Baruch (Benedictus) Spinoza (1632 – 1677)
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Inhaltsverzeichnis
Aus: Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt
Erster Teil, Zweiter
Teil
Bemerkenswertes aus
den Briefen
Über das Verhältnis
zwischen Gott, Attribut und Substanz,
Über Definition, Erfahrung
und ewige Wahrheiten,
Über das Wesen von Substanz,
Modus, Ewigkeit, Dauer und Unendlichem,
Verursacht Gott das Böse
und an was findet er Wohlgefallen oder Mißfallen,
Der menschliche Geist ist Teil
eines unendlichen Verstandes,
Gott ist das einzige Wesen,
das notwendig existieren muss,
Die Welt ist nicht durch Zufall
entstanden,
Gott selbst können wir
uns nicht vorstellen, aber an seinen Attributen erkennen
Wie Gott aus freier Notwendigkeit
handelt und die menschliche Willensfreiheit nur in der Einbildung besteht,
Über pantheistische Weltsicht,
Wunder und Jesus Christus
Über das Buch Hiob Theologisch-politischer
Traktat
Christus
Die
Weisheit Gottes hat in Christo menschliche Natur angenommen
Der Mund Gottes
Der Lehrer des Sittengesetzes
Die Ethik nach geometrischer
Methode dargestellt
ETHIK
- Erster Teil
Definitionen
6. Unter Gott verstehe
ich das unbedingt unendliche Wesen, d.h. die Substanz, welche aus unendlich
vielen Attributen besteht, von denen ein jedes ewige und unendliche Wesenheit
ausdrückt
Erläuterung: Ich
sage »unbedingt« und nicht »in seiner
Gattung« unendlich. Denn von dem nur in seiner Gattung Unendlichen
können wir unendlich viele Attribute verneinen; zur Wesenheit des unbedingt
Unendlichen aber gehört alles, was Wesenheit ausdrückt und keinerlei
Verneinung in sich schließt.
(S.4 I . Teil)
Lehrsätze
L e h r s a t z 11.
Gott
oder die Substanz, welche aus unendlich vielen Attributen besteht, deren
jedes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt, existiert notwendig.
(S.11 I . Teil)
L e h r
s a t z 14. Außer Gott kann es eine Substanz weder geben, noch kann eine
solche begriffen werden.
B e w e i s. Da Gott das unbedingt unendliche
Wesen ist, von dem (nach Definition 6) kein Attribut,
das die Wesenheit einer Substanz ausdrückt, verneint werden kann, und da
Gott (nach Lehrsatz 11) notwendig existiert, so müßte eine Substanz
außer Gott, wenn es eine solche gäbe, durch irgend ein Attribut Gottes
erklärt werden, und dann würden zwei Substanzen von dem selben Attribut
existieren, was (nach Lehrsatz 5) ungereimt ist;
und demnach kann keine Substanz außerhalb Gottes sein, und folglich auch
keine begriffen werden. Denn könnte sie begriffen werden, so müßte
sie notwendig als existierend begriffen werden; das ist aber (nach
dem ersten Teil dieses Beweises) ungereimt. Also
kann außerhalb Gottes keine Substanz sein und keine begriffen werden.
W. z. b. w.
F o l g e s a t z 1: Hieraus
folgt ganz klar, z. daß Gott einzig ist, das heißt
(nach Definition 6), daß es in der Natur der Dinge nur Eine
Substanz gibt, und daß diese unbedingt unendlich ist, wie wir
in der Anmerkung zu Lehrsatz 10 schon angedeutet
haben.
F o l g e s a t z 2: Es folgt
2., daß ein ausgedehntes Ding und ein denkendes
Ding entweder Attribute Gottes sind, oder (nach Grundsatz 1) Affektionen
von Attributen Gottes.
(S.15-16 I . Teil)
L e h r s a t z 15.
Alles, was ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein noch begriffen
werden.
B e w e i s . Außer Gott gibt es
(nach Lehrsatz 4) keine Substanz und kann keine
begriffen weiden, das heißt (nach Definition 3),
kein Ding, das in sich ist und durch sich begriffen wird. Modi [Daseinsformen]
aber können (nach Definition 5) ohne eine
Substanz weder sein noch begriffen werden; sie können mithin nur in der
göttlichen Natur sein und nur durch sie begriffen werden. Nun gibt es (nach
Grundsatz 1) nichts als Substanzen und Modi. Folglich
kann nichts ohne Gott sein oder begriffen werden. W. z. b. w.
A n m e r k u n g .
Manche bilden sich ein, Gott bestehe wie der Mensch aus Körper und Seele,
und sei den Leidenschaften unterworfen; aus dem bisher Bewiesenen geht indessen
zur Genüge hervor, wie weit sie von der wahren Erkenntnis Gottes entfernt
sind. Doch gehe ich auf sie nicht weiter ein: denn alle, die über die göttliche
Natur ein wenig nachgesonnen haben, verneinen die Körperlichkeit Gottes.
Sie beweisen das auch sehr gut damit, daß man unter Körper stets
eine Größe versteht, die lang, breit und tief und durch eine bestimmte
Gestalt begrenzt ist, was von Gott, als dem unbedingt unendlichen Wesen auszusagen,
so ungereimt wäre, wie nur möglich.
(S.16 I . Teil)
L e h r s a t z 16.
Aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur muß unendlich
vieles auf unendlich viele Weisen folgen (d.h.
alles, was Objekt des unendlichen Verstandes sein kann)
B e w e i s. Dieser Lehrsatz
muß jedem einleuchten, der bedenkt, daß der Verstand aus der gegebenen
Definition eines jeden Dinges mehrere Eigenschaften erschließt, die in
der Tat aus ihr (das heißt aus der Wesenheit des
Dinges) notwendig folgen, und um so mehr Eigenschaften, je mehr Realität
die Definition des Dinges ausdrückt, das heißt je mehr Realität
die Wesenheit des definierten Dinges in sich schließt. Da nun die göttliche
Natur (nach Definition 6) unbedingt unendlich viele
Attribute hat, deren jedes wieder unendliche Wesenheit in seiner Gattung ausdrückt,
so muß folglich aus ihrer Notwendigkeit unendlich
vieles auf unendlich viele Weisen (das heißt
alles, was Objekt des unendlichen Verstandes sein kann)
notwendig folgen.. W. z. b. w.
Folgesatz 1: Hieraus
folgt, daß Gott die bewirkende Ursache aller
Dinge ist, die Objekt des unendlichen Verstandes sein können.
Folgesatz 2: Es
folgt zweitens, dass Gott Ursache durch sich ist,
nicht Ursache durch Zufall.
Folgesatz 3:
Es folgt drittens, dass Gott die unbedingt erste Ursache
ist. (S.21 I . Teil)
Lehrsatz
17. Gott handelt nur nach den Gesetzen seiner Natur und von niemand gezwungen.
B e w e i s. Daß allein aus der
göttlichen Natur oder (was das selbe ist) allein
aus den Gesetzen der göttlichen Natur unendlich vieles unbedingt folge,
haben wir soeben im Lehrsatz 16 gezeigt; und im
Lehrsatz 15 haben wir bewiesen, daß nichts ohne Gott sein noch
begriffen werden könne, sondern daß alles in Gott sei; deswegen kann
nichts außerhalb Gottes sein, wovon er zum Handeln bestimmt oder gezwungen
würde, und folglich handelt Gott allein nach den
Gesetzen seiner Natur und von niemandem gezwungen. W. z. b. w.
Folgesatz 1: Hieraus
folgt erstens, daß es keine Ursache gibt, die Gott von außen oder
von innen zum Handeln antreibt, außer der Vollkommenheit
seiner Natur.
Folgesatz 2: Es
folgt zweitens, daß Gott allein eine freie Ursache ist. Denn nur Gott
allein existiert (nach Lehrsatz 11 und
Folgesatz 1 zu Lehrsatz 14) kraft der bloßen
Notwendigkeit seiner Natur, und nur er handelt (nach dem
vorigen Lehrsatz) kraft der bloßen Notwendigkeit seiner Natur.
Und folglich ist (nach Definition 7) nur
er allein eine freie Ursache. W. z. b. w.
(S.21-22 I . Teil)
Lehrsatz 18. Gott ist die inbleibende, aber nicht die übergehende
Ursache aller Dinge.
