Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 - 1716)

 

Deutscher Philosoph, Mathematiker, Physiker, Techniker; Jurist, politischer Schriftsteller; Geschichts- und Sprachforscher, der in Leipzig und Jena Jurisprudenz und Philosophie studiert hat. Leibniz war zunächst Rat am Revisionsgericht des Kurfürsten Johann Philipp von Mainz, seit 1676 Rate und Bibliothekar (später auch Hofgeschichtsschreiber) des Herzogs Johann Friedrich v. Braunschweig-Lüneburg in Hannover und regte 1700 die Errichtung der »Sozietät der Wissenschaften«, der späteren »preußischen Akademie der Wissenschaften«, an. Leibniz gilt als einer der letzten Universalgelehrten der Neuzeit. Das Allroundgenie trat auf seinen Reisen mit den bedeutendsten Zeitgenossen in Kontakt (u. a. C. Huygens, A. Arnauld, Nicolas Malebranche, R. Hooke und R. Boyle).
Als
Philosoph versuchte Leibniz die mechanistische Naturerklärung von René Descartes durch die Einführung des Begriffs der Zweckursachen mit dem religiösen Glauben zu versöhnen. An die Stelle der toten Atome setzte er lebendige, einfache geistige Krafteinheiten (»Monaden«). Jeder dieser Monaden ist ein Mikrokosmos, in dem nach seiner Aufassung das ganze Universum jeweils in individuell verschiedener Vorstellungsweise widergespiegelt wird. (Perspektivismus). Die Stufenreihe der Monaden reicht von der einfachen Amöbenmonade bis zur göttlichen Zentralmonade, die Leibniz als die allein notwendige, unabdingbare Ur-Monade begreift, die sich im Zustande der ewiger Selbstbewegung befindet. Alle andern Monaden, die sich im wesentlichen nur durch unterschiedliche Vollkommenheitsgrade ihrer geistigen Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit unterscheiden, sind ihre »Erzeugungen und entstehen sozusagen durch beständige Ausblitzungen der Gottheit von Augenblick zu Augenblick« aufs Neue. Die Weltvorgänge in den einzelnen Monaden sollen durch einen von vornherein von Gott angelegten Gleichklang aufeinander abgestimmt sein, die er »prästabilierte Harmonie« nennt. Leibniz forderte eine allgemeine Wissenschaftslehre (lat. »scientia universalis«), für die er eine universale formale Zeichensprache (»characteristica universalis«) aufzustellen suchte, in der die Ideen durch algebraische Verknüpfungen ausgedrückt werden. Seine Lehre ist im Gegensatz zu Schopenhauers pessimistischer Weltsicht optimistisch (weltbejahend). Seine Ansicht, dass die Welt die vollkommenste unter allen möglichen Welten ist, benutzte er zur Rechtfertigung Gottes (Theodizee).
Als
Mathematiker trug Leibniz entscheidend zur Entwicklung der Infinitesimalrechnung bei. Der Prioritätsstreit um die Erfindung des Kalküls ist heute entschieden im Sinne seiner Unabhängigkeit von Isaac Newton und J
ames Gregory. Leibniz gelangen u. a. die Grundlegung der Theorie der einhüllenden Kurve und eine allgemeine Methode der Integration rationaler Funktionen. Er konstruierte auch die erste Rechenmaschine mit Staffelwalze.
Die Leibnizsche Philosophie wurde in ihrem Fortwirken zu einem wichtigen Bestandteil der deutschen Aufklärung. Kerngedanken wurden u. a. von Christian Wolff aufgegriffen und in umgestalteter Form zur
herrschenden Schulphilosophie. Seine Gedanken beeinflussten auch die klassische deutsche Literatur (Herder, Lessing, Goethe). Im 20. Jahrhundert wurden in Deutschland, Großbritannien und Frankreich Leibnizscher Gedanken wiederbelebt, u. a. durch B
ertrand Russell, Louis Couturat, Jean Baruzi, Ernst Cassirer, Heinz Heimsoeth.


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Inhaltsverzeichnis
Monadenlehre
(Monadologie und Theodizee)

Erläuterungen zum System der prästabilierten Harmonie

Das Uhrengleichnis, Über die Verbindung zwischen Seele und Körper,
Über das System der vorherbestimmten Harmonie, Vorherbestimmung und freier Wille,

Notwendigkeit und Kompensation gewisser natürlicher Übel,
Gedanken über die Unendlichkeit

Christus
Jesus am Kreuze, Der Gottesstaat, Nächstenliebe ist Gottesliebe, Erbsünde und Erlösung,

Monadenlehre (Monadologie und Theodizee)

Monadenbegriff, (Monadologie 1 - 9)
Zustandsveränderung, (Monadologie 10 - 13)
Wahrnehmen-Vorstellen-Begehren, (Monadologie 14 - 17)
Seelenbegriff, (Monadologie 18 - 25)
Gedächtnis, (Monadologie 26 - 28)
Vernunftgebrauch, (Monadologie 29 - 36)
Gottesbegriff/Gottesbeweis, (Monadologie 37 - 41)
Ursprung der Übel, (Monadologie 42 - 46)
Ständige Schöpfung, (Monadologie 47 - 48)
Unterschiedliche Vollkommenheitsgrade, (Monadologie 49 - 52)
Die beste aller möglichen Welten, (Monadologie 53 - 55)
Perspektivismus, (Monadologie 56 - 60)
Welt-Zusammenhang, (Monadologie 61)
Leib und Seele sind göttliche Automaten, (Monadologie 62 - 65)
Alles lebt und ist in jedem, (Monadologie 66 - 71)
Schein des Todes, (Monadologie 72 - 76)
Unsterblichkeit der Seele, (Monadologie 77)
Prästabilierte Harmonie, (Monadologie 78 - 81)
Unterschiede zwischen Geistern und Seelen, (Monadologie 82 - 84)
Das Gottesreich ist eine Universal-Monarchie, (Monadologie 85 - 87)
Züchtigung und Strafe. (Monadologie 88 - 90)
 

Monadenbegriff
1.) Die Monaden, von denen meine Schrift handeln wird, sind nichts weiter als einfache Substanzen, welche in dem Zusammengesetzten enthalten sind. Einfach heißt, was ohne Teile ist.

2.) Einfache Substanzen muß es geben, weil es Zusammengesetztes gibt; denn, das Zusammengesetzte ist nichts anderes als eine Anhäufung oder ein Aggregat von Einfachem.

3.) Nun ist aber da, wo es keine Teile gibt, weder Ausdehnung, noch Figur, noch Zerlegung möglich. Die Monaden, von denen ich spreche, sind also die wahren Atome der Natur und mit einem Worte die Elemente der Dinge.

4.) Auch ist ihre Auflösung nicht zu fürchten und es ist undenkbar, daß eine einfache Substanz auf irgendeine natürliche Weise zugrundegehen könnte.

5.) Aus dem nämlichen Grunde ist es undenkbar, daß eine einfache Substanz auf irgendeine natürliche Weise beginnen könnte; da sie ja nicht durch Zusammensetzung gebildet zu werden vermag.

6.) Man kann also sagen, daß die Monaden nur auf einen Schlag anfangen und auf einen Schlag aufhören können. Sie können nur anfangen durch Schöpfung und aufhören durch Vernichtung, während das Zusammengesetzte aus Teilen entsteht und in Teile vergeht.

Ergänzungen aus der Theodizee
90. Ich bin der Meinung, die Seelen oder allgemein die einfachen Substanzen können nur auf dem Wege der Schöpfung entstehen und können nur durch Vernichtung aufhören: und wie die Bildung lebendiger organisierter Körper nur dann nach der Naturordnung erklärlich scheint, wenn man eine schon organische Praeformation annimmt, so folgere ich daraus, die sogenannte Erzeugung eines Tieres sei nur eine Umformung und Vermehrung, da der nämliche Körper bereits organisiert war, so liegt es nahe, daß er auch schon belebt war und die nämliche Seele besaß; ebenso wie ich umgekehrt aus der Erhaltung der Seele, wenn sie einmal erschaffen ist, folgere, daß das Lebewesen auch erhalten wird und daß uns der sichtbare Tod nur etwas verhüllt; denn in der ganzen Naturordnung gibt es keine Belege für die Auffassung, die Seelen existierten völlig getrennt von jedem Körper und das auf nicht natürliche Weise Entstehende könne durch die Naturkräfte zerstört werden.

7.) Auch gibt es kein Mittel zu erklären, wie eine Monade durch irgendein anderes Geschöpf in ihrem Innern aufgeregt oder verändert werden könnte, da man in ihr nichts versetzen und auch keine innere Bewegung in ihr begreifen kann, die da drinnen veranlaßt, gesteuert, vermehrt oder vermindert werden könnte —, so wie es im Zusammengesetzten, wo eine Veränderung unter den Teilen möglich ist, sehr wohl der Fall sein mag. Die Monaden haben keine Fenster, durch die etwas hinein- oder heraustreten kann. Die Akzidenzen können sich nicht von den Substanzen loslösen und außerhalb ihrer herumspazieren, wie es ehemals die species sensibiles der Scholastiker taten. Also kann weder Substanz noch Akzidenz von außen in eine Monade hineinkommen.

8.) Indessen müssen die Monaden gewisse Qualitäten haben; andernfalls würden sie gar keine Wesen sein, die sind. Auch gäbe es, wenn die einfachen Substanzen sich nicht durch ihre Qualitäten unterscheiden würden, gar kein Mittel, irgendeine Veränderung in den Dingen zu bemerken, weil das, was im Zusammengesetzten vorkommt, nur von seinen einfachen Bestandteilen herrühren kann. Wenn nun die Monaden ohne Qualitäten wären, so würden sie nicht voneinander zu unterscheiden sein; denn quantitative Unterschiede gibt es bei ihnen ja ohnehin nicht. Folglich würde — unter der Voraussetzung, daß alles voll ist — jeder Ort bei der Bewegung nur das wieder ersetzt erhalten, was er soeben schon gehabt hatte, und der eine Zustand der Dinge würde vom andern ununterscheidbar sein.

9.) Es ist sogar notwendig, daß jede einzelne Monade von jeder anderen verschieden ist. Denn es gibt in der Natur niemals zwei Wesen, von welchen das eine so vollkommen ist wie das andere, und wo es nicht möglich wäre, einen inneren oder auf eine innere Bestimmung gegründeten Unterschied aufzufinden.


Zustandsveränderung
10.) Ich nehme ferner als ausgemacht an, daß jedes geschaffene Wesen und folglich auch die geschaffene Monade der Veränderung unterworfen ist, ja daß diese Veränderung sogar stetig in einer jeden stattfindet.

11.) Aus dem Gesagten folgt, daß die natürlichen Veränderungen der Monaden von einem inneren Prinzip herrühren, da eine äußere Ursache auf ihr Inneres keinen Einfluß haben kann.


Ergänzungen aus der Theodizee
396. … da ich annehme, daß alle Seelen, Entelechien, primitiven Kräfte, substantiellen Formen, einfachen Substanzen, Monaden, oder wie auch immer man sie bezeichnen will, auf natürlichem Wege weder entstehen noch vergehen können. Ich verstehe die Qualitäten oder abgeleiteten Kräfte oder die sogenannten akzidentiellen Formen als Modifikationen der ursprünglichen Entelechie genau in dem Sinne, wie die Gestalten Modifikationen der Materie sind. Aus diesem Grunde befinden sich diese Modifikationen in beständiger Veränderung, während die einfache Substanz beharrt.


12.) Außer dem Prinzip der Veränderung muß es aber auch noch eine Besonderheit des Wechselnden geben, die gewissermaßen die verschiedenen und mannigfaltigen Arten der Monaden ausmacht.

13.) Diese Besonderheit faßt notwendig eine Vielheit in der Einheit oder in dem Einfachen in sich. Denn da alle natürliche Veränderung gradweise vor sich geht, so wechselt immer einiges, während anderes bleibt; folglich muß es in der Monade eine Mehrheit von Regungen und Beziehungen geben, obwohl sie keineswegs aus Teilen besteht.

Wahrnehmen-Vorstellen-Begehren
14.) Der vorübergehende Zustand, welcher eine Vielheit in der Einheit bezw. in der einfachen Substanz in sich faßt und darstellt, ist nichts anderes als das, was man Perzeption [»sinnliche Wahrnehmung, Vorstellung«] nennt. Diese Perzeption muß, wie sich in der Folge zeigen wird, von der Apperzeption [bewusste Erfassung der äußeren und inneren Eindrücke] der bewußten Vorstellung unterschieden werden. Darin haben nämlich die Cartesianer sehr gefehlt, daß sie die Vorstellungen, deren man sich nicht bewußt wird, für nichts rechneten. Dieser Irrtum veranlaßte sie zu dem Glauben, daß lediglich die Geister Monaden seien, und daß es weder Tierseelen noch sonstwelche Entelechien gebe. So haben sie auch die gang und gäbe Verwechslung mitgemacht und eine langdauernde Betäubung im Ernst für einen Tod gehalten. Und dieser Fehler schließlich ließ sie in das scholastische Vorurteil von gänzlich körperlosen Seelen verfallen und hat sogar verdrehte Köpfe in ihrem Wahn von der Sterblichkeit der Seelen bestärkt.

15.) Die Tätigkeit des inneren Prinzips, welches den Wechsel oder den Übergang von einer Perzeption zur anderen bewirkt, kann als Begehren bezeichnet werden. Allerdings vermag das Begehren nicht immer vollständig zu der ganzen Vorstellung zu gelangen, nach der es strebt; aber es erreicht doch allzeit etwas davon und kommt zu neuen Vorstellungen.

16.) Wir können uns selbst durch Erfahrung von der Vielheit in der einfachen Substanz überzeugen, wenn uns einmal aufgeht, daß der geringste Gedanke, dessen wir uns bewußt sind, eine Mannigfaltigkeit im Gegenstande in sich befaßt. Somit müssen alle diejenigen, welche zugeben, daß die Seele eine einfache Substanz ist, auch diese Vielheit in der Monade anerkennen — und Herr Bayle brauchte keine Schwierigkeit darin zu finden, wie er in seinem Wörterbuch, Artikel Rorarius, getan hat.

17.) Übrigens muß man notwendig zugestehen, daß die Perzeption und was von ihr abhängt auf mechanische Weise, d. h. mit Hilfe von Figuren und Bewegungen, unerklärbar ist. Nehmen wir einmal an, es gäbe eine Maschine, die so eingerichtet wäre, daß sie Gedanken, Empfindungen und Perzeptionen hervorbrächte, so würde man sich dieselbe gewiß dermaßen proportional-vergrößert vorstellen können, daß man in sie hineinzutreten vermöchte, wie in eine Mühle. Dies vorausgesetzt, wird man bei ihrer inneren Besichtigung nichts weiter finden als einzelne Stücke, die einander stoßen — und niemals etwas, woraus eine Perzeption zu erklären wäre. Also muß man die Perzeption doch wohl in der einfachen Substanz suchen, und nicht in dem Zusammengesetzten oder in der Maschinerie! Auch läßt sich in der einfachen Substanz nur dieses allein finden: Perzeptionen und ihre Veränderungen. Darin allein müssen alle inneren Tätigkeiten der Monaden bestehen.


Seelenbegriff
18.) Man könnte allen einfachen Substanzen oder geschaffenen Monaden den Namen »Entelechien« [»die in der Monade wirkende Kraft, die ihre Entwicklung zur Vervollkommnung treibt«] geben; denn sie haben eine gewisse Vollendung in sich. Es gibt in ihnen eine Selbstgenügsamkeit, welche sie zu Quellen ihrer inneren Tätigkeiten und sozusagen zu unkörperlichen Automaten macht.

Ergänzungen aus der Theodizee
87. Zu diesem Theologenstreit über den Ursprung der menschlichen Seele ist der philosophische Streit über den Ursprung der Formen hinzugekommen. Aristoteles und seine Schule verstanden unter Form ein Prinzip der Tätigkeit, das sich bei jedem Handelnden findet. Dieses innere Prinzip ist entweder substantiell, dann heißt es Seele, wenn es in einem organischen Körper angetroffen wird, oder akzidentell, und dann heißt es gewöhnlich Qualität. Derselbe Philosoph gab der Seele den Gattungsnamen Entelechie oder Akt. Das Wort Entelechie stammt augenscheinlich von dem griechischen Worte, welches vollkommen bedeutet, und deswegen übersetzt es der berühmte Hermolaus Barbarus ins Lateinische wortgetreu mit »pefectihabia«. Denn der Akt ist eine Vollendung der Möglichkeit: um dies zu erfahren, hätte er gar nicht den Teufel zu befragen brauchen, wie er es getan haben soll. Nun nimmt der Stagirite zwei Arten von Akten an, den andauernden und den sukzessiven Akt. Der ständige oder dauernde Akt ist nichts anderes als die substantielle oder akzidentelle Form; die substantielle Form (wie die Seele z. B.) ist nach meiner Auffassung ständig beharrend, die akzidentelle nur während einer gewissen Zeit. Aber der vorübergehende Akt, der von Natur aus vergänglich ist, besteht in der Tätigkeit selbst. A. a. O. habe ich gezeigt, daß der Begriff der Entelechie nicht ganz zu verwerfen ist, und daß sie, da sie andauert, nicht bloß ein einfaches aktives Vermögen einschließt, sondern auch noch etwas, was man als Kraft, Streben, conatus bezeichnen kann, daß ihre Handlung erfolgen muß, wenn sie durch nichts gehindert wird. Das Vermögen ist nur ein Attribut, oder auch zuweilen ein Modus, die Kraft aber ist, wofern sie nicht ein Bestandteil der Substanz selbst ist, eine Qualität und als solche unterschieden und trennbar von der Substanz. Auch habe ich dargetan, warum die Seele als eine ursprüngliche Kraft begriffen werden kann, die durch objektive Kräfte oder Qualitäten beeinflußt und verändert wird und in den Handlungen hervortritt.


403. Allein, wir bilden unsere Vorstellungen nicht, weil wir es wollen; sie bilden sich in uns, sie bilden sich durch uns, nicht als Folge unseres Willens, sondern gemäß unserer Natur und der Natur der Dinge. Und wie der Fötus sich in dem Tiere bildet, wie tausend andere Wunder der Natur durch einen bestimmten, von Gott eingepflanzten Instinkt erzeugt werden, d. h. vermöge der göttlichen Praeformation, die diese bewunderungswürdigen, auf mechanische Weise so schöne Wirkungen hervorbringenden Automaten erschaffen hat; so kann man ohne Schwierigkeiten schließen, daß die Seele ein geistiger, noch weit bewunderungswürdigerer Automat ist, und daß sie diese schönen Vorstellungen, woran unser Wille einen Anteil hat, und die innere Kunst nicht erreichen kann, durch göttliche Praeformation erzeugt.

19.) Wollen wir alles, was in dem soeben entwickelten allgemeinen Sinne perzipiert und begehrt, als Seele bezeichnen, so könnten alle einfachen Substanzen oder geschaffenen Monaden Seelen genannt werden. Da jedoch die bewußte Empfindung etwas mehr ist als eine einfache Perzeption, so mag für die einfachen Substanzen, die nur einfache Perzeptionen haben, der allgemeine Name »Monade« oder »Entelechie« genügen. Die Bezeichnung »Seele« dagegen mag jenen Monaden vorbehalten bleiben, deren Perzeption deutlicher und von Gedächtnis begleitet ist.

20.) Denn wir lernen ja an uns selbst durch Erfahrung einen Zustand kennen, wo wir uns an nichts erinnern und keine einzige deutliche Perzeption haben, zum Beispiel wenn wir in Ohnmacht fallen oder von einem tiefen traumlosen Schlafe überwältigt sind. In diesem Zustand unterscheidet sich die Seele nicht merklich von einer einfachen Monade. Aber da dieser Zustand nicht andauert und die Seele sich ihm wieder entzieht, so ist sie etwas Höheres.

Ergänzungen aus der Theodizee
64. Hängt alles Geschehen der Seele diesem System zufolge nur von ihr selbst ab und stammt ihr nachfolgender Zustand allein aus ihr und ihrem gegenwärtigen Zustande, wie könnte man ihr da noch eine größere Unabhängigkeit geben? Allerdings verbleibt noch Unvollkommenheit in der Beschaffenheit der Seele. Alles Geschehen der Seele hängt von ihr ab, aber es hängt darum noch nicht immer von ihrem Willen ab; das wäre zu viel. Ihr Verstand vermag es sogar nicht allemal zu erkennen oder deutlich wahrzunehmen. Denn sie umfaßt nicht bloß eine Reihe deutlicher Perzeptionen, die ihre Herrschaft ermöglichen, sondern auch eine Folge verworrener Perzeptionen oder Passionen, die ihre Sklaverei bedingen: und darüber braucht man gar nicht erstaunt zu sein; die Seele wäre Gott gleich, wenn sie nur deutliche Perzeptionen hätte. Jedoch besitzt sie einige Macht über diese verworrenen Perzeptionen, wenn auch auf indirektem Wege; denn wenn sie auch ihre Leidenschaften nicht sofort ändern kann, so vermag sie doch allmählich mit Erfolg daran zu arbeiten, sich neue Leidenschaften und sogar Gewohnheiten zu schaffen. Sie besitzt sogar über die deutlicheren Perzeptionen eine ähnliche Macht, sie kann sich indirekt Meinungen und Wünsche geben und diese oder jene verdrängen, sie kann auch ihr Urteil aufheben oder verbessern. Wir können nämlich schon vorher nach Mitteln suchen, um gelegentlich auf dem schlüpfrigen Pfade unbesonnener Meinungen haltzumachen, wir können uns einen Einwand machen, um unsere Entscheidung zu verschieben; selbst wenn die Angelegenheit schon spruchreif zu sein scheint, und wenn auch, wie gesagt, unsere Meinung und unser Willensakt keine Gegenstände unseres Willens sind, ergreift man doch zuweilen Maßnahmen, um zu wollen, ja sogar gleichzeitig zu glauben, was man nicht will oder gegenwärtig nicht glaubt. So tief ist der menschliche Geist.


21.) Daraus folgt jedoch keineswegs, daß die einfache Substanz in jenem Fall ohne Perzeption sei. Das ist schon aus den oben angeführten Gründen gar nicht möglich; denn untergehen kann sie nicht; sie kann aber auch nicht fortbestehen ohne irgendwelche Regung, und diese Regung ist eben nichts anderes als ihre Perzeption. Wenn jedoch eine große Menge von kleinen Perzeptionen zusammenkommt, worin sich nichts deutlich unterscheidet, so ist man betäubt. Dreht man sich zum Beispiel ununterbrochen in der nämlichen Richtung mehrere Male hintereinander herum, so tritt ein Schwindel ein, der uns ohnmächtig machen kann und nichts mehr unterscheiden läßt. In gleicher Weise versetzt der Tod die Lebewesen eine Zeitlang in diesen Zustand.

22.) Jeder gegenwärtige Zustand einer einfachen Substanz ist natürlicherweise eine Folge ihres vorhergehenden Zustandes, ebenso wie in ihr das Gegenwärtige mit dem Zukünftigen schwanger geht.

Ergänzungen aus der Theodizee
360. Wir haben jetzt zur Genüge dargetan, daß alles aus bestimmten Gründen geschieht, und finden keine weitere Schwierigkeit in dieser Grundlage der göttlichen Vorsehung; denn wenn auch diese Bestimmtheiten keineswegs zwingend sind, so sind sie doch gewiß und lassen das zukünftige Geschehen voraussehen. Zwar erblickt Gott, wenn er dieses Universum erwählt, mit einem Male die ganze Geschehensfolge und bedarf also keiner Verbindung der Wirkungen mit den Ursachen, um diese Wirkungen vorauszusehen. Aber in seiner Weisheit erwählt er eine auf das vollkommenste verbundene Geschehensfolge, und darum kann er nicht umhin, einen Teil dieser Folge im anderen zu erblicken. Es bildet eines der Gesetze meines Systems der allgemeinen Harmonie, daß die Gegenwart die Zukunft in sich enthält, und daß der Alles Sehende auch in dem Seienden das Werdende erblickt. Noch mehr: ich habe überzeugend dargetan, daß Gott in jedem Teil des Universums das ganze Universum sieht, und zwar dank der vollkommenen Verbindung der Dinge. Er sieht unendlich schärfer als Pythagoras, der aus dem Umfange der Fußspur des Herkules auf seine Körpergröße schloß. Es läßt sich also nicht bezweifeln, daß die Wirkungen auf bestimmte Weise aus ihren Ursachen hervorgehen, ungeachtet der Zufälligkeit, ja selbst der Freiheit, die beide nichtsdestoweniger mit Gewißheit und Determiniertheit zusammen bestehen.

58. Die ganze Zukunft ist bestimmt; daran besteht kein Zweifel; aber da wir nicht wissen, wie sie bestimmt, was vorgesehen oder beschlossen worden ist, so müssen wir unsere Pflicht tun nach der uns von Gott gegebenen Vernunft und nach den uns von ihm vorgeschriebenen Regeln. Danach dürfen wir ruhigen Gemütes Gott die Sorge um den Ausgang anheimstellen; denn er wird immer das tun, was er für das beste hält, nicht nur im allgemeinen, sondern auch im besonderen für die, welche ihm ihr ganzes Vertrauen schenken, d. h. ein Vertrauen, das sich in nichts von wahrer Frömmigkeit, lebendigem Glauben und heißer Liebe unterscheidet und uns nichts von unserer Pflicht und Dienstbarkeit, die in unseren Händen liegen, versäumen läßt. Zwar können wir ihm keine Dienste leisten, denn er entbehrt nichts, aber in unserer Sprache heißt es Dienst, wenn wir seinen mutmaßlichen Willen zu erfüllen suchen, indem wir, soweit wir es können, an dem uns bekannten Guten mitwirken. Denn wir sollen stets annehmen, dorthin richte sich sein Streben, bis wir aus der Tat ersehen, daß er stärkere, obzwar vielleicht uns unbekannte Gründe hatte, dieses Gut, das wir uns zum Ziel setzen, zugunsten eines anderen weit größeren Gutes hintanzusetzen, eines Gutes, das er sich selbst vorgesetzt hat, und nichts unterlassen hat oder unterlassen wird, um es zu realisieren.


23.) Daraus geht folgendes hervor. Weil man, aus der Betäubung erwacht, sich seiner Perzeptionen bewußt wird, so muß man doch wohl auch unmittelbar vorher welche gehabt haben, obwohl man sich ihrer nicht bewußt war. Denn eine Perzeption kann natürlicherweise nur aus einer anderen Perzeption entstehen, wie eine Bewegung natürlicherweise nur aus einer Bewegung entstehen kann.

Ergänzungen aus der Theodizee
403. Die Tätigkeit der geistigen Automaten, d. h. der Seelen, ist durchaus nicht mechanisch, aber sie enthält eminenter das Schöne der Mechanik: die von den Körpern ausgeführten Bewegungen sind durch die Vorstellung darin zusammengedrängt, wie in einer idealen Welt, welche die Gesetze der wirklichen Welt und ihre Folgen ausdrückt, nur mit jenem Unterschiede von der vollkommenen idealen, in Gott vorhandenen Welt, daß ihre meisten Perzeptionen verworren sind. Jede einfache Substanz enthält nämlich in ihren verworrenen Vorstellungen oder Gefühlen das Universum, ,und die Reihenfolge dieser Perzeptionen wird durch die besondere Natur jener Substanz geregelt, aber so, daß sie stets die ganze universelle Natur ausdrückt: und jede gegenwärtige Perzeption strebt zu einer neuen Perzeption, wie jede durch sie repräsentierte Bewegung auf eine andere Bewegung abzielt. Die Seele kann je¬doch unmöglich ihre ganze Natur deutlich erkennen und es sich zum Bewußtsein bringen, wie jene zahllose Menge kleiner Perzeptionen, die in ihr angehäuft oder besser konzentriert ist, in ihr gebildet werden: dazu müßte sie das ganze darin enthaltene Universum vollkommen erkennen, das heißt sie müßte ein Gott sein.


24.) Man sieht daraus, daß wir immer im Zustande der Betäubung sein würden, wenn wir in unseren Perzeptionen nichts Deutliches und gewissermaßen Hervorgehobenes hätten, von dem ein stärkerer Reiz ausgeht. Tatsächlich ist das der Zustand der ganz bloßen Monaden.

25.) Daß die Natur auch den Tieren solche hervorgehobene Perzeptionen gegeben hat, sehen wir aus der vielfältigen Sorge, welche sie auf die Erzeugung von Organen verwendete, die mehrere Lichtstrahlen oder Luftwellen zusammenfassen, damit sie durch ihre Vereinigung eine stärkere Wirksamkeit erzielen. Etwas Ähnliches findet im Geruch, Geschmack, Getast und vielleicht noch in vielen anderen Sinnen statt, die uns unbekannt sind. Auch werde ich bald erklären, wie das, was in der Seele vorgeht, das vorstellt, was in den Organen geschieht.

Gedächtnis
26.) Das Gedächtnis liefert den Seelen eine Art von Verkettung, welche die Vernunft nachahmt, aber von dieser unterschieden werden muß. So sehen wir, daß die Tiere, wenn sie irgend etwas perzipieren, das einen lebhaften Eindruck auf sie macht und von dem sie schon früher eine ähnliche Perzeption gehabt haben, infolge der Vorstellung ihres Gedächtnisses dasjenige erwarten, was bei jener früheren Perzeption damit verbunden war, und daß sie zu ähnlichen Gefühlen neigen wie damals. Zeigt man zum Beispiel den Hunden den Stock, so erinnern sie sich des Schmerzes, den er ihnen verursacht hat, und heulen und laufen davon.

Ergänzungen aus der Theodizee
65. Um endlich die Frage nach der Spontaneität zum Abschluß zu bringen, so muß man sagen, daß die Seele, ganz wörtlich aufgefaßt, hierin das Prinzip aller Handlungen und sogar aller Leidenschaften besitzt, und daß das nämliche für alle einfachen Substanzen gilt, die in der ganzen Natur verbreitet sind, wenn auch Freiheit nur den mit Intelligenz ausgestatteten Substanzen zukommt. Nach gewöhnlichem Sprachgebrauch und nach dem Augenschein können wir indessen sagen, die Seele sei in gewisser Hinsicht vom Körper und von den Sinneneindrücken abhängig: ungefähr so wie wir nach gewöhnlichem Sprachgebrauch mit Ptolemäus und Tycho de Brahe reden, aber mit Copernicus denken, wenn es sich um den Aufgang und Untergang der Sonne handelt.

27.) Die Heftigkeit der Einbildung, die sie dabei überfällt und in Bewegung bringt, kommt entweder von der Stärke oder von der Menge der früheren Perzeptionen. Denn oft bringt ein starker Eindruck auf einen Schlag dieselbe Wirkung hervor wie eine lange Gewohnheit oder viele wiederholte Perzeptionen von mittelmäßiger Stärke.

28.) Die Menschen handeln wie die unvernünftigen Tiere, insoweit die Verkettungen ihrer Perzeptionen lediglich nach dem Prinzip des Gedächtnisses erfolgen. So ähnlich ist es bei den empirischen Ärzten, die einfach Praxis haben, aber keine Theorie; wir alle sind bei drei Vierteln unserer Tätigkeiten nur solche Empiriker. Erwartet man zum Beispiel, daß es morgen wieder Tag werden wird, so verfährt man bei dieser Annahme empirisch: es ist eben bis jetzt immer so geschehen. Nur der Astronom urteilt darüber nach Vernunftgründen.

Vernunftgebrauch
29.) Die Erkenntnis der notwendigen und ewigen Wahrheiten aber ist es, was uns von den bloßen Tieren unterscheidet und in den Besitz der Vernunft und der Wissenschaft setzt, indem sie uns zur Erkenntnis unsrer selbst und Gottes erhebt. Eben dieses ist es, was man in uns als vernünftige Seele oder Geist bezeichnet.

30.) Durch die Erkenntnis der notwendigen Wahrheiten und durch ihre Abstraktionen werden wir auch zu den reflexiven Akten erhoben, die uns den Gedanken »Ich« fassen und Betrachtungen darüber anstellen lassen, daß dieses oder jenes »in uns« ist. Indem wir unsere Gedanken auf uns selbst richten, richten wir sie auch auf das »Sein«, auf die »Substanz«, auf »Einfaches« und »Zusammengesetztem«, auf »Unstoffliches« und selbst auf »Gott«, insofern wir das, was in uns beschränkt ist, in ihm als unbeschränkt begreifen. Jene reflexiven Akte liefern somit die Hauptgegenstände unseres Vernunftgebrauches.

31/32.) Dieser Vernunftgebrauch gründet sich auf zwei große Prinzipien:


Erstens auf das Prinzip des Widerspruchs, kraft dessen wir für falsch erklären, was einen Widerspruch in sich enthält, und für wahr, was dem Falschen entgegengesetzt ist oder ihm widerspricht.

Ergänzungen aus der Theodizee
367. Tatsächlich entspringt die Verwirrung meistenteils nur aus der Zweideutigkeit der Worte und aus der geringen Sorgfalt, die man anwendet, um sie auf deutliche Vorstellungen zu bringen. Daraus entstehen diese ewigen, fast immer mißverstandenen Streitigkeiten über Notwendigkeit und Zufälligkeit, über Möglichkeit und Unmöglichkeit. Vorausgesetzt jedoch, man versteht, wie Notwendigkeit und Möglichkeit, im exakt metaphysischen Sinne genommen, einzig und allein von der Frage abhängen, ob der Gegenstand an sich oder sein Gegenteil einen Widerspruch involviert oder nicht; und man erwägt, wie sehr die Zufälligkeit mit den Neigungen oder mit den zur Willensentscheidung beitragenden Gründen übereinstimmt; vorausgesetzt weiter, man weiß zwischen der Notwendigkeit und zwischen der Determination oder Gewißheit, zwischen der metaphysischen, keine Wahl freilassenden und nur ein einziges mögliches Objekt darbietenden Notwendigkeit und der moralischen Notwendigkeit, welche die höchste Weisheit zur Wahl des Besten zwingt, richtig zu unterscheiden …


Zweitens auf das Prinzip des zureichenden Grundes, kraft dessen wir erwägen, daß keine Tatsache wahr oder exististent sein kann, keine Aussage für wahrhaftig befunden werden kann, ohne daß ein Grund vorhanden ist, warum es gerade so sein muß und nicht anders sein kann- , obwohl uns diese Gründe in den meisten Fällen ganz und gar unbekannt sein mögen.

Ergänzungen aus der Theodizee
44. Indessen macht die objektive Gewißheit oder die Vorherbestimmung nicht die Notwendigkeit der vorher bestimmten Wahrheit aus. Das geben alle Philosophen zu, indem sie zwar die Wahrheit kommender Zufälle für bestimmt halten, sie aber trotzdem zufällig bleiben lassen Auch wenn die Wirkung nicht erfolgt, schließt die Sache selbst keinen Widerspruch ein; gerade darin besteht ja die Zufälligkeit. Um dies besser zu verstehen, muß man zwei Grundprinzipien unseres Vernunftgebrauchs unterscheiden: einmal das Prinzip des Widerspruchs nach welchem von zwei entgegengesetzten Behauptungen die eine wahr, die andere falsch sein muß, sodann das Prinzip des zureichenden Grundes: daß niemals etwas ohne eine Ursache oder wenigstens ohne einen bestimmten Grund geschieht. d. h. ohne einen gewissen Grund a priori, warum etwas existiert und nicht lieber nicht existiert und warum es lieber auf diese als auf jede andere Weise existiert. Dieses wichtige Prinzip gilt für alle Ereignisse, und es läßt sich kein gegenteiliges Beispiel dafür anführen: obgleich uns für gewöhnlich diese zureichenden Gründe nicht genügend bekannt sind, so sehen wir doch ein, daß immer solche Gründe vorhanden sein müssen. Wir würden ohne dieses große Prinzip niemals die Existenz Gottes beweisen können und eine Unmenge richtiger und nützlicher Erwägungen, deren Grundlage es darstellt, verlieren: es duldet keine Ausnahme, weil damit seine Kraft geschwächt würde. Auch gibt es nichts Schwächeres als diese Systeme, in denen alles wankt und alles Ausnahmen zuläßt. Diesen Fehler besitzt das von mir vertretene System nicht, in welchem alles von allgemeinen Regeln abhängt, die sich untereinander bedingen.


33.) Es gibt auch zwei Arten von Wahrheiten: Vernunftwahrheiten und Tatsachenwahrheiten.

Die Vernunftwahrheiten sind notwendig und ihr Gegenteil ist unmöglich;


die Tatsachenwahrheiten sind zufällig und ihr Gegenteil ist möglich.

Wenn eine Wahrheit notwendig ist, so kann man ihren Grund durch Analyse finden, indem man sie in einfachere Ideen und Wahrheiten auflöst, bis man schließlich zu den elementaren Grundwahrheiten gelangt.

