Gustav Theodor Fechner, Pseudonym: Dr. Mises (1801 – 1887)

 

Deutscher Naturforscher, Psychologe und Philosoph. Fechner war seit 1834 Professor der Physik in Leipzig, lehrte später Psychophysik, Ästhetik und Naturphilosophie. Er gilt als Begründer der experimentellen Sinnesphysiologie, untersuchte in seinen Beiträgen zur Psychophysik die Schwellenwerte von Reizen und Empfindungen (Weber-Fechnersches Gesetz) und erarbeitete eine psychologische Ästhetik. . In seinem philosophischen Weltbild ist die ganze Natur – von der Pflanze bis zu den Gestirnengöttlich beseelt. Der äußeren sichtbaren und mathematisch-physikalisch erforschbaren Seite der Welt (»Nachtansicht«), steht eine innere unsichtbare Seite gegenüber, die sich nur selbst sichtbar ist (»Tagesansicht«).

Siehe auch Wikipedia

 

Inhaltsverzeichnis
Gott in der Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht
Die Beseelung der ganzen Natur
Gott und die Welt
Gott als oberstes Wesen im Verhältnis zu den Welteinzelheiten
Allgemeine Bewusstseinsverknüpfung in Gott
In Gottes Hand ist das Übel nur ein Mittel zum Guten
Über den psychischen Wert der einfachen Atome (Monadologische und synechologische Ansicht)

Christus
Das größte Beispiel eines mächtigen Geistes


Gott in der Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht

Der Glaube an einen einigen Gott, dessen Bewusstsein das menschliche ebenso an Weite überreicht, als an Höhe übersteigt, beherrscht von oben herein die ganze Tagesansicht und wird durch die zwei andern wesentlichsten Punkte derselben von unten gestützt. Die sinnliche Erscheinung über Menschen und Tiere hinaus kann ja nicht im Leeren schweben, es bedarf eines Subjektes, eines übergreifenden Bewusstseins dafür. Entsprechend der Weite des geistigen Unterbaues wächst die geistige Höhe, und so steigt über den kleinen Bergen oder Pyramiden des menschlichen Bewußtseins die sie einschließende mit höchster Spitze, über allem einzelnen Trachten der Geschöpfe ein höchstes Trachten, auf, und fällt der Ausbau der Tagesansicht von oben herab mit dem Ausbau der Lehre von Gott zusammen. Das System der Tagesansicht wird hiermit ganz theokratisch.

Die Nachtansicht aber ist zwar sozusagen der Einheit und Erhabenheit Gottes zuliebe entstanden, und dem Glauben wird in Erinnerung daran geboten, noch daran festzuhalten. In ihren Wissenskonsequenzen aber führt sie, wie ein abgefallener Engel, nur davon ab, und indem diese Konsequenzen endlich den Glauben überwachsen haben, sind wir dahin gekommen, wo wir heute stehen; nicht mehr wissend, wie den Glauben noch zu halten, wie ihm noch zu helfen. An sich ist es der Nachtansicht natürlich, statt im göttlichen, vielmehr im menschlichen, Bewusstsein das höchste von Bewusstsein, was es gibt, zu sehen. Denn da sie keine Mittel kennt, auf ein, das menschliche an Weite überreichendes Bewusstsein zu schließen, woher sollten ihr die Mittel kommen, auf ein höheres darüber hinaus zu schließen; hängt doch eins verbindlich mit dem andern zusammen.

Und so sucht die Philosophie des Unbewussten das Band der Geister statt in einem übergreifenden allgemeinen Bewusstsein in einem untergreifenden allgemeinen Unbewusstsein, dem sie mystische Eigenschaften beilegt, welche an die des Bewusstseins erinnern, nur nicht die des Bewusstseins sein sollen. Die Philosophie des Begriffes spricht von einem Geiste der Menschheit, der Geschichte als einem Bande und konnte ohne Anhaltspunkte in der Wirklichkeit dazu nicht davon sprechen, doch sucht das verknüpfende Bewusstsein nur in den einzelnen Maschen, die Philosophie der Monaden gar nur in den Atomen des Bandes, und für die materialistische Leere liegt das Band der Seelen in der Materie zwischen den Seelen. Die Tagesansicht aber streitet mit diesen philosophischen Richtungen der Nachtansicht zu sehr im ganzen, um darüber noch im besonderen damit zu streiten.

Lass das verknüpfende Bewusstsein unsres eignen Geistes beiseite, so kannst du freilich auch noch eine Psychologie aus Anschauungen, Erinnerungen, Phantasien, Begriffen, Bestrebungen, Lust und Unlust und einem dunklen Mutterstock, der alles das hervortreibt, ohne um etwas davon zu wissen, zusammenbauen, und wirst damit eine Psychologie des Menschen gleich der heutigen Völkerpsychologie haben, welcher der Gedanke an ein, alles Einzelbewusstsein verknüpfendes, Bewusstsein fern liegt; hast aber auch in der heutigen Völkerpsychologie nichts mehr als in einer solchen Psychologie des Menschen. Es ist Uhlands totes Pferd mit allen Sehnen, Adern, Nerven des schönsten Pferdes, doch bleibt’s ein totes Pferd, und so sehr eine Anatomie desselben zu schätzen, hat man doch das anatomierte nicht mit dem lebendigen zu verwechseln.

Zwischen den einzelnen Menschen gibt es allgemeinere und höhere Beziehungen derselben in Kirche, Staat, Wissenschaft, Kunst usw.., vermittelt durch Sehen, Hören, Rede, Schrift usw. Nach der Tagesansicht nun hat nicht bloß der Mensch ein Wissen um diese Beziehungen, sondern ein allgemeineres und höheres der Geist über ihm, indem er das ganze Gespinst der Vermittlungen dieser Beziehungen unmittelbar und in Zusammenhang erfaßt. Indem es aber der Nachtphilosoph nur für eine Illusion in ihm selber hält, dass es überhaupt ein Sehen und Hören in der Welt über ihn hinaus gibt – Licht und Schall zwischen den Menschen sind ihm ja bloß tote Schwingungen materieller Punkte; er selber ist es nur, der sieht und hört – gelten ihm leicht auch alle dadurch vermittelten Beziehungen als Illusionen in ihm selber, die er nur aus sich in die Welt hineinsieht, die Annahme eines Gottes aber für die höchste von allen, indem der Mensch ein Bewusstsein vom Gesamtzusammenhange der Dinge, was er nur in sich hat, außer sich und über sich hinaus sucht.

Man sagt etwa: aber Kirche, Staat, Wissenschaft, Kunst usw., kurz alle Einrichtungen, wodurch sich höhere geistige Beziehungen in der Welt aussprechen, entstehen doch nur durch die Menschen, und so behält der Mensch als Schöpfer und Zentrum von allen die höchste Bedeutung über allen. – Und freilich konnten alle jene Einrichtungen nicht ohne die Menschen, doch ebensowenig allein durch die Menschen entstehen; und um eine wahre Gemeinschaft zwischen den Menschen dadurch herzustellen, bedarf es über die einzelnen hinaus noch eines Wesens, das die Beziehungen zwischen ihnen einheitlich zusammenfaßt. Wenn die Menschen nicht durch den Boden unter ihren Füßen, das Meer unter ihren Schiffen, die Luft, durch welche die Worte und das Licht, durch das die Blicke hin- und wiedergehen, zusammenhingen, nicht abgesehen von ihren gegenseitigen Beziehungen gemeinsame Einwirkungen von der Natur um sich und den Gestirnen über sich empfingen, so würden weder Kirche, noch Staat, noch Wissenschaft usw. haben entstehen, noch heute bestehen können. Der Himmel, die Sonne, der Mond, der Blitz, der Donner, welche den Menschen die erste Religion einflößten, waren eher als die Menschen dazu da, und ehe sich eine Sprache durch die Menschen bilden konnte, mußten Dinge und Beziehungen der Dinge da sein, die zur Bezeichnung derselben aufforderten. Das Wahre ist: eine schon vor Dasein aller Menschen mit göttlichem Geiste erfüllte Welt erzeugte den Menschen, ohne ihn aus ihrem Verbande zu entlassen, wirkte fortbildend in diesen ihren Sproß und Teil hinein; er wirkt auf sie zurück; es ist ein in sich zusammenhängendes wechselwirkendes Getriebe von oben herab, von unten herauf und nach allen Seiten, wodurch sich die Welt unter dem Einfluss eines allgemeinen Geistes auswirkt, der alles in Zusammenhang erfasst und erhält.

Nun mag man immerhin unter allen Teilen der, doch noch nicht das Ganze ausmachenden, irdischen Welt, denen überhaupt ein unterscheidbares Bewußtsein beizulegen, den Menschen die höchste Bedeutung beilegen, nur nicht eine höhere als dem Ganzen, dessen Teilwesen sie zugleich nach geistiger und materieller Seite sind, wie man in den Spitzen eines Bauwerkes die höchsten Teile des Bauwerkes sehen kann, aber doch nur, sofern sie durch die Höhe des Unterbaues in die Höhe gehoben sind und tief unter der Bedeutung des ganzen Bauwerkes bleiben. Aber freilich, nachdem das kopernikanische Weltsystem uns nicht mehr glauben lässt, daß die Sonne sich um die Erde dreht, meint man immer noch, dass die Erde samt der Sonne sich um die Menschen dreht.

Auch die Knoten im Netze meinen wohl, sie sind die Hauptsache im Netze, aber das ganze Netz will mehr sagen, als alle seine Knoten. Entfalte die Knoten, so sind sie selber kleine Netze, und das ganze Netz der Welt ist nur ein ausgefalteter Knoten.

Wenn der Nachtphilosoph nach tiefsinnigster Begründung, daß sich von Gott nichts wissen lässt, doch findet, dass er ihn braucht, also nicht fallen lassen will, so erklärt er ihn für ein praktisches Postulat, von dem aber theoretisch alles wieder abzuziehen ist, was in praktischem Interesse davon auszusagen ist. Man kann ja wohl von Liebe, Güte, Weisheit Gottes usw. sprechen, um überhaupt von ihm zu sprechen und sich damit dem gemeinen Verständnis anzubequemen, nur muss man sich philosophisch immer der Unangemessenheit davon bewusst bleiben: denn Liebe, Güte, Weisheit usw. sind ja auch menschliche Eigenschaften, und Gott ist über alle menschlichen Eigenschaften oder wenigstens alles menschliche Wissen von seinen Eigenschaften erhaben.

Nach der Tagesansicht ist er es freilich auch; aber nicht, weil und sofern er darüber hinweg ist, sondern weil er die höchsten und besten menschlichen und geschöpflichen Eigenschaften überhaupt zugleich in sich und unter sich hat, und in einer für uns unerreichbaren Höhe abschließt. Die Bibel prägt dem Menschen ein: liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst; die Tagesansicht aber führt ihm auch die Umkehrung davon zu Gemüte: die Liebe Gottes geht über alles und er liebt alle wie sich selbst, weil er eben Teilwesen seines eignen Wesens darin liebt. Näher aber können sie ihm nicht sein, und näher kann uns Gott nicht sein und können uns unsre Nebenmenschen nicht sein, als wenn wir alle gemeinsam Teil an ihm selber haben, und er uns alle zum Ganzen ergänzt. Das zu wissen und zu fühlen, ist Gottseligkeit; an jedem Gedanken und Gefühl aber, das davon abführt, hängt etwas von Gottlosigkeit.

Aus: Gustav Theodor Fechner: Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht
Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel Leipzig 1919

Die Beseelung der ganzen Natur
Die Ansicht, daß die ganze Natur lebendig und göttlich beseelt sei, ist uralt und hat sich in der Religion der Naturvölker, wie der Naturphilosophie der gebildeten Völker bis auf die neuesten Zeiten fortgepflanzt. Sie schließt die Anerkennung einer individuellen Beseelung nicht aus, vielmehr erweitert sich mit Anerkennung der Beseelung des Ganzen von selbst die der individuellen Teilwesen. Inzwischen ist unter uns die Geltung dieser Ansicht fast verschwunden, die Kraft und selbst der Reiz der Gründe dafür hat sich abgestumpft, die Naturphilosophie hat ihr Ansehen verloren oder ihre Bedeutung geändert. Um so mehr hat man sich gesträubt, noch auf diese Ansicht einzugehen, als sie einerseits mit geläuterten religiösen Ansichten, andrerseits mit den Forderungen einer exakten Naturwissenschaft in Widerspruch zu stehen schien.

