Johann Heinrich Daniel Zschokke, alias Johann von Magdeburg, L. Weber (1771 – 1848)
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Deutsch-Schweizer Pastor, Schriftsteller und rühriger Politiker, dem nach eigenem Bekunden parapsychische Erlebnisse widerfuhren und der nicht nur 1792 Mitglied einer Freimaurerloge in Frankfurt wurde, sondern 1811 auch eine Freimaurerloge zu Aarau in der Schweiz ins Leben rief. Zschokke war mit Heinrich Kleist befreundet und engagierte sich zusammen mit Johann Heinrich Pestalozzi in der politischen Volksaufklärung Siehe auch Wikipedia, Kirchenlexikon und Projekt Gutenberg |
Das
zweite Gesicht aus
»Eine Selbstschau« (Autobiographie)
Es ist allgemein anerkannt, dass das erste Urteil, welches
wir über Freunde beim ersten Zusammentreffen mit ihnen fällen, häufig
richtiger ist als das, welches wir uns nach einer längeren Bekanntschaft
mit ihnen über sie bilden. Der erste Eindruck, welcher uns infolge eines
eigentümlichen Seeleninstinkts zu jemandem hinzieht oder uns von einem
anderen zurückstößt, wird nach einiger Zeit undeutlicher und
schwächer, und zwar entweder weil er anders erscheint als zuerst, oder
indem wir uns an ihn gewöhnen. In derartigen Fällen sprechen manche
von unfreiwilligen Zuneigungen oder Abneigungen und schreiben solchen Regungen
bei Kindern, denen jede durch Erfahrung erworbene Menschenkenntnis mangelt,
eine besondere Sicherheit und Zuverlässigkeit zu. Andere hingegen sind
ungläubig und schreiben alles physiognomischer Gewandtheit zu. Nun aber
von mir selbst:
Bei der ersten Begegnung mit einem mir völlig Fremden ist es mir, wenn
ich seiner Unterhaltung schweigend lausche, öfters widerfahren, dass ein
Bild seines vergangenen Lebens bis zum gegenwärtigen Augenblicke mit vielen
einzelnen der einen oder der anderen besondern Begebenheit desselben angehörenden
Umständen einem Traume gleich, aber deutlich, zusammenhängend und
ungesucht, einige Minuten dauernd, an mir vorüberzog. Während dieser
Zeit bin ich in die Darstellung von des Fremden Leben so versunken, dass ich
zuletzt sowohl sein Gesicht nicht mehr deutlich wahrnehme, obgleich ich es,
wenn auch vergeblich, anblicke, als auch seine Stimme nicht mehr deutlich vernehme,
die ich doch anfangs als einen Kommentar zu dem Texte seiner Physiognomie benutzte.
Lange Zeit war ich geneigt, diese verschwimmenden Visionen
als ein Spiel meiner Phantasie
zu betrachten, um so mehr, als mein Traumgesicht mir die Kleidung und die Bewegung
der Handelnden, das Aussehen der Zimmer, die Ausstattung und andere Nebendinge
des Schauplatzes vorführte, bis ich bei einer Gelegenheit, in einer Anwandlung
von scherzhafter Laune, meiner Familie die geheime Geschichte einer Näherin
erzählte, welche soeben das Zimmer verlassen hatte. Ich hatte diese Person
vorher niemals gesehen. Dennoch waren die Zuhörer überrascht, sie
lachten und wollten es sich nicht ausreden lassen, dass ich schon vorher das
frühere Leben des Frauenzimmers gekannt habe, da das, was ich erzählt,
vollkommen wahr sei. Ich war nicht weniger erstaunt, als ich fand, dass mein
Traumgesicht mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Nun gab ich mehr Achtung
auf den Gegenstand, und so oft es die Schicklichkeit erlaubte, erzählte
ich denen, deren Leben in dieser Weise vor mir vorübergegangen war, den
Inhalt meiner Traumgesichte. damit sie dieselben Lügen strafen oder bestätigen
möchte. Bei jeder Gelegenheit erfolgte die Bestätigung, nicht ohne
Staunen von Seiten derer, die sie gaben.
Am allerwenigsten konnte ich selbst diesen Spielen meiner Phantasie
Glauben schenken. Jedes Mal, wenn ich irgendjemand ein auf ihn Bezug habendes
Traumgesicht beschrieb, erwartete ich zuversichtlich die Antwort, dass es falsch
sei. Immer ergriff mich ein geheimer Schauder, wenn der Zuhörer erwiderte:
»Es war alles genau so, wie Sie sagen«,
oder wenn, bevor er den Mund zum Sprechen öffnete, sein Erstaunen bewies,
dass ich nicht Unrecht hatte. Von vielen Fällen will ich nur einen einzigen
erzählen, welcher damals, als er sich ereignete, einen tiefen und bleibenden
Eindruck auf mich machte.
Eines schönen Tags kam ich nach der Stadt Waldshut,
von zwei jungen Forstleuten begleitet, welche noch jetzt am Leben sind. Es war
Abend, und, vom Wege ermüdet, kehrten wir ein in einem Gasthofe, »Zur
Weinrebe« genannt. Wir genossen unsere Abendmahlzeit an der Wirtstafel
in zahlreicher Gesellschaft, welche sich zufällig über die Sonderbarkeiten
und die Einfalt der Schweizer, über den Glauben an Mesmerismus, Lavaters
System der Physiognomik und dergleichen lustig machte. Einer meiner Gefährten,
dessen Nationalstolz durch diese Scherze verletzt ward, bat mich etwas zu erwidern,
namentlich gegen einen gegenübersitzenden jungen Mann von anmaßendem
Äußern, welcher sich vor allem durch seinen zügellosen Spott
hervortat. Zufällig waren die Ereignisse aus dem Leben dieses Individuums
soeben vor meinem Geiste vorübergegangen. Ich wendete mich an ihn mit der
Frage, ob er mir wahrhaft und aufrichtig antworten wolle, wenn ich ihm die geheimsten
Stellen aus seiner Lebensgeschichte erzählte, wenn er mir auch ebenso wenig
bekannt wäre als ich ihm? Das würde doch, setzte ich hinzu, noch etwas
über Lavaters physiognomisches Talent hinausgehen.
Er versprach, es offen zu gestehen, wenn ich die Wahrheit sagte.
Nun erzählte ich die Ereignisse, welche mir mein Traumgesicht vorgeführt
hatte, und die Tischgesellschaft erfuhr so die Lebensereignisse des jungen Mannes,
die Geschichte seiner Schuljahre, seiner kleinen Sünden und endlich eine
kleine Spitzbüberei, welche er an der kleinen Geldkasse seines Lehrherrn
begangen hatte. Ich beschrieb das unbewohnte Zimmer mit seinen weißen
Wänden, in welchem rechts von der braun angestrichenen Tür der kleine
schwarze Geldkasten auf dem Tische gestanden habe usw. Während dieser Erzählung
herrschte in der ganzen Gesellschaft ein totenähnliches Schweigen, welches
nur zuweilen unterbrochen wurde, wenn ich fragte, ob ich die Wahrheit rede.
Der junge Mann. aufs höchste betroffen, gab die Richtigkeit eines jeden
von mir erwähnten Umstandes zu, sogar, was ich keineswegs erwarten konnte,
des zuletzt erwähnten. Von seiner Offenheit bewegt, reichte ich ihm die
Hand über den Tisch hinüber und schloss meine Erzählung. Er fragte
mich nach meinem Namen; ich nannte mich ihm. Wir blieben in tiefem Gespräche
noch bis spät in die Nacht sitzen. Der Mann kann noch jetzt am Leben sein.
Nun kann ich mir wohl denken, wie eine lebhafte Einbildungskraft
aus dem deutlich vorliegenden Charakter
eines Individuums sich ausmalen
konnte, wie sich derselbe unter gewissen Umständen benommen haben würde.
Woher kam mir aber die unfreiwillige Kenntnis von einzelnen Nebenumständen,
welche nicht das geringste Interesse
für mich hatten, und Leute betraf, die mir zum größten Teile
sehr gleichgültig waren, und mit denen ich nicht in der geringsten Verbindung
stand und auch nicht zu stehen wünschte? Oder lag immer nur ein rein zufälliges
Zusammentreffen meiner Traumgesichte mit der Wahrheit
vor? oder schwebten etwa dem Zuhörer, welchem ich seine Geschichte erzählte,
während derselben andere Bilder vor als die Nebenpunkte meiner Erzählung,
so dass er, von der wesentlichen Übereinstimmung derselben mit der Wahrheit
überrascht, die Abweichungen und Verschiedenheiten unbeleuchtet ließ?
In Erwägung dieser möglichen Quelle eines Irrtums
habe ich mir verschiedene Male die Mühe gegeben, die allergewöhnlichsten
Umstände, welche mir mein Traumgesicht gezeigt hatte, zu erzählen.
Kein Wort mehr über die sonderbare Sehergabe, welche mir, wie ich fest
versichern kann, in keinem einzigen Falle von Nutzen war und sich nur gelegentlich,
ganz unabhängig von meinem Willen, zeigte und oft Personen betraf, an welchen
ich nicht das geringste Interesse nahm. S.
289-294
Aus: Geist und Geisterwelt, Fragmente aus der Literatur des Übersinnlichen
von Thomas Wandler, Rudolf Kaemmerer Verlag, Berlin-Dresden 1923
Über die geistige Fortdauer
des Ich’s nach dem Leibestode
Unvergehbarkeit
des Geistes
Es mag sein, dass der Gedanke ewiger Selbstentfaltung
nicht nur des Geistes, sondern auch der gesamten Natur, Manchem befremdlich
dasteht, zumal dem, der von quälenden Zweifeln umstrickt, fragt: »Wie
mögen wir jener unendlichen Entwicklungen des Daseienden und also auch
des Geistes sicher sein, da wir von dessen Unvergänglichkeit nach dem Leibestode
keine schlechthinige Gewissheit
haben, sondern höchstens ein Vermuten und sehnsüchtiges Glauben«?
– Und woher, frag’ ich zurück, auch nur dies sehnsüchtige
Glauben und Vermuten? Die Idee der Geistes-Unsterblichkeit,
wäre sie wirklich nicht aus der Eigenheit des Geistes unmittelbar hervorgegangen,
widerspricht wenigstens nicht der Vernunft; ja die größten Denker
anerkennen in ihr sogar einen notwendigen
Vernunftglauben. Sie schimmert selbst, wie schon erwähnt,
aus der unbewussten Natur im Leben und Gefühl derselben hervor, als ein
zeitliches Fordern ihres Gesetztums, als Instinkt und Daseinstrieb.
Auch das Tier, ohne Vorstellung seines Daseins, sträubt sich gegen dessen
Vernichtung. Die Natur, als erste Lehrerin des Geistes, drängt ihn zur
Annahme und Liebe eines unendlichen Vorhandenseins. Wird sie, in sonst allgemeiner
Übereinstimmung mit ihm, hier zum ersten Mal der Vernunft widersprechend?
Es dürfte erwidert werden: die Natur spiegelt in uns nur ihre Erscheinungen
herein, die in unserm Ich nicht mehr sie selbst sind, sondern sich erst in Empfindungen,
dann in Vorstellungen und Begriffe verwandeln. Das Draußen kann ganz andre
Beschaffenheiten und Verhältnisse haben, als unser Erkenntnisgesetz sie
stellt und ordnet. Wir kennen die Dinge außer uns nicht an
sich, sondern nur, als Bewirktes und Erscheinung für
uns. – Aber das Bewirkte ist nicht außer
dem Bewirkenden, sondern in seiner Ursache, und erregt nicht das Entgegengesetzte,
Widersprechende von sich im Empfinden und Gedanklichen an, sondern im Gegensätzlichwerden,
das Gleichartige. Wäre dem nicht so: dann könnten auch unsere innern
Gewissheiten kaleidoskopische Täuschungen der Vernunft sein; die Vernunftwahrheiten
notwendige Selbstbelügungen des sie erzeugenden Geistes, und dieser ein
Ich-All; oder das All des Vorhandenen, Ausgeburt eines öden, wilden Wahnsinns
sein. Wir dürfen selbst nicht den Gesetzen unsrer Vernunft trauen. Dürfen
wir aber dies: so besitzen wir Wahrheiten. Welche Übereinstimmungen in
sich selber und der Einheit des Alls sind.
Zur vollständigen Gewissheit von Außendingen, sagt man, wird nicht
nur die innere, gedankliche, sondern auch die durch Erfahrung gegebne Wahrnehmung
des Gegenstandes, oder des wirklichen Daseins des außer uns, als Vorhanden-Gedachten,
erfordert. – Wäre dieser Satz Wahrheit: so würde auch das Urgewisse
aufhören, aus welchem doch erst alle andern Gewissheiten
quellen; – so würde die unmittelbare, nicht von der Sinnenwelt gegebne
Erfahrung ungültig stehn, und hinwieder die mittelbare Erfahrung, in welcher
doch größtenteils der Ursprung der Ungewissheit ruht, am sichersten
entscheiden. Wenn man spricht: die Unvergänglichkeit des Geistes ist darum
nicht unbedingte Gewissheit, weil wir die Zukunft, jenseits des Grabes, noch
nicht aus Erfahrung haben,
oder noch keiner der Toten zurückgekehrt ist, uns seine Fortdauer zu verkünden:
so klingt dies ungefähr, wie jener Satz eines irrsinnigen Grüblers,
der da behauptete: niemand könne verbürgen, dass die ganze Welt und
Gott selber morgen noch vorhanden sei, weil niemand morgen gelebt habe, und
niemand der morgen schon war, es heut bezeugen könne. Mit völlig gleichem
Fug und Recht dürfte auch der Blindgeborne das Dasein der Farben, und der
Sehende das Dasein der, seinen bloßen Augen unsichtbaren, Aufgusstierchen,
oder fernschwebenden Weltkörper bezweifeln, oder leugnen. Erwiesen aber
ist, dass alles das, was wir durch die Sinne erfahren, weitaus der geringste
Teil dessen ist, was wir wissen.
Es gibt sogar an Zweifelsucht Erkrankte, welche die scheinbare Bewusstlosigkeit
des Geistes im Schlafe, in Ohnmachten und andern Zuständen, als Zeugen
für die Möglichkeit einer Geistesvernichtbarkeit
anrufen; wiewohl derselbe Geist, nach Vorübergang
der zeitweiligen Zurückziehung des Seelischen von den belebten Organen,
wieder in seiner Tätigkeit hervortritt, wie
er und was er gewesen.
Wenn bei vorherrschender, freierer Wirksamkeit des Lebens (wie
zur Zeit des tiefen Schlafes), oder bei dessen plötzlicher Störung
und Hemmung, die Seele von ihren Sinnwerkzeugen, mithin auch von denen des Gedächtnisses,
augenblicklich (wie in Ohnmachten, Epilepsien u. s. w.)
zurückgewichen ist, fehlt freilich in denselben auch Erinnerung an das
indessen Geschehene; aber Geist und Seele, wenn auch vom Leben gleichsam in
sich zurückgedrängt, blieben dennoch die unvernichtet Wesenden. Die
scheinbare Bewusstlosigkeit ist nur Mangel der Erinnerungen, zu denen das noch
mit dem Leibesleben vermählte Seelische die Mittel aufgab. So erinnert
sich auch der erwachte Nachtwandler und Somnambule, aus gleichem Grunde, nicht
mehr seines Tuns in dem ungewöhnlichen Zustande, da sein Seelisches von
den gewöhnlichen Gedächtnisorganen entbunden war; wohl aber gedenkt
er, im wiederkehrenden Schlafwachen des, was er im frühern getan hat.
Die furchtsamen Bedenklichkeiten, welche sich in seinem Geiste gegen seine Unvergehbarkeit
entspinnen, beurkunden mir selber aber sein sich Fordern,
als Genossen des Ewigen, und sich daher, im Ewigen, Wissen.
Die Bedenklichkeiten entspringen allesamt, oder in ihrer Mehrheit, aus dem Verwechseln
des Wesenden mit dessen
Erscheinen im Endlichen. Da wird aus dem Zerfallen der
Stoffgebilde das Zerfallen der sachlich wirkenden allgegenwärtigen Naturmacht
gefolgert; aus dem Verschwinden des elektrischen Funkens, der Tod der Bewegkraft;
aus dem Hinsterben der Blume und des Tiers, das Sterben des Belebenden; aus
dem Wechsel des Zeitlichen, das Nichtsein des Ewigen. Da wird das Bewirkte zur
Ursache des Wirkenden verkehrt und das Sinnliche zum Quell des Übersinnlichen
erhoben.