Ergänzungen aus der Theodizee
189. Um nun auf die Befürchtungen des Herrn Bayle hinsichtlich der Stratoniker zu kommen, wenn man nämlich von Gottes Willen unabhängige Wahrheiten annimmt, so fürchtet er scheinbar, daß sie die vollkommene Regelmäßigkeit der ewigen Wahrheiten gegen uns geltend machen: denn diese Regelmäßigkeit stammt allein aus der natürlichen Notwendigkeit der Dinge und wird von keinem Bewußtsein geleitet, und darum befürchtet Herr Bayle, daß man daraus mit Straton folgern kann, die Welt könne auch durch eine blinde Notwendigkeit regelmäßig gebildet werden. Es ist jedoch nicht schwer darauf zu antworten: In der Region der ewigen Wahrheiten finden sich auch alle Möglichkeiten und infolgedessen das Regelmäßige wie das Unregelmäßige: eines Grundes bedarf es daher, um Ordnung und Regelmäßigkeit herauszuheben, und dieser Grund läßt sich nur in einem Verstande finden. Ja noch mehr, diese Wahrheiten können gar nicht ohne einen sie wissenden Verstand bestehen; denn es würde sie nicht geben, wenn es keinen göttlichen Verstand gäbe, in dem sie sich, sozusagen realisiert finden. Daher kommt Straton nicht zum ersehnten Ziel, das Bewußtsein vom Ursprung der Dinge auszuschließen.

190. Die Schwierigkeit, die Bayle bei Straton fürchtet, erscheint mir etwas zu subtil und gesucht. Man bezeichnet so etwas als: timere, ubi non est timor [Furcht haben, wo nichts zu fürchten ist]. Er stellt noch eine andere, nicht besser begründete, auf. Gott soll nämlich einer Art Fatum unterworfen sein. Er äußert sich folgendermaßen: »Gibt es Sätze von ewiger Wahrheit, die es ihrer Natur nach und nicht durch göttliche Verfügung sind, beruht ihre Wahrheit also nicht auf einem freien Entschluß seines Willens, sondern hat er sie im Gegenteil mit Notwendigkeit als wahr anerkannt, weil sie dies ihrer Natur nach waren, so liegt hier eine Art Fatum vor, dem er unterworfen ist, eine absolut unübersteigliche natürliche Notwendigkeit. Daraus resultiert auch, daß der göttliche Verstand in der Unendlichkeit seiner Ideen immer und beim ersten Blick ihre vollkommene Übereinstimmung mit ihren Gegenständen erkannt hat, ohne von irgendeinem Wissen hierbei geleitet zu werden; denn es wäre widersprechend, daß Gott bei seinen Verstandesakten von irgendeiner zugrunde liegenden vorbildlichen Ursache geleitet worden sei. Auf diese Weise würde man niemals zu den ewigen Ideen gelangen, noch zu einer ersten Intelligenz. Also muß man sagen, daß eine mit Notwendigkeit existierende Natur stets das richtige trifft, ohne daß es ihr gezeigt worden; und wie soll man dann noch den Trotz eines Stratonikers brechen?«

191. Aber auch hierauf läßt sich leicht antworten: dieses angebliche Fatum, das sogar die Gottheit zwingt, ist nichts anderes als die Natur Gottes selbst, sein eigener, seine Weisheit und Güte regelnder Verstand; es ist eine glückliche Notwendigkeit, und ohne sie gäbe es nichts Gutes und Weises. Will man etwa, Gott soll nicht gezwungen sein, vollkommen und glücklich zu sein? Ist etwa unser dem Irrtum ausgesetzter Zustand beneidenswert? Und würden wir ihn nicht aus vollem Herzen gegen den Zustand der Sündlosigkeit eintauschen, wenn es in unserer Macht stände? Man muß sehr mit Bitterkeit erfüllt sein, wenn man sich die Freiheit, auch ins Verderben stürzen zu können, wünscht, und es beklagt, daß Gott sie nicht besitzt. Herr Bayle gebraucht a. a. O. selbst diese Gründe gegen die, welche eine übertriebene Freiheit in den Himmel erheben und sie in den Willen verlegen, wenn sie sie von der Vernunft unabhängig machen wollen.

34.) Auf diese Weise werden bei den Mathematikern die theoretischen Lehrsätze und die praktischen Regeln durch die Analyse auf Definitionen, Axiome und Postulate zurückgeführt.

35.) Am Ende gibt es einfache Ideen, von denen man keine Definition geben kann. Ferner gibt es Axiome und Postulate oder mit einem Wort elementare Prinzipien, die nicht bewiesen werden können und auch gar keines Beweises bedürfen. Es sind das die identischen Aussagen, deren Gegenteil einen ausdrücklichen Widerspruch enthält.


36.) Aber der zureichende Grund muß sich auch bei den zufälligen oder Tatsachenwahrheiten finden, d. h. in der Folge und im Zusammenhang der erschaffenen Gegenstandswelt. Hier kann die Aufspaltung in einzelne Gründe wegen der unermeßlichen Verschiedenheit der Naturdinge und wegen der unendlichen Zerteilung der Körper allerdings in eine Vermannigfaltigung ohne Grenzen gehen. Es sind unendlich viele Figuren und Bewegungen, gegenwärtige und vergangene, welche die bewirkende Ursache meiner gegenwärtigen Schrift ausmachen; und es sind unendlich viele kleine Neigungen und Stimmungen meiner Seele, gegenwärtige und vergangene, welche ihren Finalgrund bilden.

Ergänzungen aus der Theodizee
367. … Der Weise handelt immer nach Prinzipien, er handelt immer nach Regeln und niemals nach Ausnahmen, außer wenn Regeln entgegengesetzter Tendenz aufeinander stoßen und die stärkste den Sieg behält; sonst würden sie sich gegenseitig hindern oder es würde eine dritte Entscheidung daraus resultieren. In all diesen Fällen ist die Ausnahme durch eine andere Regel begründet, und es gibt für den stets regelmäßig Handelnden keinerlei ursprüngliche Ausnahmen.


Gottesbegriff und Gottesbeweis
37.) Da nun diese ganze Mannigfaltigkeit voller Zufälligkeiten steckt, die noch weiter zurückliegen oder noch speziellerer Art sind, und von denen jede zu ihrer Begründung wieder eine ähnliche Zergliederung erfordert, so kann man durch die Analyse zu keinem Ende kommen. Es muß vielmehr der wahrhaft zureichende oder letzte Grund außerhalb der Folge oder der Folge-Reihen von mannigfaltigen Zufälligkeiten liegen, so unbegrenzt jener Zusammenhang auch sein mag.

38.) Somit muß der letzte Grund der Dinge in der Aktivität einer notwendigen Substanz liegen, in welcher die vielfältigen Veränderungsmöglichkeiten in der besonderen Erscheinungsweise lediglich in eminenter Weise als ihrem Quell enthalten ist. Diese Substanz nennen wir Gott.


Ergänzungen aus der Theodizee
7. Gott ist die erste Ursache aller Dinge: denn die beschränkten Dinge, wie alles, was wir sehen und erfahren, sind zufällig und besitzen nichts, was ihnen notwendige Existenz verleiht; ist es doch offenbar, daß Zeit, Raum und Materie, an sich einheitlich und gleichförmig und gegen alles gleichgültig, andere Bewegungen und Gestalten in anderer Anordnung, erhalten konnten. Es gilt also, den Grund für die Existenz der Welt, als den Zusammenschluß aller zufälligen Dinge, aufzusuchen, und zwar in der Substanz, die den Grund ihrer Existenz in sich selbst trägt und die darum notwendig und ewig ist. Diese Ursache muß mit Verstand begabt sein: denn die existierende Welt ist zufällig, und unendlich viele andere Welten sind ebenso möglich und streben sozusagen ebenso wie sie nach der Existenz. Daher muß die Ursache der Welt auf alle Welten Rücksicht oder Bezug genommen haben, will sie eine von ihnen zur Existenz bestimmen. Diese Rücksicht oder Beziehung einer existierenden Substanz auf bare Möglichkeiten kann nichts anderes als der sie vorstellende Verstand, und das Herausgreifen einer derselben nichts anderes als der sie erwählende Willensakt sein. Die Macht dieser Substanz gibt dem Willen Wirksamkeit. Die Macht geht auf das Sein, die Weisheit oder der Verstand auf das Wahre, der Wille auf das Gute. Diese mit Verstand begabte Ursache muß außerdem in jeder Weise unendlich sein, ihre Macht, Weisheit und Güte müssen unbedingt vollkommen sein; denn sie umfaßt jede Möglichkeit. Da alles miteinander in Verbindung steht, so läßt sich auch nicht mehr als eine Ursache annehmen. Ihrem Verstande entquillt jede Wesensbeschaffenheit, ihr Wille ist Ursprung jeder Existenz. Dies ist in wenigen Worten der Beweis für einen einzigen Gott, für seine Vollkommenheiten und für die Entstehung der Dinge aus ihm.

39.) Da nun diese Substanz ein zureichender Grund für die besonderen Eigenarten in der gesamten Vielfalt ist, und diese allenthalben in Verbindung und Zusammenhang stehen, so gibt es nur einen Gott, und dieser Gott ist zureichend.

40.) Da diese höchste Substanz einzig, allumfassend und notwendig ist, kann es außerhalb ihrer nichts geben, das von ihr vollkommen unabhängig möglich wäre, und weil sie eine einfache Folge des möglichen Seins ist, so kann sie unmöglich außerhalb ihres Wesens durch Schranken eingeengt werden, sondern sie muß vielmehr so viel Realität wie überhaupt nur möglich in sich selbst enthalten.

41.) Daraus folgt dann, daß Gott absolut vollkommen ist, da Vollkommenheit im strengen Sinne nichts anderes ist als die Größe der positiven Realität, indem man bei den endlichen Dingen die Grenzen oder Schranken gedanklich verschwinden läßt. Wo außerhalb gar keine Schranken existieren, so wie bei Gott, ist die Vollkommenheit absolut unendlich.


Ursprung der Übel
42.) Weiter folgt daraus, daß die Geschöpfe ihre Vollkommenheiten dem Einflusse Gottes verdanken, ihre Unvollkommenheiten jedoch von ihrer eigenen Natur haben, die nicht ohne Schranken werden kann. Dadurch nämlich unterscheiden sie sich von Gott. (Diese ursprüngliche Unvollkommenheit der Geschöpfe macht sich in der natürlichen Trägheit der Körper bemerkbar.)

Ergänzungen aus der Theodizee
20. Man muß jedoch noch auf die mehr spekulativen und metaphysischen Schwierigkeiten eingehen, die es mit der Ursache des Bösen zu tun haben und von uns schon angedeutet wurden. Zunächst fragt man, woher das Böse kommt? Si Deus est, unde malum, si non est, unde bonum [Wenn Gott ist, woher kommt dann das Übel, und wenn er nicht ist, woher kommt dann das Gute]. Die Alten verlegten die Ursache des Bösen in die Materie, die sie für unerschaffen und von Gott unabhängig hielten; aber wo finden wir, die wir alles Sein von Gott herleiten, die Quelle des Bösen? Wir antworten, man muß sie in der idealen Natur des Geschöpfes aufsuchen, soweit diese Natur in den ewigen Wahrheiten des göttlichen Verstandes, unabhängig von seinem Willen, enthalten ist. Es gibt nämlich in der Kreatur eine ursprüngliche Unvollkommenheit vor aller Sünde, weil Begrenzung zum Wesen der Kreatur gehört: daher kann sie nicht alles wissen - sich täuschen und andere Fehler begehen. Plato sagt im Timäus, der Verstand im Bunde mit der Notwendigkeit sei der Ursprung der Welt. Andere haben Gott und Natur verbunden. Hierin liegt etwas Richtiges. Gott ist Verstand und die Notwendigkeit, d. h. die wesentliche Natur der Dinge, soweit sie in ewigen Wahrheiten besteht, ist Gegenstand des Verstandes. Aber dieser Gegenstand ist ein innerer und findet sich im göttlichen Verstande. Und hier findet sich die ursprüngliche Form des Guten, aber auch der Ursprung des Bösen: die Region der ewigen Wahrheiten gilt es an die Stelle der Materie zu setzen, wenn man den Quell aller Dinge sucht. Diese Region ist (um uns so auszudrücken) der Idealgrund des Bösen wie des Guten: aber im strengen Sinne ist die Formalursache des Bösen nicht als wirkende Ursache aufzufassen; denn wir werden sehen, daß es in der Beraubung, das heißt in dem von der wirkenden Ursache nicht getanen, besteht. Darum pflegten die Scholastiker die Ursache des Bösen deficiens zu nennen.

21. Man kann das Übel im metaphysischen, physischen und moralischen Sinne auffassen. Das metaphysische Übel besteht in der einfachen Unvollkommenheit, - das physische im Leiden und das moralische in der Sünde. Obwohl nun das physische und moralische Übel nicht notwendig sind, so genügt ihre Möglichkeit auf Grund der ewigen Wahrheiten. Und da diese ungeheure Region der Wahrheiten alle Möglichkeiten umschließt, so muß es unendlich viele mögliche Welten geben, muß das Übel in mehrere von ihnen Eingang finden, und muß die beste von allen Welten es enthalten: hierdurch ist Gott bestimmt worden, das Übel zuzulassen.

151. … Der Mensch ist selbst die Quelle der Übel: so wie er ist, war er in der göttlichen Vorstellung. Bewogen durch unaufhebbare Gründe seiner Weisheit, hat sich Gott entschieden, daß er so wie er ist zum Dasein gelangen sollte. Herr Bayle würde vielleicht hierbei auf diesen Ursprung des Übels gekommen sein, den ich aufgestellt habe, wenn er die göttliche Weisheit mit seiner Allmacht, Güte und Heiligkeit in Verbindung gebracht hätte. Im Vorbeigehen will ich hierzu bemerken, daß unter seiner Heiligkeit nichts anderes zu verstehen ist als der höchste Grad seiner Güte, wie das ihm entgegentretende Verbrechen den stärksten Grad des Übels darstellt.

152. Herr Bayle läßt den griechischen Philosophen Melissos, einen Verfechter des Einheitsprinzips (und vielleicht sogar der Einheit der Substanz) mit Zoroaster als dem Begründer des Dualismus kämpfen. Zoroaster gibt zu, daß die Hypothese des Melissos der Ordnung und den Gründen a priori entsprechender sei, aber er leugnet, daß sie mit der Erfahrung und den Gründen a posteriori in Einklang stehe. »Ich bin Dir«, sagt er, »in der Erklärung der Erscheinungen überlegen, und das ist das Haupterfordernis eines guten Systems«. Meiner Meinung nach ist es jedoch eine sehr schlechte Erklärung einer Erscheinung, wenn man für sie ein besonderes Prinzip benötigt: dem Bösen ein principium maleficum, der Kälte ein primum frigidum zuerteilt: nichts leichter, nichts platter als dies! …


153. Von der gleichen Art ist die Erklärung der Ursache des Übels durch ein besonderes Prinzip, per principium maleficum. Das Übel bedarf dessen ebensowenig, ja noch weniger als Kälte und Finsternis: es gibt kein primum frigidum und kein Prinzip der Finsternis. Das Übel stammt allein aus Privation; das Positive tritt nur begleitweise auf, wie das wirksame Prinzip der Kälte begleitweise auftritt. […] Zufällig also involviert die Beraubung Tätigkeit und Kraft. Schon oben habe ich nachgewiesen, wie die Beraubung zur Erzeugung des Irrtums und der Bosheit genügt, und wie Gott genötigt ist, sie zu dulden, ohne dabei selbst bösartig zu sein. Das Übel stammt aus Beraubung, das Positive und Aktive in ihm wird zufällig erzeugt, wie die Kraft von der Kälte erzeugt wird.

167. … alle die da bekennen, daß Gott den besten Plan gefaßt und ihn aus allen möglichen Vorstellungen des Universums erwählt hat, daß der Mensch zu diesem Plane gehört, Mißbrauch mit seinem freien Willen treibend und sich ins Elend stürzend, daß Gott die Sünde und das Elend hindert, soweit es die Vollkommenheit des Universums, die nur ein Ausfluß seiner Vollkommenheit ist, zuläßt; alle diese, sage ich, zeigen klar und deutlich, daß die Absicht Gottes die gerechteste und heiligste ist, die es nur geben kann, daß die Kreatur allein schuldig ist, daß ihre Beschränkung oder angeborene Unvollkommenheit Quelle ihrer Bosheit und ihr schlechter Wille alleinige Ursache ihres Elends ist, daß man nicht zum Heile bestimmt sein kann, ohne auch zur Heiligkeit der Gotteskinder berufen zu sein, und daß alle Hoffnung darauf, zu den Erwählten zu gehören, sich nur auf den guten Willen stützen kann, den man durch Gottes Gnade in sich spürt.

377. Wir haben, wie es scheint, deutlich genug gezeigt, daß weder das Vorherwissen noch die Vorsehung Gottes seiner Gerechtigkeit und Güte sowie unserer Freiheit schaden können. Es bleibt nur noch die aus der Mitwirkung Gottes bei den Handlungen der Kreatur stammende Schwierigkeit, die in bezug auf unsere schlechten Handlungen seine Güte, in bezug auf unsere guten wie auch auf alle anderen Handlungen dagegen unsere Freiheit näher zu berühren scheint. Auch sie hat Herr Bayle mit seinem gewöhnlichen Scharfsinn geltend gemacht. Wir wollen versuchen, die von ihm vorgebrachten Schwierigkeiten zu klären, und dann werden wir imstande sein, dieses Werk abzuschließen. Wie ich schon festgestellt habe, besteht die Mitwirkung Gottes darin, uns dauernd die in uns und unseren Handlungen enthaltene Realität zu verleihen, soweit sie Vollkommenheit involviert; das darin enthaltene Begrenzte und Unvollkommene ist jedoch eine Folge der voraufgehenden Beschränkungen, die der Kreatur angeboren sind. Und wie jede Handlung der Kreatur ein Wechsel ihrer Modifikationen ist, so ist es einleuchtend, daß auch die Handlung der Kreatur ihren Begrenzungen oder Negationen entstammt, die sie enthält und die durch diesen Wechsel verändert werden.

378. Schon mehr als einmal habe ich in diesem Werke darauf hingewiesen, daß das Übel eine Folge der Privation ist, und ich glaube dies deutlich genug entwickelt zu haben. Schon der Heilige Augustin hat diesen Gedanken vertreten, und der Heilige Basilius sagt ähnliches in seinen Hexaemeron, Homil. 2: »daß das Laster keine lebendige, beseelte Substanz sei, sondern eine der Tugend entgegengesetzte Affektion der Seele, die daher rührt, daß man vom Guten läßt, sodaß man also durchaus kein ursprüngliches Übel zu suchen braucht.« Herr Bayle erwähnt diesen Passus in seinem Wörterbuch (Artikel Paulicianer, Buchstabe D, p. 2325), und die Bemerkung des Herrn Pfanner (den er als einen deutschen Theologen bezeichnet, er ist aber Rechtsgelehrter von Beruf und Rat der Herzöge von Sachsen), welcher den Heiligen Basilius deswegen tadelt, weil er Gott als den Urheber des Bösen nicht anerkennen wollte. Er ist es zweifelsohne, sowie man das moralische Übel als existierend annimmt: im absoluten Sinne könnte man jedoch behaupten, Gott habe das physische Übel als Folge zugelassen, indem er das moralische Übel, seine Quelle, zuließ. Auch die Stoiker scheinen die geringfügige Wesenheit des Übels erkannt zu haben, wie aus den Worten Epiktets hervorgeht: »Sicut aberrandi causa meta non ponitur, sie nec natura mali in mundo existit« [So wie beim Wettlauf die Spitzsäule nicht aufgerichtet ist, um sie zu verfehlen, so gibt es auch in der Welt keine Natur des Bösen]

379. Es war also durchaus nicht nötig, auf ein Prinzip des Bösen zurückzugreifen, wie der Heilige Basilius nachdrücklich hervorhebt. Noch weniger braucht man den Ursprung des Bösen in der Materie zu suchen. Wer da an ein Chaos vor dem göttlichen Wirken glaubt, sucht darin die Quelle der Unordnung. Diese Ansicht hatte Plato in seinem Timäus aufgestellt. Aristoteles tadelt ihn deswegen (in seinem dritten Buch vom Himmel, Kap. 2), da die Unordnung nach dieser Lehre ursprünglich und naturgemäß sei und die Einführung der Ordnung widernatürlich. Dies hatte Anaxagoras vermieden, indem er den Stoff solange in Ruhe verharren ließ, bis Gott ihn in Fluß brachte; und deswegen lobt ihn Aristoteles am nämlichen Orte. Nach Plutarch (de Iside et Osiride, und Tr. de animae procreatione ex Timaeo) sprach Plato der Materie eine gewisse bösartige Seele oder Kraft zu, die sich gegen Gott auflehne: das war eine wirkliche Mangelhaftigkeit, ein Hindernis der göttlichen Pläne. Wie Justus Lipsius im ersten Buch der Physiologie der Stoiker gezeigt, hielten auch die Stoiker die Materie für die Quelle der Unvollkommenheiten.

380. Mit Recht verwirft Aristoteles das Chaos; es ist jedoch nicht immer leicht, sich über die Ansicht Platos und noch weniger leicht, sich über die Ansicht einiger anderer Alten, deren Werke verlorengegangen sind, klar zu werden. Kepler, einer der ausgezeichnetsten modernen Mathematiker, spricht der Materie eine Art Unvollkommenheit zu, selbst wenn es keine ungeregelte Bewegung gibt: es ist diese ihre sogenannte natürliche Trägheit, die ihr ein Widerstreben gegen die Bewegung verleiht und durch die eine größere Masse bei ein und derselben Kraft eine geringere Geschwindigkeit erhält. Diese Ansicht ist ganz gut begründet und ich habe oben mit Vorteil davon Gebrauch gemacht, als ich in einem Vergleiche zeigte, wie die ursprüngliche Unvollkommenheit der Kreaturen die Handlung des Schöpfers, die auf das Gute abzielt, beschränkt. Da jedoch die Materie selbst eine Wirkung Gottes ist, so kann sie nur zum Gleichnis und Beispiel dienen und nicht selbst die Quelle des Bösen und der Unvollkommenheit sein. Wie wir schon gezeigt haben, findet sich diese Quelle vielmehr in den Formen oder Ideen als Möglichkeiten; denn sie muß ewig sein und das ist die Materie nicht. Indem nun Gott alle positive, nicht ewige Realität schuf, hätte er auch die Quelle des Bösen erschaffen, wenn sie nicht eben in der Möglichkeit der Dinge oder Formen bestünde, des einzigen, was Gott nicht geschaffen hat, da er nicht der Schöpfer seines eigenen Verstandes ist.

381. Obwohl indessen die Quelle des Bösen in den möglichen Formen besteht, die den göttlichen Willensakten vorhergehen, so bleibt es nichtsdestoweniger wahr, daß Gott am Bösen mitwirkt durch die wirkliche Einpflanzung dieser Formen in die Materie: und eben darin besteht die Schwierigkeit, um die es sich hier handelt. Durand de St. Partien, der Kardinal Aureolus, Nicolas Taurellus, der Pater Ludwig de Dole, Herr Bernier und andere, die von dieser Mitwirkung reden, wollen sie nur allgemein aufgefaßt wissen, aus Furcht, der menschlichen Freiheit oder der göttlichen Heiligkeit Abbruch zu tun. Sie scheinen anzunehmen, daß Gott sich, nachdem er den Kreaturen die Kraft zu handeln verliehen, mit der Erhaltung dieser Kraft begnüge. Andererseits dehnt Herr Bayle, im Anschluß an mehrere andere moderne Autoren, die göttliche Mitwirkung zu weit aus; er scheint zu fürchten, die Abhängigkeit der Kreatur von Gott sei noch nicht groß genug. Er geht so weit, den Kreaturen das Handeln überhaupt abzusprechen; er erkennt nicht einmal einen wirklichen Unterschied zwischen Akzidenz und Substanz.


43.) Es ist auch wahr, daß in Gott nicht allein die Quelle der Existenzen, sondern auch die der Wesenheiten ist, insoweit sie reell sind, d.h. von demjenigen, was real in der Möglichkeit vorhanden ist. Denn der Verstand Gottes ist die Region der ewigen Wahrheiten oder der Ideen, von denen sie abhängen; ohne ihn könnte es nichts Reales in den Möglichkeiten geben: es wäre somit nicht nur nichts Existierendes vorhanden , sondern auch nichts Mögliches möglich.

44.) Wenn es eine Realität in den Wesenheiten oder Möglichkeiten, oder auch in den ewigen Wahrheiten gibt, so muß diese Realität in etwas Existierendem und Wirklichem gegründet sein, folglich in der Existenz des notwendigen Wesens, bei welchem die Wesenheit die Existenz in sich einschließt, oder bei dem es hinreicht, möglich zu sein, um wirklich zu sein.

Ergänzungen aus der Theodizee
184. … Denn nach meiner Ansicht verschafft der göttliche Verstand den ewigen Wahrheiten Wirklichkeit: wenn auch sein Wille keinen Anteil daran hat. Jede Realität muß sich auf irgend etwas Existierendes gründen. Allerdings kann auch ein Atheist Geometer sein, aber wenn es keinen Gott gäbe, so gäbe es keinen Gegenstand der Geometrie. Ohne Gott gäbe es nicht nur nichts Existierendes, sondern auch nichts Mögliches. Das hindert jedoch nicht, daß diejenigen, die keinen Blick für die Verknüpfung aller Dinge untereinander und mit Gott haben, bestimmte Wissenschaften nicht trotzdem begreifen können, ohne ihren Ursprung in Gott zu erkennen. Aristoteles hat diesen Ursprung zwar auch nicht erkannt, aber er hat trotzdem etwas Ähnliches sehr Gutes bemerkt, wenn er erkannte, daß die ersten Grundsätze jeder besonderen Wissenschaft sich von einer höheren Wissenschaft herleiten, die ihnen eine vernünftige Begründung gibt: und diese höhere Wissenschaft soll das Sein und infolgedessen Gott als Quelle des Seins zum Gegenstande haben. …


45.) Somit hat Gott (oder das notwendige Wesen) allein das Vorrecht, daß er notwendig existieren muß, wenn er möglich ist.
Da nun nichts die Möglichkeit dessen hindern kann, was keine Schranken, keine Verneinung und folglich auch keinen Widerspruch in sich schließt, so ist dies allein schon hinreichend, um die Existenz Gottes a priori zu erkennen. Wir haben sie auch durch die Realität der ewigen Wahrheiten bewiesen. Aber auch a posteriori haben wir sie weiter oben bewiesen, da zufällige Wesen existieren, welche ihren letzten oder zureichenden Grund nur in dem notwendigen Wesen haben können, welches den Grund seiner Existenz in sich selbst hat.

46.) Indessen darf man sich nicht mit einigen Philosophen einbilden, daß die ewigen Wahrheiten, weil sie von Gott abhängen, eben darum auch willkürlich und dem Willen Gottes unterworfen sind, wie Descartes und später Herr Poiret angenommen zu haben scheinen. Das gilt nur von den zufälligen Wahrheiten, deren Prinzip die Angemessenheit oder die Wahl des Besten ist, während die notwendigen Wahrheiten einzig und allein von dem Verstande Gottes abhängen und den inneren Gegenstand desselben bilden.

Ständige Schöpfung
47.) Somit ist Gott allein die Ur-Einheit oder die Ur-Monade. Alle geschaffenen oder abgeleiteten Monaden [»einfache, unteilbare, nicht zusammengesetzte Ur-Einheiten«] sind seine Erzeugungen und entstehen sozusagen durch beständige Ausblitzungen der Gottheit von Augenblick zu Augenblick - beschränkt durch die Aufnahmefähigkeit des Geschöpfs, dem es wesentlich ist, begrenzt zu sein.

Ergänzungen aus der Theodizee
382. Im Verfolge der Lehre - nach der die Erhaltung eine ständige Schöpfung ist – scheint der Kreatur überhaupt niemals Existenz zuzukommen, sie wird stets geboren und stirbt stets wie die Zeit, die Bewegung und andere sukzessive Entitäten. Das hat Plato von den materiellen, sinnlich wahrnehmbaren Wesen geglaubt, wenn er sagt, sie befänden sich in immerwährendem Flusse, semper fluunt, nun quam sunt. Aber über die immateriellen Substanzen urteilte er ganz anders, ihnen allein sprach er Wirklichkeit zu: worin er nicht ganz unrecht hatte. Die ständige Schöpfung betrifft jedoch alle Kreaturen ohne Unterschied. Mehrere treffliche Philosophen haben sich diesem Dogma widersetzt, und Herr Bayle berichtet, daß es David de Rodon, ein unter den Franzosen Genfer Konfession berühmter Philosoph, ausdrücklich widerlegt habe. Auch die Arminianer billigen es kaum, sie sind für diese metaphysischen Subtilitäten nicht sehr eingenommen. Von den Sozinianern will ich ganz schweigen, denn sie gewinnen ihnen noch weniger Geschmack ab.

383. Um die Frage, ob die Erhaltung eine beständige Schöpfung sei, gründlich zu prüfen, muß man sich die Gründe vor Augen halten, auf die sich diese Lehre stützt. Die Cartesianer bedienen sich nach dem Beispiele ihres Meisters zum Beweise eines nicht ganz schlüssigen Prinzips. Sie sagen, »daß die Zeitmomente keine notwendige Verbindung miteinander besitzen, und daß deshalb aus der Tatsache, daß ich in diesem Augenblicke bin, gar nicht folgt, daß ich im nächsten Augenblicke noch bestehen werde, wenn nicht die nämliche Ursache, die mir für diesen Augenblick zum Sein verhilft, es mir nicht auch im folgenden Augenblicke gibt«. Der Verfasser des »Avis sur le tableau du Socianisme« bedient sich des gleichen Räsonnements und Herr Bayle (der vielleicht der Autor dieses Avis ist) führt es an (Antworten usw., Kap. 141, p. 771, Teil 3). Man kann antworten, in Wahrheit folge daraus, daß ich jetzt bin, durchaus nicht mit Notwendigkeit, daß ich sein werde, aber es erfolgt trotzdem natürlicherweise, sozusagen von selbst, per se; wenn keine Gegengründe vorliegen. Das ist der Unterschied, den man zwischen dem Wesentlichen und dem Natürlichen machen kann, so wie z. B. dieselbe Bewegung auf natürliche Weise andauert, wenn keine neue Ursache sie daran hindert oder sie abändert; denn wäre der Grund, der sie in diesem Augenblicke zum Stillstand bringt, kein neuer, dann hätte er sie schon längst zum Stillstand gebracht.

384. Der verstorbene Herr Erhard Weigel, der berühmte Mathematiker und Philosoph zu Jena, bekannt durch seine Analysis Euclidea, seine mathematische Philosophie, einige sehr hübsche mechanische Erfindungen und endlich durch seine Bemühungen, die protestantischen Reichsfürsten zur letzten Kalenderreform zu veranlassen, wovon er den Erfolg nicht mehr erlebt hat; Herr Weigel, sage ich, teilte seinen Freunden einen gewissen Beweis für die Existenz Gottes mit, der auf jene beständige Schöpfung herauskam. Und da er zwischen Rechnung und Begründung Parallelen zu ziehen pflegte, wie aus seiner arithmetisch begründeten Moral (rechenschafftliche Sittenlehre) hervorgeht, so behauptete er, die Grundlage seiner Demonstration wäre der Anfang der Pythagoräischen Tafel: einmal Eins ist Eins. Diese wiederholten Einheiten waren die Momente der dinglichen Existenz, wobei jedes Ding von Gott abhängt, der sozusagen alle Dinge außer ihm in jedem Momente von neuem belebt. Und da sie in jedem Momente zusammenbrechen, so brauchen sie immer jemand zu ihrer Wiederherstellung, und dies kann nur Gott allein sein. Um dies eine Demonstration nennen zu können, bedarf es jedoch eines gründlicheren Beweises. Man müßte den Beweis dafür antreten, daß die Kreatur ständig aus dem Nichts hervorgeht und sofort wieder dorthin versinkt, und vornehmlich muß man aufzeigen, daß das Vorrecht, auf Grund seiner Natur einen Augenblick zu überdauern, nur dem notwendigen Wesen allein zukommt. Auch die Schwierigkeiten über die Zusammensetzung des Kontinuums gehören in diese Materie. Denn dieses Dogma scheint die Zeit in Momente aufzulösen: während andere die Momente und Punkte als einfache Modalitäten des Kontinuums betrachten, d. h. als äußerste Endpunkte der darin bestimmten Teile und nicht als konstituierende Bestandteile. Doch ist hier nicht die Gelegenheit, jenes Labyrinth zu betreten.

385. Was sich überhaupt Sicheres über den gegenwärtigen Gegenstand sagen läßt, ist, daß die Kreatur stets und ständig von der göttlichen Wirksamkeit abhängt, und daß sie nach ihrem Beginn nicht weniger davon abhängt als bei ihrem Beginne. Aus dieser Abhängigkeit ergibt sich, daß sie nicht zu existieren fortfahren würde, wenn Gott nicht ebenfalls in seinen Handlungen fortführe; und schließlich, daß diese göttliche Handlung frei ist. Denn wäre sie eine notwendige Emanation, so etwa wie die Eigenschaften des Kreises aus seiner Wesensbeschaffenheit herfließen, dann müßte man sagen, daß Gott die Kreatur zuerst mit Notwendigkeit geschaffen oder besser, man müßte aufzeigen, inwiefern er sich, als er die Kreatur einmal schuf, die Notwendigkeit auferlegte, sie zu erhalten. Nun. liegt kein Grund vor, warum man die erhaltende Handlung nicht Erzeugung und, wenn man will, sogar Erschaffung nennen könnte. Denn da die Abhängigkeit nachher ebenso groß ist wie zu Beginn, so ändert die äußerliche Bezeichnung, ob sie neu ist oder nicht, nichts an ihrer Natur.

395. Was nun die angebliche Schöpfung der Akzidentien anbetrifft, wer sieht da nicht, daß man gar keiner schöpferischen Kraft bedarf, um den Platz oder die Gestalt zu verändern, um ein Quadrat oder ein Rechteck, oder irgendeine andere Truppenaufstellung durch die Bewegung der exerzierenden Soldaten zu bilden, so wie man, um eine Statue zu formen, nur etliche Stücke eines Marmorblockes zu entfernen oder um eine Relieffigur zu schaffen, nur ein Stück Wachs zu verändern, zu verkleinern oder zu vergrößern braucht? Die Erzeugung der Modifikationen ist niemals als Schöpfung bezeichnet worden: das hieße mit den Worten Mißbrauch treiben und die Welt in Schrecken setzen. Gott erzeugt Substanzen aus nichts und die Substanzen erzeugen Akzidentien durch die Veränderung ihrer Grenzen.

396. Was die Seelen oder substantiellen Formen anbetrifft, so fügt Herr Bayle mit Recht hinzu, daß es für die, welche die substantiellen Formen zu¬lassen, nichts Unbequemeres gibt, als den Einwand, den man ihnen macht, daß sie nur auf dem Wege einer wirklichen Schöpfung erzeugt werden können, und daß die Scholastiker Mitleid erwecken, wenn sie darauf zu antworten suchen. Aber für mich, für mein System, gibt es nichts Beque¬meres als diesen Einwand, da ich annehme, daß alle Seelen, Entelechien, primitiven Kräfte, substantiellen Formen, einfachen Substanzen, Monaden, oder wie auch immer man sie bezeichnen will, auf natürlichem Wege weder entstehen noch vergehen können. Ich verstehe die Qualitäten oder abgeleiteten Kräfte oder die sogenannten akzidentiellen Formen als Modifikationen der ursprünglichen Entelechie genau in dem Sinne, wie die Gestalten Modifikationen der Materie sind. Aus diesem Grunde befinden sich diese Modifikationen in beständiger Veränderung, während die einfache Substanz beharrt.

398. Ich bin jedoch der Ansicht des Paters Malebranche, daß die Schöpfung, richtig verstanden, im allgemeinen gar nicht so schwer annehmbar ist, wie man denken könnte, und daß sie in gewisser Hinsicht schon in dem Begriff der Abhängigkeit der Kreaturen enthalten ist. »Was sind die Philosophen doch stumpfsinnig und lächerlich! (ruft er, Méditat. Chrétienn. 9, u. 3) wenn sie sich einbilden, die Schöpfung sei unmöglich, weil sie nicht begreifen, daß die Allmacht Gottes groß genug ist, um aus Nichts etwas zu schaffen. Aber begreifen sie etwa besser, wie die göttliche Allmacht einen Strohhalm zu bewegen vermag?« Sehr richtig fügt er noch hinzu (Nr. 5): »Wäre die Materie unerschaffen, dann könnte Gott sie nicht bewegen und nichts daraus gestalten. Denn Gott kann die Materie nicht bewegen und auch nicht mit Weisheit ordnen, wenn er sie nicht erkennt. Gott vermag sie nicht zu erkennen, wenn er ihr nicht Existenz verleiht: seine Erkenntnisse kann er nur aus sich selbst gewinnen. Nichts kann auf ihn wirken oder ihn erleuchten«.