B e w e i s . Alles, was ist, ist (nach
Lehrsatz 15) in Gott und muß durch Gott begriffen werden, und folglich
ist (nach Folgesatz 1 zu Lehrsatz 16) Gott die Ursache der Dinge, die in ihm
sind, was das erste ist. Sodann kann es außerhalb Gottes (nach Lehrsatz
14) keine Substanz geben , das heißt (nach Definition 3) kein Ding, das
außerhalb Gottes in sich ist. Gott ist also die inbleibende Ursache aller
Dinge, aber nicht die übergehende. (S.24-25
I . Teil)
Lehrsatz 19. Gott
oder alle Attribute Gottes sind ewig.
B e w e i s. Gott ist nämlich (nach
Definition 6) die Substanz, die (nach Lehrsatz
11) notwendig existiert, das heißt (nach
Lehrsatz 7) zu deren Natur es gehört, zu existieren, oder (was das
selbe ist) aus deren Definition das Existieren selbst folgt; und somit ist er
(nach Definition 8) ewig. Unter Gottes Attributen
sodann ist das zu verstehen, was (nach Definition 4)
die Wesenheit der göttlichen Substanz ausdrückt, das heißt das,
was zur Substanz gehört: genau das, sage ich, müssen die Attribute
selbst in sich schließen. Nun aber gehört zur Natur der Substanz
(wie ich eben auf Grund von Lehrsatz 7 bewiesen habe)
die Ewigkeit; folglich muß ein jedes ihrer
Attribute die Ewigkeit in sich schließen, und somit sind alle ewig. W.
z. b. w. (S.25 I . Teil)
L e h r s a t z 20. Die
Existenz Gottes und seine Wesenheit sind ein und dasselbe.
B e w e i s. Gott und seine sämtlichen
Attribute sind (nach dem vorigen Lehrsatz) ewig, das heißt (nach Definition
8) jedes seiner Attribute drückt Existenz aus. Die selben Attribute Gottes,
die (nach Definition 4) das Gottes ewige Wesenheit darstellen, stellen somit
zugleich seine ewige Existenz dar; das heißt eben das, was Gottes Wesenheit
ausmacht, macht zugleich seine Existenz aus, und folglich ist diese und seine
Wesenheit ein und das selbe. W. z. b. w.
F o l g e s a t z 1 :
Hieraus folgt erstens, daß Gottes Existenz wie seine Wesenheit eine ewige
Wahrheit ist.
F o l g e s a t z 2 : Es folgt zweitens, daß Gott oder
alle Attribute Gottes unveränderlich sind. Denn wenn sie sich hinsichtlich
ihrer Existenz veränderten, müßten sie sich auch (nach dem vorigen
Lehrsatz) hinsichtlich ihrer Wesenheit verändern, das heißt (wie
sich von selbst versteht) aus wahren falsche werden, was ungereimt ist.
(S.25-26 I . Teil)
L e h r s a t z 24. Die Wesenheit der von Gott hervorgebrachten Dinge schließt
die Existenz nicht ein.
B e w e i s . Dies erhellt aus
Definition 1. Denn ein Ding, dessen Natur (für
sich betrachtet) die Existenz einschließt, ist Ursache seiner selbst,
und existiert allein infolge der Notwendigkeit seiner Natur.
F o l g e s a t z : Hieraus folgt, daß
Gott nicht nur die Ursache dafür ist, daß die Dinge zu existieren
anfangen, sondern auch dafür, daß sie im Existieren beharren, oder
(um mich eines scholastischen Ausdrucks zu bedienen), daß Gott
die Ursache des Seins der Dinge ist. Denn, ob die Dinge nun existieren oder
ob sie nicht existieren, wir finden, so oft wir ihre Wesenheit betrachten, daß
diese weder Existenz noch Dauer in sich schließt, und folglich kann ihre
Wesenheit weder die Ursache ihrer Existenz, noch die Ursache ihrer Dauer sein,
sondern nur Gott, zu dessen Natur allein (nach Folgesatz
1 zu Lehrsatz 14) die Existenz gehört. (S.28
I . Teil)
L e h r
s a t z 25. Gott ist nicht nur die bewirkende Ursache der Existenz, sondern
auch der Wesenheit der Dinge.
B e w e i s . Verneint
man dieses, so wäre demnach Gott nicht die Ursache der Wesenheit der Dinge;
und somit könnte (nach Grundsatz 4) die Wesenheit
der Dinge ohne Gott begriffen werden: aber das ist ungereimt. Folglich ist Gott
die Ursache auch der Wesenheit der Dinge. W. z. b. w. (S.28-29
I . Teil)
L e h r s a t z 29. In
der Natur der Dinge gibt es nichts Zufälliges, sondern alles ist kraft
der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, auf gewisse Weise zu existieren
und zu wirken.
B e w e i s . Alles, was ist, ist (nach
Lehrsatz 15) in Gott: Gott aber kann nicht ein zufälliges Ding genannt
werden, denn er existiert (nach Lehrsatz 11) notwendig
und nicht zufällig. Die Modi [Daseinsformen] der göttlichen Natur
sind (nach Lehrsatz 16) aus ihr ebenfalls notwendig
und nicht zufällig gefolgt; und zwar entweder sofern die göttliche
Natur (nach Lehrsatz 21) unbedingt oder sofern
sie (nach Lehrsatz 22) als auf gewisse Weise modifiziert
betrachtet wird. Ferner ist Gott nicht nur (nach Folgesatz
zu Lehrsatz 24) die Ursache dieser Modi, sofern sie einfach existieren,
sondern auch (nach Lehrsatz 26), sofern sie als
zu irgendeinem Wirken bestimmt betrachtet werden. Wenn sie
(nach dem selben Lehrsatz) von Gott nicht bestimmt worden sind, ist es
unmöglich und nicht zufällig, daß sie sich selbst zu nicht bestimmten,
und umgekehrt, wenn sie von Gott bestimmt sind, so ist es unmöglich, nicht
bloß zufällig, daß sie sich zu nicht bestimmten machen. Demnach
ist alles kraft der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, nicht
nur überhaupt zu existieren, sondern auch, um auf gewisse Weise zu existieren
und zu wirken, und es gibt nichts Zufälliges. W. z. b. w. (S.31-32
I . Teil)
L e h r s a t z 32. Der Wille
kann nicht eine freie Ursache genannt werden, sondern nur notwendige.
B e w e i s : Der Wille ist nur ein gewisser
Modus des Denkens, wie der Verstand; und daher kann jedes einzelne Wollen (nach
Lehrsatz 28) nur dann existieren und zum Wirken bestimmt werden, wenn
es von einer anderen Ursache bestimmt wird und diese wiederum von einer andern
und so weiter ins Unendliche. Nimmt man den Willen als unendlich an, so muß
er ebenfalls zum Existieren und Wirken bestimmt werden, und zwar von Gott; nicht
sofern er die unbedingt unendliche Substanz ist, sondern
(nach Lehrsatz 23) sofern er das Attribut hat, das die unendliche und
ewige Wesenheit des Denkens ausdrückt. Wie der Wille also auch begriffen
werden mag, ob als endlich oder als unendlich, in jedem Fall erfordert er eine
Ursache, durch die er zum Existieren und Wirken bestimmt wird; und folglich
kann er (nach Definition 7)
nicht eine freie Ursache genannt werden, sondern nur notwendige oder gezwungene.
W. z. b. w.
F o l g e s a t z 1 :
Hieraus folgt erstens, daß Gott nicht aus Freiheit des Willens
handelt.