Allein die Vergehbarkeit des Geistes ist eine so unbedingte Unmöglichkeit,
als das Vernichtetwerden dessen, was im kleinsten Atom erscheint. Nichts kann
sich von dem, was im All der Dinge weset, nichts sich aus der Allgegenwart des
Vorhandenen verlieren; oder wohin?
Könnte das kleinste Atom in seiner Wesenheit verschwinden aus dem Dasein:
so könnte sich auch die gesamte Natur, das unendliche Weltall sich entwesen
und vernichten, und das Höchste der Wesen selber. Kein Wort weiter von
diesem Unsinn!
Nur das im Unendlichen geäußerte
Anderssein desselben ist das Endliche; das Gegensätzliche
im Ewigen ist das Zeitliche;
das aus dem unwandelbaren Wesen der Natur getretene Erscheinen
der Wirkungen sind das
Wandelbare und Vergängliche, gleichwie es der Wechsel
des Gedanklichen im beharrlichen Wesen des Geistes.
Der
entkörperte Geist
Weitaus der Großteil des menschlichen Geschlechts
zweifelt nicht an der Fortdauer seines Ich’s nach dem Leibestode. Entspringt
diese Zweifellosigkeit auch nicht durch Überzeugung von der Unmöglichkeit
einer Wesensvernichtung, und dass selbst im leichtesten Sonnenstäubchen
erscheinende Ur des Stoffischen und Bewegenden nicht aus dem Universum verschwinden
könne; oder dass der Geist mit seinem Heiligkeitsgesetz, welches hienieden
noch an Unerfüllbarkeit grenzt, ohne Fortdauer sich selbst zum Widerspruch
würde, so entspringt die Zuversicht auf Unsterblichkeit doch, unter allen
Völkern, durch den festen Glauben an Lehre ihrer Religion, unterstützt
von eigener unbezwingbarer Sehnsucht nach Unvergänglichkeit, und Hoffnung
auf Vergeltung des Guten und Bösen in der Ewigkeit. Mehr hingegen beschäftigen
sich die Überzeugten, wie die Glaubenden, mit Vorstellungen, Mutmaßungen
und Zweifeln über die eigentlichen besondern
Zustände ihre Ich’s nach
dem Tode. Verwöhnt durch das tägliche Schaun
der Sinnenwelt, können sie sich kein Fürsichbestehn des Geistes, ohne
irgendeine Körperlichkeit, sinnlicherweise vorstellen. Die Einbildungskraft
muss das Beste dabei tun. Das Altertum erfand die Seelenwanderung, oder eine
Auferstehung der Toten am jüngsten Tage der Welt. Andre bekleideten den
Geist mit einem neuen Leibe, aus feinern Stoffen geformt, aber nach menschlicher
Art; Andre dachten sich ihn in nebelhafter Gestalt gespenstisch auf Erden umherwandelnd,
sogar nächtlicherweile Lebenden sichtbar, wieder Andre ihn anders.
Ohne eben in diese und ähnliche Einbildungen näher einzugehn, können
sie doch wohl die Frage veranlassen: Was ist oder bleibt einst der entkörperte
Geist? – Und die einfachste, vernunftgemäßeste Antwort scheint
mir: Bei schlechthiniger Unvernichtbarkeit seines Wesentums ist und bleibt er
wenigstens derselbe, welcher er gewesen ist, ein wesendes Wissen. Denn das Wissen
oder Bewusstsein ist sein unterscheidendes Eigenartige von andern Wesenartungen.
Nicht Stoffe, nicht Bewegkräfte, oder Leben und Seele, haben ein Wissen,
ein Gesetztum der Erkenntnis. Nicht von ihnen
empfängt er dies, wenn ich so sagen darf, Eigentum seines Selbstes, denn
sie können nicht geben, was sie in sich selbst nicht sind und haben; sondern
angeregt durch sie, wird
er ein Wissen von ihnen, dann, zwischen sich und ihnen unterscheidend, ein Wissen
seines Selbstes, oder besser, ein Vonsichwissen. Und unvertilgbar im Reich des
göttlichen Alls, wie dieses selbst, ist und bleibt er ein ewig im Wissen
wirkendes Wesen; sein Wirken, wie sein Bewirktes, ist in
ihm, ist das Gedankliche, wenn auch kein in erlernter Menschensprache
erscheinendes, sondern wortloses Denken.
Er ist und bleibt in seinem Wesensgesetz, wie ein Denken, so auch ein Fordern
des heiligen und vollkommnern Insichseins. Dies erkennt er im irdischen Gewande,
welches die Natur aus ihren Wirksamkeitssphären verlieh, als ein Unerreichbares.
Im Ringen für seine Selbstständigkeit gegen die Einwirkungen der Tiernatur,
wenn sie dem Heiligkeitsgesetz widerstrebt, erstarkt er, als höheres Wesen;
steigt er über die Natur auf; oder, den Kampf scheuend, sich selbst entweihend,
sinkt er, durch eigne Schuld erschwachend, in den Abgrund des Tiertums, zwar
freier Wahl bewusst, aber dem eignen Geist abtrünnig, einer ihm fremden
dienstbar geworden. Der Geist, der stärkere, oder schwächere, göttlichere
oder tierische, welcher er auf Erden in seiner Menschheit war, ist er und bleibt
er an und in sich, nach der irdischen Entkörperung. Bliebe er es nicht:
so wäre es sein eignes Wesentum, sein eignes Gesetz, sein inneres nie verstummendes
Fordern des Edlern, ein in sich Zwiespältiges, Zerrissenes; eine Ausnahme
von der durch das unendliche Reich des Vorhandenen herrschenden Harmonie desselben;
so wären Tier und Mensch, Vernunft und Unvernunft, Sünde und Tugend,
Verruchtes und Göttliches Einerlei.
Die Stufen der Selbstläuterung und Reinheit, oder Selbsttrübung und
Unreinheit, der Selbststärkung oder Selbstschwächung zum Vollendetern,
unterscheidet des Geisteswert. Der Geist bleibt, auch nach seiner Entkörperung,
das, was er auf der Stufe in sich, gewesen, die er errungen hat. Er ist sein
Selbstrichter. Es entsteht
dadurch keine Mehrung oder Minderung in seiner Wesenheit; nur ein Nähersein
dem Göttlichen, durch Selbstheiligung. Denn so wenig die wesende Natur
in ihren Wirksamkeitssphären vermehrt
oder vermindert werden
kann (Ausdrücke, die nur, den Erscheinungen im Zeitlichen
abgezogene, Begriffe bezeichnen), so wenig kann ein Geist in seiner Selbstheit
vergrößert oder verkleinert werden. Schon auf Erden ist sich unser
Geist in seiner Selbstheit, vom ersten bis zum letzten Augenblick, als unwandelbar
Gleichbleibendes bewusst. Das Mehr oder Minder seiner Befähigung zu dieser,
oder jener Art des Wirkens, hängt von der Tüchtigkeit, oder Untüchtigkeit,
der ihm dazu vom Leben gewordenen Werkzeuge und von Einwirkungen äußerer
Verhältnisse ab. Je nach Beschaffenheit der äußern oder innern
Organe kann er, durch Übung derselben, größern Scharfsinn, oder
Witz, oder Beobachtungsgabe, oder andre bewunderungswürdige Fertigkeiten
erwerben und äußern. Je nach Maßgabe der Umstände, des
Unterrichts und der Erfahrungen, kann der seelische Gedächtnissinn mit
mannigfachern Kenntnissen ausgestattet werden. Allein diese Fertigkeiten, Kenntnisse
und Wissenschaften sind nicht der wesende Geist selbst, sondern nur sein Gewusstes.
Es bleibt das Wissende derselben.
Niemand kann dem andern mehr Geist geben,
sondern ihn nur, durch Erregung, vermittelst des Wissbaren, zur Tätigkeitwerdung
in sich stärken und, im Vonsich- und Anderm-Wissen, läutern und steigern
zum Erkennen des Höchsten, des Nicht-Irdischen, des Ewigen. Der in der
Wissensmacht des Göttlichen sich selbst verklärende Geist bleibt,
was er war, auch nach der Abscheidung von seiner irdischen Hülle. Bliebe
er es nicht: so ständen das im toten Felsblock Wesende und der Gott denkende
Geist in der Reihe der Wesen auf gleicher Höhe nebeneinander.
Der
entkörperte Geist zum Weltall
Das beseelte Tier, wenn es auch instinktmäßig
für Unverletztheit seines Lebens streitet, hat eigentlich keine Todesfurcht;
denn es besitzt keine Kenntnis, so wenig seines Lebens,
als seines erfolgenden Todes. Es fühlt
sich aber in beiden, unbewusst
beider. Der Mensch allein hat Wissen vom Tode, durch Erfahrung,
gewonnen; aber auch ein Wissen vom Unendlichen und Ewigen, ohne mittelbare Erfahrung,
in ihm selbst Gewordenes. Er hat, durch die Natur seiner Lieblichkeit, Todesgraun
empfangen; aber, von anders her, unzerstörbare Sicherheit des Fortdauerns
seiner Ichheit. Ohne diese Aussicht wäre die Todesfurcht, wäre das
Leben selbst, das entsetzlichste Geschenk, welches der Schöpfer dem Sterblichen
hätte geben können.
Durch ein Fortwesen des Geistes nach der Todesstunde, in seiner
reinen Selbstheit ohne Verbindung mit dem übrigen
Weltall; daher ohne Angeregtwerden von diesem zum in sich Gegensätzlichwerden,
zu Vorstellungen und Gedanken; ein unabänderliches Hinbrüten über
nichts; ein ewiges wissend Wesen ohne Gewusstes, ein freies
Wollenkönnen, ohne Wahl; ein Heiligsein ohne Heiligwirken, – das
wäre zwar keine gänzliche Vernichtung, aber würde ihr gleich
kommen. Es wäre der unerfüllte Geist, ein leeres Vermögen, das
nichts vermag; eine Ursach ohne Wirkung; ein erinnerungsloses Schweben im Vorhandenen;
und die Ewigkeit wäre kaum gleich einem Augenblick der Gegenwart. Die Vernunft
stößt solche Vorstellungen, als sich Widersprechendes, ab. Wir würden
wahrlich schon in der menschlichen Hülle vollkommner sein, als es in jener
Weise nach dem Tode möglich wäre.
Der allgegenwärtigen Natur unverwandt, bleibt der Menschengeist, ihrem
unermesslichen Dasein unentziehbar; im ewigen Verbande mit ihr, welchen Welten
er sich einst auch zuschwingen möge. Sie umfasst ihn in ihrer Grenzenlosigkeit.
Das Ur und Höchste aller Wesen, erhaben über sie, ist ungeschieden
von ihr; denn eben sie ist nur sein Wort zur Geisterwelt, ist Gotteswort.
Als Vermittler zwischen Natur und Menschengeist steht das Seelische, durch welches
sie ihn erregt, und er sie erregt; durch welches sie sein Gewusstes, er hat
das Wissen von ihr und Erfüllung seiner eignen Wesenheit wird. In ungetrennter
Einheit sachlich wirkend, ist sie auch die Urseele des Alls, und das All ist
von dieser, möcht’ ich sagen, durchflossen. Und gleichwie aus der
Fülle des seelischen Wirksamkeitssphäre sinnlichen Gewahren und Fühlen,
als Wächter und Beseliger des tierischen Lebens hervorgehn: so empfängt
der Geist aus ihr, die ihm ein Gleichartiges ist, seine Werkzeuge. Die Seele,
das ihm Nächste im Naturwesen, bildet gleichsam des Geistes
Leib.
Das Seelische, der unsichtbare Leib unsers Geistes! – Immerhin mag das
Allzubildliche des Ausdrucks etwas hart scheinen, besonders denen, welche gewöhnt
sind, Seele und Geist noch für eins und dasselbe zu halten, oder miteinander
zu verwechseln. Der Gedanke selber ist weder neu, noch steht er ganz ohne Rechtfertigung
durch Naturbetrachtungen und Tatsachen der Erfahrung.
Wir wissen aus täglichen Wahrnehmungen, dass das Seelische allein zwischen
unserm Geist und der übrigen Natur der Dinge, durch Gewahrung und Gefühl
das verknüpfende Mitglied sei; dass wir, ohne dasselbe, kein Erfahren von
Stoffen und Körpern, von bewegenden Kräften und von einer die Körper
belebenden Macht hätten. Wir wissen, dass nicht der tote Leichnam empfindet,
nicht das stoffische Gebilde des Auges sieht, des Ohres hört, sondern nur
während der Beseelung,
dass auch nicht das Leben selbst in den Sinnenwerkzeugen das Gewahrende und
Empfindende sei, weil der Mensch im schweren Schlaf, in Betäubung, in Ohnmachten
und ähnlichen Zuständen leben kann, und nichts vom Äußern
empfindet, weil sich die Seele von den Organen abgewendet hat. – Wir wissen
ferner durch Erfahrungen, dass in Sterbenden sich zuerst, mit
dem Geiste zugleich, das Seelische sich vom Körper
trennt: aber in diesem, der kein Zeichen von irgend einem Empfinden, Erkennen
der Dinge und Willen äußert, noch das pflanzische Leben fortwähren
kann und wirklich fortwährt, selbst im Grabe*;
dass erst, wenn das Leben sein Stoffgebilde gänzlich verlassen hat, die
Körperteile in Gärung und Verwesung, unter dem Spiel der freigelassenen
Bewegungskräfte, zerfallen.
*Für die Fortdauer des Belebenden
im entseelten Körper spricht auch, dass man, bei späterer Wiedereröffnung
von Gräbern und Särgen, noch Haare des Hauptes und Bartes, Nägel
der Finger und Zehen der Eingesargten, in ungewöhnlicher Länge fortgewachsen,
gefunden hat.
Ebenso bekannten Tatsachen lehren, dass die Seele selbst im gesunden Leibe des
Menschen, wie des Tiers, nicht immer auf die äußern Grenzen des Körpers
beschränkt sei, sondern über sie hinaus ihren Kreis erweitert; dass
sie durch Genuss, oder Aufnahme vom Urseelischen im All der Natur, erhöht
und gestärkt werden könne*, gleichwie auch das Leben durch Zutritt
von, seinem Bedürfnis entsprechenden, Stoffen und Bewegkräften, mit
denen sich aus dem allverbreiteten Urleben frisches vereint, gestärkt und
gemehrt werden kann; dass die Seele in ihrer Halbentbundenheit vom Leibesleben
und dessen Organen, aber noch mit dem Geist vollkommen verknüpft, wie z.
B. im Zustand mondsüchtiger Nachtwandler, im so genannten magnetischen
Hellsehen der Somnambulen, oder zuweilen in der Verzückung sibirischer
Schamanen, Entferntes wahrnehmen, Vergangenes in Erinnerung zurückrufen,
Bevorstehendes erahnen, selbst Gemütsereignisse Anderer (z.
B. des Magnetisierenden) wissen könne, und nicht bloß zufällig
und unwillkürlich, sondern vom Geisteswillen, sondern vom Geisteswillen,
nach bestimmten Richtungen, geleitet.
*Es scheint, dass auch vom Seelischen
des Magnetisierenden Übergang in das Seelische des Magnetisierten stattfindet,
indem dieser sich dadurch vorübergehend erquickt und gestärkt, jener
hingegen geschwächt fühlt.
Möge man nun diese Zustände Nacht- oder Lichtseite der Wesen nennen:
so erkennen wir in dergleichen bekannten und mannigfaltig verkannten, Erscheinungen,
eigentümliche, dem Geiste untergebene
Wirkungsartungen der Seele, die, ihre gewöhnlichen
Nervenleiter verlassend, gleichsam in ihrem eignen Element, dem
Urseelischen des Alls, hinausschweifend, mit Beistand desselben,
wahrnimmt, was sie, gebunden an die Organe des leiblichen Lebens, nicht wahrnimmt.
Und was sie, ohne Hilfe irdischer Sinnwerkzeuge, vermag: wird sie auch entkörpert
vermögen, nämlich den Geist im Verband mit dem Weltall zu bewahren.
