Gott
in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte
Predigt selig zu machen, die so da glauben.
(1
Korinth. I. 19f.)
Nach : Montaigne: Schutzschrift für Raimond von
Sebonde, S. 128-131. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis
Nietzsche
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der Directmedia Publishing GmbH, Berlin
Gott
ist eine unbegreifliche Macht
Unter allen menschlichen und alten Meinungen, welche die Religion betreffen,
scheint mir diejenige die wahrscheinlichste und am ersten zu entschuldigen zu
sein, welche erkennt, dassGott eine unbegreifliche
Macht, die Quelle und Erhalterinn aller Dinge, lauter Güte, lauter Vollkommenheit ist, dass er die Ehren- und Dienstbezeigungen, welche ihm die Menschen
leisten, unter was für einer Gestalt, unter was für einem Namen, und
auf was für Art es auch geschehen mag, gnädig aufnimmt.
Allmächtiger Jupiter, Vater und Mutter aller
Dinge, der Könige und Götter.
Dieser Eifer ist durchgängig von dem Himmel mit gnädigen Augen angesehen
worden. Alle Staaten haben Vorteil von ihrer Frömmigkeit gehabt. Gottlose
Menschen und Handlungen haben allezeit ihren verdienten Lohn bekommen.
Die heidnischen Geschichte erkennen in ihren erdichteten Religionen Anständigkeit,
Ordnung, Billigkeit, und zu ihrem Nutzen und Unterrichte angewendete Wunderzeichen
und Orakel. Vielleicht hat Gott aus Barmherzigkeit durch diese zeitliche Wohltaten
die zarten Keime einer ziemlich rohen Erkenntnis, welche ihnen die natürliche
Vernunft mitten unter den falschen Bildern ihrer Träume von ihm gab, erhalten
wollen. Diejenigen, welche der Mensch aus eigner Erfindung erdichtet hat, sind
nicht allein falsch, sondern auch gottlos und lästerlich.
Unter allen Gottesdiensten, welche der H. Paulus zu Athen im Schwange gehend
fand, schien ihm derjenige, wo sie eine verborgene und
unbekannte Gottheit verehrten, am ersten Entschuldigung zu verdienen. (Apost. 17, 23)
Pythagoras schilderte die Wahrheit am besten ab, und hielt dafür, die
Erkenntnis dieser ersten Ursache und des Wesens aller Wesen, müsste
unbestimmt, uneingeschränkt, und unerklärt bleiben; sie wäre
weiter nichts, als das äußerste Bestreben unsrer Einbildungskraft
nach der Vollkommenheit, indem jeder derselbenBegriff nach seiner Fähigkeit
erweiterte. Allein, wenn sich Numa vorgenommen hat, den Gottesdienst seines
Volkes nach diesem Entwurfe einzurichten, und dasselbe an eine Religion, die
bloß den Verstand beschäftigt, die keinen bestimmten Gegenstand hat,
und mit nichts körperlichen vermischt ist, zu binden: so hat er sich eine
sehr vergebliche Sache vorgenommen.
Das menschliche Gemüt kann nicht immerfort unter der unendlichen Menge
ungestalter Gedanken herum irren: es muß sich ein gewisses Bild nach seiner
Fähigkeit machen. Die göttliche Majestät hat sich auf diese Art
uns zu Liebe gewissermaßen in körperliche Schranken bringen lassen.
Ihre übernatürliche und himmlische Sakramente haben Kennzeichen unseres
irdischen Wesens an sich. Wir verehren sie durch sinnliche Handlungen und Worte:
denn es glaubt und betet ein Mensch. Ich übergehe hier die andern Beweisgründe,
deren man sich hierbei bedient. Allein, man wird mich schwerlich bereden, dass
der Anblick unserer Kruzifixe und die Abschilderung dieser erbärmlichen
Todesstrafe, daß die Zierraten und Zeremonien unserer Kirchen, dass
die mit der Andacht unserer Gedanken übereinkommende Stimmen, und die Rührung
der Sinnen, nicht in der Seele des Volks eine heilige und sehr nützliche
Leidenschaft erregen sollten.
