Hiob [Jjob] (zwischen 7. und 4. Jahrhundert v. Chr.)

Hiob, Vulgata: Job ist ein Buch des Alten Testaments, das aus einer Rahmenerzählung (Hiob-Sage: Kapitel 1, 1—2, 13 und 42, 7—17) und den Reden Hiobs, seiner vier Freunde und Gottes, besteht. Der Reden -Teil, eines der großen Denkmäler der Weltliteratur, spiegelt das Ringen des Verfassers um die Frage des Leidens des Gerechten und um die Gottesgerechtigkeit. Die Abfassungszeit ist nicht sicher bestimmbar (frühestens 7. Jh. v.Chr., wahrscheinlicher nachexilisch — kaum später als 4. Jh. v.Chr.). Nach C.G. Jung ist das Buch Hiob »ein Markstein auf dem langen Entwicklungswege eines göttlichen Dramas. Als das Buch entstand, lagen schon vielerlei Zeugnisse vor, welche ein widerspruchsvolles Bild Jahwes entworfen hatten, nämlich das Bild eines Gotts, der maßlos war in seinen Emotionen und an eben dieser Maßlosigkeit litt. Er gab es sich selber zu, dass ihn Zorn und Eifersucht verzehrten und dass ihm dieses Wissen leidvoll war. Einsicht bestand neben Einsichtslosigkeit, wie Güte neben Grausamkeit und wie Schöpferkraft neben Zerstörungswillen. Es war alles da, und keines hinderte das andere. Ein derartiger Zustand ist uns nur denkbar, wenn entweder kein reflektierendes Bewusstsein vorhanden ist, oder wenn die Reflexion ein bloß ohnmächtig Gegebenes oder Mitvorkommendes darstellt. Ein Zustand , der solchermaßen beschaffen ist, kann nur als amoralisch bezeichnet werden.« (Antwort auf Hiob). Im Buch Hiob wird zum ersten Mal unterschwellig eine tiefe Gotteskritik deutlich. Obwohl der Verfasser dem Jahwe-Gott keine neuen Züge verleiht, sondern einfach die des Alten Testaments plastisch herausmeißelt, wird jedem klar, dass das Wesen in der Tiefe dieses Gottes(bildes) wie ein unsicheres, eifersüchtiges, unbeherrschtes, unreif-protzendes Kind (um nicht das Wort Idiot zu gebrauchen) absolut unverantwortlich (a)giert.

Siehe auch Wikipedia , Heiligenlexikon und Kirchenlexikon

Bildquelle:
Albrecht Dürer : Der kranke Hiob wird von seiner Frau gepflegt. Altarbild, um 1504, Städelsches Kunstinstitut in Frankfurt

Inhaltsverzeichnis

Das Buch Hiob
Hiobs Frömmigkeit und Glück
Hiob bewährt sich in schwerer Prüfung
Hiob bewährt sich erneut in schwerer Prüfung
Die erste Rede des HERRN aus dem Wettersturm

Hiobs erste Antwort an den HERRN
Zweite Rede des HERRN aus dem Wettersturm
Hiobs letzte Antwort an den HERRN
Gott rechtfertigt Hiob gegenüber seinen Freunden
  Goethes Antwort auf Hiob Faust
Dostojewskis Antwort auf Hiob Die Brüder Karamasoff
Pascals Anmerkungen zu Hiob
Voltaires Anmerkungen zu Hiob
Spinozas Meinung über das Buch Hiob Theologisch-politischer Traktat
Martin Luther über das Buch Hiob
Siehe auch bei Herbert Haag zum Thema Hiob


Das Buch Hiob

1 Hiobs Frömmigkeit und Glück
1 Es war ein Mann im Lande Uz, der hieß Hiob. Der war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse.
2 Und er zeugte sieben Söhne und drei Töchter,
3 und er besaß siebentausend Schafe, dreitausend Kamele, fünfhundert Joch Rinder und fünfhundert Eselinnen und sehr viel Gesinde, und er war reicher als alle, die im Osten wohnten.
4 Und seine Söhne gingen hin und machten ein Festmahl, ein jeder in seinem Hause an seinem Tag, und sie sandten hin und luden ihre drei Schwestern ein, mit ihnen zu essen und zu trinken.
5 Und wenn die Tage des Mahles um waren, sandte Hiob hin und heiligte sie und machte sich früh am Morgen auf und opferte Brandopfer nach ihrer aller Zahl; denn Hiob dachte: Meine Söhne könnten gesündigt und Gott abgesagt haben in ihrem Herzen. So tat Hiob allezeit.

