Alois Riehl (1844 – 1924)
Österreichischer
Philosoph, der einen »philosophischen Monismus« vertritt,
der sich an den objektiv-empirischen Erkenntnissen der Naturwissenschaft orientiert. Zwischen Psychischem und Physischem – die Erscheinungen
oder Betrachtungsweisen eines Identischen.sind – besteht ein Parallelismus.
Einen Panpsychismus lehnt er aber ab. Riehl fasst das Wesentliche seiner Weltanschauung am Ende unseres Textes folgendermaßen zusammen: »Es
ist dieselbe Wirklichkeit, aus der unsere Sinne stammen und die Dinge,
die auf unsere Sinne wirken. Die nämliche schaffende Macht, die schon
in den einfachsten Dingen am Werke ist, setzt ihr Werk in uns, durch uns
fort. Sie ist die gemeinsame Quelle von Natur und Verstand. Sie hat den
Dingen ihre begriffliche Form gegeben und uns das Vermögen, zu begreifen.
So stiftete sie zwischen der Natur und Denkgesetzen jene Harmonie, welche
im einzelnen zu vernehmen, Ziel und Lohn aller Forschung ist. Aber nur bis
zur Voraussetzung dieser Einheit dringt unser Denken. Sie selbst in ihrem
Wesen bleibt transzendent. Das Geheimnis des Daseins ist durch das Denken
nicht zu ergründen; das Prinzip des Daseins geht dem Denken voran:
erst Sein, dann Denken.« Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Fünfter
Vortrag
Der naturwissenschaftliche
und philosophische Monismus
Mechanistische Anschauungen - man nennt sie gewöhnlich materialistische
- treffen heute im Kreise der Naturforschung selbst auf Widerspruch, oder man
begegnet ihnen doch mit einer Zurückhaltung, die sehr verschieden ist von
der Zuversicht, mit der sie noch bis vor kurzem behauptet wurden. Es waren nicht,
wie man wohl denken könnte, erkenntnistheoretische Erwägungen, die
zu dem Zweifel führten: ob in den Begriffen von Masse und Kraft oder Masse
und Bewegung wirklich die ausreichenden Darstellungsformen für die Vorgänge
in der äußeren Natur gegeben seien; obschon auch Erwägungen
dieser Art in der Wissenschaft unserer Zeit immer mehr Gewicht und Einfluss
gewinnen. Insbesondere handelte es sich, um gleich den wichtigsten Gegenstand
zu nennen, nicht um die Frage nach der Entstehung von
Bewusstsein, eine Frage, die für eine rein mechanistische Naturanschauung,
wie es sich von selbst versteht, transzendent bleiben muss, und auf welche daher
ein Wortführer dieser Anschauung ganz folgerichtig sein »Ignorabimus« zur Antwort gab.
Die Kritik des mechanischen Weltbildes ist vielmehr zu einer inneren Angelegenheit
der Naturwissenschaft selbst geworden. Dieses Bild, übertragen von den
sichtbaren Bewegungen der Massen, vor allem der kosmischen, auf die unsichtbaren
von Massenelementen, die zum Teil erst um des Bildes willen angenommen werden,
erweist sich schon als ungeeignet oder doch als unbequem, wenn es physikalische
Vorgänge darstellen soll, die wie die thermischen und die elektrischen
nicht unmittelbar mechanischer Beschaffenheit sind, in die Sprache der Mechanik
also erst übersetzt werden müssen. Wohl wird die Einbildungskraft
des Naturforschers für solche Vorgänge mechanische Modelle ersinnen
können - und wer wollte ihr dies verwehren? -, mehr aber an empirischem
Gehalt kann sie in ihre Symbole nicht aufnehmen, als schon ohne diese durch
die Tatsachen gegeben wird. Im Gegenteil, vieles von der Eigenart der Erscheinungen
muss fallen gelassen werden, wenn sich die Zeichnung auf die äußeren
Umrisse des Geschehens beschränkt. Dies soll uns jedoch nicht abhalten,
den Wert solcher Mittel der Veranschaulichung anzuerkennen, und an dem Bildersturm,
den ein namhafter Naturforscher jüngst erregt hat, brauchen wir uns nicht
zu beteiligen. Mit der nämlichen Notwendigkeit, mit welcher unser Geist
Begriffe abstrahiert, schafft er auch Bilder für seine Begriffe. Und so
werden wir fortfahren, in der mechanischen Symbolik ein »universelles Abbildungsverfahren« zu sehen, da ja jeder
physikalische Vorgang in der Tat eine mechanische Seite hat, wenn wir auch von
ihr nicht länger ein »vollständiges Weltbild«
erwarten.
Der Anstoß zu der antimechanistischen Bewegung in der theoretischen Naturwissenschaft
ging von der größten wissenschaftlichen Entdeckung des neunzehnten
Jahrhunderts aus, von der Entdeckung der Erhaltung der
Energie. Hier war ein Prinzip gefunden, zu dessen Auffindung und Beweis
die Mechanik nichts Wesentliches beigetragen hat, und das durch die nachträgliche
mechanische Deutung an Sicherheit nichts gewinnen konnte, an Allgemeinheit dagegen
verlieren musste. Zu der von Lavoisier nachgewiesenen Unveränderlichkeit der Masse war jetzt eine zweite Invariante, eine zweite unveränderliche Größe in der
Natur hinzugekommen, die man anfangs »Kraft«
nannte, die wir heute nach dem Vorgang von William Thomson als Energie bezeichnen. Was lag nun näher, als zu versuchen, statt
mit zwei Größen mit einer auszulangen und als diese eine Größe
die Energie zu betrachten; entspricht doch dieser Versuch dem Streben des Denkens
nach möglichster Vereinfachung und Einheit.
Und so ist heute zu dem mechanischen Weltbilde in seinen beiden Formen, dem
System der Beschleunigungen und dem System starrer Massenverbindungen, ein weiteres:
das energetische hinzugetreten, das als seinen Vorzug rühmt, alles Hypothetische
auszuschließen und sich auf die messbaren Erscheinungen zu beschränken,
aber freilich dafür auf Anschaulichkeit im einzelnen verzichten muss. Dieses energetische Weltbild ist der naturwissenschaftliche
Monismus.
Es gibt in der Geschichte der Wissenschaft vielleicht kein zweites Beispiel,
bei welchem der Erfolg des Zusammenwirkens von Erfahrung und Denken so unmittelbar
und augenfällig hervortritt wie bei der Auffindung und dem Beweis des Energieprinzips,
und darum soll hier auf die erste Entdeckung dieses Prinzipes näher eingegangen
werden.
Im Jahre 1842 erschien im Maiheft von Liebigs Annalen der Chemie ein kleiner
Aufsatz unter der Überschrift: Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur. Der Autor war
ein damals noch unbekannter Arzt in Heilbronn, Julius
Robert Mayer. Die Schrift führte sich selbst als
eine solche ein, die sich mit ihren Gedanken an »Freunde
klarer hypothesenfreier Naturanschauung« wenden will, und ihr Zweck
war anscheinend nur, die herkömmlichen, mit dem, Worte Kraft verknüpften
Begriffe zu berichtigen und durch Beseitigung alles »Unbekannten,
Unerforschlichen und Hypothetischen« aus dieser Benennung den
Begriff der Kraft so präzis aufzufassen wie den der Materie. Nur
als eine praktische Folgerung und gleichsam als Resümee erscheint zum Schlusse
die erste Berechnung des mechanischen Äquivalentes oder des Arbeitswertes
der Wärme. Was die kleine Abhandlung, mit deren Veröffentlichung ihr
Verfasser sich nur die Priorität seiner Entdeckung sichern wollte, an grundlegenden
Gedanken sonst noch enthielt, so den Begriff der potentiellen Energie, der hier
unter dem Namen »Fallkraft« zum ersten
Mal erscheint, konnte erst von einer späteren Zeit zum Verständnis
gebracht werden.
Mayer hatte bei seiner Rückkehr aus Ostindien,
wohin er als Schiffsarzt in holländischen Diensten gekommen war, ein neues »System der Physik« mitgebracht, von dem er wusste und voraussagte,
dass es, wenn sich bewahrheiten lasse, eine Umwälzung und Negestaltung
dieser Wissenschaft herbeiführen müsse. Und die Zeit hat seine Voraussage
erfüllt. Den Grundgedanken der neuen Physik sprach Mayer sogleich in klarer Fassung in einem Artikel aus, der aber in der Zeitschrift,
für die er bestimmt war, nicht zum Abdruck gelangte.
»Bewegung, Wärme, Elektrizität sind Erscheinungen,
welche auf eine Kraft zurückgeführt werden können,
einander messen und nach bestimmten Gesetzen ineinander übergehen. Bewegung
geht in Wärme über dadurch, dass sie durch eine entgegengesetzte Bewegung
oder durch einen festen Punkt neutralisiert wird, die entstandene Wärme
ist der verschwundenen Bewegung proportional. Die Wärme anderseits geht
in Bewegung dadurch über, dass sie die Körper ausdehnt.«
Wir sind in den Stand gesetzt, die Entwicklung dieses Gedankens von seinem ersten
Keime bis zu seiner Vollendung zu verfolgen, so schlicht und unmittelbar, schmucklos
und aufrichtig sind Mayers briefliche Mitteilungen
darüber und sein Bericht in den »Bemerkungen
über das mechanische Äquivalent der Wärme« aus dem
Jahre 1851.
Danach kann es nicht länger einem Zweifel unterliegen, dass Mayer
bei seiner Entdeckung den nämlichen Weg eingeschlagen hat, der bei
einer naturwissenschaftlichen Entdeckung noch jedes Mal eingeschlagen wurde:
den Weg denkender Beobachtung, unterstützt durch das Experiment. Eine ihm
auffällige Beobachtung oder, wie Mayer es
bescheiden ausdrückt, ein Zufall, brachte seine Gedanken auf die neue Bahn.
