Moses,hebr. Moscheh [aus ägypt. »(der Gott ist es), der ihn geboren hat«] (um 1225 v. Chr)

 

Laut dem Alten Testament ist Moses der überlieferte Stifter der jüdischen Religion, der am Sinai, den Bund zwischen dem Jahwe-Gott und dem Volk Israel mit Stierblut besiegelt hat (Sinai-Bund). Vermutlich war Moses, von dem manche Forscher bezweifeln, dass er überhaupt gelebt hat, geschichtlich ein von Sagen umwobener Mann aus dem Stamm Levi, der als neugeborenes Kind im Schilf des Nilufers ausgesetzt, von einer Tochter des Pharao gerettet und in der Weisheit der Ägypter erzogen worden sein soll. In der Wüste der Midianiter habe Gott ihn dann (im brennenden Dornbusch) beauftragt, das Volk Israel aus Ägypten zu befreien, und ihm — nach gelungenem Auszug — am Berg Sinai (Horeb) die »Zehn Gebote« offenbart. Im jüdischen Geistesleben spielt Moses eine bedeutende Rolle als Prophet, Gesetzgeber, Richter und Gründer des jüdischen Staates, auf den auch im Wesentlichen die mündliche Tradition zurückgeführt wird. Nach Sigmund Freud soll »der Mann Moses« allerdings Ägypter gewesen sein.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Moses Geburt und wunderbare Errettung
Die Berufung von Moses
Ich bin, der ich bin
Der ewige Bund Gottes mit dem Volk Israel und seine Auserwählung

Die Verkündung der Zehn Gebote
Der Bundesschluss am Sinai
Anblick des Gottes Israels
Segen und Belohnung Israels bei Einhaltung der Gebote seines Gottes
Fluch und Strafe Israels bei Nichteinhaltung der Gebote seines Gottes
Die Wahl zwischen Leben und Tod
Der Tod des Mose

Friedrich Schiller: Die Sendung Moses

 

Moses Geburt und wunderbare Errettung
Und es ging hin ein Mann vom Hause Levi und nahm ein Mädchen aus dem Hause Levi zur Frau. Und sie ward schwanger und gebar einen Sohn. Und als sie sah, dass es ein feines Kind war, verbarg sie ihn drei Monate.

Als sie ihn aber nicht länger verbergen konnte, machte sie ein Kästlein von Rohr und verklebte es mit Erdharz und Pech und legte das Kind hinein und setzte das Kästlein in das Schilf am Ufer des Nils. Aber seine Schwester stand von ferne, um zu erfahren, wie es ihm ergehen würde.

Und die Tochter des Pharao ging hinab und wollte baden im Nil, und ihre Gespielinnen gingen am Ufer hin und her. Und als sie das Kästlein im Schilf sah, sandte sie ihre Magd hin und ließ es holen. Und als sie es auftat, sah sie das Kind, und siehe, das Knäblein weinte. Da jammerte es sie und sie sprach: Es ist eins von den hebräischen Kindlein. Da sprach seine Schwester zu der Tochter des Pharao: Soll ich hingehen und eine der hebräischen Frauen rufen, die da stillt, dass sie dir das Kindlein stille?

Die Tochter des Pharao sprach zu ihr: Geh hin. Das Mädchen ging hin und rief die Mutter des Kindes. Da sprach die Tochter des Pharao zu ihr: Nimm das Kindlein mit und stille es mir; ich will es dir lohnen. Die Frau nahm das Kind und stillte es. Und als das Kind groß war, brachte sie es der Tochter des Pharao, und es ward ihr Sohn und sie nannte ihn Mose; denn sie sprach: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen.
2. Mose 2 , 1-10 nach der Übersetzung Martin Luthers

Die Berufung von Moses
Während nun Mose Hirte der Schafe seines Schwiegervaters, des Priesters von Midian, war, geriet er auf seinen Wanderungen mit der Herde einmal über die Grassteppe hinaus in die Wüste und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Da erschien ihm der Bote Gottes in einer brennenden Flamme mitten in einem Dornbusch. Er sah einen Busch, der in heller Flamme brannte und doch vom Feuer nicht verzehrt wurde.

Da sagte sich Mose: »Ich will doch hinübergehen und mir diese seltsame Erscheinung ansehen: einen Dornbusch, der nicht verbrennt!«

Und Gott sah, dass er vom Weg abging, um den Busch zu sehen, und rief ihn an: »Mose! Mose!«


Der antwortete: »Hier bin ich!« Und Gott fuhr fort:

Tritt nicht näher heran!
Zieh deine Schuhe von deinen Füßen,
denn der Ort, auf dem du stehst,
ist heiliges Land.
Ich bin der Gott deines Vaters,
der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.

Da verhüllte Mose sein Gesicht, denn er fürchtete sich, Gott zu schauen.

Und Gott sprach: »Ich habe den Sklavendienst meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre Klage über ihre Treiber gehört. Ich kenne seine Schmerzen. Ich komme, es aus der Gewalt Ägyptens zu retten und es herauszuführen in ein gutes und weites Land. Darum will ich dich zu Pharao senden, und du sollst mein Volk aus Ägypten herausführen.«

Da fragte Mose: »Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten führen könnte?«

»Ich werde mit dir sein«, antwortete ihm Gott. »Und daran sollst du erkennen, da
ss ich dich gesandt habe: Auf diesem Berg werdet ihr anbeten, wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt haben wirst.«

Ich bin, der ich bin
Mose erwiderte: »Wenn ich zu den Israeliten komme und ihnen sage: »Der Gott eurer Väter ist es, der mich zu euch sendet«, und sie mich fragen »Wie ist denn sein Name? Was soll ich ihnen antworten?«

Da sprach
Gott zu Mose:

»Ich bin, der ich bin!


Und zu den Israeliten sollst du sagen:


>ich-bin-der-ich-bin

hat mich zu euch gesandt
. Der Herr, der Gott eurer Väter, Abrahams, Isaaks und Jakobs Gott, hat mich gesandt.<

>Ich-bin<

lautet mein Name, heute und immer, so soll man mich anrufen von Geschlecht zu Geschlecht. Darum geh hin und versammle die Ältesten von Israel und sprich zu ihnen: ,Der Herr, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott lsaaks, der Gott Jakobs, ist mir erschienen und hat gesprochen: Ich sehe, was euch in Ägypten widerfährt, und habe beschlossen: Befreien will ich euch aus dem Sklavendienst in Ägypten und euch in das Land Kanaan führen, darin Milch und Honig fließt.< Und wenn sie auf dich hören, sollst du mit den Ältesten Israels vor den König von Ägypten treten und zu ihm sprechen: >Der Herr, der Gott der Hebräer, ist uns erschienen. So laß uns nun drei Tagereisen weit in die Wüste ziehen, ihm zu opfern.< Aber ich weiß, daß der König von Ägypten euch nicht ziehen lassen wird, es sei denn, eine gewaltige Hand zwinge ihn. So will ich denn meine Hand ausstrecken und Ägypten schlagen mit Wundern und Machttaten. Dann wird er euch ziehen lassen.«
2. Mose 3, 1-20, S.68-69
Aus: Das Alte Testament, ausgewählt, übertragen und in geschichtlicher Folge angeordnet von
Jörg Zink. Kreuz Verlag Stuttgart . Berlin

Der ewige Bund Gottes mit dem Volk Israel und seine Auserwählung
Und Gott redete mit Mose und sprach zu ihm: Ich bin der HERR und bin erschienen Abraham, Isaak und Jakob als der allmächtige Gott, aber mit meinem Namen »HERR« habe ich mich ihnen nicht offenbart. Auch habe ich meinen Bund* mit ihnen aufgerichtet, dass ich ihnen geben will das Land Kanaan, das Land, in dem sie Fremdlinge gewesen sind.
*Als nun Abram neunundneunzig Jahre alt war, erschien ihm der HERR und sprach zu ihm: Ich bin der allmächtige Gott; wandle vor mir und sei fromm. Und ich will meinen Bund zwischen mir und dir schließen und will dich über alle Maßen mehren. Da fiel Abram auf sein Angesicht. Und Gott redete weiter mit ihm und sprach: Siehe, ich habe meinen Bund mit dir, und du sollst ein Vater vieler Völker werden. Darum sollst du nicht mehr Abram heißen, sondern Abraham soll dein Name sein; denn ch habe dich gemacht zum Vater vieler Völker. Und ich will dich sehr fruchtbar machen und will aus dir Völker machen und auch Könige sollen von dir kommen. Und ich will aufrichten meinen Bund zwischen mir und dir und deinen Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht, dass es ein ewiger Bund sei, sodass ich dein und deiner Nachkommen Gott bin. Und ich will dir und deinem Geschlecht nach dir das Land geben, darin du ein Fremdling bist, das ganze Land Kanaan, zu ewigem Besitz und will ihr Gott sein. Und Gott sprach zu Abraham: So haltet nun meinen Bund, du und deine Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht. Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; eure Vorhaut sollt ihr beschneiden. Das soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch. Jedes Knäblein, wenn's acht Tage alt ist, sollt ihr beschneiden bei euren Nachkommen. Desgleichen auch alles, was an Gesinde im Hause geboren oder was gekauft ist von irgendwelchen Fremden, die nicht aus eurem Geschlecht sind. Beschnitten soll werden alles Gesinde, was dir im Hause geboren oder was gekauft ist. Und so soll mein Bund an eurem Fleisch zu einem ewigen Bund werden. Wenn aber ein Männlicher nicht beschnitten wird an seiner Vorhaut, wird er ausgerottet werden aus seinem Volk, weil er meinen Bund gebrochen hat. (1. Mose 17, 1 – 14)
Auch habe ich gehört die Wehklage der Israeliten, die die Ägypter mit Frondienst beschweren, und habe an meinen Bund gedacht. Darum sage den Israeliten: Ich bin der HERR und will euch wegführen von den Lasten, die euch die Ägypter auflegen, und will euch erretten von eurem Frondienst und will euch erlösen mit ausgerecktem Arm und durch große Gerichte; ich will euch annehmen zu meinem Volk und will euer Gott sein, dass ihr's erfahren sollt, dass ich der HERR bin, euer Gott, der euch wegführt von den Lasten, die euch die Ägypter auflegen, und euch bringt in das Land, um dessentwillen ich meine Hand zum Schwur erhoben habe, dass ich's geben will Abraham, Isaak und Jakob; das will ich euch zu Eigen geben, ich, der HERR.
2. Mose 6, 2 - 8 nach der Übersetzung Martin Luthers

Die Verkündung der Zehn Gebote
Und Gott redete alle diese Worte:

Ich bin der HERR, dein Gott
, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.

Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.

Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest.
Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren,
auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.

Du sollst nicht töten.


Du sollst nicht ehebrechen.

Du sollst nicht stehlen.

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat.

Und alles Volk wurde Zeuge von dem Donner und Blitz und dem Ton der Posaune und dem Rauchen des Berges. Als sie aber solches sahen, flohen sie und blieben in der Ferne stehen und sprachen zu Mose: Rede du mit uns, wir wollen hören; aber lass Gott nicht mit uns reden, wir könnten sonst sterben.