48.) In Gott ist die Macht, welche die Quelle von Allem ist; sodann die Erkenntnis, welche die Mannigfaltigkeit der Ideen enthält; schließlich der Wille, welcher die Veränderungen oder Erzeugungen gemäß dem Prinzip des Besten ins Werk setzt. In den geschaffenen Monaden entsprechen diese Attribute dem individuellen Kern oder Fundament, dem Perzeptionsvermögen [»Wahrnehmungsvermögen«] und dem Begehrungsvermögen. Aber in Gott sind diese Attribute absolut unendlich oder vollkommen, während sie in den geschaffenen Monaden oder Entelechien [»die im Organismus wirkende Kraft, die seine Entwicklung zur Vervollkommnung treibt«] (oder den Perfectihabies, wie Hermolaus Barbarus dieses Wort übersetzt hat) nur mehr oder weniger gelungene Nachahmungen davon sind, je nach dem Grad ihrer Vollkommenheit.

Ergänzungen aus der Theodizee
149. Es gibt wirklich zwei Prinzipien, aber sie sind beide in Gott, nämlich sein Verstand und sein Wille. Der Verstand gibt das böse Prinzip, ohne dabei seinen Glanz zu verlieren, ohne selbst böse zu werden; er stellt die Naturen vor, wie sie sich in Gestalt ewiger Wahrheiten vorfinden und enthält den Grund in sich, durch welchen das Böse zugelassen ist; der Wille jedoch geht nur auf das Gute. Fügen wir noch ein drittes Prinzip hinzu, die Allmacht; sie hat sogar den Vorrang vor dem Verstande und dem Willen, aber sie handelt so wie es jener zeigt und dieser fordert.

150. Bei einigen (z. B. Campanella) heißen diese drei göttlichen Vollkommenheiten die drei Primordialitäten. Mehrere waren sogar der Ansicht, hierin läge eine verborgene Beziehung zur Heiligen Dreieinigkeit: die Macht nämlich beziehe sich auf den Vater, d. h. auf den Quell der Göttlichkeit; die Weisheit auf das ewige Wort, das bei dem erhabensten der Evangelisten Logos genannt wird und der Wille oder die Liebe auf den Heiligen Geist. Fast alle der Natur der intelligenten Substanz entnommenen Ausdrücke oder Vergleiche kommen auf etwas derartiges hinaus.


Unterschiedliche Vollkommenheitsgrade
49.) Man sagt von einem Geschöpf: es wirkt nach außen, insoweit es Vollkommenheit besitzt, und es leidet von einem anderen, insoweit es unvollkommen ist. Ebenso spricht man der Monade tätige Wirksamkeit zu, insoweit sie deutlich perzipiert, und Leiden, insoweit ihre Perzeptionen verworren sind.

Ergänzungen aus der Theodizee
31. Es besteht also eine ganz gleiche Beziehung zwischen dieser und jener Handlung Gottes und diesem und jenem Leiden oder Empfangen der Kreatur, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nur so weit vervollkommnet wird, wie es ihre sog. Rezeptivität gestattet. Sagt man, die Kreatur hänge nur insofern von Gott ab, als sie existiert oder handelt, ja die Erhaltung sei eine immerwährende Schöpfung, so heißt das, Gott gibt der Kreatur und erzeugt dauernd immer nur das Positive, Gute und Vollkommene in ihr, da jede vollkommene Gabe vom Vater des Lichtes kommt; während Unvollkommenheiten und Mängel der Handlungen aus der ursprünglichen Begrenzung stammen, die die Kreatur durch die sie beschränkenden idealen Gründe von Anbeginn ihrer Existenz erhalten mußte. Gott konnte ihr nicht alles geben, ohne sie zum Gott zu machen; er mußte also stufenweise Unterschiede in der Vollkommenheit der Dinge und ebenso Beschränkungen jeder Art geben.

32. … Zwar ist Gott der einzige dessen Tätigkeit rein und unvermengt mit dem ist, was man leiden nennt, aber das hindert nicht, daß auch die Kreatur an den Handlungen partizipiere, da das Handeln der Kreatur eine Veränderung der Substanz ist, die auf natürliche Weise aus ihr entsteht und nicht nur eine Änderung der von Gott dem Geschöpfe erteilten Vollkommenheiten, sondern auch eine Änderung der Beschränkungen einschließt, die das Geschöpf selbst beibringt, um das zu sein, was es ist.

66. … Streng genommen stellt ja die Seele die sie umgebenden Körper durch verworrene Gedanken vor. Dasselbe hat man unter den Handlungen der einfachen Substanzen zu verstehen. Jede wirkt auf die andere entsprechend ihrer Vollkommenheit. wenn auch nur ideal und uranfänglich, als Gott eine Substanz nach der anderen gerichtet hat und dabei der in ihnen vorhandenen Vollkommenheit oder Unvollkommenheit gefolgt ist; obwohl Handlung und Leiden der Kreaturen sich immer entsprechen, da sich der eine Teil der Gründe, welche dazu dienen, das Geschehen deutlich zu entwickeln, und dazu gedient haben, ihm zur Existenz zu verhelfen, sich in der einen von diesen beiden Substanzen und ein anderer Teil dieser Gründe in der anderen befindet, und infolgedessen Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten stets vermengt und verteilt sind. Darum erteilen wir der einen Aktivität, der anderen Passivität zu.


50.) Auch ist ein Geschöpf vollkommener als ein anderes, insofern man in ihm den Grund a priori von demjenigen findet, was in einem anderen vorgeht. Und in dieser Beziehung sagt man eben, daß es auf das andere wirke.

51.) Aber bei den einfachen Substanzen findet nur ein idealer Einfluß der einen Monade auf die andere statt, welcher seinen Erfolg nur durch die Dazwischenkunft Gottes haben kann, insofern nämlich in den Ideen Gottes jede Monade mit Grund verlangt, daß Gott von Anbeginn der Dinge bei der Ordnung der anderen Monaden auf sie Rücksicht nimmt. Denn da eine geschaffene Monade keinen physischen Einfluß auf das Innere der anderen haben kann, so kann nur durch dieses Mittel die eine von der anderen abhängig sein.

Ergänzungen aus der Theodizee
9. …Wissen muß man, daß in jeder möglichen Welt alles miteinander in Verbindung steht: jedwedes Universum ist ein Ganzes aus einem Stück, gleich dem Ozean; die geringste Bewegung breitet sich in beliebige Entfernung aus, wenn sie auch schwächer und schwächer wird entsprechend dieser Entfernung: so hat Gott ein für allemal alles im voraus geregelt, er, der die Gebete, die guten und schlechten Handlungen und alles andere voraussah; und jedes wurde. Darum kann in der Welt nichts ohne Schaden an seiner Wesensart, oder (wie bei einer Zahl), wenn man will, an seiner numerischen Individualität verändert werden.

54. Man kann auch sagen, wenn alles derart bestimmt ist, vermag Gott keine Wunder zu tun. Allein die Wunder welche in der Welt geschehen, waren schon in derselben Welt, als reine Möglichkeit betrachtet, enthalten und als möglich vorgestellt; und Gott, der sie tut, hat sich damals, als er diese Welt erwählte, entschieden, sie zu tun. Man wird auch einwenden: da nichts geändert werden kann, so hätten Gelübde und Gebete, Verdienste und Verschuldungen keinen Sinn. Dieser Einwand verursacht gewöhnlich die größte Verlegenheit und ist dennoch ein reines Sophisma. Diese Gebete und Gelübde diese guten und schlechten Handlungen, die heute geschehen, standen Gott schon vor Augen, als er den Entschluß faßte, die Dinge zu regeln. Was in dieser wirklichen Welt geschieht, war schon in der Idee dieser Welt als bloßer Möglichkeit mitsamt seinen Wirkungen und Folgen vorgestellt, wie es die natürliche und übernatürliche göttliche Gnade empfängt, wie es die Strafe herausfordert und Belohnungen erheischt, alles wie es in dieser Welt, nachdem sie Gott erwählte, tatsächlich geschieht. Gebet und gute Handlung war damals eine ideale Ursache oder Bedingung, d. h. ein Beweggrund für die göttliche Gnade oder zur Belohnung, wie es jetzt in Wirklichkeit der Fall ist. Und da alles mit Weisheit in der Welt verknüpft ist, so hat Gott, der das freie Geschehen voraussah, auch die übrigen Dinge von vornherein dementsprechend geregelt oder (was auf dasselbe hinausläuft) er hat diese mögliche Welt, in welcher alles derart geregelt war, ausgewählt.

66. Doch kann man dieser gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Seele und Körper einen richtigen und philosophischen Sinn geben. Es hängt nämlich die eine dieser Substanzen von der anderen idealiter ab insofern der Grund für das, was in der einen geschieht, in dem, was in der anderen geschieht, aufgefunden werden kann. Ebenso wie jener Automat, der die Funktion des Dieners erfüllt, idealiter von mir abhängig ist, und zwar durch das Wissen dessen, der meine zukünftigen Befehle voraussieht und ihn instand gesetzt hat, mich am folgenden Tage pünktlich zu bedienen. Die Voraussicht meiner zukünftigen Willensentschlüsse hatte diese großen Künstler bewogen, danach den Automaten anzufertigen: mein Einfluß ist objektiv, der seinige physisch; denn insofern die Seele vollkommen ist und klare Gedanken besitzt, hat Gott den Körper der Seele angepaßt und den Körper von vornherein zur Ausführung ihrer Befehle eingerichtet; sofern aber die Seele unvollkommen und ihre Vorstellungen verworren sind, hat Gott die Seele dem Körper angepaßt, so daß die Seele sich von den aus den körperlichen Vorstellungen stammenden Passionen leiten läßt; und das hat dieselbe Wirkung und denselben Anschein als wenn die eine vom andern unmittelbar und vermittels des physischen Einflusses abhängig wäre. Streng genommen stellt ja die Seele die sie umgebenden Körper durch verworrene Gedanken vor.


52.) Darum ist unter den Geschöpfen das Tun und Leiden ein wechselseitiges. Denn indem Gott zwei einfache Substanzen vergleicht, findet er in einer jeden Gründe, die ihn veranlassen, die andere ihr anzupassen — und somit ist das in gewisser Hinsicht Tätige von einem anderen Standpunkt aus betrachtet ein Leidendes. Tätig ist es insofern, als das, was man deutlich in ihm erkennt, zur Begründung des Vorgangs in einem anderen dient. Leidend ist es insofern, als der Grund des Vorgangs in ihm sich in demjenigen findet, was in einem anderen deutlich erkannt wird.

Die beste aller möglichen Welten
53.) Da nun die Ideen Gottes unendlich viele mögliche Welten enthalten und doch nur eine einzige davon existieren kann, so muß es einen zureichenden Grund für die Wahl Gottes geben, der ihn zu der einen Welt mehr als zu der anderen bestimmt.


Ergänzungen aus der Theodizee
10. Zwar kann man sich Welten ohne Sünde und ohne Unglück vorstellen, und so etwas daraus machen wie die Romane von Utopien und den Sevaramben; aber diese Welten würden im übrigen der unsrigen erheblich nachstehen. Ich will das nicht im einzelnen aufzeigen: wie könnte ich wohl diese Unendlichkeiten erkennen, darstellen und miteinander vergleichen? Aber man muß mir das ab effectu zugeben, da Gott unsere Welt so erwählt hat. wie sie ist. Wir wissen außerdem, daß oft ein Übe! ein Gut bewirkt, welches ohne dieses Übel nicht eingetroffen wäre. Oft haben sogar zwei Übel ein großes Gut zur Folge gehabt.
Et si fata volunt, bina venena juvant [Und wenn das Schicksal es will, hilft das zwiefache Gift].

173. Spinoza … scheint ausdrücklich eine blinde Notwendigkeit
gelehrt zu haben, er dem Schöpfer der Dinge Verstand und Willen absprach und sich einbildete, das Gute und Vollkommene gäbe es nur in Beziehung auf uns, nicht auf ihn. Allerdings hat die Ansicht Spinozas hierüber etwas Dunkles, denn er erteilt Gott das Denken zu, nachdem er ihm den Verstand genommen; cogitationem, non intellectum concedit Deo. Es gibt auch Stellen, wo er sich über die Notwendigkeit gemäßigter ausspricht. Indessen bestreitet er, soweit man ihn verstehen kann, die göttliche Güte im eigentlichen Sinne und lehrt, alle Dinge existierten allein durch die Notwendigkeit der göttlichen Natur, ohne daß Gott irgend etwas gewählt hätte. Wir wollen uns hier nicht damit unterhalten, eine so schlechte und sogar so unerklärliche Ansicht zu widerlegen. Die unserige stützt sich auf die Natur des Möglichen, d. h. auf die Natur jener, keinen Widerspruch involvierenden Dinge. … Alles einen Widerspruch Involvierende ist unmöglich und alles keinen Widerspruch Enthaltende ist möglich.

196. … So also muß man die Erschaffung der besten aller Welten auffassen, um so mehr als Gott sich nicht nur entschieden hat, ein Universum zu erschaffen, sondern auch den Beschluß gefaßt, das beste von allem zu erzeugen; denn ohne Kenntnis entscheidet er nichts, und seine besonderen Beschlüsse sind nur antizipierende Willensakte, wie wir das schon zur Genüge ausgeführt und von den wirklichen Beschlüssen unterschieden haben.

225. So groß die unendlichen Möglichkeiten auch seien, so sind sie doch niemals größer als die unendliche Weisheit Gottes, der alle Möglichkeiten erkennt. Ja, übertrifft diese Weisheit auch nicht die Möglichkeiten der Ausdehnung nach, da die Gegenstände des Verstandes das Mögliche nicht überschreiten können, und dieses in gewissem Sinne allein begreifbar ist, so übertrifft sie sie dem Grade nach, auf Grund der unendlichen Verbindungen, die sie aus ihnen herstellt, und der Reflexionen, die sie darüber anstellt. Gott begnügt sich in seiner Weisheit nicht damit, alle Möglichkeiten zu umfassen, vielmehr durchdringt er sie, vergleicht sie und wägt sie gegeneinander ab, um dadurch ihre Vollkommenheit oder Unvollkommenheit, das Starke und Schwache, das Gute und Böse abzuschätzen: ja sie geht noch über die begrenzten Kombinationen hinaus, sie errichtet eine unendlichgroße Unendlichkeit, d. h. eine Unendlichkeit aller möglichen Folgen des Universums, von denen eine jede unendlich viele Geschöpfe enthält. Dadurch verteilt die göttliche Weisheit alle Möglichkeiten, die sie getrennt schon erkannt hatte, zu universellen Systemen, die sie nun ihrerseits untereinander vergleicht: und das Resultat all dieser Vergleiche und Reflexionen ist die Auswahl des besten dieser möglichen Systeme, welche die Weisheit trifft, um ihrer Güte ganz Genüge zu leisten, und dies ist nun der Plan des wirklichen Universums. Alle diese Operationen des göttlichen Verstandes besitzen zwar schon an sich natürliche Ordnung und Priorität, bilden aber zusammen ein Ganzes, in welchem keiner zeitliche Priorität zukommt.

54.) Dieser Grund kann nur in der Angemessenheit oder in den Graden der Vollkommenheit gefunden werden, welche diese Welten enthalten, da jedes Mögliche das Recht hat nach dem Maße der Vollkommenheit, die es einschließt, auf seine Existenz zu dringen.

Ergänzungen aus der Theodizee
130. Allerdings hat Gott die Materie und die Geister nach seinem Willen erschaffen, aber er gleicht hierin einem guten Bildhauer, der aus seinem Marmorblock nur das bilden will, was er für das Beste hält, und ihn richtig zu beurteilen versteht. Gott erschafft aus der Materie die schönste aller möglichen Maschinen, er bildet aus den Geistern die schönste aller denkbaren Regierungen, und darüber hinaus errichtet er aus ihrer Verbindung die vollkommenste aller Harmonien, nach dem von mir vorgelegten System. Da sich nun in diesem vollkommenen Werk das moralische und physische Übel anfeinden, so muß man (gegen die Versicherung Herrn Bayles) daraus schließen, daß ohne¬dies ein weit größeres Übel völlig unvermeidlich gewesen wäre. Dieses so große Übel bestände darin, daß Gott schlecht gewählt hätte, wenn er anders gewählt hätte als er es tat. Gottes Allmacht ist zwar unendlich, aber sie ist durch nichts .bestimmt; erst die Güte im Verein mit der Weisheit bestimmen sie zur Erzeugung des Besten. An anderer Stelle macht Herr Bayle einen für ihn charakteristischen Einwand, den er modernen kartesianischen Anschauungen entnimmt. Diese sagen, Gott konnte den Seelen Gedanken geben wie er wollte, ohne sie irgendwie von den Körpern abhängig zu machen: hierdurch ersparte man den Seelen eine große Menge Übel, die nur aus der Zerrüttung der Körper stammen. Weiter unten wird davon die Rede sein; für jetzt genüge die Erwägung, daß Gott kein schlecht verbundenes System voller Unstimmigkeiten errichten konnte. Die Natur der Seelen besteht wenigstens zum Teil darin, daß sie die Körper vorstellen.

201. Das Beste fällt mit den Wünschen der Tugendhaftesten und Weisesten zusammen. Könnten wir die Struktur und Ökonomie des Universums verstehen, dann würden .wir finden, daß es nach dem Wunsche der Weisesten und Tugendhaftesten erschaffen ist und regiert wird, da Gott es gerade so erschaffen mußte. Indessen ist diese Notwendigkeit eine moralische, und ich gebe zu, daß Gott, wenn er von einer metaphysischen Notwendigkeit gedrängt worden wäre, entweder alles Mögliche oder gar nichts erschaffen hätte, und daß in diesem Sinne die Konsequenz des Herrn Bayle ganz richtig ist. Aber da sich alle Möglichkeiten untereinander in ein und derselben Weltverknüpfung nicht vertragen, so kann eben aus dem Grunde nicht alles Mögliche hervorgebracht worden sein, und Gott kann, metaphysisch gesprochen, zur Erschaffung der Welt unmöglich gezwungen worden sein. So wie Gott sich entschieden hatte, irgend etwas zu erschaffen, gerieten alle Möglichkeiten untereinander in Wettstreit, denn sie alle verlangen nach Wirklichkeit; und dabei siegten diejenigen, die zusammen die größte Realität, Vollkommenheit und Vernünftigkeit erzeugen. Zwar kann dieser Kampf nur ideal gewesen sein, nämlich nur im Streit der Gründe in dem vollkommensten Verstande, der nicht anders als auf die vollkommenste Weise handeln kann und darum das Beste erwählen muß. Jedoch ist Gott durch eine moralische Notwendigkeit gezwungen worden, die Dinge so zu erschaffen wie sie nicht besser sein können; sonst hätten nicht nur andere Anlaß zur Kritik seines Werkes, sondern, was weit mehr bedeutet, er selbst würde mit seinem Werk nicht zufrieden sein; er würde die Unvollkommenheit dieses Werkes tadeln, und das würde gegen die höchste Glückseligkeit der göttlichen Natur verstoßen. Dieses dauernde Bewußtsein seines eigenen Fehlers oder seiner Unvollkommenheit wäre für ihn eine Quelle unvermeidlichen Kummers, wie Herr Bayle sich bei anderer Gelegenheit ausdrückt.

350. … Wenn ein böser Mensch existiert, so muß Gott in der Region der Möglichkeiten die Idee eines solchen Menschen vorgefunden haben, und dieser muß zu jener Folge von Dingen gehören, deren Wahl die größte Vollkommenheit des Universums erheischte, deren Fehler und Sünden nicht nur bestraft, sondern mit Vorteil wieder ausgeglichen werden und die zu dem größten Gut beitragen.


55.) Das ist die Ursache für die Existenz des Besten, welches Gott die Weisheit erkennen, seine Güte ihn wählen und seine Macht ihn hervorbringen läßt.

Ergänzungen aus der Theodizee
8. Diese überlegene Weisheit konnte in Verbindung mit einer nicht weniger unendlichen Güte einzig und allein das Beste erwählen. Denn wie ein geringes Übel eine Art Gut und ein geringes Gut eine Art übel ist, wenn es ein größeres Gut verhindert, so hätte man Ursache, die Handlungen Gottes zu tadeln, wenn es ein Mittel gäbe, es besser zu machen. Und wie in der Mathematik ohne ein Maximum und Minimum, kurz ohne etwas bestimmt Unterschiedenes, alles gleichförmig verläuft, oder wenn dies nicht möglich ist, überhaupt nichts geschieht, so läßt sich dasselbe von der vollkommenen Weisheit sagen,. die gleichen Regelmäßigkeiten untersteht wie die Mathematik: gäbe es nicht die beste (optimum) aller möglichen Welten, dann hätte Gott überhaupt keine erschaffen. »Welt« nenne ich hier die ganze Folge und das ganze Beieinander aller bestehenden Dinge, damit man nicht sagen kann, mehrere Welten könnten zu verschiedener Zeit und an verschiedenen Orten bestehen. Man muß sie insgesamt für eine Welt rechnen, oder, wie man will, für ein Universum. Erfüllte man jede Zeit und jeden Ort; es bleibt dennoch wahr, daß man sie auf unendlich viele Arten hätte erfüllen können und daß es unendlich viel mögliche Welten gibt, von denen Gott mit Notwendigkeit die beste erwählt hat, da er nichts ohne höchste Vernunft tut.

9. Kann ein Gegner diesem Argument nicht beikommen, so wird er vielleicht auf unsere Schlußfolgerung mit einem entgegengesetzten Argument antworten: er wird sagen, die Welt hätte ja sündlos und ohne Leiden sein können; aber was ich bestreite, ist, daß sie dann besser wäre. Wissen muß man, daß in jeder möglichen Welt alles miteinander in Verbindung steht: jedwedes Universum ist ein Ganzes aus einem Stück, gleich dem Ozean; die geringste Bewegung breitet sich in beliebige Entfernung aus, wenn sie auch schwächer und schwächer wird entsprechend dieser Entfernung: so hat Gott ein für allemal alles im voraus geregelt, er, der die Gebete, die guten und schlechten Handlungen und alles andere voraussah; und jedes wurde. Darum kann in der Welt nichts ohne Schaden an seiner Wesensart, oder (wie bei einer Zahl), wenn man will, an seiner numerischen Individualität verändert werden. Wenn somit das geringste Übel, das in der Welt eintrifft, fehlte, es wäre nicht mehr diese Welt, die, alles in allem, von dem sie auswählenden Schöpfer als die beste befunden worden ist.

78. … In Wahrheit beabsichtigte Gott, als er den Plan zur Schöpfung faßte, einzig und allein seine Vollkommenheiten auf die wirksamste und seiner Größe, Weisheit und Güte würdigste Art und Weise offenbar werden zu lassen. Aber deswegen fühlte er sich verpflichtet, alle Handlungen der Kreaturen im Zustande reiner Möglichkeit zu berücksichtigen, um den angemessensten Plan zu realisieren. Er gleicht darin einem großen Architekten, der zu seiner Befriedigung oder zu seinem Ruhme einen schönen Palast erbauen will und der nun alles, was zu diesem Gebäude gehört, berücksichtigt: Form und Materialien, den Platz, die Gegend, die Mittel, die Arbeiter, die Kosten: und dies alles, bevor er einen entscheidenden Schritt tut. Wenn der Weise seine Pläne faßt, kann er nämlich den Zweck nicht von den Mitteln trennen: er nimmt sich nichts vor, ohne zu wissen, ob er auch die dazu notwendigen Mittel besitzt.

119. Alles ist in der Natur miteinander verbunden; und wenn ein geschickter Handwerker, ein Ingenieur, ein Architekt und ein reiner Politiker schon ein und dieselbe Sache für verschiedene Zwecke zu gebrauchen wissen, wenn man, sobald es sich bequem tun läßt, mit einer Klappe zwei Fliegen schlägt; dann muß man von Gott, dessen Weisheit und Allmacht vollkommen ist, sagen, daß er stets so handelt. Das heißt Platz, Zeit, Raum und Stoff ersparen, welche sozusagen seine Unkosten bilden. Gott hat also in seinen Plänen mehr als eine Absicht. Die Glückseligkeit aller vernunftbegabten Geschöpfe ist eines der Ziele, nach denen er trachtet, aber sie ist nicht sein ganzes, ja sogar nicht einmal sein höchstes Ziel. Aus diesem Grunde kann also das Unglück einiger dieser Kreaturen begleitweise und gleichsam als Folge anderer weit größerer Übel eintreten. …

208. Man muß daher annehmen, daß Gott unter den nicht absolut notwendigen allgemeinen Gesetzen die natürlichsten auswählte, die selbst am leichtesten begründet werden und die auch am ehesten zur Rechtfertigung anderer Dinge dienen können. Dies ist ohne Zweifel das Schönste und Angenehmste; und wenn das System der praestabilierten Harmonie nicht schon aus anderen Gründen, nämlich durch seine Beseitigung der überflüssigen Wunder, notwendig wäre, würde es Gott schon deshalb erwählt haben, weil es am harmonischsten ist. Die Wege Gottes sind die einfachsten und gleichmäßigsten: weil er die Gesetze wählt, die sich am wenigsten untereinander beschränken. Durch die Einfachheit des Weges sind sie auch die fruchtbarsten. Das ist ungefähr so, als wenn man das Haus als das beste bezeichnet, das man mit festem Ausgabenfonds erbauen konnte. Man kann sogar die beiden Bedingungen, Einfachheit und Fruchtbarkeit, auf einen einzigen Vorteil reduzieren, nämlich auf die Erzeugung größtmöglicher Vollkommenheit; und damit läßt sich das System des ehrwürdigen Paters Malebranche auf das meinige reduzieren. Denn angenommen, die Wirkung wäre größer, die Wege aber weniger einfach, dann wäre alles in allem, der Effekt selbst schwächer, wenn man hierbei nicht bloß die Endwirkung, sondern auch die Mittelwirkung in Betracht zieht. Der Weise sucht nämlich, so weit es ihm möglich ist, die Mittel auch zu Zwecken in irgendeiner Hinsicht zu machen, d. h. sie sind ihm wünschenswert nicht bloß durch das, was sie leisten, sondern auch durch das, was sie sind. Die verwickelteren Wege beanspruchen zu viel Terrain, zu viel Platz, zu viel Raum, zu viel Zeit, die man besser hätte anwenden können.

209. Führt man so alles auf die größte Vollkommenheit zurück, dann kommt man auf unser Gesetz vom Besten. Denn die Vollkommenheit umfaßt nicht nur das moralische und physische Wohl der vernünftigen Kreaturen, sondern auch das rein metaphysische Gut, das auch vernunftlose Kreaturen einschließt. Daraus folgt, daß das Übel der vernünftigen Kreaturen nur begleitweise geschieht, nicht aus antizipierendem, sondern aus nachfolgendem Willen, als im bestmöglichen Plan eingeschlossen; und das alles umfassende metaphysische Gut ist Ursache, daß das physische und moralische Übel zuweilen statthat, wie ich schon des öfteren bemerkt habe. …

Perspektivismus
56.) Nun bewirkt diese Verknüpfung oder diese Anpassung aller geschaffenen Dinge an jedes andere und eines jeden an alle anderen, daß jede einfache Substanz Beziehungen hat, durch welche alle übrigen zum Ausdruck gelangen, und daß sie infolgedessen ein fortwährender lebendiger Spiegel der Welt ist.


Ergänzungen aus der Theodizee

360. … Zwar erblickt Gott, wenn er dieses Universum erwählt, mit einem Male die ganze Geschehensfolge und bedarf also keiner Verbindung der Wirkungen mit den Ursachen, um diese Wirkungen vorauszusehen. Aber in seiner Weisheit erwählt er eine auf das vollkommenste verbundene Geschehensfolge, und darum kann er nicht umhin, einen Teil dieser Folge im anderen zu erblicken. Es bildet eines der Gesetze meines Systems der allgemeinen Harmonie, daß die Gegenwart die Zukunft in sich enthält, und daß der Alles Sehende auch in dem Seienden das Werdende erblickt. Noch mehr: ich habe überzeugend dargetan, daß Gott in jedem Teil des Universums das ganze Universum sieht, und zwar dank der vollkommenen Verbindung der Dinge. Er sieht unendlich schärfer als Pythagoras, der aus dem Umfange der Fußspur des Herkules auf seine Körpergröße schloß. Es läßt sich also nicht bezweifeln, daß die Wirkungen auf bestimmte Weise aus ihren Ursachen hervorgehen, ungeachtet der Zufälligkeit, ja selbst der Freiheit, die beide nichtsdestoweniger mit Gewißheit und Determiniertheit zusammen bestehen.


57.) Und wie eine und dieselbe Stadt, von verschiedenen Seiten betrachtet, immer wieder anders und gleichsam perspektivisch vervielfältigt erscheint, geschieht es auch, daß es wegen der unendlichen Menge der einfachen Substanzen gleichsam ebensoviele verschiedene Welten gibt, die gleichwohl nichts anderes sind als die perspektivischen Ansichten des einzigen Universums, je nach den verschiedenen Gesichtspunkten jeder einzelnen Monade.

Ergänzungen aus der Theodizee

147. … am häufigsten geschieht das Übel, wenn diese Intelligenzen oder ihre kleinen Welten aneinander geraten. Der Mensch befindet sich, entsprechend seinem Unrecht, schlecht dabei, Gott aber wendet mit wunderbarer Kunst alle Mängel dieser kleinen Welten zur Ausschmückung seiner großen Welt an. Es verhält sich damit wie mit den perspektivischen Erfindungen, wo gewisse schöne Zeichnungen nur unklar hervortreten, bis man sie in ihren wahren Gesichtswinkel bringt oder sie durch ein bestimmtes Glas oder einen Spiegel betrachtet. Wenn man sie richtig stellt und benutzt, werden sie zur Zierde eines Zimmers. So lassen sich die scheinbaren Unschönheiten unserer kleinen Welt mit den Schönheiten der großen vereinigen und nichts mehr steht der Einheit eines unendlich vollkommenen universellen Prinzips im Wege im Gegenteil, diese Unschönheiten machen seine Weisheit um so bewundernswerter, jene Weisheit, die das Übel dem größeren Gut dienstbar sein läßt.

357. Zwar kann dieselbe Sache auf verschiedene Weise repräsentiert werden, allein es muß stets darin eine genaue Beziehung zwischen Vorstellung und Sache und infolgedessen auch zwischen den verschiedenen Vorstellungen ein und derselben Sache enthalten sein. Die perspektivischen Projektionen, welche beim Kreise Kegelschnitte bilden, zeigen, daß sogar ein Kreis unter Umständen als Ellipse, als Parabel, als Hyperbel, selbst als ein anderer Kreis, als gerade Linie und als Punkt vorgestellt werden kann. Nichts erscheint so verschieden und so unähnlich wie diese Figuren und dennoch stehen alle Punkte untereinander in genauer Beziehung. Ebenso muß man zugeben, daß jede Seele das Universum nach ihrem Blickpunkt vorstellt und daß sie in einzigartiger Beziehung zu ihm steht; allein immer und immer liegt dem eine vollkommene Harmonie zugrunde.

58.) Durch dieses Mittel wird die größtmögliche Mannigfaltigkeit erreicht, aber mit der größtmöglichen Ordnung, das heißt es wird dadurch so viel Vollkommenheit wie möglich erreicht.

Ergänzungen aus der Theodizee

120. … Gäbe es nur Geister, so brauchten sie in keiner notwendigen Verbindung zu stehen, und bedürften keiner zeitlichen und örtlichen Ordnung. Diese Ordnung erheischt die Materie, die Bewegung und ihre Gesetze; wird sie nach den Geistern auf die bestmögliche Weise geregelt, nun. so gelangt man eben zu unserer Welt. Betrachtet man die Dinge nur im Großen, so hält man tausenderlei für möglich, was in Wirklichkeit gar nicht statthaben kann. Verlangt man von Gott, er solle den Kreaturen keinen freien Willen geben, so verlangt man, diese Kreaturen sollen überhaupt nicht existieren: und will man, Gott solle sie an eitler mißbräuchlichen Benutzung hindern, so will man zugleich, daß diese Geschöpfe allein existieren sollen und mit ihnen das, was nur für sie geschaffen ist. Hätte Gott nur diese Geschöpfe vor Augen, dann würde er sie ohne Zweifel an ihrem Verderben hindern. Man kann jedoch mit einer gewissen Berechtigung sagen, daß Gott diesen Kreaturen die Fähigkeit mitgegeben habe, sich stets ihres freien Willens richtig zu bedienen, denn diese Fähigkeit wird dargestellt durch das natürliche Licht der Vernunft; einzig und allein der Wille gut zu handeln ist erforderlich, aber oft fehlt den Geschöpfen das Mittel, sich den nötigen Willen selbst zu geben; ja es fehlt ihnen sogar oft der Wille, sich der Mittel zu bedienen, die ihnen indirekt zu einem guten Willen verhelfen könnten, wie ich mehr als einmal gesagt habe. Man sollte diesen Fehler eingestehen und sollte sogar zugeben, daß Gott die Kreaturen vielleicht davon hätte entbinden können, da dem Anschein nach nichts im Wege steht, daß sie von Natur aus immer von einem guten Willen beseelt seien. Ich antworte jedoch darauf, es sei durchaus nicht notwendig und tunlich, daß alle vernunftbegabten Geschöpfe eine so hohe Vollkommenheit besitzen und der Gottheit so nahegerückt sind. Vielleicht wäre dies sogar nur durch eine besondere göttliche Gnade möglich; würde es aber in diesem Falle richtig sein, daß Gott sie allen gewährt, d. h. daß er allen vernünftigen Geschöpfen gegenüber den Wundertäter spiele? Nichts wäre vernunftloser als diese beständigen Wunder. Es gibt Abstufungen unter den Kreaturen, so will es die allgemeine Ordnung. Und es stimmt sehr gut mit der Ordnung der göttlichen Herrschaft überein, daß das große Vorrecht der Stärkung im Guten eher denen zuteil wird, die von einem guten Willen beseelt gewesen sind, solange sie sich noch in einem viel unvollkommeneren Zustande befanden, im Zustande des Kampfes und der Pilgrimschaft, in Ecclesia militante, in statu viatorum. Sogar die guten Engel sind nicht der Sünde unfähig erschaffen worden. Indessen will ich doch nicht zu behaupten wagen, daß es nicht von. Geburt an glückselige, oder von Natur aus sündlose und heilige Geschöpfe gebe. Einige sprechen dieses Vorrecht vielleicht der Heiligen Jungfrau zu, da sie ja auch von der katholischen Kirche heute den Engeln übergeordnet wird. Uns genügt es jedoch, daß das Universum sehr groß und mannigfaltig ist: wollte man es in Grenzen einzwängen, so hätte man nur schwache Vorstellungen davon. …

214. Es gibt eine Geometrie, die Herr Jungius aus Hamburg, einer der bedeutendsten Männer seiner Zeit, als empirische Geometrie bezeichnete. Diese Geometrie bedient sich solcher Beweise, die der Erfahrung entnom¬men sind und beweist mehrere Sätze des Euklid, und zwar besonders die von der Gleichheit zweier Figuren han¬delnden; indem eine Figur zerlegt wird und die einzelnen Stücke zu einer anderen zusammengefügt werden. Zerlegt man auf diese Weise die Quadrate über den Seiten des rechtwinkligen Dreiecks in die entsprechenden Teile und vereinigt diese Teile richtig, dann erhält man daraus das Quadrat über der Hypothenuse, und man hat damit den 47. Satz aus dem 1. Buch des Euklid bewiesen. Gesetzt den Fall, einige der Teilstücke der beiden kleineren Qua¬drate gingen verloren, so würde auch dem großen Quadrat, das man daraus bilden soll, etwas fehlen; und dieses verstümmelte Gebilde würde anstatt zu gefallen, abstoßend häßlich sein. Und wenn die übriggebliebenen Stücke, die das mangelhafte Gebilde zusammensetzen, für sich, ohne Rücksicht auf das Quadrat, zu dessen Erzeugung sie dienen sollen, betrachtet würden, so müßte man sie ganz anders anordnen, um ein erträglich zusammengesetztes Gebilde herzustellen. Sobald jedoch die beiseite gelegten Stücke sich wieder anfinden, und man die leeren Stellen in dem mangelhaften Gebilde ergänzt, so entsteht eine schöne und regelmäßige Figur, nämlich das gesamte große Quadrat. Und dies vollständige Gebilde wird viel schöner sein als jenes erträgliche, das aus den einzelnen, nicht verlorengegangenen Stücken gebildet worden war. Das vollständige Gebilde entspricht dem ganzen Universum, und das mangelhafte Gebilde, als Teil des vollständigen, entspricht einem Teile des Universums, worin wir Fehler finden, die der Schöpfer der Dinge darin geduldet hat, weil somit, wenn er diesen mangelhaften Teil verbessern und etwas Erträgliches daraus hätte machen wollen, das Ganze an Schönheit verloren hätte; denn die Teile des mangelhaften Gebildes zu einem erträglichen umgestellt, hätten nicht so verwandt werden können, wie es die Bildung des ganzen, vollkommenen Gebildes erheischte. …

242.
Man erstaune nicht, wenn ich diese Dinge durch Vergleiche mit der reinen Mathematik aufzuklären suche, in der alles ordnungsgemäß verläuft und in der man Mittel und Wege hat, sie durch eine genaue Untersuchung zu entwirren, aus der wir sozusagen einen erfreulichen Einblick in die göttlichen Ideen gewinnen. Man kann eine Folge oder Serie von Zahlen annehmen, die augenscheinlich ganz unregelmäßig ist und in der die Zahlen ganz verschieden zu- und abnehmen, ohne daß sich irgendeine Ordnung darin zeigt; und trotzdem wird derjenige, welcher den Schlüssel zu dem Rätsel besitzt und den Ursprung und Aufbau dieser Zahlenfolge kennt, ein Gesetz aufstellen können, das richtig aufgefaßt, die Serie als durchaus regelmäßig und sogar wohlproportioniert zeigt. Man kann dies durch Linien noch besser zeigen: eine Linie kann vorwärts oder rückwärts gehen, auf- und absteigen, Durchschnittspunkte, Wendepunkte, Unterbrechungen und andere Verschiedenheiten besitzen, so daß man durchaus nicht daraus schlau werden kann, zumal wenn man nur einen Teil der Linie betrachtet. Und dennoch kann man ihre Gleichung und Konstruktion aufstellen, in der ein Geometer den Grund und die Übereinstimmung all dieser angeblichen Unregelmäßigkeiten finden würde: so muß man auch Mißgeburten und andere angebliche Mängel des Universums beurteilen.