Bei Aderlässen, die er nach der Therapie der dmaligen Zeit auf Java an
eben angekommenen Europäern vorzunehmen hatte, überraschte ihn die
hellrote Farbe des Venenblutes. Er deutete sich die Erscheinung, die sogleich
seine volle Aufmerksamkeit fesselte, nach der Theorie
Lavoisiers, der zufolge die animale Wärme das Ergebnis des am Blute
stattfindenden Verbrennungsprozesses ist. Der Größe des Farbenunterschiedes
zwischen den beiden Blutsorten entspricht die Stärke der an dem Blute vor
sich gegangenen Verbrennung; bei dem viel geringeren Wärmebedarf in den
Tropen muss aber ein entsprechend geringerer Oxydationsvorgang eintreten; daher
die hellrote Färbung des venösen Blutes. An diese schöne Bestätigung
der Theorie Lavoisiers knüpfte sich für
Mayer sogleich eine weitere Frage an. Der Tierkörper vermag auf
zwei Wegen Wärme zu erzeugen: unmittelbar in seinem Innern durch Oxydation
der dem Blute zugeführten Nahrungsmittel und mittelbar an anderen Körpern
durch mechanische Arbeit, wie Stoß, Reibung, Kompression der Luft. »Nun
ist zu wissen nötig: ob die direkt entwickelte Wärme allein, oder
ob die Summe der auf direktem und indirektem Wege entwickelten Wärmemengen
auf Rechnung des Verbrennungsprozesses zu bringen ist?« d. h.,
wir wollen wissen: ob sich bei gleich bleibendem Materialverbrauche die unmittelbar
entwickelte Wärmemenge um den Betrag der mittelbar entwickelten vermindere,
oder ob diese als Mehr zu jener hinzukomme.
Schon aus der Stellung dieser Frage, die, wie man leicht sieht; die mechanische
Wärmetheorie im Keime enthält, gibt sich die große Originalität Mayers zu erkennen: war es doch von jeher das Vorrecht
des geborenen Forschers, des Forschers von Gnaden der Natur, an die Natur mit
richtigen und bestimmten Fragen herantreten zu können.
Mayer findet die Antwort auf seine Frage bereits in dem Hauptsatz der
physiologischen Verbrennungstheorie gegeben. Nach diesem Satze ist die Wärmemenge,
welche bei der Oxydation einer gegebenen Menge von Material entsteht, eine unveränderliche,
von den Umständen der Verbrennung unabhängige Größe. Sie
kann also auch durch den Lebensprozess keine Größenveränderung
erleiden, d. i., der lebende Organismus vermag nicht Wärme aus nichts zu
erzeugen; es bleibt also nur die Annahme zulässig, dass die gesamte, teils
unmittelbar, teils auf mechanischem Wege vom Tierkörper entwickelte Wärme
dem Verbrennungseffekte quantitativ gleich ist. Dann muss aber auch »die
vom lebenden Körper erzeugte mechanische Wärme mit der dazu verbrauchten
Arbeit in einem unveränderlichen Größenverhältnis stehen.
Denn, könnten durch die nämliche Arbeit und bei gleich bleibendem
organischem Verbrennungsprozesse verschieden große Wärmemengen erzielt
werden, so würde ja die produzierte Wärme bei einem und demselben
Materialverbrauche bald kleiner, bald größer ausfallen können,
was gegen die An¬nahme ist.« Und da endlich zwischen der mechanischen
Lei¬stung der Tierkörper und anderen, anorganischen Arbeitsarten kein
wesentlicher Unterschied besteht, so ist »eine unveränderliche
Größenbeziehung zwischen Wärme und Arbeit ein Postulat der physiologischen
Verbrennungstheorie«.
Gedanken wie diese erfüllten Mayer bei seiner
Rückkehr aus Java; das Ganze seiner Lehre stand in hellstem Lichte vor
seinem Geiste, und er hatte Stunden, in denen er sich gleichsam inspiriert fühlte.
Von der Physiologie sah er sich zur Chemie, vor. dieser auf die Physik verwiesen
und vor eine physikalische Aufgabe von prinzipieller Bedeutung gestellt: die
Aufgabe, die vorausgesetzte Gleichung zwischen Arbeitsverbrauch und Wärmeerzeugung
aufzulösen, d. h. die in Betracht kommenden Größen zu bestimmen.
In der Lösung dieser Aufgabe sah er eine »Lebensfrage«
für seine Theorie; so wenig genügte ihm für sie ein Beweis
a priori, mochte. sich ein solcher auch mit mathematischer Gewissheit führen
lassen. Er forderte vielmehr vor allem die Bestätigung durch den Versuch;
seine Theorie, erklärt er, wäre widerlegt, wenn die Erfahrung Gegenteiliges
lehren würde. Auf höchst sinnreiche und, wie heute nicht mehr bestritten
wird, völlig einwandfreie Weise löste Mayer seine Aufgabe. Er ging von den Untersuchungen über die Wärmeverhältnisse
der Gase bei konstantem Druck und bei konstantem Volumen aus und nahm so den
einzigen Weg-, der ohne neue Experimente zum Ziele führte, und zwar mit
klarem Bewusstsein von der Richtigkeit des Weges. Die Versuche von
Gay Lussac hatten gezeigt, dass die spezifische Wärme eines Gases
keine wesentliche Veränderung erfährt, wenn das Gas in einen luftleeren
Raum strömt, dass also zur Ausdehnung eines Gases an und für sich
ein Wärmeaufwand nicht erforderlich ist. Mit Berufung auf diese Versuche
und auf die Tatsache, dass ein Gas, das sich unter einem Drucke ausdehnt, eine
Temperaturverminderung erleidet, setzte Mayer die
bei dem Zusammendrücken eines Gases verbrauchte Arbeit der bei der Kompression
des Gases entbundenen Wärme gleich und berechnete so zum ersten Mal den Arbeitswert der Wärme.
Diese naturwissenschaftliche Gedankenreihe ist bei Mayer
getragen und verknüpft durch allgemeinwissenschaftliche oder philosophische
Anschauungen, deren Richtigkeit nicht erst durch den Erfolg erwiesen zu werden
braucht, die vielmehr die Gewähr für ihre Wahrheit in sich selber
haben.
Arbeit und Wärme lassen sich unmittelbar nicht vergleichen; es gibt kein
für beide gemeinschaftliches Maß. Sie können also nur unter
gewissen Voraussetzungen gleich gesetzt werden. Der Versuch kann niemals mehr
zeigen als Proportionalität, d. i. ein direktes und
bestimmtes Verhältnis ihrer Größen: einem bestimmten Betrage
von Arbeitsverbrauch entspricht jedes Mal ein gleichfalls bestimmter Betrag
von Wärmegewinn, und umgekehrt muss eine bestimmte Menge von Wärme
verbraucht werden, um ein bestimmtes Maß von Arbeit zu leisten.
Mayer schließt aber aus der Proportionalität nicht bloß auf Äquivalenz oder Gleichwertigkeit, er schließt
auf Gleichheit der Größen, - genauer auf Identität der Größe.
Es sind nicht zwei Größen da, es ist nur eine Größe da,
nur erscheint sie in zwei Formen und muss daher nach verschiedenem Maße
gemessen werden.
»Was in einem Augenblick Wärme ist, ist im nächsten Bewegung,
- und dasselbe gilt auch umgekehrt.«
Hier nun greifen die allgemein-wissenschaftlichen Anschauungen ein, die sich
Mayer von der Form des ursächlichen
Zusammenhanges gebildet hatte, und welche für seine Theorie nicht
minder wesentlich sind als Beobachtung und Experiment. Jedes richtig gedachte
Kausalverhältnis muss eine Gleichung enthalten; denn Kausalität
beruht auf dem Fortbestehen der Größe der Ursache als Größe
der Wirkung, so gewiss ein Entstehen aus nichts
und ein Vergehen in nichts ausgeschlossen ist von allem Denken und aller
Erfahrung.
»Ursache und Wirkung bezeichnen nichts als verschiedene Erscheinungsformen
eines und desselben Objektes.«
Die Anwendung dieses Satzes auf das messbare Objekt, das wir nach
Mayer »Kraft« zu nennen haben,
ist der allgemeine Satz der Erhaltung der »Kraft« oder der Energie. Ein direkter Beweis ist so wenig von diesem Satze möglich
wie von dem parallelen der Erhaltung der Materie; ohne die Voraussetzung des
Satzes aber wäre die Beobachtung richtungslos und der Beweis durch das
Experiment unvollständig.
Die Unzerstörlichkeit der »Kraft« musste in Gedanken festgestellt sein, um auch nur die Frage aufwerfen zu können,
was aus der verschwundenen Bewegung geworden sei und woher die entstandene Wärme
stamme. Ohne das Prinzip der Beharrlichkeit im voraus anzunehmen, kann der empirische
Beweis desselben nicht begonnen werden, ohne dieses Prinzip ist er aber auch
nicht zu vollenden. Es gibt Grenzen der messenden Beobachtung; ein vollständiger
Beweis der quantitativen Unveränderlichkeit, es sei der Energie oder der
Materie, lässt sich daher durch Beobachtung allein nicht liefern.
Warum sollte nicht die Äquivalenzzahl bei irgendeiner Umwandlung von Energie
um äußerst weniges kleiner sein können als bei der Verwandlung
in umgekehrter Richtung? Und gesetzt, wir lassen unsere Messungen für absolut
genau gelten, warum sollte nicht die verschwundene Bewegung tatsächlich
vernichtet, die entstandene Wärme aus nichts geschaffen sein, stünde
nicht von vornherein fest, dass nichts aus nichts entstehen,
nichts in nichts vergehen kann? Ohne diesen verbindenden Gedanken fielen
die Glieder unseres Beweises auseinander, der Faden würde reißen,
der die aufeinander folgenden Erscheinungen einheitlich verknüpft. Das
Denken ergänzt die reine Erfahrung.
In wahrhaft mustergültiger Weise wirken bei Mayers Entdeckung Erfahrung und Denken zusammen; der Anteil der Tatsachen und die Bedeutung
ihrer begrifflichen Erfassung zur Herbeiführung des Schlussergebnisses
treten auf das klarste hervor.