Mose aber sprach zum Volk: Fürchtet euch nicht, denn Gott ist gekommen, euch zu versuchen, damit ihr's vor Augen habt, wie er zu fürchten sei, und ihr nicht sündigt. So stand das Volk von ferne, aber Mose nahte sich dem Dunkel, darinnen Gott war.

2. Mose 20, 1 - 21 nach der Übersetzung Martin Luthers

Der Bundesschluss am Sinai
Und zu Mose sprach er: Steig herauf zum HERRN, du und Aaron, Nadab und Abihu und siebzig von den Ältesten Israels, und betet an von ferne.

Aber Mose allein nahe sich zum HERRN und lasse jene sich nicht nahen und das Volk komme auch nicht mit ihm herauf.

Mose kam und sagte dem Volk alle Worte des HERRN und alle Rechtsordnungen. Da antwortete alles Volk wie aus einem Munde: Alle Worte, die der HERR gesagt hat, wollen wir tun.

Da schrieb
Mose alle Worte des HERRN nieder und machte sich früh am Morgen auf und baute einen Altar unten am Berge und zwölf Steinmale nach den zwölf Stämmen Israels und sandte junge Männer von den Israeliten hin, dass sie darauf dem HERRN Brandopfer opferten und Dankopfer von jungen Stieren.

Und
Mose nahm die Hälfte des Blutes und goss es in die Becken, die andere Hälfte aber sprengte er an den Altar. Und er nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volks. Und sie sprachen: Alles, was der HERR gesagt hat, wollen wir tun und darauf hören.

Da na
hm Mose das Blut und besprengte das Volk damit und sprach: Seht, das ist das Blut des Bundes, den der HERR mit euch geschlossen hat aufgrund aller dieser Worte.

2. Mose 24, 1 - 8 nach der Übersetzung Martin Luthers

Anblick des Gottes Israels
Da stiegen Mose und Aaron, Nadab und Abihu und siebzig von den Ältesten Israels hinauf und sahen den Gott Israels. Unter seinen Füßen war es wie eine
Fläche von Saphir und wie der Himmel, wenn es klar ist.
Und er reckte seine Hand nicht aus wider die Edlen Israels. Und als sie Gott geschaut hatten, aßen und tranken sie.

2. Mose 24, 8 - 9 nach der Übersetzung Martin Luthers

Als nun Mose auf den Berg kam, bedeckte die Wolke den Berg, und die Herrlichkeit des HERRN ließ sich nieder auf dem Berg Sinai, und die Wolke bedeckte ihn sechs Tage; und am siebenten Tage erging der Ruf des HERRN an Mose aus der Wolke. Und die Herrlichkeit des HERRN war anzusehen wie ein verzehrendes Feuer auf dem Gipfel des Berges vor den Israeliten.
2. Mose 24, 15 - 17 nach der Übersetzung Martin Luthers

Und
Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und er [Gott] sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
2. Mose 24, 15 - 17 nach der Übersetzung Martin Luthers

Segen und Belohnung Israels bei Einhaltung der Gebote seines Gottes
Wenn du nun der Stimme des HERRN, deines Gottes, gehorchen wirst, dass du hältst und tust alle seine Gebote, die ich dir heute gebiete, so wird dich der HERR, dein Gott, zum höchsten über alle Völker auf Erden machen, und weil du der Stimme des HERRN, deines Gottes, gehorsam gewesen bist, werden über dich kommen und dir zuteil werden alle diese Segnungen:

Gesegnet wirst du sein in der Stadt, gesegnet wirst du sein auf dem Acker.

Gesegnet wird sein die Frucht deines Leibes, der Ertrag deines Ackers und die Jungtiere deines Viehs, deiner Rinder und deiner Schafe.

Gesegnet wird sein dein Korb und dein Backtrog.

Gesegnet wirst du sein bei deinem Eingang und gesegnet bei deinem Ausgang.

Und der HERR wird deine Feinde, die sich gegen dich erheben, vor dir schlagen. Auf einem Weg sollen sie ausziehen wider dich und auf sieben Wegen vor dir fliehen.

Der HERR wird gebieten dem Segen, dass er mit dir sei in dem, was du besitzt, und in allem, was du unternimmst, und wird dich segnen in dem Land, das dir der HERR, dein Gott, gegeben hat.

Der HERR wird dich zum heiligen Volk für sich erheben, wie er dir geschworen hat, weil du die Gebote des HERRN, deines Gottes, hältst und in seinen Wegen wandelst.

Und alle Völker auf Erden werden sehen, dass über dir der Name des HERRN genannt ist, und werden sich vor dir fürchten.

Und der HERR wird machen, dass du Überfluss an Gutem haben wirst, an Frucht deines Leibes, an Jungtieren deines Viehs, an Ertrag deines Ackers, in dem Lande, das der HERR deinen Vätern geschworen hat, dir zu geben.

Und der HERR wird dir seinen guten Schatz auftun, den Himmel, dass er deinem Land Regen gebe zur rechten Zeit und dass er segne alle Werke deiner Hände. Und du wirst vielen Völkern leihen, aber von niemand borgen.

Und der HERR wird dich zum Kopf machen und nicht zum Schwanz, und du wirst immer aufwärts steigen und nicht heruntersinken, weil du gehorsam bist den Geboten des HERRN, deines Gottes, die ich dir heute gebiete zu halten und zu tun, und nicht abweichst von all den Worten, die ich euch heute gebiete, weder zur Rechten noch zur Linken, und nicht andern Göttern nachwandelst, um ihnen zu dienen.
5. Mose 28, 1 -15 nach der Übersetzung Martin Luthers

Fluch und Strafe Israels bei Nichteinhaltung der Gebote seines Gottes
Wenn du aber nicht gehorchen wirst der Stimme des HERRN, deines Gottes, und wirst nicht halten und tun alle seine Gebote und Rechte, die ich dir heute gebiete, so werden alle diese Flüche über dich kommen und dich treffen:

Verflucht wirst du sein in der Stadt, verflucht wirst du sein auf dem Acker.

Verflucht wird sein dein Korb und dein Backtrog.

Verflucht wird sein die Frucht deines Leibes, der Ertrag deines Ackers, das Jungvieh deiner Rinder und Schafe.

Verflucht wirst du sein bei deinem Eingang und verflucht bei deinem Ausgang.

Der HERR wird unter dich senden Unfrieden, Unruhe und Unglück in allem, was du unternimmst, bis du vertilgt bist und bald untergegangen bist um deines bösen Treibens willen, weil du mich verlassen hast.

Der HERR wird dir die Pest anhängen, bis er dich vertilgt hat in dem Lande, in das du kommst, es einzunehmen.

Der HERR wird dich schlagen mit Auszehrung, Entzündung und hitzigem Fieber, Getreidebrand und Dürre; die werden dich verfolgen, bis du umkommst.

Der Himmel, der über deinem Haupt ist, wird ehern werden und die Erde unter dir eisern.

Statt des Regens für dein Land wird der HERR Staub und Asche vom Himmel auf dich geben, bis du vertilgt bist.

Der HERR wird dich vor deinen Feinden schlagen. Auf einem Weg wirst du wider sie ausziehen, und auf sieben Wegen wirst du vor ihnen fliehen und wirst zum Entsetzen werden für alle Reiche auf Erden.

Deine Leichname werden zum Fraß werden allen Vögeln des Himmels und allen Tieren des Landes und niemand wird sie verscheuchen.

Der HERR wird dich schlagen mit ägyptischem Geschwür, mit Pocken, mit Grind und Krätze, dass du nicht geheilt werden kannst.

Der HERR wird dich schlagen mit Wahnsinn, Blindheit und Verwirrung des Geistes.

Und du wirst tappen am Mittag, wie ein Blinder tappt im Dunkeln, und wirst auf deinem Wege kein Glück haben und wirst Gewalt und Unrecht leiden müssen dein Leben lang und niemand wird dir helfen.

Mit einem Mädchen wirst du dich verloben; aber ein anderer wird es sich nehmen. Ein Haus wirst du bauen; aber du wirst nicht darin wohnen. Einen Weinberg wirst du pflanzen; aber du wirst seine Früchte nicht genießen.

Dein Rind wird vor deinen Augen geschlachtet werden; aber du wirst nicht davon essen. Dein Esel wird vor deinem Angesicht mit Gewalt genommen und dir nicht wiedergegeben werden. Dein Schaf wird deinen Feinden gegeben werden und niemand wird dir helfen. Deine Söhne und deine Töchter werden einem andern Volk gegeben werden, dass deine Augen zusehen müssen und täglich vor Verlangen nach ihnen vergehen, und in deinen Händen wird keine Kraft sein.
Den Ertrag deines Ackers und alle deine Arbeit wird ein Volk verzehren, das du nicht kennst, und du wirst geplagt und geschunden werden dein Leben lang und wirst wahnsinnig werden bei dem, was deine Augen sehen müssen.

Der HERR wird dich schlagen mit bösen Geschwüren an den Knien und Waden, dass du nicht geheilt werden kannst, von den Fußsohlen bis zum Scheitel.

Der HERR wird dich und deinen König, den du über dich gesetzt hast, unter ein Volk treiben, das du nicht kennst noch deine Väter, und du wirst dort andern Göttern dienen: Holz und Steinen.

Und du wirst zum Entsetzen, zum Sprichwort und zum Spott werden unter allen Völkern, zu denen der HERR dich treibt.

Du wirst viel Samen auf das Feld säen, aber wenig einsammeln; denn die Heuschrecken werden's abfressen.

Weinberge wirst du pflanzen und bauen, aber weder Wein trinken noch Trauben lesen; denn die Würmer werden's verzehren.

Ölbäume wirst du haben in deinem ganzen Gebiet, aber du wirst dich nicht salben mit Öl; denn dein Ölbaum wird seine Frucht abwerfen.

Söhne und Töchter wirst du zeugen und doch nicht behalten; denn sie werden gefangen weggeführt werden.

Alle Bäume und Früchte deines Landes wird das Ungeziefer fressen.

Der Fremdling, der bei dir ist, wird immer höher über dich emporsteigen; du aber wirst immer tiefer heruntersinken.

Er wird dir leihen, du aber wirst ihm nicht leihen können; er wird der Kopf sein und du wirst der Schwanz sein.

Alle diese Flüche werden über dich kommen und dich verfolgen und treffen, bis du vertilgt bist, weil du der Stimme des HERRN, deines Gottes, nicht gehorcht und seine Gebote und Rechte nicht gehalten hast, die er dir geboten hat.

Und diese Flüche werden Zeichen und Wunder sein an dir und an deinen Nachkommen immerdar, weil du dem HERRN, deinem Gott, nicht gedient hast mit Freude und Lust deines Herzens, obwohl du Überfluss hattest an allem.