Ich möchte, zu dem bisher Angedeuteten, noch eine bekannte Tatsache fügen.
Ist die Seele, während der eben gedachten Zustände, in
halber Entbundenheit vom Leben: so muss notwendig auch
das Geisteswesen dann zum Teil losgebundener vom Leben sein. Der Geist aber,
abgelöster, als sonst, von Lebenseinwirkungen, ist an sich sodann freier
von der Macht der Triebe von irdischen Begierden; in seinem heiligen Gesetztum
ungehemmter wesend. Daher bemerkt man an Personen, im Augenblick hellern Schlafwachens,
ein edleres Sein, voller Wahrhaftigkeit und Widerwillen gegen tierische Neigungen
und Gesinnungen Andrer.
Es hat nicht an Denkern gefehlt, welchen es nicht unwahrscheinlich däuchtete,
dass, wie Stoffe und bewegende Kräfte, die das Leben zu seinem Einheitsgebilde
verband, nach dem Abscheiden des Lebens wieder ins Allgemeine
des Stoffischen und der Bewegkräfte aufgelöst
übergehn, ja die Lebensgattung selbst wieder in das Urleben zurücktritt:
so auch löse sich der entkörperte Geist, und die Seele, in den Urgeist
des Alls und in dessen Urseele auf. Doch abgesehn davon, dass ein solches Verschwimmen
des wissenden Geistwesens in das All des Urwesens einem Tode des Geistes gleichkommt,
und eine solche Vorstellung im schneidenden Zwiespalt mit dem Entwickelungsgesetz
der ganzen Natur und dem Heiligungsgesetz des Geistes steht; abgesehen auch
davon, dass damit in der göttlichen Weltordnung der Reinste und Unreinste
der Geister auf gleiche Stufe gestellt, Sünde und Tugend auf Erden und
immerdar gleichgeltend, die Vernunft selbst überflüssig, oder Lügnerin
würde: deuten lehrend noch ganz andre Verhältnisse und Erscheinungen
auf eine persönliche Fortdauer des Geistes
in seelischer Hülle, nach dem Tode, hin.
Das
Reich der Geister, das Tiefste eines höheren Wesenreichs
Der Menschengeist steht schon im Irdischen, als
Einzelwesen da; mit hellen Bewusstsein, dass er zwar mit
allen andern Menschengeistern einerlei Gesetztum in sich trage, dennoch aber
nicht der Gleiche mit allen Andern, sondern ein von allen in Stärke Entwickelung
wesenhaft verschiedenes Selbst
sei. Er steht da, eingekleidet von der Natur mit dem, was sie in ihren gesamten
Wirklichkeitssphären ist, und erscheint sich daher, in seiner Eigenständlichkeit,
gleichsam wie im Mittelpunkt des Weltalls.
Er ist sich hell bewusst, nicht mit diesem das Gleiche zu sein; aber sein Weltall
ist nicht Natur und ihr Anderssein, sondern das durch ihre Anregungen aus ihm
hervorgerufene Reich seiner Vorstellungen, in denen er, wie Schöpfer der
eignen innern Welt, weset. Er hat die Wahrnehmung, dass, unter dem Walten der
Natur, in allen ihren einzelnen Schöpfungen, ein Körper durch Zutritt
oder Abnahme der Stoffe vergrößert oder verkleinert, oder Bewegkräfte
in denselben vermehrt oder vermindert, die Macht des Lebens in ihnen erhöht
oder geschwächt, selbst das Seelische wesenhaft reicher und ärmer
im Tier und Menschen werden kann; aber nicht eben so seine innere, wesende Ichheit.
Noch mehr, die Natur selbst, sie seine Erzieherin, weiset ihn überall auf
sich zurück, als gehöre er nicht zu ihr und ihrem Reiche. Er hat ein
durchaus anderes Gesetz, als sie in der Gesamtheit ihrer Wirksamkeitssphären.
Denn im Hintergrund aller seiner Ideen, seines Erkennens und Wollens, bleibt
sein Verlangen des Unbedingtwahren und Unbedingtheiligen, welches in ihr, der
sich Unbewussten, nicht erscheint. Ebenso drängt ihn auch das Schicksal
von allen Seiten stets auf sich selber zurück.
Was die Natur in ihren Gesetzen fordert, erfüllt sie in aller Vollendung.
So erscheint sie auch im Wechsel der Dinge, als die Gleiche und Beharrende;
auch in der Mannigfaltigkeit jedes ihrer besondern Gebilde, als ewige Einheit;
auch im Endlichen als Unendlichkeit. Aber nicht also der Geist. Er ringt nach
dem Unbedingtwahren, ohne es erringen zu können; will das Unbedingheilige
und Gerechte, und kann es nicht erstreben. Es liegt noch eine ungeheure Kluft
zwischen seinem Wesensgesetz und der Erfüllung desselben! – Und eben
diese Kluft deutet nicht nur auf sein Fortdauern; denn er macht keinen Ausnahme
in der Ordnung des göttlichen Alls vor allem andern Wesenden; sie deutet
nicht nur auf seine wesentliche Verschiedenheit von der Natur: sondern auch
auf seine Ungleichheit oder Verschiedenheit mit andern geistigen Einzelwesen.
Er ist sich bewusst, dass die Tugend andrer Menschen nicht auch zugleich seine
Tugenden, und die Sünden aller Sterblichen nicht zugleich
seine Sünden sind.
Jeder ist sich urbewusst, was er in sich errungen habe, das habe er seiner Selbstheit,
nicht der Gesamtheit aller Geister errungen.
Es besteht offenbar ein andres Walten des, was im Reich der Natur und des, was
im Reich der Geister herrscht. Zwischen Beiden ist die unverkennbare Scheidelinie
gezogen, jenseits welcher dort das Gesetz der freien
Selbstbestimmung gilt. Das göttliche Wesen-All wird
sich in beiden gewissermaßen von neuem gegensätzlich; ein Andres,
und Verwandtes; und das Seelische bildet den ineinander verschwimmenden Übergang
beider Reiche. – Jenseits in der großen Scheidelinie erkennen wir
überall die Heimkehr
der erschienen einzelnen Wesenartungen in ihrem Urquell;
der Körper in ihren
Urstoff, der bewegenden Kräfte in ihre Urkraft,
der Einzelleben in das Urbelebende.
Hinwieder diesseits der Scheidelinie, oder im Geistertum, sind sich die Einzelwesen,
als solche, ihrer beharrlichen Selbstheit
urbewusst.
In diesem Bewusstsein des unvernichtbaren Geisteseinzelnen atmen alle Völker,
alle Religionen und Philosopheme. Ein höheres, göttlicheres Wesenreich,
als die Natur, ist, im Gegensatz zu ihrem
Reich, in ewige Einzelwesen
auseinandergetreten.
Wohl schauen wir in den Abgrund der Natur mit Erstaunen und Entzücken nieder,
und von Jahrtausend zu Jahrtausend hellern Auges. Es erhebt uns im Wahrnehmen
unsrer Geisteswürde ein seligkeitsreiches Gefühl. Aber wir erkennen
zugleich, dass wir im unendlichen All der Vorhandenheit keineswegs die Höchsten
der Wesen sind. Denn was über uns noch im unendlichen Gottesall wohnen
und walten mag, dafür fehlt das Auge. Wir haben nur aus jenen Höhen
ein Gesetz empfangen,
welches uns dort Erhabneres ahnen lässt; ein Gesetz, welches in seiner
Unbedingtheit, für den Augenblick unsers Erdenwallens, zu umfassend und
unerfüllbar ist. Hinwieder der Natur zu eng verbunden, in ihre Wesenheiten
tierisch eingekleidet; mit dieser Tiernatur sogar ihrem starren Gesetztum zum
Teil untergeordnet, wählend und schwankend zwischen ihm und dem eignen
höhern, stehn wir ohne Zweifel doch nur auf der
tiefsten Stufe der höhern Wesenregion. Gleich den
Tieren, über welchen wir erhaben sind, die nicht himmelwärts, nur
erdwärts schaun können, und denen nichts von Gabenfülle und Majestät
des Menschengeistes ahnet: so der Menschengeist, wenn er den kühnen Blick
zu dem emporwendet, was über ihm und über der Natur, auf höhern
Stufen der Wesenheit wandelt. Auch wir sehen nur gesenkten Hauptes, unter uns,
in die verdämmernden Tiefen
des Alls, aber forschen vergebens nach dem da
droben.
Ahnungen
der Geisteszukunft
Es keimen die Ahnungen von jenseits aus dem Innern des Geistes hervor, der sich
bewusst wird, dass all sein Wissen beschränkt, dass seine höchste
Weisheit ein Nichts wird vor der Weisheit, welche ihm aus den Wundern des Weltgebäu’s
und der Verhängnisse entgegenstrahlt; dass zwischen ihm und dem Urheber
des erscheinenden Alls ein unendlicher, ein größerer Zwischenraum
sein müsse, als zwischen dem kleinsten Gas-Atom und dem eignen geheimnisvollen
Ich; dass eine weite Abstufung der Wesen, wie in der Natur zum Geiste, noch
von ihm zu Gott vorhanden sein müsse. Der Ruf dieser Ahnungen hallt uns
aus sämtlichen Jahrtausenden und Religionen auch der nur halberwachten
Völker entgegen; wie vom Ganges und
Nil der menschlichen Urzeiten, so heut noch aus Wildnissen
an den Quellen des großen Maranon.
So kindlich auch diese Religionen vom »Leben nach
dem Tode«, von »Engeln und Teufeln«,
vom »dritten, vierten und siebenten Himmel«
stammeln: in diesem Stammeln verkündigt sich eine unwillkürlich
im Menschengeist gewordne Offenbarung. Der Zweifler, inmitten seiner trostlosen
Verdüsterung, kann sich ihrer nicht ganz erwehren; und der leichtfertigste
Wüstling vernimmt von Zeit zu Zeit ungern ihre Stimme, inmitten seines
Sinnenrausches.
Und wenn auch der einsichtsreichere Mensch jene bildlichen Vorstellungen belächelt,
tritt doch die Ahnung, welche sich in ihnen von einem stufenweisen Übergang
der Wesen zum vollkommnern ausspricht, aus der Kunde der Naturgesetze, der Geistesgesetze,
aus den eignen Folgerungen und Schlüssen vom Gekannten auf Ungekanntes
entgegen, wo das Gleichartige und Ebenmäßige im Gang der Naturerscheinungen
und Geisteserscheinungen überall herrscht und selten irre leitet: Nirgends
Stillstand im weiten Reich des Wesenden und Seienden, überall Bewegung
und Fortschreiten; nirgends Zusammenhangslosigkeit und Sprung; überall
Übergehn vom Verwandten zum Verwandten und Gleichartigen. Wir erblicken
diese Übergänge in den Schöpfungen der Natur, zum Herrlichwerden
ihres Selbstes, in den ehrwürdigen Denkmalen ihres frühern Wirkens
und Seins, welche sie in den Abgründen unsers Weltkörpers, wie weissagende
Bilderschrift hinterlassen hat. Wir erfahren das allmähliche Aufsteigen
des Geistes zu freierm edlerm Sein, in der Entwickelungsgeschichte jedes Einzelnen,
von der ersten Stunde des Säuglings durch das Knaben- und Jünglingsalter,
bis zu den Tagen des gereiften Mannes und Greises; wir nehmen es wahr im Lebenslauf
der gesamten Menschheit, wie sie seit ihrem Beginnen auf Erden, allmählich
aus dem Schlamm tierischer Urwildheit hervorsteigt und zur Selbstverklärung
fortrückt, so sehr sich auch Barbarei, und was sich in ihr gefällt,
dagegen sträuben mag. – Wie? Und dies allgemeine Gesetz im göttlichen
All sollte, bei Tod und Auflösung des Menschenleibes, aufgelöst werden
in seiner Gültigkeit und Allherrschaft, während jedes Atom des verweseten
Körpers, Belebendes und Beseelendes, gleich dem aus seiner Lebenshülle
entlassenen Geiste, ewig fortweset?
Die Ahnung vom stufenweisen Aufgang der Geister zu einem
heiligern und vollendetern Dasein ist wohl mehr, als leeres Vermuten,
als schmeichelnde Einbildung. Und wenn uns aus dem Nachthimmel die Millionen
selbstleuchtender oder beleuchteter Weltkörper anglänzen: sind ihre
Strahlen nicht Zeugen, die uns von göttlicher Herrlichkeit im Ewigen predigen?
Unser Erdball ist ein Wohnplatz von Menschengeistern, aber er ist, wenn auch
nicht der kleinste, bei weitem nicht der größte aller Planeten, die
sich, in ungeheuern Entfernungen von einander, mit ihm in weiten Kreisen um
die Sonne bewegen. Die Masse des Sonnenkörpers aber ist bekanntlich größer,
als sämtliche Massen der sie begleitenden Planeten und deren Monde. Dennoch
ist auch noch die Sonne einer der kleinern unter den zahllosen Fixsternen; denn
immer wahrscheinlicher wird, aus ihrer eignen Bewegung durch die Himmel, dass
sie bloße Begleiterin einer größern Zentralsonne sei, die im
Mittelpunkt ihrer Bahn strahlt. Wer wagt es, bei diesem Gedanken zu glauben,
dass alle jene Milliarden von Haupt- und Neben-Weltkörpern öde stehn
und unbewohnt von Wesen andrer, von höherer oder niederer Art, als wir
selbst sind? dass nur unser kleiner Erdball, auf welchem die Sterblichen milbenartig
umherwimmeln, das beste und reichste Kleinod des uferlosen Weltenreiches sei?
Wer wagt, unter so erhabnen Erinnerungen, am Dasein einer ununterbrochnen Wesenkette
zu zweifeln, in welches Alles emporstrebt, in fortgehender
Verherrlichung zum Allerhöchsten und Allerherrlichsten!
Aus: Heinrich Zschokke, Eine Selbstschau, Zweiter
Teil , Welt- und Gottesanschauung, Aarau, Druck und Verlag von H. N. Sauerländer,
1859 (S. 302-319)
Gott
Der
Gottgedanke
Wohin im Ewigen der Weg der Geister, und welchen neuen Verhältnissen und
Zuständen er entgegenführt, das liegt dem Spähen des Verstandes
im tiefsten Dunkel. Auch ist’s schlechthin Unmöglichkeit, Vorstellung
von dem zu bilden,
was und wie der
Geist auf höherer Vollendungsstufe sein möge, ohne schon auf solcher
Stufe zu stehn. So ist’s auch unmöglich und vergebens, dem Blindgebornen
Vorstellungen vom Eigentümlichen des Sehens, vom Zauber des Lichts, von
Pracht der Farben, Formen, Nähen und Fernen beizubringen. Er versteht uns
erst, wenn er selber sehend wird. So bleibt dem vollkommensten aller Tiere die
Klarheit und Macht des menschlichen Geistes, mit der er sich zum Bändiger
der furchtbarsten Geschöpfe macht, die Elemente zügelt, den Lauf der
Welten durch die Himmelsräume berechnet, und das erkennt, was allen Sinnen
verborgen ist, ein verschlossenes Geheimnis. Das Tier müsste Mensch werden,
um dessen höheres Wesentum zu begreifen. Und würde jenseits uns im
Seelischen auch nur ein einziger neuer Sinn aufgetan: so wäre darin eine
Weltverwandlung. Und
entfaltete sich im Geiste ein Vermögen, weit über alle Vernunft empor:
das göttliche All strahlte in anderm Glanz.
Im ersten Augenblick des Nachdenkens mag uns seltsam dünken, dass, während
wir im engen Horizont unsers Wissens, von aller Kunde höherer Zustände
und Wesensordnungen über uns abgeschieden sind, wir dennoch vom Allerhöchsten
der Wesen ein Wissen in uns tragen. Sollten wir denn dem
allwaltenden Ur alles Daseins näher
stehen, als den uns nächstverwandten Wesen in der
uns emporgehenden Geisterkette? – Allerdings! Wir stehn ihm näher,
weil er uns am nächsten
steht; er, der in uns, um uns, in allen höhern Wesenreichen, wie in denen
der Natur unter uns, allgegenwärtig waltet und weset; Alles in ihm, er
in Allem, ohne nichts ist. Und eben der Gottgedanke
ist die Urkunde, welche verkündet, der Menschengeist gehöre einer
weit über die Sinnenwelt erhabnen Wesenreihe an. Diese Kund ward uns nicht
durch die menschliche Erfindung zu Teil, sondern weil sie im Geiste durch Selbstoffenbarung
des Allgegenwärtigen (Röm.