Dessenungeachtet ist die folgende Schrift nach ihrem allgemeinsten Gesichtspunkte nichts als ein Versuch, dieser fast verschollnen Ansicht wieder Geltung zu verschaffen. Um einen solchen Versuch zu wagen, mußte, wenn nicht die Kraft neuer Gründe, eine neue Kraft der Gründe zu Gebote stehen, um ihn gerechtfertigt zu halten, jener Schein sich in Schein wirklich auflösen lassen. In der Tat wird diese Schrift zwar nichts als die uralten Gründe für die uralte Sache haben, aber sie wird durch Vertiefung und neue Verwendung denselben eine neue Wirksamkeit zu verleihen suchen; sie wird alle Forderungen der Religion und Wissenschaft, um deren Willen man jener Ansicht abgesagt hat, anerkennen, aber zu zeigen suchen, daß es vielmehr einer konsequenten Durchführung der Ansicht, als eines Aufgebens derselben bedarf, um jene Forderungen auch voll zu befriedigen
. [...] S.57f

Die Sache ist die: es gibt eine äußere sichtbare Seite der Natur, und ich fuße darauf, daß es auch eine innere unsichtbare oder nur sich selbst sichtbare Seite derselben gibt. Reicht es aber nicht hin, überhaupt an einen Gott und dessen Bezug zur Natur zu glauben, um dies wenigstens im allgemeinen zuzugestehen? Geschäft des Naturforschers als solchem ist nun doch bloß, die äußere und äußerer Beobachtung unterliegende Seite der Natur zu verfolgen, indes es sich für uns um die innere, unmittelbar bloß der Selbsterscheinung zugängliche Seite derselben handelt, die er deshalb nicht leugnen wird, oder doch nicht leugnen sollte, weil sie einem andern Gebiet der Betrachtung als dem seinigen angehört. Genug nur, wenn seinen Interessen durch Betrachtungen, die sich auf diesem Gebiete bewegen, nicht widersprochen wird. Es wird aber der, wer dieser Schrift einige Aufmerksamkeit schenken will, finden, daß die höhere Lebendigkeit, welche der Natur darin zugesprochen wird, doch dem exakten Naturforscher seine Rechte daran nicht im mindesten verkümmert, nicht in ähnlicher Weise verkümmert, wie es durch die naturphilosophischen Betrachtungsweisen, die von Schelling und Hegel ausgegangen, allerdings mehr oder weniger geschieht. Nur eine Nutzung, nicht eine Verfälschung der Resultate der Naturforschung kommt hier vor. Kein Naturgesetz erscheint hier weniger bindend, als es dem strengsten Forscher erscheint, und der Zweck, der eine so große Rolle bei uns spielt, vermag nichts, außer sofern er mit dem Gesetz des Wirkens Hand in Hand geht. Die Naturnotwendigkeit besteht überall, wie und wo sie der Naturforscher verlangen kann und verlangt. Aber auch der Freiheit wird ihr Gebiet gelassen; ja ich glaube, die Vereinbarkeit einer unverbrüchlichen Gesetzlichkeit mit Freiheit unter einem klarem Gesichtspunkt dargestellt zu haben, als man gewöhnlich findet.

Ich habe früherhin, der gewöhnlichen Meinung gegenüber, behauptet, daß die Pflanzen beseelte Wesen seien. Nun behaupte ich, daß auch die Gestirne es sind, mit dem Unterschiede nur, daß sie eine höhere Art beseelte Wesen sind als wir, indes die Pflanzen eine niedrigere Art
. [...] S.60

Versteht und einigt sich wohl die Religion mit der Naturwissenschaft, die Philosophie mit der Religion, die Philosophie mit der Naturwissenschaft, oder auch nur jede derselben in sich recht darüber, wie das Verhältnis des göttlichen Geistes zur Natur, der menschlichen Seele zum menschlichen Leibe in der Schöpfungsfrage, der Unsterblichkeitsfrage, der Frage über das Walten materieller und ideeller Kräfte in Welt und Leib zu fassen sei? Ja wissen wir nur, was in unserm eigenen Leibe eigentlich beseelt zu nennen sei, ein Punkt im Gehirn, ein Stück im Gehirn, das ganze Gehirn, das ganze Nervensystem, der ganze Leib? Oder sind die Ansichten des gemeinen Lebens klarer über alle diese Punkte als die wissenschaftlichen und religiösen? Sind nicht vielmehr alle Hauptwidersprüche der wissenschaftlichen und religiösen in sie übergegangen? Natürlich, daß, wenn unsere Weisen, die Beziehungen des Leiblichen und Geistigen zu fassen, überall unklar und verwirrt sind, wie sie es gewiß sind, auch grobe Irrungen überall unvermeidlich sind. Wir leugnen die Pflanzenseelen, weil die Pflanzen unsere Ansprüche an die grobe oberflächliche Analogie mit uns selber nicht befriedigen; aus demselben Grunde leugnen wir die Seelen der Gestirne. Aber eben die Unmöglichkeit, beim Fortfußen auf solch grober Analogie zu einer in sich zusammenhängenden, für Religion, Philosophie und Naturwissenschaft zugleich durchgehends befriedigenden Grundansicht zu gelangen, sollte uns über dieselbe hinausführen. Und nun sage ich: in demselben allgemein befriedigenden Zusammenhange, in dem die Seele der Pflanzen liegt, liegt auch die Seele der Gestirne. Es fordert nur, weil die Analogie hier noch mehr von der Oberfläche zurücktritt, ein Zurückgehen in noch größere Tiefe. Wir können uns hier nicht mehr auf Ähnlichkeiten im Zellenbau, im Wachstums- und Fortpflanzungsprozeß berufen, woran sich die Analogie zwischen Tier und Pflanze noch gröblich halten konnte; die ganze Erde mit ihren Prozessen tritt aus dem heraus, was wir gewöhnlich als organischen Prozeß und hiermit als möglichen Träger von Leben und Seele zu fassen pflegen; soll sie, sollen ihre Geschwister dennoch Leben und Seele besitzen, so muß das Vermögen der Seele und des Lebens noch weiter und noch tiefer als durch jene Erscheinungsweisen reichen, und sicherlich ist es so. [...] S.62-63

Freilich sieht die Welt, die sich jetzt die gebildete nennt, mit tiefer Verachtung herab auf jenen Kinderglauben der Menschheit, der überall Seele in der Natur fand, wie wir es wieder tun, und in Sonne, Mond und Sternen individuelle göttlich beseelte Wesen sah, wie wir es auch wieder tun. Daß wir es tun, wird uns selbst werfen lassen unter die Narren und Kinder. Doch ist in den Narren und Kindern manchmal mehr Wahrheit als in den Weisen und Greisen. [...] S.64

Die Hauptschwierigkeit unsrer Aufgabe liegt nach allem darin, daß wir gewohnt sind, die Seele nicht als Regel, sondern als Ausnahme in der Natur zu betrachten. Ist die ganze Natur beseelt, so handelt es sich nur noch um die Frage, was nun individuell darin beseelt ist, und auf welcher Stufe der Beseelung es gegen andres steht. Nun sind die Gestirne für die einfachste Anschauung wie für die gründlichste Prüfüng, der wir uns nicht entziehen werden, selbständigere Geschöpfe als wir, und uns übergeordnet, weil wir, recht betrachtet, selbst nur ihre Glieder. Ist also alles beseelt, so sind sie sicher auch selbständiger und höher beseelte Glieder dieses Ganzen als wir. Da ist keine Schwierigkeit als die, welche man sich macht. Und zu aller Zeit, wo die Natur selbstverstehend für beseelt galt, galten auch die Gestirne selbstverstehend für höher beseelte Wesen. Wie sollen wir dagegen die Glieder für lebendig halten, wenn wir den ganzen Leib für tot halten und nur uns, die letzten zerstreuten Spitzen dieser Glieder, für lebendig, ja wohl deshalb ihn für tot halten, weil wir selbst lebendig sind; den Baum für tot, weil die Blätter leben. Statt unser Leben als genährt aus dem größern Leben, statt unsre Individualität als geeinigt und getragen durch die größere Individualität anzusehen, statt unsre Selbständigkeit und unser Bewusstsein für ein Zeichen zu halten, daß das, was so Selbständiges, Bewußtes aus sich gebiert und doch als Momente in sich behält, noch selbständiger und bewußter sein müsse, als alle seine Ausgeburten, halten wir alles außer unserm Leben nur für eine Schlacke des Lebens, sehen wir in unsrer Individualität und Selbstmacht und unserm Bewußtsein nur einen Widerspruch gegen eine höhere Individualität und Selbstmacht und ein höheres Bewußtsein. Und wenn die Allmacht der Beziehungen, die durch die ganze Welt gehen, den Philosophen dennoch zwingt, einen Geist der Menschheit, der Geschichte und über alles der Welt anzuerkennen, was ist dieser bewußtlose Geist mit bewußten Einzelmomenten, dessen Außersich, nicht Äußerung die Natur, anders als ein Widerspruch in sich selbst, oder ein hohles Wort, das noch in keiner individuellen Gestaltung sich lebendig ausgewirkt, statt dessen uns die besten Glaubensgüter geraubt, das klarste Wissen verwirrt hat. Oder wenn wir, den Eintausch verschmähend eines Gottes, der nicht besser und weiser als wir, aufrichtig an einen allwissenden, allgegenwärtigen, allwaltenden Gott glauben, durch den alles ist, was ist, durch den die Sonnen gehen und die Meere fluten, dem jede Falte unseres Herzens klar, ja klarer wie uns selber; was hat die Natur von seiner Allgegenwart und seinem Wirken, wenn auch dies Wort ein totes bleibt, Gott doch leiblos auf der einen Seite, die Natur geistlos auf der andern bleibt, und was frommt es uns, wenn unser und aller individueller Geist von Gott vielmehr abgefallen als innerlich getragen ist? Alle Vordersätze gestehen wir zu, keine Folgerungen ziehen wir, oder nur solche, die den Vordersätzen widersprechen. Wie kann solche Lehre Leben und Frieden gewinnen und geben? Da welkt alle Pflanze; da versteinern die Gestirne; da wird uns unser eigner Leib für den Geist zu schlecht und nur noch ein Gehäuse für die Sinne; da wird das ganze lebendige Buch der Natur uns nur noch zu einem Lehrbuch der Mechanik und die Organismen seltsame Ausnahmen darin; über alles aber da bleibt eine Scheidewand zwischen Gott und uns; unsere Wünsche und Gebete verblassen, durch den hohlen leeren Raum zu ihm aufsteigend; gräuliche Bilder von ewiger Verdammnis statt von bessernder Zucht befangen uns; Verstand und Herz liegen ewig um Gott im Hader, und was das eine glaubt und will, versagt das andre.

Ist es denn nicht verzeihlich wenigstens, an eine Lehre zu denken, die, statt sich mit den besten, höchsten und schönsten Gedanken unserer Religion in Widerspruch zu setzen, auf ihrer Wahrheit fußen, nicht ihre Worte bloß immer im Munde, sondern ihre Gedanken ins Leben führen möchte, hiermit aber freilich zugleich Versöhnung unsers Glaubens bringen möchte mit einem andern Glauben, den wir immer nur hochmütig verachtet oder feindlich bekämpft haben, und der doch auch sein Teil von Gott hat. Da erkennt der Christ auf einmal in dem Heiden wieder seinen Bruder, der wie er ein Auge auf Gott hatte und, indes er, der Christ, nach dem Höchsten blickte, im Niedern noch Gottes Spur festhielt, und wird nun gewahr, daß Gott überhaupt nicht bloß oben, nicht bloß unten, nicht bloß außer, nicht bloß in den Menschen ist, daß er wahrhaft alles ist in allem, der wahrhaft Einige, Ewige, Allgegenwärtige, Allwissende, Allmächtige, Allliebende und Allgerechte. Im ganzen freilich vergaß es der Christ nie, aber ins einzelne bildete er es nie durch, indes der Heide es in tausend Einzel-Anwendungen durchgebildet und nur im ganzen immer vergessen hat. So schwände auf einmal mit dem Zwiespalt beider Religionen der Zwiespalt, den jede in sich selbst trägt; was jede an ihrer eignen Erfüllung noch vermißt, das fände sie erfüllt in der andern, und der Vernichtungskrieg beider würde zu einem Frieden, wo jede nur die Mängel der andern hebt, den Gewinn der andern teilt; von seiten des Heidentums freilich ein Gewinn, den es nur mittelst der Wiedergeburt in dem Christentum und aus dem Christentum wird zu erlangen im Stande sein.