243. In diesem Sinne kann man von dem schönen Ausspruch des Heiligen Bernhard Gebrauch machen (Ep. 276, an Eugenius 1111): »Ordinatissimum est, minus interdum ordinate fieri aliquid« (Es gehört durchaus zur Ordnung im großen, dass im kleinen Unordnungen vorkommen): in der großen Ordnung herrscht stellenweis auch etwas Unordnung, und diese kleine Unordnung bedeutet für das Ganze nur Schein; sie ist sogar nur scheinbar im Hinblick auf die Glückseligkeit der diesen Weg der Ordnung Beschreitenden.

59.) Auch wird nur durch diese Hypothese (die ich bewiesen zu nennen wage), die Größe Gottes, so wie es sich gehört, herausgestellt. Das hat auch Herr Bayle anerkannt, als er in seinem Wörterbuch (Artikel Rorarius) dagegen Einwendungen machte, wobei er sogar versucht war zu glauben, daß ich Gott zuviel zuschriebe, und mehr als möglich ist. Er vermochte jedoch keinen Grund für die Unmöglichkeit dieser Welt-Harmonie anzuführen, kraft welcher jede Substanz durch die Beziehungen, in welchen sie allenthalben steht, alle übrigen Substanzen genau ausdrückt.

60.) Außerdem ersieht man aus dem soeben Vorgetragenen die Gründe a priori, warum die Dinge keinen anderen Verlauf nehmen können. Weil nämlich Gott bei der Ordnung des Ganzen auf jeden Teil und im besonderen auf jede Monade — die von Natur ein vorstellendes Wesen ist Rücksicht genommen hat, so ist nichts imstande, eine Monade dergestalt einzuschränken, daß sie nur einen Teil der Dinge vorstellen würde. Allerdings kann diese ihre Vorstellung nicht die ganze Mannigfaltigkeit der Welt deutlich zum Ausdruck bringen, sondern sie bleibt bis auf einen kleinen Teil der Dinge verworren. Und zwar ist sie nur in jenen Dingen deutlich, welche in bezug auf jedwede Monade entweder die nächsten oder die größten sind; andernfalls würde jede Monade eine Gottheit sein. Es ist also nicht der Gegenstand, sondern die Abstufung der Erkenntnis des Gegenstands, worin die Monaden beschränkt sind. Sie gehen alle in verworrener Weise auf das Unendliche, das Ganze aus. Aber sie sind begrenzt und voneinander verschieden nach den Graden der deutlichen Perzeptionen.


Ergänzungen aus der Theodizee
124. … Die Natur brauchte Tiere, Pflanzen, unbeseelte Körper; Wunder gibt es unter diesen nicht mit Vernunft begabten Geschöpfen, die der Vernunft zur Übung dienen. Was täte eine intelligente Kreatur, wenn es keine vernunftlosen Dinge gäbe? an was dächte sie, gäbe es keine Bewegung, keine Materie, keine Sinne? Hätte sie nur deutliche Gedanken, dann wäre sie ein Gott, und ihre Weisheit hätte keine Grenzen; das geht aus meinen Erwägungen hervor. Sobald es eine Mischung verworrener Gedanken gibt, gibt es Sinne, gibt es Materie. Denn diese verworrenen Gedanken entstammen dem Zusammenhang der Dinge unter sich nach Dauer und Ausdehnung. Daher gibt es in meiner Philosophie keine vernünftige Kreatur ohne einen organisierten Körper und keinen geschaffenen Geist, der völlig frei wäre von Materie. Aber diese organisierten Körper unterscheiden sich nicht minder an Vollkommenheit wie die Geister, denen sie angehören. Da aber die göttliche Weisheit eine körperliche Welt, da sie eine Welt perzeptionsunfähiger und vernunftloser Substanzen brauchte, da sie endlich unter allen möglichen Dingen das erwählen mußte, was den besten Zusammenklang ergab und das Laster durch diese Pforte eingetreten ist: so wäre Gott nicht vollkommen gut, nicht vollkommen weise gewesen, wenn er es ausgeschlossen hätte.

Welt-Zusammenhang
61.) Das Zusammengesetzte steht dabei mit dem Einfachen in einem sinnbildlichen Zusammenhang. Denn da alles voll und somit die gesamte Materie in sich verbunden ist, und da in dem Erfüllten jede Bewegung auf die entfernten Körper im Verhältnis der Entfernung etliche Wirkung ausübt — dergestalt, daß jeder Körper nicht allein von den ihn berührenden erregt wird und gewissermaßen alles, was in ihnen geschieht, selbst verspürt, sondern vermittels derselben auch die Einwirkung derer verspürt, welche an die ihn unmittelbar berührenden anstoßen —, so folgt daraus, daß sich diese Kommunikation auf jede beliebige Entfernung erstreckt. Somit verspürt jeder Körper alles, was in der Welt geschieht, so daß jemand, der alles sieht, in einem jeden einzelnen lesen könnte, was überall geschieht und sogar, was geschehen ist oder geschehen wird, indem er in dem Gegenwärtigen das nach Zeit und Ort Entfernte bemerkt. »Alles webt sich zum Ganzen«, wie Hippokrates sagte Aber eine Seele kann in sich selbst nur das deutlich Vorgestellte lesen; sie kann nicht auf einen Schlag ausseinanderlegen, was in ihr zusammengefaltet ist; denn diese Fältelung geht ins Unendliche.


Leib und Seele sind göttliche Automaten
62.) Obgleich also jede geschaffene Monade die ganze Welt vorstellt, so stellt sie doch mit besonderer Deutlichkeit den Leib vor, der ihr speziell angewiesen ist und dessen Entelechie sie ausmacht. Und da dieser Körper infolge des Zusammenhangs der gesamten Materie in dem Erfüllten die ganze Welt ausdrückt, so stellt auch die Seele die ganze Welt vor, indem sie diesen Körper vorstellt, der ihr auf eine eigentümliche Weise zugehört.

63.) Der Leib, welcher einer Monade zugehört, die seine Entelechie oder Seele ist, bildet mit der Entelechie das, was man ein Lebendiges nennen kann, und mit der Seele das, was man Tier nennt. Nun ist aber dieser Körper eines Lebendigen oder eines Tieres immer organisch; denn da jede Monade nach ihrer Weise ein Spiegel der Welt und die Welt nach einer vollkommenen Ordnung geregelt ist, so muß es auch eine Ordnung in dem Vorstellenden geben, d. h. in den Perzeptionen der Seele und folglich auch in dem Körper, gemäß welchem die Welt in der Seele vorgestellt wird.


Ergänzungen aus der Theodizee

403. ... Allein, wir bilden unsere Vorstellungen nicht, weil wir es wollen; sie bilden sich in uns, sie bilden sich durch uns, nicht als Folge unseres Willens, sondern gemäß unserer Natur und der Natur der Dinge. Und wie der Fötus sich in dem Tiere bildet, wie tausend andere Wunder der Natur durch einen bestimmten, von Gott eingepflanzten Instinkt erzeugt werden, d. h. vermöge der göttlichen Praeformation, die diese bewunderungswürdigen, auf mechanische Weise so schöne Wirkungen hervorbringenden Automaten erschaffen hat; so kann man ohne Schwierigkeiten schließen, daß die Seele ein geistiger, noch weit bewunderungswürdigerer Automat ist, und daß sie diese schönen Vorstellungen, woran unser Wille keinen Anteil hat, und die innere Kunst nicht erreichen kann, durch göttliche Praeformation erzeugt. Die Tätigkeit der geistigen Automaten, d. h. der Seelen, ist durchaus nicht mechanisch, aber sie enthält eminenter das Schöne der Mechanik: die von den Körpern ausgeführten Bewegungen sind durch die Vorstellung darin zusammengedrängt, wie in einer idealen Welt, welche die Gesetze der wirklichen Welt und ihre Folgen ausdrückt, nur mit jenem Unterschiede von der vollkommenen idealen, in Gott vorhandenen Welt, daß ihre meisten Perzeptionen verworren sind. Jede einfache Substanz enthält nämlich in ihren verworrenen Vorstellungen oder Gefühlen das Universum, und die Reihenfolge dieser Perzeptionen wird durch die besondere Natur jener Substanz geregelt, aber so, daß sie stets die ganze universelle Natur ausdrückt: und jede gegenwärtige Perzeption strebt zu einer neuen Perzeption, wie jede durch sie repräsentierte Bewegung auf eine andere Bewegung abzielt. Die Seele kann jedoch unmöglich ihre ganze Natur deutlich erkennen und es sich zum Bewußtsein bringen, wie jene zahllose Menge kleiner Perzeptionen, die in ihr angehäuft oder besser konzentriert ist, in ihr gebildet werden: dazu müßte sie das ganze darin enthaltene Universum vollkommen erkennen, das heißt sie müßte ein Gott sein.


64.) Daher ist jeder organische Körper (Leib) eines Lebendigen eine Art von göttlicher Maschine oder natürlichem Automaten, der alle künstlichen Automaten unendlich übertrifft.
Eine durch menschliche Kunst verfertigte Maschine ist nämlich nicht in jedem ihrer Teile Maschine. So hat zum Beispiel der Zahn eines Messingrades Teile oder Bruchteile, die für uns nichts Künstliches mehr sind und die nicht mehr an sich haben, was in bezug auf den Gebrauch, zu dem das Rad bestimmt war, etwas Maschinenartiges verrät. Aber die Maschinen der Natur, d. h. die lebendigen Körper, sind noch Maschinen in ihren kleinsten Teilen bis ins Unendliche. Das ist der Unterschied zwischen der Natur und der Technik, d. h. zwischen der göttlichen Kunstfertigkeit und der unsrigen.


Ergänzungen aus der Theodizee
134. … Allerdings haben wir davon schon Beweise und Proben vor unseren Augen, wenn wir auf eine völlig in sich geschlossene Sache, auf irgendein in sich vollendetes Ganzes und sozusagen unter den Werken Gottes Abgesondertes blicken. Ein solches Ganzheitsgebilde aus der Hand Gottes ist eine Pflanze, ein Tier, ein Mensch. Seine Schönheit und kunstvolle Struktur können wir nicht genug bewundern. Erblicken wir aber einen zerbrochenen Knochen, ein Stück Fleisch von einem Tiere, einen Pflanzenzweig, so sehen wir darin nur Unordnung, wofern nicht gerade ein hervorragender Anatom all dieses betrachtete: und selbst dieser würde nichts erkennen, hätte er nicht zuvor ähnliche Stücke zu einem Ganzen verbunden gesehen. Genau so verhält es sich mit der göttlichen Regierung: was wir davon erblicken, ist kein genügend großes Gebiet, um aus ihm schon die Schönheit und Ordnung des Ganzen zu erkennen. Also nötigt uns sogar die Natur der Dinge, diese Ordnung des göttlichen Staates, die wir hinieden noch nicht vor uns sehen, zum Gegenstand unseres Glaubens, unserer Hoffnung und unseres Gottvertrauens zu machen. Wollen einige anders darüber denken, um so schlimmer für sie; sie sind Mißvergnügte im Reiche des größten und besten aller Monarchen und haben unrecht, wenn sie die Proben von seiner unendlichen Weisheit und Güte, die er ihnen gegeben, nicht benutzen. Denn er wollte sich nicht nur bewundern lassen, sondern sich auch über alle Maßen liebenswert zu erkennen geben.

146. … allemal wenn wir ein solches Werk Gottes erblicken, finden wir es so vollendet, daß wir seine Kunstfertigkeit und Schönheit bewundern müssen; erblickt man aber kein in sich geschlossenes Werk, sieht man nur Fetzen und Bruchstücke, dann ist es kein Wunder, wenn die gute Ordnung daraus nicht hervortritt.
Das System unserer Planeten bildet solch ein abgesondertes und vollkommenes Werk, wenn man es für sich betrachtet; jede Pflanze, jedes Tier, jeder Mensch enthält ein solches bis zu einem gewissen Grade vollkommenes System, an ihnen erkennt man die wunderbare Geschicklichkeit ihres Schöpfers, aber das Menschengeschlecht stellt, so weit es uns bekannt ist, nur ein Fragment dar, nur einen kleinen Teil des göttlichen Reiches oder der geistigen Republik. Für uns ist dieses Reich zu ausgedehnt, und wir kennen zu wenig davon, um die darin herrschende wunderbare Ordnung bemerken zu können. …


65.) Der Urheber der Natur konnte dieses göttliche und unendlich wunderbare Kunstwerk ausführen, weil jedes Stück Materie nicht nur, wie die Alten erkannt haben, ins Unendliche teilbar, sondern auch jedes Stück tatsächlich ohne Ende in Teile weitergeteilt ist, von denen jedes eine eigene Bewegung hat. Andernfalls würde es nämlich unmöglich sein, daß jeder Teil der Materie die Welt auszudrücken vermag.

Ergänzungen aus der Theodizee

70. (Einleitung zur Theodizee) An einer Stelle seiner Prinzipien gesteht Herr Descartes auch, es sei unmöglich, die Schwierigkeiten einer unendlichen Teilung der Materie, an der er trotzdem festhält, zu beheben. Arriaga und andere Scholastiker bekennen sich zur gleichen Ansicht, hätten sie sich jedoch Mühe gegeben, die Einwände der Form entsprechend zu gestalten, so würden sie gesehen haben, daß die Verlegenheit aus fehlerhaften Folgerungen und mitunter aus unklaren Voraussetzungen entsteht. Ich gebe hierfür ein Beispiel: ein tüchtiger Mann stellte mir eines Tages das folgende Problem: die Gerade BA werde durch den Punkt C in zwei gleiche Teile geteilt, der Teil CA durch den Punkt D, DA durch E und so fort ad infinitum; alle die Hälften BC, CD, DE usw. bilden zusammen die ganze Gerade BA; da die Gerade in A endigt, muß es also eine letzte Hälfte geben. Aber eine solche letzte Hälfte ist Unsinn; denn da sie eine Linie ist, so ließe sie sich immer wieder zerschneiden. Deshalb läßt sich eine Teilung ins Unendliche nicht annehmen. Ich wies ihn jedoch darauf hin, daß man nicht schließen darf, es müsse eine letzte Hälfte geben, weil es einen letzten Punkt A gibt; denn dieser letzte Punkt hat ja teil an allen Hälften auf seiner Seite. Das hat mein Freund sogar selbst erkannt, als er diesen Schluß durch ein Argument in streng logischer Form zu beweisen suchte: im Gegenteil, gerade weil die Teilung ins Unendliche geht, gibt es keine letzte Hälfte. Obgleich die Gerade AB begrenzt ist, folgt daraus doch nicht, daß ihre Teilung jemals ein Ende finde. In die nämliche Verlegenheit bringt man sich mit den ins Unendliche gehenden Zahlenreihen. Man ersinnt ein Endglied, eine unendlich große oder eine unendlich kleine Zahl: aber das sind alles nur Fiktionen. Jede Zahl ist endlich und bestimmbar, jede Linie ebenfalls, und das Unendlichgroße oder Unendlichkleine bezieht sich nur auf die Größen, die so klein und groß angenommen werden können wie man will, um zu zeigen, daß ein Irrtum kleiner ist als man annahm, d. h. daß es gar kein Irrtum ist; oder aber man meint mit dem Unendlichkleinen den Zustand einer Größe bei ihrem Dahinschwinden oder bei ihrem Entstehen, verglichen mit den schon gebildeten Größen.

195. … in dem kleinsten Teilchen der Materie sind schon unendlich viele Kreaturen enthalten auf Grund der unendlichen Teilbarkeit des Kontinuums. Und das Unendliche, d. h. die Anhäufung unendlich vieler Substanzen im eigentlichen Sinne ist kein größeres Ganzes als die unendliche Zahl selbst, die man weder als gerade noch als ungerade bezeichnen kann. Damit können wir alle widerlegen, die aus der Welt einen Gott machen oder Gott als Weltseele auffassen; denn die Welt oder das Universum kann nicht als Tier oder als Substanz betrachtet.


Alles lebt und ist in jedem
66.) Daraus ersieht man, daß es in dem kleinsten Teil der Materie eine Welt von Geschöpfen, von Lebendigem, von Tieren, Entelechien, Seelen gibt.

67.) Jedes Stück Natur kann als ein Garten voller Pflanzen und als ein Teich voller Fische aufgefaßt werden. Aber jeder Zweig der Pflanze, jedes Glied des Tiers, jeder Tropfen seiner Säfte ist wiederum ein solcher Garten oder ein solcher Teich.

68.) Und obwohl die zwischen den Pflanzen des Gartens befindliche Erde und Luft oder das zwischen den Fischen des Teichs befindliche Wasser weder Pflanze noch Fisch ist, so enthalten sie deren doch wieder, aber meistens von einer uns unerfaßbaren Subtilität.

69.) Daher gibt es nichts Ödes, nichts Unfruchtbares, nichts Totes in der Welt; kein Chaos, keine Verwirrung, außer nur scheinbare; ungefähr wie eine solche scheinbar auch in dem Teiche sein würde, wenn man aus einiger Entfernung eine verworrene Bewegung und sozusagen ein Gewimmel von Fischen sähe, ohne die Fische selbst zu unterscheiden.


Vorrede zur Theodizee
Im Innern der Dinge gibt es überhaupt nichts Chaotisches und die Organisation ist in einer Materie, deren Anlagen von Gott bestimmt sind, eine durchgängige. Ja, man würde den organischen Kern um so besser darin entdecken, je weiter man in der Zerlegung der Körper gehen würde, und würde die Anlagen immer wieder entdecken, wenn man auch bis ins Unendliche fortschritte, wie die Natur und die Weiterteilung in unserem Erkennen so fortsetzen würde, wie die Natur sie in Wirklichkeit fortgesetzt hat.


70.) Man sieht hieraus, daß jeder lebendige Körper eine herrschende Entelechie hat, welche in dem Tiere die Seele ist. Aber die Glieder dieses lebendigen Körpers sind voll von anderem Lebendigen, von Pflanzen, von Tieren, deren jedes wiederum seine Entelechie oder seine herrschende Seele hat.

71.) Indessen darf man sich nicht einbilden, wie einige infolge eines Mißverständnisses meiner Lehre getan haben, daß jede Seele eine Masse oder ein Stück Materie habe, welche ihr für immer zu eigen gehöre oder zugewiesen sei, und daß sie infolgedessen andere niedere Lebewesen besitze, die stets zu ihrem Dienste bestimmt sind. Vielmehr befinden sich alle Körper in einem immerwährenden Ab- und Zuflusse wie die Ströme, und es treten fortwährend Teile ein und aus.

Schein des Todes
72.) Daher wechselt die Seele den Körper nur allmählich und stufenweise, dergestalt, daß sie niemals auf einen Schlag aller ihrer Organe beraubt ist. Metamorphosen gibt es oft bei den Tieren, aber niemals eine Metempsychose oder Seelenwanderung. Auch gibt es keine ganz und gar für sich bestehende Seelen oder Genien ohne Körper. Gott allein ist vom Körper völlig frei.


Ergänzungen aus der Theodizee

90. Da ich in sich gefestigte Sätze liebe, die möglichst wenig Ausnahmen zulassen, so will ich hier das anführen, was mir bei dieser wichtigen Frage in jeder Hinsicht am triftigsten erscheint. Ich bin der Meinung, die Seelen oder allgemein die einfachen Substanzen können nur auf dem Wege der Schöpfung entstehen und können nur durch Vernichtung aufhören: und wie die Bildung lebendiger organisierter Körper nur dann nach der Naturordnung erklärlich scheint, wenn man eine schon organische Praeformation annimmt, so folgere ich daraus, die sogenannte Erzeugung eines Tieres sei nur eine Umformung und Vermehrung, da der nämliche Körper bereits organisiert war, so liegt es nahe, daß er auch schon belebt war und die nämliche Seele besaß; ebenso wie ich umgekehrt aus der Erhaltung der Seele, wenn sie einmal erschaffen ist, folgere, daß das Lebewesen auch erhalten wird und daß uns der sichtbare Tod nur etwas verhüllt; denn in der ganzen Naturordnung gibt es keine Belege für die Auffassung, die Seelen existierten völlig getrennt von jedem Körper und das auf nicht natürliche Weise Entstehende könne durch die Naturkräfte zerstört werden.

91. Nachdem wir eine so herrliche Ordnung und so allgemein anwendbare Regeln für die Lebewesen aufgestellt, erschiene es unvernünftig, wenn der Mensch ganz davon ausgeschlossen sein sollte und bei ihm alles Seelische durch ein Wunder geschähe. Schon mehr als einmal habe ich hervorgehoben, wie sehr es für die Weisheit Gottes spricht, daß alle seine Werke voller Harmonie sind und daß Natur und Gnade einander entsprechen. Deshalb glaube ich auch, daß die Seelen, die dazu berufen waren, eines Tages Mensch zu werden, gleich den Seelen jeder anderen Art, im Samen und in den Vorfahren bis auf Adam enthalten waren und infolgedessen seit Beginn der Welt immer in einer Art organischem Körper existiert haben … Aus mehreren Gründen aber erscheint es mir noch wahrscheinlicher, daß die Seelen damals nur in sensitivem oder animalischem Zustand, mit Vorstellungsvermögen und Empfindung begabt, aber ohne Vernunft, existierten; und daß sie in diesem Zustande bis auf die Zeit verblieben, wo der Mensch, dem sie angehören sollten, erzeugt wurde, daß sie aber auch dann erst Vernunft erhielten, entweder dadurch, daß eine sensitive Seele auf natürlichem Wege zur vernünftigen Seele werden kann (was ich aber schwer begreife), oder dadurch, daß Gott dieser Seele auf eine besondere Weise Vernunft einpflanzte, oder endlich durch eine Art Transkreation (übertragende Schöpfung). Dem kann man sich um so leichter anschließen, als uns die Offenbarung von einer Reihe anderer unmittelbarer Einwirkungen Gottes auf unsere Seelen Kunde gibt. Diese Erklärung dürfte geeignet sein, die hierbei in der Philosophie oder Theologie auftretenden Bedenken zu heben, da der Ursprung der Formen ganz aufhört, schwer begreiflich zu sein, und es mit der göttlichen Gerechtigkeit weit eher im Einklang steht, wenn er der durch Adams Sünde bereits physisch oder animalisch verdorbenen Seele eine neue Vollkommenheit verleiht, nämlich die Vernunft, anstatt daß er durch Schöpfung oder auf andere Weise eine vernünftige Seele in einen Körper versetzt, wo sie moralisch zugrunde gerichtet werden muß.


73.) Aus diesem Grunde gibt es auch streng genommen niemals eine völlige Neuerzeugung und niemals einen vollkommenen, in der Trennung der Seele vom Körper bestehenden Tod. Was wir Zeugung nennen, ist in Wahrheit Entwicklung und Wachstum. So ist auch, was wir Tod nennen, Einziehung und Verminderung.

74.) Die Philosophen sind über den Ursprung der Formen, Entelechien oder Seelen sehr in Verlegenheit gewesen. Nachdem man aber heutzutage durch genaue Untersuchungen an Pflanzen, Insekten und anderen Lebewesen beobachtet hat, daß die organischen Naturkörper niemals aus einem Chaos oder aus einer Fäulnis hervorgehen, sondern immer aus Samen, in welchen ohne Zweifel irgendeine Präformation bestand, ist man zu der Ansicht gekommen, daß nicht allein der organische Körper schon vor der Empfängnis im Samen vorhanden war, sondern auch eine Seele in diesem Körper und mit einem Wort das Lebewesen selbst. Vermittelst der Empfängnis wird dieses Lebewesen lediglich zu einer großen Umbildung befähigt; es wird dadurch ein Geschöpf anderer Art. Etwas ähnliches bemerkt man selbst ohne Zeugung, wenn zum Beispiel die Maden zu Fliegen und die Raupen zu Schmetterlingen werden.


Ergänzungen aus der Theodizee
86. Die erste Schwierigkeit ist die, wie die Seele von der Erbsünde, der Wurzel aller tätigen Sünden, angesteckt werden konnte, ohne daß Gott ungerecht handelte. als er sie in diese Lage brachte. Aus dieser Schwierigkeit sind drei Ansichten über den Ursprung der Seele selbst entstanden: die der Praeexistenz der menschlichen Seelen in einer anderen Welt oder in einem anderen Leben, wo sie gesündigt hätten und deswegen zur Gefangenschaft im Menschenleibe verdammt worden wären. Das ist die Ansicht der Platoniker, der auch Origenes zuneigte und die man noch heute bei Sektierern antrifft. Henry Morus, ein englischer Gelehrter, hat in einem besonderen Buche etwas derartiges behauptet. Einige, die diese Praeexistenz behaupteten, sind bis zur Metempsychose gegangen. Auch Herr Helmont der Jüngere war dieser Ansicht und der scharfsinnige Verfasser »metaphysischer Meditationen« (1678 veröffentlicht), namens Wilhelm Wander, scheint eine Neigung dazu zu haben. Die zweite Meinung ist die der Traduktion, nach der die kindliche Seele per Traducem von der Seele oder von den Seelen derer hervorgebracht wäre, die den Körper erzeugt hätten. Augustin vertrat sie, um die Erbsünde besser sichern zu können. Auch die meisten Theologen Augsburgischer Konfession lehren sie. Sie ist jedoch nicht ganz und gar bei ihnen anerkannt, da die Universitäten von Jena, Helmstädt und andere ihr schon seit langem feindlich gegenüberstehen. Die dritte und heute am meisten angenommene Meinung ist die der Kreation. Sie wird in den meisten christlichen Schulen gelehrt, enthält aber auch die größten Schwierigkeiten in bezug auf die Erbsünde.

89. Will man den Ursprung der menschlichen Seele feststellen, so sind jedoch Traduktion und Eduktion in gleicher Weise unbrauchbar. Mit den substantiellen Formen verhält es sich nicht so; denn diese sind nur Modifikationen der Substanz und ihr Ursprung läßt sich durch die Eduktion erklären, d. h. wie bei dem Ursprung der Figuren durch eine veränderte Begrenzung. Ganz anders verhält es sich jedoch mit dem Ursprung einer Substanz, deren Beginn und Vernichtung gleich schwierig dargetan werden kann. Sennert und Sperling haben es beide nicht gewagt, den Seelen der Tiere oder anderen ursprünglichen Formen Subsistenz und Unzerstörbarkeit zuzuschreiben, obwohl sie diese als unteilbar und immateriell anerkennen. Sie vermengen jedoch hierbei Unzerstörbarkeit und Unsterblichkeit, worunter man beim Menschen versteht, daß nicht nur die Seele, sondern auch die Individualität subsistiere: d. h. indem man sagt, die Seele des Menschen ist unsterblich, läßt man das fortbestehen, was die Identität der Person ausmacht, die dadurch ihre moralische Qualität erhält, daß sie das Bewußtsein oder das innere reflexive Wissen um ihre Beschaffenheit bewahrt: nur deshalb kann sie bestraft und belohnt werden. Für die Tierseele gibt es keine solche Erhaltung der Individualität, und darum halte ich es für richtiger zu sagen, die Tierseelen seien unvergänglich als sie seien unsterblich. Indessen scheint dieses Mißverständnis eine große Inkonsequenz in der Lehre der Thomisten und anderer tüchtiger Philosophen verschuldet zu haben, die allen Seelen Immaterialität und Unteilbarkeit zusprechen, ohne ihre Unzerstörbarkeit anzuerkennen, zum großen Nachteil der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Johannes Scotus, d.h. der Schotte (was früher Iberier oder »in Irland geboren« Erigena — bedeutete), der berühmte Schriftsteller aus der Zeit Ludwigs des Frommen und seiner Söhne, entschied sich für die Erhaltung aller Seelen; und ich vermag nicht einzusehen, warum es weniger unpassend sein sollte, den Atomen Epicurs oder Gassendis dauernde Existenz beizulegen als die wirklich einfachen und unteilbaren Substanzen, die einzigen und wahren Atome der Natur, subsistieren zu lassen. Pythagoras sagt mit Recht bei Ovid (Met. XV, 158): Morte carent animae. [Die Seelen sind vom Tode frei].

397. Wie ich oben (Teil 1, § 86ff.) gezeigt habe, können die Seelen auf natürlichem Wege weder entstehen noch aus einander erschaffen werden, und muß auch die unserige entweder geschaffen oder präexistierend sein. Ich habe sogar auf einen gewissen Mittelzustand zwischen Schöpfung und völliger Präexistenz hingewiesen, als ich die Behauptung aufstellte, die im Samen seit Anbeginn der Dinge präexistierende Seele sei nur mit Empfindungen begabt, sie werde aber zu höherem Grade, zur Vernunft, emporgehoben, wenn der Mensch, dem diese Seele zu eigen sein soll, geschaffen worden und der organisierte Körper, der unter vielen Veränderungen von Anfang an ständige Begleiter dieser Seele, zur Bildung des menschlichen Körpers bestimmt worden ist. Ich habe auch vermutet, man könne diese Erhebung der sensitiven Seele (wodurch sie zu einem wesentlich höheren Grade, d. h. zur Vernunft, gelangt) der außerordentlichen göttlichen Wirksamkeit zuschreiben. Doch sei lieber hinzugefügt, daß ich bei der Erzeugung des Menschen und der übrigen Tiere besser auf ein Wunder verzichten möchte, und zwar auf die Weise, daß man annimmt, unter vielen Seelen und Tieren, oder wenigstens unter den vielen im Samen enthaltenen lebenden organisierten Körpern, schließen nur jene Seelen, die da eines Tages Menschengestalt annehmen sollen, die Vernunft, die dereinst in ihnen erscheinen wird, in sich, und nur die organisierten Körper dieser Seelen sind praeformiert empfänglich gemacht, dereinst Menschengestalt anzunehmen, während sich die übrigen kleinen Lebewesen oder Samentierchen, die nicht derartig bestimmt sind, wesentlich von ihnen unterscheiden und nur Geringeres in sich bergen. Diese Erzeugung ist eine Art Traduktion, doch ist sie annehmbarer als die gewöhnlich gelehrte: sie läßt nicht die Seelen, sondern nur die Lebewesen auseinander hervorgehen und vermeidet die häufigen Wunder einer neuen Schöpfung, durch die eine neue Seele einem Körper ein. verleibt wird, der sie zugrunde richten muß.

75.) Die Lebewesen, von denen einige vermittels der Empfängnis auf die Stufe größerer Tiere erhoben werden, kann man spermatische nennen. Diejenigen unter ihnen, welche in ihrer Art verbleiben — und das ist die Mehrzahl —, werden geboren, vermehren sich und verfallen wie die großen Tiere. Nur eine kleine Anzahl von Auserwählten geht auf einen größeren Schauplatz über.

76.) Dies wäre jedoch erst die Hälfte der Wahrheit: Ich folgerte daher, daß, wenn das Tier niemals auf natürlichem Wege beginnt, es auch niemals auf natürlichem Wege endet, und daß es nicht nur keine völlige Neuerzeugung geben wird, sondern auch weder gänzliche Zerstörung noch Tod im strengen Sinne. Die a posteriori gemachten und aus der Erfahrung gezogenen Schlüsse stimmen auch hier vollkommen mit meinen a priori abgeleiteten Prinzipien überein.


Unsterblichkeit der Seele
77.) Man kann also sagen, daß nicht allein die Seele (als Spiegel einer unzerstörbaren Welt) unzerstörbar ist, sondern auch das Tier selbst, obwohl seine Maschine oft teilweise untergeht und organische Hüllen abwirft oder annimmt.

Prästabilierte Harmonie

78.) Diese Prinzipien haben mir ein Mittel an die Hand gegeben, durch welches man die Vereinigung oder vielmehr die Übereinstimmung der Seele mit dem organischen Leib auf natürliche Weise erklären kann. Die Seele folgt ihren eigenen Gesetzen und ebenso der Leib den seinigen; sie treffen zusammen kraft der Harmonie, welche unter allen Substanzen prästabiliert ist, da sie sämtlich Vorstellungen einer und derselben Welt sind.


Ergänzungen aus der Theodizee

Vorrede. Es wird vielleicht zweckmäßig sein, darauf aufmerksam zu machen, bevor ich dieses Vorwort schließe, daß ich, obgleich ich den physischen Einfluß der Seele auf den Körper oder umgekehrt bestreite, das heißt einen solchen Einfluß, der zur Folge hat, daß ein Teil die Gesetze des anderen stört, ich darum nicht die an ihre Stelle tretende Vereinigung des einen mit dem anderen bestreite; diese Vereinigung aber ist etwas Metaphysisches, wodurch an den Erscheinungen selbst sich nichts ändert. …. So kann man denn auch, wenn man dies im metaphysischen Sinne versteht, behaupten. die Seele wirke auf den Körper ein und umgekehrt. Es ist auch durchaus richtig, daß die Seele die Entelechie oder das aktive Prinzip bildet, während das Körperliche rein für sich oder das bloß Materielle nur das Passive enthält, so daß also in den Seelen das Prinzip der Tätigkeit zu suchen ist.

355. Das wahre Mittel, wodurch Gott es bewerkstelligt, daß die Seele Empfindung von körperlichen Vorgängen besitzt, entstammt der Natur der Seele: sie repräsentiert die Körper und ist von vornherein so eingerichtet, daß die in ihr durch eine natürliche Gedankenfolge auseinander entstehenden Repräsentationen der Veränderung in den Körpern entsprechen.

400. Ich gebe zu, daß die Seele die Organe durch einen physischen Einfluß nicht bewegen kann, denn meiner Meinung nach muß der Körper von vornherein derartig geschaffen sein, daß er zur richtigen Zeit und am richtigen Ort tut, was dem Willen der Seele entspricht, obgleich trotzdem die Seele das wirkende Prinzip ist. Für die Behauptung jedoch, die Seele erzeuge weder ihre Gedanken noch ihre Sinnesempfindungen, Schmerz- und Lustgefühle, sehe ich nicht den mindesten Grund. Für mich muß jede einfache Substanz (d. h. jede wirkliche Substanz) die wirkliche, unmittelbare Ursache ihres gesamten inneren Handelns und Leidens sein; und im ganz streng metaphysischen Sinne besitzt sie überhaupt nur das, was sie selbst hervorbringt. Diejenigen, welche anderer Ansicht sind und Gott allein handeln lassen, geraten ohne Grund bei Ausdrücken in Verlegenheit, denen sie sich nur mit Mühe entwinden können, ohne gegen die Religion zu verstoßen: abgesehen davon, daß sie ganz und gar gegen die Vernunft verstoßen.


79.) Die Seelen wirken nach den Gesetzen der Finalgründe durch Begehrungen, Zwecke und Mittel. Die Körper wirken nach den Gesetzen der bewirkenden Ursachen oder der Bewegungen. Und diese beiden Reiche, das der bewirkenden Ursachen und das der Finalgründe, harmonieren miteinander.

80.) Descartes hat erkannt, daß die Seelen den Körpern keine Kraft geben können, weil die Größe der Kraft in der Materie immer dieselbe ist. Indessen meinte er, daß die Seele die Richtung des Körpers ändern könne. Das war aber nur eine Folge davon, daß man zu seiner Zeit das Naturgesetz noch nicht kannte, nach welchem in der Materie auch die nämliche Gesamtrichtung erhalten wird. Wenn Descartes das gewußt hätte, so würde er auf mein System der prästabilierten Harmonie verfallen sein.