1, 19), als Urgewissheit hervorquillt; und durch Selbstoffenbarung
des in sämtlichen Reichen der Natur allgegenwärtig
Waltenden (Röm. 1, 20). Wir
sagen wohl, die Natur sei unsre Lehrerin; aber Gott ist’s, der sich in
ihr uns lehrt. Darum
ist diese Offenbarung ein dem Geiste unentwendbares, notwendiges, unwillkürliches
Wissen; der Schlüssel des Weltgeheimnisses.
Ohne dem wäre unser eignes Dasein ein ewig unauflösliches Rätsel.
Im bildungsreichsten und bildungsbedürftigsten Volke entsteht der Gottesgedanke
aus dem Geiste. Er beginnt, als Ahnung; wird zum Glauben; erweitert sich zu
hellerer Erkenntnis; verklärt sich in Gewissheit. Er ist keine nachgebetete
Überlieferung der Familien, Horden, Nationen gesammelter Zeiten. Weltteile
und Inseln, die gegenseitig ohne Kunde von einander waren und sind, hatten und
haben Kunde vom Göttlichen.
Das erste Erwachen des Gottesgedankens in den menschlichen Geschöpfen der
Vorwelt, das erste Aufleuchten desselben in den Vorstellungen noch lebender
Wildenhorden, begann und beginnt zugleich mit dem Hellerwerden ihres eignen
Selbstbewusstseins. Unmündige Kinder, denen jene in ihrer Erfahrungslosigkeit
ähnlich sind, werden lange auf dem mütterlichen Arm umhergetragen,
bevor sie ihr Ich von Andern, sich von der Welt, dann die Welt, von dem unterscheiden,
was sie nicht sehn und
doch Ursach der Veränderungen ist, die sie anstaunen. So werden auch die
unmündigen Völker vom Mutterarm der Natur getragen, und von ihr, nach
Maßgabe der vorhandenen Erfahrungen und Vorbegriffe, unterrichtet. Im
Anstaunen der Naturerscheinungen und der darin regen Mächte, ahnet ihnen
ein Gewaltigeres, Unsichtbares darin. Diese Ahnung ist der Gottgedanke,
wie trübe er auch noch in ihnen leuchte. Unwissend, von wannen die Vorstellung
von Gott oder Göttern gekommen, die sich ihnen doch nirgends zeigen, halten
sie, in frommer Verehrung, ihre Altvordern selbst für edlere Naturen, und
dass der Gott, oder die Gottheiten, mit denselben persönlich Umgang gepflegt
haben, um sich zu offenbaren.
Man verachte die Verehrer von Fetischen, oder furchtbarer, oder wohltätiger
Tiere nicht; nicht Anbeter der Gestirne, der Quellen und Bäume; nicht das
Heidentum, wenn es guten und bösen Geistern und Gottheiten Opfer darbringt;
oder seine Götter in menschlicher Gestalt, mit menschlichen Leidenschaften
und Begierden bekleidet. Es ist dies ein erstes Lallen der Religion im Munde
der Unmündigen, wie wir es auch sogar noch in zivilisierten Staaten unter
denen oft vernehmen, welche sich mit dem Namen der Christen schmücken.
Es ist das erste Sehnen und Suchen nach dem Draußen,
was im Innern des Geistes waltet und mit dessen Wesen Eins ist.
Mit erweitertem Gebiet der Kenntnisse stahlt das Gotteslicht der innern Offenbarung
heller darüber. Die Götzenbilder fallen. Die Natur selbst wendet die
Menschenkinder von der Anbetung ihrer ab. Sie selber lehrt, dass sie nicht das
Höchste und Einzige sei. Sie nennt uns eine Macht und Weisheit, welche
nicht die ihrige ist, und welche der Menschengeist nicht durch die Formen seines
Denkens in sie hineingelegt hat, die er aber, im Bewusstsein eigner Ohnmacht,
anerkennt und anstaunt. Jeder neue Blick in die endlosen Fernen des mit Welten
bevölkerten Alls, und in die bodenlosen Tiefen der Natur, ihres Wesens
und Wirkens, bringt ihm das Gefühl seines eignen niedrigen Standes. Aus
ihren wunderbaren Abgründen steigt Weissagung; und der Geist wird in sich
Gottes voll; er weiß sich in ihm, ihn in sich: »göttlichen
Geschlechts« (Ap. Gesch. 17, 28)
Urgewissheit
von Gott
Wenn sich der Geist, im Zustande der Halbentwickelung, nicht mit dem
Glauben an ein Dasein Gottes genügen
lässt, sondern Gewissheit
fordert, und Zweifel erwachsen: so entspringen diese nicht, weil die mittelbare
oder unmittelbare Offenbarung in seinem Innern stumm geworden wäre (auch
inmitten der Zweifel glaubt er doch unwillkürlich), sondern weil
der Verstand beim Forschen falsche Pfade wählte. Dann fordert er wohl,
mit kindischer Befangenheit, sichtbare Wunder
und Zeichen. Dem armen
Sterblichen kommt nicht zu Sinne, dass er jeden Augenblick durch ein Labyrinth
von Wundern wallt; dass diese im Grashalm und im Staube zu seinen Füßen
liegen, und aus den Himmeln von jedem Stern herabsinken; dass jeder seiner Atemzüge
Wunder sei. Oder er fordert sogar zu seiner Überzeugung persönliches,
sichtbares Erscheinen Gottes unter den Menschenkindern.
Er begehrt in kindischer Einfalt die Endlichwerdung des Unendlichen; die Begrenzung
der Allgegenwart.
Diesen Kinderwünschen fast ähnlich sind die einseitigen, wenn auch
scharfsinnigen, Versuche vieler Schulweisen und doch oft Unweisen, welche, bei
der in ihrem Geiste unaustilgbaren Ungewissheit von Gott, sich mit dieser nicht
begnügen, sondern die Wesenheit der Gottheit
und deren Beschaffenheit
ergründen und begreifen wollten. Sie verwechselten
die Wirkungen mit der Ursach; oder bedachten nicht, dass das Wesende gewusst
und gekannt, und dennoch schlechthin an sich unbegreifbar sein müsse, weil
es an sich ohne Mannigfaltiges in seiner Einheit beharrt, und das Mannigfaltige
nur in seinen Erscheinungen oder Äußerungen besteht, vermittelst
deren es auf uns einwirkt; gleichwie der Menschengeist nur in seinem Gedanklichen
ein Mannigfaltiges wird, und nur vermittelst seiner Gedanken auf die Natur oder
auf die Menschengeister erregend zurückwirkt. Daher gingen die Weltweisen
des Altertums, und selbst der spätern Zeiten, in den verschiedensten Richtungen
irre aus einander, und suchten das Unfindbare; oder erfanden, was sie nicht
fanden.
So hielten die Einen den sinnlich gewahrbaren Stoff, oder auch wohl eine feinere,
dem Schau’n der Sinne entrückte Materie, weil sie das überall
Verbreitete ist, für Urquell alles Daseienden; das Bewirkte für das
Allwirkende; das Bedingte für das Allbedingende;
hinwieder die wunderbare Macht des Belebenden, die Gefühle der Freude und
des Schmerzes, die erhabensten Ideen des Geistes, die weisen Ordnungen des ganzen
Weltgebäu’s, Heiliges und Unheiliges, für Wirkungen und Eigenschaften
der Materie, je nach
deren verschiedner Zusammensetzung. So war die stoffische Welt ihr Gott, oder
auch der blinde Zufall, welcher nach vieltausendjährigen Bewegungen und
Mischungen der Stoffe, diese unabsichtlich in solche Verbindung geraten ließ,
dass sie darin auf immer beharrten. - Diese kindisch-rohe Vorstellung von einer
Gott-Welt (des
Materialismus) sagte tiefern Denkern nicht zu. Sie unterschieden das in
den endlichen Dingen der Welt von dem, sie aus sich, Bewirkenden; die Erscheinungen
vom dahinter waltenden Wesen; die Welt, von der sie gebärenden Natur. Sie
erhoben diese sich Unbewusste zur Schöpferin des wissenden Geistes; die
starre Notwendigkeit zur Ursach der Geistesfreiheit; zur Geberin eines Gesetzes,
welches mit ihrem Wirken nichts gemein hat, und unter ihren gesamten Erscheinungen
unerfüllbar steht. Sie machten die Natur zum Gott, der erst im Geiste ein
Gewusstes werden kann, und doch nur ein mangelhaft Erkanntes; der sich in seinen
Erscheinungen mit unendlicher Weisheit äußert, ohne davon zu wissen
und ohne vom Menschengeist ergründet zu werden; zu einem Gott, der zugleich
Vollkommenheit und Unvollkommenheit ist. – Diese Lehre (des
Naturalismus), wie viel des sich Widerstreitenden sie auch darbieten möge,
ist, wie schon gesagt, höchste Erkenntnisstufe eines selbst denkenden Heidentums.
Um die Widersprüche solcher Ansicht aufzuhalten, ist es nur noch ein Schritt
zum Glauben an einen einzigen, über Welt, Natur und Geistertum erhabnen,
allwaltenden Gott (zum
Deismus).
Ohne die in der Wesensnotwendigkeit unsers Geistes schon, vor allem Denken,
vorhandene Urgewissheit eines
Urwesens, der auch die ganze
Natur entspricht, würde das Menschengeschlecht nie einen Gott im Weltall
gesucht haben. Das Urgewisse aber versteht sich
von selbst; kann nicht gedanklich bewiesen werden; bedarf keines Beweises, als
sich selbst, und ist die Grundlage, auf welcher der Verstand erst alle andern
Beweise baut. Wir kennen Gott
aus unmittelbarer Erfahrung des Geistes, und
erkennen ihn aus mittelbarer
Erfahrung, durch Natur und Schicksal.
Daher sind die Bestrebungen Derer vergeblich gewesen, welche das Dasein Gottes
rein gedanklich aus einem Hauptgrundsatze, durch Schlüsse und Folgerungen
dartun wollten. Denn ihr Hauptgrund, von dem sie ausgingen, war selber nur vom
Geist Bewirktes, Gedankliches. Sie bewiesen nicht ein wesendes
Dasein, sondern nur Übereinstimmung ihres Gedankenspiels
mit diesem selbst und die formenhafte Richtigkeit desselben.
Andre, die zur vollendeten Gewissheit vom göttlichen Dasein ein Fürwahrhalten
aus zureichenden Gründen der Erkenntnis und sinnlichen Erfahrung des Gegenstandes
forderten, gelangten zu demselben Ergebnis, wie jene. Weil sie den Gegenstand,
dessen Vorhandensein sie zu beweisen trachten, nicht ur-sachlich wesend, und
auch nicht sinnlich gewahrbar schauen konnten, verblieben sie im Spielraum ihrer
Gedanklichkeit; fanden
sie keine Brücke von dieser zur wesenden
Wirklichkeit außer sich (vom
Ideellen zum Reellen), und erreichten somit nicht Anderes, als Anerkennung
einer unabweisbaren Notwendigkeit, das Dasein Gottes in(ner) ihrem eignen Gedankentum
für wahr zu halten, wenn auch nicht die wirkliche,
wesenhafte Vorhandenheit. Dieser Vernunftglaube
ward ein bloßer, unentbehrlicher Notbehelf ihres Geistes, um in ihm den
Zwiespalt des Heiligkeitsgesetzes und dessen Forderungen mit der ungenügenden
Erfüllbarkeit derselben im Endlichen, zwischen der Sehnsucht nach Vollkommenheit
und dem Unvollkommenen in dieser Welt, zu schlichten. Jene Denker endeten, womit
sie hätten beginnen können! Denn die Notwendigkeit des Gottglaubens
war kein Ergebnis ihrer Schlussfolgerungen, sondern
diese waren aus jener
entsprungen, und konnten nichts bezeugen, als das Vorhandensein ihrer Urquelle
(der Urgewissheit) im Wesen des Geistes;
die unmittelbare Erfahrung in sich von Gott; die Selbstoffenbarung Gottes im
Geist (Röm. 1, 19. 20). Und was würde
auch mit jenem Vernunftglauben, oder Selbsttrost der Vernunft, gewonnen, ohne
Wissen der Wirklichkeit des Ur’s
aller Wesen? Es wäre damit wohl ein Schlussstein
des gesamten Gedankenwerks
gefunden; doch wie mag dies Beruhigung gewähren, wenn dennoch in dem Draußen
der Schlussstein des gesamten
Wesentums zweifelhaft bliebe?
Es kann aber in der Welt der Gedanken nichts vorhanden sein, was sich in ihr
nicht entweder aus der urgewissen Wesenheit des Geistes, oder durch Erregung
vom außer ihm Wesenden, als Vorstellung abspiegelt. Was irgend die edelste
oder wildeste Imagination Bewundernswertes, oder Unnatürliches, zusammengestalten
mag: es ist immerdar aus Einzelheiten dessen in einander gefügt, was schon
im Gedächtnis aufbehalten
lag. So gewinnen wir anderseits Kunde vom Göttlichen, weit über die
Natur und ihre Erscheinungen, selbst über den Geist und seine Vorstellungen
hinaus. Wie könnten wir den Gedanken des Unendlichen, des Ewigwahren, des
Heiligen, in uns hervorbringen, wir, denen in der Welt nur Endlichkeit, Sündhaftigkeit
und Täuschung begegnet, wenn das in ihr und von ihr Nie-Erfahrene nicht
unmittelbar aus der Urheit und wesenhaften Wirklichkeit unsers Geistes erscheinend
würde? Der unwissende Wilde mag durch Furcht oder Bewunderung inmitten
der Naturwirkungen zur Ahnung höherer Mächte, der Geist des entfaltetere
Geist des Denkers durch das Wunderreich der Außendinge zur hellern Erkenntnis
des Göttlichen geführt worden sein. Aber die Menschheit konnte nicht
finden, was nicht schon, vor aller Furcht und Bewunderung, und nicht schon vor
allen Gedanken in ihrem Geisteswesen, vorhanden war. Man findet nicht das Nichtvorhandene,
und weiß nicht das Nichtgekannte.
Über
bildliche Vorstellungen von Eigenschaften des höchsten Wesens
Gott hat sich unmittelbar in der
Wesenheit unsers Geistes offenbart, er das
All, und Eine in Allem. Kein Sterblicher hat Gott den Sterblichen
offenbart: Keiner von ihnen das Gesetz der Heiligkeit vom Himmel gebracht. Von
den Urhebern der frühesten und der jüngsten Religionen wurde das Wissen
vom Göttlichen in der Welt vorausgesetzt.
Lehrer und Gesetzgeber des Altertums reinigten nur die rohen Vorstellungen ihres
Volkes von jenen Unvollkommenheiten, die ein Erbe aus noch kenntnisärmern
Zeiten waren. Sie läuterten die Begriffe vom Gerechten und Guten. Sie befestigten,
für allzusinnliche Zeitgenossen, die Ideen vom Übersinnlichen vorsichtig
im Boden der Sinnlichkeit. Sie kleideten darum das Unsichtbare, in Sichtbares,
ein; hüllten es in die Pracht feierlicher Gottesdienste; unterstützten
das Ganze mit Hoffnungen, Wundern und Schrecken. Nicht für das, was, in
jeder sich klar gewordenen Vernunft, eine selbstgewordene, unerlernte Gewissheit
ist, fordern sie Glauben,
sondern für das Erlernte, und für höhere Einsicht und Würde
des Lehrenden; gleich wie man auch von Kindern, die zur Selbstprüfung noch
nicht gereift sind, notwendig Glauben an der Ältern höhere Einsicht
und Würde fordert. So darf uns nicht befremden, dass Nationen im Stande
unentwickelter Kindheit des Geistes, wenn auch ihr Verstand für irdische
Verhältnisse und Bedürfnisse sehr ausgebildet sein mochte, dennoch
das Überirdische rein sinnlich, und ihre Götter, in menschlicher Gestalt,
dachten. Es darf uns nicht befremden, wenn sie Jehova,
Brahma, Buddha, Zerwan,
Allah, oder mit welchem Namen sonst die tausend Sprachen der Menschenkinder
das Wesen alles Wesenden bezeichnen mögen, wie mit allen Tugenden, so mit
Torheiten, Schwächen und Leidenschaften der Sterblichen begabten, bis dem
reifern Verstande diese Gebilde selbst lächerlich wurden, oder doch nicht
das Höchste zu sein schienen. Über ihren Göttern sahen Rom und
Griechenland noch Höheres walten – ein Fatum, dem die Götter
selbst untergeordnet waren.