Hiob bewährt sich in schwerer Prüfung
6 Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch der Satan unter ihnen.
7 Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.
8 Der HERR sprach zum Satan: Hast du achtgehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.
9 Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Meinst du, daß Hiob Gott umsonst fürchtet?
10 Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher beschützt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Besitz hat sich ausgebreitet im Lande.
11 Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen!
12 Der HERR sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur an ihn selbst lege deine Hand nicht. Da ging der Satan hinaus von dem HERRN.
13 An dem Tage aber, da seine Söhne und Töchter aßen und Wein tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen,
14 kam ein Bote zu Hiob und sprach: Die Rinder pflügten, und die Eselinnen gingen neben ihnen auf der Weide,
15 da fielen die aus Saba ein und nahmen sie weg und erschlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts, und ich allein bin entronnen, daß ich dir's ansagte.
16 Als der noch redete, kam ein anderer und sprach: Feuer Gottes fiel vom Himmel und traf Schafe und Knechte und verzehrte sie, und ich allein bin entronnen, daß ich dir's ansagte.
17 Als der noch redete, kam einer und sprach: Die Chaldäer machten drei Abteilungen und fielen über die Kamele her und nahmen sie weg und erschlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts, und ich allein bin entronnen, daß ich dir's ansagte.
18 Als der noch redete, kam einer und sprach: Deine Söhne und Töchter aßen und tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen,
19 und siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß an die vier Ecken des Hauses; da fiel es auf die jungen Leute, daß sie starben, und ich allein bin entronnen, daß ich dir's ansagte.
20 Da stand Hiob auf und zerriß sein Kleid und schor sein Haupt und fiel auf die Erde und neigte sich tief
21 und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt! -
22 In diesem allen sündigte Hiob nicht und tat nichts Törichtes wider Gott.

2 Hiob bewährt sich erneut in schwerer Prüfung
1 Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, daß auch der Satan unter ihnen kam und vor den HERRN trat.
2 Da sprach der HERR zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.
3 Der HERR sprach zu dem Satan: Hast du acht auf meinen Knecht Hiob gehabt? Denn es ist seinesgleichen auf Erden nicht, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse und hält noch fest an seiner Frömmigkeit; du aber hast mich bewogen, ihn ohne Grund zu verderben.
4 Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Haut für Haut! und alles, was ein Mann hat, läßt er für sein Leben.
5 Aber strecke deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen!
6 Der HERR sprach zu dem Satan: Siehe da, er sei in deiner Hand, doch schone sein Leben!
7 Da ging der Satan hinaus vom Angesicht des HERRN und schlug Hiob mit bösen Geschwüren von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel.
8 Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche.
9 Und seine Frau sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sage Gott ab und stirb!
10 Er aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.

Die Antwort Gottes (Kapitel 38,1-42,17)
Die erste Rede des HERRN aus dem Wettersturm
38,1 Und der HERR antwortete Hiob aus dem Wettersturm und sprach:
2 Wer ist's, der den Ratschluss verdunkelt mit Worten ohne Verstand?
3 Gürte deine Lenden wie ein Mann! Ich will dich fragen, lehre mich!
4 Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir's, wenn du so klug bist!
5 Weißt du, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie die Richtschnur gezogen hat?

6 Worauf sind ihre Pfeiler eingesenkt, oder wer hat ihren Eckstein gelegt,
7 als mich die Morgensterne miteinander lobten und jauchzten alle Gottessöhne?
8 Wer hat das Meer mit Toren verschlossen, als es herausbrach wie aus dem Mutterschoß,
9 als ich's mit Wolken kleidete und in Dunkel einwickelte wie in Windeln,
10 als ich ihm seine Grenze bestimmte mit meinem Damm und setzte ihm Riegel und Tore
11 und sprach: »Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen!«?
12 Hast du zu deiner Zeit dem Morgen geboten und der Morgenröte ihren Ort gezeigt,
13 damit sie die Ecken der Erde fasste und die Gottlosen herausgeschüttelt würden?
14 Sie wandelt sich wie Ton unter dem Siegel und färbt sich bunt wie ein Kleid.
15 Und den Gottlosen wird ihr Licht genommen und der erhobene Arm zerbrochen werden.
16 Bist du zu den Quellen des Meeres gekommen und auf dem Grund der Tiefe gewandelt?
17 Haben sich dir des Todes Tore je aufgetan, oder hast du gesehen die Tore der Finsternis?
18 Hast du erkannt, wie breit die Erde ist? Sage an, weißt du das alles?
19 Welches ist der Weg dahin, wo das Licht wohnt, und welches ist die Stätte der Finsternis,
20 dass du sie zu ihrem Gebiet bringen könntest und kennen die Pfade zu ihrem Hause?