»Wir sehen in unzähligen Fällen eine Bewegung
aufhören, ohne dass sie eine andere Bewegung oder eine Gewichtserhebung
hervorgebracht hätte; eine einmal gegebene Kraft kann aber nicht zu Null
werden, sondern nur in eine andere Form übergehen, und es fragt sich somit,
welche weitere Form die Kraft, die wir als Fallkraft und Bewegung kennen gelernt,
anzunehmen fähig sei? Nur die Erfahrung kann uns darüber Aufschluss
geben.«
Das allgemeine Prinzip der Größenunveränderlichkeit der Energie
gibt uns die Anweisung, nach der besonderen Erscheinungsform für die verschwundene
Bewegung zu suchen; die Erfahrung zeigt uns, was für eine Erscheinungsform
es sei. Sie zeigt uns, dass in vielen Fällen an Stelle der aufhörenden
Bewegung nichts anderes gefunden werden kann als die Wärme. Und »so
ziehen wir die Annahme, Wärme entsteht aus Bewegung, der Annahme einer
Wirkung ohne Ursache und einer Ursache ohne Wirkung vor, wie der Chemiker, statt
H und O ohne Nachfrage verschwinden und Wasser auf unerklärte Weise entstehen
zu lassen, einen Zusammenhang zwischen H und O einer- und Wasser anderseits
statuiert«. Das Gefüge dieses Schlusses würde sich lösen,
wollten wir den einen oder den anderen der beiden Pfeiler, die ihn tragen, herausnehmen;
ohne Erfahrung bliebe das allgemeine Prinzip der Beharrlichkeit eine bloße
Denkform für mögliche Dinge, ohne das Prinzip käme es zu keinem
Verständnis der Erfahrung.
Enthielt Mayers erste Veröffentlichung, wie
es ihrem Zwecke entsprach, außer der Angabe des mechanischen Wärmeäquivalents
nur einige Grundsätze der neuen Lehre, so bringt schon die zweite, 1845
erschienene Schrift: Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem
Stoffwechsel die Ausführung der Lehre selbst. Dieses Hauptwerk
Mayers ist zum Programme der heutigen Physik
geworden. Der Titel - Mayer selbst hat dies später
empfunden - ist nicht gut gewählt; er lenkt die Aufmerksamkeit von der
Hauptsache, dem Physikalischen, auf das diesem Untergeordnete, das Physiologische,
ab.
Wenn gegenwärtig die Physik als die Lehre von .den Erscheinungen und insbesondere
den Formänderungen der Energie aufgefasst wird, so ist Mayer es gewesen,
der ihr zuerst diese Aufgabe gestellt hat.
»Was die Chemie in Beziehung auf Materie, das hat die Physik in Beziehung
auf Kraft zu leisten. Die Kraft in ihren verschiedenen Formen kennen zu lernen,
die Bedingungen ihrer Metamorphosen zu erforschen, dies ist die einzige Aufgabe
der Physik. Es gibt in Wahrheit nur eine einzige Kraft. In ewigem Wechsel kreist
dieselbe in der toten wie in der lebenden Natur; dort und hier kein Vorgang
ohne Formänderung der Kraft.«
Sie erinnern sich, dass Mayer mit dem Worte Kraft
dasselbe bezeichnet, was wir heute Energie nennen. Als Hauptformen der Kraft
oder Energie zählt Mayer auf: Fallkraft
oder Energie der Lage, Bewegung, Wärme, Magnetismus und Elektrizität,
chemische Differenz. Die Verwandlungen dieser Energieformen ineinander
werden übersichtlich angegeben und an Experimenten erläutert. Es war
dies keine »bloße Zusammenstellung bekannter Fakta«, wie der
Berichterstatter über die Mayersche Schrift in den Berliner »Fortschritten der Physik« noch 1850 behauptete, sondern
eine völlig neue Verbindung bekannter und die Mitteilung wichtiger, für
die damalige Wissenschaft neuer Tatsachen, so des Wärmekonsums bei der
Arbeit einer Dampfmaschine, des Aufwandes von mechanischem Effekt bei der Erzeugung
einer elektrischen und einer magnetischen Spannung. Die Methode der Berechnung
des mechanischen Äquivalentes der Wärme wird gezeigt und begründet,
das Energieprinzip in seiner größten Verallgemeinerung dargestellt.
Der weite Blick des Forschers umspannt die Erscheinungen der Natur von dem Licht
der Sonne, das in Wärme verwandelt zur Quelle der Bewegung und des Lebens
auf der Erde wird, bis zu den Vorgängen in den pflanzlichen und tierischen
Leibern; aus der Physik des Laboratoriums werden wir in die Physik der freien
Natur geführt.
Man hat Mayer mit Galilei verglichen, und wirklich war er gleich diesem Schöpfer der modernen Wissenschaft »eine von den Einflüssen der Schule freie Natur«. Aber
seine Entdeckung war - er selbst hat dies immer anerkannt - weit mehr vorbereitet
als die Entdeckung Galileis, auch erforderte sie
nicht wie diese eine besondere mathematische Erfindungsgabe. Ein oberstes Denkgesetz
ließ sich unmittelbar auf die Tatsachen anwenden und die Anwendung durch
den Versuch bestätigen. Wohl aber befolgte Mayer
das von Galilei eingeführte analytische
oder induktiv-deduktive Verfahren.
Auch er ging zunächst von einer Beobachtung aus und leitete aus ihr eine
theoretische Annahme her, die er in ihre Konsequenzen entwickelte; diese Konsequenzen
aus seiner Annahme prüfte er sodann an der Erfahrung und bestimmte schließlich
auf Grund eines bereits bekannten, aber nicht verstandenen Experimentes die
in der Natur gegebene Konstante: den Arbeitswert der Wärme. In dieser Größenbestimmung sah er das Wesentliche seiner Entdeckung;
für sie vor allem nahm er das Recht der Priorität in Anspruch.
»Was Kraft, was Wärme ist, brauchen wir nicht zu wissen, - aber das
müssen wir wissen, wie man die Kraft oder Arbeit nach unveränderlichen
Einheiten zählt, und dass und welche unveränderliche Größenbeziehung
zwischen dem Meter-Kilogramm und der Wärmeeinheit stattfindet. Dieses Wissen
ist es, welches die Grundlage einer neuen Wissenschaft bildet und welches eine
Neugestaltung der Naturwissenschaften hervorruft.«
»Zahlen sind die Fundamente einer exakten Naturforschung.«
Gegen »alles Hypothetisierte und eitel Spekulatives«
empfand Mayer, den seine Gegner zu einem
Metaphysiker machen wollten, die entschiedenste Abneigung. Auch hierin hielt
er sich genau auf der Linie, die Galilei der Naturforschung vorgezeichnet hatte;
seine Physik ist gleich derjenigen Galileis eine
Physik der Tatsachen und der Gesetze, nicht der Hypothesen, wie es die Physik
Descartes' war.
»In den exakten Wissenschaften hat man es mit den Erscheinungen selbst;
mit messbaren Größen zu tun. - Ist einmal eine Tatsache nach allen
ihren Seiten bekannt, so ist sie auch erklärt und die Aufgabe der Wissenschaft
ist beendigt.«
Aus diesen Sätzen Mayers redet der
Geist der Methode unserer heutigen Naturforschung.
Als Hypothese betrachtet Mayer alles, »was
sich weder beweisen, noch widerlegen lässt«. Ausdrücklich
erklärte er sich daher auch gegen die »nahe
gelegte, aber unerwiesene und; wie er meinte, zu weit gehende Folgerung, als
ob die Wärmeerscheinungen schlechthin als Bewegungserscheinungen aufzufassen
seien«. Ihm schien vielmehr das Gegenteil gefolgert werden zu müssen:
»dass, um zu Wärme werden zu können, die Bewegung - sei sie
die einfache oder eine vibrierende - aufhören müsse, Bewegung zu sein.« Er lehnt es ab, den Vorgang der Verwandlung selbst zu erklären: wie aus
der verschwindenden Bewegung Wärme entstehe, oder »wie
die Bewegung in Wärme übergehe, darüber Aufschluss zu verlangen,
wäre von dem menschlichen Geist zu viel verlangt.«
Das Wort »umwandeln« bedeutet ihm nie
etwas anderes als eine »konstante numerische Beziehung«. »In unzähligen Fällen«, schreibt er in der »organischen
Bewegung«, »gehen die Umwandlungen
der Materien und der Kräfte auf anorganischen und organischen Wegen vor
unseren Augen vor, und doch enthält jeder dieser Prozesse ein für
das menschliche Erkenntnisvermögen undurchdringliches Mysterium. Die scharfe
Bezeichnung der natürlichen Grenzen menschlicher Forschung ist für
die Wissenschaft eine Aufgabe von praktischem Werte, während die Versuche,
in die Tiefen der Weltordnung durch Hypothesen einzudringen, ein Seitenstück
bilden zu dem Streben des Adepten.«
Deutlicher gegen alle metaphysische Spekulation und zugleich gegen einen dogmatischen
Positivismus kann man sich nicht erklären. Mayer kam von der Chemie her
zur Physik, und statt mit Galilei muss man ihn
mit Lavoisiers vergleichen. Was dieser für
die Chemie, hat Mayer für die Physik getan.
Er hat den in der Chemie seit I,avoisier bewährten Grundsatz der Unzerstörlichkeit
der Materie auf die Physik übertragen; daher sein Axiom: »eine
Kraft ist nicht weniger unzerstörlich als eine Substanz.« Diese Übertragung musste ihm durch die Beobachtung, dass die animale Wärme
an einen Stoffverbrauch gebunden ist, besonders nahe gelegt worden sein; auch
fand er eine Anknüpfung für sie in dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch
seiner Zeit, welchem gemäß Wärme, elektrische und magnetische
Energie als Imponderabilien, als unwägbare Substanzen bezeichnet wurden.
Daher die zunächst etwas befremdlich erscheinende Begriffsbestimmung:
»Kräfte sind unzerstörliche, wandelbare,
imponderable Objekte.«
Auch die substantielle Auffassung der Kausalität, Mayers Verdienst um die erkenntnistheoretische Forschung, hat in dieser Verallgemeinerung
der chemischen Gesichtspunkte ihre Quelle und nicht in einer bloßen Spekulation.
Mayer denkt sich den Vorgang einer Verursachung in zwei Bestandteile
zerlegt: der eine gehorcht dem Substanz- oder Beharrungsgesetze, von ihm gilt
daher der Grundsatz der Größenübereinstimmung genauer der Konstanz
der Größe der Ursache in der Wirkung (causa
aequat effectum), er allein soll auch unter dem Ausdruck Ursache
zu verstehen sein; der zweite, Mayer nennt ihn
Auslösung, hat kein quantitativ
bestimmtes Verhältnis zur Wirkung und geht auch nicht in diese über.