Unter denenjenigen, welche bei der allgemeinen Blindheit Körper göttlich
verehret haben, würde ich, wie ich glaube, denen am liebsten beigetreten
sein, welche die Sonne angebetet haben,
Dies große Sonnenlicht, dies Auge aller Welten.
Und legt dem Ewgen man ein sterblich Auge bei:
Wer weiß? ob es nicht dann ihr reges Feuer sei;
Das uns belebt, uns nährt, das unsre Wohlfart bauet
Und das auf unser Tun von fernen Tiefen schauet:
Die Sonne, die das Jahr in seine Stufen teilt,
Nach den zwölf Zeichen sie in ihrem Lauf durcheilt;
Die selbst dies weite Rund mit ihrer Kraft erfüllet,
Und dicke Nebel trennt, die unsern Blick verhüllet,
Die Seele dieser Welt, die feurgen Fackeln gleicht
Und täglich ihren Kreis des Himmelsbahn durchstreicht:
Sie, übermäßig groß, rund, fest, stets im Wanken
Hat unter ihrem Fuß die ganze Welt zu Schranken:
Sie, ruhig ohne Ruh, läuft, mäßig, doch geschwind,
Gebiert den Tag, und ist der Schöpfung erstes Kind.
Denn sie ist außer ihrer Größe und Schönheit,
derjenige Teil dieser Maschine, den wir in der größten Entfernung
von uns entdecken; und daher so wenig bekannt, dass sie Verzeihung verdienten,
wenn sie dieselbe bewunderten und verehrten.
Thales, welcher zu erst dergleichen Materie untersuchte,
hielt Gott für einen Geist, der alles aus Wasser machte.
Anaximander glaubte,die Götter würden zu verschiedenen Zeiten
geboren, und stürben auch wieder, und dieses wären die der Zahl nach
unendliche Welten.
Anaximenes hielt die Luft für Gott, und glaubte, sie sei entstanden, unermeßlich,
und in stetiger Bewegung.
Anaxagoras ist der erste gewesen, welcher dafür
gehalten hat, der Entwurf und die Einrichtung aller Dinge käme von der
Kraft und Vernunft eines unendlichen Geistes her.
Alkmaion hat der Sonne, dem Monde, den Sternen,
und der Seele, eine göttliche Natur zugeschrieben.
Pythagoras hat sich Gott als einen durch die
ganze Natur ausgebreiteten Geist vorgestellt, von welchen unsere Seelen Teile
sind.
Parmenides behauptete Gott sei ein Kreis, welcher
den Himmel umgäbe, und die Welt durch die Wärme des Lichts erhielte.
Empedokles sagte, die vier Naturen, aus welchen
alle Dinge gemacht sind, wären Götter. Protagoras wußte nicht
zu sagen, ob es Götter gäbe oder nicht, und was für Eigenschaften
sie hätten.
Demokrit sagte bald, die sich herum bewegenden Bilder, bald die Natur, von
welcher diese Bilder ausfließen, bald unsere Wissenschaft und Erkenntnis,
wären Götter.
Platon trägt seinen Glauben verschiedentlich
vor. In dem Timäus sagt er, der Vater der Welt könnte nicht genannt
werden: in den Gesetzen, man dürfte nicht nach seinem Wesen forschen: und
anderwärts, in eben diesen Büchern, macht er die Welt, den Himmel,
die Sterne, die Erde, und unsere Seelen, zu Göttern, und nimmt überdies
noch diejenigen an, die von alten Zeiten her in jeder Republik angenommen worden
sind.
Xenophon zeigt, daß eben solche Unordnung
in des Sokrates Lehren gewesen: bald läßt er ihn sagen, man dürfte
nicht nach dem Wesen Gottes fragen, bald daß die Sonne Gott ist, und daß
die Seele Gott ist: einmal läßt er ihn behaupten, daß nur ein
einziger ist; und hernach wieder, daß es deren viele gibt.
Speusipp, Platons Neffe, macht Gott zu einer gewissen Kraft, welche die Dinge
regiert, und tierisch ist.
Aristoteles sagt bald, Gott sei ein verständiges
Wesen, bald die Welt sei Gott: bald gibt er dieser Welt einen, andern Herrn;
bald macht er Gott zu dem Feuer des Himmels.