21 Du weißt es ja, denn zu der Zeit wurdest du geboren, und deine Tage sind sehr viel!
22 Bist du gewesen, wo der Schnee herkommt, oder hast du gesehen, wo der Hagel herkommt,
23 die ich verwahrt habe für die Zeit der Trübsal und für den Tag des Streites und Krieges?
24 Welches ist der Weg dahin, wo das Licht sich teilt und der Ostwind hinfährt über die Erde?
25 Wer hat dem Platzregen seine Bahn gebrochen und den Weg dem Blitz und Donner,[a]
26 dass es regnet aufs Land, wo niemand ist, in der Wüste, wo kein Mensch ist,
27 damit Einöde und Wildnis gesättigt werden und das Gras wächst?
28 Wer ist des Regens Vater? Wer hat die Tropfen des Taus gezeugt?
29 Aus wessen Schoß geht das Eis hervor, und wer hat den Reif unter dem Himmel gezeugt,
30 dass Wasser sich zusammenzieht wie Stein und der Wasserspiegel gefriert?
31 Kannst du die Bande des Siebengestirns zusammenbinden oder den Gürtel des Orion auflösen?
32 Kannst du die Sterne des Tierkreises aufgehen lassen zur rechten Zeit oder die Bärin samt ihren Jungen heraufführen?
33 Weißt du des Himmels Ordnungen, oder bestimmst du seine Herrschaft über die Erde?
34 Kannst du deine Stimme zu der Wolke erheben, damit dich die Menge des Wassers überströme?
35 Kannst du die Blitze aussenden, dass sie hinfahren und sprechen zu dir: »Hier sind wir«?
36 Wer gibt die Weisheit >> in das Verborgene? Wer gibt verständige Gedanken?
37 Wer ist so weise, dass er die Wolken zählen könnte? Wer kann die Wasserschläuche am Himmel ausschütten,
38 wenn der Erdboden hart wird, als sei er gegossen, und die Schollen fest aneinander kleben?
39 Kannst du der Löwin ihren Raub zu jagen geben und die jungen Löwen sättigen,
40 wenn sie sich legen in ihren Höhlen und lauern in ihrem Versteck?
41 Wer bereitet dem Raben die Speise, wenn seine Jungen zu Gott rufen und irrefliegen, weil sie nichts zu essen haben?
39,1 Weißt du die Zeit, wann die Gämsen gebären, oder hast du aufgemerkt, wann die Hirschkühe kreißen?
2 Zählst du die Monde, die sie erfüllen müssen, oder weißt du die Zeit, wann sie gebären?
3 Sie kauern sich nieder, werfen ihre Jungen und werden los ihre Wehen.
4 Ihre Jungen werden stark und groß im Freien und gehen davon und kommen nicht wieder zu ihnen.
5 Wer hat dem Wildesel die Freiheit gegeben, wer hat die Bande des Flüchtigen gelöst,
6 dem ich die Steppe zum Hause gegeben habe und die Salzwüste zur Wohnung?
7 Er verlacht das Lärmen der Stadt, die Schreie des Treibers hört er nicht;
8 er durchstreift die Berge, wo seine Weide ist, und sucht, wo es grün ist.
9 Meinst du, der Wildstier wird dir dienen wollen und wird bleiben an deiner Krippe?
10 Kannst du ihm das Seil anknüpfen, um Furchen zu machen, oder wird er hinter dir in den Tälern den Pflug ziehen?
11 Kannst du dich auf ihn verlassen, weil er so stark ist, und überlässt du ihm, was du erarbeitet hast?
12 Kannst du ihm trauen, dass er dein Korn einbringt und in deine Scheune sammelt?
13 Der Fittich der Straußin hebt sich fröhlich; aber ist's ein Gefieder, das sorgsam birgt?
14 Lässt sie doch ihre Eier auf der Erde liegen zum Ausbrüten auf dem Boden
15 und vergisst, dass ein Fuß sie zertreten und ein wildes Tier sie zerbrechen kann!
16 Sie ist so hart gegen ihre Jungen, als wären es nicht ihre; es kümmert sie nicht, dass ihre Mühe umsonst war.
17 Denn Gott hat ihr die Weisheit versagt und hat ihr keinen Verstand zugeteilt.
18 Doch wenn sie aufgescheucht wird, verlacht sie Ross und Reiter.
19 Kannst du dem Ross Kräfte geben oder seinen Hals zieren mit einer Mähne?
20 Kannst du es springen lassen wie die Heuschrecken? Schrecklich ist sein prächtiges Schnauben.
21 Es stampft auf den Boden und freut sich, mit Kraft zieht es aus, den Geharnischten entgegen.
22 Es spottet der Furcht und erschrickt nicht und flieht nicht vor dem Schwert.
23 Auf ihm klirrt der Köcher und glänzen Spieß und Lanze.
24 Mit Donnern und Tosen fliegt es über die Erde dahin und lässt sich nicht halten beim Schall der Trompete.
25 Sooft die Trompete erklingt, wiehert es »Hui!« und wittert den Kampf von ferne, das Rufen der Fürsten und Kriegsgeschrei.
26 Fliegt der Falke empor dank deiner Einsicht und breitet seine Flügel aus, dem Süden zu?
27 Fliegt der Adler auf deinen Befehl so hoch und baut sein Nest in der Höhe?
28 Auf Felsen wohnt er und nächtigt auf Zacken der Felsen und steilen Klippen.
29 Von dort schaut er aus nach Beute, und seine Augen sehen sie von ferne.
30 Seine Jungen gieren nach Blut, und wo Erschlagene liegen, da ist er.