Doch es ist nicht meine Absicht, hier von der Höhe des Gesichtspunktes auszugehen, wo Gott als der allwaltende Hort alles Lebens, alles Geistes in aller Natur wahrhaftig auftritt. Suchen wir hier nur wieder eine Stufe von unten dazu zu bauen. Wer nicht von unten aufsteigt, schwindelt auf der Höhe. Nicht um die Seele, das Leben des Ganzen wird es sich hier handeln, sondern um ein individuelles Seelenleben in dem Ganzen. Wo von Leben die Rede, meinen wir ein solches, nur immer ein vom Ganzen getragenes, und was uns darauf hinweist. Auch würde eine erschöpfende Untersuchung über die Gegenstände, die hier zur Sprache kommen werden, weiter greifen, als die Absicht dieser Schrift greift, deren Gründe überall nicht aus dem Letzten, sondern aus dem Ersten hergeholt werden
. S.66-69
Aus: Gustav Theodor Fechner: Das unendliche Leben, S.57, 60, 62-64, 66-69)
Matthes&Seitz Verlag


Gott und die Welt
Es sind mancherlei Kräfte, aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allem (1.Kor. 12, 6)
Wenn man von Gott spricht, so kann es in mehr als einem sinne geschehen. Im engeren Sinne kann man damit das geistige Prinzip meinen, das in und über der Welt waltet und sie beherrscht. Die Religion erkennt nur diesen Sinn an. Da es sich bei ihr nur um Beziehungen von Geist zu Geist handelt, so ist es nur folgerichtig, daß sie Gott auch nur als reinen Geist aufgefasst wissen will.

Aber man kann das Wort Gott in anderm Zusammenhang auch in einem weiteren Sinne gebrauchen, indem man die materielle Erscheinungswelt, anstatt sie Gott gegenüberzustellen, nur als die äußere Seite des göttlichen Wesens betrachtet, als etwas zu Gott mit Hinzugehöriges, in derselben Weise, wie man den Leib des Menschen als seine Außenseite betrachtet. Damit ist dann keineswegs gesagt, dass die Welt mit dem göttlichen Geiste oder daß der Leib mit der Seele von gleicher Würdigkeit sei; es ist damit auch nichts über die Art ihres gegenseitigen Verhältnisses entschieden. Kann man doch den Sockel eines Denkmals einmal mit der Statur zusammen als ein Standbild betrachten und das andere Mal die Statue als das Höhere in diesem Ganzen für sich allein betrachten. Auf die Statue kommt es letzten Endes an; doch wäre sie ohne Sockel kein volles Ganzes. Uns gilt nach den früheren Darlegungen diese Auffassung, wonach Gott und die Welt eine nicht zu lösende Einheit bilden, für diejenige, die im Wesen der Dinge sachlich allein begründet ist. Wo es aber darauf ankommt, nicht bloß die Beziehung der endlichen Geister zum göttlichen Geiste und den Gegensatz des göttlichen Geistes gegen die Welt, sondern besonders auch das innige Verhältnis des göttlichen Geistes zur Welt oder zur Natur hervorzuheben, so ist es nicht zu umgehen, daß man das Wort Gott je nach Gesichtspunkt und Zweck bald im engeren, bald im weiteren Sinne gebraucht.

Wenn man die Natur begrifflich von Gott abzieht und sie diesem als einem rein geistigen Wesen gegenüberstellt, so kann man mit der Abstraktion auch noch tiefer gehen und in das geistige Wesen selbst einschneiden. Dadurch entstehen dann noch engere Fassungen des Gottesbegriffes, So lässt sich Gott als absoluter Geist den individuellen Geistern der Geschöpfe als seinen geistigen Teilwesen gegenüberstellen, ähnlich wie der Menschengeist als ganzer Geist den in ihm unterscheidbaren Vorstellungen als seinen geistigen Teilwesen gegenübergestellt werden kann. Natürlich bleibt diese Gegenüberstellung des Ganzen und seiner Teilwesen immer nur eine begriffliche Abstraktion ohne reale Grundlage.

Und noch in einer anderen Weis lässt sich im Gebiete des Geistes eine Abstraktion vornehmen, indem man Gott im engsten Sinne des Wortes als den Allgemeingeist aus dem Gebiete des Einzelnen abstrahiert und als den ihm übergeordneten Begriff diesem gegenüberstellt. So gilt das Höchste, Beste, Allgemeinste in uns und in allen Geistern als Gottes Ehen und Wohnen in uns und über uns hinaus, während wir dann Gott als dem verknüpfenden Allgemeinwesen gegenüberstehen gedacht werden. In ähnlicher Weise könnte auch unser Geist gewissen Gesichtspunkten, wie denen des Guten, Wahren und Schönen, gegenübergestellt werden. Doch muss man sich immer vor Augen halten, dass in Wirklichkeit das Allgemeine nicht ohne das Einzelne besteht, sondern erst in diesen Besonderheiten lebt.

Der Begriff Welt teilt die Mehrdeutigkeit des Begriffes Gott, indem er dessen Wandlungen von selbst folgt. Wo im weitesten Sinne das ganze Gebiet des geistigen und materiellen Daseins zu Gott gerechnet wird, da fällt der Weltbegriff mit dem Gottesbegriff zusammen; das ist die pantheistische Weltsicht. Auch unsere Ansicht ist pantheistisch; wir halten die weiteste Fassung des Gottesbegriffes allein für sachlich begründet und jede andere Fassung nur für eine Abstraktion. Aber vom Hegelschen Pantheismus unterscheidet sich der unserige wesentlich dadurch, dass wir alles Bewusstsein in einem einheitlichen, bewussten höchsten Wesen gipfeln lassen, während Hegel alles Bewusstsein in das einer Vielheit von Einzelgeschöpfen aufhebt.

Bei den engeren Fassungen des Gottesbegriffes tritt die Welt Gott gegenüber, statt mit ihr zusammenzufallen; man nennt dann das Welt, was nach Abstraktion Gottes aus dem ganzen Gebiet des Daseins noch als Rest übrig bleibt. So fällt der Begriff Welt entweder mit der Natur als dem Inbegriff der äußeren Erscheinungswelt zusammen, oder er umfasst selbst auch noch geistige Einzelwesen.

Nun mag es zwar scheinen, als ob die engste Fassung, wonach Gott als Allgemeingeist den Welteinzelheiten gegenübersteht, unserm praktischen Bedürfnis am meisten entgegenkäme. Das religiöse Interesse scheint es geradezu zu fordern, dass man in Gott ein Wesen erblickt, das an der Beschränktheit, Mangelhaftigkeit und Sündhaftigkeit, kurz am Übel im Gebiet der Einzelwesen, nicht selbst beteiligt ist. Dieser Gesichtspunkt hat viel Berechtigtes; allein er darf uns nicht dazu verleiten, über einer noch so zweckmäßigen Begriffsbestimmung die reale Wirklichkeit aus dem Auge zu verlieren. Der vermeintliche Vorteil einer Definition kann natürlich nicht aufkommen vor der Wucht der Tatsachen. Nicht darauf kommt es an, was man als Gott bezeichnen und will, sondern ob unser Gottesbegriff auch standhält gegenüber der Erfahrung. Bei gründlicher Prüfung verspricht übrigens die weiteste Fassung, welche von Gott nichts abzieht, auch die meiste Befriedigung für das Herz. Das sei im voraus bemerkt, dass Gott bei allen Wandlungen, die der Begriff erleiden mag, für uns immer ein
einheitliches, allmächtiges, allwissendes Wesen von höchster Güte bleiben wird. [...]

Wo auch von der Seele die Rede ist, immer erscheint diese nur sich selbst. Ein fremdes Wesen kann uns nur nach der leiblichen, körperlichen Seite erscheinen, niemals nach der geistigen, seelischen. Da nun Gott uns wie überhaupt alle Einzelwesen innerlich umfasst, so nimmt er unsere Geister nach ihrem ganzen Inhalt wahr, und zwar als Geister; das ist gemeint, wenn wir Gott als allwissend bezeichnen. Aber wir werden von Gott als einem geistigen Wesen nur insoweit unmittelbar etwas gewahr, als wir selbst mit Gott zusammenfallen; das ist aber nur ein sehr kleiner Teil Gottes. Den Teil des göttlichen Wesens, den wir mit ihm gemein haben, erfassen wir als Geist, alles übrige von Gott erscheint uns körperlich, materiell, als Natur und Welt. Weil wir Menschen dem göttlichen Wesen eingetan sind, so sind wir auch imstande, in Gottes Geist, wenn auch nur in beschränkter Weise, selbst einen Einblick zu tun; er offenbart sich uns, bezeugt sich uns. Dies ist eine unmittelbare Quelle unserer Gotteserkenntnis, während sonst nur die materielle Erscheinungswelt zum Ausdruck des göttlichen Geistes für uns wird.

Aus: G. Th. Fechners Zend-Avesta, Gedanken über die Dinge des Himmels und des Jenseits vom Standpunkt der Naturbetrachtung
Frei bearbeitet und verkürzt herausgegeben von Max Fischer (S.118ff.)
Der Dom, Bücher deutscher Mystik . Im Insel-Verlag 1922


Gott als oberstes Wesen im Verhältnis zu den Welteinzelheiten
Gott ist ein Wesen einzig in seiner Art, in gewisser Hinsicht ganz verschieden von allen Stufen unter ihm, in gewisser Hinsicht ihnen allen gleichend, Vater, Schöpfer, Urbild, maß und Messer ihrer aller, nach Geistes- wie nach Leibesseite, ein überzeitliches, ein überräumliches, ja überwirkliches Wesen, nicht also aber, dass Zeit, dass Raum, dass Wirklichkeit tief ab unter ihm läge, nein, dass aller Raum und alle Zeit und alle Wirklichkeit in ihm begriffen sind, Grund, Wahrheit, Wesen in ihm finden. Unendlichkeit und Einheit, das sind die beiden Zahlen, damit zählt man Gott.

Gott ist das Eins und All, die Eins zu allen Brüchen, doch selber unzerbrochen, das All von allen Einern, wo jede Eins ist Tausend, ist Anfang, Mittel, Ende, in einen Kreis verschlungen, das Zentrum aller Kreise, der Kreis zu allen Zentren, ist aller Widersprüche Auflösung, letztes Band. Doch wer Gott selbst auflösen will, sieht nichts als Widersprüche; wer treten will aus seinem Bande, gerät in Widerspruch mit sich, in Widerspruch mit andern, in Widerspruch mit allen. [...]

Es misst der Mensch den Raum nach Linien, Zollen, Fußen, Ellen, Meilen, die Zeit nach Sekunden, Minuten, Stunden, Tagen, Wochen, Monden; das Grundmaß aber von alledem ist nicht die das Kleine, sondern das Große; wie groß die Erde und wie lang die Zeit, in der sie eine Drehung um sich selbst vollbringt, das ist das Grundmaß, das einzige auf Erden für den Menschen feste, und alles kleinere Maß ist davon nur ein Bruch, soll's anders fest bestehen. So ist nun das letzte Grundmaß aller Wirklichkeit und Wesenheit der Welt auch nicht das Kleine, sondern das Große, ja das Allergrößte, Gott selber oder Gottes eigenes Maß. Fragst du: Wer kann das Grundmaß brauchen, das alles überragt, wer findet den Bruchteil des Unendlichen, der anzulegen ist an das Endliche? Aber hinausgehend über alles, geht es auch hin über alles, legt sich an alles an von selber und misst von selber alles im Verhältnis zu einem nicht allein, vielmehr zu jedem andern; ein jeder braucht's in jedem Augenblick und denkt nicht daran; und könnte ohne das doch nicht das Maß des eigenen Schreitens, sei's mit dem Fuß, sei's dem Gedanken, finden; und hiermit selbst den Schritt nicht finden und hiermit ihn nicht tun. Das Band ist auch das Maß. Es ist dasselbige Gesetz, das geht durch Gottes Wesen, nach dem ein jedes, wenn und wo's geschieht, maßgebend ist für jedes andere, wenn und wo es sonst geschehe, in dem, was gleich und ungleich zwischen beiden, das aber, indem es alles messen lässt am andern, die eigene Freiheit Gottes nicht ermessen kann.