Xenokrates macht acht Götter; die fünfe, die Planeten genannt werden;
der sechste ist aus allen Fixsternen, wie aus Gliedmaßen, zusammengesetzt;
der siebente und achte sind die Sonne und der Mond.
Heraklides aus Pontus wankt beständig in seinen Meinungen, spricht endlich
Gott die Empfindung ab, und lässt ihn eine Gestalt nach der andern
annehmen; und hernach sagt er, der Himmel und die Erde sind Gott.
Theophrastos geht eben so unschlüssig in seinen Gedanken herum, und schreibt
bald einem verständigen Wesen, bald dem Himmel, bald den Sternen, die Aufsicht
über die Welt zu.
Straton sagt, Gott sei die Natur, welche eine Kraft zu zeugen, zu vermehren
und zu vermindern besitzt, aber keine Gestalt und Empfindung hat.
Zeno hält das natürliche Gesetz, welches das Gute gebietet, und das
Böse verbietet, für die Gottheit, welches Gesetz ein belebtes Wesen
ist: hingegen verwirft er die gewöhnlichen Götter, den Jupiter, die Juno, und die Vesta.
Xenophanes macht Gott rund, sehend, hörend,
glaubt aber, er schöpfte keinen Atem, und hätte nichts mit der menschlichen
Natur gemein.
Ariston hält das göttliche Wesen für unbegreiflich, spricht ihm
aber die Sinnen ab, und weiß nicht ob er ein Leben hat, oder nicht.
Kleanthes machte bald die Vernunft, bald die Welt, bald die Seele der Natur,
bald das oberste Feuer, welches alles umgibt und einschließt, zu Gott.
Perseus, Zenons Zuhörer, hat dafür gehalten, man hätte diejenigen,
welche dem menschlichen Leben einen wichtigen Dienst geleistet, und so gar die
nützlichen Dinge, Götter genennet.
Chrysippos machte aus allen vorhergehenden Meinungen einen verwirrten Haufen,
und rechnet unter die tausenderlei Arten von Göttern, die er macht, auch
die unsterblich gewordenen Menschen.
Diagoras und Theodoros leugneten die Götter gerade weg.
Epikur sagte, die Götter wären leuchtend,
durchsichtig, sie wohnten, wie zwischen zwei Wäldern, zwischen zwo Welten,
so daß sie nicht getroffen werden könnten, wenn dieselben einfielen;
sie hätten eine menschliche Gestalt, und eben solche Glieder wie wir, welche
Glieder ihnen nichts nütze sind. S. 157-164.
Nach : Montaigne: Schutzschrift für Raimond von Sebonde, Digitale Bibliothek
Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
Veröffentlichung auf Philo-Website mit freundlicher Erlaubnis des Verlages
der Directmedia Publishing GmbH, Berlin
Wider
die Vermenschlichung Gottes
Unsere Kräfte reichen nicht hinan an die göttliche
Majestät. Wir sagen zwar Worte wie Macht,
Wahrheit, Gerechtigkeit,
von der Sache selbst begreifen wir nichts. Wir sagen von Gott,
er fürchte, zürne, liebe, aber das sind alles Regungen der
Seele, die in Gott nicht
statthaben können. Wie kann man Gott Klugheit
zuschreiben, die die Wahl zwischen Gutem und Schlimmem ist, da es für ihn
doch kein Schlimmes gibt! Wie Vernunft
und Verstand — unsere Werkzeuge, um vom Dunkel zum Lichte zu kommen — da vor Gott nichts
dunkel ist. Die
Gerechtigkeit, die jedem das Seine gibt und die sich auf menschliche Gemeinschaften
bezieht, wie soll sie in Gott sein? Die Mäßigung, diese Einschränkung
der körperlichen Lüste, lässt sich in Gott
gar nicht denken. Es ist unmöglich, von dem sterblichen Wesen aus
etwas über das unsterbliche auszumachen. Die Vernunft geht immer auf Irrwegen, besonders wenn sie sich mit
den göttlichen Dingen befasst. Von allen unseren Eigenschaften
kann keine dem göttlichen
Wesen zugeschrieben werden, ohne es mit ihrer Unvollkommenheit zu beflecken.