Hiobs erste Antwort an den HERRN

40,1 Und der HERR antwortete Hiob und sprach
2 Wer mit dem Allmächtigen rechtet, kann der ihm etwas vorschreiben? Wer Gott zurechtweist, der antworte!
3 Hiob aber antwortete dem HERRN und sprach:
4 Siehe, ich bin zu gering, was soll ich antworten? Ich will meine Hand auf meinen Mund legen.
5 Einmal hab ich geredet und will nicht mehr antworten, ein zweites Mal geredet und will's nicht wieder tun.

Zweite Rede des HERRN aus dem Wettersturm
6 Und der HERR antwortete Hiob aus dem Wettersturm und sprach:
7 Gürte wie ein Mann deine Lenden! Ich will dich fragen; lehre mich!
8 Willst du mein Urteil zunichte machen und mich schuldig sprechen, dass du Recht behältst?
9 Hast du einen Arm wie Gott, und kannst du mit gleicher Stimme donnern wie er?
10 Schmücke dich mit Pracht und Hoheit; zieh Majestät und Herrlichkeit an!
11 Streu aus den Zorn deines Grimmes; schau an alle Hochmütigen und demütige sie!
12 Ja, schau alle Hochmütigen an und beuge sie und zertritt die Gottlosen in Grund und Boden!
13 Verscharre sie miteinander in der Erde, und versenke sie ins Verborgene,
14 so will auch ich dich preisen, dass dir deine rechte Hand helfen kann.
15 Siehe da den Behemot [d.i. ein Riesentier, nach der Art des Nilpferds], den ich geschaffen habe wie auch dich! Er frisst Gras wie ein Rind.
16 Siehe, welch eine Kraft ist in seinen Lenden und welch eine Stärke in den Muskeln seines Bauchs!
17 Sein Schwanz streckt sich wie eine Zeder; die Sehnen seiner Schenkel sind dicht geflochten.
18 Seine Knochen sind wie eherne Röhren, seine Gebeine wie eiserne Stäbe.
19 Er ist das erste der Werke Gottes; der ihn gemacht hat, gab ihm sein Schwert.
20 Die Berge tragen Futter für ihn, und alle wilden Tiere spielen dort.
21 Er liegt unter Lotosbüschen, im Rohr und im Schlamm verborgen.
22 Lotosbüsche bedecken ihn mit Schatten, und die Bachweiden umgeben ihn.
23 Siehe, der Strom schwillt gewaltig an: er dünkt sich sicher, auch wenn ihm der Jordan ins Maul dringt.
24 Kann man ihn fangen Auge in Auge und ihm einen Strick durch seine Nase ziehen?
25 Kannst du den Leviatan [d.i. ein Riesentier, nach der Art des Krokodils] fangen mit der Angel und seine Zunge mit einer Fangschnur fassen?
26 Kannst du ihm ein Binsenseil an die Nase legen und mit einem Haken ihm die Backen durchbohren?
27 Meinst du, er wird dich lang um Gnade bitten oder dir süße Worte geben?
28 Meinst du, er wird einen Bund mit dir schließen, dass du ihn für immer zum Knecht bekommst?
29 Kannst du mit ihm spielen wie mit einem Vogel oder ihn für deine Mädchen anbinden?
30 Meinst du, die Zunftgenossen werden um ihn feilschen und die Händler ihn verteilen?
31 Kannst du mit Spießen spicken seine Haut und mit Fischerhaken seinen Kopf?
32 Lege deine Hand an ihn! An den Kampf wirst du denken und es nicht wieder tun!
41,1 Siehe, jede Hoffnung wird an ihm zuschanden; schon wenn einer ihn sieht, stürzt er zu Boden.
2 Niemand ist so kühn, dass er ihn zu reizen wagt. - Wer ist denn, der vor mir bestehen könnte?
3 Wer kann mir entgegentreten und ich lasse ihn unversehrt? Unter dem ganzen Himmel ist keiner!
4 Ich will nicht schweigen von seinen Gliedern, wie groß, wie mächtig und wohlgeschaffen er ist.
5 Wer kann ihm den Panzer ausziehen, und wer darf es wagen, ihm zwischen die Zähne zu greifen?
6 Wer kann die Tore seines Rachens auftun? Um seine Zähne herum herrscht Schrecken.
7 Stolz stehen sie wie Reihen von Schilden, geschlossen und eng aneinander gefügt.
8 Einer reiht sich an den andern, dass nicht ein Lufthauch hindurchgeht.
9 Es haftet einer am andern, sie schließen sich zusammen und lassen sich nicht trennen.
10 Sein Niesen lässt Licht aufleuchten; seine Augen sind wie die Wimpern der Morgenröte.