Nicht dass ein höheres Wesen über der Welt walte, sondern was,
und wie beschaffen dies Wesen sei,
hat von jeher die Gedanken der Menschheit beschäftigt; und beschäftigt
heut noch die Schulen der Theologen und Philosophen vieler Länder. Vergebliches
Bemühn! Selbst der Menschengeist erkennt nicht die
Beschaffenheit seines eigenen Wesens, sondern nur das Vorhandensein
desselben durch Kenntnis seiner Äußerungen. Über Beschaffenheit
des Gottwesens vernünfteln wollen, ist eitles Trachten. Wie mögen
wir es ergründen, die wir uns in unsrer eignen Urheitlichkeit nicht ergründen
können? Wir, die selbst in der Reihe der Wesen so tief stehn!
Wohl spricht man von den Eigenschaften
unsers Geistes, ebenso von Eigenschaften der Seele, des Lebens, der Materie,
der bewegenden Kräfte des Lichtes, der Wärme, Elektrizität u.s.w.
Dies belehren uns aber nicht von der Insichbeschaffenheit
des Wesenden, sondern nur von dessen Wirkungen,
oder seinem Anderssein für uns
und da wir, in den Erscheinungen aus dem Wesen, Abspiegelungen desselben erkennen,
bilden wir, durch Übertragung,
daraus Eigenschaften,
d. i. besondere Wirksamkeitsweisen des uns, an sich unbekannten, Wesenden. So
spricht man auch von den Eigenschaften Gottes,
dessen Wirken wir, in
der Natur, im Schicksal
und im eignen Geiste wahrnehmen. Aber wie wenig kennen wir von der Natur, die
doch nur der tiefste Saum, vom Gewande des Allerhöchsten ist! Wie wenig
von ihrem Walten und Wirken auf tausend fernen Weltkörpern, wo es ein ganz
anderes, als auf dem von uns bewohnten kleinen Nebenstern einer Sonne ist.
Doch wie gering auch unser Wissen noch ist, ja, wie sehr wir uns auch noch irren
können, indem wir das Vollendete in Natur und Geist zum Maßstabe
von Gottes unendlicher Vollkommenheit machen, und was wir in jenen bewundern,
als Zeugnisse seiner Eigenschaften nehmen: können wir denn anders, als
nach dem Abglanz seiner Herrlichkeit uns, auf menschlich-kindliche Weise, ein
Bild vom ewigen Allvater entwerfen?
Nicht die Urgewissheit von seinem
Dasein, sondern die Vorstellung
seines Wesens, ist ein Vernunftglaube, dessen
Notwendigkeit gebieterisch aus dem Gesetztum unsrer Erkenntnis und aus der Stellung
unsers Geistes im All der Wesen hervortritt.
So bietet die unbegrenzte Natur, sie die allgegenwärtige Sachlichkeit dessen,
was den Sinnen gewahrbar ist, die Idee der Allgegenwart
Gottes; in
allen belebten und unbelebten Gebilden ihre unendliche Einheit ausprägend,
bietet uns die Vorstellung vom lebendigen
und all-einigen Gott.
Unser Anstaunen ihrer unwiderstehlichen Macht, ihrer Geheimnisse und Wunder
lehrt uns von seiner Allmacht,
seiner Allweisheit. Ihr
Beseelendes und Beseligendes spricht uns von seiner Allseligkeit.
– Ebenso nehmen wir aus der Herrlichkeit unsers Geistes
das, wovon keine sinnliche Erfahrung Kunde gibt, und was in denselben aus Gott
hereinstrahlt, die Ideen des Unendlichen, Wahren und Heiligen, und eignen es
ihm wieder zu. Darum nennen wir ihn das Unbedingte
(Absolute), in welchem alle Artungen des Wesens
und Seins bedingt sind; darum ihn den Schöpfer;
das Weltall seine Schöpfung;
ihn, den Ewigen, über
Räume und Zeiten Erhabnen, den Allgütigen,
den Allerheiligsten.
Wenn der kenntnisbedürftige, mehr nachglaubende, als selbstdenkende Großteil
der Sterblichen sich seine Gottheit noch zu
menschenartig vorbildet; sie sogar des Zorns oder der Rache
fähig hält; und den Widerspruch in einer Vorstellung nicht wahrnimmt,
nach welcher Gottes Allbarmherzigkeit
mit ewiger Strafe und Höllenqual des Sünders vereinbar sein soll:
nein, lächeln wir nicht darüber, stolz auf unser vermeintes Besserwissen.
Auch die Weisesten unter den Weisen bilden sich die Gottheit noch zu menschenartig
vor, und bemerken nicht Widersprüche, welche entspringen, indem sie in
Gott Eigentümlichkeiten der menschlichen Natur, aber ins Unendliche ausgedehnte,
vereinigen. Sie sprechen auch wohl von einem »Willen
Gottes«, als könnte im Allerheiligsten noch, wie
im Menschen, ein So- oder Anders-Beschließen, ein Wählen zwischen
Besserm und Schlechterm stattfinden, oder von ihm, dem »höchsten
Vernunftwesen« und dessen
»Gedanken«, als wenn das
Ur des Alls nicht ein Anderes, weit über alle Vernunft
erhabnes Wissen sein möge; oder sie schaffen Gott zu einem ewig, in Natur,
Welt und Geistern, in starrer Notwendigkeit waltenden, sich selber dunkeln,
Fatum oder Schicksal; Andre wieder anders. – Kein Wort mehr über
jene Vorstellungsweisen von Beschaffenheit des göttlichen Wesens. Ich könnte
Mandeville’s Fabel von Bienen wiederholen,
welche noch keinen Menschen gesehn hatten, und, um sich seine Erhabenheit vorzustellen,
ihm ihre Formen und Eigenschaften, als ins Endlose vergrößert, beilegten,
woraus freilich noch immer kein Mensch, sondern nur eine ungeheure Biene ward;
oder könnte wohl mit Paulus, dem Apostel,
sagen: »Sie haben die Herrlichkeit des unvergänglichen
Gottes in ein Bild verwandelt, gleich dem vergänglichen Menschen«
(Röm. 1, 23); und »da
sie sich für Weise hielten, sind sie zu Toren geworden«.
Unter allen Lehrern der Menschheit, vom Anbeginn derselben bis heut’,
kenn ich nur Einen, der,
menschlicher Weise, von
Dingen und dem Verhältnis der Geister zum Allerhöchsten, am würdigsten
gelehrt hat. Es ist der, welcher die Selbstoffenbarung der Gottheit in uns,
durch seines Geistes
Licht, von den Nebeln der Irrtümer reinigte, wie Keiner vor ihm und nach
ihm. Es ist Jesus Christus.
Christus
Es sei mir erlaubt, von ihm zu reden, wenn auch nicht ganz auf die unter Schriftgelehrten
der vielerlei Kirchen und Glaubenssekten übliche Weise. In Aufschließung
meines innersten Seins, darf ich die eigne Ansicht der außerordentlichsten
Erscheinung nicht verschweigen, welche, seit dem geschichtlichen Wissen der
Menschheit je im Geisterreich hervorgegangen ist.
Nicht von seiner Person will
ich reden, sondern von seiner Lehre.
Er selber sprach über seine Persönlichkeit wenig; und dann nur auf
bildliche Weise, um
sein Erscheinen, und den Zweck desselben, mit den bisherigen Ansichten des jüdischen
Volkes jener Tage, und mit den schriftlichen und mündlichen Überlieferungen
seit Moses, in Einklang zu bringen, dass er nicht gekommen sei, das Gesetz oder
die Propheten aufzulösen (Matth. 5, 17). Mehr,
als er selber, sprachen seine Jünger und die Erzähler seines Lebens
(die Evangelisten), von seiner Person; Alle mehr
oder weniger verschieden, je nachdem sie seine Äußerungen aufgefasst,
oder dem Ideenkreise derer, für die sie schrieben, angemessen gemacht hatten;
alle mit dem Zweck, durch Schilderung der Würde und Herrlichkeit des von
Gott in die Welt Gesandten,
seinem Worte Glauben zu
erwerben.
Mehr, als die Jünger, wussten die spätern Verkünder des Evangeliums,
die Ausleger der Worte der Apostel, über die Persönlichkeit Christi,
über die verschiednen Naturen in derselben, sogar über Naturen und
Personen in Gott selbst, zu sagen. Das Christentum
Christi selbst ward, in den Streitfragen über Christi
Person, nur
zu oft Nebensache; hinwieder ein menschliches Christentum, aus Dogmen und Symbolen
vieler Kirchen und Sekten hervorgebildet, Hauptsache. Wäre dieses aber
die Hauptsache gewesen: so würde dem, der Jesum gesandt hatte, wahrlich
ein Leichtes gewesen sein, alle Irrtümer, abweichende Auslegungen und Zweifel
der Nachwelt unmöglich zu machen.
Abgesehn von Allem, was das Priestertum verflossener Zeiten und gegenwärtiger,
über die in Sagen- und Bildersprache des Orients gehüllte Geschichte
der Person Jesu
mündlich und schriftlich gelehrt und geträumt
hat; abgesehn von Allem, worüber Weis und Unweise, welche sich seit dem
ersten bis zum neunzehnten Jahrhundert jemals mit Christi Namen schmückten,
in mancherlei Behauptungen und Widerlegungen, in gegenseitigen Verketzerungen
und Verfolgungen, christuswidrig, auseinander gefallen sind: bleibt immer, selbst
für Juden und Heiden,
selbst für den philosophischen Zweifler
Eins noch, des höchsten Erstaunens würdig. Ich
würde dieses Eine, wiewohl es vor Augen liegt, unbegreiflich nennen, falls
ich darin nicht »den Finger Gottes«
sähe, das heißt, ein wunderweises Lenken und Ordnen des Schicksals
im Geistertum, wie ich es schon im Weben und Wirken der Natur erkenne. Wenn
Zeichen und Wunder, vor Alters, unter wundersüchtigen und wundergläubigen
Barbaren verrichtet, den spätern Jahrtausenden nicht mehr als Urkunden
einer göttlichen Sendung, genügen können: so werden Wunder andrer
Art, die wir erst in unsrer Zeit
verstehen und die nicht geringer sind, als die, welche wir in Schöpfungen
der Natur anstaunen, voll unerschütterlicher Gültigkeit und Kraft
verbleiben müssen.
Es hat Sokrates, Plato
und Zeno, alle erleuchtete, tugendhafte Weisen,
die wir immer noch mit Ehrfurcht nennen, gelebt und gelehrt, bevor Christus
kam. Wir kennen ihre Ideen, und bewunderswürdigen Vernunftträume
von göttlichen Dingen. Sie waren Glanzpunkte im Geisterreich ihrer
Zeitalter. Sie sind es nicht mehr für das heutige,
in welchem wir, von höhern Standpunkten der Wissenschaft und Naturerkenntnis,
ihre Fehlschlüsse nachweisen. Wer weist heut aber, in der Lehre
Christi von göttlichen
Dingen Irrtümer und Fehlschlüsse nach, wenn dieselben nicht erst durch
spätere Missverständnisse und Auslegungen hineingetragen worden sind?
Aber jene Weisen des Altertums, aber Moses, Zoroaster,
Konfutse und andre Propheten und Lehrer der Vorwelt,
erscheinen dem Beobachter, im Sein der Zeiten, jeder wie ein Johannes
der Täufer, nur als Vorgänger Christi,
die ihm den Weg bereiteten. Was sie lehrten, war das Höchste für ihre
Schule, ihr Zeitalter, ihre Nation. Religiöses Sein ist das wirkliche Geistes-Leben
der Völker, welches deren Wandeln und Handeln mächtiger regelt, als
das bürgerliche Gesetz. – Nach jenen Vorarbeitern kam Jesus
Christus, und ward das Licht, nicht seines
Zeitalters, sondern aller
Zeitalter, nicht seines Volkes,
sondern der Menschheit.
Er ist der Vorläufer keines Weisern geworden. Und wenn noch heut Zwiespalt
herrscht, trägt nicht seine von
ihm verkündete Wahrheit die Schuld, sondern Irrtum und Schwäche seiner
Verkündiger. Es gibt nicht zwanzig, dreißig Christentümer, sondern
nur ein einziges Christentum; und dieses ist die wahre
Weltreligion; und dies ist sie, weil göttlichen
Ursprungs; und sie ist dies, weil geläuterte Selbstoffenbarung
der Gottheit
im Wesen aller menschlichen
Geister.
Durch Jesus erst ward die Selbstoffenbarung Gottes,
die sich den Sterblichen lange Zeit in ungewissen Ahnungen kündete, zum
reinen, lichten Bewusstsein; durch ihn das Verhältnis unsers
Wesens zum höchsten
Wesen, durch ihn das Gebot der Geistesfreiheit
und Selbstheiligung von
Irrungen des blöden Verstandes, von Schnörkeln der Schulsysteme, von
Sophismen irdischer Selbstsucht geläutert; durch ihn der Blick in das Ewige
beseligend. Und was von diesem Allen in der Vorwelt nur
stückweis, mangelhaft,
oder mehr oder minder phantastisch und verworren, in Mysterien der Priester,
in Schulen der Weltweisen, nur einzelnen Nationen, einzelnen Auserwählten,
mitgeteilt worden war: das ward, durch ihn, was es sein sollte, Gemeingut
des menschlichen Geschlechts. Er aber gewährte es
in einer Vollendung,
wie es die scharfsinnigsten Denker, vor und nach ihm, nicht vollendeter gewährt
haben und gewähren konnten; und zugleich in einer Einfalt
und Klarheit, dass selbst Unmündige und Wilde die
ewigen und höchsten Wahrheiten, wie er sie, losgeschält von Kirchlichkeiten
und Nationalitäten, gab, nicht bloß als Erlerntes, glaubten,
sondern mit Überzeugung begriffen.
Sein Wort war kein Rätsel für die menschliche Vernunft, sondern eben
das, was sie in sich selber befriedigte; war die einzig mögliche Lösung
des dunkeln Welträtsels für sie. Ein trübes
Wissen und Ahnen vom Göttlichen ward, durch ihn, zum Wort.
Dies Wort der frohen Botschaft, seine Lehre, war nicht seine
Lehre und Offenbarung, sondern wie er selbst sagte
(Joh. 7, 16. 17), Gottes in ihm;
und war, wie er selbst sagte eine Wahrheit,
welche jeder erkennen kann, weil sie schon in jedem Geiste von Gott gegeben
wohnt (Röm. 2, 14. 15), und ihn von den Fesseln
des Tiertums frei macht (Joh.
8, 22). Und weil eines Selbstoffenbarung
des höchsten Wesens in den Geistern allein eine Ur-Wahrheit
ist; alles Andre nur menschlich Ersonnenes und Beigefügtes: so mahnte er,
uns in ihr zu heiligen; dem Vollendeten und Vollkommnen nachzustreben, wie Gott
auch das Allvollkommene ist (Matth. 5, 48). Darum
konnte schon einer der ersten Christusjünger rufen:
»In allerlei Volk, welches Gott fürchtet und recht tut, der ist ihm
angenehm« (Ap. Gesch. 10, 35)! Die
Hauptsumme der von Christus entschleierten
Gottesoffenbarung ist:
Es ist ein allwaltender, allgegenwärtiger, unsichtbarer Gott, ein höchster
Geist (Joh. 4, 24).
[Auch in den Halbwilden von Amerika’s
Urwäldern, wohin nie der Name Christi erscholl, spricht sich innere Offenbarung
durch Verehrung des »großen Geistes« aus]. Er ist der
Vater des Wesenalls
(Matth.6, 9); in ihm leben
und weben und sind wir; wir seine Kinder, ewig mit
ihm im göttlichen Vaterhause, wo der Wohnungen
viele sind (Joh. 14, 2), und jeder empfängt
und wird, was er durch Selbstheiligung geworden ist (Gal.