Was irgendwie die Wesen unterscheidet, die auf verschiedener Stufe zueinander stehen, das schlägt im Übergang zu Gott, dem Ab- und Einschluss aller Stufen, ins Absolute um; was ihnen ist gemein, das ist in Gott allein ganz rein und voll begründet.

Wie hoch auch ein Wesen stehe, es hat noch seine Außenwelt, noch andre Wesen, ihm ähnlich gegenüber; nur wie es höher aufsteigt, hat es mehr in sich, kreist es reiner in sich, bestimmt sich mehr durch sich, indem es von den Bestimmungsgründen der Existenz mehr einschließt.


Gott als Totalität des Seins und Wirkens hat keine Außenwelt mehr außer sich, kein Wesen sich äußerlich mehr gegenüber, er ist der einzige und alleinige; alle Geister regen sich in der Innenwelt seines Geistes; alle Körper in der Innenwelt seines Leibes; rein kreist er in sich selbst, wird durch nichts von außen mehr bestimmt, bestimmt sich rein aus sich in sich, indem er aller Existenz Bestimmungsgründe einschließt.

Kein Geschöpf der Welt ist ganz sein eigen Geschöpf, jedes hervorgegangen aus einer oberen Stufe, die sich besonders entwickelt hat; der Mensch mit Tieren, Pflanzen kam aus der Muttererde, die Erde mit ihren Geschwistern aus oberer himmlischer Sphäre. Jedes konnte nur entstehen, jedes kann nur fortbestehen in Ergänzung mit dem andern, was auf selbiger Stufe entsprang, ja nach dem letzten Grunde nur aus dem vollen Ganzen. Doch jedes, je weiter es oben steht, schließt mehr der Schöpferkräfte in sich, lässt mehr aus sich entspringen und hält mehr in sich, unter sich, was sich mit anderem zu ihm ergänzt, hat weniger außer, über sich, womit, wozu es sich ergänzt.

Aber Gott und nur eben Gott ist als Schöpfer und Geschöpf sich selbst gleich; ganz sein eigner Schöpfer, ganz sein eigen Geschöpf, aus nichts erwachsen, denn aus sich selber, ergänzt sich mit nichts anderm, ist selbst ganz; doch alles ist aus ihm erwachsen, ergänzt sich in ihm, zu ihm.

Wie hoch aber Gott auch stehe über seinen Geschöpfen, hat er sie doch zu Spiegeln seiner Höhe und Herrlichkeit. Kein Geschöpf ist so niedrig und klein, dass es nicht einen Gott bedeutete für einen Wirkungskreis, der unter sich noch Tieferes begreift; kein Geschöpf ist so hoch und groß, dass nicht ein Höheres und Größeres und doch noch Endliches ihm Gott abspiegelte in einem höhern und größern Wirkungskreise, der wieder seinen unter sich begreift. Der Mensch nennt sich selber ein Abbild Gottes, doch drüber ist's die Erde und drüber ist's die Sonne mit der Schar ihrer Planeten. Das ist ein größeres, volleres, leuchtenderes Abbild Gottes als Mensch noch und als Erde, mit einem größeren Wirkungskreise, der selbst die Erde mit allen Menschen unter sich begreift. Wie oft hat schon der Mensch die irdischen Mächte Götter, wie oft schon die Sonne Gott genannt! Doch ist sie wirklich Gott? Sie ist der nächste Spiegel nur, in dem Gott von oben der Erde und allem Irdischen erscheint, der nächste, nicht der größte, letzte. Erhebt der Mensch den Blick noch drüber, so sieht er, sie ist nichts, sein Blick ist selber nichts. Der ganze Himmel mit allen seinen Sternen, Engeln tut sich auf, den kann er nicht umspannen, den kann er nicht ermessen, den kann er nicht ergründen; je tiefer er hineindringt, so tiefer wird er nur. Über allen Blick hinaus fliegt endlich der Gedanke; kann doch kein Ende finden, steht endlich müde still. Und so wird der Gang selber mit Blick und mit Gedanken zum Höhern zum noch Drüber, vom Weitern zum Unendlichen, ein Spiegel und ein Teil des Ganges zugleich, den Gott durch seine eigene Höhe und Unendlichkeit geht.

In gewisser Hinsicht ist der ganze Gott für uns das fernste, weil das oberste Wesen. Insofern ist er es, als es uns fernliegt und schwer fällt, ja unmöglich den ganzen Kreis der obern und untern, höhern und niedern Besonderheiten, den er umfasst, erkennend zu erschöpfen und uns in besondere Wirkungsbezüge dazu zu setzen. Insofern stehen wir der Erde viel näher. Wir sind zwar ganz in ihm wie in ihr; wie viel weiter aber ragt Gott über uns hinaus als die Erde, in der uns alles nachbarlich, ja so nachbarlich, dass man sie oft in viele Bilder Gottes gespalten hat; sie war zu nah und schien darum zu groß, sie ganz in eins zu fassen.

Von der andern Seite aber steht uns der ganze Gott auch wieder näher als irgendein Sonderwesen, können wir nur in ihm, dem Ganzen, unmittelbaren Halt suchen und Halt finden, und gerade das Nötigste, Höchste und Wichtigste, was alle Geschöpfe brauchen, ist es, was sie nur unmittelbar vom ganzen Gott haben können.

Aus: Gustav Theodor Fechner, Ausgewählte Schriften, Wilhelm Borngräber Verlag Berlin, S128ff.

Allgemeine Bewusstseinsverknüpfung in Gott
In Gottes Bewusstsein verknüpft sich zuletzt alles und fließt in eine Einheit zusammen alles, was in seiner Welt von niederen und höheren Wesen überhaupt empfunden, gedacht, gefühlt, gewollt wird, und wären diese Wesen Billionen von Meilen noch voneinander; die räumliche Entfernung ist ganz gleichgültig, und auch die zeitliche insofern, als Gott noch nach unendlich vielen Jahren das als denselben Gegenstand der Anschauung, denselben Begriff, dieselbe Ideee, in sich forterhalten, fühlen und erkennen wird, was nur nach Zeit und Raum ein anderes geworden.

Nicht so aber hat man sich's zu denken, als ob das, was wir, die untern Wesen, anschauen, denken, fühlen, von einem obern, wie dem Geist der Erde, noch einmal und dann von Gott auch noch einmal geschaut gedacht, gefühlt, würde. Sondern, indem wir einen Gedanken denken, denkt ihn der obere Geist durch uns, in uns und Gott im obern Geist und durch den obern Geist. Es ist ein einmaliger Gedanke. Wie wenn Kreise ineinander, der größte Kreis nun alle die kleineren nicht noch einmal abgesehen von den innern, sondern eben in den innern selber hat.

Soviel auch Wesen, niedere und höhere, sich in einem gleichen Gedanken oder Gefühle der Verehrung, Andacht, Liebe gegen Gott selbst, der über allen, einigen, das, worin sie wirklich einig sind, wird auch in einem Gedanken, Gefühle von Gott erfasst, hat in ihm einen Brennpunkt, nicht aber so, dass er der Sonderbeziehungen zu seinen Einzelwesen dadurch verlustig ginge, er fühlt vielmehr auch, wie jeder von andrer Seite, andrer Richtung her jenen Gedanken an ihn hat, jenes Gefühl zu ihm trägt und an dessen Entstehung sich beteiligt. Das Einige aller läuft in ihm auch in das Verschiedene aller aus; und so strahlt er aus der Einheit des Gedankens oder Gefühls, das ihm von verschiedenen Seiten zum Bewusstsein geworden ist, auch wieder Strahlen nach verschiedenen Richtungen aus. Der Gedanke oder das Gefühl, das in ihm angeregt wird und aus dem er die Anregungen erwidert, ist selbst nur eines.

Das Allgemeinste, was alle Wesen identisch in sich tragen und was daher auch nur als eins in Gott erscheint, indes ein jedes Wesen meint, es habe daran etwas Besonderes, ist das Grundgefühl der Einheit des Bewusstseins selbst. Als eins in vielem sich zu fühlen, das haben wir alle von Gott, in Gott; er hat's wie wir, wir haben's wie er; doch wie die Einheit des Bewusstseins sich in jedem von uns besondert, das fühlt er auch mit jedem, in jedem von uns besonders.
Aus: Gustav Theodor Fechner, Ausgewählte Schriften, Wilhelm Borngräber Verlag Berlin, S133f.

Die Erde steht in der Stufenfolge der Lebewesen als Stufe zwischen Gott und dem Menschen; sie ist also in dieser Beziehung ein Zwischenwesen, eine Vermittlerin zwischen beiden; aber sie bildet darum noch keine Mauer zwischen ihnen, keine Scheidewand wodurch der unmittelbare Verkehr zwischen Gott und dem Menschen verhindert oder erschwert würde. Das Bild, das meinem Auge angehört, ist darum nicht weniger mein eigen; ist doch das Auge mein. So bedeutet der Umstand, dass ich der Erde angehöre und die Erde in Gott ist, auch für mein Verhältnis zu Gott keine Einbuße an Unmittelbarkeit und Innigkeit. Statt des vermeinten Nachteiles wird unsere Gottesvorstellung aus der Lehre von der Erdseele nur Gewinn ziehen. Sonst war Gott an Größe uns Menschen viel zu nahe und im Abstand viel zu fern, da wir einerseits an seine Größe immer nur einen menschlichen Maßstab legten und andererseits seinen Wohnsitz jenseits alles menschlichen Horizontes suchten. Jetzt erscheint uns Gott als ein Wesen nicht nur über unsere eigene Vernunft, sondern auch über der Vernunft der übermenschlichen Wesen. Früher stand Gott wie ein Turm neben dem Menschen; wir maßen den großen Turm mit dem kleinen Menschen. Nun sehen wir viele hohe Türme über uns hinweggreifen, und Gott ragt nicht bloß als der höchste Turm über alle hinaus, sondern alle Türme sind selbst nur Bausteine seines Leibes und gewissermaßen Sprossen an der Leiter, die wir ersteigen müssen, wenn wir versuchen, einen Einblick zu tun in das ewig unerforschliche Geheimnis Gottes.

Und wie Gott hoch erhaben über allem Menschlichen steht, so ist er uns Menschen zugleich ganz nahe, so nahe, wie nur die Glieder am Leibe selber sind. Der Geist der Erde ist am lebendigen Baume Gottes nur ein lebender Zweig, der die irdischen Wesen trägt als Blätter und Blüten. Wäre es besser, wenn der Zweig verdorrte, wenn die Blätter und Blüten abfielen und verstreut würden? Wahrlich, um keinen Gewinn gäbe ich den Glauben preis, dass wir Menschen miteinander allesamt in Gott leben, weben und sind, wie er in uns.

Du hattest wohl den Stolz gehabt, du seiest etwas für dich als einzelner Mensch. Lerne jetzt, dich auch fühlen im Zusammenhang mit der Erde und mit allen irdischen Wesen. Aber denke dir den Zusammenhang nicht bloß äußerlich und tot: du hier und jene dort, deine Mitmenschen von dir wie durch einen geistig leeren Raum geschieden, die Erde nur Leib und gut genug zum Tummelplatz deiner Bewegungen; sondern denke dir den Zusammenhang organisch und lebendig, vor allem geistig, wie du zusammen mit ihnen und mit allen, die vor waren und nach dir sein werden, berufen bist, das Leben eines höheren Geistes zu erfüllen.