11 Aus seinem Rachen fahren Fackeln, und feurige Funken schießen heraus.
12 Aus seinen Nüstern fährt Rauch wie von einem siedenden Kessel und Binsenfeuer.
13 Sein Odem ist wie lichte Lohe, und aus seinem Rachen schlagen Flammen.
14 Auf seinem Nacken wohnt die Stärke, und vor ihm her tanzt die Angst.
15 Die Wampen seines Fleisches haften an ihm, fest angegossen, ohne sich zu bewegen.
16 Sein Herz ist so hart wie ein Stein und so fest wie der untere Mühlstein.
17 Wenn er sich erhebt, so entsetzen sich die Starken, und vor Schrecken wissen sie nicht aus noch ein.
18 Trifft man ihn mit dem Schwert, so richtet es nichts aus, auch nicht Spieß, Geschoss und Speer.
19 Er achtet Eisen wie Stroh und Erz wie faules Holz.
20 Kein Pfeil wird ihn verjagen; die Schleudersteine sind ihm wie Spreu.
21 Die Keule achtet er wie einen Strohhalm; er spottet der sausenden Lanze.
22 Unter seinem Bauch sind scharfe Spitzen; er fährt wie ein Dreschschlitten über den Schlamm.
23 Er macht, dass die Tiefe brodelt wie ein Topf, und rührt das Meer um, wie man Salbe mischt.
24 Er lässt hinter sich eine leuchtende Bahn; man denkt, die Flut sei Silberhaar.
25 Auf Erden ist nicht seinesgleichen; er ist ein Geschöpf ohne Furcht.
26 Er sieht allem ins Auge, was hoch ist; er ist König über alle stolzen Tiere.

Hiobs letzte Antwort an den HERRN

42,1 Und Hiob antwortete dem HERRN und sprach:
2 Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer.
3 »Wer ist der, der den Ratschluss verhüllt mit Worten ohne Verstand?« Darum hab ich unweise geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe.
4 »So höre nun, lass mich reden; ich will dich fragen, lehre mich!«
5 Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.
6 Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche.

Gott rechtfertigt Hiob gegenüber seinen Freunden
7 Als nun der HERR diese Worte mit Hiob geredet hatte, sprach er zu Elifas von Teman: Mein Zorn ist entbrannt über dich und über deine beiden Freunde; denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob.
8 So nehmt nun sieben junge Stiere und sieben Widder und geht hin zu meinem Knecht Hiob und opfert Brandopfer für euch; aber mein Knecht Hiob soll für euch Fürbitte tun; denn [b]ihn will ich erhören, dass ich nicht töricht an euch handle. Denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob.
9 Da gingen hin Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama und taten, wie der HERR ihnen gesagt hatte. Und der HERR erhörte Hiob.
Hiobs gesegnetes Ende
10 Und der HERR wandte das Geschick Hiobs, als er für seine Freunde Fürbitte tat. Und der HERR gab Hiob doppelt so viel, wie er gehabt hatte.
11 Und es kamen zu ihm alle seine Brüder und alle seine Schwestern und alle, die ihn früher gekannt hatten, und aßen mit ihm in seinem Hause und sprachen ihm zu und trösteten ihn über alles Unglück, das der HERR über ihn hatte kommen lassen. Und ein jeder gab ihm ein Goldstück und einen goldenen Ring.
12 Und der HERR segnete Hiob fortan mehr als einst, sodass er vierzehntausend Schafe kriegte und sechstausend Kamele und tausend Joch Rinder und tausend Eselinnen.
13 Und er bekam sieben Söhne und drei Töchter
14 und nannte die erste Jemima, die zweite Kezia und die dritte Keren-Happuch [d.h. Täubchen, Zimmetblüte und Salbhörnchen].
15 Und es gab keine so schönen Frauen im ganzen Lande wie die Töchter Hiobs. Und ihr Vater gab ihnen Erbteil unter ihren Brüdern.
16 Und Hiob lebte danach hundertundvierzig Jahre und sah Kinder und Kindeskinder bis in das vierte Glied.
17 Und Hiob starb alt und lebenssatt.
Aus: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers mit Apokryphen in der revidierten Fassung von 1984
Deutsche Bibelgesellschaft