Für die Größe des mechanischen Effektes einer Explosion z. B.
ist es bleichgültig, ob die Pulvermenge durch einen Funken oder mit einer
Fackel entzündet wird; der Funke verwandelt sich auch nicht in Explosion.
Wie man sieht, handelt es sich um eine völlig sachgemäße Unterscheidung,
und die Forderung Mayers, zwei so gänzlich verschiedene Beziehungen wie
Veranlassung und Ursache eines Vorganges nicht mit einem und demselben Namen
zu bezeichnen, erscheint. durchaus berechtigt. Welche der beiden Beziehungen
wir als Ursache bezeichnen wollen, ist gleichgültig, wenn wir nur konsequent
verfahren; auch was die Ursachenfrage angeht, können wir das Wort Mayers über die »Kräftefrage« benützend
sagen: es handelt sich nicht darum, was Ursache für
ein Ding ist, sondern darum, welches Ding wir Ursache nennen wollen.
In der lebenden Natur gewinnen die »Auslösungen« gegenüber
den »Ursachen« mehr und mehr an Bedeutung
und vollends im Bereiche der menschlichen Geschichte hat sich ihr gegenseitiges
Wertverhältnis umgekehrt. Hier, wo wir vor allem nach der Qualität
der Vorgänge fragen, erscheinen uns die Auslösungen als das Wichtigste;
sie allein schreiben wir dem Willen des Menschen zu und für sie allein
machen wir die Menschen verantwortlich. Diese völlig andere Bedeutung der
Auslösungen bildet vielleicht die wesentlichste Differenz der Geschichte
von den Naturwissenschaften, und man könnte versucht sein, die Auslösungen
als die historischen Ursachen zu bezeichnen und sie so von den physikalischen
zu unterscheiden. Für die letzteren zunächst, die ihrer Form nach
quantitativ sind, gilt die Auffassung Mayers.
Ursache und Wirkung erscheinen in dieser Auffassung durch den Substanzbegriff
zur Einheit verbunden. Im Kausalgesetz ist das Substanzgesetz enthalten;
die Identität der Größe ist das Band der ursächlichen Verknüpfung.
Diese Anschauung war in der präzisen Form, in die Mayer
sie gebracht, der Wissenschaft vor ihm verborgen geblieben; von den Philosophen
kannte sie nur Leibniz, und auch Kant
ist ihr nahe gekommen. Humes Problem ist erst damit
gelöst.
Ursächliche Abfolge unterscheidet sich von zeitlicher Folge, auch wenn
diese eine vollkommen regelmäßige ist, durch die Konstanz
der Größe, die das Vorangehende mit dem Folgenden einheitlich.
verbindet; und da diese Verbindung der Form alles Begreifens, dem Satze des
logischen Grundes, d. i. der Identität des Grundes in der Folge entspricht,
macht sie zugleich die Notwendigkeit im ursächlichen Verhältnis begreiflich.
Zwischen den Denkgesetzen und der objektiven Welt besteht
eine allgemeine Harmonie, und diese in allen Einzelfällen nachzuweisen
ist, wie unser Forscher erklärt: »die interessanteste,
aber auch die umfassendste Aufgabe, die sich finden lässt«.
Die Versuche, die Lehre von der Energie zu einer energetischen Naturphilosophie
auszubauen, gehen über Mayers eigene Anschauungen
hinaus. Zwar hatte Mayer nachgewiesen, dass ein oberstes Naturgesetz: die quantitative
Unveränderlichkeit des Gegebenen sich auf gleiche Weise über »Kraft«
und Materie erstreckt; wie nahe aber auch damit
die beiden Begriffe gerückt werden mögen, ein wesentlicher Unterschied,
worauf ihre Dualität beruht, das ist, dass es zwei Begriffe sind, nicht
einer, bleibt bestehen.
Es ist der Unterschied zwischen den Eigenschaften eines physischen Körpers,
welche nicht ineinander übergehen, also kein Ausgleichsbestreben zeigen,
- schon Mayer nannte sie Kapazitäten, und
solchen Bestimmungen, welche allen Körpern zukommen und wieder allen fehlen
können. Eine Last kann gehoben sein, sie hat in diesem Falle
potentielle Energie oder »Fallkraft«, deren Größe gleich ist der zur Erhebung der Last verbrauchten Arbeit;
oder sie kann auf dem Boden ruhen, ihre Energie ist dann gleich Null, ihre Masse
dagegen, das ist, wie Mayer sie auffasst, ihre »Bewegungskapazität« ist in beiden Fällen die nämliche. »Wärmekapazität und Wärme, Schwere
und Fallkraft, chemische Affinität und chemische Differenz sind, wie Präparieren
und Operieren (- sagt der Arzt), ganz verschiedene
Dinge.«
»Zwei Abteilungen von Ursachen finden sich in der
Natur vor, zwischen denen erfahrungsgemäß keine Übergänge
stattfinden, - Materien (Stoffe) und Kräfte (Energieformen).«
Auch hier also hält sich Mayer streng innerhalb
der Grenzen der Erfahrung, und für die Gegenständlichkeit seines Denkens
liefern diese Aussprüche nur einen weiteren Beleg.
Seither kann der Philosoph wieder ihm wohlvertraute Worte vernehmen; diesmal
aber aus dem Munde des Naturforschers. »Das
Wesen der Substanz besteht in der Kraft«,
lehrte Leibniz. »Was
wir von der Materie wissen, ist schon in dem Begriffe der Energie enthalten,
- die Materie ist nichts als eine räumlich zusammengeordnete Gruppe von
Energien«, lautet das Bekenntnis des eifrigsten Anwaltes des energetischen
Einheitsgedankens.
Und wenn Kant die Körper, populär geredet,
als krafterfüllte Räume betrachtet, sofern
sich nach ihm die Materie als das Produkt von Anziehung
und Abstoßung ergibt, die sich bei der Raumerfüllung
im Gleichgewichte befinden, kleidet die moderne Energetik den nämlichen
Gedanken in die Worte: »nur solche Energien können
sich als räumlich gesonderte Erscheinungen erhalten, welche durch Verknüpfung
mit anderen ein zusammengesetztes Gleichgewicht ergeben.«
Der Unterschied der beiden sachlich übereinkommenden Äußerungen
liegt nur darin, dass Kant das Gleichgewicht durch
seine dynamische Konstruktion. der Materie erklären
will, während der energetische Naturphilosoph bei der Tatsache räumlich koexistenter oder verbundener Energien stehen bleibt. -
In der Materie sind Energien dauernd kompensiert, ihre algebraische Summe ist
gleich Null; die Bedingung des Geschehens oder der Entwicklung dagegen liegt
in nicht kompensierten Intensitätsunterschieden der Energien, oder, wie
schon Mayer sagte, in dem Fortbestand der Differenzen.
Diese Anschauungen sollen die Überwindung
des wissenschaftlichen Materialismus herbeiführen, - herbeigeführt
haben, welche Wilhelm Ostwald, dem wir sie entlehnten, 1895 auf der Naturforscherversammlung zu Lübeck
so nachdrücklich verkündet hat. Ich darf Ostwalds
Rede als bekannt voraussetzen und brauche nur an die darin entwickelten Grundgedanken
zu erinnern.
Alles, was wir von der Außenwelt wissen, besteht in der Kenntnis der Energieverhältnisse.
Was wir »Materie« nennen, gibt sich
uns nur in Wirkungen zu erkennen, also in Formen der Energie.
In dem Begriff der »Materie«
steckt erstens die Masse, d. h. die Kapazität für
Bewegungsenergie, ferner die Raumerfüllung
oder die Volumenenergie, weiter das Gewicht oder die in der allgemeinen
Schwere zutage tretende, besondere Art von Energie der Lage und endlich die
chemischen Eigenschaften, d. h. die chemische Energie.
Sagt man: aber die Energie muß doch einen »Träger« haben, denn sie ist doch nur etwas Gedachtes,
während die Materie das Wirkliche ist, so erwidert Ostwald:
umgekehrt, die Materie ist ein Gedankending, das wir uns konstruiert haben,
um das Dauernde im Wechsel der Erscheinungen darzustellen.
Die Erscheinungen sind uns in Gestalt von Empfindungen gegeben; denn offenbar
erfahren wir von der physischen Welt nur das, was uns unsere Sinneswerkzeuge
davon zukommen lassen.
Als gemeinsame Bedingung aber, damit eines dieser Werkzeuge sich betätigt,
lasse sich nur diese finden: »die Sinneswerkzeuge
reagieren auf Energieunterschiede zwischen ihnen und der Umgebung«.
Nur Unterschiede der Temperatur der Umgebung von der Eigentemperatur unseres
Körpers empfinden wir als Wärme oder Kälte; »in einer Welt,
deren Temperatur überall die unseres Körpers wäre, würden
wir auf keine Weise etwas von der Wärme erfahren können«. Und
ebenso haben wir von dem konstanten Atmosphärendrucke, unter dem wir leben,
keinerlei Empfindung; erst wenn wir uns bewegen, oder wenn sonst aus irgendwelcher
Ursache Änderungen ihres Druckes entstehen, gelangen wir zu seiner Kenntnis.
»Was wir empfinden, sind Unterschiede der Energiezustände gegen unsere
Sinnesapparate«.
Dies kann aber nicht heißen sollen: wir empfinden diese Unterschiede als
solche; die Empfindungen selbst sind uns stets als etwas Elementares, inhaltlich
Einfaches gegeben, mag auch die Bedingung ihres Eintretens in Energiedifferenzen
zu suchen sein. Das Wirkliche, folgert Ostwald, d. h. das, was auf uns wirkt, ist nur die Energie, ihr allein kann das Prädikat
der Realität zugesprochen werden. Sie ist neben den Anschauungsformen Raum
und Zeit »die einzige Größe welche den
verschiedenen Gebieten der Erscheinungen, und zwar allen ohne Ausnahme, gemeinsam
ist; man kann also zwischen verschiedenen Gebieten überhaupt nichts anderes
einander gleichsetzen als die in Frage kommenden Energieformen.«
»Wir fragen nicht mehr nach Kräften, die wir nicht nachweisen können,
zwischen Atomen, die wir nicht beobachten können, sondern wir fragen, wenn
wir einen Vorgang beurteilen wollen, nach Art und Menge der aus- und eintretenden
Energien.« -
Anders urteilt der holländische Physiker Lorentz.