Ergänzungen aus der Theodizee
59. Ich habe soeben gezeigt, wie die Willenshandlung von diesen Ursachen abhängt, daß nichts der menschlichen Natur so sehr entspricht, wie diese Abhängigkeit unserer Handlungen, und daß man sonst einer absurden und unerträglichen sklavischen Notwendigkeit, d. h. dem Fatum Mahometanum verfiele: und dies ist das schlimmste von allem, da es Voraussicht und Überlegung zuschanden macht. Indessen wäre es gut, nun auch zu zeigen, wie diese Abhängigkeit der Handlungen es nicht hindert, daß in allem eine uns wunderbar erscheinende Spontaneität steckt, die gewissermaßen die Seele in ihren Entschlüssen von dem physischen Einfluß aller anderen Geschöpfe unabhängig macht. Diese bis jetzt wenig bekannte Spontaneität, die unsere Herrschaft über unsere Handlungen soweit wie möglich ausdehnt, ist eine Folge des Systems der praestabilierten Harmonie, auf das ich jetzt etwas näher eingehen muß. Die Schulphilosophen glaubten, es bestände ein wechselseitiger physischer Einfluß zwischen Körper und Seele, aber seit man erkannte, daß das Denken und die Materie nichts miteinander gemeinsam haben, sondern daß es toto genere verschiedene Schöpfungen sind, sahen mehrere Moderne ein, daß es keine physische Verbindung zwischen der Seele und dem Körper gäbe, obgleich die metaphysische Verbindung ständig vorhanden ist und es bewirkt, daß Seele und Körper ein Substrat bilden, das man eine Person nennt. Gäbe es nämlich eine solche physische Verbindung, dann könnte die Seele die Geschwindigkeit und Richtung irgendwelcher Bewegungen in dem Körper und der Körper umgekehrt die Gedankenfolge in der Seele ändern. Man kann jedoch diese Wirkung aus keiner Vorstellung herleiten, die man im Körperlichen oder Seelischen antrifft; obwohl wir nichts genauer kennen als die Seele, da sie uns, d. h. sich selbst innig vertraut ist.

60. Herr Descartes wollte nachgeben und einen Teil der Seele von der körperlichen Tätigkeit abhängig machen. Er glaubte im Besitz einer Naturgesetzmäßigkeit zu sein, wonach sich im Körper die gleiche Bewegungsquantität erhält. Er hielt es für unmöglich, daß der Einfluß der Seele jenes Gesetz der Körper verletzen könne, aber er glaubte, die Seele habe dennoch die Macht, die Richtung der Bewegungen im Körper zu verändern; ungefähr wie ein Reiter dem Pferde keine Kraft erteilt, aber es trotzdem leitet und jene Kraft nach seinem Gutdünken lenkt. Aber da dies durch Zügel, Gebiß, Sporen und andere körperliche Hilfsmittel geschieht, so versteht man es; die Seele hat jedoch keine Werkzeuge, deren sie sich zu diesem Zwecke bedienen kann; weder in der Seele noch im Körper, d. h. weder im Denken noch in der Materie findet sich irgend etwas, das diese gegenseitige Veränderung erklärlich machen könnte. Kurz und gut, daß die Seele die Menge der Kraft und daß sie die Richtung der Kraftlinie verändert, dies sind zwei gleich unerklärliche Vorgänge.

61. Außerdem hat man seit Descartes zwei bedeutende sich hierauf beziehende Wahrheiten gefunden: die erste besagt, daß die absolute Kraftmenge in der Wirkung erhalten bleibt und von der Bewegungsgröße unterschieden ist, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe. Die zweite Entdeckung geht dahin, daß sich in allen Körpern, deren Wechselwirkung man annimmt, die gleiche Bewegungsrichtung erhält, wie sie auch aufeinander treffen mögen. Hätte Herr Descartes diese Regel gekannt, so würde er die Richtung der Körper ebenso unabhängig von der Seele gemacht haben wie ihre Kraft; und ich glaube, dies hätte ihn geradewegs auf die Hypothese von der prästabilierten Harmonie geführt, worauf mich diese Regel geführt hat. Abgesehen davon, daß der physische Einfluß dieser beiden Substanzen aufeinander unerklärlich ist, bin ich mir klar geworden, daß ohne eine völlige Aufhebung der Naturgesetze die Seele auf den Körper physisch nicht wirken kann. Hier kann man auch nicht auf sonst tüchtige Philosophen hören, die einen Gott wie eine Theatermaschine figurieren lassen, um das Stück zu beenden, indem sie behaupten, Gott beschäftige sich ausgerechnet damit, die Körper nach dem Wunsch der Seele zu bewegen und der Seele die Vorstellungen zu geben, nach denen der Körper gelüstet, um so weniger als dieses sogenannte System der Gelegenheitsursachen (weil es lehrt, Gott richte seine Tätigkeit auf den Körper bei der Gelegenheit, welche die Seele ihm gibt und vice versa nicht nur mit ständigen Wundem operiert, um die Verbindung zwischen diesen beiden Substanzen zu bewerkstelligen, sondern auch die Aufhebung der Naturgesetze nicht verhütet, welche in jeder von diesen Substanzen begründet sind: diese Störung würde nämlich der nach allgemeiner Ansicht bestehende Einfluß zur Folge haben.

62. So war ich außerdem im allgemeinen von jenem Prinzip der Harmonie überzeugt und dadurch auch von der Praeformation und der praestabilierten Harmonie zwischen allen Dingen, zwischen der Natur und der Gnade, den göttlichen Entschlüssen und unseren vorhergesehenen Handlungen, zwischen allen Teilen der Materie und sogar zwischen Zukunft und Vergangenheit — alles in Übereinstimmung mit der höchsten Weisheit Gottes, dessen Werke die denkbar harmonischsten sind. Daher mußte ich auf dieses System kommen, nach welchem Gott die Seele uranfänglich so erschaffen hat, daß sie alles in ihrem Körper Geschehende ordnungsgemäß erzeugen und vorstellen muß, und den Körper so, daß er seinerseits tun muß, was die Seele befiehlt. So müssen die Gesetze, die die Gedanken der Seele in der Ordnung der Endursachen und nach der Aufeinanderfolge der Perzeptionen verbinden, Bilder hervorrufen, die mit den Eindrücken der Körper auf unsere Organe zusammentreffen und übereinstimmen; und ebenso müssen die Bewegungsgesetze der Körper, die in der Ordnung der bewirkenden Ursachen voneinander abhängen, mit den Gedanken der Seele derart zusammentreffen und in Übereinstimmung sein, daß der Körper zu handeln genötigt wird in demselben Augenblick, wo die Seele es wünscht.

63. Diese Ansicht ist der Freiheit keineswegs nachteilig, sondern ist für sie im Gegenteil sehr günstig. Herr Jaquelot hat in seinem Buche über den Einklang zwischen Vernunft und Glauben sehr gut gezeigt, daß dies gerade so ist als wenn jemand, der genau weiß, was ich einem Diener am folgenden Tage befehlen werde, einen Automaten herstellte, der diesem Diener genau gliche und morgen alle meine Befehle genau ausführte: das würde mich nicht hindern, alles was mir gefällt aus freiem Ermessen kundzutun, obgleich die Tätigkeit des mir dienenden Automaten nichts Freies enthält.

345. Im übrigen scheint mir der Grund, aus dem mehrere die Bewegungsgesetze für willkürlich halten, einfach daher zu stammen, daß nur wenige sie richtig untersucht haben. Man weiß jetzt, daß Herr Descartes sich bei ihrer Aufstellung in großer Täuschung befand. Ich habe deutlich bewiesen, daß die Erhaltung ein und derselben Bewegungsquantität nicht statthaben kann, sondern finde, daß sich dieselbe absolute Kraftmenge der Richtung und Beziehung, im Ganzen wie im Teil, erhält. Meine Prinzipien, durch die dieser Gegenstand so weit entwickelt wird, wie er entwickelt werden kann, sind noch nicht vollständig veröffentlicht, ich habe sie aber urteilsfähigen Freunden mitgeteilt, die von ihnen sehr eingenommen waren und andere Personen von anerkannter Gelehrsamkeit und Verdienst bekehrten. Gleichzeitig entdeckte ich, daß die in der Natur wirklich vorhandenen, durch Erfahrungen verifizierten Bewegungsgesetze nicht so absolut beweisbar sind wie ein geometrischer Lehrsatz - aber das brauchen sie auch gar nicht. Sie stammen ihrem ganzen Umfange nach nicht aus der Notwendigkeit, sondern aus dem Prinzip der Vollkommenheit und Ordnung; sie sind eine Wirkung der göttlichen Auswahl und Weisheit. Diese Gesetze kann ich auf verschiedene Art beweisen, es muß dabei aber immer etwas vorausgesetzt werden, das keinerlei absolute geometrische Notwendigkeit enthält. So sind diese schönen Gesetze ein wunderbarer Beweis für ein intelligentes, freies Wesen und zeugen gegen das System Stratons oder Spinozas, gegen die absolute blinde Notwendigkeit.

346.
Man kann diese Gesetze, wie ich gefunden habe, dadurch begründen, daß man annimmt, die Wirkung sei an Kraft stets der Ursache gleich oder, was dasselbe ist, es bleibe stets dieselbe Kraft erhalten: doch kann dieses Axiom einer höheren Philosophie nicht geometrisch bewiesen werden. Man kann noch andere Prinzipien ähnlicher Natur anwenden, wie z. B. das Prinzip, Wirkung und Rückwirkung sind stets gleich, welches den Dingen einen Widerstand gegen äußere Veränderungen beilegt und sich weder aus der Ausdehnung noch aus der Undurchdringlichkeit ergibt, sowie jenes andere, wonach eine einfache Bewegung denselben Charakter hat, den eine zusammengesetzte Bewegung haben würde, welche dieselben Übertragungserscheinungen erzeugte. - Diese Annahmen sind sehr einleuchtend und zu einer befriedigenden Darstellung der Bewegungsgesetze sehr geeignet: es gibt nichts Passenderes, besonders weil sie alle auf dasselbe hinaus¬kommen, und dennoch findet man in ihnen keinerlei absolute Notwendigkeit, die uns zu ihrer Annahme zwingt, wie wir zur Annahme der logischen, arithmetischen und geo¬metrischen Gesetze gezwungen werden.

347. Betrachtet man die Gleichgültigkeit der Materie gegen Bewegung und Ruhe, so gewinnt es den Anschein, als könne ein größerer ruhender Körper ohne den mindesten Widerstand von einem kleineren bewegten Körper mitgerissen werden, wobei dann eine Wirkung ohne Gegenwirkung sowie eine die Ursache übersteigende Wirkung vorläge. Es besteht auch keine Notwendigkeit, zu behaupten, die Bewegung einer mit einer gewissen Geschwindigkeit A über eine horizontale Ebene frei rollenden Kugel müsse die gleichen Eigenschaften haben als wenn sich die Kugel mit geringerer Geschwindigkeit in einem Schiffe bewegte, das seinerseits mit der übrigbleibenden Geschwindigkeit in der nämlichen Richtung fährt, um zu bewirken, daß die vom Ufer gesehene Kugel mit derselben Geschwindigkeit A vorwärts rollt. Denn obzwar durch das Schiff dieselbe Geschwindigkeit und Richtung zu resultieren scheint, liegt hier sachlich nicht der gleiche Fall vor. Indessen findet man, daß die Wirkung des Zusammenpralls von Kugeln im Schiffe, von denen die Bewegung einer jeden, zusammen mit der Bewegung des Schiffes das außerhalb des Schiffes Gesehene resultieren läßt, daß diese Wirkung auch die scheinbare Wirkung erzeugt, welche dieselben Kugeln außerhalb des Schiffes bei ihrem Zusammenstoß erzeugen wurden. Das ist schön, doch sieht man seine absolute Notwendigkeit nicht ein. Eine Bewegung in Richtung der beiden Katheten eines rechtwinkligen Dreiecks bildet eine zusammengesetzte Bewegung auf der Hypothenuse, daraus aber folgt durchaus nicht, daß eine sich auf der Hypothenuse bewegende Kugel dieselbe Wirkung haben muß wie zwei gleichgroße, auf den Katheten bewegte Kugeln: und trotzdem findet sich dies in der Tat. Es gibt nichts Passenderes als diese Tatsache, deren Gesetze Gott erzeugt hat: allein eine geometrische Notwendigkeit kann man darin nicht erblicken. Indessen wird gerade durch diese fehlende Notwendigkeit die Schönheit der von Gott erwählten Gesetze erhöht, in denen sich mehrere schöne Axiome vereint finden, ohne daß man sagen könnte, welches das ursprünglichere unter ihnen ist.

348. Des ferneren habe ich gezeigt, daß sich hierin das schöne Gesetz der Kontinuität ausspricht, das ich vielleicht als erster aufgestellt habe und das eine Art Prüfstein darstellt, an welchem die Gesetze des Herrn Descartes, des Pater Fabry, des Pater Pardies, des Pater Malebranche und anderer zuschanden werden: wie ich zum Teil früher in den »Neuigkeiten aus der Gelehrten-Republik«, herausgegeben von Herrn Bayle, ausgeführt habe. Nach diesem Gesetze kann man die Ruhe als eine nach steter Verminderung verlöschende Bewegung und die Gleichheit in derselben Weise als eine ebenfalls verlöschende Ungleichheit ansehen, wie sie bei zwei ungleichen Körpern eintritt, wenn der größere ständig abnimmt und der kleinere währenddessen seine Größe beibehält, und auf Grund dieser Betrachtung ist das allgemeine Gesetz ungleicher oder bewegter Körper auf gleiche Körper oder auf solche, von denen der eine in Ruhe ist, als Sonderfall anwendbar. Das gelingt mit den wirklichen Bewegungsgesetzen, während es mit gewissen, von Herrn Descartes und anderen geschickten Leuten ausgeklügelten nicht gelingt, woraus sich allein schon ergibt, wie schlecht sie abgefaßt sind, denn man kann von vornherein sagen, daß die Erfahrung ihnen nicht günstig sein werde.

349. Diese Betrachtungen zeigen deutlich, daß die Naturgesetze, welche die Bewegung regeln, weder ganz und gar notwendig noch völlig willkürlich sind. Der Mittelweg, den es hier einzuschlagen gilt, besteht darin, sie zu einer Wahl der vollkommensten Weisheit zu machen. Und aus diesem großen Beispiel der Bewegungsgesetze erkennt man aufs allerdeutlichste, wie groß der Unterschied zwischen folgenden drei Fällen ist: nämlich erstens einer absoluten, metaphysischen oder geometrischen Notwendigkeit, die man auch als blinde Notwendigkeit bezeichnen kann, weil sie nur von bewirkenden Ursachen abhängt; zweitens einer moralischen Notwendigkeit, welche aus der freien Wahl der Weisheit im Hinblick auf die Zweckursachen entspringt, und endlich, drittens, einer absolut willkürlichen Sache, die von einem erdichteten indifferenten Gleichgewicht abhängt, das nicht existieren kann und für das es weder unter den bewirkenden noch unter den Endursachen einen zureichenden Grund gibt. Daraus kann man schließen, wie unrecht man tut, wenn man das absolut Notwendige mit dem durch den Grund des Besten Bestimmten verwechselt oder die durch Vernunft bestimmte Freiheit mit einer vagen Indifferenz zusammenwirft.


81.) Nach diesem System wirken die Körper so, als ob es (das Unmögliche angenommen! keine Seelen gäbe, und die Seelen so, als ob es keine Körper gäbe; beide zusammen wirken so, als ob eine auf das andere Einfluß ausübte.

Unterschiede zwischen Geistern und Seelen
82.) Was die Geister oder vernünftigen Seelen anbelangt, so finde ich zwar, daß es sich im Grunde bei allem Lebendigen und bei allen Tieren ebenso verhält, wie eben dargelegt worden ist (daß nämlich das Tier und die Seele nur mit der Welt entstehen und nicht eher als die Welt enden). Immerhin gibt es bei den vernünftigen Lebewesen das Besondere, daß ihre Samentierchen solange sie eben nichts weiter als solche sind, nur gewöhnliche oder sensitive Seelen haben; sobald aber diejenigen, welche sozusagen auserwählt sind, durch eine wirkliche Empfängnis zur menschlichen Natur gelangen, werden auch ihre sensitiven Seelen auf die Stufe der Vernunft und zum Vorrecht der Geister erhoben.


Ergänzungen aus der Theodizee

91. Nachdem wir eine so herrliche Ordnung und so allgemein anwendbare Regeln für die Lebewesen aufgestellt. erschiene es unvernünftig, wenn der Mensch ganz davon ausgeschlossen sein sollte und bei ihm alles Seelische durch ein Wunder geschähe. Schon mehr als einmal habe ich hervorgehoben, wie sehr es für die Weisheit Gottes spricht, daß alle seine Werke voller Harmonie sind und daß Natur und Gnade einander entsprechen. Deshalb glaube ich auch, daß die Seelen, die dazu berufen waren, eines Tages Mensch zu werden, gleich den Seelen jeder anderen Art, im Samen und in den Vorfahren bis auf Adam enthalten waren und infolgedessen seit Beginn der Welt immer in einer Art organischem Körper existiert haben … Aus mehreren Gründen aber erscheint es mir noch wahrscheinlicher, daß die Seelen damals nur in sensitivem oder animalischem Zustand, mit Vorstellungsvermögen und Empfindung begabt, aber ohne Vernunft, existierten; und daß sie in diesem Zustande bis auf die Zeit verblieben, wo der Mensch, dem sie angehören sollten, erzeugt wurde, daß sie aber auch dann erst Vernunft erhielten, entweder dadurch, daß eine sensitive Seele auf natürlichem Wege zur vernünftigen Seele werden kann (was ich aber schwer begreife), oder dadurch, daß Gott dieser Seele auf eine besondere Weise Vernunft einpflanzte, oder endlich durch eine Art Transkreation (übertragende Schöpfung). Dem kann man sich um so leichter anschließen, als uns die Offenbarung von einer Reihe anderer unmittelbarer Einwirkungen Gottes auf unsere Seelen Kunde gibt. Diese Erklärung dürfte geeignet sein, die hierbei in der Philosophie oder Theologie auftretenden Bedenken zu heben, da der Ursprung der Formen ganz aufhört, schwer begreiflich zu sein, und es mit der göttlichen Gerechtigkeit weit eher im Einklang steht, wenn er der durch Adams Sünde bereits physisch oder animalisch verdorbenen Seele eine neue Vollkommenheit verleiht, nämlich die Vernunft, anstatt daß er durch Schöpfung oder auf andere Weise eine vernünftige Seele in einen Körper versetzt, wo sie moralisch zugrunde gerichtet werden muß.


83.) Neben anderen Unterschieden zwischen den gewöhnlichen Seelen und den Geistern, von denen ich schon einen Teil angegeben habe, findet sich auch noch der, daß die Seelen im allgemeinen lebende Spiegel oder Abbilder der Kreaturen-Welt sind, die Geister dagegen auch noch Abbilder der Gottheit selbst oder des Urhebers der Natur. Sie sind fähig, das System des Weltgebäudes zu erkennen und etwas davon in architektonischen Probestücken nachzuahmen, da jeder Geist in seinem Bezirk gleichsam eine kleine Gottheit ist.

Ergänzungen aus der Theodizee

147. Es folge noch ein besonderer Grund für die scheinbare Unordnung beim Menschen: Als Gott ihm Intelligenz verlieh, gab er ihm gleichsam ein Bild der Gottheit zum Geschenk. Er läßt ihn gewissermaßen in seinem kleinen Bereich arbeiten, ut Spartam quam nactus est, ornet, und hilft selbst nur auf verborgene Weise; denn er sorgt für Existenz, Kraft, Leben und Vernunft, ohne sich dabei sehen zu lassen. Hier nun treibt der freie Wille sein Spiel: Gott scherzt sozusagen mit diesen kleinen Göttern, die er zu erzeugen beliebte, wie wir mit den Kindern scherzen, deren Beschäftigungen wir unter der Hand nach unserem Belieben fördern oder hindern. Der Mensch ist also in seiner Welt einem Gotte gleich, er regiert sie, den Mikrokosmos, nach seiner Laune: hier erzeugt er zuweilen Wunder und seine Kunst ahmt oft die Natur nach.


84.) Dies hat zur Folge, daß die Geister fällig sind, in eine gewisse Gemeinschaft mit Gott zu treten, und daß Gott zu ihnen nicht bloß in dem Verhältnis eines Erfinders zu seiner Maschine steht (wie das bei den übrigen Geschöpfen der Fall ist), sondern auch im Verhältnis eines Fürsten zu seinen Untertanen und sogar eines Vaters zu seinen Kindern.

Das Gottesreich ist eine Universal-Monarchie
85.) Hieraus schließt man leicht, daß die Versammlung aller Geister das Reich Gottes bilden muß, d. h. den vollkommensten Staat, der unter dem vollkommensten aller Monarchen möglich ist.

86.) Dieses Reich Gottes, diese wahrhafte Universal-Monarchie, ist eine moralische Welt in der natürlichen Welt und das erhabenste und himmlischste unter den Werken Gottes. In ihr besteht die wahre Ehre Gottes, die er ja nicht haben würde, wenn seine Größe und seine Güte nicht von den Geistern erkannt und bewundert wären. Auch übt er seine Güte ganz eigentlich in bezug auf diesen Gottes-Staat, während sich seine Weisheit und seine Macht allenthalben zeigen.

87.) Wie wir oben eine vollkommene Harmonie zwischen zwei natürlichen Bereichen, dem der bewirkenden Ursachen und dem der Finalgründe, aufgestellt haben, so müssen wir hier noch eine zweite Harmonie bemerklich machen: zwischen dem physischen Bereiche der Natur und dem moralischen Bereiche der Gnade, d. h. zwischen Gott, dem Baumeister der Weltmaschine, und Gott, dem Monarchen des göttlichen Geister—Staats.


Ergänzungen aus der Theodizee
118. … Das Reich der Natur soll allerdings dem Reich der Gnade dienen, aber da alles in dem großen Plane Gottes verbunden ist, so muß man vermuten, daß auch das Reich der Gnade in gewisser Hinsicht dem Reiche der Natur angepaßt ist, so daß dieses die größte Ordnung und Schönheit in sich enthält, damit die Verbindung zwischen beiden so vollkommen wie nur möglich ist. Man hat nicht die geringste Veranlassung anzunehmen, Gott stürze um einiger moralischer Übel willen die ganze Naturordnung um. Jede Vollkommenheit oder Unvollkommenheit der Kreatur hat ihren Wert, aber einen unendlichen Wert hat keine. Daher übersteigt das Wohl der vernünftigen Kreaturen oder ihr moralisches und physisches Übel keineswegs unbegrenzt das bloß metaphysische Gut oder Übel, d. h. dasjenige, das in der Vollkommenheit anderer Kreaturen besteht: was man doch sagen müßte, wenn der vorliegende Grundsatz buchstäblich wahr wäre….

Züchtigung und Strafe
88.) Diese Harmonie macht, daß die Dinge selbst auf den Wegen der Natur zur Gnade führen, und daß zum Beispiel dieser Erdball auf natürlichen Wegen in den Augenblicken zerstört und wiederhergestellt werden muß, wo es die Regierung der Geister verlangt: zur Züchtigung der einen und zur Entschädigung der anderen.


Ergänzungen aus der Theodizee

18. Ein geistvoller Mann, der mein Prinzip der Harmonie bis zu willkürlichen Annahmen, die ich durchaus nicht billigen kann, fortführte, hat daraus eine beinahe astronomische Theologie konstruiert. Er glaubt, die gegenwärtige Unordnung dieser Welt hier unten habe begonnen, als der dem Erdball vorstehende Engel, während dieser Erdball noch eine Sonne war (d. h. ein selbstleuchtender Fixstern) zusammen mit mehreren niederen Engeln seines Bezirks eine Sünde beging, vielleicht durch eine unangebrachte Auflehnung gegen den Engel einer größeren Sonne; und daß unsere Erde gleichzeitig infolge der praestabilierten Harmonie zwischen den Reichen der Natur und der Gnade, somit aus natürlichen, sich daraus herleitenden Gründen, mit Flecken bedeckt, verdunkelt und voll ihrem Platze vertrieben worden sei, was zur Folge hatte, daß sie zu einem herumirrenden Stern oder Planeten, d. h. zum Satelliten einer anderen Sonne wurde, vielleicht gerade der Sonne, deren Vorrang der Engel nicht anerkennen wollte; und daß hierin der Sturz Luzifers besteht. Das Oberhaupt der bösen Engel, in der Schrift der Fürst oder Gott dieser Welt genannt, und mit ihm die Engel seines Gefolges beneide jetzt jenes vernünftige Tier auf der Oberfläche dieser Erdkugel, das Gott vielleicht erschaffen hat, um sich für seinen Abfall zu rächen, und arbeite daran, es zum Mitschuldigen seines Verbrechens zu machen und es an seinem Unglück teilnehmen zu lassen. Da sei Jesus Christus zur Rettung der Menschen erschienen. Er ist der ewige und einzige Sohn Gottes, der sich aber (nach Ansicht älterer Christen und nach Ansicht des Erfinders dieser Hypothese) seit Anbeginn der Dinge in die vollendetste Gestalt aller Kreaturen gekleidet und sich, um sie zur Vollkommenheit zu bringen, unter sie begeben hat; und dieses sei die zweite Gottessohnschaft, durch die er die erstgeborene Kreatur ward. Das ist dasselbe, was die Kabbalisten Adam Kadmon nannten. Vielleicht hatte er seinen Sitz in der uns allen leuchtenden großen Sonne; aber er kam schließlich auf die Erdkugel, wo wir uns befinden, wurde von einer Jungfrau geboren und nahm menschliche Gestalt an, um die Menschen den Händen ihres und seines Feindes zu entreißen. Wenn die Zeit des Gerichts naht, wenn die Gestalt unserer Erde zugrunde gehen wird, dann wird er wieder vor unsere Augen treten, die Guten erretten und sie vielleicht auf die Sonne führen; die Bösen aber wird er mit den Dämonen, die sie verführten, strafen. Dann wird die Erde von einem Brande ergriffen und vielleicht zu einem Kometen werden. Dieses Feuer wird wer weiß wie viele Äonen hindurch brennen, den Schwanz des Kometen kennzeichnet ein unaufhörlich — wie es die Apokalypse lehrt — aufsteigender Rauch, und diese Feuersbrunst ist die Hölle oder der »zweite Tod« der Heiligen Schrift. Zuletzt aber wird das Feuer seine Toten zurückgeben, der Tod selbst wird zunichte, Vernunft und Friede beginnen wieder über die verführten Geister zu herrschen. Sie fühlen jetzt ihr Unrecht, sie beten ihren Schöpfer an und beginnen ihn um so stärker zu lieben, als sie die Größe des Abgrundes ermessen, dem sie entronnen sind. Gleichzeitig wird (vermöge des harmonischen Parallelismus zwischen den Reichen der Natur und der Gnade) der Erdkreis durch diese lange und gewaltige Feuersbrunst von seinen Flecken gereinigt. Er wird wieder zur Sonne; der ihm gebietende Engel nimmt mit den Engeln seines Gefolges wieder seinen alten Platz ein; die verdammten Menschen gehören mit ihnen zur Schar der guten Engel und dieses Oberhaupt unserer Erde huldigt dem Messias, dem Oberhaupte aller Kreaturen! Der Ruhm dieses verwöhnten Engels ist jetzt weit größer als vor seinem Falle:

Inque Deos iterum fatorum lege receptus
Aureus aeternum noster regnabit Apollo.

Und unter die Götter nach des Schicksals Gesetz aufgenommen,
Wird unser goldener Apollo in Ewigkeit regieren.

Diese eines Anhängers des Origenes würdige Phantasie hat mir gefallen; aber wir brauchen dergleichen Hypothesen oder Fiktionen gar nicht, an denen der geistvolle Einfall mehr teilhat als die Offenbarung, und bei denen die Vernunft nicht ganz auf ihre Rechnung kommt. Denn es scheint in dem bekannten Teil des Universums keinen Ort zu geben, der es vor allen anderen verdiente, zum Sitz der erstgeborenen Kreatur erkoren zu werden: die Sonne unseres Planetensystems wenigstens nicht.

89.) Man kann auch sagen, daß Gott als Baumeister Gott als Gesetzgeber in allem zufriedenstellt, und daß also die Sünden nach der Ordnung der Natur und kraft des mechanischen Gefüges der Dinge selbst ihre Strafe mit sich führen müssen — und daß sich ebenso die schönen Handlungen in bezug auf die Körper auf mechanischen Wegen ihre Belohnungen zuziehen werden, obwohl das nicht immer auf der Stelle geschehen kann und darf.

Ergänzungen aus der Theodizee

74. So dauern die Strafen für die Verdammten an, selbst wenn sie nicht mehr zur Abschreckung des Bösen dienen, genau so wie die Belohnungen für die Seligen andauern, wenn sie auch dadurch nicht mehr in der Ausübung des Guten gestärkt werden. Allein die Verdammten ziehen sich durch neue Sünden immer von neuem Schmerz zu und die Seligen schöpfen neue Freuden aus weiterem Fortgang im Guten: beides ist im Prinzip der Billigkeit begründet, durch das die Dinge derart geregelt worden sind, daß die schlechte Tat sich Strafe zuziehen muß. Denn nach dem Parallelismus beider Reiche, dem Reich der Endursachen und dem der wirkenden Ursachen hat Gott im Universum eine Verbindung zwischen Strafe oder Belohnung und zwischen der schlechten oder guten Tat hergestellt, derart, daß die erste die zweite nach sich zieht und Tugend und Laster sich selbst ihre Belohnung und ihre Strafe verschaffen zufolge des natürlichen Verlaufs der Dinge, der noch eine andere Art prästabilierter Harmonie einschließt, als jene im Verkehr zwischen Körper und Seele hervortretende. Und schließlich ist, wie ich schon gesagt habe, alles, was Gott tut, von vollendeter Harmonie. Für die ohne wahre, der absoluten Notwendigkeit enthobene Freiheit Handelnden würde diese Billigkeit vielleicht allen Sinn verlieren; für sie gäbe es nur eine bessernde, keine rächende Gerechtigkeit mehr. Das ist die Ansicht des berühmten Conring in einer Abhandlung über das Gerechte. Und wirklich haben es die Gründe, von denen Pomponatius in seinem Buche über das Schicksal Gebrauch macht, um die Nützlichkeit der Strafen und Belohnungen darzutun, selbst wenn alle unsere Handlungen mit Schicksalsnotwendigkeit einträten, nur mit einer Besserung, nicht mit einer Genugtuung zu tun. Die Züchtigung, nicht die Strafe. Es geschieht doch auch nur des Scheines wegen, wenn man die an gewissen Verbrechen mitschuldigen Tiere tötet, wie man die Häuser der Rebellen vernichtet, um Schrecken zu verbreiten.

112. … Es reicht aus, daß Gott etwas Schädliches verboten hat. Auch braucht man sich gar nicht vorzustellen, Gott habe hier bloß die Rolle eines Gesetzgebers gespielt, der da ein rein positives Gesetz gibt, oder die eines Richters, der Strafen auferlegt und zuerteilt ohne inneren Zusammenhang zwischen dem Übel der Schuld und dem der Strafe, rein aus Willkür heraus. Ebenfalls hat man nicht nötig zu denken, da Gott mit Recht erzürnt sei, so habe er zum Zwecke der Bestrafung auf außergewöhnliche Weise ganz ausdrücklich eine Verwirrung in der Seele und dem Körper des Menschen her¬vorgebracht; ungefähr wie die Athener ihren Verbrechern den Schierlingsbecher zu trinken gaben.


90.) Endlich wird es unter dieser vollkommenen Regierung keine gute Tat ohne Vergeltung, keine schlechte ohne Züchtigung geben. Alles muß zum Wohle der Guten ausschlagen, d. h. derer, die in diesem großen Staat nicht zu den Mißvergnügten gehören, die sich der Vorsehung anvertrauen, nachdem sie ihre Pflicht getan haben, die den Urheber alles Guten nach Gebühr lieben und nachahmen, indem sie sich an der Betrachtung seiner Vollkommenheit freuen. Es liegt nämlich in der Natur der wahrhaften reinen Liebe, daß sie uns an der Glückseligkeit des Geliebten Freude finden läßt. Solches bewirkt, daß die Weisen und Tugendhaften an alledem arbeiten, was mit dem mutmaßlichen oder vorhergehenden göttlichen Willen übereinzustimmen scheint — und gleichwohl mit dem zufrieden sind, was Gott vermöge seines geheimen, nachfolgenden oder entscheidenden Willens wirklich eintreten läßt. Sie anerkennen nämlich, daß wir, wenn wir die Weltordnung hinreichend zu verstehen imstande wären, finden würden, wie sie alle Wünsche der Weisesten übertrifft, und wie es unmöglich ist, sie besser zu machen als sie ist. Und zwar nicht bloß für das Ganze im allgemeinen, sondern auch für uns selbst im besonderen, wenn wir nämlich dem Urheber des Ganzen nach Gebühr ergeben sind: sowohl als dem Baumeister und der bewirkenden Ursache unseres Seins, wie auch als unserem Herrn und Endzweck, der das ganze Ziel unseres Willens ausmachen muß und allein unser Glück bewirken kann.

Ergänzungen aus der Theodizee

134. … Gott will alle Menschen erretten; das besagt, daß er sie erretten wird, wenn die Menschen ihn nicht selbst daran hinderten und die Annahme seiner Gnaden verweigerten; er wird keineswegs durch Vernunftgründe gezwungen oder bewogen, ständig ihren schlechten Willen zu überwinden. Trotzdem tut er es zuweilen, wenn nämlich höhere Gründe es zulassen und wenn sein nachfolgender, beschlußkräftiger Wille, das Resultat aller seiner Gründe, ihn zu der Auswahl einer bestimmten Anzahl Menschen bestimmt. Er hilft allen zur Bekehrung und zum Ausharren, und diese Hilfe ist ausreichend für diejenigen, welche guten Willens sind, sie ist aber nicht immer ausreichend, diesen guten \Villen selbst zu erteilen. Die Menschen erlangen ihn teils durch besondere Hilfe, teils durch Umstände, welche die allgemeine Hilfe gelingen lassen. Er kann sich nicht enthalten, auch dann noch Heilmittel anzubieten, wenn er weiß, man wird sie verweigern, und man wird sich dadurch nur noch schuldiger machen: aber wünscht man denn etwa, daß Gott ungerecht ist, damit der Mensch weniger strafbar wird? Abgesehen davon, daß die Gnaden, die dem einen nichts nützen, dem anderen um so dienlicher sein können, tragen sie nicht sogar ständig zur Integrität des göttliches Planes bei, des besten aller möglichen Pläne? Sollte Gott keinen Regen spenden, weil es tiefgelegene Orte gibt, die darunter zu leiden haben? Sollte die Sonne nicht scheinen, wie es das allgemeine Beste erheischt, weil gewisse Gegenden zu sehr dadurch ausgetrocknet werden? … Der Gegenstand Gottes hat etwas Unendliches an sich; seine Sorge erstreckt sich auf das ganze Universum: was wir davon kennen, ist beinah nichts; und da wollen wir seine Weisheit und Güte an unseren Erfahrungen messen? Welche Vermessenheit oder besser, welche Absurdität! Den Einwürfen liegen falsche Voraussetzungen zugrunde; lächerlich ist es, Recht sprechen zu wollen, wenn man den Tatbestand nicht kennt. Mit dem Heiligen Paulus in den Ruf einstimmen O Altitudo Divitiarum et Sapientiae, das heißt durchaus nicht der Vernunft entsagen, sondern weit eher die Gründe anführen, die uns bekannt sind; denn sie gerade zeigen uns jene Unermeßlichkeit Gottes, von der der Apostel spricht. Wohl aber heißt das unsere Unwissenheit hinsichtlich des Tatbestandes eingestehen und dennoch vor aller näheren Kenntnis anerkennen, daß Gott alles auf die bestmögliche Weise nach der unendlichen Weisheit, die seine Handlungen leitet, erschaffen hat. Allerdings haben wir davon schon Beweise und Proben vor unseren Augen, wenn wir auf eine völlig in sich geschlossene Sache, auf irgendein in sich vollendetes Ganzes und sozusagen unter den Werken Gottes Abgesondertes blicken. Ein solches Ganzheitsgebilde aus der Hand Gottes ist eine Pflanze, ein Tier, ein Mensch. Seine Schönheit und kunstvolle Struktur können wir nicht genug bewundern. Erblicken wir aber einen zerbrochenen Knochen, ein Stück Fleisch von einem Tiere, einen Pflanzenzweig, so sehen wir darin nur Unordnung, wofern nicht gerade ein hervorragender Anatom all dieses betrachtete: und selbst dieser würde nichts erkennen, hätte er nicht zuvor ähnliche Stücke zu einem Ganzen verbunden gesehen. Genau so verhält es sich mit der göttlichen Regierung: was wir davon erblicken, ist kein genügend großes Gebiet, um aus ihm schon die Schönheit und Ordnung des Ganzen zu erkennen. Also nötigt uns sogar die Natur der Dinge, diese Ordnung des göttlichen Staates, die wir hinieden noch nicht vor uns sehen, zum Gegenstand unseres Glaubens, unserer Hoffnung und unseres Gottvertrauens zu machen. Wollen einige anders darüber denken, um so schlimmer für sie; sie sind Mißvergnügte im Reiche des größten und besten aller Monarchen und haben unrecht, wenn sie die Proben von seiner unendlichen Weisheit und Güte, die er ihnen gegeben, nicht benutzen. Denn er wollte sich nicht nur bewundern lassen, sondern sich auch über alle Maßen liebenswert zu erkennen geben.