Goethes Antwort auf Hiob
Prolog im Himmel
Der Herr. Die himmlischen Heerscharen. Nachher Mephistopheles.
Die drei Erzengel treten vor.

RAPHAEL.
Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Weltgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;
Die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.


GABRIEL.
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieseshelle
Mit tiefer, schauervoller Nacht;
Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
In ewig schnellem Sphärenlauf.


MICHAEL.

Und Stürme brausen um die Wette,
Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,
Und bilden wütend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags;
Doch deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.


Zu DREI.
Der Anblick gibt den Engeln Stärke,
Da keiner dich ergründen mag,
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.


MEPHISTOPHELES.
Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen,
Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
Von Sonn' und Welten weiß ich nichts zu sagen,
Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser würd' er leben
Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennt's Vernunft und braucht's allein,
Nur tierischer als jedes Tier zu sein.
Er scheint mir, mit Verlaub von Euer Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Zikaden,
Die immer fliegt und fliegend springt
Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
Und läg' er nur noch immer in dem Grase!
In jeden Quark begräbt er seine Nase.

DER HERR.

Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer anzuklagen?
Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?


MEPHISTOPHELES.

Nein, Herr! ich find' es dort, wie immer, herzlich schlecht.
Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.


DER HERR
. Kennst du den Faust?

MEPHISTOPHELES. Den Doktor?

DER HERR. Meinen Knecht

MEPHISTOPHELES.
Fürwahr! er dient Euch auf besondre Weise.
Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise.
Ihn treibt die Gärung in die Ferne,
Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne
Und von der Erde jede höchste Lust,
Und alle Näh' und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.


DER HERR.
Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient,
So werd' ich ihn bald in die Klarheit führen.
Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
Daß Blüt' und Frucht die künft'gen Jahre zieren.


MEPHISTOPHELES.
Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren,
Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt,
Ihn meine Straße sacht zu führen!


DER HERR.
Solang' er auf der Erde lebt,
Solange sei dir's nicht verboten.
Es irrt der Mensch, solang' er strebt.


MEPHISTOPHELES.

Da dank' ich Euch; denn mit den Toten
Hab' ich mich niemals gern befangen.
Am meisten lieb' ich mir die vollen, frischen Wangen.
Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus
Mir geht es wie der Katze mit der Maus.


DER HERR.

Nun gut, es sei dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
Und führ' ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh beschämt, wenn du bekennen mußt:
Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.


MEPHISTOPHELES.

Schon gut! nur dauert es nicht lange.
Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.
Staub soll er fressen, und mit Lust,
Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

DER HERR.
Du darfst auch da nur frei erscheinen;
Ich habe deinesgleichen nie gehaßt.
Von allen Geistern, die verneinen,
Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,
Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb' ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen. -
Doch ihr, die echten Göttersöhne,
Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfass' euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken.

(Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich.)

MEPHISTOPHELES (allein.)
Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern,
Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

Aus: Johann Wolfgang Goethe, Faust . Der Tragödie erster und zweiter Teil (S.10-13)
Veröffentlicht als Diogenes Taschenbuch 20439