F o l g e s a t z 2 : Es
folgt zweitens, daß sich Wille und Verstand zur Natur Gottes ebenso verhalten
wie Bewegung und Ruhe, und überhaupt wie alle Naturdinge, die ja
(nach Lehrsatz 29) alle von Gott bestimmt werden müssen, auf gewisse
Weise zu existieren und zu wirken. Denn der Wille bedarf, wie alles Übrige,
einer Ursache, durch die er bestimmt wird, auf gewisse Weise zu existieren und
zu wirken. Und wenn auch aus einem gegebenen Willen oder Verstand unendlich
vieles folgt, so kann man deswegen doch nicht sagen, dass Gott aus Freiheit
des Willen handle, so wenig wie man der Folgen aus Bewegung und Ruhe
halber (denn auch aus diesen folgt unendlich vieles) sagen kann, Gott handle
aus Freiheit der Bewegung und Ruhe. Demnach gehört der Wille nicht mehr
zu Gottes Natur, wie die übrigen Naturdinge, verhält sich zu ihr genauso
wie Bewegung und Ruhe und alles übrige, was, wie ich gezeigt habe, aus
der Notwendigkeit der göttlichen Natur folgt und von ihr bestimmt wird,
auf gewisse Weise zu existieren und zu wirken. (S.33-34
I . Teil)
L e h r s a t z 33. Die
Dinge konnten auf keine andere Weise und in keiner andern Ordnung von Gott hervorgebracht
werden, als sie hervorgebracht sind.
B e w e i s : Alle Dinge sind nämlich
aus der gegebenen Natur Gottes (nach Lehrsatz 16)
notwendig gefolgt und kraft der Notwendigkeit der Natur Gottes (nach
Lehrsatz 29) be¬stimmt, auf gewisse Weise zu existieren und zu wirken.
Wenn die Dinge daher von anderer Natur sein oder auf andere Weise zum Wirken
hätten bestimmt werden können, so daß die Ordnung der Natur
eine andere wäre, so könnte auch die Natur Gottes eine andere sein,
als sie jetzt ist; und mithin müßte dann (nach
Lehrsatz 11) diese andere ebenfalls existieren, und folglich könnte
es zwei oder mehr Götter geben, was (nach Folgesatz 1 zu Lehrsatz 14) ungereimt
ist. Demnach konnten die Dinge auf keine andere Weise
und in keiner anderen Ordnung usw. W. z. b. w. (S.34-35
I . Teil)
L e h r s a t z 34 . Die Macht
Gottes ist seine Wesenheit selbst.
B e w e i s : Denn aus der bloßen
Notwendigkeit seiner Wesenheit folgt nämlich, daß Gott
(nach Lehrsatz 11) Ursache seiner selbst und (nach
Lehrsatz 16 und dessen Folgesatz) aller Dinge ist. Folglich ist die Macht
Gottes, kraft deren er selbst und alles ist und handelt, seine Wesenheit selbst.
(S.38-39 I . Teil)
L e h r s a t z 35. Alles,
von dem wir begreifen, daß es in Gottes Gewalt besteht, ist mit Notwendigkeit.
B e w e i s : Alles nämlich, was
in Gottes Gewalt steht, muß (nach dem vorigen Lehrsatz)
in seiner Wesenheit so einbegriffen sein, daß es daraus notwendig
folgt; und demnach ist es mit Notwendigkeit. W. z. b. w. (S.39
I . Teil)
L e h r s a t z 36. Es existiert
nichts, aus dessen Natur nicht eine Wirkung folgte
B e w e i s : Alles, was existiert, drückt (nach
Folgesatz zu Lehrsatz 25) die Natur oder die Wesenheit Gottes auf gewisse
und bestimmte Weise aus , das heißt (nach Lehrsatz
34) alles, was existiert, drückt die Macht Gottes, die aller Dinge
Ursache ist, auf gewisse und bestimmte Weise aus; und demnach muß
(nach Lehrsatz 16) aus allem irgendeine Wirkung folgen. W. z. b. w.
(S.39 I . Teil)
ETHIK
- Zweiter Teil
L e h r s a t z 1. Das Denken
ist ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein denkendes Ding.
B e w e i s : Die
einzelnen Gedanken, oder dieser und jener Gedanke, sind (nach
Folgesatz zu Lehrsatz 25 des I. Teils) Modi, die Gottes Natur auf gewisse
und bestimmte Weise ausdrücken. Demnach kommt Gott
(nach Definition 5 des 1. Teils) ein Attribut zu, dessen Begriff alle
einzelnen Gedanken in sich schließen, und durch das sie auch begriffen
werden. Folglich ist das Denken eins von den unendlich vielen Attributen Gottes,
das Gottes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt (siehe
Definition 6 des I. Teils) oder Gott ist ein denkendes
Ding. W. z. b. w.
A n m e r k u n g :
Dieser Lehrsatz erhellt auch daraus, daß wir den Begriff eines unendlichen
denkenden Wesens bilden können. Nämlich je mehreres ein denkendes
Wesen denken kann, desto mehr Realität oder Vollkommenheit enthält
es nach unseren Begriffen. Ein Wesen also, das un¬endlich vieles auf unendlich
viele Weisen denken kann, ist notwendig an Kraft des Denkens unendlich. Da wir
sonach, indem wir das Denken allein ins Auge fassen, den Begriff eines unendlichen
Wesens bilden, so ist das Denken (nach Definition 4 und 6 des I. Teils) notwendig
eins von den unendlich vielen Attributen Gottes, wie wir wollten.
(S.51-52 II . Teil)
L e h r s a
t z 2. Die Ausdehnung ist ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein ausgedehntes
Ding.
B e w e i s : Der Beweis dieses Satzes
wird ebenso geführt wie der des vorigen. (S.52
II . Teil)
L e h r s a
t z 3. In Gott gibt es notwendig eine Idee von seiner Wesenheit und von allem,
was aus seiner Wesenheit notwendig folgt.
B e w e i s : Gott kann nämlich
(nach Lehrsatz 1 dieses Teils) unendlich vieles
auf unendlich viele Weisen denken, oder (was (nach Lehrsatz
16 des I. Teils das selbe ist) er kann die Idee von seiner Wesenheit
und von allein bilden, was notwendig aus dieser folgt. Alles aber, was in Gottes
Gewalt steht, ist mit Notwendigkeit (nach Lehrsatz 35
des I. Teils). Folglich gibt es notwendig eine solche Idee und (nach
Lehrsatz 15 des I. Teils) nur in Gott. W. z. b. w.
A n m e r k u n g : Die
große Menge versteht unter Gottes Macht Gottes freien Willen und sein
Recht auf alles, was ist, was deswegen gemeiniglich als zufällig angesehen
wird. Denn man sagt, Gott habe die Gewalt, alles zu zerstören und in Nichts
zu verwandeln. Ferner vergleicht man sehr oft Gottes Macht mit der Macht der
Könige. In den Folgesätzen 1 und 2 zu Lehrsatz 32 des I. Teils haben
wir dies jedoch widerlegt und in Lehrsatz 16 des I. Teils gezeigt, daß
Gott mit der selben Notwendigkeit handelt, mit der er sich selbst erkennt, das
heißt: so wie aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur folgt (wie
alle einstimmig annehmen), daß Gott sich selbst erkennt, so folgt auch
mit der selben Notwendigkeit, daß Gott unendlich vieles auf unendlich
viele Weisen tut. Sodann haben wir im Lehrsatz 34 des I. Teils gezeigt, daß
Gottes Macht nichts sonst sei als Gottes tätige Wesenheit, und daher ist
es uns ebenso unmöglich zu denken, Gott handle nicht, als Gott sei nicht.
Wenn ich dies weiter verfolgen dürfte, könnte ich hier zeigen, daß
jene Macht, die die große Menge Gott andichtet, nicht nur eine bloß
menschliche ist (was zeigt, daß die große Menge Gott nur als Menschen
oder nach dem Bilde eines Menschen begreift), sondern sogar Ohnmacht einschließt.
(S.52-53 II . Teil)
Aus: Baruch de Spinoza, Die Ethik nach geometrischer
Methode dargestellt, Philosophische Bibliothek Band 92, Felix Meiner Verlag,
Hamburg
Bemerkenswertes aus den
Briefen
Über
das Verhältnis zwischen Gott , Attribut und Substanz
2. Brief: An Heinrich
Oldenburg (16. August 1661)
[...] Ich will also beginnen, kurz von Gott
zu sprechen. Ich definiere ihn als ein Wesen, das aus
unendlichen Attributen besteht, von denen jedes unendlich ist oder, in seiner
Art, höchst vollkommen. Dabei ist zu bemerken, daß ich unter
Attribut alles das verstehe, was durch
sich und in sich begriffen wird, so daß sein Begriff nicht den Begriff
eines anderen Dinges in sich schließt. So wird z. B. die Ausdehnung durch
sich und in sich begriffen; dagegen die Bewegung nicht, denn sie wird in einem
anderen begriffen und ihr Begriff schließt die Ausdehnung in sich. Daß
aber die obige Definition von Gott die richtige ist, geht daraus hervor, daß
wir unter Gott das höchst vollkommene und schlechthin
unendliche Wesen verstehen. Daß aber ein solches Wesen existiert,
ist leicht aus dieser Definition zu beweisen; da es aber hier nicht am Platze
ist, will ich den Beweis übergehen.