278. Niemand sage, wenn er versucht wird, daß er von Gott versucht werde, sondern ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eignen Lust gereizt und gelockt wird (Jak. 1, 14). Dabei wirkt der Satan mit; »er verblendet den Verstand der Ungläubigen (2. Cor. IV, 4).« Der Mensch aber hat sich durch seine Lüsternheit dem Dämon überliefert: das Wohlgefallen, das er am Bösen findet; ist der Angelhaken an dem er sich fangen läßt. Schon Plato sagt und Cicero wiederholt es: Plato voluptatem dicebat escam malorum.[Plato nannte die Wollust die Lockspeise des Bösen]. Dem stellt die Gnade ein größeres Vergnügen gegenüber, wie der Hl. Augustin hervorhebt. Jedes Vergnügen ist das Gefühl einer gewissen Vollkommenheit. Man liebt ein Objekt nach Maßgabe der Vollkommenheiten, die man an ihm fühlt: nichts übersteigt die göttlichen Vollkommenheiten: und daraus folgt, daß die göttliche Barmherzigkeit und Liebe das denkbar größte Vergnügen gewähren, und zwar soweit man von diesen Gefühlen durchdrungen ist, die den Menschen nicht geläufig sind, weil sie nur mit Dingen erfüllt und beschäftigt sind, die in Beziehung zu ihren Leidenschaften stehen

1) Aus: Gottfried Wilhelm Leibniz, Monadologie. Neu übersetzt, eingeleitet und erläutert von Hermann Glockner (
S.11-35)
Reclams Universalbibliothek Nr. 7853. © 1954 Philipp Reclam jun., Stuttgart. Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages
2) Aus: Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Theodizee, Übersetzung von Artur Buchenau, Philosophische Bibliothek Band 71, Verlag von Felix Meiner Verlag


Erläuterungen zum System der prästabilierten Harmonie

Das Uhrengleichnis
Aus einem Leibnizischen Briefe an den Herausgeber der Zeitschrift »Gelehrtenwerke« (Histoire des Ouvrages des Savants)

Stellen Sie sich zwei Pendeluhren oder Taschenuhren vor, die vollkommen gleich gehen. Das kann auf dreierlei Arten geschehen.

Die erste besteht im wechselseitigen Einfluß;

die zweite darin, daß man einen geschickten Handwerker dazusetzt, der sie jeden Augenblick stellt und gleichrichtet;

die dritte darin, daß man diese zwei Uhren so kunstvoll und genau baut, daß man ihrer weiteren Übereinstimmung sicher sein kann.

Setzen Sie jetzt die Seele und den Körper an die Stelle der beiden Uhren, dann kann ihre Übereinstimmung auf eine dieser drei Arten zustande kommen.

Der Weg des Einflusses ist der der landläufigen Philosophie; aber da man sich materielle Teilchen, die von einer dieser Substanzen in die andere übergehen könnten, nicht vorstellen kann, muß man diese Ansicht fallen lassen.

Der Weg des ständigen Beistandes (assistance) des Schöpfers ist der des Systems der Gelegenheitsursachen; aber ich meine, das heißt, den Deus ex machina in einer natürlichen und gewöhnlichen Sache eingreifen lassen, bei der er vernünftigerweise nur in der Weise mitwirken soll, bei der er bei allen anderen natürlichen Dingen mitwirkt.

So bleibt nur meine Hypothese übrig, d. h. der Weg der Harmonie. Gott hat jede der beiden Substanzen von Anfang an so geschaffen, daß sie nur ihren eigenen Gesetzen folgt, die sie mit ihrem Sein empfangen hat, aber dennoch mit den anderen übereinstimmt, ganz als bestünde ein wechselseitiger Einfluß, oder als legte Gott ständig, über seine allgemeine Mitwirkung hinaus, Hand an. Hiernach brauche ich nichts zu beweisen, es sei denn, man wolle von mir den Beweis fordern, daß Gott geschickt genug ist, um sich dieser vorsorgenden kunstvollen Einrichtung zu bedienen, von der wir doch sogar Beispiele unter den Menschen finden. Vorausgesetzt aber, daß er es kann, sehen Sie wohl selbst, daß dieser Weg der schönste und seiner würdigste ist. Sie haben den Verdacht geäußert, daß meine Erklärung zu der so verschiedenen Idee, die wir vom Geist und vom Körper haben, in Gegensatz geraten würde; aber Sie sehen wohl jetzt, daß niemand ihre Unabhängigkeit besser gesichert hat. Denn solange man genötigt gewesen ist, ihre Verbindung durch eine Art Wunder zu erklären, hat man immer sehr vielen Leuten Grund zu der Befürchtung gegeben, der Unterschied zwischen Körper und Seele sei gar nicht so real, wie man glaube, da man, um diese Behauptung machen zu können, so weit ausgreifen muß. Es wird mir nicht unlieb sein, über die damit entwickelten Gedanken mit aufgeklärten Personen Fühlung zu nehmen.
S.105f.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 112, Leibniz. Die Hauptwerke. Zusammengefaßt und übertragen von Gerhard Krüger
© 1967 by Alfred Kröner Verlag in Stuttgart. Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart

>>Geulincx

Über die Verbindung zwischen Seele und Körper
Brief an Basnage zur Aufklärung der von Bayle im Neuen System über die Verbindung zwischen Seele und Körper bemerkten Schwierigkeiten

Ich nehme mir die Freiheit, mein Herr, Ihnen die vorliegende Erläuterung über die Schwierigkeiten zu übersenden, die Herr Bayle in der Hypothese aufgefunden hat, die von mir zur Erklärung der Verbindung zwischen Körper und Seele aufgestellt worden ist. Nichts kann verbindlicher sein als die Art und Weise, in der er sich in bezug auf mich geäußert hat, und ich fühle mich durch die Einwürfe geehrt, die von ihm im Artikel Rorarius seines Wörterbuchs aufgestellt sind. Zudem konnte ein so tiefer und gründlicher Geist, wie der seine, dies nicht tun, ohne zugleich zu belehren, und ich werde die lichtvollen Bemerkungen zu benutzen suchen, die er an dieser Stelle wie an andern Orten seines Werkes über den berührten Gegenstand ausgesprochen hat. Er verwirft nicht, was ich über die Erhaltung der Seele und selbst des Tieres gesagt hatte, ist aber, wie es scheint, noch nicht mit der Weise zufrieden, in der ich im Journal des Savans vom 27. Juni und 4. Juli 1695 und in der Histoire des Ouvrages des Savans vom Februar 1696 die Verbindung und den Verkehr zwischen Seele und Körper zu erklären suchte.

Hier seine eigenen Worte, die den Punkt zu bezeichnen scheinen, wo ihm Schwierigkeiten aufgestoßen sind: Ich kann nicht begreifen, sagt er, wie die Verknüpfung innerer, freiwilliger Handlungen es zustande bringen sollte, daß die Seele eines Hundes, unmittelbar nachdem sie
Freude empfunden hat, Schmerz empfände, selbst wenn sie ganz allein im Universum wäre
.

Darauf erwidere ich, daß ich, als ich sagte, die Seele würde alles empfinden, was sie jetzt empfindet, selbst wenn nur Gott und sie in der Welt wären, mich eben nur einer Fiktion bediente, indem ich etwas annahm, was auf natürliche Weise niemals eintreten kann, um dadurch anzudeuten, daß die Empfindungen und Gedanken der Seele nur eine Folge von dem sind, was bereits in ihr ist. Ich weiß nicht, ob der Beweis für die Unbegreiflichkeit, die Herr Bayle in jener Verknüpfung findet, einzig in dem gesucht werden soll, was er weiter unten sagt, oder ob er denselben gleich von vornherein durch das Beispiel des freiwilligen Übergangs von der Freude zum Schmerz hat andeuten wollen, indem er vielleicht zu verstehen geben wollte, daß dieser Übergang dem Axiome widerspricht, demzufolge ein Ding immer in dem Zustande verharrt, in welchem es sich einmal befindet, wenn nicht ein Umstand eintritt, der es zum Wechsel nötigt, und daß also das Tier, wenn es einmal Lust empfindet, dieselbe immer empfinden wird, sofern es allein ist oder nichts Äußeres das Übergehen zum Schmerze bewirkt.

Wie dem aber auch sein mag, auf jeden Fall stimme ich jenem Axiome bei und behaupte sogar, daß es zu meinen Gunsten spricht, wie es denn in der Tat eine meiner Hauptstützen bildet. Schließen wir in der Tat nicht nach diesem Axiome, nicht bloß, daß ein ruhender Körper immer im Zustande der Ruhe bleiben, sondern auch, daß ein sich bewegender Körper immer diese Bewegung oder diese Veränderung, d. h. dieselbe Geschwindigkeit und dieselbe Richtung bei­behalten wird, wenn kein Umstand eintritt, der ihn hindert? Demnach bleibt also ein Ding, soweit das von ihm abhängt, nicht bloß in dem Zustande, in welchem es sich befindet, sondern fährt auch, wenn dieser Zustand ein Zustand der Veränderung ist, immer demselben Gesetze gemäß in der Veränderung fort. Nun liegt es dabei meines Erachtens in der Natur der geschaffenen Substanz, sich stetig zu verändern, und zwar nach einer gewissen Ordnung, durch welche sie selbsttätigerweise (wenn ich mich dieses Wortes bedienen darf) durch alle die Zustände geführt wird, die ihr begegnen sollen, so daß der, welcher alles sieht, in ihrem gegenwärtigen Zustande alle ihre vergangenen und künftigen Zustände sieht.

Dieses Gesetz der Ordnung aber, welches die Individualität jeder besondern Substanz begründet, steht in genauer Beziehung zu dem, was in jeder andern Substanz und im gesamten Universum geschieht. Vielleicht ist es keine zu kühne Behauptung von mir, wenn ich sage, daß ich alles das zu beweisen vermag, für jetzt aber handelt es sich nur darum, es als eine mögliche und zur Erklärung der Erscheinungen geeignete Hypothese aufrechtzuerhalten. Danach führt nun das Gesetz für die Veränderung der Substanz des Geschöpfes dasselbe in obiger Weise in dem Augenblicke, wo eine Unterbrechung der Stetigkeit in seinem Körper erfolgt, von der Freude zum Schmerz, weil es in dem Gesetze der unteilbaren Substanz dieses Geschöpfes liegt, alles vorzustellen, was in seinem Körper in der Weise vorgeht, daß wir es empfinden, ja sogar in gewisser Weise und in bezug auf diesen Körper alles vorzustellen, was in der Welt geschieht, da die substantiellen Einheiten nichts anderes sind als verschiedene Konzentrationen des Universums, das nach den verschiedenen Gesichtspunkten vorgestellt wird, durch welche sich jene Einheiten voneinander unterscheiden.

Ich begreife wohl, fährt Herr Bayle fort, warum ein Hund unmittelbar von der Lust zum Schmerze übergeht, sobald man dem ausgehungerten, der eben ein Stück Brot verzehrt, plötzlich einen Stockstreich versetzt.

Ich weiß nicht, ob man das hinlänglich begreift. Niemand weiß besser als Herr Bayle selbst, daß die große Schwierigkeit, die es zu erklären gilt, eben darin besteht, weshalb das, was im Körper vorgeht, eine Veränderung in der Seele bewirkt, und daß gerade diese Tatsache die Verteidiger der Gelegenheitsursachen gezwungen hat, die Sorgwaltung zu Hilfe zu rufen, mit der Gott sich nach ihrer Ansicht bemühen soll, der Seele beständig die Veränderungen vorzustellen, die sich in ihrem Körper vollziehen, während ich dagegen glaube, daß es in der ihr von Gott verliehenen Natur der Seele selbst liegt, sich vermöge ihrer eigenen Gesetze das vorzustellen, was in den Organen geschieht. Herr Bayle fährt dann fort:

Aber daß seine Seele derart eingerichtet sei, daß er in dem Augenblicke, wo er geschlagen wird, Schmerz empfinden würde, selbst wenn man ihn nicht schlüge, selbst wenn er ohne Störung und Behinderung an seinem Brote weiterfräße, das vermag ich durchaus nicht zu begreifen.

Das entsinne ich mich auch nicht behauptet zu haben, und man kann es auch nur in metaphysischer Fiktion sagen, wie wenn man annimmt, daß Gott irgendeinen Körper vernichte, um ein Leeres zu schaffen, da das eine wie das andere der Ordnung der Dinge widerstreitet. Denn da die Natur der Seele bei Anbeginn in einer zur aufeinanderfolgenden Vorstellung der Veränderungen des Stoffes geeigneten Weise gebildet worden ist, so kann der angenommene Fall in der natürlichen Ordnung nicht eintreten. Gott konnte jeder Substanz ihre Erscheinungen unabhängig von denen jeder andern Substanz geben, allein auf diese Weise würde er sozusagen eben so viele Welten ohne Zusammenhang geschaffen haben, als es Substanzen gibt, ungefähr wie gesagt wird, daß man, wenn man träumt, in seiner besondern Welt sei, und daß man in die gemeinsame Welt eintrete, wenn man erwacht. Allerdings haben auch die Träume eine Beziehung zu den Organen und den andern Teilen des Körpers, aber in einer weniger deutlichen Weise. Fahren wir mit Herrn Bayle fort.

Ich finde auch, sagt er, die Selbstbestimmung dieser Seele mit den Schmerzgefühlen und überhaupt allen Vorstellungen, die ihr mißbehagen, sehr wenig verträglich.

Diese Unverträglichkeit würde unzweifelhaft vorhanden sein, wenn selbstbestimmt und freiwillig ein und dasselbe wäre. Alles Freiwillige ist selbstbestimmt, aber es gibt selbstbestimmte Handlungen, bei denen keine Wahl besteht und die folglich nicht freiwillig sind. Es hängt nicht von der Seele ab, sich immer die Empfindungen zu geben, die ihr behagen, weil die Empfindungen, welche sie haben wird, abhängig sind von denen, die sie gehabt hat.

Übrigens, fährt Herr Bayle fort, scheint mir der Grund, weshalb dieser tüchtige Mann nicht dem Systeme der Cartesianer beipflichtet, auf einer falschen Voraussetzung zu beruhen, denn man kann durchaus nicht behaupten, daß das System der Gelegenheitsursachen die göttliche Tätigkeit au! dem Wege des Wunders (Deus ex machina) bei der wechselseitigen Abhängigkeit des Körpers und der Seele eingreifen lasse: denn da Gott nur den allgemeinen Gesetzen gemäß eingreift, so wirkt er hier durchaus nicht auf außergewöhnlichem Wege.

Es ist dies nicht der einzige Grund, weshalb ich nicht dem cartesianischen Systeme beipflichte, und wenn man das meine ein wenig näher ins Auge faßt, so sieht man wohl, daß ich in ihm selbst das finde, was mich bestimmt, mich zu ihm zu bekennen. Wenn übrigens auch die Hypothese der Gelegenheitsursachen keine Wunder erforderte, so scheint mir doch meine eigene Hypothese noch andere Vorzüge zu besitzen. Ich habe gesagt, man könne zur Erklärung des Verkehrs, den man zwischen der Seele und dem Körper wahrzunehmen glaubt, drei Systeme aufstellen, nämlich

1. das System der Einwirkung beider Substanzen auf einander, das in den Schulen gelehrt wird und das ich, im gewöhnlichen Sinne genommen, mit den Cartesianern für unmöglich halte;

2. das System eines beständigen Überwachers, der in der einen Substanz vorstellt, was in der andern geschieht, ungefähr wie wenn ein Mensch immerfort zwei schlechte Uhren, die von selbst nie imstande wären, die Übereinstimmung miteinander zu erreichen, in Übereinstimmung zu erhalten hätte — das ist das System der Gelegenheitsursachen; und

3. das System der natürlichen Übereinstimmung beider Substanzen, so wie dieselbe zwischen zwei mit größter Sorgfalt gearbeiteten Uhren bestehen würde; und eben dies finde ich ebenso möglich wie das System des beständigen Überwachers und dabei des Urhebers jener Substanzen, Uhren oder Automaten würdiger. Sehen wir indessen einmal nach, ob das System der Gelegenheitsursachen in der Tat kein beständiges Wunder voraussetzt.

Man verneint dies, weil Gott diesem Systeme zufolge nur nach allgemeinen Gesetzen handeln würde. Das gebe ich zu, allein meiner Meinung nach genügt das nicht, um die Wunder zu beseitigen: Wenn Gott deren auch fortwährend verrichtete, so würden es nichtsdestoweniger Wunder bleiben, sobald man nur das Wort nicht im volkstümlichen Sinne als Bezeichnung für eine seltene und Verwunderung erregende Sache, sondern im philosophischen Sinne als Bezeichnung für das nimmt, was die Kräfte der Geschöpfe übersteigt. Es reicht nicht hin, wenn man sagt, daß Gott ein allgemeines Gesetz für dies oder jenes aufgestellt habe, denn neben dem Beschlusse bedarf es noch eines natürlichen Mittels zur Ausführung desselben, d. h. das, was geschieht, muß aus der von Gott den Dingen verliehenen Natur erklärt werden können.

Die Naturgesetze sind nicht so willkürlich und gleichgültig, wie verschiedene Leute meinen. Wenn Gott z. B. bestimmte, alle Körper sollten sich im Kreise bewegen und die Radien der Kreise sollten im Verhältnis zu der Größe der Körper stehen, so würde man angeben müssen, daß es ein Mittel gäbe, dies durch einfachere Gesetze zu bewirken, oder man wird einräumen müssen, daß Gott es durch Wunder oder wenigstens durch Engel bewirken wird, die ausdrücklich mit dieser Mühewaltung beauftragt sind, ungefähr wie jene, die man ehemals für die Bewegung der Himmelssphären annahm. Ganz das nämliche würde der Fall sein, wenn jemand behauptete, Gott habe den Körpern eine natürliche und ursprüngliche Schwere verliehen, vermöge deren jeder nach dem Mittelpunkte seines Weltballs strebe, ohne von andern Körpern getrieben zu werden, denn meines Erachtens würde dieses System eines ununterbrochenen Wunders oder wenigstens der Beihilfe der Engel bedürfen.

Kennt die innere tätige Kraft, welche den Formen der Körper mitgeteilt worden, die Folge der Handlungen, welche sie hervorbringen soll? Durchaus nicht, denn wir wissen aus Erfahrung, daß wir nicht wissen, ob wir binnen einer Stunde diese oder jene Vorstellung haben werden.

Darauf erwidere ich, daß diese Kraft oder vielmehr diese Seele oder Form dieselben zwar nicht deutlich kennt, aber sie doch verworren wahrnimmt. In jeder Substanz gibt es Spuren alles dessen, was ihr geschehen ist und geschehen wird. Die unendliche Menge dieser Vorstellungen aber hindert uns, dieselben deutlich zu unterscheiden, so wie man beim Anhören des lauten, verworrenen Lärms einer großen Volksmenge keine Stimme von der andern zu unterscheiden vermag.

Die Formen, fährt Herr Bayle fort, müßten also durch irgendein äußeres Prinzip bei der Hervorbringung ihrer Handlungen geleitet werden. Würde das aber nicht der Deus ex machina sein, ganz wie im System der Gelegenheitsursachen?

Die eben gegebene Antwort beseitigt diese Folgerung. Im Gegenteil ist der gegenwärtige Zustand jeder Substanz die natürliche Folge ihres vorhergehenden Zustandes, aber nur ein unendlicher Verstand vermag diese Folge zu erkennen, denn dieselbe umfaßt das Universum sowohl in den Seelen wie in jedem Teile der Materie.

Herr Bayle schließt mit folgenden Worten: Endlich kann man, da Herr Leibniz die Seelen mit vielem Rechte für einfach und unteilbar hält, nicht begreifen, wie dieselben mit einer Uhr verglichen werden können, d. h., wie sie vermöge ihrer ursprünglichen Beschaffenheit ihre Verrichtungen auf mannigfache Art verändern können, indem sie sich der selbstbestimmten Tätigkeit bedienen, die sie von ihrem Schöpfer empfangen haben. Man sieht klar und deutlich ein, daß ein einfaches Wesen immer gleichförmig handeln wird, wenn keine fremde Ursache es von seiner Bahn ablenkt. Wäre es aus mehreren Stücken zusammengesetzt wie eine Maschine, so würde es auf mannigfache Weise handeln, weil die besondere Tätigkeit jedes einzelnen Teils in jedem Augenblicke den Gang der Tätigkeit der andern Teile verändern könnte — worin aber soll man bei einer einfachen Substanz die Ursache für die Veränderung der Verrichtung suchen?

Dieser Einwurf ist des Herrn Bayle würdig und gehört zu denen, welche eine Erläuterung am meisten verdienen. Allein ich meine, hätte ich dem nicht gleich von vornherein vorgesehen, so würde mein System gar nicht der Prüfung wert sein. Ich habe die Seele mit einer Uhr nur hinsichtlich der geregelten Genauigkeit der Veränderungen verglichen, die selbst bei den besten Uhren nur unvollkommen, bei den Werken Gottes aber vollkommen ist; und man darf sagen, daß die Seele ein höchst genau gefertigter, unkörperlicher Automat ist. Wenn oben gesagt wird, ein einfaches Wesen werde immer gleichförmig handeln, so ist dabei ein Unterschied zu machen: wenn gleichförmig handeln soviel bedeutet als beständig ein und demselben Gesetze der Ordnung oder Fortsetzung folgen wie bei einer gewissen Zahlenreihe oder -folge, so räume ich ein, daß jedes einfache und sogar jedes zusammengesetzte Wesen von selbst gleichförmig handelt; soll gleichförmig aber soviel heißen wie ähnlich, so lasse ich jene Behauptung nicht gelten. Hier ein Beispiel zur Erläuterung dieses Unterschiedes:

eine parabolische Bewegung ist gleichförmig im ersten Sinne, nicht aber im zweiten, da die Teile der parabolischen Linie nicht unter sich ähnlich sind wie die Teile der geraden Linie. Allerdings beschreibt (im Vorbeigehen gesagt) ein einfacher, sich selbst überlassener Körper immer nur gerade Linien, wenn man nur das Zentrum ins Auge faßt, das die Bewegung des ganzen Körpers vorstellt; da aber ein einfacher und starrer Körper, wenn er einmal eine Wirbelung oder Drehung um seinen Mittelpunkt empfangen hat, dieselbe in demselben Sinne und mit derselben Geschwindigkeit beibehält, so erhellt, daß ein sich selbst überlassener Körper vermittelst seiner vom Zentrum entfernten Punkte kreisförmige Linien, wenn das Zentrum ruht, und sogar gewisse Vierungslinien, wenn das Zentrum sich in Bewegung befindet, beschreiben kann, Vierungslinien, die zur Ordinate die Linie haben werden, welche sich aus der vom Zentrum durchlaufenen Geraden und dem Sinus zusammensetzt, dessen Sinus versus die Abszisse ist, indem der sich drehende Punkt an der Peripherie liegt, da jene Gerade eine gegebene ist.

Auch muß beachtet werden, daß die Seele, so einfach sie ist, doch immer eine gleichzeitig aus mehreren Vorstellungen zusammengesetzte Empfindung hat, was für unsern Zweck dieselbe Wirkung tut, als wenn sie aus Stücken zusammengesetzt wäre wie eine Maschine. Denn jede vorhergehende Vorstellung hat gemäß einem Gesetze der Ordnung, das für die Vorstellungen wie für die Bewegungen gilt, Einfluß auf die folgenden. Auch geben seit mehreren Jahrhunderten die meisten Philosophen, die den Seelen und den Engeln, die sie für völlig körperlos halten, Gedanken zuschreiben (der rein geistigen Wesen des Aristoteles gar nicht zu gedenken), eine selbstbestimmte Veränderung in einem einfachen Wesen zu. Ich füge noch hinzu, daß die Vorstellungen, welche sich gleichzeitig zusammen in ein und derselben Seele befinden, eine wahrhaft unendliche Menge von kleinen, ununterscheidbaren Empfindungen enthalten, welche die Folge zur Entwicklung bringen soll, und daß man sich daher nicht über die unendliche Mannigfaltigkeit dessen wundern darf, was mit der Zeit daraus entstehen soll. Alles das ist nur eine Folge der vorstellenden Natur der Seele, die infolge des Zusammenhangs oder der Verbindung aller Teile der Welt das, was in ihrem Körper und in gewisser Weise in allen andern Körpern vorgeht, und sogar das, was vorgehen wird, abspiegeln muß. Vielleicht hätte die Bemerkung hingereicht, daß Gott, da er körperliche Atome geschaffen habe, auch wohl unkörperliche geschaffen haben könne, welche die erstem vorstellen, aber ich meinte, es würde gut sein, etwas näher auf die Sache einzugehen.

Übrigens habe ich mit Vergnügen gelesen, was Herr Bayle im Artikel Zenon sagt. Vielleicht wird er innewerden, daß die Folgerungen daraus besser mit meinem Systeme harmonieren als mit jedem andern, denn das Wirkliche an der Ausdehnung und an der Bewegung besteht nur in der Begründung der Ordnung und der geregelten Folge der Erscheinungen und der Vorstellungen. Sowohl die Akademiker und Skeptiker wie ihre Gegner scheinen hauptsächlich nur deshalb in Verlegenheit geraten zu sein, weil sie in den sinnlichen Außendingen eine größere Wirklichkeit als die geregelter Erscheinungen suchten. Wir machen uns einen Begriff von der Ausdehnung, indem wir uns einen Begriff von einer Ordnung bei den gleichzeitig bestehenden Dingen machen; in der Weise einer Substanz aber dürfen wir sie uns so wenig vorstellen wie den Raum. Es verhält sich damit gerade wie mit der Zeit, die dem Geiste nur eine Ordnung in den Veränderungen vorstellt. Und was die Bewegung anlangt, so ist das darin enthaltene Wirkliche nur die Kraft oder das Vermögen, d. h. etwas, das im gegenwärtigen Zustande enthalten ist, der eine Veränderung für die Zukunft in sich trägt. Alles übrige ist nur Erscheinung und Beziehung.

Die nähere Erwägung meines Systems zeigt auch, daß sich, wenn man den Dingen auf den Grund geht, bei der Mehrzahl der philosophischen Sekten mehr Vernunft findet, als man glaubte. Die geringe substantielle Wirklichkeit der sinnlichen Dinge bei den Skeptikern, die Zurückführung aller Dinge auf Harmonien oder Zahlen, Ideen oder Vorstellungen bei den Pythagoräern und Platonikern, das eine und zugleich alles ohne jeden Spinozismus bei Parmenides und Plotin, die mit der Selbstbestimmung der andern verträgliche Verknüpfung der Stoiker, die Philosophie des Lebendigen der Kabbalisten und Hermetiker, die allen Dingen Empfindung beilegen, die Formen und Entelechien des Aristoteles und der Scholastiker und im Gegensatze dazu die mechanische Erklärung aller einzelnen Erscheinungen nach Demokrit und den Neuem usw. — alles dies findet sich gleichsam in ein perspektivisches Zentrum vereinigt, von wo aus der Gegenstand, der beim Anblick von jedem andern Orte aus verworren erscheint, seine Regelmäßigkeit und die Angemessenheit seiner Teile erkennen läßt.

Man hat aus Sektengeist gefehlt, indem man sich durch Verwerfung der übrigen Systeme Schranken setzte. Die formalistischen Philosophen tadeln die materialistischen oder Korpuskularphilosophen, und umgekehrt. Man zieht sowohl der Einteilung und Feinheit wie dem Reichtum und der Schönheit der Natur übel angebrachte Grenzen, wenn man Atome und Leeres annimmt, wenn man — wie selbst die Cartesianer — sich gewisse erste Elemente statt der wahrhaften Einheiten vorstellt und wenn man nicht in allem das Unendliche und im Kleinsten den genauen Ausdruck des Größten in Verbindung mit dem Streben eines jeden Dinges anerkennt, sich in einer vollkommenen Stufenfolge zu entwickeln, was die bewunderungswürdigste und schönste Wirkung des höchsten Prinzips ist, dessen Weisheit denen, welche die Einrichtung des Ganzen zu erfassen vermöchten, nichts Besseres zu wünschen übriglassen würde. S.48ff.
Aus: Gottfried Wilhelm Leibniz, Kleinere philosophische Schriften. Herausgegeben und übersetzt von Robert Habs (1884), Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig

Über das System der vorherbestimmten Harmonie
Entgegnung auf die in der zweiten Auflage des Bayleschen Wörterbuchs enthaltenen Bemerkungen über das System der vorherbestimmten Harmonie
Im Juni und Juli 1695 hatte ich in das Pariser Journal des Savans einige Abhandlungen über ein neues System einrücken lassen, die mir zur Erklärung der Verbindung zwischen Seele und Körper geeignet schienen und in denen ich statt des Weges der Einwirkung der Scholastiker und des Weges der Beihilfe der Cartesianer den Weg der vorherbestimmten Harmonie gebraucht hatte. Herr Bayle, der den abstraktesten Betrachtungen die Annehmlichkeit zu geben weiß, deren sie bedürfen, um den Leser zu fesseln, und ihnen zugleich auf den Grund geht, indem er sie in das richtige Licht setzt, hatte die Güte gehabt, dies System durch seine Bemerkungen im Artikel Rorarius seines Wörterbuchs zu bereichern; da er aber darin gleichzeitig Schwierigkeiten vorbrachte, hinsichtlich derer er einige Erläuterungen für notwendig erachtete, so suchte ich ihm in der Histoire des Ouvrages des Savans vom Juli 1698 in dieser Beziehung Genüge zu tun.

Darauf hat nun Herr Bayle soeben in der zweiten Auflage seines Wörterbuchs im nämlichen Artikel Rorarius geantwortet. Er besitzt die Artigkeit, zu sagen, daß meine Erwiderungen den Gegenstand besser entwickelt haben und daß er, wenn die Möglichkeit der Hypothese der vorherbestimmten Harmonie gehörig dargetan wäre, keinen Anstand nehmen würde, dieselbe der Hypothese der Cartesianer vorzuziehen, da sie eine hohe Vorstellung von dem Urheber der Dinge gibt und (beim gewöhnlichen Laufe der Natur) jeden Gedanken an ein Verfahren auf dem Wege des Wunders ausschließt. Indessen scheint ihm noch schwer begreiflich, daß diese vorherbestimmte Harmonie möglich sei, und um dies darzutun, beginnt er mit etwas seiner Ansicht nach Leichterm, das man dessenungeachtet wenig ausführbar findet: er vergleicht nämlich meine Hypothese mit der Annahme, daß ein Schiff, ohne jemand gelenkt zu werden, sich von selbst in den gewünschten Hafen begebe. Man wird zugeben, sagt er, daß die Unendlichkeit Gottes für die Mitteilung einer solchen Fähigkeit an ein Schiff nicht zu groß ist.

Er spricht sich also nicht unbedingt für die Unmöglichkeit der Sache aus, meint aber, daß andere sie für unmöglich halten werden, denn, fügt er hinzu, man wird sogar behaupten, daß die dem Schiffe eigene Natur gar nicht imstande sei, diese Fähigkeit von Gott zu empfangen. Vielleicht meinte er, nach der in Rede stehenden Hypothese müsse angenommen werden, daß Gott dem Schiffe zu diesem Zwecke eine Fähigkeit im scholastischen Sinne verliehen habe, wie man eine solche in den Schulen den schweren Körpern beilegt, die dadurch dem Mittelpunkte zugeführt werden sollen.

Ist das seine Meinung, so bin ich der erste, der die Annahme verwirft; meint er aber eine aus den Regeln der Mechanik und aus den innern Triebkräften wie aus den äußern Umständen erklärbare Fähigkeit des Schiffes und verwirft er dessenungeachtet meine Hypothese als unmöglich, so möchte ich doch, daß er Gründe für dies Urteil angeführt hätte. Denn obgleich ich der Möglichkeit eines Dinges, das diesem Schiffe gleicht, wie Herr Bayle sich dasselbe vorzustellen scheint, gar nicht bedarf, glaube ich doch, daß es bei gehöriger Erwägung der Sache, anstatt daß sich dabei eine Schwierigkeit für Gott ergeben sollte, vielmehr den Anschein hat, daß sogar ein endlicher Geist Geschick genug besitzen könnte, um dergleichen zustande zu bringen. Es leidet keinen Zweifel, daß ein Mensch eine Maschine herstellen könnte, die imstande wäre, sich eine Zeitlang durch eine Stadt umherzubewegen und genau um bestimmte Straßenecken zu biegen. Ein unvergleichlich vollkommenerer, wenn auch immer noch beschränkter Geist würde in gleicher Weise eine unvergleichlich größere Anzahl von Hindernissen vorhersehen und vermeiden können. Das ist so wahr, daß sicher, wenn diese Welt der Hypothese einiger Philosophen gemäß nur ein Gebilde aus einer endlichen Anzahl von Atomen wäre, die sich nach den Gesetzen der Mechanik bewegen, auch ein endlicher Geist erhaben genug sein könnte, um in überzeugender Weise alles zu begreifen und vorherzusehen, was in einem bestimmten Zeitraume darin vorgehen muß, so daß dieser Geist nicht bloß ein Schiff herstellen könnte, das dadurch, daß er ihm von vornherein den Gang, die Richtung und die Triebkräfte gibt, deren es dazu bedarf, imstande wäre, ganz allein einem bestimmten Hafen zuzusteuern, sondern daß er auch einen Körper bilden könnte, der fähig wäre, einen Menschen nachzuahmen. Denn es handelt sich hier nur um das Mehr und das Weniger, die im Gebiete der Möglichkeiten keine Veränderung bewirken: so groß auch die Menge der Verrichtungen einer Maschine sei, das Können und das Geschick des Herstellers können im Verhältnis dazu wachsen, so daß es die Stufenleiter der Dinge nicht hinlänglich beachten hieße, wenn man die Möglichkeit derselben nicht einsähe.

Allerdings ist die Welt kein Gebilde aus einer endlichen Anzahl von Atomen, sondern eine Maschine, die in jedem ihrer Teile aus einer wahrhaft unendlichen Anzahl von Federn zusammengesetzt ist, aber dafür ist auch der, welcher sie gemacht hat und sie regiert, von einer noch unendlichem Vollkommenheit, da dieselbe sich auf eine unendliche Anzahl möglicher Welten erstreckt, von denen er die gewählt hat, die ihm gefiel. Um jedoch auf die endlichen Geister zurückzukommen, so kann man aus den kleinen Proben, welche sich zuweilen unter den Menschen finden, schließen, wie weit die zu gelangen vermögen, welche wir nicht kennen. So gibt es z. B. Menschen, die fähig sind, verwickelte arithmetische Rechnungen auf das schnellste rein im Kopfe auszuführen. Herr de Monconis gedenkt eines solchen Menschen, der sich zu seiner Zeit in Italien fand, und heute lebt ein solcher in Schweden, der nicht einmal die gewöhnliche Arithmetik gelernt hat, und ich wünschte, daß man nicht verabsäumte, ihn über sein Verfahren auszuforschen.

Denn was ist der Mensch, so vortrefflich er auch sein mag, im Vergleiche zu so vielen möglichen und sogar seienden Geschöpfen, wie die Engel oder Genien, die uns in jeder Art von Fassungskraft und Folgerungsvermögen in unvergleichlich höherm Grade übertreffen können, als jene unvergleichlichen Besitzer einer natürlichen Arithmetik uns in betreff der Zahlen übertreffen? Ich räume ein, daß die Menge nicht auf diese eingeht: man betäubt sie durch Einwürfe, bei denen an das gedacht werden muß, was nicht gewöhnlich oder auch was ohne Beispiel unter uns ist; denkt man aber an die Größe und die Mannigfaltigkeit des Weltalls, so urteilt man ganz anders darüber. Herr Bayle besonders kann nicht verfehlen, die Richtigkeit dieser Folgerungen einzusehen. Allerdings hängt meine Hypothese gar nicht davon ab, wie ich sogleich zeigen werde, aber wenn sie auch davon abhinge und wenn man auch mit Recht sagte, sie wäre überraschender als die der Automaten (von der sie jedoch nur die guten Seiten und das, was wohlbegründet ist, weiterverfolgt, wie ich unten zeigen werde), so würde ich mir doch darüber keine Sorge machen, wenn es nur kein ander Mittel gibt, die Dinge in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen zu erklären. Denn man darf sich bei vielen Dingen durchaus nicht zum Schaden der unzweifelhaften Folgerungen nach den im Volke verbreiteten Begriffen richten. Überdies wurzelt der Einwurf, den ein Philosoph gegen die Automaten vorzubringen hat, nicht im Staunenswerten dieser Hypothese, sondern in dem Verstoß gegen die Prinzipien, da es überall Entelechien geben muß, und es heißt eine geringe Vorstellung vom Urheber der Natur haben, der deren kleine Welten oder tätige unteilbare Spiegel soviel als möglich vervielfältigt, wenn man solche nur den menschlichen Körpern beilegt. Es ist sogar unmöglich, daß es nicht überall Entelechien gebe.