Dostojewskis Antwort auf Hiob (Die Brüder Karamasoff)
Ich besaß damals eine Biblische Geschichte mit schönen Bildern und mit dem Titel: «Hundertundvier heilige Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament.« Und aus diesem Buch lernte ich auch lesen. Und noch jetzt steht es hier auf meinem Bücherbrett, und ich bewahre es als kostbares Andenken auf. Aber noch bevor ich lesen gelernt hatte, noch vor meinem achten Jahr, hatte ich ein geistiges Erlebnis. Meine Mutter ging mit mir allein (ich weiß nicht, wo mein Bruder damals war) am Montag der Karwoche zur Messe in die Kirche. Der Tag war klar, und ich erinnere mich noch jetzt, als ob ich es vor mir sähe, wie der Thymianrauch aus dem Räuchergefäß leise aufstieg, von oben aber aus den schmalen Fenstern der Kuppel über uns das Licht Gottes sich in den Raum ergoß, und wie der emporsteigende Weihrauch in den Sonnenstrahlen verging. Eine heilige Empfindung durchschauerte mich und zum erstenmal nahm ich das Samenkorn des Gotteswortes bewußt in mich auf. Ein Chorknabe mit einem großen Buch trat in die Mitte der Kirche vor, und so groß war das Buch, daß er es, wie mir schien, nur mit Mühe tragen konnte. Er legte es auf das Pult, schlug es auf und fing zu lesen an, und plötzlich begriff ich etwas davon, und ich begriff zum erstenmal in meinem Leben, was in der Kirche gelesen wurde. «Es war ein Mann im Lande Uz, der war gerecht und gottesfürchtig, und er besaß großen Reichtum, soundsoviel Kamele und soundsoviele Schafe und Esel, und seine Kinder lebten in Freuden, und er liebte sie sehr und betete zu Gott für sie, denn: vielleicht sündigten sie in ihrem Frohsinn? Da trat eines Tages zusammen mit den Engeln auch der Böse vor den Thron des Herrn, und er sagte zum Herrn, er habe alles Land durchzogen, über und unter der Erde. Und Gott der Herr fragte ihn: ,Hast du auch meinen Knecht Hiob gesehen?‘ Und Gott rühmte sich vor dem Satan seines großen heiligen Dieners. Da lachte der Böse über die Worte Gottes und sprach: ,Übergib ihn mir, und du wirst sehen, daß dein Knecht murren und deinen Namen verfluchen wird.‘ Und da übergab Gott seinen Gerechten, den er so lieb hatte, dem Teufel, und der Teufel ging hin und vernichtete seine Kinder, seine Herden und seinen ganzen Reichtum wie mit einem Donnerschlage. Da zerriß Hiob seine Kleider und warf sich auf die Erde und rief: ,Nackt bin ich hervorgegangen aus meiner Mutter Leibe, nackt fahre ich wieder dahin, der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt von nun an und in Ewigkeit.“
Ihr Väter und Lehrer, verzeiht mir diese Tränen, denn meine ganze Kindheit steigt wieder vor mir auf, und ich atme wieder, wie ich damals mit meiner kleinen Kinderbrust atmete, und ich empfinde wie damals Erstaunen und Bestürzung und Freude. Und die Kamele beschäftigten meine Phantasie, und der Satan, der so zu Gott sprach, und Gott, der seinen Knecht dem Unglück preisgab, und der Knecht, der da ausrief: «Dein Name, o Herr, sei gelobt, auch wenn du mich heimsuchst!‘ und darauf der leise und süße Kirchengesang: «Erhöre mein Gebet‘, und der aufsteigende Thymianrauch aus dem Weihrauchgefäß des Priesters, und dann das Gebet auf den Knien. Seit der Zeit kann ich diese heilige Erzählung — und noch gestern las ich sie — nicht ohne Tränen lesen. Wieviel Großes, Geheimnisvolles und Unbegreifliches liegt darin! Später hörte ich stolze Worte von Spöttern und Lästerern darüber: »Wie konnte Gott seinen Lieblingsknecht der Willkür des Teufels ausliefern, ihm seine Kinder nehmen, ihn mit Krankheit und Schwären schlagen, daß er mit Scherben den Eiter aus seinen Beulen kratzen mußte, und warum das und wozu? Um sich etwa vor dem Satan rühmen zu können? Sozusagen: ,Siehst du nun, was mein Heiliger um meinetwillen zu ertragen bereit ist!‘« Aber gerade darin liegt ja das Große, daß hier ein Geheimnis waltet, — daß die vergängliche irdische Erscheinung und die ewige Wahrheit hier einander überschneiden. Wie der Schöpfer in den ersten Schöpfungstagen jeden Tag mit dem Lobe beschloß: „Und Gott sah, daß es gut war“, was er geschaffen hatte, so schaut er hier auch auf Hiob und lobt von neuem seine Schöpfung. Hiob aber dient, indem er den Herrn preist, nicht nur ihm, sondern dient damit zugleich dem Gesamtwerk des Schöpfers, von Geburt zu Geburt und in alle Ewigkeit, denn eben dazu ward er vorbestimmt. Mein Gott, was ist das für ein Buch und was sind das für Lehren! Welche Wunder enthält diese Heilige Schrift, und welch eine Kraft ist mit ihr dem Menschen gegeben! Es ist wie ein Herausmeißeln des Urbildes der Welt und des Menschen und der menschlichen Charaktere, und alles ist da mit Namen genannt und gedeutet für alle Zeiten. Und wie viele gelöste und offenbarte Geheimnisse. Und Gott richtet Hiob wieder auf, schenkt ihm wieder Reichtum, und es vergehen wieder viele Jahre, und er hat neue Kinder, andere Kinder, und er liebt sie. Mein Gott! Wie konnte er, sollte man wohl meinen, diese neuen lieben und die anderen, die ersten, vergessen? Wie konnte er, wenn er an jene ersten dachte, vollkommen glücklich sein mit den neuen, wie lieb er diese auch haben mochte? Und doch ist es möglich, ist es möglich: der alte Kummer gebt — und das ist das große Geheimnis des Menschenlebens — allmählich in eine stille, rührende Freude über; an Stelle des jungen, kochenden Blutes tritt die Ruhe des sanften, klaren Alters. Noch segne ich den täglichen Aufgang der Sonne und mein Herz jubelt ihm zu wie früher, und doch liebe ich jetzt schon mehr ihren Untergang, ihre langen, schrägen Strahlen und mit ihnen die stillen sanften, rührenden Erinnerungen, die lieben Bilder aus meinem langen und gesegneten Leben — und über alldem die friedenspendende, versöhnende, allvergebende Gerechtigkeit Gottes!
Aus: Fjodor M. Dostojewski, Die Brüder Karamasoff (S.474-476) Aus dem Russischen von E. K. Rashin. Mit einem Nachwort von Ilma Rakusa
© 1906, 1985 Piper Verlag GmbH, München (Serie Piper 402) Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Piper Verlages Gmbh, München