»Wohl haben wir«, erklärt dieser
in seinen Vorträgen über sichtbare und unsichtbare Bewegungen, »zu
dem Gesetze der Erhaltung der Energie ein solches Vertrauen, dass wir es als
einen nie versagenden Führer bei dem Aufspüren neuer Erscheinungen
betrachten und seinen Weisungen eine Zuverlässigkeit beilegen, die uns
keine Elektronentheorie und keine Spezialtheorie 'irgendwelcher Art bieten kann.
Allein, wir dürfen in der Wertschätzung des Gesetzes auch nicht zu
weit gehen. Die Verschiedenheit der Naturerscheinungen, auch schon auf dem Gebiete
der Physik, ist zu groß, und ihr gegenseitiger Zusammenhang ist so vielseitig,
dass bei weitem nicht alle Beziehungen in diesem einzigen Gesetze, so umfassend
es auch sein mag, enthalten. sein können. Die Betrachtung des Arbeitsvermögens
kann uns nicht lehren, dass die innere Reibung der Gase bei Verminderung der
Dichtigkeit dieselbe bleiben muss. Ebenso wenig sagt sie uns, warum die Spektrallinien
durch eine Bewegung der Lichtquelle verschoben und durch magnetische Kräfte
verdoppelt werden.«
Ob die Energetik bestimmt sein wird, an Stelle der Mechanik zur Grundlage der
Physik zu werden, kann nur der Erfolg lehren. Heinrich
Hertz gab diesen Weg einer Umgestaltung der mechanischen Prinzipien,
nachdem er ihn eine Zeitlang verfolgt hatte, wieder auf. Unabhängig von
der Frage nach dieser wissenschaftlichen, ist die Frage nach der philosophischen
Bedeutung der Energetik. Hat diese den Dualismus der Grundbegriffe des Naturerkennens
wirklich überwunden, d. i. den Begriff der Materie neben dem der Energie
entbehrlich gemacht? –
Schreibt man der Energie selbst Trägheit zu und gibt ihr überdies
eine »körnige Struktur«, lässt
man sie also in den Elektronen und Atomen als ihren Knoten »zusammengeballt« sein.
So führt man nicht die Materie auf Energie zurück, man macht vielmehr
die Energie zur Materie.
Es muss als irreführend bezeichnet werden, wenn von der Energie als einer
einzigen Größe neben Raum und Zeit ge¬redet wird,
da jede Energieform sich vielmehr als das Produkt zweier Größen darstellt:
eines Kapazitäts- und eines Intensitätsfaktors, die beide reelle Größen
sind. Kapazität bedeutet Aufnahmefähigkeit für Energie und ist
sicher von dieser be¬grifflich und sachlich verschieden. In den Kapazitäten
aber, der Masse z. B. bei der kinetischen Energie, steckt der emprische Begriff
der Materie, und statt diesen Begriff wirklich eliminieren zu können, hat
die Energetik ihn nur anders benannt. Mag die Materie immerhin nur ein Abstraktum
sein, darum ist sie noch kein bloßes Gedankending; sie ist überhaupt
kein Ding, sondern die Vorstellungsart von Dingen durch die äußeren
Sinne. Auch die Energie ist ein Abstraktum; konkret sind
die Arten der Energie, sowie sie sich der sinnlichen Anschauung an räumliche
Dinge gebunden zu erkennen geben. Gehen wir nur dem Leitfaden der Erfahrung
nach - und von ihm darf am wenigsten eine »hypothesenfreie«
Naturwissenschaft abgehen wollen -, so treffen wir in jedem physikalischen
Erscheinungsgebiete auf besondere Größen, die wir von den Energiegrößen
unterscheiden müssen und uns naturgemäß nur unter dem Bilde
der Materie vorstellen können.
Zwischen beiden Arten von Größen kann so wenig
ein Übergang stattfinden wie zwischen Raum und Zeit. Wir werden
die Materie nicht los, weil wir den Raum nicht los werden, weil wir den Raum
nicht in die Zeit verwandeln können; so real also wie der Unterschied von
Raum und Zeit, so real ist auch der Unterschied von Materie
und Energie. Beide aber: Raum und Zeit mit
ihrer Verschiedenheit haben empirische Realität, Wirklichkeit in der Erfahrung,
die in diesen beiden Formen des Anschauens gegeben ist. Wenn also Ostwald der Materie die Realität abspricht, so kann er unter Realität nicht
die empirische verstehen, denn diese kommt der Materie in gleicher Weise zu
wie der Energie; und wenn er die Energie zu dem Allein-Wirklichen macht, so
muss er mit dem Worte noch einen anderen Begriff verbinden als den erfahrungsmäßigen
der Arbeit und der Arbeitsäquivalente. Der empirische Begriff Energie hat
sich ihm in einen metaphysischen, der Größenbegriff in einen Wesensbegriff
umgewandelt. Ist die Materie »Erscheinung«
der Energie, so muss die Energie »das Ding an sich« der Materie
sein. Von den Dingen an sich aber denken
wir mit Kant: wir wissen
nicht, was sie sind, und brauchen es nicht zu wissen, weil uns doch niemals
ein Ding anders vorkommen kann als in der Erscheinung.
Es gibt einen ursprünglicheren Dualismus als den naturwissenschaftlichen
von Materie und Energie, und an ihn denken wir zunächst, wenn von Dualismus die Rede ist. Seine Aufhebung, die mit der Überwindung des naturwissenschaftlichen
Dualismus keineswegs schon gegeben wäre, erscheint uns als ein wichtigeres
Problem, das unmittelbar unsere geistigen Interessen berührt und den Charakter
unserer Weltanschauung bestimmt. Es ist der Dualismus von Leib und Seele, den
wir meinen, und das Problem, das sich daran knüpft, der Zusammenhang
des Physischen und des Psychischen. Die Frage nach der Natur dieses Zusammenhanges
hat von je das Nachdenken des Menschen beschäftigt.
Eindrucksvolle Erlebnisse: Schlaf und Tod, Visionen Abgeschiedener
im Traume haben den Menschen wohl zuerst auf den Gedanken einer Verdoppelung
seines Wesens gebracht, auf die Annahme eines »anderen
Ich«, aus »solchem Zeug gewebt wie
dem zu Träumen«. Aus primitiven Anschauungen dieser Art ging
der Dualismus hervor: die
Trennung einer geistigen Substanz von der körperlichen, der Glaube
an eine wesenhafte Verschiedenheit beider. Auch wir verstehen noch diesen Glauben,
nicht bloß deshalb, weil er uns in unserer Kindheit eingeprägt wurde,
sondern weil wir ihn selbst zu erleben meinen; - immer dann, wenn wir unseren
Geist frei und unabhängig fühlen, wenn unsere Gedanken willig strömen,
unsere Handlungen mit unseren Bestrebungen übereinstimmen; - dass immer
dann auch die organischen Prozesse unseres Leibes ungestört ablaufen, bemerken
wir nicht.
Wir unterscheiden uns als denkende Wesen von den Dingen außer uns und
zählen auch unseren Leib zu diesen äußeren Dingen, nicht zu
unserem wahren Wesen, unserem eigentlichen Innern. Diesem Innern, der geistigen
Natur in uns, schreiben wir eine fast unbegrenzte Macht und Herrschaft über
den Körper zu. Wir sehen die Bewegung unserer Glieder, den Lauf und die
Richtung unserer Gedanken dem Geheiß unseres Willens folgen, und selbst
die Stimmung unseres Leibes scheint uns in hohem Grade von unserem Willen abhängig
zu sein; wovon der Wille selbst abhängt, daran denken wir nicht. Freilich,
ebenso oft müssen wir auch das Gegenteil erfahren. Stimmungen des Körpers
färben unsere Gedanken, hemmen oder verändern unsere Entschließungen,
und wir entdecken, dass nichts so wenig in unserem freien Belieben steht wie
unser Wollen. Und so gleicht unser Inneres dem Schauplatz eines beständigen
Kampfes, in welchem bald der Geist über den Körper, bald der Körper
über den Geist den Sieg behält. Die Tatsachen selbst also, unsere
Erlebnisse, scheinen, wie von der Verschiedenheit, so auch der Wechselwirkung
des seelischen und des körperlichen Prinzips Zeugnis zu geben.
Für eine rein mechanische Naturanschauung ist der Dualismus unvermeidlich;
- schon durch die bloße Existenz von Bewusstsein in einer Natur, wie diese
Anschauung sie voraussetzt, müssten wir ihn für erwiesen halten. Ist nichts in der Außenwelt an sich gegeben als bewegte Masse, so kommt
mit der Innenwelt ein zweites, völlig andersartiges Prinzip hinzu. Es
kann daher nur einen Mangel an Konsequenz bedeuten, wenn ein überzeugter
Materialist im Sinne dieser Anschauung nicht zugleich dualistisch denkt. Wie
es aber bei einer jeden falschen Hypothese geschieht, dass sie fortzeugend immer
neue Hypothesen gebiert, so geschah es auch mit der Hypothese des Dualismus.
Was für Annahmen sind nicht von der philosophischen Spekulation versucht
worden, das Verhältnis von Leib und Seele aufzuklären, seit
Descartes den Dualismus dogmatisiert hatte: - von dem »physischen
Einfluss«, wobei sich die Seele jedes Mal »materialisieren«
müsste, wie die Spiritisten sagen so oft sie Eindrücke vom Körper
empfängt oder den Körper bewegt, bis zu der verzweifelten Ausflucht
zur Assistenz Gottes und der »prästabilierten
Harmonie«! Und endlich tauchte die Frage; nachdem ihr längst
durch Kant in der Philosophie der Boden entzogen
war, sehr verspätet also, in einer berühmt gewordenen Rede eines Physiologen
wieder auf.
Es ist leicht zu sehen, dass die Frage, welche du Bois-Reymond
aufwarf, verkehrt gestellt ist und ihre Richtigstellung allein schon
genügt, um jedes Rätsel aus ihr verschwinden zu machen. Wie aus irgendeiner
Verbindung oder Bewegung von Atomen Empfindung hervorgehen soll, kürzer:
wie Atome sollen empfinden können, lässt sich gar nicht begreifen,
wohl aber erkennen, dass hier ein wirkliches Problem gar nicht vorliegt und
die Frage in dieser Form keinen Sinn hat. Nicht Atome sind uns gegeben, sondern
die Empfindungen und statt von den Atomen zu Empfindungen, natürlich vergeblich,
einen Weg zu suchen, hat unsere Frage vielmehr die zu sein: wie kommen wir von
den Empfindungen aus zu der Annahme von Atomen? Und in dieser Form ist die Frage
beinahe so schnell gelöst wie gestellt. Der Begriff der Atome ist ein Erzeugnis
der Methode.