Und du wirst deinem Feinde, den der HERR gegen dich schicken wird, dienen in Hunger und Durst, in Blöße und allerlei Mangel, und er wird ein eisernes Joch auf deinen Hals legen, bis er dich vertilgt hat.

Der HERR wird ein Volk über dich schicken von ferne, vom Ende der Erde, wie ein Adler fliegt, ein Volk, dessen Sprache du nicht verstehst, ein freches Volk, das nicht Rücksicht nimmt auf die Alten und die Jungen nicht schont.

Es wird verzehren die Jungtiere deines Viehs und den Ertrag deines Ackers, bis du vertilgt bist, und wird dir nichts übrig lassen vom Korn, Wein und Öl und vom Jungvieh deiner Rinder und Schafe, bis es dich umgebracht hat.

Es wird dich ängstigen in allen deinen Städten, bis es niedergeworfen hat deine hohen und festen Mauern, auf die du dich verlässt, in deinem ganzen Lande; und du wirst geängstigt werden in allen deinen Städten, in deinem ganzen Lande, das dir der HERR, dein Gott, gegeben hat.

Du wirst die Frucht deines Leibes, das Fleisch deiner Söhne und deiner Töchter, die dir der HERR, dein Gott, gegeben hat, essen in der Angst und Not, mit der dich dein Feind bedrängen wird.


Ein Mann unter euch, der zuvor verwöhnt und in Üppigkeit gelebt hat, wird seinem Bruder und der Frau in seinen Armen und dem Sohn, der noch übrig ist von seinen Söhnen, nichts gönnen von dem Fleisch seiner Söhne, das er isst, weil ihm nichts übrig geblieben ist von allem Gut in der Angst und Not, mit der dich dein Feind bedrängen wird in allen deinen Städten.

Eine Frau unter euch, die zuvor so verwöhnt und in Üppigkeit gelebt hat, dass sie nicht einmal versucht hat, ihre Fußsohle auf die Erde zu setzen, vor Verwöhnung und Wohlleben, die wird dem Mann in ihren Armen und ihrem Sohn und ihrer Tochter nicht gönnen die Nachgeburt, die von ihr ausgegangen ist, und ihr Kind, das sie geboren hat; denn sie wird beides vor Mangel an allem heimlich essen in der Angst und Not, mit der dich dein Feind bedrängen wird in deinen Städten.

Wenn du nicht darauf hältst, dass du alle Worte dieses Gesetzes tust, die in diesem Buch geschrieben sind, und nicht fürchtest diesen herrlichen und heiligen Namen, den HERRN, deinen Gott, so wird der HERR schrecklich mit dir umgehen und dich und deine Nachkommen schlagen mit großen und anhaltenden Plagen, mit bösen und anhaltenden Krankheiten.

Und er wird auch alle Seuchen Ägyptens über dich bringen, vor denen du dich fürchtest, und sie werden dich nicht loslassen; dazu wird der HERR alle Krankheiten und alle Plagen, die nicht geschrieben sind in dem Buch dieses Gesetzes, über dich kommen lassen, bis du vertilgt bist.

Und nur wenige werden übrig bleiben von euch, die ihr zuvor zahlreich gewesen seid wie die Sterne am Himmel, weil du nicht gehorcht hast der Stimme des HERRN, deines Gottes.

Und wie sich der HERR zuvor freute, euch Gutes zu tun und euch zu mehren, so wird er sich nun freuen, euch umzubringen und zu vertilgen, und ihr werdet herausgerissen werden aus dem Lande, in das du jetzt ziehst, es einzunehmen.

Denn der HERR wird dich zerstreuen unter alle Völker von einem Ende der Erde bis ans andere, und du wirst dort andern Göttern dienen, die du nicht kennst noch deine Väter: Holz und Steinen.

Dazu wirst du unter jenen Völkern keine Ruhe haben, und deine Füße werden keine Ruhestatt finden. Denn der HERR wird dir dort ein bebendes Herz geben und erlöschende Augen und eine verzagende Seele, und dein Leben wird immerdar in Gefahr schweben; Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein.

Morgens wirst du sagen: Ach dass es Abend wäre!, und abends wirst du sagen: Ach dass es Morgen wäre!, vor Furcht deines Herzens, die dich schrecken wird, und vor dem, was du mit deinen Augen sehen wirst.

Und der HERR wird dich mit Schiffen wieder nach Ägypten führen, auf dem Wege, von dem ich dir gesagt habe: Du sollst ihn nicht mehr sehen. Und ihr werdet dort euren Feinden als Knechte und Mägde verkauft werden, aber es wird kein Käufer da sein.

5. Mose 28, 15 – 68 nach der Übersetzung Martin Luthers

Die Wahl zwischen Leben und Tod
Wenn nun dies alles über dich kommt, es sei der Segen oder der Fluch, die ich dir vorgelegt habe, und du es zu Herzen nimmst, wenn du unter den Heiden bist, unter die dich der HERR, dein Gott, verstoßen hat, und du dich bekehrst zu dem HERRN, deinem Gott, dass du seiner Stimme gehorchst, du und deine Kinder, von ganzem Herzen und von ganzer Seele in allem, was ich dir heute gebiete, so wird der HERR, dein Gott, deine Gefangenschaft wenden und sich deiner erbarmen und wird dich wieder sammeln aus allen Völkern, unter die dich der HERR, dein Gott, verstreut hat.

Wenn du bis ans Ende des Himmels verstoßen wärst, so wird dich doch der HERR, dein Gott, von dort sammeln und dich von dort holen und wird dich in das Land bringen, das deine Väter besessen haben, und du wirst es einnehmen, und er wird dir Gutes tun und dich zahlreicher machen, als deine Väter waren.

Und der HERR, dein Gott, wird dein Herz beschneiden und das Herz deiner Nachkommen, damit du den HERRN, deinen Gott, liebst von ganzem Herzen und von ganzer Seele, auf dass du am Leben bleibst.

Aber alle diese Flüche wird der HERR, dein Gott, auf deine Feinde legen und auf die, die dich hassen und verfolgen.

Du aber wirst umkehren und der Stimme des HERRN gehorchen, dass du tust alle seine Gebote, die ich dir heute gebiete.

Und der HERR, dein Gott, wird dir Glück geben zu allen Werken deiner Hände, zu der Frucht deines Leibes, zu den Jungtieren deines Viehs, zum Ertrag deines Ackers, dass dir's zugute komme. Denn der HERR wird sich wieder über dich freuen, dir zugut, wie er sich über deine Väter gefreut hat, weil du der Stimme des HERRN, deines Gottes, gehorchst und hältst seine Gebote und Rechte, die geschrieben stehen im Buch dieses Gesetzes, wenn du dich bekehrst zu dem HERRN, deinem Gott, von ganzem Herzen und von ganzer Seele.

Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.

Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse.

Wenn du gehorchst den Geboten des HERRN, deines Gottes, die ich dir heute gebiete, dass du den HERRN, deinen Gott, liebst und wandelst in seinen Wegen und seine Gebote, Gesetze und Rechte hältst, so wirst du leben und dich mehren, und der HERR, dein Gott, wird dich segnen in dem Lande, in das du ziehst, es einzunehmen.

Wendet sich aber dein Herz und du gehorchst nicht, sondern lässt dich verführen, dass du andere Götter anbetest und ihnen dienst,so verkünde ich euch heute, dass ihr umkommen und nicht lange in dem Lande bleiben werdet, in das du über den Jordan ziehst, es einzunehmen.

Ich nehme Himmel und Erde heute über euch zu Zeugen: Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, damit du das Leben erwählst und am Leben bleibst, du und deine Nachkommen, indem ihr den HERRN, euren Gott, liebt und seiner Stimme gehorcht und ihm anhangt. Denn das bedeutet für dich, dass du lebst und alt wirst und wohnen bleibst in dem Lande, das der HERR deinen Vätern Abraham, Isaak und Jakob geschworen hat, ihnen zu geben.

5. Mose 30, 1 – 20 nach der Übersetzung Martin Luthers

Der Tod des Mose
Und Mose stieg aus dem Jordantal der Moabiter auf den Berg Nebo, den Gipfel des Gebirges Pisga, gegenüber Jericho. Und der HERR zeigte ihm das ganze Land: Gilead bis nach Dan und das ganze Naftali und das ganze Land Ephraim und Manasse und das ganze Land Juda bis an das Meer im Westen und das Südland und die Gegend am Jordan, die Ebene von Jericho, der Palmenstadt, bis nach Zoar.

Und der HERR sprach zu ihm: Dies ist das Land, von dem ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe: Ich will es deinen Nachkommen geben. - Du hast es mit deinen Augen gesehen, aber du sollst nicht hinübergehen.

So starb Mose, der Knecht des HERRN, daselbst im Lande Moab nach dem Wort des HERRN. Und er begrub ihn im Tal, im Lande Moab gegenüber Bet-Peor. Und niemand hat sein Grab erfahren bis auf den heutigen Tag.

Und Mose war hundertundzwanzig Jahre alt, als er starb. Seine Augen waren nicht schwach geworden und seine Kraft war nicht verfallen.

Und die Israeliten beweinten Mose im Jordantal der Moabiter dreißig Tage, bis die Zeit des Weinens und Klagens über Mose vollendet war.

Josua aber, der Sohn Nuns, wurde erfüllt mit dem Geist der Weisheit; denn Mose hatte seine Hände auf ihn gelegt. Und die Israeliten gehorchten ihm und taten, wie der HERR es Mose geboten hatte.

Und es stand hinfort kein Prophet in Israel auf wie Mose, den der HERR erkannt hätte von Angesicht zu Angesicht, mit all den Zeichen und Wundern, mit denen der HERR ihn gesandt hatte, dass er sie täte in Ägyptenland am Pharao und an allen seinen Großen und an seinem ganzen Lande, und mit all der mächtigen Kraft und den großen Schreckenstaten, die Mose vollbrachte vor den Augen von ganz Israel.

5. Mose 34, 1 – 12 nach der Übersetzung Martin Luthers

Friedrich Schiller: Die Sendung Moses
Vorlesungen
Die Gründung des jüdischen Staats durch Moses ist eine der denkwürdigsten Begebenheiten, welche die Geschichte aufbewahrt hat, wichtig durch die Stärke des Verstandes, wodurch sie ins Werk gerichtet worden, wichtiger noch durch ihre Folgen auf die Welt, die noch bis auf diesen Augenblick fortdauern. Zwei Religionen, welche den größten Teil der bewohnten Erde beherrschen, das Christentum und der Islamismus, stützen sich beide auf die Religion der Hebräer, und ohne diese würde es niemals weder ein Christentum noch einen Koran gegeben haben.

Ja in einem gewissen Sinne ist es unwiderleglich wahr, daß wir der mosaischen Religion einen großen Teil der Aufklärung danken, deren wir uns heutigestags erfreuen. Denn durch sie wurde eine kostbare Wahrheit, welche die sich selbst überlassene Vernunft erst nach einer langsamen Entwicklung würde gefunden haben, die Lehre von dem einigen Gott, vorläufig unter dem Volke verbreitet und als ein Gegenstand des blinden Glaubens so lange unter demselben erhalten, bis sie endlich in den helleren Köpfen zu einem Vernunftbegriff reifen konnte.