O Mensch, du siehst nichts als die äußere Einrichtung der kleinen
Höhle, in der du hockst, wenn du sie überhaupt siehst. Seine Göttlichkeit
waltet ins Unendliche hinaus. Dieses Teilchen ist wie ein Nichts gegen das Ganze.
Wenn wir sagen, die Unendlichkeit der Jahrtausende, der vergangenen wie der
künftigen, sei vor Gott ein Augenblick, seine Güte, Weisheit und Macht
seien Eins mit seinem Wesen, so sagt das unser Mund, aber unser Verstand fasst
es nicht.
Trotzdem will unsere Vermessenheit die Gottheit durch unser Sieb seihen. Dieser
Hochmut, Gott durch unsere Augen zu sehen, ist schuld, dass wir Gott die wichtigsten
Begebenheiten insbesondere zuschreiben; weil sie für uns von Gewicht sind,
sollen sie auch ,für ihn von Gewicht sein. Er soll auf sie sein Augenmerk
haben, mehr als auf die Begebenheiten, die uns als Folgen natürlicher Ursachen
vorkommen. Gerade als ob es diesem Könige mehr Mühe machte, ein Reich
zu erschüttern als das Blatt eines Baumes; als ob es seine Vorsehung mehr kostete, den Gang einer Feldschlacht zu leiten als den Sprung eines Flohes.
Seine Hand waltet in allem mit gleicher Kraft und richtet sich nicht nach unseren
Maßstäben. Wenn der Mensch Gott Eigenschaften zuschreibt oder abspricht,
so tut er es immer mit Rücksicht auf sich selbst. Was für ein Muster
und Modell! Dehne, erhebe, vergrößere deine Eigenschaften, o armer
Mensch, so viel du willst Blähe dich auf, weiter, weiter und immer weiter.
Platze nur! Unsere Straße führt nicht hinauf zu Gott. Auf dem Mont-Cenis sind wir dem Himmel nicht näher als
auf dem Grund des Meeres.
Freilich, jedem Geschöpf ist nichts so lieb und wert als sein eigenes Wesen.
Der Löwe, der Adler, der Delphin schätzen nichts höher als ihre
Gattung. Daher kommen die alten Schlüsse: Von allen Gestalten ist die menschliche
die schönste — also hat Gott
Menschengestalt.
Deshalb sagte Xenophanes launig genug: Wenn die
Tiere sich Götter dichten, wie sie es aller Wahrscheinlichkeit nach tun,
so dichten sie solche sicher nach ihrem eigenen Bilde und brüsten sich
wie wir. Warum sollte ein Gänschen nicht sagen: Alle Dinge in der Welt
sind meinetwegen da. Die Erde ist zu meinem Dienste, darauf zu gehen, die Sonne,
mir zu leuchten, die Gestirne, mir ihre Einflüsse zuzusenden. Vom Winde
hab‘ ich diesen, vom Wasser jenen Nutzen. Das Himmelsgewölbe sieht
mich besonders freundlich an; ich bin der Liebling der Natur. Muss nicht der
Mensch mich füttern, mich unterbringen, mir dienen? Für mich muß
er säen und mahlen. Und wenn er mich schlachtet, nun so macht er es mit
seinen Mitmenschen ja ebenso, und ich mache es ebenso mit den Würmern,
die ihn fressen. Wir halten es genau so wie das Gänschen. Uns gehört
das Schicksal und die Welt; es blitzt, es donnert für uns, Schöpfer
und Geschöpf ist alles nur für uns. Wir sind der Endzweck, auf den
das Weltall eingestellt ist. So hat es die Philosophie seit 2000 Jahren gehalten.
Die Götter haben nichts getan, nichts gesprochen als für den Menschen.
Sie haben gar nichts anderes zu tun. Komisch, wie der Mensch an Gott sich anbiedert;
ist er nicht noch gar sein Landsmann? S. 250ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 101, Michel de Montaigne. Die Essais und Das Reisetagebuch. In den Haupteilen
herausgegeben und verdeutscht von Paul Sakmann