6, 8. 9.). Das höchste der Gebote Christi zur Selbstheiligung ist
aber: Liebe Gott über Alles,
den Nächsten wie dich selbst; oder, was du willst, das dir Andre tun sollen,
das tue ihnen auch. Die ist der heilige Grund aller Pflichten der Gerechtigkeit
und Güte.
So stellte Christus, menschlicher Weise zu reden, die gesamte Menschheit, als
eine große Gottesfamilie, dar; unter sich Brüdern und Schwestern;
zum Allvater, als Kinder desselben. Er nannte nicht seine eigne Mutter, nicht
seine leiblichen Brüder nur, die ihm Verwandtesten, sondern sprach:
Wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mein Bruder, meine Schwester,
meine Mutter (Matth. 12, 50). Wie er den
Allvater seinen
Vater, so nannte er sich auch hinwieder einen Sohn
Gottes, wie auch alle Menschen »Söhne
Gottes« (Röm. 8, 14-46, Matth. 5, 45).
Und wie er sich einen Gottessohn nannte,
so auch einen Menschensohn, der
nicht göttliche Anbetung und Dienst forderte (Matth.
20, 28); wohl aber, dass man in ihm und seinem Wort den Vater ehre, der
ihn gesandt hatte (Joh. 5, 23). Wiewohl jeder Sterbliche,
der zur Erleuchtung der Miterschaffnen, sei es in weitern oder engern Kreisen
wirkt, ein Werkzeug des Allerhöchsten, ein von demselben in die Welt Gesandter
genannt werden kann, ist Christus
dieses doch im herrlichsten Sinn des Wortes. Seine Enthüllung der Gottesoffenbarung,
seine Lehre, welche Stamm und Wurzel aller
Religionen in
der Welt ist, bezeugt, dass, wie in jedem Geiste Göttliches wohnt, in ihm
eine Fülle des Göttlichen war. Und wem diese Urkunde der göttlichen
Sendung nicht genügt, der findet sie in den Wundern der Weltgeschichte,
in der weltordnenden Gewalt über den Entwicklungsgang des Menschengeschlechts.
Denn Christus erschien,
zum Welterlöser aus den Banden der Geistesfinsternis und Vertierung, »als
die Zeit erfüllet war«; da sein Wort Wurzel schlagen und das
Senfkorn des Evangeliums zum weltbeschattenden Baum aufwachsen konnte; nicht
früher, nicht später! Er erschien, als viele
Propheten und Weisen der Völker ihm den Weg bereitet hatten; als in einem
großen Teil der Erdbewohner schon, unter tausendjährigen Erfahrungen,
der Verstand zu höherer Selbsttätigkeit gestärkt worden war;
als durch Zentralisation der Staatsverwaltung von vielen Ländern dreier
Weltteile, die alten Verhältnisse derselben erschüttert und alle dem
Szepter eines einzigen Gebieters untergeordnet lagen. Er erschien, als das römische
Weltreich (niemand ahnte es damals noch) bald unter
seiner eignen Last, und das Heidentum bald unter seinen eignen Zweifeln, zusammenbrechen
sollte; als die Legionen der Cäsaren, im Umtausch
ihrer Standorte, vom Tajo zum Euphrat, vom Nil zur Themse wanderten, und überall
andern Göttern
begegnend, an den eignen irre
werden mussten. Wäre Christus früher
in die Welt getreten, würde sein Wort auf den Kreis einer vereinzelten
Nation beschränkt geblieben sein, wie einst das mosaische Wort; nun sprach
Christus zu einem unermesslichen Weltreich.
Und er erschien inmitten eines kleinen asiatischen Volkes, jedoch eines solchen,
in welchem Moses schon die Idee der
All- und Einheit Gottes geweckt hatte. Hier, wie nirgends noch,
war das Erdreich zum Empfang des auszustreuenden Samens vorbereitet. Das Erscheinen
Christi in der rechten
Zeit, am rechten Ort, um mächtig in den Entwicklungsgang
der Menschheit einzuwirken, war, wie jedes Geborenwerden eines Sterblichen,
nicht sein Werk,
sondern das einer höhern Hand. Nennt Ihr es
Zufall?
– so ist abermals Zufall Euer Gott. Aber der Bau der Feldblume, wie des
ganzen Erdballs und der endlosen Weltenfamilie des Himmels, die Verkettung Eurer
Lebensereignisse, wie der Völkerschicksale, verkünden ein stilles
Werden und Ordnen nach einem Gesetz, welches weit über alles menschliche
Ergründen hinaus liegt.
Christus
erschien; lebte wenig beachtet; war kein Hochgestellter seines Volks; suchte
nicht Umgang mit Großen und Reichen, sondern da, wo gewöhnlich Sittenreinheit
und Unverdorbenheit des Gemüts am meisten gefunden wird, in den Mittelklassen
des Volks. Hier, im heiligen Wandel, lehrte er Heiligendes; verbreitete er Licht
über die höchsten Angelegenheiten der Menschheit, wie Keiner vor ihm;
war fast noch Jüngling, kaum in sein Mannesalter eingetreten; und, missverstanden
von Vielen der Zeitgenossen, oft selbst von seinen Blutsfreunden und Schülern
(Joh. 36. Matth. 20, 20 - 28), besonders aber von
Priestern, Weltgelehrten und Staatshäuptern. Durch diese ward er, drei
Jahre nach seinem öffentlichen Auftreten, zum Tode geschleppt. Er war nicht
der Erste, welcher die Wahrheit seiner Überzeugungen, die Tugenden seines
Lebens, mit eignem Blut besiegeln musste; aber der Erste, bei dessen Tode der
Vorhang vor dem Allerheiligsten des Geistertums zerriss, dass das Allverhüllte
unverhüllt und offen vor den Augen aller Sterblichen dalag. Da
erblickten sie Gott in seiner Herrlichkeit, als ihren und aller Wesen
Vater; da sich selbst, als seine
Kinder; da er vor sich die Ewigkeit aufgetan, als ihr
Vaterhaus, und die Liebe,
als den Himmelsweg dahin.
Unter Allen, die je auf Erden vom Weibe geboren worden sind, hat keiner, wie
Christus, so außerordentlichen
Verwandlungen der Menschheit, und dadurch so ungeheuern Umwälzungen der
Reiche, der Sitten, der Gesetzgebungen, der Wissenschaften, den Ursprung gegeben.
Wie gar nichtig und flüchtig sind die Taten und Stiftungen aller Pharaonen,
Cäsaren und Khane geblieben, in alter
und neuer Zeit, mit ihrem blutigen Schwert und ihrem verblendenden Golde! Jesu
Tat war das
Wort! Es fiel erschütternd
in den Ozean der Zeiten, und die Erschütterung pflanzte sich fort in ,
in immer mächtigeren Wellenschlägen, in immer ausgedehntern Kreisen;
von einem Jahrtausend zum andern, noch heut immerdar durch alle Weltteile künftigen
Jahrtausenden entgegen.
Anfangs trugen nur wenige Jünger das Jesuswort durch die damals bekanntern
Gegenden Asien’s, Europa’s, Afrika’s. Jeder gab es, wie er
es von dem göttlichen Meister empfangen, und sprach von ihm nach Maß
eigner Begeisterung, Ansicht, Bildung und Gemütsweise; oder mit Rücksicht
auf Übungen, Denkarten, Vorurteile der verschiednen Nationen. Sie mussten
Allen Allerlei werden, um Viele zu gewinnen (1. Kor. 9,
20 - 22). Die bildliche Sprache des Orients, der jüdische Aberglaube,
oder die mosaische Offenbarung und deren rabbinische Auslegung wäre dem
Römer, dem wissenschaftlich gebildeten Griechen Fremdes gewesen. So entstanden
eben dadurch, unter den ersten Christen schon, unvermeidliche Missverständnisse
und abweichende Vorstellungsarten über die Persönlichkeit des Urhebers
der Weltreligion. Der Eine sprach: Ich bin Paulisch; der Andre: ich bin Apollisch;
der Dritte: ich bin Kephisch; der Vierte: ich bin christisch! (1.
Kor. 1, 12). Und die Spaltungen dauerten fort. Spricht man doch heute
auch noch: Ich bin Griechisch; ich bin Römisch-Katholisch; ich bin Lutherisch;
ich bin Reformiert, oder Pietist, Methodist, Mennonit u.s.w. Aber das Licht
der göttlichen Urwahrheit, wie es Jesus
ins Reich der Geister gebracht, leuchtete im Innern aller
Hüllen, Sekten und
Kirchen, mit denen es menschlicher Witz, oder menschliche
Unwissenheit, umgab. Es leuchtete, wohin es, selbst von einzelnen Kriegern,
welche den römischen Adlern folgten, getragen worden war, vom Jordan bis
zu den Pyrenäen und zum Indus; von Ägypten bis ins schottische Gebirg.
Dann erst, als die Funken überall still glommen, riss ein Sturm der Verhängnisse
Völkerhorden aus uralten dunkeln Wohnsitzen und schleuderte sie, wie Spreu,
durcheinander; und die Funken werden zu lodernden Flammen, auf dass Alles in
Erkenntnis des alleinigen Gottes entbrenne. Siegende und besiegte Legionen,
begeisterte Jesusjünger und wandernde Barbarenstämme, alle von einer
unsichtbaren Macht des Schicksals
getrieben, wurden zu Werkzeugen des Jesuswortes. Selbst Stifter andrer
Religionen, von Mahomed
in Arabien bis Nanek unter
den Shiks, kamen nur, dem Geiste der Christusreligion, durch die Wildnisse Asiens
und Afrikas, den Weg zu ebnen, indem
sie, wie früher Moses bei seinem Volke, die
Götzen des Heidentums von den Altären stießen, und die zwar
noch blöden, aber doch schon gereiftern Geister zum unsichtbaren,
alleinigen Gott hinaufwiesen.
Der Weltsturm legte sich. Zertrümmert lag das römische Weltreich.
Nichts vom ehemaligen Zustand europäischer Verhältnisse war geblieben,
als das Christentum.
Seit dem Tage auf Golgatha hatte eine ganz neue Geschichte der Erdbewohner begonnen.
Aus den Strömungen und chaotischen Mengungen der Völker, in welchen
Jerusalem, Theben, Athen und
Rom versunken lagen, schien, wie aus dem Schlamm einer
langsam verlaufnen Sündflut, eine neue Menschheit hervorgestiegen. Wohl
sah man, durch allgemeine Barbarei, die ehemalige vielgefeierte, heidnische
Zivilisation überwältigt; aber sich bald auch die rohe Tugend der
Barbaren mit der Sittenanmut der Überwundnen schmücken. Wohl sah man
den einfachen Adel des Urchristentums, mit Lappen griechischer Schulgelehrtheit
morgenländischer Phantasten, mit Überbleibseln des Judentums, wie
des heidnischen Götzentums, entstellt; aber auch in den Völkern eine
höhere Inbrunst für das Göttliche und Ewige entzündet. Nicht
bloß der gemäßigtere Himmelsstrich Europas führte ein
schnelleres Abstreifen der Wildheit und Barbarei herbei; mehr noch das Himmelslicht
der Christuslehre brachte ein geistigeres
Leben. Die Verkünder desselben retteten in Kirchen, Klöstern und Schulen,
die in Schrift bewahrte Erfahrung und Weisheit der Vorzeiten. Wärme und
Licht des Göttlichen im Evangelium machte die Kette der Leibeigenschaft,
die Eisenszepter der Tyrannen, die Bande toten Kirchenglaubens verwittern; die
Nebel des ererbten Aberglaubens nach und nach auseinander fließen.
Und abermals »war die Zeit erfüllt«,
zu einem neuen Weltalter reif. Es sprengte die Kraft des Schießpulvers
jetzt die Felsenburgen zwingherrlichen Rittertums und verrückte die erschütterten
Schranken erblicher Stände und Kasten. Es lüftete ein kühner
Schiffer den Vorhang von unbekannten Weltgegenden, und knüpfte, rings um
den Erdball, Verband und Verkehr zwischen Nationen, die von ihrer gegenseitigen
Vorhandenheit, seit Jahrtausenden, nicht gewusst hatten. Das Jesuswort scholl
über die Meere hinaus in die Wildnisse Amerikas und Australiens. Nun schüttete
Gutenberg’s Werkzeug
die Schätze des Gotteswortes und des Altertums in die Tiefen des Volks,
und ward ein Sprachrohr der Geister zu Geistern, wie zu denen, die nach Jahrhunderten
noch kommen sollen. Nun erst strömte der Geistesreichtum, welchen Christus
gegeben, in das Leben andrer Weltteile über. In Europa selber, dem bisherigen
Herde des ewigen Lichtes, hatten schon einzelne Glaubenshelden, die Tennen der
Kirche, nach dem Bedürfnis ihrer Tage,
gefegt, und Anfang gemacht, die Spreu des Juden- und Heidentums vom fruchtbringenden
Kern zu scheiden.
Und der Staub und Moder der verweseten Vorwelt fällt noch mehr und mehr,
von Jahrhundert zu Jahrhundert, ab von den Völkern und ihren Thronen, ihren
Gesetzbüchern, Kriegspanieren, Altären und Richterstühlen. Das
ist der Zauber des Evangeliums! Schon sehn wir, inmitten der zivilisierten Barbarei,
allerorts der sittlichgroßen, hochmenschlichen Wesen, d.
i. der reinen Jesusjünger viele. Diese Entwilderung
der Menschheit, diese Zivilisation, wer mag der Weltgeschichte widersprechen?
ist das Werk des Christentums! Vom Christentum aus, weht im Verkehr der Nationen,
in Befreundung der Zivilisierten mit Barbaren, nun schon ein heiligender
Sinn durch Glauben und Sitte selbst der Bekenner des Korans,
wie des mosaischen Gesetzes,
der Veda’s, wie
der Zendavesta. Die Religion
Jesu, diese enthüllte Selbstoffenbarung Gottes, durchdringt und verklärt
langsam, aber unwiderstehlich, immer mehr die andern Religionen. Sie wird derselben
innerstes Leben, trotz
Beibehaltung von derer äußerer, verwitternder Rinde der Bräuche
und Meinungen in Tempeln, Pagoden, Synagogen und Moscheen. Sie wird deren innerstes
Leben, weil das Göttliche und Heilige das innerste Leben aller Geister
ist.
So ist das Senfkorn, ausgesäet an den Ufern des Jordans, emporgewachsen
zum jugendlichen Baume, wie der es
vorausgesagt hat, der es säete. Wäre mir zum Beweis der göttlichen
Sendung Christi, oder der Wahrheit seiner Lehre, ein Wunder vonnöten: hier
ständ’ es vor mir in der Schicksalsgeschichte der Menschheit. Und
dies Schicksal ist Wirken des ewigen Weltordners in der Verflechtung der Ereignisse,
in der Verspinnung von Ursachen und Wirkungen, in höchsten, wie tiefsten
Sphären des Wesen-Alls.
Hier könnt’ ich meine Ansicht des göttlichen Alls schießen,
denn mir fehlen für das, was ich noch andeuten möchte, Zeichen und
Worte. Vielleicht hätt’ ich früher schweigen sollen, um der
Verdammungssucht von Kirchengläubigen und Schulweisen zu entgehn. Mögen
sie mir aber verzeihn, wie ich während des Erdelebens auch meinen Gegnern
verziehn habe. Ich folge dem Strahl der Selbstoffenbarung des Göttlichen
in mir; er spiegelt sich anders in andern Geistern, wie die Sonne sich anders
im kleinen Tautropfen des Halmes, und im weit-erglänzenden See spiegelt.
Religion und Philosophie aber sind, ich wiederhol’ es, ein untrennbares,
himmlisches Geschwister, was immerhin die unter sich hadernden System- und Vernunftkünstler
sagen mögen. Was wider die
Vernunft streitet, streitet wider das Gottesgesetz in den Geistern. Was
über die Grenzen der Vernunft, weil über die
Grenzen unmittelbarer und mittelbarer Erfahrung hinausgeht, doch ohne Widerspruch
des Vernunftgesetzes, wird Ahnung und Glauben.