Dadurch wurden einem großen Teil des Menschengeschlechtes alle die traurigen Irrwege erspart, worauf der Glaube an Vielgötterei zuletzt führen muß, und die hebräische Verfassung erhielt den ausschließenden Vorzug, daß die Religion der Weisen mit der Volksreligion nicht in direktem Widerspruche stand, wie es doch bei den aufgeklärten Heiden der Fall war. Aus diesem Standpunkt betrachtet, muß uns die Nation der Hebräer als ein wichtiges universalhistorisches Volk erscheinen, und alles Böse, welches man diesem Volke nachzusagen gewohnt ist, alle Bemühungen witziger Köpfe, es zu verkleinern, werden uns nicht hindern, gerecht gegen dasselbe zu sein.

Die Unwürdigkeit und Verworfenheit der Nation kann das erhabene Verdienst ihres Gesetzgebers nicht vertilgen und ebenso wenig den großen Einfluß vernichten, den diese Nation mit Recht in der Weltgeschichte behauptet. Als ein unreines und gemeines Gefäß, worin aber etwas sehr Kostbares aufbewahret worden, müssen wir sie schätzen; wir müssen in ihr den Kanal verehren, den, so unrein er auch war, die Vorsicht erwählte, uns das edelste aller Güter, die Wahrheit zuzuführen, den sie aber auch zerbrach, sobald er geleistet hatte, was er sollte. Auf diese Art werden wir gleich weit entfernt sein, dem hebräischen Volk einen Wert aufzudringen, den es nie gehabt hat, und ihm ein Verdienst zu rauben, das ihm nicht streitig gemacht werden kann.

Die Hebräer kamen, wie bekannt ist, als eine einzige Nomadenfamilie, die nicht über 70 Seelen begriff, nach Ägypten und wurden erst in Ägypten zum Volk. Während eines Zeitraums von ohngefähr 400 Jahren, die sie in diesem Lande zubrachten, vermehrten sie sich beinahe bis zu zwei Millionen, unter welchen 6ooooo streitbare Männer gezählt wurden, als sie aus diesem Königreich zogen. Während dieses langen Aufenthalts lebten sie abgesondert von den Ägyptern, abgesondert sowohl durch den eigenen Wohnplatz, den sie einnahmen, als auch durch ihren nomadischen Stand, der sie allen Eingebornen des Landes zum Abscheu machte und von allem Anteil an den bürgerlichen Rechten der Ägypter ausschloß. Sie regierten sich nach nomadischer Art fort, der Hausvater die Familie, der Stammfürst die Stämme, und machten auf diese Art einen Staat im Staat aus, der endlich durch seine ungeheure Vermehrung die Besorgnis der Könige erweckte.

Eine solche abgesonderte Menschenmenge im Herzen des Reichs, durch ihre nomadische Lebensart müßig, die unter sich sehr genau zusammenhielt, mit dem Staat aber gar kein Interesse gemein hatte, konnte bei einem feindlichen Einfall gefährlich werden und leicht in Versuchung geraten, die Schwäche des Staats, deren müßige Zuschauerin sie war, zu benutzen.

Die Staatsklugheit riet also, sie scharf zu bewachen, zu beschäftigen und auf Verminderung ihrer Anzahl zu denken. Man drückte sie also mit schwerer Arbeit, und wie man auf diesem Wege gelernt hatte, sie dem Staat sogar nützlich zu machen, so vereinigte sich nun auch der Eigennutz mit der Politik, um ihre Lasten zu vermehren. Unmenschlich zwang man sie zu öffentlichem Frondienst und stellte besondre Vögte an, sie anzutreiben und zu mißhandeln. Diese barbarische Behandlung hinderte aber nicht, daß sie sich nicht immer stärker ausbreiteten. Eine gesunde Politik würde also natürlich darauf geführt haben, sie unter den übrigen Einwohnern zu verteilen und ihnen gleiche Rechte mit diesen zu geben; aber dieses erlaubte der allgemeine Abscheu nicht, den die Ägypter gegen sie hegten.

Dieser Abscheu wurde noch durch die Folgen vermehrt, die er notwendig haben mußte. Als der König der Ägypter der Familie Jakobs die Provinz Gosen (an der Ostseite des untern Nils) zum Wohnplatz einräumte, hatte er schwerlich auf eine Nachkommenschaft von 2 Millionen gerechnet, die darin Platz haben sollte; die Provinz war also wahrscheinlich nicht von besonderm Umfang, und das Geschenk war immer schon großmütig genug, wenn auch nur auf den hundertsten Teil dieser Nachkommenschaft dabei Rücksicht genommen worden. Da sich nun der Wohnplatz der Hebräer nicht in gleichem Verhältnis mit ihrer Bevölkerung erweiterte, so mußten sie mit jeder Generation immer enger und enger wohnen, bis sie sich zuletzt, auf eine der Gesundheit höchst nachteilige Art, in dem engsten Raume zusammendrängten.

Was war natürlicher, als daß sich nun eben die Folgen einstellten, welche in einem solchen Fall unausbleiblich sind? – die höchste Unreinlichkeit und ansteckende Seuchen. Hier also wurde schon der erste Grund zu dem Übel gelegt, welches dieser Nation bis auf die heutigen Zeiten eigen geblieben ist; aber damals mußte es in einem fürchterlichen Grade wüten.

Die schrecklichste Plage dieses Himmelstrichs, der Aussatz, riß unter ihnen ein und erbte sich durch viele Generationen hinunter. Die Quellen des Lebens und der Zeugung wurden langsam durch ihn vergiftet, und aus einem zufälligen Übel entstand endlich eine erbliche Stammeskonstitution. Wie allgemein dieses Übel gewesen, erhellt schon aus der Menge der Vorkehrungen, die der Gesetzgeber dagegen gemacht hat; und das einstimmige Zeugnis der Profanskribenten, des Ägyptiers Manetho, des Diodor von Sizilien, des Tacitus, des Lysimachus, Strabo und vieler andern, welche von der jüdischen Nation fast gar nichts als diese Volkskrankheit des Aussatzes kennen, beweist, wie allgemein und wie tief der Eindruck davon bei den Ägyptern gewesen sei.

Dieser Aussatz also, eine natürliche Folge ihrer engen Wohnung, ihrer schlechten und kärglichen Nahrung und der Mißhandlung, die man gegen sie ausübte, wurde wieder zu einer neuen Ursache derselben. Die man anfangs als Hirten verachtete und als Fremdlinge mied, wurden jetzt als Verpestete geflohen und verabscheut. Zu der Furcht und dem Widerwillen also, welche man in Ägypten von jeher gegen sie gehegt, gesellte sich noch Ekel und eine tiefe zurückstoßende Verachtung. Gegen Menschen, die der Zorn der Götter auf eine so schreckliche Art ausgezeichnet, hielt man sich alles für erlaubt, und man trug kein Bedenken, ihnen die heiligsten Menschenrechte zu entziehen.

Kein Wunder, daß die Barbarei gegen sie in eben dem Grade stieg, als die Folgen dieser barbarischen Behandlung sichtbarer wurden, und daß man sie immer härter für das Elend strafte, welches man ihnen doch selbst zugezogen hatte.

Die schlechte Politik der Ägypter wußte den Fehler, den sie gemacht hatte, nicht anders als durch einen neuen und gröbern Fehler zu verbessern. Da es ihr, alles Drucks ungeachtet, nicht gelang, die Quellen der Bevölkerung zu verstopfen, so verfiel sie auf einen ebenso unmenschlichen als elenden Ausweg, die neugebornen Söhne sogleich durch die Hebammen erwürgen zu lassen. Aber Dank der bessern Natur des Menschen! Despoten sind nicht immer gut befolgt, wenn sie Abscheulichkeiten gebieten. Die Hebammen in Ägypten wußten dieses unnatürliche Gebot zu verhöhnen, und die Regierung konnte ihre gewalttätigen Maßregeln nicht anders als durch gewaltsame Mittel durchsetzen. Bestellte Mörder durchstreiften auf königlichen Befehl die Wohnung der Hebräer und ermordeten in der Wiege alles, was männlich war. Auf diesem Wege freilich mußte die ägyptische Regierung doch zuletzt ihren Zweck durchsetzen und, wenn kein Retter sich ins Mittel schlug, die Nation der Juden in wenigen Generationen gänzlich vertilgt sehen.

Woher sollte aber nun den Hebräern dieser Retter kommen? Schwerlich aus der Mitte der Ägypter selbst, denn wie sollte sich einer von diesen für eine Nation verwenden, die ihm fremd war, deren Sprache er nicht einmal verstand und sich gewiß nicht die Mühe nahm zu erlernen, die ihm eines bessern Schicksals ebenso unfähig als unwürdig scheinen mußte. Aus ihrer eignen Mitte aber noch viel weniger, denn was hat die Unmenschlichkeit der Ägypter im Verlauf einiger Jahrhunderte aus dem Volk der Hebräer endlich gemacht? Das roheste, das bösartigste, das verworfenste Volk der Erde, durch eine dreihundertjährige Vernachlässigung verwildert, durch einen so langen knechtischen Druck verzagt gemacht und erbittert, durch eine erblich auf ihm haftende Infamie vor sich selbst erniedrigt, entnervt und gelähmt zu allen heroischen Entschlüssen, durch eine so lange anhaltende Dummheit endlich fast bis zum Tier heruntergestoßen. Wie sollte aus einer so verwahrlosten Menschenrasse ein freier Mann, ein erleuchteter Kopf, ein Held oder ein Staatsmann hervorgehen? Wo sollte sich ein Mann unter ihnen finden, der einem so tief verachteten Sklavenpöbel Ansehen, einem so lang gedrückten Volke Gefühl seiner selbst, einem so unwissenden rohen Hirtenhaufen Überlegenheit über seine verfeinerte Unterdrücker verschaffte? Unter den damaligen Hebräern konnte ebensowenig als unter der verworfenen Kaste der Parias unter den Hindu ein kühner und heldenmütiger Geist entstehen.

Hier muß uns die große Hand der Vorsicht, die den verworrensten Knoten durch die einfachsten Mittel löst, zur Bewunderung hinreißen – aber nicht derjenigen Vorsicht, welche sich auf dem gewaltsamen Wege der Wunder in die Ökonomie der Natur einmengt, sondern derjenigen, welche der Natur selbst eine solche Ökonomie vorgeschrieben hat, außerordentliche Dinge auf dem ruhigsten Wege zu bewirken. Einem gebornen Ägypter fehlte es an der nötigen Aufforderung, an dem Nationalinteresse für die Hebräer, um sich zu ihrem Erretter aufzuwerfen. Einem bloßen Hebräer mußte es an Kraft und Geist zu dieser Unternehmung gebrechen. Was für einen Ausweg erwählte also das Schicksal? Es nahm einen Hebräer, entriß ihn aber frühzeitig seinem rohen Volk und verschaffte ihm den Genuß ägyptischer Weisheit; und so wurde ein Hebräer, ägyptisch erzogen, das Werkzeug, wodurch diese Nation aus der Knechtschaft entkam.