Bis jetzt haben wir nur von dem gesprochen, was eine beschränkte Substanz vermag, in bezug auf Gott ist jedoch die Sache eine völlig andere, und anstatt daß das, was zunächst unmöglich schien, dies in der Tat sei, muß vielmehr gesagt werden, es sei unmöglich, daß Gott anders verfahre, da er, wie er ist, unendlich mächtig und weise ist und bei allem die Ordnung und die Harmonie beobachtet, soweit es möglich ist. Aber noch mehr: was so befremdend erscheint, wenn man es abgesondert betrachtet, ist eine unzweifelhafte Folge der Beschaffenheit der Dinge, so daß das allumfassende Wunder die besondern Wunder sozusagen beseitigt und absorbiert, da es Rechenschaft darüber gibt. Denn alles ist so geregelt und verknüpft, daß jene nie versagenden natürlichen Maschinen, die man mit Schiffen vergleicht, welche trotz der Umwege und Stürme von selbst in den Hafen gelangen würden, nicht befremdender erscheinen können als eine Rakete, die an einer Schnur entlangläuft, oder eine Flüssigkeit, die sich in einer Röhre bewegt. Da ferner die Körper nicht Atome, sondern ins Unendliche teilbar und sogar wirklich geteilt sind und alles damit angefüllt ist, so erhellt, daß der geringfügigste kleine Körper von der geringsten Veränderung aller übrigen, so entfernt und so klein dieselben auch sein mögen, einen Eindruck empfängt und daher ein genauer Spiegel des Universums sein muß, was zur Folge hat, daß ein hinlänglich scharfblickender Geist nach Maßgabe seines Scharfblicks in jedem Körperchen sehen und vorhersehen könnte, was in und außer diesem Körperchen vorgeht und vorgehen wird.

Demzufolge tritt nichts ein, nicht einmal durch den Anprall der umgebenden Körper, das nicht aus dem folgt, was bereits in dem Körperchen liegt, und das die Ordnung stören könnte. Noch unzweideutiger ist das bei den einfachen Substanzen oder den tätigen Prinzipien selbst, die ich mit Aristoteles ursprüngliche Entelechien nenne und die mir zufolge nichts stören kann. Ich sage dies zur Beantwortung einer Randnote des Herrn Bayle, in der er mir einwirft, daß, da ein organischer Körper »aus mehreren Substanzen zusammengesetzt ist, von der jede ein Prinzip der Tätigkeit besitzt, das in Wirklichkeit von dem Tätigkeitsprinzipe jeder einzelnen andern verschieden ist, und da ferner die Tätigkeit jedes Prinzips eine selbstbestimmte ist, dies die Wirkungen ins Unendliche vermannigfachen und überdies der Anprall der umgebenden Körper der natürlichen Selbstbestimmung jedes einzelnen einigen Zwang antun muß«.

Man muß jedoch beachten, daß zu jeder Zeit das eine schon jedem andern angepaßt ist und sich zu dem bestimmt, was das andere von ihm fordern wird. Es besteht daher bei den Substanzen nur im Äußern und dem Anscheine nach ein Zwang. Dies ist so wahr, daß die Bewegung irgendeines beliebig in der Welt angenommenen Punktes sich in einer Linie von bestimmter Beschaffenheit vollzieht, die dieser Punkt ein für Allemal eingeschlagen hat und von der abzuweichen ihn nie etwas veranlassen wird. Das ist das Genaueste und Klarste, was ich für geometrische Geister sagen zu können glaube, obgleich diese Art Linien unendlich über diejenigen hinausgehen, welche ein endlicher Geist begreifen kann. Allerdings würde diese Linie eine Gerade sein, wenn jener Punkt allein in der Welt sein könnte, während sie jetzt vermöge der Gesetze der Mechanik ein Erzeugnis der Mitwirkung aller Körper ist: gerade durch diese Mitwirkung ist sie aber vorherbestimmt. Daher räume ich auch ein, daß die Selbstbestimmung nicht eigentlich in der Masse befindlich ist (man müßte denn das gesamte Universum darunter verstehen, in welchem Falle jener Ausdruck durchaus statthaft ist), denn wenn jener Punkt anfangen könnte, allein zu sein, so würde er seine Bewegung nicht in der vorherbestimmten Linie, sondern in der geraden Tangente fortsetzen. Die Selbstbestimmung befindet sich daher eigentlich in der Entelechie (deren Gesichtspunkt jener Punkt ist), und während der Punkt von selbst nur die Richtung der Bewegung in der geraden Tangente haben kann, weil er sozusagen weder Erinnerung noch Vorgefühl besitzt, drückt die Entelechie die vorherbestimmte Kurve selbst aus, so daß in diesem Sinne in bezug auf sie nichts durch Zwang herbeigeführt ist.

Daraus erhellt, wie alle die Wunder des Schiffes, das sich von selbst in den Hafen lenkt, oder der Maschine, die die Verrichtungen des von Verstand entblößten Menschen ausführt, oder wer weiß wie vieler anderer Fiktionen, die man mir noch einwerfen könnte und die meine Annahme unglaublich machen, wenn man sie aufhören, Schwierigkeiten zu bereiten, und wie alles, was man befremdend gefunden hatte, sich völlig verliert, sobald man erwägt, daß die Dinge zu dem bestimmt sind, was sie tun sollen. Alles, was der Ehrgeiz oder eine andere Leidenschaft die Seele Cäsars tun läßt, ist auch in ihrem Körper dargestellt: Alle Bewegungen dieser Leidenschaften rühren von den Einwirkungen der Gegenstände in Verbindung mit den innern Bewegungen her, und der Körper ist derart gebildet, daß die Seele nie einen Entschluß faßt, mit dem nicht die Bewegungen des Körpers übereinstimmten, da selbst die abstraktesten Schlußreihen vermittelst der Zeichen, durch welche sie der Einbildungskraft vorgestellt werden, dabei ihren Spielraum finden.

Kurzum, hinsichtlich der Einzelheiten der Erscheinungen vollzieht sich im Körper alles, als ob die schlimme Lehre derer, welche nach Epikur und Hobbes die Seele für stofflich ansehen, der Wahrheit gemäß wäre oder als ob der Mensch selbst nur Körper oder Automat wäre. Daher haben jene auch das, was die Cartesianer bezüglich aller andern Tiere zugestehen, bis auf den Menschen ausgedehnt, indem sie tatsächlich zeigten, daß nichts vom Menschen mit seiner ganzen Vernunft vollführt wird, die im Körper nur ein Beispiel von Bildern, Leidenschaften und Bewegungen sei. Indem man das Gegenteil beweisen wollte, hat man sich bloßgestellt, und dadurch, daß man sich mit dieser schiefen Ansicht in einen Streit einließ, nur dem Irrtume Gelegenheit zu einem Triumphe geboten. Die Cartesianer haben, ungefähr wie Epikur mit seiner Abweichung der Atome, über die sich Cicero so weidlich lustig macht, wenig Glück gehabt, als sie behaupteten, die Seele könne zwar dem Körper keine Bewegung verleihen, sie ändere jedoch die Richtung derselben: Weder das eine noch das andere kann und soll geschehen, und die Materialisten brauchen sich gar nicht auf diesen Umstand zu berufen, denn nichts von dem, was äußerlich am Menschen zum Vorschein kommt, ist imstande, ihre Lehre zu widerlegen — und das genügt, um einen Teil meinet Hypothese zu begründen.

Diejenigen, welche den Cartesianern zeigen, daß ihr Beweisverfahren dafür, daß die Tiere nur Automaten sind, auch sogar den rechtfertigt, der behaupten würde, alle Menschen außer ihm seien ebenfalls einfache Automaten, haben genau und zutreffend das entwickelt, was ich für diese Hälfte meiner Hypothese, die den Körper betrifft, brauche. Aber von den Prinzipien abgesehen, welche die Monaden außer Zweifel stellen, von denen die zusammengesetzten Dinge nur die Resultate sind, widerlegt auch die innere Erfahrung die Lehre Epikurs: das Bewußtsein, das in uns vom Ich lebt, gewahrt die Dinge, die im Körper vorgehen, und da die Wahrnehmung nicht aus den Gestalten und Bewegungen erklärt werden kann, so begründet sie die andere Hälfte meiner Hypothese und nötigt uns, eine unteilbare Substanz in uns anzunehmen, die selbst die Quelle ihrer Erscheinungen sein muß. Demgemäß geschieht diesem zweiten Teile meiner Hypothese zufolge alles in der Seele gerade so, wie wenn es keinen Körper gäbe, ganz wie nach dem ersten Teile derselben im Körper alles so geschieht, als ob es keine Seele gäbe.

Überdem habe ich oft gezeigt, daß bei den Körpern selbst, obgleich das einzelne der Erscheinungen mechanische Gründe hat, die letzte Analyse der mechanischen Gesetze und die Natur der Substanzen uns schließlich nötigt, die tätigen unteilbaren Prinzipien zu Hilfe zu nehmen, und wie die bewunderungswürdige Ordnung, die sich darin findet, uns dartut, daß es ein allumfassendes Prinzip gibt, dessen Einsicht wie Macht vollkommen und unübertrefflich ist. Und da aus dem, was die falsche und gottlose Lehre Epikurs Gutes und Begründetes enthält, hervorgeht, daß es nicht nötig ist, zu behaupten, daß die Seele die Richtung der Bewegungen ändere, welche im Körper sind, so ist leicht zu schließen, daß es ebensowenig nötig ist, daß die stoffliche Masse vermittelst der Einwirkung unbekannter chimärischer Eigenschaften der Seele Gedanken zusende, noch daß Gott beständig der Dolmetscher des Körpers bei der Seele sei, so wenig wie er den Willen der Seele dem Körper zu verdolmetschen braucht, da die vorherbestimmte Harmonie ein anderer Mittelsmann für beide Teile ist.

Daraus erhellt, daß das Gute an den Hypothesen Epikurs und Platons, des größten Materialisten und des größten Idealisten, hier vereinigt ist und daß sich in meiner Hypothese nichts Überraschendes mehr findet als bloß die alles überragende Vollkommenheit des höchsten Prinzips, die nun an seinem Werke über alles hinaus, was man bis jetzt davon glaubte, nachgewiesen worden ist. Welch Wunder also, daß alles sich gehörig und mit Genauigkeit vollzieht, da alle Dinge verbunden sind und sich bei der Hand führen, sobald man voraussetzt, daß alles vollkommen gut erdacht sei? Es würde vielmehr das größte Wunder oder die befremdlichste Widersinnigkeit sein, wenn dies zur richtigen Fahrt bestimmte Schiff, diese Maschine, der ihr Weg von jeher vorgezeichnet worden ist, trotz der von Gott getroffenen Maßregeln versagen könnte. Daher darf auch meine Hypothese in bezug auf die körperliche Masse nicht mit einem Schiffe, das sich selbst zum Hafen lenkt, sondern sie muß mit jenen Fährbooten verglichen werden, die, an einem Seile befestigt, quer den Strom durchschneiden. Es ist hier wie bei den Theatermaschinen und den Feuerwerken, deren treffende Genauigkeit man nicht mehr befremdlich findet, sobald man weiß, wie alles geleitet wird. Allerdings überträgt man dann die Bewunderung für das Werk auf den Erfinder, geradeso wie wenn man jetzt einsieht, daß die Planeten nicht der Leitung durch geistige Wesen bedürfen.

Bis jetzt haben wir fast nur Einwürfe besprochen, die sich auf den Körper oder den Stoff beziehen, und es ist dabei keine andere Schwierigkeit beigebracht worden als die des Wunderhaften (aber schönen, geregelten und allumfassenden Wunderhaften), das sich bei den Körpern finden muß, damit sie unter sich und mit den Seelen übereinstimmen; das muß aber meines Erachtens bei Personen, die, um mit Herrn Bayle zu reden, über »das Vermögen und die Geschicklichkeit der göttlichen Kunst« ein richtiges Urteil haben, eher für einen Beweis als für einen Einwurf gelten, und Herr Bayle räumt auch ein, daß »sich nichts ersinnen läßt, was eine höhere Vorstellung von der Einsicht und der Macht des Urhebers aller Dinge gäbe«. Jetzt nun kommen wir zur Seele, hinsichtlich derer Herr Bayle noch andere Schwierigkeiten findet, nachdem ich die ersten gelöst habe. Er beginnt damit, daß er diese Seele, an sich und abgesondert genommen, ohne daß sie etwas von außen empfängt, mit einem Atome Epikurs vergleicht, das vom leeren Raume umgeben ist, und in der Tat betrachte ich die Seelen oder vielmehr die Monaden als substantielle Atome, weil es meines Erachtens keine stofflichen Atome in der Natur gibt, da das kleinste Stückchen des Stoffs immer noch Teile hat.

Da nun ein Atom, wie Epikur es sich dachte, eine bewegende Kraft besitzt, die ihm eine gewisse Richtung gibt, so wird es diese Kraft unbehindert und gleichmäßig ausüben, sofern es nicht einem andern Atome begegnet. Hat nun die Seele, gesetzt daß sie sich in diesem Zustande befinde, wo nichts Äußeres sie beeinflußt, zu Anfang eine Empfindung der Lust empfangen, so scheint es, nach Herrn Bayle, daß sie gleicherweise immer an dieser Empfindung festhalten müsse; denn wenn die Gesamtursache bleibt, so muß auch immer die Wirkung bleiben. Auf meinen Einwand, daß die Seele als in einem Zustande der Veränderung befindlich betrachtet werden muß, erwidert Herr Bayle, daß diese Veränderung der Veränderung eines Atoms ähnlich sein muß, das sich beständig und mit gleichmäßiger Geschwindigkeit in derselben (geraden) Richtung bewegt. Und wenn er, sagt er, auch die Umwandlung der Gedanken zugäbe, so müßte wenigstens der Übergang, den ich von einem Gedanken zum andern annehme, einen auf der Verwandtschaft beruhenden Grund enthalten. Ich stimme den Grundlagen dieses Einwurfs bei und gebrauche sie meinerseits, um mein System zu erläutern.

Der Zustand der Seele wie des Atoms ist ein Zustand der Veränderung, ein Streben: das Atom strebt nach Ortsveränderung, die Seele nach Gedankenveränderung, beide wechseln von selbst in der einfachsten und gleichmäßigsten Weise, die ihr Zustand erlaubt. Woher kommt es also, fragt man nun, daß in der Veränderung des Atoms so viel Einfachheit, in den Veränderungen der Seele aber so viel Mannigfaltigkeit herrscht? Daher, daß das Atom (so wie man sich dasselbe denkt, obschon es nichts Derartiges in der Natur gibt), wenngleich es Teile hat, doch nichts besitzt, was Mannigfaltigkeit in seinem Streben verursacht, da man annimmt, daß diese Teile nie ihre Beziehungen zueinander ändern; während die Seele, so unteilbar sie ist, ein zusammengesetztes Streben enthält, d. h. eine Menge von gegenwärtigen Gedanken, von denen jeder seinem Inhalte gemäß nach einer Sonderveränderung strebt und die sich gleichzeitig in der Seele befinden vermöge der wesentlichen Beziehung derselben zu allen andern Dingen der Welt.

Auch ist es gerade der Mangel dieser Beziehung, der die Atome Epikurs von der Natur ausschließt. Denn es besteht kein individuelles Ding, das nicht alle übrigen ausdrücken soll, so daß die Seele im Hinblick auf die Mannigfaltigkeit ihrer Veränderungen mit dem Universum, das sie ihrem Gesichtspunkte gemäß vorstellt, und gewissermaßen sogar mit Gott, dessen Unendlichkeit sie wegen ihrer verworrenen und unvollkommenen Vorstellung des Unendlichen in endlicher Weise vorstellt, weit eher verglichen werden muß als mit einem stofflichen Atom.

Auch ist der Grund für die Veränderung der Gedanken in der Seele der nämliche wie für die Veränderung der Dinge im Universum, das die Seele vorstellt. Denn die mechanischen Gründe, die in den Körpern auseinander gebreitet sind, sind in den Seelen oder Entelechien zusammengezogen und sozusagen konzentriert und haben sogar ihre Quelle darin. Allerdings sind nicht alle Entelechien Abbilder Gottes wie unsere Seele, da nicht alle geschaffen sind, um Glieder einer Genossenschaft oder eines Staates zu werden, dessen Oberhaupt er ist — aber sie sind immer Abbilder des Universums. Es sind Welten im verkleinerten Maßstabe, nach ihrer Weise, reichhaltige Einfachheiten, Einheiten von Substanzen, die jedoch infolge der Menge ihrer Veränderungen dem Vermögen nach unendlich sind, Mittelpunkte, die eine unendliche Peripherie abspiegeln.

Und sie müssen es notwendigerweise sein, wie ich früher in Briefen auseinandergesetzt habe, die ich mit Herrn Arnauld wechselte. An ihrer Dauer darf niemand Anstoß nehmen, so wenig wie an der Dauer der Atome der Gassendisten. Überdies ist, wie Sokrates im Phädon Platons anläßlich eines Menschen bemerkt, der sich kratzt, oft von der Lust zum Schmerze nur ein Schritt: extrema gaudii luctus occupat [Die höchste Stufe der Lust hält das Leid besetzt]. Demgemäß darf man sich nicht über jenen Übergang wundern; es scheint bisweilen, daß das Vergnügen nur eine Zusammensetzung von kleinen Vorstellungen ist, von denen jede ein Schmerz sein würde, wenn sie groß wäre.

Herr Bayle anerkennt bereits, daß ich auf einen guten Teil seiner Einwürfe zu antworten versucht habe; er berücksichtigt auch, daß im Systeme der Gelegenheitsursachen Gott der Vollstrecker seiner eigenen Gesetze sein muß, während es nach dem meinen die Seele ist, aber er wendet ein, daß die Seele keine Werkzeuge zu einer derartigen Vollstreckung habe. Ich antworte und habe geantwortet, daß sie deren hat: es sind das ihre gegenwärtigen Gedanken, aus denen die folgenden entstehen, und man darf sagen, daß in ihr wie überall die Gegenwart mit der Zukunft schwanger geht.

Ich glaube, Herr Bayle und alle Philosophen mit ihm werden zugeben, daß unsere Gedanken niemals einfach sind und daß die Seele in bezug auf gewisse Gedanken die Macht hat, von selbst von dem einen zum andern überzugehen, wie wenn sie z. B. von den Prämissen zum Schlusse oder vom Zwecke zu den Mitteln übergeht. Selbst der ehrwürdige Pater Malebranche räumt ein, daß die Seele innere freiwillige Kraftäußerungen hat. Welcher Grund ist nun vorhanden, welcher hinderte, daß dies bei allen Gedanken statthabe? Vielleicht glaubte man, die verworrenen Gedanken seien toto genere [der Art nach] von den deutlichen verschieden, während sie doch nur weniger unterschieden und wegen ihrer Vielfältigkeit weniger entwickelt sind. Das hat zur Folge gehabt, daß man dem Körper gewisse Bewegungen zuschrieb, die man mit Recht unwillkürliche nennt und von denen man glaubte, daß es nichts ihnen Entsprechendes in der Seele gäbe, wie man umgekehrt glaubte, daß gewisse abstrakte Gedanken nicht im Körper vorgestellt werden.

Beide Annahmen sind falsch, wie das gewöhnlich bei dieser Art von Unterscheidungen der Fall ist, da man immer nur das beachtet, was am meisten in die Augen fällt. Die abstraktesten Gedanken bedürfen immer irgendeiner Vorstellung, und wenn man erwägt, was die verworrenen Gedanken sind, die nie verfehlen, die deutlichsten Vorstellungen, die wir nur haben können, zu begleiten, so erkennt man, daß dieselben immer das Unendliche, und nicht nur das, was in unserm Körper vorgeht, sondern vermittelst seiner auch das, was anderswo geschieht, umschließen und demgemäß für unsern Zweck weit dienlicher sind als jene Legion von Substanzen, von der Herr Bayle als von einem Instrumente spricht, das anscheinend für die von mir der Seele beigelegten Verrichtungen unentbehrlich ist.

Allerdings hat die Seele diese Legionen zu ihrem Dienste, aber nicht in ihrem eigenen Innern. Jene Tabulatur, die ihre Aufgabe ausmacht, bildet sich also aus den gegenwärtigen Vorstellungen mit dem geregelten Streben zur Veränderung. Aber, sagt Herr Bayle, müßte sie nicht die Folge der Noten (deutlich) kennen und (auf diese Weise) tatsächlich daran denken?

Nein, sage ich: es reicht hin, daß sie dieselben in ihre verworrenen Gedanken eingeschlossen besitzt — andernfalls würde jede Entelechie Gott sein. Denn Gott drückt gleichzeitig deutlich und vollkommen Mögliches und Seiendes, Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges aus: er ist die umfassende Quelle von allem, und die geschaffenen Monaden ahmen ihn nach, soweit eben Geschöpfe dies vermögen. Er hat sie als Quellen ihrer Erscheinungen geschaffen, welche Beziehungen zu allem enthalten, die jedoch je nach dem Grade der Vollkommenheit jeder einzelnen von diesen Substanzen mehr oder weniger deutlich sind. Wo liegt da die Unmöglichkeit? Ich möchte irgendeinen tatsächlichen Beweisgrund sehen, der zu einem Widerspruche oder zum Widerstreit mit irgendwelcher bewiesenen Wahrheit führte.

Die Behauptung, das sei wunderbar, würde kein Einwurf sein. Im Gegenteil, alle diejenigen, welche unteilbare unstoffliche Substanzen anerkennen, sprechen denselben eine Menge gleichzeitiger Vorstellungen und eine Selbstbestimmung bei ihren Vernunftschlüssen und freiwilligen Handlungen zu. Ich dehne also nur die Selbstbestimmung auf die verworrenen und unfreiwilligen Gedanken aus und zeige, daß es in deren Natur liegt, Beziehungen zu allem, was außer der Seele ist, zu enthalten. Wie will man nun beweisen, daß das unmöglich sei oder daß notwendigerweise alles, was in uns ist, uns deutlich bekannt sein müsse? Ist es nicht Tatsache, daß wir uns nicht einmal immer dessen zu erinnern vermögen, was wir wissen und auf was wir plötzlich bei einem kleinen rückerinnernden Anlaß wieder verfallen? Und wieviel Mannigfaltigkeiten können wir nicht noch in der Seele haben, auf die so schnell zu verfallen uns nicht gestattet ist?

Die Seele würde andernfalls ein Gott sein, während es für sie hinreicht, eine kleine Welt zu sein, die man ebenso der Störung unzugänglich findet wie die große, wenn man erwägt, daß beim Verworrenen wie beim Deutlichen Selbstbestimmung herrscht. Mit Recht jedoch nennt man mit den Alten in einem andern Sinne das, was in den verworrenen Gedanken besteht, wo sich Unwillkürliches und Unbekanntes findet, Störungen oder Leidenschaften, und eben dies schreibt man in der gewöhnlichen Redeweise nicht uneben dem Kampfe zwischen dem Geiste und dem Leibe zu, weil unsere verworrenen Gedanken den Körper oder das Fleisch vorstellen und unsere Unvollkommenheit ausmachen.

Ich hatte diese Antwort, daß nämlich die verworrenen Vorstellungen alles Äußere umfassen und unendliche Beziehungen in sich schließen, der Hauptsache nach bereits gegeben, und Herr Bayle verwirft dieselbe, nachdem er sie angeführt hat, nicht nur nicht, sondern sagt vielmehr, daß diese Hypothese, sobald sie gehörig entwickelt sein wird, das richtige Mittel ist, um alle Schwierigkeiten zu lösen, und tut mir die Ehre an, zu bemerken, er hoffe, daß ich die von ihm erhobenen Bedenken stichhaltig lösen würde. Wenn er das auch nur aus Höflichkeit gesagt hätte, so würde ich mich doch nichtsdestoweniger darum bemüht haben, und ich glaube auch keinen seiner Einwürfe übergangen zu haben Habe ich aber etwas beiseite gelassen, ohne eine Lösung zu versuchen, so werde ich eben nicht haben einsehen können, worin eigentlich die Schwierigkeit bestand, die man mir entgegenhalten wollte, ein Umstand, der mir bisweilen bei der Antwort die meiste Mühe bereitet. Es wäre mir lieb gewesen, wenn ich hätte erkennen können, warum man glaubt, daß jene Menge von Vorstellungen, die ich in einer unteilbaren Substanz annehme, nicht darin vorhanden sein könne; denn ich bin der Meinung, es würde gestattet sein, dieselbe anzunehmen, selbst wenn die Erfahrung und das gemeinsame Gefühl uns nicht eine große Mannigfaltigkeit in unserer Seele erkennen ließen. Die einfache Bemerkung, man könne diese oder jene Sache nicht begreifen, ist noch kein Beweis für deren Unmöglichkeit, wenn man nicht bestimmt angibt, worin sie gegen die Vernunft verstößt, und wenn die Schwierigkeit nur in der Einbildungskraft ist, ohne daß eine solche im Verstande besteht.

Es ist ein Vergnügen, mit einem so billig denkenden und gleichzeitig so scharfsinnigen Gegner wie Herr Bayle zu tun zu haben, der einem in solchem Grade Gerechtigkeit widerfahren läßt, daß er oft den Antworten zuvorkommt, wie er es tut, indem er, auf meine Anschauung eingehend, bemerkt, daß, wenn die ursprüngliche Verfassung jedes Geistes von der jedes andern verschieden sei, dies nicht ungewöhnlicher sei als das, was die Thomisten im Anschluß an ihren Meister von der spezifischen Verschiedenheit aller einzelnen geistigen Wesen behaupten. Ich bin erfreut, in diesem Punkte mit ihm übereinzustimmen, denn ich habe an anderer Stelle selbst diese nämliche Autorität angeführt. Allerdings nenne ich diesen Unterschied meiner Definition der Art gemäß nicht spezifisch, denn da sich meines Erachtens nie zwei Individuen vollkommen gleichen, so müßte man sagen, daß nie zwei Individuen derselben Art angehören, was nicht zutreffend gesprochen sein würde.

Es tut mir leid, daß ich die Einwürfe des Dominus Franois Lami noch nicht habe einsehen können, die, wie Herr Bayle mich belehrt, in dessen zweiter Abhandlung über die Erkenntnis seiner selbst (Ausg. 1699) enthalten sind, denn sonst würde ich meine Antworten auch dagegen gerichtet haben. Herr Bayle hat mir ausdrücklich die Einwürfe ersparen wollen, die auch andern Systemen gemacht werden können, und dies ist eine weitere Verpflichtung, die ich gegen ihn habe. Ich bemerke daher nur, daß ich, wie ich glaube, in bezug auf die den Geschöpfen verliehene Kraft im Septemberhefte der Leipziger Zeitschrift 1698 auf alle die Einwürfe der Denkschrift eines gelehrten Mannes geantwortet habe, die im Jahre 1697 in der genannten Zeitschrift erschienen war und die Herr Bayle am Rande anführt , und daß ich sogar bewiesen zu haben glaube, daß es ohne die tätige Kraft in den Körpern keine Mannigfaltigkeit in den Erscheinungen geben würde, was ebenso viel wäre, als ob es gar nichts gäbe.

Allerdings hat mein gelehrter Gegner (im Mai 1699) darauf geantwortet, aber im eigentlichen Sinne nur eine Auseinandersetzung seiner Ansicht ohne hinlängliche Berücksichtigung meiner Gegengründe gegeben, so daß es ihm gar nicht in den Sinn gekommen ist, auf jenen Beweis zu antworten, da er noch dazu den Gegenstand als unbrauchbar zur Überzeugung und weitern Erläuterung und sogar als für das gute Einvernehmen gefährlich betrachtete. Ich räume ein, daß dies das gewöhnliche Schicksal der gelehrten Streitereien ist, es gibt jedoch Ausnahmen, und das, was sich zwischen Herrn Bayle und mir abgesponnen hat, scheint anderer Art zu sein. Ich meinerseits bestrebe mich immer, geeignete Maßnahmen zur Bewahrung der Mäßigung und Beförderung der Aufklärung der Sache zu treffen, damit der Streit nicht nur nicht schädlich sei, sondern auch nützlich werden könne. Ich weiß nicht, ob ich diesmal diesen letztern Zweck erreicht habe, aber obgleich ich mir nicht schmeicheln darf, bei einem so schwierigen Gegenstande wie dem vorliegenden einem so gründlichen Geiste wie dem des Herrn Bayle volle Befriedigung zu geben, so werde ich doch immer schon zufrieden sein, wenn er findet, da ich in einer so wichtigen Untersuchung einige Fortschritte gemacht habe.

Ich habe nicht umhingekonnt, das Vergnügen zu erneuern, das mir früher die mit besonderer Aufmerksamkeit vorgenommene Lektüre mehrerer Artikel seines ausgezeichneten und reichhaltigen Wörterbuchs gewährte, unter andern namentlich der auf die Philosophie bezüglichen Artikel wie Pauliciens, Origene, Pereira, Rorarjus, Spinoza, Zenon. Ich bin über die Reichhaltigkeit, die Kraft und die Schönheit der Gedanken von neuem überrascht gewesen. Nie wird ein Akademiker, Karneades nicht ausgenommen, die Schwierigkeiten einleuchtender dargelegt haben. Selbst Herr Foucher, so äußerst gewandt er in dergleichen Betrachtungen war, kam dem nicht nahe, und ich für mein Teil finde, daß nichts auf der Welt für die Überwindung eben dieser Schwierigkeiten ersprießlicher sein kann. Eben deshalb finde ich Gefallen an den Einwürfen gescheiter und billig denkender Leute, denn ich fühle, daß das mir neue Kräfte gibt, etwa wie in der Fabel vom zu Boden geworfenen Antäus. Und was mich veranlaßt, mit ein wenig Selbstvertrauen zu reden, ist der Umstand, daß ich mich erst entschieden habe, nachdem ich die Sache von allen Seiten betrachtet und gehörig erwogen hatte, so daß ich vielleicht ohne Anmaßung sagen kann: Omnia percepi, atque animo mecum ante peregi [Alles hab‘ ich gemerkt und vorher im Geiste erwogen].

Die Einwürfe aber leiten mich auf den richtigen Weg und ersparen mir viel Mühe, denn diese letztere ist nicht gering, wenn man alle Abschweifungen von neuem durchgehen will, um die etwaigen Ausstellungen anderer zu erraten und denselben im voraus zu begegnen, da die Vorurteile und die Neigungen so verschieden sind, daß sich sehr gründlich denkende Personen gefunden haben, die sich sogleich meine Hypothese zu eigen gemacht und sich sogar die Mühe gegeben haben, sie andern zu empfehlen. Andere ebenfalls sehr tüchtige Leute haben mir zu erkennen gegeben, daß sie in der Tat schon im Besitze derselben waren, und einige haben sogar behauptet, daß sie ebenso die Hypothese der Gelegenheitsursachen auffassen und keinen Unterschied zwischen dieser und der meinigen machen, was mir sehr lieb ist. Nicht weniger lieb aber ist es mir, wenn ich sehe, daß man sich bemüht, sie gehörig und eingehend zu prüfen.

Um noch etwas über die eben erwähnten Artikel des Herrn Bayle zu sagen, die vielen Zusammenhang mit dem vorliegenden Gegenstande haben, so scheint mir, daß der Grund für die Zulassung des Übels in den ewigen Möglichkeiten liegt, denen zufolge die Art von Universum, welche das Übel zuläßt, und die zum tatsächlichen Sein zugelassen worden ist, sich unter allen möglichen Arten als die im ganzen vollkommenste ergibt. Man gerät jedoch auf Abwege, wenn man mit den Stoikern im einzelnen diese Nützlichkeit des Übels dartun will, das das Gute hervorhebt, wie St. Augustinus im allgemeinen richtig erkannt hat, und das sozusagen ein Schritt zurück ist, um besser vorwärts springen zu können; denn wer vermag auf die unendlichen Einzelheiten der allumfassenden Harmonie einzugehen? Wenn indessen der Vernunft gemäß zwischen zweien gewählt werden müßte, so würde ich eher für den Origenisten und nie für den Manichäer sein. Es scheint mir nicht notwendig, daß man unter dem Vorwande, sie würden erschaffen, wenn sie Modalitäten hervorbrächten, den Geschöpfen die Tätigkeit oder die Kraft abspricht. Denn es ist Gott, der beständig ihre Kräfte erschafft und erhält, d. h. eine Quelle von Modifikationen, die im Geschöpfe liegt, oder auch einen Zustand, aus welchem man schließen kann, daß es einen Wechsel der Modifikationen geben wird, weil sonst meines Dafürhaltens, wie ich an anderer Stelle gezeigt zu haben erwähnte, Gott nichts hervorbringen und es keine Substanzen außer der seinen geben würde; das würde uns aber alle Widersinnigkeiten des Gottes Spinozas wieder auf den Plan bringen. Auch hat es den Anschein, als ob der Irrtum dieses Autors nur daher rühre, daß er die Konsequenzen der Lehre, welche den Geschöpfen die Kraft und die Tätigkeit abspricht, bis aufs Äußerste getrieben hat.

Ich anerkenne, daß die Zeit, die Ausdehnung, die Bewegung und das Stetige im allgemeinen in der Weise, wie diese Dinge in der Mathematik aufgefaßt werden, nur ideale Dinge sind, d. h. Dinge, welche die Möglichkeiten ausdrücken, ganz wie das die Zahlen tun. Sogar Hobbes hat den Raum als phantasma existentis [Vorstellung des Seienden] definiert. Um mich jedoch genauer auszudrücken: der Raum ist die Ordnung der möglichen gleichzeitigen Dinge, wie die Zeit die Ordnung der unbeständigen Möglichkeiten ist, die indessen im Zusammenhang miteinander stehen, so daß diese Ordnungen nicht nur für das passen, was tatsächlich ist, sondern auch für das, was an dessen Stelle gesetzt werden könnte, wie die Zahlen gleichgültig sind für alles, was res numerata [ein gezähltes Ding] sein kann. Und obgleich sich in der Natur niemals völlig gleichförmige Veränderungen finden, so wie die Vorstellung, welche die Mathematik uns von der Bewegung gibt, sie fordert, und ebensowenig, strenggenommen, wirkliche Figuren von der Art jener gibt, welche die Geometrie uns lehrt, so sind doch nichtsdestoweniger die wirklichen Erscheinungen der Natur mit Umsicht eingerichtet und müssen es in der Weise sein, daß nie etwas geschieht, wobei das Gesetz der Stetigkeit (das ich aufgestellt und zuerst. in den Nouvelles de la République des Lettres des Herrn Bayle erwähnt habe) und all die andern äußerst genauen Regeln der Mathematik verletzt würden. Vielmehr können die Dinge nur durch diese Regeln begreiflich gemacht werden, die in Verbindung mit den Regeln der Harmonie oder der Vollkommenheit, welche die wahre Metaphysik hergibt, allein imstande sind, uns in die Gründe und Absichten des Urhebers der Dinge eindringen zu lassen.

Die zu große Menge der unendlichen Zusammensetzungen hat allerdings zur Folge, daß wir uns verlieren und genötigt sind, uns bei der Anwendung der Regeln der Metaphysik wie auch der Mathematik auf die Physik Schranken zu setzen; indessen täuscht diese Anwendung niemals, und wenn sich nach einer genauen Schlußreihe eine Verrechnung ergibt, so kommt das daher, daß man das Tatsächliche nicht hinlänglich erforschen kann und daß die Voraussetzung eine Unvollkommenheit enthält. Man kann bei dieser Anwendung auch um so weiter gehen, je mehr man imstande ist, die Berücksichtigung des Unendlichen mit Umsicht zu gebrauchen, wie meine letzten Rechnungsmethoden gezeigt haben. Obgleich daher die mathematischen Betrachtungen ideal sind, raubt ihnen dieser Umstand doch nichts von ihrer Nützlichkeit, weil die wirklichen Dinge nicht von ihren Regeln abweichen können, und man darf mit Grund sagen, daß eben hierin die Wirklichkeit der Erscheinungen besteht, die sie von den Träumen unterscheidet. Indessen bedürfen die Mathematiker durchaus keiner metaphysischen Untersuchungen, noch brauchen sie sich um das wirkliche Dasein der Punkte, der unteilbaren Dinge, der unendlich kleinen Größen und der im buchstäblichen Sinne unendlichen Größen Sorge zu machen.