Aus: G. Th. Fechners Zend-Avesta, Gedanken über die Dinge des Himmels und des Jenseits vom Standpunkt der Naturbetrachtung
Frei bearbeitet und verkürzt herausgegeben von Max Fischer (S.124ff.)
Der Dom, Bücher deutscher Mystik . Im Insel-Verlag 1922


In Gottes Hand ist das Übel nur ein Mittel zum Guten.
Die Welt ist Gottes; trotzdem gibt es Böses in der Welt, den Schmerz und die Sünde; wir können es nicht wegleugnen. Du fragst, woher das Übel kommt und wie es zu vereinigen ist mit einem guten Gott. Gott kann nur gut sein; mit einem bösen Willen würde er sich nur selbst schaden. Es gibt nichts, wogegen er diesen Willen wenden könnte als gegen sich selbst, da alles in ihm ist.

Wenn Gott das Übel gewollt hat, dann ist er ein böser Gott. Wenn Gott das Übel zugelassen hat, wo er es doch hätte verhüten können, dann ist er ein nachlässiger Gott. Wenn es wider seinen Willen kam, so ist er ein ohnmächtiger Gott. Wie sind diese Widersprüche zu lösen? Ein jeder versuche es auf seine Weise; ich lege das mir so zurecht: Ich gehe dabei von meiner eigenen Seele aus. Nicht alles, was in meiner Seele vorgeht, geschieht mit meinem Willen; es taucht darin sehr vieles ohne mein Zutun auf aus einem mir unbewußten unteren Triebleben. Mein mir selbst bewußter Wille ist gewissermaßen bloß der oberste Lenker in meiner Seele, der alles, was darin auftaucht, zu einem Ziele führen will, das mir für mich das beste scheint, der Eintracht und Frieden zu stiften strebt zwischen meinem Wissen und Glauben, Sinnen und Trachten, auch wenn einzelnes widerstrebt, der das, was nicht in dieses Streben passen will, so lange dreht und wendet, bis es sich dem Ganzen fügt, und endlich das, was ganz hineinpaßt, als Welle im Strome seines allgemeinen Fortschrittes selber braucht und fördert.

In Gott, von dem unsere Seele selbst ein Teil, eine Probe ist, wird es nicht anders sein; auch Gottes Seele wird nicht nur aus oberstem Willen bestehen. Sollte in seinem Bewußtsein nichts unabhängig von diesem obersten Willen auftauchen können, so gäbe es überhaupt kein Sonderwesen in Gott. Denn nur das macht sie zu selbständigen Individuen in ihm, daß ihr Wille und Trieb seinen oberen Willen beeinflussen kann. Auch in Gott wird wie in unserer Seele der oberste Wille nur der oberste Lenker sein, der alles zu dem Ziele zu führen strebt, das Gott für das beste hält, der Eintracht und Frieden zu stiften sucht zwischen allem Wissen und Glauben, Sinnen und Trachten unser aller, wie sehr auch einzelne widerstreben, der das, was nicht in dieses Streben passen will, solange dreht und wendet, bis es sich dem fügt, und endlich das, was ganz hineinpaßt, als Welle im Strome seines allgemeinen Fortschrittes selber braucht und fördert.

Nun gilt schon ein Mensch nicht für gut oder böse einfach nach Maßgabe von einzelnen Regungen, die im unteren Gebiete seines Bewußtseins auftauchen, sonder nur nach der Gesamtrichtung, die sein oberer Wille als Lenker dieser Regungen im ganzen einschlägt, nach den herrschenden Gesichtspunkten in seinem über die einzelnen Triebe übergreifenden Bewußtsein. Wenn das Schlechte, das in sein Bewußtsein tritt, ihm nur Beweggrund wird, es zu bessern, und das Gute ihm Anlaß wird, es weiter fortzuentwickeln, so ist er gut. Und so werden wir auch Gott zu nennen haben trotz allem Übel, das in seiner Welt erscheint, wenn sein oberster Wille nicht das Übel veranlaßt, sondern es zu heilen und zu bessern beflissen ist, - wenn nur, je weiter wir den Zusammmenhang der Dinge durch Zeit und Raum hindurch verfolgen, um so mehr das Streben hervortritt, die Dinge zu guten und gerechten Endzielen zu führen, so daß selbst das, was uns als Übel im Kleinen, Einzelnen und Nahen erscheint, die zeitliche Vorbedingung des Guten im höheren Sinne der Ewigkeit wird.

In der Tat kann man allenthalben beobachten, wie das Übel dazu dienen muß, das Übel zu heben, ja, wie das Übel selbst zur Quelle des Guten werden kann. Aus der Not ist letzten Endes aller Fortschritt auf Erden hervorgegangen, und jede neue Not führt zu weiterer Vervollkommnung. Selbst die Strafe, an sich ein Schmerz für den Bestraften, also ein Übel, geht nur darauf aus, neues Übel zu verhüten, indem sie den Übeltäter bessert. In Gottes Hand ist das Übel nur ein Mittel zum Guten.

So kam nun das Übel, auch das im weiteren Verlauf nützliche Übel, nicht durch Gottes Willen in die Welt; sein Wille ist vielmehr allzeit darauf gerichtet, das Übel zu heben, und Gott verwendet es nur, um Gutes damit zu stiften. Das Übel kann auch nicht gegen Gottes Willen etwa so, daß Gott schon vor dem Vorhandensein des Übels darum gewußt hätte und nur ohnmächtig gewesen wäre, es zu verhindern. Was auch an Übel in der Welt auftaucht, es gehört immer nur einem unteren Gebiete des Daseins an, dem Gebiete der Einzelwesen, das zwar auch nicht außer Gott ist, dessen Grund aber außer Gottes Willen liegt. Ich sehe darin aber den Grund, gegen den sich Gottes oberer Wille bei all seinem Tun und Denken in der Weltregierung richtet und den Gott zu seinem Wirken ebenso nötig braucht, wie der Mensch den Erdboden, gegen den er sich anstemmt.

Nun kann auch Gottes Allmacht neben dem Übel bestehen, wenn dein Begriff von Allmacht nur nicht alle Schranken übersteigt. Gott wäre nur dann nicht allmächtig, wenn er nicht könnte, was er wollte, oder wenn das Übel seinen oberen Willen vielmehr beschränkte als begründete. Wenn du aber, um der Allmacht Gottes nicht zu nahe zu treten , durchaus verlangst, daß alles, was geschieht, durch Gottes oberen Willen geschehe, so sieh selbst zu, wie du den heiligen, gütigen Gott noch rettest. Ich aber will seine Allmacht lieber so auffassen, daß er alles kann, was er will, und daß alles, was er will, gut ist.

Damit ist nun nicht des Übels letzter Ursprung erklärt, ebenso wenig wie der Ursprung der Welt und Gottes. Das Übel ist mit Gott da, und ich frage nicht weiter warum, weil ich es doch nicht zu ergründen vermag. Das liegt in einem Urgrunde beschlossen, wohin der Blick des Geschöpfes nicht reicht. Ich weiß freilich auch nicht, wie ein oberer Wille da sein könnte, wenn nicht etwas unter ihm vorhanden wäre, was sein Eingreifen erst nötig macht. Aber warum ist das, was unter ihm vorhanden ist, voll Schmerz und Sünde? Freilich eine Welt, die in sündloser, schmerzloser Entwicklung rein nach dem Willen Gottes abliefe, würde mir wie eine Uhr vorkommen, die auf den Zug des Gewichtes ohne Hemmung abliefe. So türmen sich Fragen auf Fragen; doch auf die Frage nach dem Grund der Gründe bleibt die Antwort aus; darum halte ich lieber ein mit meinem Forschen.

Nach: G. Th. Fechners Zend-Avesta, Gedanken über die Dinge des Himmels und des Jenseits vom Standpunkt der Naturbetrachtung
Frei bearbeitet und verkürzt herausgegeben von Max Fischer (S.142-145) Der Dom, Bücher deutscher Mystik . Im Insel-Verlag 1922


Über den psychischen Wert der einfachen Atome.
Monadologische und synechologische Ansicht
Wir haben gesehen, dass verschiedene Philosophen, Leibniz, Herbart, Lotze, Anlass gefunden haben, die Seelen der Menschen und Tiere als einfache Wesen, Monaden, mit den letzten Elementen der Körperwelt und umgekehrt diese mit Seelen zu identifizieren, wenn schon unter den Genannten bloß Lotze die Körperelemente mit uns für räumlich diskret in physischem Sinne erklärt und hiermit die Monaden zugleich als einfache Atome in physischem Sinne betrachtet, indes die anderen bloß eine metaphysische Scheide zwischen ihre einfachen Wesen setzen. Da indes der Unterschied, ob man die letzten als einfach angesehenen Elemente der realen Welt physisch kontinuierlich oder diskontinuierlich nehmen will, für unsere jetzige Betrachtung nicht wesentlich ist, so nennen wir sie ohne Rücksicht darauf der Kürze halber hier überall Atome.

Nun wird den Atomen damit, dass man sie mit Seelen identifiziert, noch keineswegs allgemein ein gleiches Bewusstsein wie unseren Seelen beigelegt, sei es, dass die Atome unseres Körpers und der körperlichen Außenwelt ihrer Natur nach nicht fähig sind, zu gleichem Bewusstsein zu erwachen, sei es, dass sie nur die günstigen Entwicklungsbedingungen dazu erwarten, sei es endlich, dass sie wirklich irgendwie bewusst sind, ohne dass wir darum wissen, weil wir in ihre inneren Zustände nicht eindringen können. Genug, dass Seelen und einfache Körperatome wesentlich gleichartiger Natur sind und, während sie jede für sich, insoweit sie bewusst sind, innerlich die Seelenerscheinungen produzieren, zugleich durch ihre Zusammensetzung die äußeren Erscheinungen des Körpers geben. Hierin stimmen Leibniz, Herbart, Lotze bei übrigens stattfindender wesentlicher Verschiedenheit ihrer Grundansicht überein; und indem wir ihre Ansicht hier nur nach diesem Gesichtspunkt der Übereinstimmung ins Auge fassen, begreifen wir sie gemeinsam unter dem Namen der monadologischen Ansicht von Leib und Seele. Am ansprechendsten dürfte man dieselbe von Lotze in seinem Mikrokosmos dargestellt finden.

Unstreitig muss es wichtige Gründe für die monadologische Ansicht geben, da Philosophen von so anerkannter Geltung, bei Ausgang von so ganz verschiedenen Grundstandpunkten und so verschiedener Grundrichtung, übereinstimmend dazu geführt worden sind. Es fragt sich, welches sind die Gründe für diese Ansicht und was ist davon zu halten?

Da es in dieser Schrift um die einfache Atomistik wesentlich nur als Abschluss der physikalischen Atomistik zu tun war, könnte die Frage hier dahingestellt bleiben. Indem aber jeder richtige Abschluss eines Gebietes zugleich die Möglichkeit des Anschlusses an andere enthalten soll, mag ich sie doch auch nicht ganz beiseite lassen und meine mit folgendem das Wesentlichste dessen, was hierbei in Rücksicht kommt, zwar nicht erschöpft, doch berührt zu haben.

Abstrahiere ich von den tiefer liegenden metaphysischen Gründen (im Sinne der gewöhnlichen Auffassung der Metaphysik), welche jeden der genannten Philosophen zur monadologischen Ansicht vielleicht weniger geführt haben als von denselben zu ihrer Begründung vorgeführt worden sind und in den allgemeinen Streit der philosophischen Systeme verwickelt sind, so liegen folgende Gründe mit
Klarheit vor, welche der monadologischen Ansicht, unangesehen besonderer Fassungen derselben, zustatten kommen oder zustatten zu kommen scheinen.