Eine hebräische Mutter aus dem levitischen Stamme hatte ihren neugebornen Sohn drei Monate lang vor den Mördern verborgen, die aller männlichen Leibesfrucht unter ihrem Volke nachstellten; endlich gab sie die Hoffnung auf, ihm länger eine Freistatt bei sich zu gewähren. Die Not gab ihr eine List ein, wodurch sie ihn vielleicht zu erhalten hoffte. Sie legte ihren Säugling in eine kleine Kiste von Papyrus, welche sie durch Pech gegen das Eindringen des Wassers verwahrt hatte, und wartete die Zeit ab, wo die Tochter des Pharao gewöhnlich zu baden pflegte. Kurz vorher mußte die Schwester des Kindes die Kiste, worin es war, in das Schilf legen, an welchem die Königstochter vorbeikam und wo es dieser also in die Augen fallen mußte. Sie selbst aber blieb in der Nähe, um das fernere Schicksal des Kindes abzuwarten.

Die Tochter des Pharao wurde es bald gewahr, und da der Knabe ihr gefiel, so beschloß sie, ihn zu retten. Seine Schwester wagte es nun, sich zu nähern, und erbot sich, ihm eine hebräische Amme zu bringen, welches ihr von der Prinzessin bewilligt wird. Zum zweitenmal erhält also die Mutter ihren Sohn, und nun darf sie ihn ohne Gefahr und öffentlich erziehen. So erlernte er denn die Sprache seiner Nation und wurde bekannt mit ihren Sitten, während daß seine Mutter wahrscheinlich nicht versäumte, ein recht rührendes Bild des allgemeinen Elends in seine zarte Seele zu pflanzen.

Als er die Jahre erreicht hatte, wo er der mütterlichen Pflege nicht mehr bedurfte und wo es nötig wurde, ihn dem allgemeinen Schicksal seines Volks zu entziehen, brachte ihn seine Mutter der Königstochter wieder und überließ ihr nun das fernere Schicksal des Knaben. Die Tochter des Pharao adoptierte ihn und gab ihm den Namen Moses, weil er aus dem Wasser gerettet worden. So wurde er denn aus einem Sklavenkinde und einem Schlachtopfer des Todes der Sohn einer Königstochter und als solcher aller Vorteile teilhaftig, welche die Kinder der Könige genossen.

Die Priester, zu deren Orden er in eben dem Augenblick gehörte, als er der königlichen Familie einverleibt wurde, übernahmen jetzt seine Erziehung und unterrichteten ihn in aller ägyptischen Weisheit, die das ausschließende Eigentum ihres Standes war. Ja es ist wahrscheinlich, daß sie ihm keines ihrer Geheimnisse vorenthalten haben, da eine Stelle des ägyptischen Geschichtschreibers Manetho, worin er den Moses zu einem Apostaten der ägyptischen Religion und einem aus Heliopolis entflohenen Priester macht, uns vermuten läßt, daß er zum priesterlichen Stande bestimmt gewesen.

Um also zu bestimmen, was Moses in dieser Schule empfangen haben konnte, und welchen Anteil die Erziehung, die er unter den ägyptischen Priestern empfing, an seiner nachherigen Gesetzgebung gehabt hat, müssen wir uns in eine nähere Untersuchung dieses Instituts einlassen und über das, was darin gelehrt und getrieben wurde, das Zeugnis alter Schriftsteller hören. Schon der Apostel Stephanus läßt ihn in aller Weisheit der Aegyptier unterrichtet sein. Der Geschichtschreiber Philo sagt, Moses sei von den ägyptischen Priestern in der Philosophie der Symbolen und Hieroglyphen wie auch in den Geheimnissen der heiligen Tiere eingeweiht worden. Eben dieses Zeugnis bestätigen mehrere, und wenn man erst einen Blick auf das, was man ägyptische Mysterien nannte, geworfen hat, so wird sich zwischen diesen Mysterien und dem, was Moses nachher getan und verordnet hat, eine merkwürdige Ähnlichkeit ergeben.

Die Gottesverehrung der ältesten Völker ging, wie bekannt ist, sehr bald in Vielgötterei und Aberglauben über, und selbst bei denjenigen Geschlechtern, die uns die Schrift als Verehrer des wahren Gottes nennt, waren die Ideen vom höchsten Wesen weder rein noch edel und auf nichts weniger als eine helle vernünftige Einsicht gegründet.

Sobald aber durch bessere Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft und durch Gründung eines ordentlichen Staats die Stände getrennt und die Sorge für göttliche Dinge das Eigentum eines besondern Standes geworden, sobald der menschliche Geist durch Befreiung von allen zerstreuenden Sorgen Muße empfing, sich ganz allein der Betrachtung seiner selbst und der Natur hinzugeben, sobald endlich auch hellere Blicke in die physische Ökonomie der Natur getan worden, mußte die Vernunft endlich über jene groben Irrtümer siegen, und die Vorstellung von dem höchsten Wesen mußte sich veredeln.

Die Idee von einem allgemeinen Zusammenhang der Dinge mußte unausbleiblich zum Begriff eines einzigen höchsten Verstandes führen, und jene Idee, wo eher hätte sie aufkeimen sollen als in dem Kopf eines Priesters? Da Ägypten der erste kultivierte Staat war, den die Geschichte kennt, und die ältesten Mysterien sich ursprünglich aus Ägypten herschreiben, so war es auch aller Wahrscheinlichkeit nach hier, wo die erste Idee von der Einheit des höchsten Wesens zuerst in einem menschlichen Gehirne vorgestellt wurde.

Der glückliche Finder dieser seelenerhebenden Idee suchte sich nun unter denen, die um ihn waren, fähige Subjekte aus, denen er sie als einen heiligen Schatz übergab, und so erbte sie sich von einem Denker zum andern, durch wer weiß wie viele Generationen fort, bis sie zuletzt das Eigentum einer ganzen kleinen Gesellschaft wurde, die fähig war, sie zu fassen und weiter auszubilden.

Da aber schon ein gewisses Maß von Kenntnissen und eine gewisse Ausbildung des Verstandes erfordert wird, die Idee eines einigen Gottes recht zu fassen und anzuwenden, da der Glaube an die göttliche Einheit Verachtung der Vielgötterei, welches doch die herrschende Religion war, notwendig mit sich bringen mußte, so begriff man bald, daß es unvorsichtig, ja gefährlich sein würde, diese Idee öffentlich und allgemein zu verbreiten. Ohne vorher die hergebrachten Götter des Staats zu stürzen und sie in ihrer lächerlichen Blöße zu zeigen, konnte man dieser neuen Lehre keinen Eingang versprechen. Aber man konnte ja weder voraussehen noch hoffen, daß jeder von denen, welchen man den alten Aberglauben lächerlich machte, auch sogleich fähig sein würde, sich zu der reinen und schweren Idee des Wahren zu erheben. Überdem war ja die ganze bürgerliche Verfassung auf jenen Aberglauben gegründet; stürzte man diesen ein, so stürzte man zugleich alle Säulen, von welchen das ganze Staatsgebäude getragen wurde, und es war noch sehr ungewiß, ob die neue Religion, die man an seinen Platz stellte, auch sogleich fest genug stehen würde, um jenes Gebäude zu tragen.

Mißlang hingegen der Versuch, die alten Götter zu stürzen, so hatte man den blinden Fanatismus gegen sich bewaffnet und sich einer tollen Menge zum Schlachtopfer preisgegeben. Man fand also für besser, die neue gefährliche Wahrheit zum ausschließenden Eigentum einer kleinen geschlossenen Gesellschaft zu machen, diejenigen, welche das gehörige Maß von Fassungskraft dafür zeigten, aus der Menge hervorzuziehen und in den Bund aufzunehmen und die Wahrheit selbst, die man unreinen Augen entziehen wollte, mit einem geheimnisvollen Gewand zu umkleiden, das nur derjenige wegziehen könnte, den man selbst dazu fähig gemacht hätte.

Man wählte dazu die Hieroglyphen, eine sprechende Bilderschrift, die einen allgemeinen Begriff in einer Zusammenstellung sinnlicher Zeichen verbarg und auf einigen willkürlichen Regeln beruhte, worüber man übereingekommen war. Da es diesen erleuchteten Männern von dem Götzendienst her noch bekannt war, wie stark auf dem Wege der Einbildungskraft und der Sinne auf jugendliche Herzen zu wirken sei, so trugen sie kein Bedenken, von diesem Kunstgriffe des Betrugs auch zum Vorteil der Wahrheit Gebrauch zu machen. Sie brachten also die neuen Begriffe mit einer gewissen sinnlichen Feierlichkeit in die Seele, und durch allerlei Anstalten, die diesem Zweck angemessen waren, setzten sie das Gemüt ihres Lehrlings vorher in den Zustand leidenschaftlicher Bewegung, der es für die neue Wahrheit empfänglich machen sollte. Von dieser Art waren die Reinigungen, die der Einzuweihende vornehmen mußte, das Waschen und Besprengen, das Einhüllen in leinene Kleider, Enthaltung von allen sinnlichen Genüssen, Spannung und Erhebung des Gemüts durch Gesang, ein bedeutendes Stillschweigen, Abwechselung zwischen Finsternis und Licht und dergleichen.

Diese Zeremonien, mit jenen geheimnisvollen Bildern und Hieroglyphen verbunden, und die verborgenen Wahrheiten, welche in diesen Hieroglyphen versteckt lagen und durch jene Gebräuche vorbereitet wurden, wurden zusammengenommen unter dem Namen der Mysterien begriffen. Sie hatten ihren Sitz in den Tempeln der Isis und des Serapis und waren das Vorbild, wornach in der Folge die Mysterien in Eleusis und Samothrazien und in neuern Zeiten der Orden der Freimaurer sich gebildet hat.

Es scheint außer Zweifel gesetzt, daß der Inhalt der allerältesten Mysterien in Heliopolis und Memphis, während ihres unverdorbenen Zustands, Einheit Gottes und Widerlegung des Paganismus war, und daß die Unsterblichkeit der Seele darin vorgetragen wurde. Diejenigen, welche dieser wichtigen Aufschlüsse teilhaftig waren, nannten sich Anschauer oder Epopten, weil die Erkennung einer vorher verborgenen Wahrheit mit dem Übertritt aus der Finsternis zum Lichte zu vergleichen ist, vielleicht auch darum, weil sie die neuerkannten Wahrheiten in sinnlichen Bildern wirklich und eigentlich anschauten.

Zu dieser Anschauung konnten sie aber nicht auf einmal gelangen, weil der Geist erst von manchen Irrtümern gereinigt, erst durch mancherlei Vorbereitungen gegangen sein mußte, ehe er das volle Licht der Wahrheit ertragen konnte. Es gab also Stufen oder Grade, und erst im innern Heiligtum fiel die Decke ganz von ihren Augen.