Die exakte Wissenschaft sucht die Erscheinungen zu messen, und darum lässt
sie alles Spezifische und Qualitative in ihnen unberücksichtigt und beschränkt
sich auf räumliche Größe und Bewegung; sie sucht die Erscheinungen
zu berechnen und ersetzt sie daher - durch Rechenpfennige. Atome sind Begriffe
von den Elementen der räumlichen Dinge nach Abstraktion von unseren Empfindungen
der Dinge. Dass aber ein Begriff, ein Gedankensymbol für Empfindungen und
das, was diesen zu¬grunde liegt, nicht selbst empfinden kann, ist alles
eher als rätselhaft.
Die Atomistik ist eine Zeichensprache für Dinge, die für die Unterscheidung
und Individualisierung der Erscheinungen Stützpunkte, für die Rechnung
Ansatzpunkte liefert und einen abgekürzten Ausdruck für bestimmte
Seiten der äußeren Erfahrungen, insbesondere der chemischen, gibt.
Zeichen aber bleiben Zeichen. Was die Differentiale, die unendlich kleinen Größen
in der Mathematik, sind in der Physik und Chemie die Atome; sie gehören
der nämlichen Klasse und Ordnung von Hilfsbegriffen an und sind, wie
Mayer forderte, gleich den Differentialen stets nur. als relativ aufzufassen
und in Beziehung zu einem bestimmten Prozesse zu denken. Nur die beständige
Gewohnheit des Naturforschers, in seinen Gedanken mit diesen Zeichen für
Dinge zu verkehren, konnte überhaupt den Glauben erzeugen, die Atome selbst
seien die Dinge, die Empfindungen dagegen eine
mysteriöse Zugabe zu den Atomen.
Vielleicht aber hätte du Bois-Reymond
ein anderes Problem im Sinne, und seine Frage zielte eigentlich nicht auf die
Empfindung als solche, sondern auf die Tatsache
des Subjektes. Dann aber müsste es uns erst recht seltsam
berühren, wenn von einem »Ignorabimus« geredet wird, wo es sich nicht um ein Nichtwissenwerden oder -können handelt,
sondern um die Voraussetzung alles Wissens: die Beziehung von Subjekt und Objekt.
Alle Schwierigkeiten, erklärt Kant, die man
in der Verbindung der denkenden Natur mit der Materie anzutreffen glaubt, sind
selbstgemachte und beruhen auf einem bloßen »Blendwerke«. Sie entspringen ohne Ausnahme lediglich aus »jener
erschlichenen dualistischen Vorstellung, dass Materie als solche nicht Erscheinung
sei, der ein unbekannter Gegenstand entspricht, sondern der Gegenstand selbst,
so wie er außer uns und unabhängig von aller Sinnlichkeit existiert«.
»Solange wir nur innere und äußere Erscheinungen als Vorstellungen
in der Erfahrung miteinander zusammenhalten, finden wir nichts Widersinniges
und nichts, was die Gemeinschaft beider Art Sinne befremdlich machte. Sobald
wir aber die äußeren Erscheinungen nicht mehr als Vorstellungen,
sondern in derselben Qualität, wie sie in uns
sind, auch als außer uns für sich bestehende Dinge ansehen,
haben wir einen Charakter der wirkenden Ursachen außer uns, der sich mit
ihren Wirkungen in uns nicht zusammenreimen will«, -
dort Bewegungen, hier Vorstellungen. »Aber
wir sollten bedenken, dass die Körper nicht Gegenstände an sich sind,
sondern eine bloße Erscheinung, wer weiß, welches unbekannten Gegenstandes;
dass die Bewegung nicht die Wirkung dieser unbekannten Ursache, sondern bloß die Erscheinung ihres Einflusses auf unsere Sinne sei, dass mithin nicht die
Bewegung der Materie in uns Vorstellungen wirke, sondern dass sie selbst (mithin
auch die Bewegung, die sich dadurch kennbar macht,) bloße Vorstellung
sei.«
Und so läuft endlich die ganze »berüchtigte« Frage darauf hinaus: wie und durch welche Ursache die Vorstellungen unserer
Sinnlichkeit so untereinander in Verbindung stehen, dass diejenigen, die wir äußere Anschauungen nennen, nach empirischen
Gesetzen als Gegenstände außer
uns vorgestellt werden können - eine Frage, welche »ganz
und gar nicht die vermeinte Schwierigkeit enthält, den Ursprung der Vorstellungen
aus außer uns befindlichen, ganz fremdartig wirkenden Ursachen zu erklären,
indem wir die Erscheinung einer unbekannten Ursache außer
uns für die Ursache selbst nehmen«. Was hier gegen die Verdinglichung
der äußeren Erscheinungen gesagt wird, gilt mit gleichem Recht und
aus demselben Grunde auch gegen die Verdinglichung der inneren. In beiden Fällen
hält man »die Verschiedenheit der Vorstellungsart
von Gegenständen, die uns nach dem, was sie an sich sind, unbekannt bleiben,
für die Verschiedenheit dieser Dinge selbst«.
»Das transzendentale Objekt (das
Reale), welches den äußeren Erscheinungen, ingleichen das,
was der inneren Anschauung zum Grunde liegt, ist an sich selbst weder
Materie noch ein denkendes Wesen, sondern ein uns unbekannter Grund
der Erscheinungen, die den empirischen Begriff von der ersten sowohl als zweiten
Art (Dinge) an die Hand geben.«
Damit ist die Grundlosigkeit des Dualismus gezeigt und die Frage, die uns beschäftigt,
auf den Boden verpflanzt, wo sie allein hingehört, den Boden der Erfahrung.
Wir fragen nicht länger, in welcher Art Gemeinschaft Leib und Seele als
zwei heterogene »Substanzen« stehen mögen, wir fragen, welche
funk¬tionelle Beziehung oder Abhängigkeit zwischen den physischen Vorgängen
- und den psychischen Tätigkeiten tatsächlich stattfindet, und welche
Schlüsse aus ihrem empirischen Verhältnis zu ziehen sind. Und die
Antwort auf diese Frage muss heute bestimmter lauten, als es zur Zeit Kants
noch möglich gewesen wäre.
Aus dem Energieprinzipe folgt, dass der Verlauf der Vorgänge in der äußeren
Natur ein in sich geschlossener ist. Jede physische Wirkung ist nach diesem
Prinzip durch ihre physische Ursache der Größe nach völlig bestimmt,
jede physische Ursache erschöpft sich durch ihre physische Wirkung. Unter
physischer Ursache oder Wirkung ist einfach eine solche zu verstehen, welche
durch Arbeit messbar, ist; eine weitere Voraussetzung über ihre Beschaffenheit,
z. B. ihre Bewegungsnatur, brauchen wir nicht zu machen. In diesen geschlossenen
Naturverlauf nun kann eine nichtphysische Ursache nicht eingreifen, denn sie
hätte nichts mehr zu bewirken, aus ihm eine nichtphysische Wirkung nicht
hervorgehen, denn jede Wirkung ist bereits völlig bestimmt. Psychische
Funktionen also können in diesen Prozess in Form von Energiearten weder
als Ursachen noch als Wirkungen eingeschaltet sein. Jede Vorstellung, die man
sich davon bilden könnte, erweist sich näher betrachtet als unzuverlässig.
Man denkt vielleicht an die Auslösung, die jede Umwandlung von Energie
einleiten muss. Aber auch die Auslösung ist eine physische Ursache; sie
leistet Arbeit, indem sie das Gleichgewicht zwischen Energien aufhebt, und kein
noch so vollkommener Auslösungsapparat kann in Bewegung versetzt werden,
ohne dass an ihm Arbeit geleistet wird. Wenn man meint: der Wille brauche die
Bewegung bloß zu lenken, aber nicht zu erzeugen, so muss erwidert werden,
dass auch das Lenken von Bewegung Bewegung ist. Die
Chemie kennt Reaktionsvorgänge, bei welchen die Gegenwart einer Substanz
anscheinend nur den zeitlichen Verlauf der Reaktion beeinflusst, diese einleitet
oder beschleunigt, ohne dass dabei die Substanz selbst endgültig verändert
wird. Könnte nicht der Einfluss von Wille und Bewusstsein ein solcher Kontaktvorgang
sein, ein katalytischer Prozess, wie die Chemie ihn nennt? Mayer
scheint daran gedacht zu haben. Aber, fürs erste ist es keineswegs
erwiesen, dass die katalysierende Substanz -wirklich an dem Prozess selbst nicht
beteiligt ist, wenn sie auch zum Schlusse desselben in ihrem ursprünglichen
Betrage wiedererscheint. Und fürs zweite ist Bewusstsein keine Substanz.
Es bliebe also nur übrig, das Psychische als eine besondere Form der Energie
in die Kette ihrer übrigen Formen eingereiht zu denken, und da wir nicht
anzunehmen brauchen, dass alle Energieformen von derselben Art sein müssen,
nämlich mechanische Energie, so scheint einen Augenblick dieser Ausweg
in der Tat offen zu stehen. Dass wir auch damit der Eigenart des Psychischen
nicht um den kleinsten Schritt näher kommen würden, wenn wir die Reihe
der bekannten Energieformen um eine Anzahl neuer und ad hoc eingeführter,
wie Nervenenergie, geistige Energie, vermehren wollten, ist leicht zu zeigen.
Unser Verfahren gliche nur allzu sehr dem Bemühen jenes klugen Philosophen,
welcher meinte, er brauche sich den Stoff nur immer feiner und feiner zu denken:
endlich müsse doch ein Geist daraus werden. Energien
gehören der Außenwelt an, der Welt der Objekte. Wie soll es
also zu verstehen sein, dass irgendeine von ihnen sich selber subjektiv wird?
Zwischen und inmitten jener objektiven Größen,
die Energien heißen, und welche, sofern sie erscheinen, für
das Subjekt da sind, kann doch das Subjekt selbst nicht Platz nehmen. Doch lassen wir dieses Bedenken, das man vielleicht für metaphysisch hält,
obschon es nur erkenntnistheoretisch ist, auf sich beruhen.