Was ich aber hier beweisen muß, um Ihrer ersten Frage Genüge zu tun,
ist das Folgende.
Erstens, daß in der Natur
der Dinge keine zwei Substanzen existieren können,
ohne daß sie ihrem ganzen Wesen nach verschieden wären.
Zweitens, daß eine
Substanz nicht hervorgebracht werden kann, sondern daß es vielmehr
zu ihrem Wesen gehört zu existieren.
Drittens, daß jede Substanz
unendlich oder, in ihrer Art, höchst vollkommen
sein muß.
Ist dies bewiesen, so werden Sie, sehr geehrter Herr, leicht einsehen können,
wohin ich ziele, wenn Sie nur dabei meine Definition von Gott im Auge behalten;
darum werde ich nicht ausführlicher darüber zu reden brauchen. Um
es aber klar und kurz zu beweisen, habe ich nichts Besseres finden können,
als es auf geometrische Art darzutun und Ihrer Kritik zu unterbreiten. Ich schicke
es Ihnen darum hier als Beilage und sehe Ihrem Urteil darüber entgegen.
S.3f. [...]
Über Definition, Erfahrung und ewige Wahrheiten
10. Brief an Simon de
Vries (Frühjahr 1663)
Sie fragen mich, ob wir der Erfahrung bedürfen, um zu wissen, ob die
Definition eines Attributes richtig ist. Darauf erwidere ich, daß
wir der Erfahrung nur bedürfen bei solchem, was sich aus der Definition
eines Dinges nicht erschließen läßt, wie z. B. die Existenz
der Modi, die ja aus der Definition eines Dinges nicht erschlossen werden kann,
nicht aber bei solchem, dessen Existenz von seinem Wesen nicht unterschieden
ist und darum aus seiner Definition erschlossen wird. Ja
keine Erfahrung wird uns jemals einen Aufschluß darüber geben können,
denn die Erfahrung lehrt nichts über das Wesen der Dinge; das Höchste,
was sie bewirken kann, ist, daß sie unseren Geist bestimmt, bloß
über bestimmte Wesenheiten der Dinge nachzudenken. Da aber die Existenz
der Attribute von ihrem Wesen nicht unterschieden ist, so werden wir ihr auch
durch keine Erfahrung nahe kommen können.
Sie fragen weiter, ob auch die Dinge oder
die Affektionen der Dinge ewige Wahrheiten sind?
Ich sage: ja. Wenn Sie mir entgegenhalten, warum ich sie nicht ewige Wahrheiten
nenne, so erwidere ich: um sie nach allgemeinem Gebrauch zu unterscheiden von
solchen Wahrheiten, die nicht ein Ding oder die Affektion eines Dinges erklären,
wie z. B. der Satz: »Aus nichts wird nichts.«
Diese und ähnliche Lehrsätze werden eben schlechthin ewige Wahrheiten
genannt, womit man nichts anderes zum Ausdruck bringen will, als daß sie
ihren Sitz nicht außerhalb des Geistes haben usw. S.40f.
Über
das Wesen von Substanz, Modus, Ewigkeit, Dauer und Unendlichem
12. Brief an Ludwig
Meyer (20. April 1663)
[...] Die Frage über das Unendliche
ist allen stets sehr schwierig, ja unlösbar erschienen, und zwar
aus dem Grunde, weil man nicht unterschied zwischen dem, was seiner Natur zufolge
oder vermöge seiner Definition sich als unendlich darstellt, und dem, was
keine Grenzen hat, aber nicht vermöge seines Wesens, sondern vermöge
seiner Ursache; ferner aus dem Grunde, weil man auch keinen Unterschied machte
zwischen dem, was unendlich
heißt, weil es keine Grenzen hat, und dem,
dessen Teile wir, auch wenn es begrenzt ist und wir sein Maximum und sein Minimum
haben, nicht mit irgendeiner Zahl vergleichen und durch sie erklären
können; endlich aus dem Grunde, weil man keinen Unterschied gemacht hat
zwischen dem, was wir allein erkennen, aber uns nicht
vorstellen können, und dem, was wir uns auch
vorstellen können. Hätte man, sage ich, darauf acht gehabt,
dann wäre man nicht, wie aus dem gleich zu Sagenden erhellen wird, in eine
solche Menge von Schwierigkeiten geraten. Denn dann hätte man klar eingesehen,
welches Unendliche in keine Teile zerlegt werden oder
keine Teile haben kann, welches dagegen wohl und ohne Widerspruch. Dann
hätte man ferner eingesehen, welches Unendliche ohne Widerspruch größer
als ein anderes gedacht werden kann und welches nicht. Dies wird aus dem sogleich
zu Sagenden klar hervorgehen.
Damit dies leichter geschehen kann, muß ich aber zuvor diese vier Begriffe
kurz auseinandersetzen: Substanz, Modus, Ewigkeit
und Dauer.
Was ich von der Substanz bemerken will, ist:
erstens, daß zu ihrem Wesen
die Existenz gehört, d. h. daß es bloß aus ihrem Wesen
und ihrer Definition folgt, daß sie existiert, wie ich Ihnen schon früher,
wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, mündlich und ohne die
Hilfe anderer Lehrsätze bewiesen habe;
zweitens, was aus dem ersten folgt,
daß die Substanz nicht
mehrfach, sondern daß nur eine einzige von
derselben Natur existiert;
drittens endlich, daß jede
Substanz nicht anders als unendlich gedacht werden
kann.
Die Affektionen der Substanz nenne ich Modi; ihre
Definition kann, sofern sie nicht die Definition der Substanz selber ist, keine
Existenz in sich schließen. Darum können wir sie auch, wenn sie gleich
existieren, doch als nicht existierend denken. Daraus folgt weiter, daß
wir, sobald wir bloß das Wesen der Modi, aber nicht die Ordnung der ganzen
Natur ins Auge fassen, nicht daraus daß sie jetzt existieren, darauf schließen
können, daß sie später existieren oder nicht existieren werden
oder früher existiert oder nicht existiert haben: Daraus geht klar hervor,
daß wir die Existenz der Substanz durchaus verschieden von der Existenz
der Modi denken. Daher kommt der Unterschied von Ewigkeit
und Dauer. Unter dem Begriff
der Dauer können wir nämlich nur die Existenz der Modi erklären,
die der Substanz aber nur unter dem Begriff der Ewigkeit usw., des unendlichen
Teilhaftseins der Existenz oder (dem Latein zum Trotz)
des Seins.
Aus alledem geht klar hervor, daß wir die Existenz
und die Dauer der Modi, sobald wir, wie es gewöhnlich
geschieht, bloß ihr Wesen, aber nicht die
Ordnung der Natur ins Auge fassen, nach Belieben (und
zwar ohne darum unsern Begriff von ihnen irgendwie aufzuheben) bestimmen
daß wir sie kleiner oder größer denken,
und sie in Teile zerlegen können; Ewigkeit
und Substanz aber lassen, weil sie nur unendlich gedacht werden können,
nichts derart zu, ohne daß zugleich ihr Begriff aufgehoben würde.
Daher reden alle die ganz einfältig, um nicht zu sagen wahnwitzig, die
die ausgedehnte Substanz aus real verschiedenen Teilen oder Körpern bestehen
lassen. Das wäre ganz dasselbe, als wollte jemand aus der bloßen
Addition oder Zusammenhäufung von vielen Kreisen ein Viereck oder Dreieck
oder etwas anderes seinem ganzen Wesen nach Verschiedenes zusammensetzen. Darum
fällt auch der Haufe von Argumenten, mit denen die Philosophen gemeinhin
die Begrenztheit der ausgedehnten Substanz darzutun suchen, in sich zusammen;
denn alle diese Argumente setzen voraus, daß die körperliche Substanz
aus Teilen besteht. Auf dieselbe Weise konnten auch andere Leute, nachdem sie
sich eingeredet hatten, daß die Linie sich aus Punkten zusammensetze,
viele Argumente beibringen, um darzutun, daß die Linie nicht ins Unendliche
teilbar sei.