Die Epopten erkannten eine einzige höchste Ursache aller Dinge, eine Urkraft der Natur, das Wesen aller Wesen, welches einerlei war mit dem Demiurgos der griechischen Weisen. Nichts ist erhabener als die einfache Größe, mit der sie von dem Weltschöpfer sprachen. Um ihn auf eine recht entscheidende Art auszuzeichnen, gaben sie ihm gar keinen Namen. »Ein Name«, sagten sie, »ist bloß ein Bedürfnis der Unterscheidung, wer allein ist, hat keinen Namen nötig, denn es ist keiner da, mit dem er verwechselt werden könnte.« Unter einer alten Bildsäule der Isis las man die Worte: »Ich bin, was da ist«, und auf einer Pyramide zu Sais fand man die uralte merkwürdige Inschrift: »Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird, kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« Keiner durfte den Tempel des Serapis betreten, der nicht den Namen Jao - oder J-ha-ho, ein Name, der mit dem hebräischen Jehovah fast gleichlautend, auch vermutlich von dem nämlichen Inhalt ist - an der Brust oder Stirn trug; und kein Name wurde in Ägypten mit mehr Ehrfurcht ausgesprochen als dieser Name Jao. In dem Hymnus, den der Hierophant oder Vorsteher des Heiligtums dem Einzuweihenden vorsang, war dies der erste Aufschluß, der über die Natur der Gottheit gegeben wurde: »Er ist einzig und von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.«

Eine vorläufige notwendige Zeremonie vor jeder Einweihung war die Beschneidung, der sich auch Pythagoras vor seiner Aufnahme in die ägyptischen Mysterien unterwerfen mußte. Diese Unterscheidung von andern, die nicht beschnitten waren, sollte eine engere Brüderschaft, ein näheres Verhältnis zu der Gottheit anzeigen, wozu auch Moses sie bei den Hebräern nachher gebrauchte.

In dem Innern des Tempels stellten sich dem Einzuweihenden verschiedene heilige Geräte dar, die einen geheimen Sinn ausdrückten. Unter diesen war eine heilige Lade, welche man den Sarg des Serapis nannte, und die ihrem Ursprung nach vielleicht ein Sinnbild verborgner Weisheit sein sollte, späterhin aber, als das Institut ausartete, der Geheimniskrämerei und elenden Priesterkünsten zum Spiele diente. Diese Lade herumzutragen, war ein Vorrecht der Priester oder einer eignen Klasse von Dienern des Heiligtums, die man deshalb auch Kistophoren nannte. Keinem als dem Hierophanten war es erlaubt, diesen Kasten aufzudecken oder ihn auch nur zu berühren. Von einem, der die Verwegenheit gehabt hatte, ihn zu eröffnen, wird erzählt, daß er plötzlich wahnsinnig geworden sei.

In den ägyptischen Mysterien stieß man ferner auf gewisse hieroglyphische Götterbilder, die aus mehreren Tiergestalten zusammengesetzt waren. Das bekannte Sphinx ist von dieser Art; man wollte dadurch die Eigenschaften bezeichnen, welche sich in dem höchsten Wesen vereinigen, oder auch das Mächtigste aus allen Lebendigen in einen Körper zusammenwerfen. Man nahm etwas von dem mächtigsten Vogel oder dem Adler, von dem mächtigsten wilden Tier oder dem Löwen, von dem mächtigsten zahmen Tier oder dem Stier, und endlich von dem mächtigsten aller Tiere, dem Menschen. Besonders wurde das Sinnbild des Stiers oder des Apis als das Emblem der Stärke gebraucht, um die Allmacht des höchsten Wesens zu bezeichnen; der Stier aber heißt in der Ursprache Cherub.

Die mystischen Gestalten, zu denen niemand als die Epopten den Schlüssel hatten, gaben den Mysterien selbst eine sinnliche Außenseite, die das Volk täuschte und selbst mit dem Götzendienst etwas gemein hatte. Der Aberglaube erhielt also durch das äußerliche Gewand der Mysterien eine immerwährende Nahrung, während daß man im Heiligtum selbst seiner spottete.

Doch ist es begreiflich, wie dieser reine Deismus mit dem Götzendienst verträglich zusammenleben konnte, denn indem er ihn von innen stürzte, beförderte er ihn von außen. Dieser Widerspruch der Priesterreligion und der Volksreligion wurde bei den ersten Stiftern der Mysterien durch die Notwendigkeit entschuldigt; er schien unter zwei Übeln das geringere zu sein, weil mehr Hoffnung vorhanden war, die übeln Folgen der verhehlten Wahrheit als die schädlichen Wirkungen der zur Unzeit entdeckten Wahrheit zu hemmen.

Wie sich aber nach und nach unwürdige Mitglieder in den Kreis der Eingeweihten drängten, wie das Institut von seiner ersten Reinheit verlor, so machte man das, was anfangs nur bloße Nothülfe gewesen, nämlich das Geheimnis, zum Zweck des Instituts, und anstatt den Aberglauben allmählich zu reinigen und das Volk zur Aufnahme der Wahrheit geschickt zu machen, suchte man seinen Vorteil darin, es immer mehr irrezuführen und immer tiefer in den Aberglauben zu stürzen.

Priesterkünste traten nun an die Stelle jener unschuldigen lauten Absichten, und eben das Institut, welches Erkenntnis des wahren und einigen Gottes erhalten, aufbewahren und mit Behutsamkeit verbreiten sollte, fing an, das kräftigste Beförderungsmittel des Gegenteils zu werden und in eine eigentliche Schule des Götzendienstes auszuarten. Hierophanten, um die Herrschaft über die Gemüter nicht zu verlieren und die Erwartung immer gespannt zu halten, fanden es für gut, immer länger mit dem letzten Aufschluß, der alle falschen Erwartungen auf immer aufheben mußte, zurückzuhalten und die Zugänge zu dem Heiligtum durch allerlei theatralische Kunstgriffe zu erschweren. Zuletzt verlor sich der Schlüssel zu den Hieroglyphen und geheimen Figuren ganz, und nun wurden diese für die Wahrheit selbst genommen, die sie anfänglich nur umhüllen sollten.

Es ist schwer zu bestimmen, ob die Erziehungsjahre des Moses in die blühenden Zeiten des Instituts oder in den Anfang seiner Verderbnis fallen; wahrscheinlich aber näherte es sich damals schon seinem Verfalle, wie uns einige Spielereien schließen lassen, die ihm der hebräische Gesetzgeber abborgte, und einige weniger rühmliche Kunstgriffe, die er in Ausübung brachte. Aber der Geist der ersten Stifter war noch nicht daraus verschwunden, und die Lehre von der Einheit des Weltschöpfers belohnte noch die Erwartung der Eingeweihten.

Diese Lehre, welche die entschiedenste Verachtung der Vielgötterei zu ihrer unausbleiblichen Folge hatte, verbunden mit der Unsterblichkeitslehre, welche man schwerlich davon trennte, war der reiche Schatz, den der junge Hebräer aus den Mysterien der Isis herausbrachte. Zugleich wurde er darin mit den Naturkräften bekannter, die man damals auch zum Gegenstand geheimer Wissenschaften machte; welche Kenntnisse ihn nachher in den Stand setzten, Wunder zu wirken und im Beisein des Pharao es mit seinen Lehrern selbst oder den Zauberern aufzunehmen, die er in einigen sogar übertraf. Sein künftiger Lebenslauf beweist, daß er ein aufmerksamer und fähiger Schüler gewesen und zu dem letzten höchsten Grad der Anschauung gekommen war.

In eben dieser Schule sammelte er auch einen Schatz von Hieroglyphen, mystischen Bildern und Zeremonien, wovon sein erfinderischer Geist in der Folge Gebrauch machte. Er hatte das ganze Gebiet ägyptischer Weisheit durchwandert, das ganze System der Priester durchdacht, seine Gebrechen und Vorzüge, seine Stärke und Schwäche gegeneinander abgewogen und große wichtige Blicke in die Regierungskunst dieses Volks getan.

Es ist unbekannt, wie lange er in der Schule der Priester verweilte, aber sein später politischer Auftritt, der erst gegen sein achtzigstes Jahr erfolgte, macht es wahrscheinlich, daß er vielleicht zwanzig und mehrere Jahre dem Studium der Mysterien und des Staats gewidmet habe. Dieser Aufenthalt bei den Priestern scheint ihn aber keineswegs von dem Umgang mit seinem Volk ausgeschlossen zu haben, und er hatte Gelegenheit genug, ein Zeuge der Unmenschlichkeit zu sein, worunter es seufzen mußte.

Die ägyptische Erziehung hatte sein Nationalgefühl nicht verdrängt. Die Mißhandlung seines Volks erinnerte ihn, daß auch er ein Hebräer sei, und ein gerechter Unwille grub sich, sooft er es leiden sah, tief in seinen Busen. Je mehr er anfing, sich selbst zu fühlen, desto mehr mußte ihn die unwürdige Behandlung der Seinigen empören.

Einst sah er einen Hebräer unter den Streichen eines ägyptischen Fronvogts mißhandelt; dieser Anblick überwältigte ihn, er ermordete den Ägypter. Bald wird die Tat ruchbar, sein Leben ist in Gefahr, er muß Ägypten meiden und flieht nach der arabischen Wüste. Viele setzen diese Flucht in sein vierzigstes Lebensjahr, aber ohne alle Beweise. Uns ist es genug zu wissen, daß Moses nicht sehr jung mehr sein konnte, als sie erfolgte.

Mit diesem Exilium beginnt eine neue Epoche seines Lebens, und wenn wir seinen künftigen politischen Auftritt in Ägypten recht beurteilen wollen, so müssen wir ihn durch seine Einsamkeit in Arabien begleiten. Einen blutigen Haß gegen die Unterdrücker seiner Nation und alle Kenntnisse, die er in den Mysterien geschöpft hatte, trug er mit sich in die arabische Wüste. Sein Geist war voll von Ideen und Entwürfen, sein Herz voll Erbitterung, und nichts zerstreute ihn in dieser menschenleeren Wüste.

Die Urkunde läßt ihn die Schafe eines arabischen Beduinen Jethro hüten. Dieser tiefe Fall von allen seinen Aussichten und Hoffnungen in Ägypten zum Viehhirten in Arabien! vom künftigen Menschenherrscher zum Lohnknecht eines Nomaden! Wie schwer mußte er seine Seele verwunden!