Ich habe das bereits in meiner Antwort an die Mémoires de Trevoux vom Mai und Juni 1701 bemerkt, die Herr Bayle im Artikel Zenon zitiert hat, und habe dort noch im nämlichen Jahre zu erwägen gegeben , daß es bei den Mathematikern für die Schärfe der Beweisführungen hinreicht, wenn sie statt der unendlich kleinen Größen so kleine annehmen, wie nötig sind, um zu zeigen, daß der Irrtum geringer ist als der, welchen ein Gegner bestimmen wollte, und daß folglich überhaupt kein solcher festzustellen ist, so daß, wenn die buchstäblichen unendlich kleinen Größen, welche bei der Verminderung der Feststellungen des Irrtums den Beschluß machen, nur gleich imaginären Wurzeln wären, dieser Umstand die Infinitesimalrechnung oder Rechnung mit den Differenzen und Summen durchaus nicht schädigen würde. Ich habe diese Rechnung vorgeschlagen, und sie ist von ausgezeichneten Mathematikern mit großem Nutzen angewandt worden, da man dabei nur aus Mangel an Verständnis oder Übung irren kann, denn sie trägt den Beweis für ihre Richtigkeit in sich selbst. Auch ist nachdem im Journal de Trevoux an nämlicher Stelle anerkannt worden, daß das früher Gesagte nicht gegen meine Auseinandersetzung gerichtet wäre. Allerdings behauptet man immer noch, es gehe gegen die des Herrn Marquis de l‘Hôpital, aber ich glaube, er wird sowenig wie ich die Geometrie mit metaphysischen Fragen beschweren wollen.

Ich habe beinahe über das Ansehen lachen müssen, das der Herr Chevalier de Mére sich in seinem Briefe an Herrn Pascal gegeben hat, den Herr Bayle im nämlichen Artikel anführt. Ich sehe jedoch, der Chevalier wußte, daß dies große Genie seine Unebenheiten hatte, die es bisweilen für die Einwirkungen der überstrengen Spiritualisten zu empfänglich machten und ihm zeitweise sogar die wahren und wohlbegründeten Kenntnisse verleideten, wie man dies später, aber unwiderruflich, auch den Herren Stenonis und Swammerdam hat geschehen sehen, weil dieselben nicht die wahrhafte Metaphysik mit der Physik und Mathematik verbunden hatten. Herr de Mére benutzte dies, um mit Herrn Pascal von oben herab zu reden.

Wie es scheint, spottet er ein wenig, wie die Leute von Welt zu tun pflegen, die viel Geist und ein mittelmäßiges Wissen besitzen. Sie möchten uns einreden, das, was sie nicht zur Genüge verstehen, sei von geringer Wichtigkeit. Man hätte ihn zu Herrn Roberval in die Schule schicken sollen. Indessen hatte der Chevalier in der Tat ein außergewöhnliches Genie, sogar für die Mathematik, und von Herrn Des Billettes, einem Freunde des Herrn Pascal und ausgezeichnetem Mechaniker, habe ich erfahren, worin die Entdeckung besteht, deren der Chevalier sich in seinem Briefe rühmt. Da er nämlich ein großer Spieler war, so gab er die ersten Enthüllungen über die Berechnung der Wetten, was die schönen Gedanken de Alea [über das Glücksspiel] der Herren Fermat, Pascal und Huygens veranlaßte, wovon Herr Roberval nichts begreifen wollte oder konnte. Der Herr Großpensionär de Witt hat dies noch weiter verfolgt und wendet es zu wichtigem Zwecken bei der Rentenberechnung an, und Herr Huygens sagte mir, daß auch Herr Hudde vortreffliche Gedanken darüber gehabt habe und daß es schade sei, daß er sie samt so vielen andern unterdrückt habe.

Also auch die Spiele verdienten näher untersucht zu werden, und wenn ein gründlicher Mathematiker eingehend darüber nachdächte, so würde er dabei auf viel wichtige Betrachtungen stoßen, denn nie haben die Menschen mehr Geist entwickelt als beim bloßen Getändel. Im Vorbeigehen will ich noch hinzufügen, daß nicht Cavallieri und Torricelli, von denen Gassendi in einer von Herrn Bayle an genanntem Orte zitierten Stelle spricht, sondern ich selbst und noch viele andere Figuren von unendlicher Länge aufgefunden haben, die endlichen Flächen gleich sind. Es ist dabei nichts Ungewöhnlicheres als bei den unendlichen Reihen, wo man zeigt, daß 1/2 + 1/4 + 1/8, + 1/16 + 1/32 . . . = 1 ist.

Indessen ist auch möglich, daß der Chevalier eine gute Verzückung gehabt hat, die ihn in jene unsichtbare Welt und in jenen unendlichen Raum versetzte, von denen er spricht, und den ich für den Raum der Ideen oder der Formen halte, von dem auch einige Scholastiker gesprochen haben, indem sie die Frage aufwarfen, utrum detur vacuum formarum [ob es eine Lücke zwischen den Formen gäbe]. Er sagt nämlich, »daß man dort die Gründe und die Prinzipien der Dinge, die verborgensten Wahrheiten, die Übereinstimmungen, die Angemessenheiten, die Verhältnisse, die wahren Urbilder und die vollkommensten Vorstellungen alles dessen entdecken kann, was man sucht«.

Diese geistige Welt, von der die Alten viel gesprochen haben, liegt in Gott und gewissermaßen auch in uns. Was aber der Brief gegen die Teilung ins Unendliche sagt, zeigt deutlich, daß der Schreiber desselben in dieser höhern Welt noch allzu fremd war und daß die Annehmlichkeiten der sichtbaren Welt, über die er geschrieben hat , ihm nicht die erforderliche Zeit gelassen haben, um das Bürgerrecht in der andern zu erwerben. Herr Bayle hat recht, wenn er mit den Alten sagt, daß Gott die Geometrie ausübe und daß die Mathematik einen Teil der intellektuellen Welt ausmache und am meisten geeignet sei, Zutritt zu derselben zu gewähren. Ich selbst aber bin der Ansicht, daß ihr Inneres etwas mehr ist. Ich habe schon anderwärts angedeutet, daß es eine wichtigere Rechnung als die der Arithmetik und der Geometrie gibt, eine Rechnung, die von der Analyse der Ideen abhängt. Es würde dies eine allgemeine Stammsprache sein, deren Herstellung mich eine der wichtigsten Sachen dünkt, die man unternehmen könnte. S.72ff.
Aus: Gottfried Wilhelm Leibniz, Kleinere philosophische Schriften. Herausgegeben und übersetzt von Robert Habs (1884), Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig

Vorherbestimmung und freier Wille
51. Von dem Wollen selbst kann man nun nicht recht sagen, es sei ein Gegenstand des freien Willens. Richtig gesprochen wollen wir handeln und nicht wollen, sonst könnten wir ja weiter sagen, wir wollen den Willen haben zu wollen und so weiter in infinitum. Wir folgen auch nicht immer dem letzten Urteil des praktischen Verstandes, wenn wir uns zum Wollen entschließen; aber beim Wollen folgen wir immer dem Endergebnis aller Neigungen, die ebenso der Vernunft wie den Leidenschaften entstammen, und dies geschieht häufig ohne ein ausdrückliches Urteil des Verstandes.

52. Beim Menschen wie auch sonst überall ist also alles gewiß und im voraus bestimmt und die menschliche Seele ist eine Art geistiger Automat, wenn auch die zufälligen Handlungen im allgemeinen und die freien Handlungen im besonderen nicht im Sinne einer absoluten Notwendigkeit notwendig sind, denn das wäre mit der Zufälligkeit ganz unvereinbar. So wird diese Zufälligkeit und Freiheit weder durch die Zukünftigkeit selbst, so gewiß sie auch ist, noch durch die unfehlbare göttliche Voraussicht, noch durch die Prädetermination der Ursachen und die göttlichen Entschlüsse zerstört. Bei der Zukünftigkeit und der Voraussicht gibt man dies, wie gesagt, zu, und da der göttliche Beschluß einzig und allein in dem Entschlusse besteht, nach einem Vergleiche aller möglichen Welten die beste von ihnen auszuwählen und ihr mitsamt allem Inhalt Existenz zu geben durch jenes allmächtige »Fiat«, so liegt es auf der Hand, daß dieser Beschluß nichts an der Beschaffenheit der Dinge ändert und daß er sie in dem Zustande beläßt, in dem sie sich schon als reine Möglichkeiten befanden; d. h. daß er nichts an ihrer Essenz oder Natur und sogar nichts an ihren, schon vollkommen in der Vorstellung dieser möglichen Welt enthaltenen Akzidenzen ändert. Das Zufällige und Freie verbleibt demnach in seinem Zustande angesichts der göttlichen Beschlüsse wie auch angesichts der Vorsehung.

53. Könnte dann etwa Gott selbst (sagt man) nichts mehr in der Welt verändern? Sicherlich könnte er, seiner Weisheit ungeachtet, im Augenblicke nichts verändern, da er ja die Existenz der Welt und ihres Inhaltes vorausgesehen und jenen Entschluß, ihr zur Existenz zu verhelfen, selbst gefaßt hat: vermag er sich doch nicht zu täuschen oder Reue zu empfinden; außerdem steht es ihm nicht zu, einen unvollkommenen Entschluß, der nur auf einen Teil und nicht auf das Ganze geht, zu fassen. Ist so alles von Urbeginn an geregelt, so ist es diese hypothetische Notwendigkeit allein, über die man sich ganz und gar einig ist, welche dafür sorgt, daß nach göttlicher Vorsehung oder nach seinem Entschlusse nichts mehr geändert wird: und trotzdem bleiben dabei die Geschehnisse selbst zufällig. Denn (stellen wir einmal jene Annahme von der Zukünftigkeit der Sache, von der Vorsehung oder von dem göttlichen Beschluß beiseite, eine Annahme, welche das Eintreffen der Sache schon antizipiert und nach der man sagen muß: Unumquodque quando est, oportet esse, aut unumquodque siquidem erit, oportet futurum esse [Ein jedes muß sein, wenn es ist, aber auch: ein jedes muß, wenn es sein wird, ein Zukünftiges sein] das Geschehnis enthält selbst kein Moment der Notwendigkeit, demzufolge keine andere Sache an seiner Stelle geschehen könnte. Und was die Verbindung der Ursachen mit den Wirkungen anbelangt, so haben wir ja eben dargetan, wie sie den frei Handelnden nur anspornt, ohne ihn zu zwingen; auf diese Weise erzeugt sie nicht einmal eine hypothetische Notwendigkeit, sofern sie nicht etwas Äußerliches damit in Verbindung bringt, nämlich jene Maxime, daß die vorherrschende Neigung sich immer durchsetzt.

54. Man kann auch sagen, wenn alles derart bestimmt ist, vermag Gott keine Wunder zu tun. Allein die Wunder, welche in der Welt geschehen, waren schon in derselben Welt, als reine Möglichkeit betrachtet, enthalten und als möglich vorgestellt; und Gott, der sie tut, hat sich damals, als er diese Welt erwählte, entschieden, sie zu tun. Man wird auch einwenden: da nichts geändert werden kann, so hätten Gelübde und Gebete, Verdienste und Verschuldungen keinen Sinn. Dieser Einwand verursacht gewöhnlich die größte Verlegenheit und ist dennoch ein reines Sophisma. Diese Gebete und Gelübde, diese guten und schlechten Handlungen, die heute geschehen, standen Gott schon vor Augen, als er den Entschluß faßte, die Dinge zu regeln. Was in dieser wirklichen Welt geschieht, war schon in der Idee dieser Welt als bloßer Möglichkeit mitsamt seinen Wirkungen und Folgen vorgestellt, wie es die natürliche und übernatürliche göttliche Gnade empfängt, wie es die Strafe herausfordert und Belohnungen erheischt, alles wie es in dieser Welt, nachdem sie Gott erwählte, tatsächlich geschieht. Gebet und gute Handlung war damals eine ideale Ursache oder Bedingung, d. h. ein Beweggrund für die göttliche Gnade oder zur Belohnung, wie es jetzt in Wirklichkeit der Fall ist. Und da alles mit Weisheit in der Welt verknüpft ist, so hat Gott, der das freie Geschehen voraussah, auch die übrigen Dinge von vornherein dementsprechend geregelt oder (was auf dasselbe hinausläuft) er hat diese mögliche Welt, in welcher alles derart geregelt war, ausgewählt.

55. Durch diese Erwägung wird zugleich das sog. faule Sophisma der Alten hinfällig, demzufolge man überhaupt nichts tun soll: wenn das, sagte man, was ich erflehe, geschehen soll, so wird es auch geschehen, wenn ich nichts tue; und wenn es nicht geschehen soll, so wird es niemals geschehen, trotz aller Mühe, die ich mir gebe. Diese Notwendigkeit, die man sich, losgelöst von ihren Ursachen, in den Ereignissen vorstellt, konnte man, wie schon oben bemerkt, Fatum Mahometanum nennen, da die Türken, wie man sagt, auf Grund eines ähnlichen Argumentes den Orten, wo die Pest wütet, nicht entfliehen. Aber die Antwort hierauf ist leicht: so gewiß die Wirkung ist, so gewiß ist auch die Ursache, die sie erzeugen wird; und wenn die Wirkung geschieht, so tritt sie auf Grund einer ihr entsprechenden Ursache ein. So ist deine Trägheit vielleicht daran schuld, daß du nichts von dem erhältst, was du dir wünschst, und daß du Übel erleidest, die du durch sorgsames Handeln hättest vermeiden können. Die Verbindung der Ursachen mit den Wirkungen hat also durchaus keine unerträgliche sklavische Notwendigkeit zur Folge, sie gibt uns vielmehr ein Mittel zu ihrer Beseitigung. Ein deutsches Sprichwort sagt, der Tod will immer eine Ursache haben; und nichts ist wahrer. Du wirst an dem und dem Tage sterben (angenommen, es verhielte sich so und Gott hätte es vorausgesehen), richtig! aber das wird geschehen, weil du etwas tun wirst, das zum Tode führt. Genau so verhält es sich mit den göttlichen Strafen, die auch von ihren Ursachen abhängen. Bei dieser Gelegenheit wollen
wir den berühmten Ausspruch des heiligen Ambrosius (in Kap. 1. Lucae) anführen: Novit Dominus mutare sententiam, si tu noveris mutare delictum [Der Herr weiß seinen Ausspruch zu ändern, wenn Du Dein Vergehen zu ändern weißt] , den man nicht als Verdammung, sondern als Drohung deuten soll, wie die, welche Jonas an die Bewohner von Ninive im Auftrage Gottes ergehen läßt. Auch die gewöhnliche Redewendung: Si non es praedestinatus, fac ut praedestineris [Wenn es Dir nicht vorherbestimmt ist, so mache, daß es Dir voherbestimmt werde] darf nicht buchstäblich aufgefaßt werden; ihr wahrer Sinn liegt darin, daß derjenige, welcher zweifelt, ob er prädestiniert ist, nur das tun soll, was nötig ist, um es durch Gottes Gnade zu werden. Das Sophisma, man solle sich um nichts bekümmern, mag vielleicht zuweilen nützlich sein, um gewisse Leute anzustacheln, sich blindlings in Gefahr zu begeben, was man besonders von den türkischen Soldaten gesagt hat: mir aber scheint der Maslach mehr Anteil daran zu haben als dieses Sophisma, ganz abgesehen davon, daß sich dieser entschlossene Geist der Türken in unseren Tagen sehr versteckt hält.

58. Die ganze Zukunft ist bestimmt; daran besteht kein Zweifel; aber da wir nicht wissen, wie sie bestimmt, was vorgesehen oder beschlossen worden ist, so müssen wir unsere Pflicht tun nach der uns von Gott gegebenen Vernunft und nach den uns von ihm vorgeschriebenen Regeln. Danach dürfen wir ruhigen Gemütes Gott die Sorge um den Ausgang anheimstellen; denn er wird immer das tun, was er für das beste hält, nicht nur im allgemeinen, sondern auch im besonderen für die, welche ihm ihr ganzes Vertrauen schenken, d. h. ein Vertrauen, das sich in nichts von wahrer Frömmigkeit, lebendigem Glauben und heißer Liebe unterscheidet und uns nichts von unserer Pflicht und Dienstbarkeit, die in unseren Händen liegen, versäumen läßt. Zwar können wir ihm keine Dienste leisten, denn er entbehrt nichts, aber in unserer Sprache heißt es Dienst, wenn wir seinen mutmaßlichen Willen zu erfüllen suchen, indem wir, soweit wir es können, an dem uns bekannten Guten mitwirken. Denn wir sollen stets annehmen, dorthin richte sich sein Streben, bis wir aus der Tat ersehen, daß er stärkere, obzwar vielleicht uns unbekannte Gründe hatte, dieses Gut, das wir uns zum Ziel setzen, zugunsten eines anderen weit größeren Gutes hintanzusetzen, eines Gutes, das er sich selbst vorgesetzt hat, und nichts unterlassen hat oder unterlassen wird, um es zu realisieren.

59. Ich habe soeben gezeigt, wie die Willenshandlung von diesen Ursachen abhängt, daß nichts der menschlichen Natur so sehr entspricht, wie diese Abhängigkeit unserer Handlungen, und daß man sonst einer absurden und unerträglichen sklavischen Notwendigkeit, d. h. dem Fatum Mahometanum verfiele: und dies ist das schlimmste von allem, da es Voraussicht und Überlegung zuschanden macht. Indessen wäre es gut, nun auch zu zeigen, wie diese Abhängigkeit der Handlungen es nicht hindert, daß in allem eine uns wunderbar erscheinende Spontaneität steckt, die gewissermaßen die Seele in ihren Entschlüssen von dem physischen Einfluß aller anderen Geschöpfe unabhängig macht. Diese bis jetzt wenig bekannte Spontaneität, die unsere Herrschaft über unsere Handlungen soweit wie möglich ausdehnt, ist eine Folge des Systems der praestabilierten Harmonie, auf das ich jetzt etwas näher eingehen muß. Die Schulphilosophen glaubten. es bestände ein wechselseitiger physischer Einfluß zwischen Körper und Seele, aber seit man erkannte, daß das Denken und die Materie nichts miteinander gemeinsam haben, sondern daß es toto genere verschiedene Schöpfungen sind, sahen mehrere Moderne ein, daß es keine physische Verbindung zwischen der Seele und dem Körper gäbe, obgleich die metaphysische Verbindung ständig vorhanden ist und es bewirkt, daß Seele und Körper ein Substrat bilden, das man eine Person nennt. Gäbe es nämlich eine solche physische Verbindung, dann könnte die Seele die Geschwindigkeit und Richtung irgendwelcher Bewegungen in dem Körper und der Körper umgekehrt die Gedankenfolge in der Seele ändern. Man kann jedoch diese Wirkung aus keiner Vorstellung herleiten, die man im Körperlichen oder Seelischen antrifft obwohl wir nichts genauer kennen als die Seele, da sie uns, d. h. sich selbst innig vertraut ist.
Aus: Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Theodizee, Übersetzung von Artur Buchenau, Philosophische Bibliothek Band 71, Verlag von Felix Meiner Verlag


Notwendigkeit und Kompensation gewisser natürlicher Übel

Aus: Bemerkungen über das vor kurzem in England veröffentlichte Buch über den Ursprung des Übels
Nun war es zur Erhaltung der dem Verderben ausgesetzten Lebewesen nötig, daß sie Zeichen besaßen, aus denen sie eine gegenwärtige Gefahr zu erkennen vermochten und die ihnen die Neigung gaben, sie zu fliehen. Aus diesem Grunde muß dasjenige, was eine große Verletzung beizubringen droht, vorher Schmerz verursachen der das Lebewesen zu Anstrengungen zwingen kann, welche imstande sind, die Ursache jener Unbequemlichkeit zu beseitigen oder ihr zu entgehen und einem größeren Übel zuvorzukommen. Die Furcht vor dem Tode dient auch dazu, ihn zu vermeiden: denn wäre er nicht so häßlich und wäre die Auflösung des Zusammenhangs nicht so schmerzhaft, dann würden sich die Lebewesen sehr oft nicht um ihren Untergang bekümmern oder die Teile ihres Körpers zugrunde gehen lassen -und die kräftigsten unter ihnen würden kaum einen ganzen Tag lang bestehen.

Auch Hunger und Durst gab Gott den Lebewesen, um sie zu zwingen, sich zu ernähren und für ihren Unterhalt zu sorgen, indem sie den Verbrauch und das unmerklich Dahinschwindende ersetzen. Diese Triebe dienen auch dazu, sie zur Arbeit zu nötigen, um eine ihrer Beschaffenheit entsprechende, ihnen Kraft verleihende Nahrung zu erwerben. Der Urheber der Dinge hat es sogar für nötig befunden, daß häufig das eine Tier zur Nahrung des anderen dient, wodurch es kaum unglücklicher wird, da ein durch Krankheiten hervorgerufener Tod ebenso, ja noch schmerzhafter zu sein pflegt als ein gewaltsamer; und die Tiere, welche zur Beute für andere bestimmt sind, haben keinerlei Voraussicht, machen sich über die Zukunft keine Sorge und leben, wenn sie außer Gefahr sind, nicht weniger ruhig. Genau so verhält es sich mit Überschwemmungen, Erdbeben, Blitzschlägen und anderen Unordnungen, welche die vernunftlosen Tiere nicht fürchten und welche die Menschen für gewöhnlich nicht zu fürchten brauchen, da sie wenig darunter zu leiden haben.

Durch tausend gewöhnliche und beständige Bequemlichkeiten hat der Urheber der Natur diese und andere nur selten eintreffende Übel kompensiert. Hunger und Durst erhöhen das Wohlgefallen, das man bei der Nahrungsaufnahme verspürt. Mäßige Arbeit ist eine angenehme Kraftübung des Tieres, und der Schlaf ist auf eine gerade entgegengesetzte Art angenehm, indem er die Kräfte durch Ruhe wiederherstellt. Eine der stärksten Annehmlichkeiten aber ist der Fortpflanzungstrieb der Tiere. Indessen Gott Sorge für die Unsterblichkeit der Arten getragen hat, da die Individuen hinieden es nicht sind, war es auch seine Absicht, den Tieren eine große Zärtlichkeit für ihre Jungen einzupflanzen, die bis zur Aufopferung für deren Erhaltung geht. Aus Schmerz und Wollust entstehen Furcht, Begierde und die anderen Leidenschaften, die für gewöhnlich nützlich sind, wenn sie auch mitunter durch Zufall böse auslaufen: das nämliche gilt von den Giften, den ansteckenden Krankheiten und anderen Schädlichkeiten, d. h. es sind dies unaufhebbare Folgen eines guten Systems. Was Unwissenheit und Irrtum anbelangt, so muß man in Betracht ziehen, daß die vollkommensten Kreaturen ohne Zweifel vieles nicht wissen, und daß die Kenntnis den Bedürfnissen zu entsprechen pflegen. Doch ist es notwendig, daß man unvorhergesehenen Zufällen unterworfen ist, und diese Unfälle lassen sich nicht vermeiden. Häufig kann man nicht umhin, sich in seinem Urteile zu täuschen, weil man es keineswegs immer bis zu einer gründlichen Erörterung aufschieben darf. Diese Unzuträglichkeiten sind von dem System der Dinge untrennbar: da sich diese Dinge sehr häufig in bestimmten Verhältnissen ähneln müssen, so kann man sie miteinander verwechseln. Allein die unvermeidlichen Irrtümer sind nicht an der Tagesordnung und nicht am gefährlichsten. Diejenigen, die uns weit mehr Übel verursachen, pflegen aus unseren Fehlern zu folgen; und darum täte man Unrecht, wenn man sich auf Grund der natürlichen Übel das Leben nähme, sieht man doch, daß diejenigen, welche es taten, für gewöhnlich durch selbst gewollte Übel dazu getrieben worden sind.

Aus alledem ergibt sich, daß diese ganzen Übel, von denen wir soeben sprachen, zufälligerweise aus guten Ursachen entspringen, und aus allem, was wir kennen, dürfen wir über das uns Unbekannte urteilen, daß man sie nicht ausmerzen konnte, ohne zu viel größeren Nachteilen zu gelangen. S.451ff.

Aus: Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Theodizee, Übersetzung von Artur Buchenau, Philosophische Bibliothek Band 71, Verlag von Felix Meiner Verlag

Gedanken über die Unendlichkeit

Infinité
L‘infini actuel dans les choses materielles tant en augmentant qu‘en diminuant, c‘est à dire la division actuelle de chaque partie de la matiere l‘infini, et en même temps l‘infinité de l‘etendue de la Matiere, a esté soutenue par M. Pascal, et il est visible que ceux qui ont recueilli ses Pensées, aussi bien que les Evesques et docteurs qui les ont approuvées, y ont donné les mains. Voilà un des passages qui le fait connoistre: c‘est au nombre 22 intitulé Connoissance generale de l‘homme:

»La premiere chose qui s‘offre à l‘homme quand il se regarde, c‘est son corps ... jusqu‘aux abismes»‘

Jusqu‘icy M. Pascal.

Ce que Monsieur Pascal dit de la double infinité, qui nous environne en augmentant et en diminuant, lorsque dans ses Pensées (n. 22) il parle de la connoissance generale de l‘homme, n‘est qu‘une entrée dans man systeme. Que n‘auroit ii pas dit avec cette force d‘eloquence qu‘il possedoit, s‘il estoit venu plus avant, s‘il avoit scu que toute la matiere est organique par tout, et que sa portion quelque petite qu‘on la presse, contient representativement, en vertu de la diminution actuelle à l‘infini qu‘elle enferme, l‘augmentation actuelle à l‘infini qui est hors d‘elle dans l‘univers, c‘est à dire que chaque petite portion contient d‘une infinité de facons un miroir vivant exprimant tout l‘univers infini qui existe avec elle; en sorte qu‘un assés grand esprit, arme d‘une veue assés percante, pourroit voir icy tout ce qui est partout. Mais il y a bien plus: il y pourroit lire encor tout le passe, et même tout l‘avenir infini¬ment infini, puisque chaque moment contient une infinité de choses dont chacune en enveloppe une infinité, et qu‘il y a une infinité de momens dans chaque heure ou autre partie du temps, et une infinité d‘heures, d‘années, de siecles d‘eônes, dans toute l‘eternité future. Quelle infinité d‘infinités infiniment repliquée, quel monde, quel univers apperceptible dans quelque corpuscule qu‘on pourroit assigner. Mais toutes ces merveilles sont effacées par l‘enveloppement de ce qui est infiniment au dessus de toutes les gran¬deurs, dans ce qui est infiniment au dessous de toutes les petitesse; c‘est à dire notre harmonie preetablie, qui vient de paroistre aux hommes depuis peu, et qui donne cette meme plus qu‘infinité tout à fait universelle, concentrée dans le plus qu‘infiniment petit tout à fait singulier, en mettant virtuellement toute la suite de l‘univers dans chaque point reel qui fait une Monade ou unité substantielle, dont moy j‘en suis une; c‘est à dire dans chaque substance veritablement une, unique, sujet primitif de la vie et action, tousjours doué de perception et appetition, tousjours renfermant avec ce qu‘il est la tendance à ce qu‘il sera, tousjours subsistant par consequent, pour repre¬senter toute autre chose qui sera. Seul vray Estre, seule maniere de vray Estre, tousjours subsistant et qui ne perira jamais non plus que Dieu et 1‘univers, qu‘il doit tousjours representer et en tout: estant en même temps moins qu‘un Dieu et plus qu‘un univers materiel; s‘appercevant de tout confusement, au lieu que Dieu scait tout distinctement; sachant quelque chose distinctement, au lieu que l‘univers materiel ne sent et ne sait rien du tout. Une divinité diminutive, un univers materiel eminemment. Dieu en ectype et cet univers en prototype, puisque 1‘intelligible est la source du sensible par rapport à l‘intelligence primitive source de toutes choses . Le premier presque-Neant en montant du rien aux choses, puisqu‘il en est la plus simple, comme il est aussi le dernier presquetout, en descendant de la multitude des choses vers le rien; et le seul pourtant qui merite d‘estre appelé un Estre, une substance apres Dieu, puisqu‘une multitude n‘est qu‘un amas de plusieurs substances, et non pas un Estre, mais des Estres. C‘est ce sujet simple et primitif des tendances et des actions, cette source interieure de ses propres changemens, qui est donc la seule maniere de vray Estre imperissable, puisqu‘il est indissoluble et sans parties, tousjours subsistant et qui ne perira Jamais, non plus que Dieu et l‘univers qu‘il doit tousjours representer et en tout; estant en même temps infiniment moins qu‘un Dieu, et incomparablement plus qu‘un univers de matiere; sentant tout confusement, au lieu que Dieu sait tout distinctement; sachant quelque chose distinctement, au lieu que toute la matiere ne sent et ne sait rien du tout. Une divinité diminutive, un Univers de matiere eminemment; Dieu en ectype et ce même univers en prototype; imitant Dieu et imité de l‘univers par rapport à ses pen¬sées distinctes, semblable à Dieu par les pensées distinctes semblable à la matiere par les confuses; l‘intelligible estant tousjours anterieur au sensible dans les idées de l‘intelligence primitive source des choses. Et si cette Monade est un esprit, c‘est à dire une ame capable de reflexion et de science, elle imitera Dieu, elle sera en même temps infini¬ment moins qu‘un Dieu et incomparablement plus que le reste de l‘univers des creatures; sentant tout confusement, au lieu que Dieu sait tout distinctement, sachant quelque chose distinctement, au lieu que toute la matiere ne sait et ne sent rien du tout. Ce sera une divinité diminutive et un univers de matiere eminemment; Dieu en ectype et cet Univers en prototype, l‘intelligible estant tousjours antérieur au sensible dans les idées de l‘intelligence primitive, source des choses; imitant Dieu et imité par l‘univers par rapport à ses pensées distinctes. Sujet à Dieu en tout, et dominateur des creatures autant qu‘il est un imitateur de Dieu.

Französischer Text: G.W. Leibniz, Philosophische Schriften Band 1 Französisch und deutsch,suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 1264

  Unendlichkeit
Das gegenwärtige Unendliche in den körperlichen Dingen ist - wie Ms. Pascal behauptet - sozusagen die ins Unendliche fortgesetzte Teilung eines jeden Materieteils (Verkleinerung ins Unendliche), und zur selben Zeit aber auch die Ausdehnung der Materie in die Unendlichkeit (Vergrößerung ins Unendliche). Es ist einsichtig, dass diejenigen, die seine »Gedanken« gesammelt haben, ebenso wie die Bischöfe und Doktoren, die sie für richtig befunden haben, ihm darin beipflichten. Eine der Stellen, die dies erkennen lässt, ist Nr. 22 »Allgemeine Erkenntnis des Menschen«:

»Die erste Sache, die sich dem Menschen darbietet, wenn er sich selbst betrachtet, ist sein Körper … bis in die Tiefen.«

Soweit M. Pascal

Was Ms. Pascal über die zweifache Unendlichkeit sagt, die uns in der Vermehrung (Vergrößerung, Erweiterung) und in der Verminderung (Verkleinerung, Verringerung) umringt, wenn er in Nr. 22 seiner »Pensées« von der »Allgemeinen Erkenntnis des Menschen« spricht, ist nur ein Zugang in mein System. Was hätte er nicht mit der ihm zur Verfügung stehenden Überzeugungskraft seiner Redegabe gesagt, wenn er weiter gekommen und zur Erkenntnis gelangt wäre, dass die ganze Materie allenthalben organisch ist, und dass jeder beliebig kleine Teilchen, zu dem man sie zusammengedrückt, durch die tatsächlich gegebene Verringerung ins Unendliche, das sie einschließt, die tatsächliche Erweiterung ins Unendliche enthält, das außerhalb von ihr im Universum ist, das heißt, dass jeder kleine Teil auf unendlich viele Ausdrucksweisen einen lebendigen Spiegel enthält , der das ganze unendliche Universum, das mit ihr vorhanden ist, derart ausdrückt, dass ein genügend großer Geist, der mit einem ausreichend scharfen Blick ausgerüstet ist, all das sehen könnte, was hier alles da ist. Ja, noch mehr: er könnte darin auch das Vergangene und sogar das Zukünftige, die auf unendliche Weise endlos sind, weil jeder Augenblick eine unendliche Zahl von Dingen enthält, von denen jedes (einzelne) eine Unendlichkeit einhüllt, und da es eine endlose Zahl von Augenblicken in jeder Stunde oder jedem anderen Zeitabschnitt und eine unendliche Zahl von Stunden, Jahren, Jahrhunderten und Äonen in der ganzen künftigen Ewigkeit gibt. Welche Unendlichkeit von endlos wiederholten Unendlichkeiten, welche Welt, welches Universum, wahrnehmbar in jedem beliebigen Körperchen, das man sich vorstellen kann. Aber alle diese Wunderwerke sind unbedeutend durch die Einschließung von dem, das unendlich über alle Größen hinausgeht, in dem, was unendlich unter aller Kleinheit liegt; das heißt durch unsere prästabilierte Harmonie, die kürzlich veröffentlicht wurde und die gleiche ganz und gar universale endlose Unendlichkeit in dem ganz und gar einzelnen endlos unendlich Kleinen konzentriert, in dem sie praktisch die ganze Folge des Universums in jeden wirklichen Punkt legt, der eine Monade oder eine substantielle Einheit darstellt, wie auch ich eine bin; das heißt in jeder wahrhaften Substanz gibt es ein einzigartiges ursprüngliches Subjekt des Lebens und des Handelns, immer mit Wahrnehmung und Verlangen ausgestattet, das immer die Neigung zu dem in sich einschließt, was es sein wird und demzufolge immer besteht, um alles andere darzustellen, was jemals sein wird. Sie (die Monade) ist das allein wahrhaftig Seiende, die einzige Weise des wahren Seienden, das immer besteht und niemals untergehen wird, so wenig wie Gott und das Universum, das es immer im Ganzen darstellt: zugleich ist sie weniger als ein Gott und mehr als ein materielles Universum, indem sie alles verworren wahrnimmt, während Gott alles deutlich weiß, sie aber nur einiges deutlich weiß, während das materielle Universum nichts von all dem fühlt und weiß. Eine verkleinerte Gottheit, ein ganz besonderes materielles Universum. Ein Ausdruck Gottes und Prototyp dieses Universums, weil das Intelligible gleichermaßen die Quelle des Sensiblen ist, wie die ursprüngliche Intelligenz die Quelle aller Dinge. Das erste »Beinahe-Nichts« steigt vom Nichts zu den Dingen empor, weil es das einfachste ist, so wie es auch das letzte »Beinahe-Alles« ist, indem es von der Vielheit der Dinge zum Nichts hinabsteigt; und dennoch das einzige, dem es zukommt ein Seiendes, eine Substanz nach Gott, genannt zu werden, weil eine Vielheit nur eine Anhäufung von mehreren Substanzen, und nicht ein Seiendes, sondern nur eine Mehrzahl von Seienden ist. Dieses einfache und ursprüngliche Subjekt der Neigungen und Handlungen, diese innere Quelle all ihrer eigenen Veränderungen ist so die einzige Weise des wahren unzerstörbaren Seiende, weil es unauflösbar und ganz ohne Teile ist, immer besteht und niemals vergeht, ebensowenig wie Gott und das Universum, das es immer im ganzen darstellen muss. Zugleich ist es unendlich weniger als ein Gott , und unvergleichlich mehr als ein materielles Universum, alles verworren fühlend, während Gott alles genau weiß; einige Dinge weiß es deutlich, während die ganze Materie gar nichts fühlt und von all dem nichts weiß. Eine verkleinerte Gottheit, ein besonderes materielles Universum. Ausdrucksgestalt Gottes und zugleich Prototyp des Universums, Gott nachahmend und vom Universum durch Wiedergabe seiner deutlichen nachgeahmt; Gott ähnlich durch seine deutlichen Gedanken, der Materie ähnlich durch seine verworrenen, weil das Intelligible (Verständige) dem Sensiblen (Empfindenden) in den Ideen der ursprünglichen Intelligenz, der Quelle aller Dinge, immer vorhergeht. Und wenn diese Monade ein Geist ist, also sozusagen eine Seele, die denk-und wissenschaftsfähig ist, wird sie Gott nachahmen, und zugleich unendlich viel weniger als ein Gott und unvergleichlich viel mehr als das restliche Universum der Geschöpfe sein; nahezu alles nur verworren fühlend, während Gott alles deutlich weiß; einiges deutlich wissend, während die ganze Materie von allem gar nichts weiß und fühlt. Sie wird eine verkleinerte Gottheit sein und ein besonderes materielles Universum; Ausdrucksgestalt Gottes und Prototyp des Universums, weil das Intelligible immer dem Sensiblen in den Ideen der ursprünglichen Intelligenz, der Quelle aller Dinge, vorhergeht. Sie ahmt Gott nach und durch Wiedergabe ihrer deutlichen Gedanken wird sie durch das Universum nachgeahmt. Selbst in allem Gott untertan, ist sie genauso Beherrscher der Geschöpfe, insofern sie ein Nachahmer Gottes ist.

Deutscher Text: Übersetzung Gerhard Baitinger exclusiv für Philos-Website © 2005