Wenn Sie aber fragen, warum wir von Natur aus so geneigt sind, die ausgedehnte
Substanz zu teilen, so erwidere ich darauf: weil wir die Quantität
auf zwei Arten denken, nämlich abstrakt oder oberflächlich, sofern
wir sie mit Hilfe der Sinne im Vorstellungsvermögen haben, oder aber als
Substanz, was bloß durch den Verstand geschieht. Fassen wir daher die
Quantität ins Auge, sofern sie im Vorstellungsvermögen ist, wie es
am häufigsten und leichter geschieht, so erscheint sie teilbar, begrenzt,
aus Teilen bestehend und vielfältig. Fassen wir sie aber so ins Auge, wie
sie im Verstande ist, und begreifen wir die Sache, wie sie an sich ist, was
sehr schwierig ist, dann erscheint sie, wie ich Ihnen eben zur Genüge bewiesen
habe, unendlich, unteilbar und einzig.
Weil wir ferner Dauer und Quantität beliebig bestimmen können, sofern
wir sie nämlich als von der Substanz losgelöst denken, und sie von
dem Modus, durch den sie von den ewigen Dingen herkommen, scheiden, so entsteht
Zeit und Maß, die Zeit nämlich, um die Dauer, das Maß, um die
Quantität so zu bestimmen, daß wir sie möglichst
leicht vorstellen können. Daraus ferner, daß wir die Affektionen
der Substanz von der Substanz selbst trennen und sie zur Erleichterung des Vorstellens
in Klassen bringen, entsteht die Zahl, mit der wir diese Affektionen bestimmen.
Daraus ist klar zu ersehen, daß Maß, Zeit
und Zahl nur Modi des Denkens oder eigentlicher des Vorstellens sind.
Kein Wunder, daß alle, die den Naturvorgang mit ähnlichen, zudem
schlecht verstandenen Begriffen verstehen wollten, sich so wunderlich verfangen
haben, daß sie sich zum Schluß gar nicht mehr herauswinden konnten,
als indem sie alles zerrissen und selbst den unsinnigsten Unsinn zu Hilfe nahmen.
Denn es gibt vieles, an das man mit dem Vorstellungsvermögen auf keine
Weise, sondern bloß mit dem Verstande heran kann, z. B. Substanz, Ewigkeit
u. a.; wenn man das mit derartigen Begriffen, die bloße Hilfsmittel des
Vorstellungsvermögens sind, erklären will, dann tut man nichts anderes,
als wenn man sich Mühe gibt, mit seinem Vorstellungsvermögen unsinniges
Zeug auszudenken.
Auch die Modi der Substanz selbst werden nie richtig erkannt werden können,
wenn man sie mit derartigen Gedankendingen oder Hilfsmitteln des Vorstellungsvermögens
verwechselt. Denn wenn wir dies tun, trennen wir sie vor. der Substanz und von
dem Modus, durch den sie von der Ewigkeit herkommen, ohne welche sie doch nicht
richtig erkannt werden können.
Damit Sie das klarer sehen, nehmen Sie folgendes Beispiel: Wenn jemand die Dauer
abstrakt dächte, sie mit der Zeit verwechselte und anfinge, sie in Teile
zu zerlegen, dann könnte er nie und nimmer erkennen, wie beispielsweise
eine Stunde vergehen kann. Denn damit eine Stunde vergeht, müßte
erst ihre Hälfte vergehen und dann die Hälfte des Restes und dann
wieder die Hälfte von dem übrigen Teil des Restes, und wenn
man so fort bis ins Unendliche immer die Hälfte vom übrigen abziehen
würde, dann könnte man nie bis ans Ende der Stunde kommen.
Deshalb haben viele, die nicht gewohnt sind, Gedankendinge von realen Dingen
zu unterscheiden, zu behaupten gewagt, daß sich die Dauer aus Momenten
zusammensetze, und sind so in die Scylla gefallen, da sie die Charybdis meiden
wollten. Denn die Dauer aus Momenten zusammensetzen ist
gerade so viel wie die Zahl aus einer bloßen Addition von Nullen.
Da nun aus dem Gesagten sich klar ergibt, daß weder Zahl noch Maß
noch Zeit, als welche bloße Hilfsmittel des Vorstellungsvermögens
sind, unendlich sein können (denn sonst wäre
die Zahl nicht Zahl, das Maß nicht Maß, die Zeit nicht Zeit),
so wird damit auch der Grund klar, aus dem viele, die diese drei mit den Dingen
selbst verwechselten, aus der Unkenntnis der wahren Natur der Dinge das wirklich
Unendliche geleugnet haben. Aber wie kläglich ihre Schlußfolgerungen
sind, das können die Mathematiker beurteilen, die sich durch Gründe
von solcher Art nicht stutzig machen lassen bei Sachen, die sie selbst klar
und deutlich begreifen. Sie haben nicht nur vieles gefunden, das sich durch
keine Zahl erklären läßt, woraus sich schon das
Unvermögen der Zahlen, alles zu erklären, ergibt; vielmehr
haben sie auch vieles, das sich mit keiner Zahl vergleichen läßt,
sondern jede mögliche Zahl übersteigt. Und doch ziehen sie daraus
nicht den Schluß, daß derartige Dinge wegen der Menge ihrer Teile
jede Zahl übersteigen, sondern nur deswegen, weil
eben die Natur der Dinge nicht ohne offenbaren Widerspruch die Zahl zuläßt;
S.45ff. [...]
Verursacht
Gott das Böse und an was findet er Wohlgefallen oder
Missfallen
23, Brief an Wilhelm
von Blyenberg (13. März 1665)
Ich behaupte also erstens, daß Gott schlechthin
und tatsächlich die Ursache ist von allem, was Wesen hat, es sei auch,
was es sei. Wenn Sie mir nun beweisen könnten, daß das
Böse, der Irrtum, die Verbrechen usw. etwas ist, das Wesen ausdrückt,
dann will ich Ihnen vollkommen zugeben, daß Gott die Ursache der Verbrechen,
des Bösen, des Irrtums usw. ist. Mir scheint, ich habe zur Genüge
gezeigt, daß alles, was die Form des Bösen, des Irrtums, des Verbrechens
ausmacht, nicht in etwas besteht, was Wesen ausdrückt,
und daß man daher nicht sagen kann, Gott
sei die Ursache davon. Der Muttermord des Nero z. B. war, soweit er etwas
Positives enthielt, kein Verbrechen, denn dieselbe äußere Handlung
tat und dieselbe Absicht, seine Mutter zu töten hatte auch Orestes, und
doch wird dieser nicht, wenigstens nicht so wie Nero angeklagt. Worin bestand
also das Verbrechen Neros? Nur darin, daß er durch diese Tat sich undankbar,
unbarmherzig und ungehorsam erwies. Nun ist es sicher, daß nichts davon
irgend Wesen ausdrückt und daß darum Gott nicht die Ursache gewesen
ist, auch wenn er die Ursache der Handlung und der Absicht Neros war.
Dann möchte ich Ihnen hier bemerken, daß wir, solange wir als Philosophen
sprechen, nicht die theologischen Ausdrucksweisen gebrauchen dürfen. Denn
weil die Theologie Gott durchgehends und nicht
ohne Grund als einen vollkommenen Menschen vorstellt,
so ist es infolgedessen angemessen, daß es in der Theologie heißt,
Gott begehre etwas, Gott empfinde Unwillen über das Tun der Gottlosen und
freue sich an dem der Frommen. In der Philosophie aber erkennt man klar,
daß man jene Attribute, die den Menschen vollkommen machen, Gott so wenig
zuschreiben und andichten kann, als man das, was den Elefanten und den Esel
vollkommen macht, den Menschen zuschreiben wollte; hier haben diese und ähnliche
Worte keine Stelle und können hier nicht ohne die vollste Verwirrung unsrer
Begriffe gebraucht werden. Um daher philosophisch zu sprechen, darf man nicht
sagen, daß Gott von jemandem etwas verlangt
und ebensowenig, daß ihm etwas mißfällig oder angenehm ist.