Von jeher hat man psychologischerseits teils durch Achten auf die identische Einheit des Bewusstseins, teils das Bedürfnis, die
ewige Fortdauer der Seele zu sichern, Anlass gefunden, den Seelen eine einfache Natur zuzuschreiben, zugleich physikalischerseits sich zur Annahme einfacher Zentralpunkte körperlichen Wirkens gedrängt gefunden, gleichgültig jetzt, ob sie als physisch diskret anzunehmen sind oder nicht; man muß doch jedenfalls (im Sinne der hergebrachten Auffassung der Kraft) die physische Kraft von Punkten ausgehend denken. Nichts kann natürlicher und angemessener erscheinen, um Leib und Seele nicht dualistisch auseinander fallen zu lassen, als beide Einfachheiten in einer identischen Substanz zusammenfallen zu lassen, somit die Seelen selbst mit einfachen Zentralpunkten körperlichen Wirkens, in unserem jetzigen Wortsinn mit Atomen, zusammenfallen zu lassen. Die psychische Einfachheit der Seele wird dabei physisch durch die Einfachheit des Atoms repräsentiert, und das physische Atom erhält durch seinen psychischen Gehalt eine Bestimmtheit, wodurch es der Gefahr, mit einem punktförmigen Nichts verwechselt zu werden, entschiedener als auf jede andere Weise enthoben wird.

Wir können nicht umhin, die Seele räumlich zu lokalisieren; denn jeder wird doch seine Seele vielmehr in seinem als eines anderen Körper sitzend denken müssen. Diese Lokalisation aber kann nach der zentralen Bedeutung der Seele für den Körper, d. i. der einheitlichen Verknüpfung seiner mannigfachen Beziehungen in ihr, der einheitlichen Beherrschung aller Tätigkeiten des Körpers durch sie, nicht wohl anders als in einem unteilbaren Punkte gedacht werden; und dass man so viele Teile des Körpers wegschneiden oder zerstören kann, ohne das Leben und die Integrität der Seele wesentlich zu gefährden, spricht selbst erfahrungsgemäß dafür; denn man braucht mit dieser Approximation nur bis zur denkbaren Grenze zu gehen, um zum einfachen Seelensitze im Körper zu gelangen.

Die so unverbrüchliche Scheidung der Individualitäten und Unmöglichkeit des wechselseitigen Eindringens einer Seele in die inneren Zustände der anderen, die unveränderliche Forterhaltung der Identität des Ich bei allem Wechsel leiblicher Zustände, endlich die Unsterblichkeit der Seele finden durch die metaphysische (Leibniz, Herbart) oder physische (Lotze) Trennung der einfachen Wesen und ihre unzerstörbar einfache Natur ihre einfache Erklärung und beste Sicherstellung. Der begrifflich nie zu vermittelnde Dualismus zwischen Seele und Körper wird durch die Identifizierung des Körpers mit einer Vereinigung einfacher, der Seele wesentlich gleichartiger Wesen beseitigt und die so schwierige Vorstellung, wie Seele und Körper als wesentlich ganz heterogene Substanzen aufeinander wirken können, durch die wesentliche Gleichartigkeit derselben mindestens sehr erleichtert, wenn nicht gar (im Sinne von Leibniz‘ prästabilierter Harmonie) gehoben.

Die ganze Körperwelt erscheint damit vergeistigt, in einem höheren Lichte; der Materialismus ist damit einfach abgeworfen und für einen vagen Idealismus eine physikalisch und psychologisch in Zusammenhang fundierte Weltansicht begründet.

Von den reichen Entwicklungen Lotzes hier nur ein paar Sätze:
»Die unteilbare Einheit jedes der einfachen Wesen gestattet uns, in ihm eine Zusammenfassung der äußeren Eindrücke, die ihm zukommen, zu Formen der Empfindung und des Genusses anzunehmen.
»Nicht auf den Körper, sofern er Materie ist, wirkt die Seele, sondern sie wirkt auf die mit ihr vergleichbaren übersinnlichen Wesen, die nur durch eine bestimmte Form ihrer Verknüpfung uns den Anschein der ausgedehnten Materie gewähren; nicht als Stoff und nicht mit Werkzeugen des Stoffes übt der Körper seinen Einfluss auf den Geist, sondern alle Anziehung und Abstoßung, aller Druck und Stoß sind selbst in jener Na¬tur, die uns aller Beseelung ledig scheint, selbst wo sie von Stoff zu Stoff wirken, nur der erscheinende Ausdruck einer geistigen Wechselwirkung, in der allein Leben und Tätigkeit ist«.


Unstreitig wichtige Gründe, die der monadologischen Ansicht das Wort reden. Und um so ansprechender kann sie erscheinen, wenn sie einen so beredten und scharfsinnigen Verteidiger wie Lotze findet. Dennoch vertrete ich ihr gegenüber mit voller Überzeugung eine andere Ansicht, ich will sie kurz die synechologische [Lehre, die Raum, Zeit und Materie als etwas Stetiges, Zusammenhängendes betrachtet] nennen, welche zwar auch eine psychische Bedeutung der einfachen Atome bestehen lässt, doch in ganz anderem Sinne, so nämlich, dass sie nicht als selbständige Seelen, sondern als letzte Elemente eines Systems auftreten, was in äußerer Erscheinung den Körper, in innerer Erscheinung (Selbsterscheinung) die bewusste Seele gibt. Nachdem ich nun die Gründe für die erste so wirksam, als es mir selbst in Kürze möglich war, dargelegt, werde ich dasselbe mit den Gründen für die zweite tun, zuvor jedoch an einige Hauptzüge derselben zu erinnern haben, soweit es nämlich zur Klarstellung ihres Verhältnisses zur monadologischen Ansicht nötig ist. Über ihre Ausführung und allgemeinere Verwertung verweise ich auf meine früheren Darstellungen.

Die synechologische Ansicht stimmt mit der monadologischen darin überein, dass sie der Körperwelt und Seelenwelt dieselben einfachen, streng (sei es physisch oder metaphysisch) geschiedenen Wesen, Atome, unterlegt und dass sie ebenso den Körper für ein System ansieht, was nach Seiten seiner inneren Erscheinlichkeit wesentlich psychischer Natur, nur nach Seiten seiner äußeren Erscheinlichkeit sich als Körper darstellt, womit sie auch in denselben Gegensatz als die monadologische zur dualistischen, materialistischen und den meisten Wendungen der idealistischen Ansicht tritt.
Sie unterscheidet sich aber darin wesentlich von der monadologischen Ansicht, dass sie, anstatt die psychische Einheit an die einzelnen Atome zu knüpfen und mithin ebensoviel (bewusste oder unbewusste) Seelen in der Welt zu sehen, als metaphysisch oder physisch diskrete einfache Körper-Atome vorhanden sind, vielmehr die psychische Einheit in höchster und letzter Instanz an den gesetzlichen Zusammenhang des Gesamtsystems der Weltatome knüpft (Gott), untergeordnete psychische Einheiten (Seelen der Menschen und Tiere) aber an untergeordnete Teilsysteme dieses ganzen Systems, womit eine total andere Auffassung der Beziehung von Leib und Seele und andere Weltauffassung überhaupt entsteht.

In weiterem Sinne ist unser ganzer Leib beseelt zu nennen, sofern alle Teile und Tätigkeiten desselben, in solidarischem Zusammenhange sich ergänzend und bis zu gewissen Grenzen wechselseitiger Vertretung fähig, zu dem Vermögen der totalen inneren Selbsterscheinung beitragen. Ein wirklich waches Bewusstsein aber ist nicht an das Dasein der Atome an sich, sondern an den Bewegungszustand derselben nach Gesetzen geknüpft, die ich nicht aprioristisch konstruiert habe, sondern in die ich bis zu gewissen Grenzen erfahrungsmäßig einzudringen vermocht habe und die man seltsam finden könnte; aber sie bestehen.

Eines der fundamentalsten Gesetze ist dies, dass keine Bewegung, die ein Bewusstseinsphänomen mitzuführen vermag (psychophysische Bewegung), dies anders vermag, als dass die Bewegung einen gewissen Grad der Lebhaftigkeit oder Stärke, die sogenannte Schwelle, übersteigt, ähnlich wie Eisen erst bei einer gewissen Erhitzung glühend wird). Von einem engeren Seelensitze (im Gehirn) kann dann insofern die Rede sein, als man damit den nicht punktförmigen, sondern ausgedehnten Teil des Systems bezeichnet, in welchem die psychophysischen Bewegungen die Schwelle übersteigen. Was man als Einfluss der Seele auf den Körper und des Körpers auf die Seele zu bezeichnen pflegt, sind Wirkungen aus jenem engeren Seelensitze in den weiteren hinein oder in umgekehrter Richtung. Die Unterbrechung des Bewusstseins eines Individuums durch den Schlaf wird ebenso durch zeitweises Sinken seiner psychophysischen Tätigkeit unter die Schwelle‘s als die (diesseitige) Scheidung des Bewusstseins der verschiedenen Individualitäten trotz des Eingewachsenseins der ihnen unterliegenden Systeme in das allgemeine System der Körperwelt dadurch begründet, dass die psychophysische Tätigkeit zwischen den verschiedenen Organismen in der äußeren Natur die Schwelle nicht erreicht.

Man sieht also, dass, wenn die monadologische Ansicht veranlasst ist, zwischen bewussten und unbewussten (doch des Bewusstseins fähigen) Seelen zu unterscheiden, die synechologische eine entsprechende, nur anders gefasste Unterscheidung hat.
Es kann danach sehr wohl ein System nach außen, d. i. einem anderen System, durch Wirkungen, die es hineinerstreckt, als Körper erscheinen, ohne für sich selbst eine innere oder Selbsterscheinung zu haben; aber es wird hinreichen, dass es in eine innere psychophysische Bewegung, welche die Schwelle übersteigt, gerate, um zum Bewusstsein zu gelangen, und wird immer ebenso mit zum Vermögen der göttlichen Selbsterscheinung im Ganzen beitragen, wie auch die Teile unseres Leibes, in denen die psychophysische Tätigkeit die Schwelle nicht übersteigt, doch nach dem organischen Zusammenhange dazu beitragen, dass sie im engeren Seelensitze die Schwelle übersteigen kann.

Wenn monadologisch eine Seele auf die andere dadurch wirkt, dass durch eine Kette zwischenliegender seelenartiger Wesen sich eine Wirkung zwischen sie überpflanzt, so erfolgt synechologisch diese Überpflanzung zwischen zwei ganzen Systemen durch Vermittlung des Gesamtsystems, womit sich diese Mitteilung in das Gesamtbewusstsein aufhebt; und für den einfachen Anstoß an das einfache Wesen, durch den monadologisch die definitive Überpflanzung erfolgt, tritt ein zusammengesetzter Prozess in dem System ein, welches die Mitteilung empfängt, gemeinsam abhängig von der Natur der Mitteilung und der Einrichtung des Systems, mit welcher, als der Seite der äußeren Erscheinung, die Beschaffenheit der Seele als Seite der inneren Erscheinung zusammenhängt. Diese Punkte der synechologischen Ansicht können hier genügen.

Folgendes die Gründe, mit denen ich sie der monadologischen gegenüber vertrete.

1. So üblich es sein mag, die Seele als einfaches Wesen zu fassen, so ist sie doch nach denjenigen Bestimmungen, die von ihr in die Erfahrung treten, was ich faktische Beziehungen nenne, vielmehr ein einheitliches Wesen mit einer Mannigfaltigkeit nicht nur sukzessiver, sondern auch gleichzeitiger Bestimmungen, was sich mit dem Begriffe der Einfachheit nicht verträgt. Zwar kann man aus der Mannigfaltigkeit der Bewusstseinserscheinungen die Einheit des Bewusstseins als einfachen Begriff abstrahieren, aber dieselbe eben nur als Abstraktum aus der Mannigfaltigkeit, nicht selbständig für sich aufzeigen. Ist aber die Seele psychisch kein einfaches Wesen, so fällt damit ein Hauptmotiv weg, sie physisch durch ein solches zu repräsentieren; ist sie psychisch ein einheitliches Wesen mit einer Mehrheit und Mannigfaltigkeit gleichzeitiger Bestimmungen, so kann man hierin ein Hauptmotiv finden — denn ein durchschlagender Grund ist es nicht —, sie physisch durch ein solches, also durch einen einheitlich verknüpften Organismus, nicht einen Punkt im Organismus zu repräsentieren.