Wer aber der Vernunft in Glaubenssachen ihr Recht
versagt, verdächtigt bei vernünftigen Wesen den
eignen Glauben.
Und so wag’ ich’s, wenn auch nur unvollkommen und bildlich, aber
folgerecht mit allem Frühergesagten, noch meine Ansichten vom so genannten
Gericht Gottes über die Geisterwelt, und von der so genannten Persönlichkeit
Gottes auszusprechen.
Schicksal,
Verhängnis. Göttliches Gericht.
Ja, es besteht eine göttliche Leitung der Verhängnisse, eine heilige
Weltordnung, welche, im Natur- und Geisterreiche, fortschreitend
zum Vollkommnern drängt. Des ist Jedermann täglicher Zeuge. Er ist’s,
beim Rückblick auf vergangne Tage seines Lebens, und auf vergangne Jahrtausende
unsers Geschlechts.
Eine bedeutungslos scheinende Begebenheit, eine Umstimmung der Witterung, eines
Kindes Spielerei, wirkt mit unberechenbaren Erfolgen in der Verknüpfung
der Dinge fort, welche den Sterblichen zuletzt Hoffnungen ohne Zahl vereiteln;
die schlauesten Pläne zerreißen; Heere vernichten; Staaten umwälzen;
Weltteile umgestalten. Niemand sieht sie vorher; niemand hat Macht, sie abzuwehren.
Kein Sterblicher ruft sie aus dem Gewühl allseitiger Bewegungen herbei.
Sie kommen und quellen aus dem dunkeln Schoß der Umstände, gegen
ihn an. Er nennt sie Schickungen des Verhängnisses,
Zufälle, Schicksale, blindes Fatum, oder aber Walten
einer göttlichen Vorsehung; und unterwirft sich ihrer Notwendigkeit. Denn
die Notwendigkeit
ist das eherne Gesetz
des Schicksals, weil das Gesetz
der Natur, in der Gesamtheit ihrer Bewegungen, das Gesetz,
nach welchem sie, in sich selbst ändernd, ihre Erregungen durch das Reich
aller Einzelwesen, vom Verwandten zum Verwandten, ewiglich fortpflanzt. Daher,
was heut im Innern des Erdballs und auf seiner Oberfläche geschieht: Erdbeben,
wie Pestilenzen, Veränderungen der Klimate, wie der Völkerzustände,
Familienbegebenheiten, wie Begegnisse des Einzelnen, sind, in der Verflechtung
der Ursachen und Wirkungen,
ein Nachgebornes aus der Geschichte des ersten
Tages, an welchem der Erdball menschlich bewohnbar geworden
ist.
Auch der Menschengeist, der Verwandte der Natur, empfängt die Einwirkungen
derselben. Sie setzen seiner Tätigkeit unabänderliche Bedingungen
und Schranken. Er gibt sich die Umstände und deren Wechsel nicht selber;
er kann sie nur benutzen.
Er nennt sie glückliche und unglückliche, gute und böse. Sie
sind es an sich selbst aber nicht; der Mensch macht sie sich dazu, durch Klugheit
oder Unklugheit, durch Tugendlichkeit oder Sündlichkeit. Die Natur ist
sündenlos; also auch die Verstrickung ihrer Taten und Werke, das
Schicksal. – Hinwieder wirkt auch
der Mensch erregend auf die ihm verwandte Natur ein. Jede seiner Handlungen
spinnt sich im dunklen Schoß der Wesenheiten und Dinge, ihm unbekannt,
als ein langes Gefolge von Änderungen und Ereignissen, ins Unendliche fort.
Da liegen sie außer seinem Gesichtskreis; außer dem Gebiet und Gesetz
seines Willens; im Gebiet der Naturnotwendigkeit. Das aus seinem Mund geworfene
Wort, der von seiner Hand geschleuderte Stein, gehören ihm nicht mehr.
Sie sind einer fremden Gewalt anheim gefallen, die nach eignem Gesetztum verfügt.
Ihm gehört allein die Wahl der
Handlung, die in ihr gewaltete Absicht
an; die gute oder böse; vernunftgemäße, oder vom Gesetz der
Heiligkeit verworfene. Das Gute, was er bezweckt, kann in der Wirklichkeit zum
Unheil entarten; das Übel, welches er stiften möchte, segenvoll nachwirken.
Doch ihm gebühret weder der Ruhm
von diesem, noch der Vorwurf von
jenem. Darum ist des Menschen Urteil trüglich, der nur die Tat
sieht; darum geht seine Rechtspflege mit
verbundenen Augen einher!
Hat der Geist des Sterblichen keine Gewalt über das Schicksal, so ist er
auch hinwieder dem Gebot desselben nicht untertan.
Er kann die Ereignisse des Tages und der Stunde nicht abwehren;
aber mit Besonnenheit und Kraft auf sie zurückwirken,
treu dem eignen Gesetztum.
Wer Ehre, Rang, Pracht, Reichtum und andre Scheingüter des Lebens nicht,
als Wesentliches des irdischen Daseins, über Alles liebt, sondern Selbstheiligung,
durch Gerechtigkeit, Güte und Wahrheit, steht
über jedem Schicksal erhaben. Das Geschick kann ihm
Gesundheit, Freiheit, selbst Leben rauben; aber nicht Tugendsinn, nicht Liebe
und Wahl des Heiligen, nicht Unsterblichkeit. Der Heldenmut des Geistes kann
und wird eher das Band zwischen sich und der Natur zerreißen, als das
Band zwischen sich und dem Göttlichen.
Nur der menschliche Leib, dies
Eigentum und Werk der Natur, bleibt, mit Allem, was ihm in der Sinnlichkeit
zusteht, ein Spiel der Verhängnisse. Der Geist soll
es nicht sein! Wir leben wohl in der Natur, aber nicht für sie: sondern
für höhere Sphären der Geister und für das Göttliche
in denselben. Wer für
die Natur lebt, ist, wie jedes beseelte Tier, ihr Knecht. Wir leben nicht für
uns allein, sondern für Andre
unsers Wesens. Wir sterben nicht allein unsrer
willen, sondern auch Andrer
willen, zu deren Bestem und Geistesheile. Alles lebt, alles stirbt für
einander zum gegenseitigen Wohl. Denn in der Natur, steht
nichts vereinzelt für sich; geschieht nichts, ohne Zusammenhang mit Allem;
und treibt alles und reift Alles zum Vollkommnern empor. Was wir Schicksal nennen,
ist Offenbarung der göttlichen
(moralischen) Weltordnung,
– Gottes Finger!
Weil unsre Geburt, wie unser Tod, beides von einer allweisen Schicksalsverkettung
abhängig, nicht bloß unsre eigne Persönlichkeit allein berührt,
sondern auch für Andrer Bestes stattfindet: warum klagen wir mit unsern
Tränen, wenn wir auch Gott nicht nennen, doch sein Walten im Schicksal
an, falls ein Vater, eine Mutter inmitten unerzogner Kinder stirbt? oder ein
Liebling in der Blüte schöner Hoffnungen? oder ein Bösewicht
in seiner ganzen Sündigkeit? oder ein Säugling, ein Kind, welches
kaum das erste Licht erblickt hat? Sie Alle traten in die Welt uns schieden
aus ihr, nicht nur und ausschließlich
ihrer selbst wegen, sondern auch für Andre.
Der Augenblick der Geburt, wie des Todes, ist leise Verwandlung der Verhältnisse
im ewigen All; Übergang des ewig Wesenden
in ein anderes Sein.
Du fragst: Wozu ist der Mensch hier gewesen, der während,
oder bald nach seiner Geburt stirbt? Er erschien und verschwand, nicht
seinetwillen einzig, sondern auch einwirkend in Geistesgang und Los Andrer;
er hat seine Bestimmung im Allerheiligsten Gottes erfüllt. Du fragst, wenn
unter einstürzenden Bergen, unter versinkenden Inseln, oder Schiffen, unter
Gifthauch länderverödender Seuchen, Tausende hinweggerafft werden:
Warum sind sie gleichzeitig, unter dem unbarmherzigen Streich ihres Verhängnisses
gefallen, gleich den Halmen des Grases unter der Sichel des Schnitters; ohne
Unterschied; der Säugling, wie der Greis; der Schuldlose, wie der Schuldbeladene?
– Allerdings steht der irdische Leib nicht höher, als der Lebensbau
des Grashalms; beide sind Erzeugnisse der Natur; und was in beiden wesete, ist,
weil unvernichtbar an sich, noch immer und ewig unvernichtbar. Ändern und
Wechseln des Endlichen im Unendlichen, ist weder Tatsache der Barmherzigkeit,
noch Unbarmherzigkeit; so wenig das bloße Ändern und Wechseln des
Gedanklichen im Geiste, Tatsache seiner Barmherzigkeit, der Unbarmherzigkeit
ist; und der Tod des Menschen so wenig , wie seine Geburt, eine Belohnung,
oder eine Strafe ist.
Lohn und Strafe
sind Begriffe, welche wir nach Wirkungen der Natur schufen;
nach Wirkungen, die notwendig auf unsre ihr gemäßen, oder ungemäßen,
Handlungen folgen. So wird Süßigkeit der Ruhe nach vorhergegangnen
Arbeiten erst recht erquickend; aber Genuss unverdaulicher Nahrung erzeugt Unwohlsein.
Reinlichkeit belohnt, Unreinlichkeit bestraft sich selbst. Die angenehme Wirkung,
gleichsam der Lohn, oder Dank der Natur, ist nur Reizmittel, ihrem
Gesetz gemäß zu handeln; ihr schmerzliches Einwirken,
ihre Strafe, nur ein Reizmittel, ihr Gesetz künftig nicht zu verletzen.
Selbst die Naturstrafen bezielen Besserung.
Tiere belohnen und bestrafen einander nicht. Sie kennen
nur instinktmäßige Liebe und Notwehr und Rache. Der Menschengeist
versteht aber das Heilige und Heiligende in der Naturordnung, welches mit seinem
Innersten übereinstimmt, und, als Göttliches im Wesen der Natur, doch
ihr unbewusst, sie verklärt. Lohn und Strafe sind weder Dank noch Undank
der Natur, oder des Schicksals, für unsre Handlungen; sondern nur auf sie
und ihr Wirken übertragene Vorstellungen. Klagen über ein unverdientes
Schicksal sind daher an sich töricht. Unsre Tugenden
erwirken und verdienen sich nicht sinnlich-angenehme
Einwirkungen von der Natur,
sondern innere Selbstachtung,
Seligkeit des Gemüts. Man sagt mit Recht: »Tugend
belohnt sich selbst«; kann nicht
irdisch vergolten werden.
Wenn ich einerseits wahrnehme, dass der Geist des Menschen den Lohn seines Strebens
nach Vervollkommnung, nicht in Außendingen,
sondern eben in dieser Vervollkommnung selbst findet; anderseits, dass weder
in ihm, noch in der Natur außer ihm, ein sprungweiser
Übergang vom Tiefern zum Höhern, von minderer
zu größern Entfaltung, erkannt wird, sondern ein allmähliches,
stufenweises Fortschreiten vom Gleichartigen zum Gleichartigen;
so erkenn’ ich, dass der Geist nach seiner Trennung von der irdischen
Hülle, oder nach dem Leibestode, durchaus
derselbe, mehr oder minder, veredelte, bleibt, der er gewesen
ist. Die Stufe, welche er auf der Erdenwelt errungen hat, bleibt die seinige,
nach dem Übertritt in andre Verhältnisse des unendlichen Gottesreichs.
Der Tiermensch verwandelt sich nicht plötzlich in den vollkommnen Gottesmenschen;
der sündige, blinde, schwache Geist nicht plötzlich in den vollendeten,
heiligen. Es verträgt sich weder mit dem göttlichen Gesetz in unserm
Innern, noch mit den Lehren der Natur, jener Glaube, das der Geist nach dem
Tode, durch Bitte oder Verdienste Anderer,
erhöheter werde. »Selig
sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen!« Das
ist göttliches Gericht; ein
anderes, als menschliches!
Von
der göttlichen Wesenheit
Jene Urgewissheit vom Dasein und Walten eines höchsten Wesens, jene unentreißbare
Überzeugung von einer göttlichen Gesetzgebung und Ordnung, ist zuletzt
die Achse, um welche sich alle Theologien und Philosophien drehen. Doch genügte
auch das noch nicht den Theologen und Philosophen der Sterblichen. Man wollte
mehr wissen. Man fragte: Wo ist Gott? und was und wie
ist Gott? Man forderte eine Vorstellung von der »Persönlichkeit
Gottes«.
Eine verzeihliche Forderung des Sterblichen, auch des weisesten! Verzeihlich,
weil auch der Weiseste nur, vermittelst seiner äußeren und inneren
Sinne, gleichsam aus den Mutterbrüsten der Natur erst Nahrung saugt, und
daher fast sein gesamtes Gedankentum vom Sinnlichen
durchflossen besteht. Selbst die so erhabene, als menschlich-schöne
Idee, welche Christus von
der Gottheit, genügte den Kindern des Staubes nicht immer ganz. Sie kleideten
sich das Urwesen des Alls noch weit sinnlicher, noch weit menschlicher ein;
oder aber, wenn ihnen die Vorstellung einer menschenhaften Gottheit zu niedrig
oder töricht schien, schufen sie sich das unbekannte Höchste aus dem
Gekannten, und setzten sie das gesamte Weltall,
oder das hinter demselben unsichtbar Wesende, die Natur,
oder die sie und sich wissende allgemeine
Geistheit des Menschentums auf den Thron des Allerhöchsten.
Sowohl die Einen, wie die Andern, waren und sind in mehr oder minder sinnlicher
Denkweise bestrickt und gefangen. Sie tummelten sich entweder im geschlossenen
Kreise ihrer abgezognen und reinen Begriffe umher; oder im schönen Irrgarten
der Phantasie und Gefühle, in welchem Gottes Persönlichkeit, nach
dem Ebenbilde irdischer Fürsten, mit Hofstaat von Engeln, Erzengeln, Heiligen
und Heiliginnen umringten. Was vermochten sie anders? Sie konnten nicht aus
sich, nicht über
sich hinweggehn.
Denn ihr Wissen von dem,
was weset, hatten sie zwar durch dessen Einwirken empfangen, aber darum noch
keine Vorstellung von dem, wie das Wesende in sich beschaffen, oder was es an
sich sei. Der menschliche Geist sogar besitzt eigentlich
nur ein halbes Wissen seines Selbstes,
nämlich das Bewusstsein des eignen Wirkens;
aber die andere Hälfte seines Wissens fehlt, nämlich das Bewusstsein
der innern Beschaffenheit und
Eigentümlichkeit,
durch welche er wirkt. Schon diese Wahrnehmung führt ihn mit Notwendigkeit
zu der Gewissheit, dass weder der Geist für
sich, noch die Geistheit
des gesamten Menschengeschlechts, noch die mit ihr engvereinte,
sich unbewusste Natur des sich durch die Sinne verkündenden Alls, Gott
sei; dass noch ein höheres Andre auch außerhalb
unserm Bewusstsein wesen müsse, in welchem, wenn man so sagen dürfte,
jene erhabnere Hälfte jenes Wissens wohnt:
Gott, aus dessen Licht das Geistertum hervorstrahlt, ohne
mehr, denn Ausstrahlung zu sein, nicht das
Licht in seiner Urheit selbst. – Vielleicht klingt
diese Sprache mystisch; aber eben das Unwissbare,
über Welt, über Natur, über alle Vernunftmacht des Geistes Schwebende,
ist das größte und anbetungswürdigste Mysterium, zu dem wir
nur, wie ich hier, in mangelhafter Bilderschrift hinaufdeuten können.
Es sei fern von mir, die religiösen Vorstellungen der verschiednen Kirchen-
und Glaubensparteien unter den Völkern, oder die der Philosophen von den
ältesten Zeiten, bis Spinoza,
Schelling, Hegel
u. a. m. von Gott, und seiner Persönlichkeit und Nichtpersönlichkeit,
bestreiten und widerlegen zu wollen, was sie ja ohnehin schon gegenseitig selber
zur Genüge tun. Ich ehre in ihnen allen, mehr oder minder edle Geistesblüten,
die in mannigfaltiger Verschiedenheit doch immer das Eine und Selbe künden:
Dasein einer allwesenden Gottheit. Nicht das Mangelhafte, selbst nicht das Unwürdige
in menschlichen Vorstellungen von Gott und göttlichen Dingen ist das Tadelnswürdige:
sondern allein der stolze Dünkel dabei, und die hässige Leidenschaftlichkeit
der Sterblichen ist’s, welche sich ausschließlich, als Inhaber des
vollendetsten, besten Wissens geltend machen wollen, und was ihren erlernten,
oder selbstgefundenen Ansichten widerspricht, verhöhnen, oder verfluchen.