In dem Kleid eines Hirten trägt er einen feurigen Regentengeist, einen rastlosen Ehrgeiz mit sich herum. Hier in dieser romantischen Wüste, wo ihm die Gegenwart nichts darbietet, sucht er Hülfe bei der Vergangenheit und Zukunft und bespricht sich mit seinen stillen Gedanken. Alle Szenen der Unterdrückung, die er ehemals mit angesehen hatte, gehen jetzt in der Erinnerung an ihm vorüber, und nichts hinderte sie jetzt, ihren Stachel tief in seine Seele zu drücken. Nichts ist einer großen Seele unerträglicher, als Ungerechtigkeit zu dulden; dazu kommt, daß es sein eignes Volk ist, welches leidet. Ein edler Stolz erwacht in seiner Brust, und ein heftiger Trieb, zu handeln und sich hervorzutun, gesellt sich zu diesem beleidigten Stolz.

Alles, was er in langen Jahren gesammelt, alles, was er Schönes und Großes gedacht und entworfen hat, soll in dieser Wüste mit ihm sterben, soll er umsonst gedacht und entworfen haben? Diesen Gedanken kann seine feurige Seele nicht aushalten. Er erhebt sich über sein Schicksal; diese Wüste soll nicht die Grenze seiner Tätigkeit werden, zu etwas Großem hat ihn das hohe Wesen bestimmt, das er in den Mysterien kennenlernte. Seine Phantasie, durch Einsamkeit und Stille entzündet, ergreift, was ihr am nächsten liegt, die Partei der Unterdrückten. Gleiche Empfindungen suchen einander, und der Unglückliche wird sich am liebsten auf des Unglücklichen Seite schlagen. In Ägypten wäre er ein Ägypter, ein Hierophant, ein Feldherr geworden; in Arabien wird er zum Hebräer. Groß und herrlich steigt sie auf vor seinem Geiste, die Idee: »Ich will dieses Volk erlösen.«

Aber welche Möglichkeit, diesen Entwurf auszuführen? Unübersehlich sind die Hindernisse, die sich ihm dabei aufdringen, und diejenigen, welche er bei seinem eigenen Volke selbst zu bekämpfen hat, sind bei weitem die schrecklichsten von allen. Da ist weder Eintracht noch Zuversicht, weder Selbstgefühl noch Mut, weder Gemeingeist noch eine kühne Taten weckende Begeisterung vorauszusetzen; eine lange Sklaverei, ein vierhundertjähriges Elend hat alle diese Empfindungen erstickt. – Das Volk, an dessen Spitze er treten soll, ist dieses kühnen Wagestücks ebensowenig fähig als würdig. Von diesem Volk selbst kann er nichts erwarten, und doch kann er ohne dieses Volk nichts ausrichten. Was bleibt ihm also übrig? Ehe er die Befreiung desselben unternimmt, muß er damit anfangen, es dieser Wohltat fähig zu machen. Er muß es wieder in die Menschenrechte einsetzen, die es entäußert hat. Er muß ihm die Eigenschaften wiedergeben, die eine lange Verwilderung in ihm erstickt hat, das heißt, er muß Hoffnung, Zuversicht, Heldenmut, Enthusiasmus in ihm entzünden.

Aber diese Empfindungen können sich nur auf ein (wahres oder täuschendes) Gefühl eigener Kräfte stützen, und wo sollen die Sklaven der Ägypter dieses Gefühl hernehmen? Gesetzt, daß es ihm auch gelänge, sie durch seine Beredsamkeit auf einen Augenblick fortzureißen – wird diese erkünstelte Begeisterung sie nicht bei der ersten Gefahr im Stich lassen? Werden sie nicht, mutloser als jemals, in ihr Knechtsgefühl zurückfallen?

Hier kommt der ägyptische Priester und Staatskundige dem Hebräer zu Hülfe. Aus seinen Mysterien, aus seiner Priesterschule zu Heliopolis erinnert er sich jetzt des wirksamen Instruments, wodurch ein kleiner Priesterorden Millionen roher Menschen nach seinem Gefallen lenkte. Dieses Instrument ist kein andres als das Vertrauen auf überirdischen Schutz, Glaube an übernatürliche Kräfte. Da er also in der sichtbaren Welt, im natürlichen Lauf der Dinge nichts entdeckt, wodurch er seiner unterdrückten Nation Mut machen könnte, da er ihr Vertrauen an nichts Irdisches anknüpfen kann, so knüpft er es an den Himmel. Da er die Hoffnung aufgibt, ihr das Gefühl eigner Kräfte zu geben, so hat er nichts zu tun, als ihr einen Gott zuzuführen, der diese Kräfte besitzt. Gelingt es ihm, ihr Vertrauen zu diesem Gott einzuflößen, so hat er sie stark gemacht und kühn, und das Vertrauen auf diesen höhern Arm ist die Flamme, an der es ihm gelingen muß, alle andre Tugenden und Kräfte zu entzünden. Kann er sich seinen Mitbrüdern als das Organ und den Gesandten dieses Gottes legitimieren, so sind sie ein Ball in seinen Händen, er kann sie leiten, wie er will. Aber nun fragt sichs: welchen Gott soll er ihnen verkündigen, und wodurch kann er ihm Glauben bei ihnen verschaffen?
Soll er ihnen den wahren Gott, den Demiurgos oder den Jao, verkündigen, an den er selbst glaubt, den er in den Mysterien kennengelernt hat?

Wie könnte er einem unwissenden Sklavenpöbel, wie seine Nation ist, auch nur von ferne Sinn für eine Wahrheit zutraun, die das Erbteil weniger ägyptischen Weisen ist und schon einen hohen Grad von Erleuchtung voraussetzt, um begriffen zu werden? Wie könnte er sich mit der Hoffnung schmeicheln, daß der Auswurf Ägyptens etwas verstehen würde, was von den Besten dieses Landes nur die wenigsten faßten?

Aber gesetzt, es gelänge ihm auch, den Hebräern die Kenntnis des wahren Gottes zu verschaffen – so konnten sie diesen Gott in ihrer Lage nicht einmal brauchen, und die Erkenntnis desselben würde seinen Entwurf viel mehr untergraben als befördert haben. Der wahre Gott bekümmerte sich um die Hebräer ja nicht mehr als um irgend ein andres Volk. – Der wahre Gott konnte nicht für sie kämpfen, ihnen zu Gefallen die Gesetze der Natur nicht umstürzen. – Er ließ sie ihre Sache mit den Ägyptern ausfechten und mengte sich durch kein Wunder in ihren Streit; wozu sollte ihnen also dieser?

Soll er ihnen einen falschen und fabelhaften Gott verkündigen, gegen welchen sich doch seine Vernunft empört, den ihm die Mysterien verhaßt gemacht haben? Dazu ist sein Verstand zu sehr erleuchtet, sein Herz zu aufrichtig und zu edel. Auf eine Lüge will er seine wohltätige Unternehmung nicht gründen. Die Begeisterung, die ihn jetzt beseelt, würde ihm ihr wohltätiges Feuer zu einem Betrug nicht borgen, und zu einer so verächtlichen Rolle, die seinen innern Überzeugungen so sehr widerspräche, würde es ihm bald an Mut, an Freude, an Beharrlichkeit gebrechen. Er will die Wohltat vollkommen machen, die er auf dem Wege ist seinem Volk zu erweisen: er will sie nicht bloß unabhängig und frei, auch glücklich will er sie machen und erleuchten. Er will sein Werk für die Ewigkeit gründen..

Also darf es nicht auf Betrug – es muß auf Wahrheit gegründet sein. Wie vereinigt er aber diese Widersprüche? Den wahren Gott kann er den Hebräern nicht verkündigen, weil sie unfähig sind, ihn zufassen; einen fabelhaften will er ihnen nicht verkündigen, weil er diese widrige Rolle verachtet. Es bleibt ihm also nichts übrig, als ihnen seinen wahren Gott auf eine fabelhafte Art zu verkündigen.

Jetzt prüft er also seine Vernunftreligion und untersucht, was er ihr geben und nehmen muß, um ihr eine günstige Aufnahme bei seinen Hebräern zu versichern. Er steigt in ihre Lage, in ihre Beschränkung, in ihre Seele hinunter und späht da die verborgenen Fäden aus, an die er seine Wahrheit anknüpfen könnte.

Er legt also seinem Gott diejenigen Eigenschaften bei, welche die Fassungskraft der Hebräer und ihr jetziges Bedürfnis eben jetzt von ihm fordern. Er paßt seinen Jao dem Volke an, dem er ihn verkündigen will, er paßt ihn den Umständen an, unter welchen er ihn verkündiget, und so entsteht sein Jehovah.

In den Gemütern seines Volks findet er zwar Glauben an göttliche Dinge, aber dieser Glaube ist in den rohesten Aberglauben ausgeartet. Diesen Aberglauben muß er ausrotten, aber den Glauben muß er erhalten. Er muß ihn bloß von seinem jetzigen unwürdigen Gegenstand ablösen und seiner neuen Gottheit zuwenden. Der Aberglaube selbst gibt ihm die Mittel dazu in die Hände. Nach dem allgemeinen Wahn jener Zeiten stand jedes Volk unter dem Schutz einer besonderen Nationalgottheit, und es schmeichelte dem Nationalstolz, diese Gottheit über die Götter aller andern Völker zu setzen. Diesen letztem wurde aber darum keineswegs die Gottheit abgesprochen; sie wurde gleichfalls anerkannt, nur über den Nationalgott durften sie sich nicht erheben. An diesen Irrtum knüpfte Moses seine Wahrheit an. Er machte den Demiurgos in den Mysterien zum Nationalgott der Hebräer, aber er ging noch einen Schritt weiter.

Er begnügte sich nicht bloß, diesen Nationalgott zum mächtigsten aller Götter zu machen, sondern er machte ihn zum einzigen und stürzte alle Götter um ihn her in ihr Nichts zurück. Er schenkte ihn zwar den Hebräern zum Eigentum, um sich ihrer Vorstellungsart zu bequemen, aber zugleich unterwarf er ihm alle andern Völker und alle Kräfte der Natur. So rettete er in dem Bild, worin er ihn den Hebräern vorstellte, die zwei wichtigsten Eigenschaften seines wahren Gottes, die Einheit und die Allmacht, und machte sie wirksamer in dieser menschlichen Hülle.

Der eitle kindische Stolz, die Gottheit ausschließend besitzen zu wollen, mußte nun zum Vorteil der Wahrheit geschäftig sein und seiner Lehre vom einigen Gott Eingang verschaffen. Freilich ist es nur ein neuer Irrglaube, wodurch er den alten stürzt, aber dieser neue Irrglaube ist der Wahrheit schon um vieles näher als derjenige, den er verdrängte; und dieser kleine Zusatz von Irrtum ist es im Grunde allein, wodurch seine Wahrheit ihr Glück macht, und alles, was er dabei gewinnt, dankt er diesem vorhergesehenen Mißverständnis seiner Lehre. Was hätten seine Hebräer mit einem philosophischen Gott machen können? Mit diesem Nationalgott hingegen muß er Wunderdinge bei ihnen ausrichten, – Man denke sich einmal in die Lage der Hebräer. Unwissend, wie sie sind, messen sie die Stärke der Götter nach dem Glück der Völker ab, die in ihrem Schutze stehen. Verlassen und unterdrückt von Menschen, glauben sie sich auch von allen Göttern vergessen; eben das Verhältnis, das sie selbst gegen die Ägypter haben, muß nach ihren Begriffen auch ihr Gott gegen die Götter der Ägypter haben; er ist also ein kleines Licht neben diesen, oder sie zweifeln gar, ob sie wirklich einen haben. Auf einmal wird ihnen verkündigt, daß sie auch einen Beschützer im Sternenkreis haben, und daß dieser Beschützer erwacht sei aus seiner Ruhe, daß er sich umgürte und aufmache, gegen ihre Feinde große Taten zu verrichten.