Das Bewusstsein ist tatsächlich keine Energie; denn es gibt kein Äquivalent des Bewusstseins. Wäre das Psychische eine Energieform,
so müsste, so oft es hervortritt oder sich betätigt, ein bestimmter
Betrag einer anderen Energieform verschwinden, so oft es latent wird, Energie
von anderer Art entstehen. Nichts davon lehrt die Erfahrung; sie lehrt vielmehr
das Gegenteil. Die Energie des chemischen Umsatzes im Gehirn wird nicht vermindert,
sie wird, wie Mosso dies sogar experimentell zeigen
konnte, gesteigert, wenn wir geistig tätig sind, herabgesetzt, wenn wir
geistig ruhen. Es verschwindet also nicht Energie einer
Art, wenn Bewusstsein entsteht; es entsteht nicht Energie anderer Art, wenn
Bewusstsein verschwindet.
Der chemische Prozess im Gehirn und die psychische Tätigkeit verwandeln
sich nicht ineinander, sie gehen miteinander. Was energetisch sein soll, muss
eine messbare Größe haben. Das Psychische als
solches hat keine Größe; es ist der Art nach verschieden von allen
messbaren Objekten, es ist gewichtlos, raumlos, die ihm wesentliche Einheitlichkeit
lässt sich nicht in Teile zerlegen, nicht aus Teilen zusammensetzen. Auch
der Wille, den man gewohnt ist als den Typus für alle Kraft zu betrachten,
ist keine Energie in der physikalischen Bedeutung dieses Wortes.
Zwischen Wille und Bewegung findet, wie schon Spinoza sagt, kein Verhältnis statt; daher »findet
auch keine Vergleichung statt zwischen den Kräften des Geistes und denen
des Körpers«, und die einen sind nicht durch anderen zu bestimmen.
Das psychische Geschehen ist das nichtenergetische Geschehen in der Natur.
Auf diesem Wege kommen wir also nicht weiter. Wir können auf demselben
nur die Ungleichartigkeit des Psychischen und des
Physischen genauer erkennen, nicht aber auch die Art und Notwendigkeit ihrer
Verbindung sehen. Dagegen geben uns gewisse biologische Tatsachen Anhaltspunkte,
das Problem von einer anderen Seite anzufassen.
Wenn wir auch nicht wissen, wo zuerst in der organischen Natur, auf welcher
Stufe ihrer Entwicklung, Bewusstsein entsteht, so sehen wir doch das deutliche
Hervortreten, die Steigerung und Zusammenfassung seelischer Fähigkeiten
an die Ausbildung von Zentralorganen und an deren immer reichere Gliederung
in zusammenwirkende Mechanismen gebunden. Psychische Entwicklung und Entwicklung
des Nervensystems hal¬ten gleichen Schritt. Nicht irgendeiner einzelnen
Energieform also entspricht das Bewusstsein; sein objektives Gegenstück
ist eine Struktur, der Bau des Nervensystems, genauer, die durch diese Struktur
ermöglichte, durch sie geleitete Zusammenordnung von Energien. Auch hieraus
erhellt, dass es nicht zulässig ist, von einer geistigen Energie in demselben
Sinne zu reden wie beispielsweise von der chemischen. Es ergibt sich ferner
daraus, dass der Begriff eines »Atombewusstseins«
ein sich selbst widersprechender Begriff ist. Denn nur der Zusammenhang
des Lebens trägt und erhält das Bewusstsein, welches selbst wesentlich
Zusammenhang ist, Einheit des Mannigfaltigen.
Wenn zwei Vorgänge einander, entsprechen und stets zugleich, also nicht
in kausaler Folge eintreten, so können wir sagen-. sie verlaufen parallel.
Und so ist es üblich geworden, das Verhältnis des Psychischen zu seiner
physischen Grundlage, d. i. zu bestimmten Nervenprozessen als
psycho - physischen Parallelismus zu bezeichnen. Dieser Ausdruck
sollte immer nur als methodische Regel verstanden werden, die uns anweist, die
psychologische Analyse der Bewusstseinserscheinungen als solcher mit der physiologischen
ihrer körperlichen Begleiterscheinungen zu verbinden und so zu einer beiderseitigen
Betrachtung derselben zu gelangen. Gibt man ihm dagegen, wie es meistens geschieht,
die Bedeutung einer Theorie, so kann er leicht irreführend werden. Von
zwei parallelen Linien wissen wir, dass in ihrem ganzen Verlauf jedem Punkt
der einen ein Punkt gleichen Abstandes der anderen entsprechen muss.
Die Tatsachen geben uns keinen Grund zur Annahme, dass in ana¬loger Weise
auch die physischen und die psychischen Prozesse verlaufen. Wir wissen vielmehr,
dass sich beständig Vorgänge nicht bloß in anderen Organen unseres
Körpers, sondern in unserem Nervensysteme selbst abspielen, die nicht in
unsere innere Wahrnehmung fallen und nur mittelbar, durch äußere
Erfahrung zu unserer Kenntnis gelangen.
Unser bewusstes Leben ist nur ein kleiner Ausschnitt unseres Lebens; aus seiner
breiten und tiefen Unterströmung heben sich nur einzelne wenige Wellen
empor und werden vom Lichte getroffen. Der psycho-physische
Parallelismus, besser: die Korrespondenz des Psychischen
und des Physischen ist ausschließlich auf jene Vorgänge in
der Großhirnrinde zu beziehen, mit welchen, wenn sie gegeben sind, Bewusstseinsphänomene
wie Gefühl, Vorstellung, Wille mitgegeben sind. Von ihnen allein gilt der
Satz, dass sie und die gleichzeitigen Bewusstseinsvorgänge zusammen bestehen
und nur der Erscheinung nach voneinander zu unterscheiden, in Wirklichkeit aber
nicht zu trennen sind. Ein so oder so beschaffener, so oder so weit ausgebreiteter
Erregungszustand des Großhirns und ein so oder so bestimmter Gedanke gehören
derart zusammen, sind soweit eines, dass, sollte der Gedanke fehlen oder anders
sein können, zugleich jener Gehirnprozess fehlen oder anders sein müsste.
Dies meint der psycho-physische Parallelismus.
Nicht aber kann es seine Meinung sein, dass zu jedem körperlichen Vorgang,
ja zu jedem körperlichen Elemente in der Natur ein geistiger Vorgang, ein
geistiges Element (eben das zitierte Atombewusstsein) gehöre. Dieser Panpsychismus,
der seltsamerweise noch Liebhaber unter uns findet, ist eine reine Spekulation,
für welche die psycho-physischen Tatsachen keine Handhabe bieten. Alles
Psychische ist physisch fundiert, lautet der Satz des Parallelismus; alles Physische
ist zugleich psychisch, es ist Gegenstand seiner eigenen Anschauung,
oder erscheint sich selbst, behauptet der Panpsychismus
- und diese Umkehrung des psycho-physischen Satzes müsste bewiesen
werden. An unserem eigenen Körper erfahren wir nichts, was da; mit übereinstimmte;
die menschlichen Körper wenigstens müssten daher von der Allbeseeltheit
der körperlichen Natur eine Ausnahme bilden.
Oder, man wird doch nicht im Ernst zu jedem Stoffwechselprozesse in unserem
Leibe ein Bewusstsein des Prozesses von sich selbst, von dem wir nichts wissen,
hinzudenken wollen. Wer sich zur panpsychistischen Lehre bekennt, muss mehr
behaupten, als er wissen kann; er muss behaupten, dass das Bewusstsein nicht
entstanden sein kann, auch nicht aus dem, was der Erscheinung der materiellen
Dinge zum Grunde liegt und wovon er genau so wenig weiß wie sein Gegner.
Warum sollte das Bewusstsein nicht entstanden sein können? entsteht es
nicht wirklich? Ja eigentlich ist es in jedem Augenblicke neu entstehend, es
ist ein Prozess, eine Aktivität, kein Sein. Alles; was auf unsere Sinne
wirkt und so zu unserer äußeren Wahrnehmung gelangt, muss, so werden
wir mit Recht sagen, auch für sich sein; daraus aber folgt noch nicht,
dass es auch von sich wissen muss: Der Dichter mag die Dinge ringsum beseelen;
als Denker aber sollten wir aufhören, von einem Lieben und Hassen der Elemente
und von Atomempfindungen zu träumen. Auch von einem unbewussten »Willen in der Natur« wollen wir nicht reden; denn wir kennen
nur bewusstes Wollen.
Der Panpsychismus ist die Wiederbelebung eines
spinozistischen Gedankens, aber losgelöst vom spinozistischen Systeme.
-
Spinoza erklärte das Denken,
weil es in seiner Art unendlich sei, für eines der »Attribute«
der göttlichen Substanz, oder der wirkenden
Natur und machte die Ausdehnung,
das Prinzip der körperlichen Dinge, zu einem zweiten
Attribute. Beide Attribute drücken dieselbe Natur aus, und sie drücken
beide die ganze Natur aus. Die Ordnung und die Verknüpfung der Ideen und
der Dinge ist daher eine einzige Ordnung, ein einziger Zusammenhang. Aber
Spinoza meinte dabei ein einheitliches und unendliches
Denken, er meinte die Natur der Dinge selbst als der Gegenstände
dieses Denkens. Unter »Ideen« versteht
er die »ewigen« Ideen, unter den Dingen die Wesenheiten der Dinge, nicht die zeitlichen
Dinge und die sinnlichen oder Einbildungsvorstellungen der Dinge. Und wenn es
nach ihm für jedes Ding in der Natur eine Idee im
göttlichen Denken geben muss, so ist
deshalb noch nicht mit jedem Dinge auch eine »Idee seiner Idee«,
d. i. ein Akt des Selbstbewusstseins, verbunden. Hierin liegt die stärkste Abweichung seiner Anschauung von der
panpsychistischen.