Das sind alles menschliche Attribute, die bei Gott nicht Platz haben.
Schließlich hätte ich Ihnen gerne bemerkt, daß zwar das Tun
der Frommen (d. h. derer,
die eine klare Idee von Gott haben, nach der all ihr Tun und Denken sich bestimmt)
und der Gottlosen (d. h.
derer, die eine Idee von Gott nicht besitzen, sondern bloß Ideen von den
irdischen Dingen, nach denen sich ihr Tun und Denken bestimmt) und schließlich
aller, die existieren, von Gottes ewigen Gesetzen und
Ratschlüssen notwendig herkommt und beständig von Gott abhängig
ist; daß sich aber gleichwohl das Tun jener und dieser nicht nach
Graden, sondern dem Wesen nach voneinander unterscheidet. Denn wenn auch eine
Maus gerade so wie ein Engel, und Trauer gerade so wie Freude von Gott abhängig
sind, so kann doch eine Maus nicht eine Art Engel und Trauer nicht eine Art
Freude sein. Damit meine ich auf Ihre Einwände geantwortet zu haben
(wenn ich Sie recht verstanden habe, denn bisweilen habe ich Zweifel, ob die
von Ihnen gezogenen Schlüsse nicht verschieden sind von dem Thema, das
Sie zu beweisen unternehmen).
Das wird aber noch klarer, wenn ich auf dieser Grundlage auf die gestellten
Fragen antworte.
Die erste ist, ob Totschlagen
Gott gerade so angenehm ist, wie Almosen spenden?
Die zweite ist, ob
Stehlen im Hinblick auf Gott gerade so gut ist wie rechtschaffen sein?
Die dritte endlich ist, ob im
Falle eines Gemüts, mit dessen besonderen Charakter es nicht im Widerstreit,
sondern im Einklang wäre, den Lüsten zu gehorchen und Verbrechen zu
verüben, ob es darin, wie gesagt, einen Grund für die Tugend gäbe,
der es bewegen könnte, das Gute zu tun und das Böse zu lassen ?
Auf die erste Frage gebe ich zur
Antwort, daß ich (philosophisch gesprochen) nicht weiß, was Sie
mit den Worten »Gott angenehm sein«
meinen. Wenn Sie mich fragen, ob Gott nicht diesen haßt,
jenen aber liebt, ob nicht der eine Gott beleidigt, der andre ihm Gunst erweist,
so antworte ich: nein. Wenn aber die Frage ist, ob
die Menschen, die totschlagen und die Almosen geben, nicht gleich gut und vollkommen
sind, da antworte ich wiederum: nein.
Auf die zweite Frage habe ich
zu sagen: wenn »gut im Hinblick auf Gott«
bedeutet, daß der Rechtschaffene Gott etwas
Gutes erweist, und der Dieb etwas Böses, dann antworte ich, daß
weder der Rechtschaffene noch der Dieb in Gott Wohlgefallen
oder Unwillen hervorzurufen vermag. Wenn aber die Frage ist, ob beider
Tun, soweit es etwas Reales und von Gott Verursachtes ist, gleich vollkommen
ist, so sage ich, wenn wir bloß die Handlungen ins Auge fassen und ihre
Art und Weise, dann kann es sein, daß beide gleich vollkommen sind. Wenn
Sie mich aber fragen, ob ein Dieb und ein Rechtschaffener
gerade so vollkommen und glücklich sind, so antworte ich: nein. Denn
unter einem Rechtschaffenen verstehe ich jemanden, der beständig wünscht,
daß jeder das Seine besitze, welcher Wunsch, wie ich in meiner Ethik (die
noch nicht herausgegeben ist) beweise, bei den Frommen notwendig aus
der klaren Erkenntnis, die sie von sich und von Gott haben, hervorgeht. Und
da nun der Dieb einen derartigen Wunsch nicht hat, so entbehrt er notwendig
der Erkenntnis Gottes und seiner selbst, d. h. des Vor nehmsten, was uns zu
Menschen macht. Wenn Sie trotzdem weiter fragen, was Sie bewegen könnte,
lieber dieses Werk, welches ich Tugend nenne, zu tun als etwas anderes, so sage
ich: ich kann ja nicht wissen, welches Mittel Gott unter
den unendlich vielen anwendet, um Sie zu diesem Werk zu bestimmen. Es
könnte sein, daß Gott Ihnen klar seine Idee eingeprägt hätte,
so daß Sie die Welt aus Liebe zu ihm vergäßen
und die anderen Menschen wie sich selbst liebten,
und es ist einleuchtend, daß ein derartiger Gemütszustand mit allem
an deren, was man böse nennt, im Widerstreit ist
und darum nicht bei ein und demselben Subjekt sich finden kann. Übrigens
ist hier nicht der Platz, die Grundlagen der Ethik auseinanderzusetzen, sowie
alles, was ich sage, zu beweisen, weil ich bloß dabei bin, Ihnen auf Ihre
Fragen die Antwort zu geben und sie von mir abzuwenden und abzuhalten.
Was endlich die dritte Frage angeht,
so hat diese einen Widerspruch zur Voraussetzung; es ist gerade so, als wollte
mich jemand fragen: wenn es zu jemandes Natur besser paßte, daß
er sich aufhinge, ob es da Gründe für ihn gebe, sich nicht aufzuhängen?
Aber gesetzt, es wäre möglich, daß es eine derartige Natur gäbe,
dann sage ich (ganz gleich ob ich die Willensfreiheit
zugebe oder nicht): wenn jemand findet, daß
er am Galgen besser leben kann als an seiner Tafel, dann würde er sehr
dumm handeln, wenn er nicht hinginge sich aufzuhängen. Wer klar
einsähe, daß er auf dem Wege des Verbrechens in Wahrheit vollkommener
und besser sein Leben und Wesen genießen könnte als auf dem Wege
der Tugend, der wäre auch ein Tor wenn er es nicht täte. Denn die
Verbrechen wären Tugend in Beziehung auf so eine verkehrte menschliche
Natur. S.123ff.
Der menschliche
Geist ist Teil eines unendlichen Verstandes
32. Brief an Heinrich
Oldenburg (10. November 1665)
[...] Sie sehen also, aus weichem Grunde und
den Grund, warum ich den menschlichen Körper als einen Teil der Natur betrachte.
Was aber den menschlichen Geist angeht, so halte ich ihn ebenfalls für
einen Teil der Natur. Ich nehme nämlich an, daß es in der Natur auch
eine unendliche Möglichkeit des Denkens gibt, die, insofern sie unendlich
ist, die ganze Natur objektiv in sich enthält und deren Gedanken in derselben
Weise erfolgen wie die Natur als ihr Vorgestelltes.
Dann nehme ich den menschlichen Geist an als dieselbe Denkmöglichkeit,
aber nicht sofern sie unendlich ist und die ganze Natur begreift, sondern als
endlich, nämlich sofern sie nur diesen menschlichen Körper begreift,
und in diesem Betrachte nehme ich den menschlichen Geist
als einen Teil eines unendlichen Verstandes. S.148
[...]
Gott
ist das einzige Wesen, das notwendig existieren muss
35. Brief an Johannes
Hudde (16. April 1666)
Um nun zur Sache zu kommen, will ich zuvörderst kurz dartun, welche
Eigenschaften ein Wesen haben muß, das notwendige Existenz in sich schließt:
1. Es muß
ewig sein; denn wenn man ihm eine bestimmte
Dauer zuerkennen wollte, so müßte man dieses Wesen außerhalb
der bestimmten Dauer als nicht existierend oder als nicht eine notwendige Existenz
einschließend begreifen. Das aber würde ein Widerspruch mit seiner
Definition sein.
2. Es muß
einfach sein, nicht aus Teilen zusammengesetzt.
Denn diese Teile, die es zusammensetzen, müßten der Natur und der
Erkenntnis nach früher sein als das, was aus ihnen zusammengesetzt ist.
Das kann aber bei etwas, das seiner Natur nach ewig ist, nicht der Fall sein.
3. Man muß
es nicht als begrenzt, sondern als unendlich
begreifen können. Denn wenn die Natur dieses Wesens
begrenzt wäre und auch als begrenzt begriffen würde, so wäre
diese Natur als außerhalb ihrer Grenzen nicht existierend begriffen. Das
widerstreitet gleichfalls seiner Definition.