Diese Verkündigung Gottes ist nunmehr dem Ruf eines Feldherrn gleich, sich unter seine siegreiche Fahne zu begeben. Gibt nun dieser Feldherr zugleich auch Proben seiner Stärke, oder kennen sie ihn gar noch aus alten Zeiten her, so reißt der Schwindel der Begeisterung auch den Furchtsamsten dahin; und auch dieses brachte Moses in Rechnung bei seinem Entwurfe.

Das Gespräch, welches er mit der Erscheinung in dem brennenden Dornbusch hält, legt uns die Zweifel vor, die er sich selbst aufgeworfen, und auch die Art und Weise, wie er sich solche beantwortet hat. Wird meine unglückliche Nation Vertrauen zu einem Gott gewinnen, der sie so lange vernachlässigt hat, der jetzt auf einmal wie aus den Wolken fällt, dessen Namen sie nicht einmal nennen hörte - der schon Jahrhunderte lang ein müßiger Zuschauer der Mißhandlung war, die sie von ihren Unterdrückern erleiden mußte? Wird sie nicht vielmehr den Gott ihrer glücklichen Feinde für den mächtigen halten? Dies war der nächste Gedanke, der in dem neuen Propheten jetzt aufsteigen mußte. Wie hebt er aber nun diese Bedenklichkeit? Er macht seinen Jao zum Gott ihrer Väter, er knüpft ihn also an ihre alten Volkssagen an und verwandelt ihn dadurch in einen einheimischen, in einen alten und wohlbekannten Gott. Aber um zu zeigen, daß er den wahren und einzigen Gott darunter meine, um aller Verwechslung mit irgendeinem Geschöpf des Aberglaubens vorzubeugen, um gar keinem Mißverständnis Raum zu geben, gibt er ihm den heiligen Namen, den er wirklich in den Mysterien führt. »Ich werde sein, der ich sein werde. Sage zu dem Volk Israel«, legt er ihm in den Mund, »ich werde sein, der hat mich zu euch gesendet.«

In den Mysterien führte die Gottheit wirklich diesen Namen. Dieser Name mußte aber dem dummen Volk der Hebräer durchaus unverständlich sein. Sie konnten sich unmöglich etwas dabei denken, und Moses hätte also mit einem andern Namen weit mehr Glück machen können; aber er wollte sich lieber diesem Übelstand aussetzen als einen Gedanken aufgeben, woran ihm alles lag, und dieser war: die Hebräer wirklich mit dem Gott, den man in den Mysterien der Isis lehrte, bekannt zu machen. Da es ziemlich ausgemacht ist, daß die ägyptischen Mysterien schon lange geblüht haben, ehe Jehovah dem Moses in dem Dornbusch erschien, so ist es wirklich auffallend, daß er sich gerade denselben Namen gibt, den er vorher in den Mysterien der Isis führte.

Es war aber noch nicht genug, daß sich Jehovah den Hebräern als einen bekannten Gott, als den Gott ihrer Väter ankündigte; er mußte sich auch als einen mächtigen Gott legitimieren, wenn sie anders Herz zu ihm fassen sollten; und dies war umso nötiger, da ihnen ihr bisheriges Schicksal in Ägypten eben keine große Meinung von ihrem Beschützer geben konnte. Da er sich ferner bei ihnen nur durch einen dritten einführte, so mußte er seine Kraft auf diesen legen und ihn durch außerordentliche Handlungen in den Stand setzen, sowohl seine Sendung selbst als die Macht und Größe dessen, der ihn sandte, darzutun.

Wollte also Moses seine Sendung rechtfertigen, so mußte er sie durch Wundertaten unterstützen. Daß er diese Taten wirklich verrichtet habe, ist wohl kein Zweifel. Wie er sie verrichtet habe und wie man sie überhaupt zu verstehen habe, überläßt man dem Nachdenken eines jeden. Die Erzählung endlich, in welche Moses seine Sendung kleidet, hat alle Requisite, die sie haben mußte, um den Hebräern Glauben daran einzuflößen, und dies war alles, was sie sollte – bei uns braucht sie diese Wirkung nicht mehr zu haben. Wir wissen jetzt zum Beispiel, daß es dem Schöpfer der Welt, wenn er sich je entschließen sollte, einem Menschen in Feuer oder in Wind zu erscheinen, gleichgültig sein könnte, ob man barfuß oder nicht barfuß vor ihm erschiene. Moses aber legt seinem Jehovah den Befehl in den Mund, daß er die Schuhe von den Füßen ziehen solle; denn er wußte sehr gut, daß er dem Begriffe der göttlichen Heiligkeit bei seinen Hebräern durch ein sinnliches Zeichen zu Hülfe kommen müsse – und ein solches Zeichen hatte er aus den Einweihungszeremonien noch behalten.

So bedachte er ohne Zweifel auch, daß z.B. seine schwere Zunge ihm hinderlich sein könnte – er kam also diesem Übelstand zuvor, er legte die Einwürfe, die er zu fürchten hatte, schon in seine Erzählung, und Jehovah selbst mußte sie heben. Er unterzieht sich ferner seiner Sendung nur nach einem langen Widerstand – desto mehr Gewicht mußte also in den Befehl Gottes gelegt werden, der ihm diese Sendung abnötigte. Überhaupt malt er das am ausführlichsten und am individuellsten aus in seiner Erzählung, was den Israeliten, so wie uns, am allerschwersten eingehen mußte zu glauben, und es ist kein Zweifel, daß er seine guten Gründe dazu gehabt hatte.

Wenn wir das Bisherige kurz zusammenfassen, was war eigentlich der Plan, den Moses in der arabischen Wüste ausdachte?

Er wollte das israelitische Volk aus Ägypten führen und ihm zum Besitz der Unabhängigkeit und einer Staatsverfassung in einem eigenen Lande helfen. Weil er aber die Schwierigkeiten recht gut kannte, die sich ihm bei diesem Unternehmen entgegenstellen würden, weil er wußte, daß auf die eigenen Kräfte dieses Volks so lange nicht zu rechnen sei, bis man ihm Selbstvertrauen, Mut, Hoffnung und Begeisterung gegeben, weil er voraussah, daß seine Beredsamkeit auf den zu Boden gedrückten Sklavensinn der Hebräer gar nicht wirken würde: so begriff er, daß er ihnen einen höhern, einen überirdischen Schutz ankündigen müsse, daß er sie gleichsam unter die Fahne eines göttlichen Feldherrn versammeln müsse.

Er gibt ihnen also einen Gott, um sie fürs erste aus Ägypten zu befreien. Weil es aber damit noch nicht getan ist, weil er ihnen für das Land, das er ihnen nimmt, ein anders geben muß, und weil sie dieses andre erst mit gewaffneter Hand erobern und sich darin erhalten müssen, so ist nötig, daß er ihre vereinigten Kräfte in einem Staatskörper zusammenhalte, so muß er ihnen also Gesetze und eine Verfassung geben.

Als ein Priester und Staatsmann aber weiß er, daß die stärkste und unentbehrlichste Stütze aller Verfassung Religion ist; er muß also den Gott, den er ihnen anfänglich nur zur Befreiung aus Ägypten, als einen bloßen Feldherrn gegeben hat, auch bei der bevorstehenden Gesetzgebung brauchen; er muß ihn also auch gleich so ankündigen, wie er ihn nachher gebrauchen will.

Zur Gesetzgebung und zur Grundlage des Staats braucht er aber den wahren Gott, denn er ist ein großer und edler Mensch, der ein Werk, das dauern soll, nicht auf eine Lüge gründen kann. Er will die Hebräer durch die Verfassung, die er ihnen zugedacht hat, in der Tat glücklich und dauernd glücklich machen, und dies kann nur dadurch geschehen, daß er seine Gesetzgebung auf Wahrheit gründet. Für diese Wahrheit sind aber ihre Verstandskräfte noch zu stumpf; er kann sie also nicht auf dem reinen Weg der Vernunft in ihre Seele bringen.

Da er sie nicht überzeugen kann, so muß er sie überreden, hinreißen, bestechen. Er muß also dem wahren Gott, den er ihnen ankündigt, Eigenschaften geben, die ihn den schwachen Köpfen faßlich und empfehlungswürdig machen; er muß ihm ein heidnisches Gewand umhüllen und muß zufrieden sein, wenn sie an seinem wahren Gott gerade nur dieses Heidnische schätzen und auch das Wahre bloß auf eine heidnische Art aufnehmen. Und dadurch gewinnt er schon unendlich, er gewinnt – daß der Grund seiner Gesetzgebung wahr ist, daß also ein künftiger Reformator die Grundverfassung nicht einzustürzen braucht, wenn er die Begriffe verbessert, welches bei allen falschen Religionen die unausbleibliche Folge ist, sobald die Fackel der Vernunft sie beleuchtet.

Alle andre Staaten jener Zeit und auch der folgenden Zeiten sind auf Betrug und Irrtum, auf Vielgötterei gegründet, obgleich, wie wir gesehen haben, in Ägypten ein kleiner Zirkel war, der richtige Begriffe von dem höchsten Wesen hegte. Moses, der selbst aus diesem Zirkel ist und nur diesem Zirkel seine bessere Idee von dem höchsten Wesen zu danken hat, Moses ist der erste, der es wagt, dieses geheim gehaltene Resultat der Mysterien nicht nur laut, sondern sogar zur Grundlage eines Staats zu machen. Er wird also, zum Besten der Welt und der Nachwelt, ein Verräter der Mysterien und läßt eine ganze Nation an einer Wahrheit teilnehmen, die bis jetzt nur das Eigentum weniger Weisen war. Freilich konnte er seinen Hebräern mit dieser neuen Religion nicht auch zugleich den Verstand mitgeben, sie zu fassen, und darin hatten die ägyptischen Epopten einen großen Vorzug vor ihnen voraus. Die Epopten erkannten die Wahrheit durch ihre Vernunft, die Hebräer konnten höchstens nur blind daran glauben.
Ich muß die Leser dieses Aufsatzes auf eine Schrift von ähnlichem Inhalt: Über die ältesten hebräischen Mysterien von Br. Decius verweisen, welche einen berühmten und verdienstvollen Schriftsteller zum Verfasser hat und woraus ich verschiedene der hier zum Grund gelegten Ideen und Daten genommen habe.
Cotta’scher Verlag 1856, Schillers sämtliche Werke in zwölf Bänden. Zehnter Band, Die Sendung Moses, S.401ff.