Während ihr Denken gottesvoll ist erscheint ihr Wollen und Wirken gottlos.
Das kindliche Verhältnis der Menschen
zum Allvater der vorhandenen
Wesen hat Jesus Christus
in unübertrefflicher Klarheit und Wahrheit ausgesprochen. Und er heiligte
sich in dieser Wahrheit, wie er auch jeden in ihr heiligt, der sie in sein Selbst
aufnimmt. Und jeder empfängt sie in sich, wie aus dem eignen Selbst Hervorgetretenes,
weil das Höchste unmöglich menschentümlicher ausgesprochen werden
kann, für den scharfsinnigsten, wie für den ungeübtesten Denker.
Doch will ich, um die Welt- und Gottanschauung in sich selber abzuschließen,
auch die Idee vom Verhältnis des Allerhöchsten im und zum unendlichen
All des Vorhandnen darstellen, wie sie aus dem bisher Gesagten, hervortritt.
Gott
das Höchste und Eine des Alls.
Die Meisten derer, welche sich der Erforschung von den wichtigsten Angelegenheiten
des Menschengeschlechts zuwandten, scheinen mir darum oft irre gegangen zu sein,
weil sie, schon in Vorbereitung ihrer Untersuchungen, einseitig verfuhren. Die
Einen begnügten sich mit dem Schatz von Erkenntnissen, welchen sie, auf
dem Wege der Erfahrung, über
Naturerscheinungen gesammelt hatten, ohne sich genauer um das Gesetztum und
eigentümliche Verfahren des Geistes in seinen gedanklichen Wirksamkeitsweisen
zu kümmern. Sie gelangten auf ihrem Erfahrungswege zur Vergötterung
der Stoffe und bewegenden Naturkräfte (zum
Materialismus), und verloren weit Edleres aus ihrem Anblick: die Heiligtümer
der Menschheit, sittliche Weltordnung, Wahrheit, Recht, Tugend, Unsterblichkeit,
welche ihnen leere Phantome, oder bloße Erzeugnisse und Bedürfnisse
des gesellschaftlichen Lebens werden mussten. Sie waren, in eigentlicher Wortbedeutung,
bloße Weltweise. –
Andre hinwieder, ohne umfassendere Beobachtung und Erfahrung von Gesetzen und
Wirkungen der Natur in deren unermesslichem Reiche, mehr in sich selbst gekehrte
Schul- und Stubengelehrte,
beschäftigten sich ausschließlicher mit Betrachtung der Vermögen,
Erkenntnisgesetze, Ideen und Bestimmungen von Tätigkeitsweisen des menschlichen
Geistes. Sie fanden in ihm, in seiner Gedankenwelt, die Gesamtheit des vorhandenen
Alls. Das Draußen ward ihnen zum chaotisch Fremden, welches nur im Kaleidoskop
des Geistes, durch Notwendigkeit in demselben, geordnetes Dasein empfing. So
ward ihnen die gesamte Wirklichkeit zu einem
Reich von Ideen und
Begriffen; der
Geist alleiniger Schöpfer dieses Reichs; er, oder der Gesamtgeist der Menschheit,
der Gott darin; Wesen und Sein das Gleiche; und das vom Geiste Ungekannte ein
Nichtvorhandenes. Sie mussten notwendig auf dem Wege des rein Begrifflichen
zur Vergeistigung des Alls, zur sich selbst Vergötterung des Geistes (zum
Idealismus
und Spiritualismus)
gelangen, und, mit der Wirklichkeit außer dem Geiste, auch einen höhern
Gott verlieren; weil dieser selbst nur gedankliche Schöpfung war, oder
sich mit ihm, dem Wesen-All, für eins und dasselbe
(identisch) halten. Sie waren im strengsten Sinn des Wortes bloße
Schulweise.
Widerspruch und Unzureichendes, welches in den Ansichten der Einen, wie der
Andern, unvermeidlich auf dem gewählten Wege mittelbarer Erfahrung, von
Außen, oder rein begrifflicher Vorstellungsweise, führte andre Denker
zum Zweifeln an der Wahrheit (zum
Skeptizismus), zum Misstrauen gegen Möglichkeit unbedingter Gewissheit.
Dies war einst mein Los, bis ich die Aufmerksamkeit, aus dem Gebiet des Unbedingten
der Ideen und des Reingedanklichen, auch dem ewigen Walten der Natur, und dem
wunderhaften Schicksalsgang der Sterblichen zuwandte. Dann erst ward mir die
Verwandtschaft und Verbrüderung der wesenden Natur mit dem Geistertum,
und eine heilige, das All durchherrschende, Ordnung heller; ein Ahnen und Wissen
dessen, was erhaben über Natur und Geist, im Unendlichen weset. Und ich
ward inne, dass der gesunde Verstand der Menschheit, im Allgemeinen, von jeher
das Wahre vollständiger erfasst habe, als jene einseitige Weltweisheit,
oder einseitige Schulweisheit.
Ohne Anwendung der Vernunftgesetze wäre keine Erkenntnis der Natur und
ihrer mannigfaltigen Erscheinungen möglich, ohne Erregung des Geistes,
durch Einwirkungen der Natur aber würden die Denkformen ohne Inhalt, er
selbst ein nichtwissendes Wissen sein. Eins ist dem Andern schlechthin Notwendigkeit;
Eins vollendet das Andre. Die Natur, im wesenhaften
Verband mit dem Geiste, lehrt ihn, durch ihr eignes Wesensverhältnis,
und wieder in dem seinigen zu ihr, auch jenes Verhältnis erahnen, in welchem
sie und er zur in ihm geoffenbarten Gottheit, und hinwieder das Höchste
des Wesenden, zum All der Wesenden aus ihm, stehe. Die Natur bezeugt,
der Geist weiß
in sich urnotwendig, dass im unendlichen,
ewigen Wesenall keine Zusammenhangslosigkeit,
kein Zwiespalt walten könne, sondern nur
Einheit in Allem, und Alles
in Einem; wohl Mannigfaltiges im Bewirkten, aber das Bewirkte
im Wirkenden nur Selbsterfüllung von diesem.
Die Natur bezeugt und
lehrt, wie sie wesend,
in sich gegensätzlich zu verschiednen Wirksamkeitsweisen, zwar in ihr selber
ungetrennt, aber unterscheidbar, auseinander geht. Der Geist weiß sich
urheitlich einzelwesend, als Ich, und als solches wissend und wollend im Wirken.
Die Natur bezeugt und
lehrt, wie sie in den Wirksamkeitssphären ihrer Wesenheit,
wie in deren Erscheinungen, dort als Unendliches, in diesen als Endliches, sich
stufenweise zu größerer Herrlichkeit erschließt. Ebenso weiß
sich das Geistertum auf Erden, nicht nur im Vonsich- und im Andern-Wissen, lichter
werden, sondern auch in Selbstheiligung emporgehend. Die Natur bezeugt,
der Geist erkennt, in
ihren Erscheinungen,
als Welt, in seinen Erscheinungen,
als Gedankliches, als unwandelbares Gesetz, dass aus dem Allgemeinen und Einfachen
des Seins das Besondre und Einzelne quelle. Die Natur bezeugt, dass sie, als
das sich Unbewusste, – der Geist weiß, dass er, als kein Allwissen
und nicht Allvermögen, im ewigen Reich der Wesen nicht das
Einzige, noch weniger das Vollendetste und Höchste
sei. Es durchleuchtet ihn ein Licht andrer Sphären, als der Sphären
der bewusstlosen Natur. Er trägt in seinem Ich eine über-natürliche
Offenbarung,
ein Wissen von Gott. Ihm ist, außer dem Naturgesetz, ein andres, neben
Wahlfreiheit, geworden, welches ein Dasein und ein Reich fordert, welches über
das Irdische hinaus liegt.
Wo und wie
dies unbekannte Reich sei, wer und
was Gott
sei, wie alles Wesende an sich, obgleich Urgewusstes,
dennoch Ungreifbares. Aber, soweit jetzt schon
unser Horizont in der Unendlichkeit des Wesens und Seins reicht, spiegelt sich
uns, im Bekannten, das Unbekannte entgegen. Und jenes Grundgesetz des fortwährenden
Übergangs vom Gleichartigen zum Gleichartigen, vom Einfach-Allgemeinen
zum Besondern und Reicher-Vollendeten, welches in dem schleierlos vor uns liegenden
Weltall gilt: berechtigt
es nicht, an Geltung für das im Ewigen noch Verschleierte zu glauben? Die
menschliche Vernunft sucht, innerhalb ihrer Begrenzung, vergebens einen andern
Maßstab für das, was jenseits ihrer Grenzen wesen mag, während
der Geist doch Offenbarung seiner ewigen Unvernichtbarkeit
und der ewig waltenden Gottesmacht
in sich trägt. So
darf er, nach Gleichmaß (Analogie)
und Ähnlichkeit dessen, was er schon auf seinem gegenwärtigen Standpunkt
kennt und erkennt, hinauffolgern zu dem, was seinem Blick noch entzogen ist.
Und wer anders, als Gott selbst, legte, wie in die entfaltete Natur, so wie
in den entfalteten Geist, das Wahrzeichen
vom Anfang der Wesen über Wesen zum Herrlichern und
Vollkommern?
Ich sehe das Sachliche der Natur, die bewegenden Kräfte beschränken,
und wieder von diesem beherrscht, zu Atomen und Weltkörpern verdichtet,
in wunderreichen Gestaltungen und Ordnungen; sehe, waltend über beide,
die Macht des Belebenden , wie sie beide gewältigt und in sich, als Abspiegelungen
der Natur-Einheit, zu Einheitsgebilden gliedert, zu Pflanzen- und Tierschöpfungen,
deren Milliarden Sonnen, Erden und Monde des Universums sind; sehe, wenn auch
in mindrer Allgemeinheit, aber höher und anstaunungswürdiger, das
Reich des Seelischen, und wie die Natur in ihm zur eignen Gewahrung ihres Wesens
sich erhebt, ihr Selbstgefühl wird; sehe, über sie erhaben, eingekleidet
in den Reichtum aller ihrer Wirksamkeitssphären, die Fülle der sich,
und sie, und Gott wissenden Geister, mit einem Gesetz, welches nicht das der
Natur, und doch mit ihm in Einklang ist. Sie bezeugt,
und der menschliche Geist
weiß, er sei unmöglich selber das Allerhöchste
in der Wesenkette; sondern etwa nur wieder ein Mittelglied,
welches die Natur mit dem Reich des Allerheiligsten verbindet. Er ist gleichsam
Bürger zweier Welten, die beide in seiner Sphäre schon ineinander
rinnen.
Und wo endet diese unendliche Himmelsleiter? Wo kann Unendliches enden? Wesen
mögen über Wesen emporgehn, deren Vollkommenheit und Reichtum wir
so unfähig sind zu ahnen, als die Tierseele die Hoheit unsers Geistes;
Wesen, deren Vermögen so erhaben über das Vermögen unsrer Vernunft
ist, als die Vernunft über das sinnliche Gefühl. Sie mögen emporgehn
vom Herrlichen, bis sie sich im Allerherrlichsten verlieren, – in Gott,
der das Eine und Höchste seines ewigen und unendlichen Alls ist, das Ur
aller Wesen in ihm, und von dessen Majestät wir, in unsrer Tiefe nur, die
Natur, als Saum seines Gewandes, anstaunen.
Alles ist gotterfüllt; Alles göttlich,
weil Gottes. Nicht Einzelnes, oder für uns Unterscheidbares
ist Gottheit. So ist, – wie mag ich das Unaussprechliche anders, als nur
von Ferne, und gleichnisweise
andeuten? – so ist nicht ein Teil des
Menschen, nicht das einzelne Haar seines Hauptes, der Mensch selbst, sondern
nur menschliches. Gleichwie
im Menschen aber der Geist, als sein Höchstes, den umhüllenden Wesenverein
der Natur (Seele, Leben, Bewegkraft und Stoff des Leibes)
durchherrscht, leitet, veredelt: so durchherrscht und durchweset Gott,
der Allerhöchste das unendliche Reich seines Alls.
Vielleicht mag dies Gleichnis unangemessen scheinen. Ich selber erkenn’
es, als solches, weil es offenbar ein vermessenes ist. Aber woher sollen wir
einen andern Maßstab nehmen, als den, welchen uns der Urgeist des Geistertums
selber verliehn, aus Bekanntem das Unbekannte zu ermessen? Ist dieser Gedanke
nicht schon der älteste Gedanke der Menschheit: »Gott
schuf den Menschen nach SEINEM Bilde«?
Ich schweige! Kein Bild, kein Gleichnis bezeichnet das Überirdische wahr
und würdig. Ich richte in demutsvollem Gefühl, aus dem Abgrund des
All’s, den Geistesblick durch die Sphären der Wesenordnungen, anbetend
zum Allerhöchsten; und der Gedanke an ihn wird zum Seufzer: »O,
was bin ich, dass er mein gedenkt«? – Und doch durchbebt
mich zugleich heiliges Entzücken, dass ich auch in ihm,
dass Er auch in mir ist, dass
ich mit Christus zu ihm
rufen darf: »Abba, lieber Vater«! dass
sein All mein Vaterhaus ist; dass ich, wenn auch auf einer untern Sprosse der
himmlischen Wesenleiter, höherer würdig werden, schon auf dem Erdball
Vollendeterm im Ewigen entgegenreifen kann, gleichwie der Erdball selber nicht
mehr der Gewesene, sondern in den aus Ewigkeit hervorgetretenen Zeiten, vollendeter
in Fülle des Reichtums geworden ist.
Nein, der Menschengeist ist kein an den Felsen des Erdsterns gefesselter
Prometheus! Er,
in unsichtbarer Seelenhülle war und ist und wird sein andrer Welten Genosse,
die insgesamt, Monden mit Erden, Erden mit Sonnen, Sonnen mit Ursonnen, magnetisch,
elektrisch, leuchtend, im engen Wechselverkehr, im All-Leben, All-seelischen
schweben. Wohl ist diese Erdenwelt schön: aber ist sie die schönste
unter allen Welten, welche uns aus unermesslichen Fernen anwinken? Wohl ist
die seelische Hülle des Geistes wunderbar: ist sie aber schon das Wunderbarste?
Mag die Urseele des Alls nichts Wunderbareres aus sich zeugen. Wohl ist das
Licht des Bewusstseins ein helles, in welchem der Geist über dem Dunkel
der Natur leuchtet: aber ist es das hellste, in welchem über uns andre
Wesen Gottes über uns glänzen? – Es durchzittern den Geist Ahnungsstrahlen
eines verklärtern Gottesreichs. Wie, wenn ihm in Gott und Ewigkeit noch
eine hellere Leuchte, als Vernunft, wird im Allerheiligsten, –
selig sind, die schon hienieden reinen, geheiligten Herzens sind; denn sie werden
Gott schaun!
Ich suche Dich, mein Vater, nun nicht länger,
Im Erdenstaube nicht mehr Gott!
Dein Weltall ist mein Haus;
Und deine Ewigkeiten
Sind meine Zeiten,
Und die da waren, leben;
Und die noch kommen, sind.
Ein Gott ist nur;
Sein Name Liebe, Weisheit und Erbarmen:
Und eine Ewigkeit ist alles Sein,
Und alles Sein
Die Himmelsleiter der Vollendung,
Zur Seligkeit.
Ich jauchze weinend, in das Halleluja
Der Geisterwelt, mein Halleluja!
Ich bin, weil Gott;
Anbetung ihm und Liebe!
Mein ist die Seligkeit,
Weil ihm Allseligkeit!
Ihm Halleluja!
Aus: Heinrich Zschokke, Eine Selbstschau, Zweiter
Teil , Welt- und Gottesanschauung, Aarau, Druck und Verlag von H. N. Sauerländer,
1859 (S. 320-359)