Dem entgegen hat man, zur Rettung der einfachen Natur der Seele, dreierlei, zum Teil in Verbindung, aufgestellt.

a) Man hat die metaphysische Einfachheit eines hinter den Seelenerscheinungen rückliegenden realen Wesens als Grund der einheitlichen Verknüpfung dieser Erscheinungen selbst erklärt.

b) Man hat geleugnet, dass eine simultane Mannigfaltigkeit der Seelenbestimmungen überhaupt bestehe, in jedem Momente sei vielmehr die Seele nur durch eine einfache Qualität bestimmt. Und zwar hat man hierbei einen doppelten Gesichtspunkt untergelegt.

b1) Man hat die Raumanschauungen und Raumvorstellungen der Seele, worin die Gleichzeitigkeit einer Mehrheit von Bestimmungen am entschiedensten sich geltend macht, ja worauf vielleicht alle simultane Mannigfaltigkeit von Seelenbestimmungen zu reduzieren ist, als eine von der Seele zusammengefasste rasche Sukzession einfacher Vorstellungen erklären wollen.

b2) Man hat zu beweisen gesucht, dass unsere Vorstellungen des Ausgedehnten etwas rein Intensives sind, dass wir, »wenn wir durch die Bewegung körperlicher Organe räumliche Ausdehnung wahrzunehmen glauben, in der Tat nichts anderes wahrnehmen als den Zustandswechsel unserer Seele, als ein intensives unräumliches Geschehen«.

Was nun aber das erste (a) anlangt, so ist eine metaphysische Einfachheit überhaupt nur ein dunkler Begriff, und weder eine logische noch faktische Veranlassung liegt vor, außer der in die Erfahrung tretenden Bewusstseinseinheit ein Wesen hinter aller Erscheinung als Grund derselben zu postulieren. Dazu kann man bemerken, dass, wenn die metaphysische Einfachheit des Seelenwesens die erfahrungsmäßige Mannigfaltigkeit der inneren Seelenerscheinungen nicht ausschließt, ebensowenig eine Mannigfaltigkeit in seiner äußeren Erscheinung dadurch ausgeschlossen sein kann, also die Hypostasierung der Seele in einem einfachen Atom dadurch nicht als gefordert angesehen werden kann.

Das zweite (b1) anlangend, so könnte durch Zusammenfassen einer zeitlichen Sukzession einfacher Vorstellungen, welcher Art sie immer sein möchten, bei der selbst nur einfachen, sozusagen linearen Dimensionen der Zeit höchstens der Eindruck einer Linie entstehen; oder wollte man die Gleichzeitigkeit des Vielen in den Begriff der Zeit mit einrechnen, der Zeit sozusagen zu ihrer Länge noch eine Dicke geben, so würde das Zeitmoment selbst als Querschnitt dieser Dicke nicht mehr einfach bleiben. Außerdem aber lehrt die direkte Erfahrung, dass die längste Dauer einer einfachen Empfindung, sei es der Empfindung eines räumlich einfachen Lichtpunktes oder qualitativen einfachen Geruches, eben nur als Dauer, die Sukzession verschiedener einfacher Empfindungen eben nur als Sukzession, nicht als räumliche Extension von der Seele aufgefasst, in der Erinnerung zusammengefasst und expliziert wird. Also könnte auch nicht einmal der Eindruck einer Linie so entstehen.

Das dritte (b2) endlich anlangend, so fällt das so ziemlich in das Kapitel des Wortstreits, von dem ich im 14. Kapitel gehandelt. Nenne man immerhin die Vorstellung einer Ausdehnung etwas rein Intensives, so wird man in dieser intensiven Vorstellung der Ausdehnung nicht nur an sich etwas wesentlich anderes haben als in der intensiven Vorstellung oder Empfindung z. B. eines Lichtpunktes, eines Schalles, etwas, was sich dazu wie gleichzeitiges Außereinander zum Nichtaußereinander verhält — oder wie will man den doch zu machenden Unterschied anders zu bezeichnen —, sondern man wird auch nach dem Zusammenhange der Tatsachen, auf welche sich die synechologische Ansicht stützt, genötigt sein, vielmehr diese intensive Vorstellung der Ausdehnung von dem Sitze der Seele zu hegen als die intensive, welche man von einem Punkte hegt, kurz ihn in demselben Sinne für ausgedehnt anzusehen, als man überall von räumlicher Ausdehnung spricht; und was hat man nun mit der ganzen Zurückführung der Ausdehnungsvorstellung auf intensive Seelenbestimmung gewonnen, als mit scheinbar tiefsinnigen Erörterungen eben dahin zurückzukommen, wobei wir synechologisch gleich stehen blieben, und die Klarheit einer notwendig zu machenden Unterscheidung durch eine Identifizierung im Wort zu verdunkeln.

Die Ausdehnungsvorstellung einer einzelnen Seele ist freilich nicht in demselben Sinne selbst ausgedehnt zu nennen als ein Körper, dessen Ausdehnung durch den gesetzlichen Zusammenhang aller möglichen Ausdehnungsvorstellungen nicht nur einer, sondern aller Seelen objektiv bestimmt ist. Aber wenn Tatsachen alle, die solche richtig auffassen, nötigen, die Vorstellung einer räumlichen Ausdehnung von dem Sitze der Seele zu hegen, gewinnt er eben damit den Charakter eines objektiv ausgedehnten Daseins; jedenfalls lässt sich ein anderer Charakter solchen Daseins nicht finden; von solchem zu sprechen aber können wir doch nicht umhin.

Es ist ferner unbedingt zuzugeben, was Lotze mit besonderem Nachdruck geltend macht, dass die Ausdehnungsvorstellung nicht als der einfache Abdruck oder das einfache Bild eines ihr unterliegenden Vorganges im Gehirn anzusehen sei und also die subjektive Ausdehnungserscheinung nichts für die objektive Ausdehnung ihrer körperlichen Unterlage beweise. Es ist sogar eine der direktesten Folgerungen der synechologischen Ansicht selbst, dass, was dem Physiologen auf seinem äußerlichen Standpunkt als körperlicher Vorgang im Gehirn erscheint, für den inneren Standpunkt der Seele nicht ebenso erscheinen kann; nur wendet sich diese Folgerung synechologisch in entgegengesetztem Sinne als monadologisch. Monadologisch geht die zusammengesetzte Raumanschauung in einem Wesen vor, was physisch als Punkt zu fassen ist; synechologisch ist selbst die einfachste Raumanschauung, die eines Punktes, Sache eines Vorganges, der physisch als ein ausgedehnter erscheint. Muß aber einmal zugestanden werden, dass die Erscheinung der Ausdehnungsvorstellung sich nicht mit der ihrer körperlichen Unterlage deckt, so ist an sich unstreitig gleich denkbar, dass sie einfacher und dass sie zusammengesetzter sei als diese. Da nun die Denkbarkeit an sich nicht entscheiden kann, so müssen andere Gründe entscheiden; und wir bleiben mithin auf diese anderen Gründe verwiesen.

2. Eine metaphysische Schwierigkeit kann an sich nicht dagegen erhoben werden, das, was nach äußeren Beziehungen als Vieles außereinander erscheint, durch eine einheitliche Selbsterscheinung verknüpft zu denken und insofern im Geiste vielmehr ein innerlich verknüpfendes Prinzip des Körpers als ein mit den Körperelementen äußerlich verknüpftes wesentlich gleichartiges Element zu sehen; da überhaupt der Begriff der Einheit den einer darunter begriffenen oder dazu bezogenen Vielheit nicht ausschließt. Verknüpft das Gravitationsgesetz identisch einheitlich allgegenwärtig alle Elemente der Körperwelt, ohne in einem derselben seinen herrschaftlichen Sitz zu haben, warum nicht auch der Geist, zumal man die psychische Einheit selbst mit der Einheit, welche das Gesetz in die Körperwelt bringt, in Beziehung denken kann?

Was nämlich als psychische Einheit, Sukzessives wie Gleichzeitiges bindend, nur Sache der inneren Erscheinung ist, kann nach synechologischer Auffassung mit dem aus äußeren Erscheinungen abstrahierbaren, Kausalzusammenhange und Wirkungszusammenhange des unterliegenden körperlichen Systems als wesentlich zusammenhängend oder substantiell sich deckend angesehen werden. Der Kausal- und Wirkungszusammenhang der gesamten Welt aber ruht nur in der sich identisch hindurch erstreckenden Gesetzlichkeit, welche das Fernste in Zeit und Raum mit dem Nächsten verknüpft; und schließlich fasst sich daher auch alles endlich in die Einheit des göttlichen Geistes zusammen; und diese gliedert sich nur in endliche Einheiten.

Man muss dabei die psychische Einheit oder Einheit des Bewusstseins nicht mit Bewusstsein selbst verwechseln. Die psychische Einheit des Menschen verknüpft die Bewusstseinszustände desselben Menschen durch die zwischenfallenden Unbewusstseinszustände durch, greift also über diese mit über. Dass aber der Körper vor und nach dem Schlafe und sein ganzes Leben durch selbst nach vollständigem Austausche seiner Materien noch dasselbe Bewusstsein trägt, hängt synechologisch gefasst eben bloß daran, dass seine späteren Zustände und Tätigkeiten sich kausal aus den früheren heraus entwickelt und auf immer neue Stoffe übertragen haben; und wenn unbewusste Zustände durch zeitweises Sinken der Tätigkeit unter die Schwelle zwischeneintreten, so wird doch hierdurch dieser Kausalzusammenhang und hiermit die Identität des Bewusstseins nicht unterbrochen.

Sonach ist auch mit vorigem nicht gesagt, dass jedem beschränkten Kausal- und Wirkungszusammenhange für sich ein Bewusstsein zukomme; dazu gehört noch, dass in dem betreffenden Systeme die Schwelle überstiegen sei; insofern sie aber überstiegen ist, gehört auch das damit erwachende Bewusstsein der Einheit des göttlichen Bewusstseins an und scheidet sich zugleich von gleichstufigen Einheiten, wenn die Schwelle in ihm nur insularisch überstiegen ist. Hierbei kommt der Unterschied von Schwellen niederer und höherer Stufe zur Sprache.

Jedenfalls müsste jede metaphysische Schwierigkeit, die man gegen die synechologische Verknüpfung der Materie durch den Geist erheben wollte, ganz ebenso gegen die physikalische Verknüpfung derselben durch das Gesetz laufen; und da doch diese faktisch besteht, so widerlegt eine Metaphysik, die jene widerlegt, sich damit selbst.

3. Es ist ganz unmöglich, und hierin liegt für eine exakte Betra
chtung, der sich die Philosophie nicht entziehen sollte, der durchschlagende Grund gegen die monadologische Ansicht, gegen den keine Metaphysik Stich hält, ihren einfachen Seelensitz mit anatomischen, physiologischen, pathologischen Tatsachen in nur erträgliche Übereinstimmung zu bringen. Selbst der Flourenssche Lebensknoten, in dem manche die letzte Rettung der Ansicht gesehen, hat nicht standgehalten, vielmehr die darauf bezüglichen Tatsachen sich in Widerspruch damit gestellt; wogegen alle hierher gehörigen Tatsachen sich auf die natürlichste Weise der synechologischen Ansicht unterordnen. Hierüber mag man die sehr eingehenden Nachweise in meinen Elementen vergleichen und diesen wichtigsten Grund nicht deshalb gering achten, weil er hier am kürzesten behandelt ist; dort ist er am ausführlichsten behandelt.

4. Die monadologische Ansicht gestattet prinzipiell der Psychophysik über ihren ersten Angriffspunkt hinaus (den sie in der sogenannten äußeren Psychophysik findet) keine weitere Entwicklung (zur inneren Psychophysik); wogegen die synechologische ihr prinzipiell eine mit der Naturwissenschaft in gewissem Sinne parallele, in anderem Sinne sie übersteigende, unbeschränkte Entwicklung gestattet. Denn nach der monadologischen Ansicht sind alle geistigen Vorgänge nur innere Vorgänge des Atoms ohne wesentlichen Bezug zu körperlichen Vorgängen, die in einem Atom nicht statthaben können; nur die erregenden körperlichen Anstöße an das Atom von außen und Rückwirkungen nach außen sind psychophysisch fassbar und verfolgbar. Hingegen nach der synechologischen Ansicht sind alle verschiedenartigen geistigen Vorgänge an ebenso verschiedene körperliche Vorgänge (als einheitliche innere oder Selbsterscheinungen derselben) gebunden; selbst jede einfache Empfindung an einen zusammengesetzten körperlichen Prozess, verschieden nach der verschiedenen Qualität der Empfindung, jede höhere, d. h. höhere Beziehungen einschließende, geistige Tätigkeit an einen körperlichen Prozess, der höhere Verhältnisse einschließt, und selbst die höchste göttliche geistige Tätigkeit entzieht sich diesem Prinzip nicht, sofern sie mit der allgemeinsten und höchsten Ordnung der Weltverhältnisse solidarisch zusammenhängt.