4. Es muß
unteilbar sein. Wäre es nämlich teilbar,
so könnte es in Teile entweder von derselben oder von verschiedener
Natur geteilt werden; in diesem Falle aber würde es zerstört und könnte
so nicht existieren, was der Definition entgegen ist. Im ersteren Falle hingegen
würde jeder beliebige Teil eine an sich notwendige Existenz einschließen,
und auf diese Weise könnte das eine ohne das andere existieren und folglich
begriffen werden und demgemäß könnte man jene Natur als eine
endliche verstehen, was nach dem Vorausgegangenen der Definition zuwiderläuft.
Daraus ist zu ersehen, daß wir, wenn wir einem derartigen Wesen irgendeine
Unvollkommenheit zuschreiben wollten, sogleich in einen Widerspruch verfielen.
Denn bestünde die Unvollkommenheit, die wir einer solchen Natur zuschreiben
wollten, in irgendeinem Fehler oder in irgendwelchen Grenzen, die eine
derartige Natur besäße, oder in einer Veränderung, die sie aus
Mangel an Kräften von äußeren Ursachen erleiden müßte,
jedenfalls werden wir dadurch immer darauf zurückgeführt werden, daß
eben die Natur, die notwendige Existenz in sich schließt, nicht existiert
oder nicht notwendig existiert. Darum schließe ich:
5. Alles,
was notwendige Existenz einschließt, kann keine Unvollkommenheit in sich
haben, sondern muß bloße Vollkommenheit ausdrücken.
6. Ferner, da es nur aus der Vollkommenheit
kommen kann, daß ein Wesen aus eigenem Genügen, aus eigner Kraft
existiert, so folgt daraus, wenn wir annehmen, daß ein Wesen, das nicht
alle Vollkommenheiten ausdrückt, aus seiner Natur heraus existiert, daß
wir dann auch annehmen müssen, auch jenes Wesen existiere,
das alle Vollkommenheiten in sich faßt. Denn wenn ein
mit minderer Macht begabtes Wesen aus eigenem Genügen existiert, wieviel
mehr existiert dann ein mit größerer Macht begabtes.
Um nun endlich zur Sache zu kommen, so behaupte ich, daß es nur
ein einziges Wesen geben kann, dessen Existenz zu seiner Natur gehört,
nämlich bloß das Wesen, das alle Vollkommenheiten
in sich hat und das ich Gott nennen will. Denn wenn man ein Wesen annimmt,
zu dessen Natur die Existenz gehört, so kann dieses Wesen keine Unvollkommenheit
in sich schließen, sondern muß alle Vollkommenheit ausdrücken
(gemäß Satz 5). Und darum muß
die Natur jenes Wesens Gott zugehören (dessen Existenz
wir nach Satz 6 annehmen müßten), weil er alle Vollkommenheiten
und keine Unvollkommenheiten in sich hat. Außer Gott kann ein solches
Wesen nicht existieren; denn wenn es außer Gott existierte, dann existierte
ein und dieselbe Natur, die notwendige Existenz einschließt, doppelt.
Das ist aber nach dem obigen Beweis widersinnig. Es ist
also nichts außer Gott, vielmehr ist es einzig Gott, der notwendige Existenz
in sich schließt. Was zu beweisen war. S.157ff.
Die Welt ist nicht durch Zufall entstanden
54. Brief an Hugo Boxel
(Oktober 1674)
[...] Das zwingt mich, bevor ich Ihre angeführten Gründe einer Prüfung
unterziehe, noch kurz meine Meinung über diesen Satz darzulegen, ob
die Welt durch Zufall geschaffen ist. Meine Antwort ist diese: wie es
gewiß ist, daß zufällig und notwendig zwei entgegengesetzte
Begriffe sind, so ist es offenbar, daß derjenige, der die Welt für
eine notwendige Wirkung der göttlichen Natur erklärt, von vorneherein
eine Entstehung der Welt durch den Zufall verneint, während der hingegen,
der behauptet, Gott hätte die Schöpfung der Welt auch unterlassen
können, dabei, mit anderen Worten freilich, versichert, sie sei durch Zufall
entstanden; denn sie hat ja von einem Willensentschluß ihren Ausgang genommen,
der auch hätte unterbleiben können. Weil aber diese Annahme und diese
Meinung vollkommen sinnlos ist, wird im allgemeinen einstimmig zugegeben, daß
Gottes Wille ewig und niemals indifferent war, und aus diesem Grunde muß
man auch notwendig zugeben, wohlgemerkt, daß die Welt die notwendige Wirkung
der göttlichen Natur ist. Ob man das nun Wille, Verstand oder mit
welchem Namen man es immer nennt, so kommt es im Grunde darauf hinaus, daß
man ein und dieselbe Sache mit verschiedenen Namen bezeichnet. Wenn man die
Leute fragt, ob Gottes Wille nicht vom menschlichen Willen verschieden ist,
so antworten sie, der eine habe mit dem anderen nicht mehr als den Namen gemein,
wobei sie meist noch zugeben, daß Gottes Wille,
Verstand, Wesen oder Natur ein und dasselbe ist, wie ich denn auch, um
nicht die göttliche Natur mit der menschlichen Natur zu vermengen, Gott
keine menschlichen Eigenschaften wie Willen, Verstand, Aufmerksamkeit, Gehör
usw. zuschreibe. Darum sage ich, wie ich eben schon gesagt
habe, daß die Welt eine notwendige Wirkung der göttlichen Natur und
daß sie nicht durch Zufall entstanden ist.
Ich denke, das genügt, um Sie davon zu überzeugen,
daß die Meinung derer, die behaupten (wenn
es wirklich solche gibt), die Welt sei durch Zufall
entstanden, meiner Meinung ganz und gar entgegengesetzt ist. S.218f.
[...]
Gott
selbst können wir uns nicht vorstellen, aber an seinen Attributen erkennen
56. Brief an Hugo Boxel
(Herbst 1674)
[...] Sie sagen des weiteren, wenn ich bei
Gott den Akt des Sehens, Hörens, Aufmerkens, Wollens usw. als in ihm eminent
vorhanden bestreite, so sei es Ihnen unklar, was für
einen Gott ich habe. Ich habe danach den Eindruck, als glaubten Sie,
es gebe keine größere Vollkommenheit, als die sich mit den erwähnten
Attributen ausdrücken lasse. Das wundert mich nicht, denn ich glaube, wenn
ein Dreieck nur reden könnte, würde es geradeso sprechen, Gott sei
eminent dreieckig, und ein Kreis, die göttliche Natur sei in eminentem
Sinne kreisförmig, und auf diese Weise würde jeder seine Attribute
Gott zuschreiben und Gott sich ähnlich machen und das übrige würde
ihm häßlich erscheinen. [...]
Auf Ihre Frage, ob ich von Gott eine so klare Idee habe
wie vom Dreieck, antworte ich: ja. Fragen Sie mich aber,
ob ich von Gott eine so klare Vorstellung habe wie vom
Dreieck, so antworte ich: nein. Denn Gott
können wir nicht vorstellen, wohl aber erkennen. Hier ist
noch zu bemerken, daß ich nicht sage, daß ich Gott vollkommen erkenne,
sondern nur, daß ich einige seiner Attribute, aber nicht alle und nicht
den größten Teil von ihnen erkenne, und es ist gewiß, daß
mich die Unkenntnis der meisten nicht hindert, von einigen von ihnen Kenntnis
zu haben, Als ich die Elemente des Euklid studierte, erkannte ich auch erst,
daß die drei Winkel des Dreiecks gleich zwei Rechten sind, und ich begriff
diese Eigenschaft des Dreiecks klar, auch wenn ich über viele andre noch
in Unkenntnis war. S.229f. [...]
Wie Gott aus freier Notwendigkeit
handelt und die menschliche Willensfreiheit nur in der Einbildung besteht
58. Brief an G. H. Schuller
(Herbst 1674)
[...] Ich nenne also
ein Ding frei, wenn es nur aus der Notwendigkeit seiner Natur existiert und
handelt; gezwungen aber, wenn es von einem andren Dinge bestimmt wird, in einer
gewissen bestimmten Weise zu existieren und zu handeln. Gott z. B. existiert
notwendig zwar und dennoch frei, weil er allein aus der Notwendigkeit seiner
Natur existiert. So begreift Gott in freier Weise sich
selbst und alle Dinge überhaupt, weil es allein aus der Notwendigkeit seiner
Natur folgt, daß er alles begreift. Sie sehen also, daß ich die
Freiheit nicht in den freien Willen, sondern in die freie Notwendigkeit setze.