Metaphysische Hypothesen, wie die Spinozas,
haben das Anziehende, dass sie alles zu erklären, alles zu ergründen
scheinen; sie haben aber auch das Missliche, sich selbst nicht erklären,
sich selbst nicht begründen zu können. Von den beiden Attributen Spinozas ist nur das Attribut der körperlichen Natur ein in sich vollständiger
Ausdruck der Natur. Nur der Kausalzusammenhang auf der physischen Seite ist
als ein lückenlos gegebener zu betrachten, den auf der psychischen Seite
müssten wir hypothetisch durch die Einschaltung »unbewusster
Vorstellungen« lückenlos machen. Ein Bewusstseinsakt ist keineswegs
in der Regel, er ist viel eher nur ausnahmsweise die Wirkung des bewussten Aktes,
der ihm vorausging, wogegen jeder körperliche Vorgang die bestimmte Folge
des ihm vorangegangenen ist. Das Bewusstsein ist diskontinuierlich,
es erfährt Unterbrechungen, während die physischen Prozesse
stetig verlaufen; schon die Tatsache, dass es eine »Schwelle«
des Bewusstseins gibt, ist ein Beweis gegen jede Vorstellung von Allbeseelung.
Der psycho-physische Parallelismus enthält
immer noch eine versteckte dualistische Vorstellung.
Zu jeder »Begleitung« gehören
zwei Dinge. Die beiden Vorgänge aber, die sich nach der psycho-physischen
Anschauung begleiten sollen, kommen niemals zugleich in der Erfahrung vor, sie
gehören nie der Erfahrung eines und desselben Subjektes an. Vielmehr, so
oft der eine erscheint, d. i. in der Erfahrung gegeben ist, tritt der andere
in die Vorstellung zurück.
Was ich als mein Vorstellen und Wollen erlebe, kann ich
zwar als zerebralen Prozess denken, es kann mir aber niemals als zerebraler
Prozess erscheinen, und selbst um es als solchen Prozess vorstellen zu können,
muss ich in Gedanken erst meinen Standpunkt vertauschen, von der inneren Anschauung
zur äußeren übergehen. Als Gehirnprozess erscheint meine
Vorstellungs- und Willenstätigkeit - oder sagen wir lieber: so könnte
sie erscheinen - immer nur einem außenstehenden Beobachter, der, was ich
mit meinem inneren Sinn als Vorstellen oder Wollen erfasse, mit seinen äußeren
Sinnen als bestimmten Bewegungsvorgang anschaut. Wir schließen daraus,
dass in Wirklichkeit nicht zwei Vorgänge, ein psychischer und ein physiologischer,
gegeben sind, sondern nur zwei verschiedene Betrachtungsweisen eines einzigen
Vorganges, welche Betrachtungsweisen auch jederzeit auf zwei verschiedene Subjekte
verteilt sind.
Wir schließen auf die Identität
des realen Vorganges, der dieser doppelseitigen Erscheinung
zugrunde liegt. Die Welt ist nur einmal da;. aber sie ist dem objektiven, auf die äußeren Dinge bezogenen
Bewusstsein als Zusammenhang quantitativer physischer Vorgänge und Dinge
gegeben, während ein Teil derselben Welt einem bestimmten organischen Individuum
als seine bewussten Funktionen und deren Zusammenhang gegeben ist. Diese Auffassung
des Verhältnisses des Psychischen und des Physischen nenne ich den
philosophischen Monismus.
Soviel ich sehe, stimmt dieser Monismus auch mit
unseren natürlichen und unverschulten Überzeugungen überein.
Denn es ist nach ihm ebenso richtig zu sagen: der Wille bewegt meinen Arm, wie
zu sagen: die zentrale Innervation mit ihren Folgeerscheinungen setzt ihn in
Bewegung. Kein Zweifel ferner, dass Bewusstsein und Wille wirklich die Beziehungen
unseres Körpers zu den Körpern der Umgebung regeln, dass Willensakte
die Kombination jener äußeren Körper unseren Zwecken entsprechend
ändern: dies aber leisten Bewusstsein und Wille nicht, sofern sie als Objekte
der inneren Erfahrung betrachtet werden, sondern sofern sie Objekte der äußeren
sind. Wir werden auch nicht sagen können: also könnten Wille und Bewusstsein
fehlen, da ja die körperlichen Vorgänge ohne sie ihr Werk verrichten.
Ein zerebraler Vorgang, bei welchem der Wille in der eigenen Erfahrung des Subjektes
fehlte, wäre nicht der nämliche Vorgang, dessen sich das Subjekt als
seines Willens bewusst ist; er könnte also auch nicht dasselbe leisten.
Endlich werden wir, wie es auch allein der unbefangenen Beobachtung entspricht,
das psychische Leben als Produkt der organischen Entwicklung
ansehen können.
Wäre der Mechanismus der vollständige
Ausdruck des Geschehens in der Natur, so könnte sich auch die Entwicklung
in ihr nur in rein quantitativen Übergängen vollzogen haben. Wir wissen
aber, dass er nur das Symbol für die allgemeine Gesetzlichkeit des Geschehens
ist, und dass durch ihn allein nicht bestimmt wird, was geschieht.
Es steht also nichts im Wege, wenn Tatsachen uns dahin führen, anzunehmen,
dass den quantitativen Übergängen qualitative Unterschiede entsprechen
und der Stetigkeit auf der einen Seite Unstetigkeiten auf der anderen zugeordnet
sind. Denn für Größen allein, nicht für Qualitäten
gilt das Gesetz des stetigen Überganges. Nach jenen Tatsachen nun brauchen
wir nicht zu weit zu suchen. Wir haben sie in den Modalitäten unserer Empfindungen
vor uns, in den Unterschieden von Farbe und Ton, Geschmack und Temperatur usw.
Wollen wir nicht mit Mach annehmen, dass die Empfindungen
in dieser Ungleichartigkeit, ja Unvergleichbarkeit ihrer
Beschaffenheiten von allem Anfang an uns schon als Elemente der unbelebten
Natur gegeben sind, - und von gewissen Empfindungen, den Tönen z. B., ist
dies durch ihre Natur ausgeschlossen; so bleibt nur übrig, sie aus einem
allgemeinen„ noch undifferenzierten Sinn, der Sensibilität der Haut,
unter dem Einfluss der Reize entstanden zu denken. Dann aber ist ihre Entwicklung
allein schon ein vollgültiger Beweis für Unstetigkeiten im Fortschritte
des Geschehens in der Natur. Man müsste denn die Entstehung jeder Empfindungsqualität
für naturwidrig halten, bloß weil die Vorstellung davon wider die
mechanistische Auffassung der Natur verstößt.
An diese qualitative Wirksamkeit in der Natur, die mit dem Hervortreten der
Beschaffenheiten der Empfindungen zu Neuem führt, denken wir uns auch die
Entstehung der psychischen Affektionen und Tätigkeiten, des Fühlens,
Vorstellens, Wollens geknüpft. Wie sie entstanden sind, - aus dem, was
dem äußeren Mechanismus der Verhältnisse der Dinge zugrunde
liegt, wissen wir nicht; dass sie entstanden sein müssen, schließen
wir mit Sicherheit daraus, dass sie an bestimmte Organe gebunden sind, mit deren
Ausbildung ihre eigene Entwicklung zusammengeht. Wohl
bedeutet die erste Regung von Bewusstsein einen Sprung in dem Gange der Entwicklung
und ein stetiger Übergang von dem vorbewussten zum bewussten Sein findet
nicht statt; aber auch jede Entstehung einer Qualität ist ein Sprung.
Ist das Bewusstsein Entwicklung, so ist auch die Erscheinung der Welt, die nur
für das Bewusstsein möglich ist, Entwicklung der Welt, und
das Wertverhältnis zwischen den Erscheinungen und den Dingen kehrt sich
durch diese Auffassung um. Das untermenschliche und gar
das untertierische Sein ist nicht mehr, sondern viel weniger, als was
sich davon dem Bewusstsein des Menschen darstellt, zum Bewusstsein des Menschen
erhöht und vollendet wird. Mit der Beschaffenheit und der Entwicklung der
Organe des Empfindens und des Denkens muß auch das Bild der Welt inhaltsreicher,
farbiger, tiefer geworden sein. Und selbst den einzelnen Menschen wird sich
dieselbe Welt, was die Fülle und Klarheit ihrer Auffassung betrifft, verschieden
zeigen.
Könnte ein Mensch plötzlich sein Gehirn mit dem eines anderen vertauschen,
so würde er glauben, die Welt müsse sich in irgendeinem Grade verändert
haben; vielleicht erschiene sie ihm flacher, unzusammenhängender als bisher,
vielleicht auch wäre ihm zumute, als sei er mit einem Male in einen weiten,
lichten Raum eingetreten und erblicke die Dinge in höchster Reinheit, Deutlichkeit
und Tiefe: er hätte durch das Gehirn eines Genies gesehen. Nur der bloße
Gedanke Ich, der Begriff des Subjektseins, ist immer und überall derselbe
Gedanke, die nämliche Form des Bewusstseins überhaupt; das empirische
Bewusstsein aber, das konkrete Ich, ist so reich und mannigfaltig, so verschieden
an Ausdehnung und Gehalt, wie es die individuellen Unterschiede der Begabung
und der Erlebnisse mit sich bringen.
Es ist dieselbe Wirklichkeit,
aus der unsere Sinne stammen und die Dinge, die auf unsere Sinne wirken. Die
nämliche schaffende Macht, die schon in den einfachsten Dingen am Werke
ist, setzt ihr Werk in uns, durch uns fort. Sie ist. die gemeinsame Quelle von
Natur und Verstand. Sie hat den Dingen ihre begreifliche Form gegeben und uns
das Vermögen zu begreifen. So stiftete sie zwischen den Natur- und Denkgesetzen
jene Harmonie, welche im einzelnen zu vernehmen, Ziel und Lohn aller Forschung
ist. Aber nur his zur Voraussetzung dieser Einheit dringt unser Denken. Sie
selbst in ihrem Wesen bleibt transzendent. Das Geheimnis des Daseins ist durch
das Denken nicht zu ergründen; das Prinzip des Daseins geht dem Denken
voran: erst Sein, dann Denken.
Und statt unsere Unwissenheit mit Worten zu verdecken, sollten wir vielmehr
eingedenk sein des weisen Ausspruches Goethes: »Der
Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu
suchen, wo das Problem angeht und sich sodann in der Grenze des Begreiflichen
zu halten.« S. 112-146
Aus: Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart. Acht Vorträge
von Alois Riehl. 6. Auflage, Verlag von B. G. Teubner. Leipzig. Berlin 1921