5. Die monadologische Ansicht muß den teleologischen, Kausal- und Wirkungszusammenhang der Dinge so gut anerkennen als die synechologische; aber sie kann ihn nicht als geistig durchdrungen fassen; denn ein geistiger Zusammenhang besteht nach ihr bloß für die inneren Erscheinungen jedes Atoms für sich, vermittelt durch die Einfachheit des Atoms; der Zusammenhang der Atome und hiernach Seelen untereinander hat hierzu kein kommensurables Verhältnis und entweder kein Prinzip oder ein dem vorigen ganz unadäquates Prinzip, da er nicht seinerseits an den Begriff der Einfachheit geknüpft werden kann. Wogegen sich nach der synechologischen Ansicht der Zusammenhang, der in der Körperwelt besteht, mit dem Zusammenhange, der im höchsten Geiste besteht, deckt.

6. Während die synechologische Ansicht sich gar nicht anders abzuschließen vermag als in der Idee eines allgegenwärtigen, allwissenden, allwaltenden, persönlichen, d. h. eine Bewusstseinseinheit in sich tragenden Gottes mit den innerlichsten unmittelbarsten Bewusstseinsbeziehungen zu seinen Geschöpfen. vermag die monadologische in keiner Weise zu einer Vorstellung Gottes zu gelangen, welche nicht für das religiöse Bedürfnis eine Absurdität oder für das philosophische eine Inkonsequenz wäre. Denn entweder ist nach ihr auch Gott ein in einem Punkt seiner Welt sitzendes Atom unter anderen Atomen, dem man aber ganz wunderbare exzeptionelle Kräfte zuschreiben muß, welche mit allen Kräften, die man sonst physischen Atomen zuschreibt, unvergleichbar sind, mittelst deren er von seinem punktförmigen Sitze aus die Welt beherrscht; oder er ist kein Atom, die geistige Einheit wird bei ihm nicht durch einen einfachen Punkt repräsentiert, warum aber dann bei anderen Geistern?

Oder der Gedanke Gottes wird in ein Glaubensgebiet verwiesen, welches sich mit unserem Wissensgebiete nicht berührt oder nicht verträgt, und dadurch die Lücke oder der Widerspruch zwischen Glauben und Wissen festgehalten, deren Beseitigung wir vielmehr von der Philosophie zu fordern hätten; oder er wird in mystisch-phantastische Unklarheit versenkt. Letzten Charakter scheint mir Leibniz‘ göttliche Urmonas mit ihren Fulgurationen zu tragen, den vorletzten Weg betritt Herbart in seinem Abweis der Frage nach dem göttlichen Dasein von der Metaphysik. Lotze könnte ich nicht umhin, der Inkonsequenz zu zeihen, wenn wirklich seine unendliche Substanz den bewussten persönlichen Gott vorstellen sollte, und wo sonst denselben bei ihm finden.

Drossbach in seiner freilich etwas kuriosen und daher hier nicht besonders berücksichtigten Atomistik ist doch zugleich aufrichtig und konsequent genug, um seine Ansicht über das Dasein Gottes so zu formulieren: »Die Existenz des atomistischen Gottes ist bewiesen, so wie die Existenz des Atoms überhaupt bewiesen ist. Diese ist aber eine durch Erfahrung wahrzunehmende Tatsache, folglich hat jene die Gewissheit einer Tatsache, denn Gott ist in seinem innersten Wesen ein Atom, ein Individuum wie jedes andere«.

7. Die Rettung der Unsterblichkeit auf monadologischem Wege erscheint zwar sehr einfach, ist aber sehr illusorisch. Lotze selbst gibt zu, dass eine Monade, wenn auch nach ihrem Begriffe nicht zerfallen, doch vergehen könne, und werde immerhin ihre Unzerstörbarkeit postuliert oder durch Identifizierung mit dem physischen Atom für gesichert gehalten, so handelt es sich ja bei der Unsterblichkeitsfrage nicht um Fortbestand schlechthin, sondern bewussten Fortbestand. War die Monade vor der Geburt nicht bewusst, was verbürgt das Bewußtsein nach dem Tode bei Wegfall der Bedingungen, an die wir faktisch ihr Bewußtsein hier ge¬knüpft finden, ohne das Prinzip eines Ersatzes dafür? Nicht dass nicht auch die synechologische Ansicht, wie jede Ansicht in diesen Dingen, ihre Schwierigkeiten hätte; doch scheinen sie mir nach den Ausführungen, die ich ihr an mehreren Orten aufgrund so mancher Analogien gegeben, geringer als bei jeder anderen Ansicht.

8. Man kann ein Bedenken gegen die synechologische Ansicht aus dem Gesichtspunkt der Freiheitsfrage erheben, aber nur ein untriftiges. Die synechologische Ansicht behauptet nämlich nur das wesentliche Zusammengehör geistiger und körperlicher Vorgänge und Verhältnisse oder innerer und äußerer Erscheinlichkeit und Verhältnisse, ohne über Freiheit und Unfreiheit, sei es der einen oder anderen, etwas auszusagen; nur dass, was von den einen angenommen wird, auf die zugehörigen anderen zu übertragen ist; wonach der Determinist wie Indeterminist die synechologische Ansicht im Sinne seiner Ansicht wenden kann, ohne dass ihre Gültigkeit von der Gültigkeit des Determinismus oder Indeterminismus abhängt. Besteht die indeterministische Ansicht, so wird sich die Exzeption von dem gesetzlichen Kausalzusammenhange, welche nach ihr den freien Willensäußerungen im geistigen Gebiete zukommt, auf die Tätigkeiten übertragen, welche denselben körperlicherseits, wie man sich ausdrückt, unterliegen; besteht die deterministische, so wird beiderseits keine Exzeption stattfinden.

Natürlich werden die indeterministisch freien Willensäußerungen, gibt es überhaupt solche, nicht aus der Einheit des Geistes erklärt werden können, wenn diese mit dem gesetzlichen Zusammenhange des unterliegenden körperlichen Systems selbst wesentlich zusammenhängt; aber sie sind überhaupt ihrer Natur nach unerklärbar, als Sache eines Prinzipes anzusehen, was, mit dem Prinzipe der Einheit inkommensurabel, neue Anfänge in dem dadurch verknüpften Zusammenhange begründet, welche aber, einmal eingetreten, dann auch mit gesetzlichen Folgen daran teilnehmen.

Zum Schluss noch einige allgemeine Bemerkungen.

Die synechologische Ansicht ist nur insofern an die atomistische gebunden, als für diese überhaupt bindende Gründe vorhanden sind. Es kommt aber der Unterschied der atomistischen und gegenteiligen Ansicht betreffs der allgemeinen Gesichtspunkte der synechologischen Ansicht so wenig in Betracht, dass ich bei allen meinen Darstellungen derselben in anderen Schriften auf die Frage nach der Statthaftigkeit von Atomen einzugehen gar nicht nötig gefunden habe; und hier keinen Anlass gehabt hätte, auf die synechologische Ansicht überhaupt einzugehen, wenn nicht, um der monadologischen, die allerdings nahe liegende Beziehungen zur Atomistik hat und droht, derselben eine falsche Stellung anzuweisen, den Widerpart damit zu halten.

Nichts übrigens hindert, die synechologische Ansicht bei weiterer Vertiefung in die idealistische aufzuheben, welche in den Zusatzkapiteln der vorigen Abteilung entwickelt ist. Wenn nach synechologischer Ansicht die Erscheinungen des Körpers und der Seele nur wie innere und äußere Erscheinungen desselben Wesens zusammenhängen, so mag der, dessen Vorstellung dieses Anhalts bedarf, immerhin als Wesen ein dunkles Ding hinter den Erscheinungen supponieren, auf das er dieselben bezieht oder wovon er sie abhängig macht, und die synechologische Ansicht wird sich aus gewissem Gesichtspunkte damit vertragen können. Meinerseits eliminiere ich, wenn es gilt, zur letzten Tiefe zu gehen, auf die es doch, wie schon früher erinnert, nicht überall gilt zurückzugehen, diesen letzten dunklen Punkt des Systems, indem ich die Betrachtung in einer letzten Anstrengung zusammenfasse, und verstehe unter dem den körperlichen und geistigen Erscheinungen gemeinsam unterliegenden Grundwesen nichts als das gesetzliche Zusammengehör der Erscheinungen selbst, die alle in der Einheit eines alles Einzelbewusstsein einschließenden allgemeinen Bewusstseins ihren letzten Verknüpfungspunkt und Halt finden. Es entspricht nur eben dem Sprachgebrauche, das im Wesen verknüpft zu nennen, was so zusammengehört, dass nach Maßgabe als das eine besteht, auch das andere besteht.

Jede Seele wird nur eines gewissen Kreises von Erscheinungen gewahr, das sind ihre Selbsterscheinungen, die unmittelbar durch die Einheit des Bewusstseins und (damit zusammengehörig) gesetzlich untereinander zusammenhängen, daher als Sache eines Wesens, der Seele, gelten. Ein Teil des inneren Erscheinungsgebietes jeder Seele aber hängt nach Gesetzen, die zwischen den verschiedenen Seelen übergreifen, mit dem von anderen Seelen so zusammen, dass wir der Gesamtheit dieser Erscheinungen wieder ein gemeinsames Wesen, als Natur, unterlegen und diese Erscheinungen als äußere bezeichnen, wenn schon es immer nur Erscheinungen sind, die in Seelen fallen. Der Teil dieses den verschiedenen Seelen gemeinsamen äußeren Erscheinungszusammenhanges, durch den wir den Körper einer Seele charakterisiert halten, hängt seinerseits so gesetzlich mit dem inneren Erscheinungsgebiete der betreffenden Seele zusammen, dass wir wiederum beiden ein gemeinsames Wesen unterlegen und sagen können, es erscheine nur nach außen als Körper, was nach innen als Seele.

Jede Seele nimmt dabei ihren eigenen Körper durch das wahr, was von dem äußeren Erscheinungszusammenhange, durch den er charakterisiert wird, in sie selbst eintritt. Die Gesetzlichkeiten des inneren Erscheinungszusammenhanges der Seele und des äußeren Erscheinungszusammenhanges der Natur sind verschieden, ohne sich zu widersprechen, sofern sie verschiedenen Richtungen des Zusammenhanges angehören, die sich nur dadurch verknüpfen, dass jede Seele selbst mit ihren Wahrnehmungen von der Natur an dem äußeren Erscheinungszusammenhange Anteil hat, von wo aus der psychische Zusammenhang nach innen, der physische nach außen von jeder Seele aus zu verfolgen ist. Insofern nun beiden Erscheinungszusammenhängen, dem psychischen und physischen, eine verschiedene Art der Gesetzlichkeit unterliegt, können wir allerdings beiden auch verschiedene Wesen unterlegen. Sofern aber beide gesetzliche Zusammenhänge selbst nicht nur in jenem Verknüpfungspunkt der sinnlichen Wahrnehmung zusammentreffen, sondern ihrerseits gesetzlich (nach den Gesetzen der Beziehung von Leib und Seele) zusammenhängen, können wir auch beide Wesen in ein gemeinsames aufheben, und in diesem Sinne den Dualismus in eine Identitätsansicht aufheben wie es in anderem Sinne von Spinoza und Schelling geschehen ist. Endlich aber ist die gesamte Gesetzlichkeit Sache des inneren Erscheinungsgebietes des allgemeinsten Geistes und hängt selbst untrennbar, also wesentlich, mit dessen Einheit zusammen, womit die Ansicht sich endlich als eine idealistisch pantheistische abschließt
. S.227ff.
Nach: Gustav Theodor Fechner, Über die physikalische und philosophische Atomenlehre. Heausgeggeben von Ecke Bonk
Kleine Bibliothek für das 21. Jahrhundert: Band 1, Springer Wien New York