Aber wir wollen zu den geschaffenen Dingen herabsteigen, die alle
von äußeren Ursachen bestimmt werden, auf eine gewisse, bestimmte
Weise zu existieren und zu handeln. Um das klar zu verstehen, wollen
wir ein sehr einfaches Ding ins Auge fassen. Ein Stein empfängt durch eine
äußere Ursache, die ihn stößt, ein gewisses Quantum von
Bewegung, durch welches er dann, auch wenn der Anstoß der äußeren
Ursache aufhört, notwendig fortfährt sich zu bewegen. Das Verharren
des Steines in der Bewegung nun ist gezwungen, nicht weil es notwendig ist,
sondern weil es durch den Anstoß der äußeren Ursache definiert
werden muß. Und was hier vom Stein gilt, das gilt von jedem besondern
Dinge, wie zusammengesetzt und zu Vielfachem fähig man es sich auch denken
mag, daß nämlich jedes Ding von einer äußeren
Ursache bestimmt wird, auf eine gewisse bestimmte Weise zu existieren und zu
wirken.
Denken Sie sich nun, bitte, der Stein denke, indem er fortfährt, sich zu
bewegen, und er wisse, daß er nach Möglichkeit in der Bewegung zu
verharren strebt. Dieser Stein wird sicherlich, da er sich doch nur seines Strebens
bewußt und durchaus nicht indifferent ist, der
Meinung sein, er sei vollkommen frei und verharre nur
darum in seiner Bewegung, weil er es so wolle. Und das ist
jene menschliche Freiheit, auf deren Besitz alle so stolz sind und die doch
nur darin besteht, daß die Menschen sich. ihres Begehrens bewußt
sind, aber die Ursachen, von denen sie bestimmt werden, nicht kennen.
So hält sich das Kind für frei, wenn es nach Milch begehrt, der Knabe,
wenn er im Zorne die Rache, der Furchtsame, wenn er die Flucht will. Auch der
Betrunkene glaubt, er rede aus freiem Entschluß seines Geistes, wenn er
Dinge sagt, die er später im nüchternen Zustande lieber verschwiegen
haben wollte. So glauben die Leute im Fieberwahn, die Schwätzer und andre
von der Sorte, sie handelten nach freiem Entschluß ihres Geistes, und
sie glauben nicht, daß sie von einem Anstoß getrieben werden. Und
da dieses Vorurteil allen Menschen eingeboren ist, machen
sie sich nicht leicht davon los. Denn die Erfahrung lehrt uns zwar genug
und übergenug, daß die Menschen zu nichts so wenig imstande sind
als dazu, ihre Begierden zu mäßigen, und daß sie oft, eine
Beute widerstrebender Affekte, das Bessere sehen und dem Schlechteren folgen,
und doch glauben sie frei zu sein, und zwar deshalb,
weil sie manches nur oberflächlich begehren und ihre Begierde danach leicht
durch die Erinnerung an etwas anderes herbeigeführt wird, dessen wir uns
oft erinnern.
Hiermit habe ich, wenn ich nicht irre, meine Meinung über die eingebildete
menschliche Freiheit genugsam auseinandergesetzt. Danach lassen sich die Einwürfe
Ihres Freundes leicht beantworten. Denn wenn er in Übereinstimmung mit
Descartes sagt, der sei
frei, der nicht von einer äußeren Ursache gezwungen wird, so
gebe ich zu: wenn er unter einem gezwungenen Menschen den versteht, der gegen
seinen Willen handelt, so sind wir in manchen Dingen in
keiner Weise gezwungen und haben in dieser Hinsicht einen freien Willen.
Wenn er aber unter gezwungen den versteht, der zwar nicht
gegen seinen Willen, aber doch notwendig handelt (wie
ich oben dargelegt habe), so bestreite ich, daß
wir irgendwie frei sind. S.235ff. [...]
Über
pantheistische Weltsicht, Wunder und Jesus Christus
73. Brief an Heinrich
Oldenburg (Nov. - Dez. 1675)
[...] Um aber über die drei von Ihnen angeführten Stücke offen
meine Ansicht Ihnen mitzuteilen, will ich folgendes sagen.
Was das erste angeht, so habe ich über Gott und Natur eine ganz andere
Meinung, als jene, die von den modernen Christen gewöhnlich vertreten wird.
Ich fasse nämlich Gott als die immanente und nicht
als die äußere Ursache aller Dinge. Ich behaupte eben, daß
alles in
Gott lebt und webt, geradeso wie Paulus und vielleicht auch alle antiken
Philosophen, wenn auch in anderer Weise, und ich darf wohl auch sagen,
wie alle alten Hebräer, soweit man aus manchen freilich vielfach verfälschten
Traditionen schließen darf. Wenn es aber Leute gibt, die meinen, der Theologisch-politische
Traktat gehe davon aus, daß Gott und die Natur (worunter
sie eine Masse oder eine körperliche Materie verstehen) eines und
dasselbe seien, so sind sie ganz und gar im Irrtum.
Was ferner die Wunder angeht, so bin ich im Gegenteil überzeugt davon,
daß die Gewißheit der göttlichen Offenbarung
bloß auf der Weisheit ihrer Lehre, aber nicht auf Wundern,
d. h. auf der Unwissenheit beruhen kann, wie ich es ausführlich
genug im 6. Kapitel von den Wundern dargetan habe. Ich habe dem hier bloß
noch hinzuzufügen, daß der Hauptunterschied, den ich zwischen Religion
und Aberglauben mache, darin besteht, daß dieser auf die Unwissenheit,
jene aber auf die Weisheit sich gründet. Darin sehe ich auch den Grund,
warum sich die Christen nicht durch Glauben und Liebe und die übrigen Früchte
des Heiligen Geistes, sondern allein durch ihre Meinungen von den andern unterscheiden,
weil sie eben wie alle allein auf Wunder, d. h. auf die Unwissenheit sich stützen,
die doch der Quell alles Schlechten ist, und weil sie damit ihren Glauben, ihren
wahren Glauben in Aberglauben verkehren. Ob jemals die Könige zugeben werden,
daß man gegen dieses Übel das richtige Heilmittel anwendet, bezweifle
ich sehr.
Um endlich über das dritte Stück meiner Meinung klareren Ausdruck
zu geben, sage ich, daß es zum Heile nicht schlechthin
notwendig ist, Christus nach dem Fleische zu erkennen, daß es aber
etwas ganz anderes ist mit jenem ewigen Sohn Gottes, d. h. mit Gottes ewiger
Weisheit, die sich in allen Dingen und am meisten im menschlichen
Geiste und von allem am meisten in Christo Jesu kundgetan hat. Denn ohne
diese Weisheit kann niemand in den Stand der Seligkeit kommen, denn sie allein
lehrt, was wahr und was falsch, was gut und was böse ist. Und weil diese
Weisheit wie gesagt sich durch Jesum Christum am meisten kundgetan hat, so haben
seine Jünger sie verkündigt, wie sie ihnen von ihm offenbart worden
ist, und gezeigt, daß sie sich des Geistes Christi mehr als die anderen
rühmen konnten. Wenn übrigens einige Kirchen
des weiteren behaupten, Gott habe menschliche Natur angenommen,
so habe ich ausdrücklich bemerkt, daß ich nicht weiß, was sie
damit sagen. Ja, offen gestanden, scheint mir, was sie sagen, gerade so
unsinnig, als wenn mir jemand sagen wollte, der Kreis habe
die Natur des Quadrats angenommen.
Ich glaube, das genügt, um deutlich zu machen, was ich über jene drei
Stücke denke. Ob das freilich den Beifall der Ihnen bekannten Christen
finden wird, das werden Sie besser beurteilen können. Leben Sie wohl! S.276f.
Aus: Baruch de Spinoza, Briefwechsel, Philosophische
Bibliothek Band 96a, Felix Meiner Verlag, Hamburg