Pascals Anmerkungen zu Hiob
403/174 Elend
Salomo und Hiob haben das Elend des Menschen am besten erkannt und am besten darüber gesprochen, der eine war der glücklichste Mensch und der andere der unglücklichste. Der eine kannte aus Erfahrung die Eitelkeit der Freuden, der andere die Wirklichkeit der Übel. S.220

811/741 Die zwei ältesten Bücher
Die zwei ältesten Bücher der Welt sind die des Moses und des Hiob. Das eine ist jüdisch und das andere heidnisch, und sie sehen alle beide Jesus Christus als ihren gemeinsamen Mittelpunkt und ihr Ziel an, Moses, indem er die Verheißungen Gottes an Abraham, Jakob usw. sowie dessen Weissagungen anführt, und Hiob: Quis mihi det ut (»Ach, daß meine [Reden geschrieben würden! ach, daß sie in ein Buch gestellt würden!]« Hiob 19,23) usw. Scio enim quod redemptor meus vivit (»Aber ich weiß, daß mein Erlöser lebt«, Hiob 19,25) usw. S. 428
Aus: Blaise Pascal, Gedanken über die Religion und einige andere Themen. Herausgegeben von Jean-Robert Armogathe . Aus dem Französischen übersetzt von Ulrich Kunzmann
Reclams Universalbibliothek Nr. 1622 © 1997 Philipp Reclam jun., Stuttgart Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlags


Voltaires Anmerkungen zu Hiob
Guten Tag, lieber Freund Hiob, du bist eines der ältesten Originale, das uns in Büchern begegnet. Du warst kein Jude; man weiß, daß das Buch, das deinen Namen trägt, älter ist als der Pentateuch. Du wohntest an den Grenzen Chaldäas. Kommentatoren, die ihres Gewerbes wert sind, versichern, du habest an die Auferstehung geglaubt, weil du auf deinem Dunghaufen gelagert in deinem neunzehnten Kapitel gesagt hast, du werdest dich eines Tags wieder davon erheben. Ein Kranker, der auf seine Heilung hofft, erhofft darum noch keine Auferstehung. Aber ich will von anderen Sachen mit dir reden.

Gestehe nur, daß du sehr schwatzhaft warst; deine Freunde allerdings noch viel mehr als du. Man sagt, du habest 7000 Schafe, 3000 Kamele, 1000 Ochsen und 500 Eselinnen besessen. Ich will die Bilanz für dich aufmachen:

7000 Schafe zu 3 Livres 10 Sou das Stück gibt 22 500 Livre (in Tours geprägt); schreibe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ich schätze die 3000 Kamele zu 50 Talern das Stück; schreibe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3000 Ochsen können, wenn man eins ins andere rechnet, nicht angeschlagen werden unter . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Und 500 Eselinnen, zu 20 Franken die Eselin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Ganze beläuft sich auf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22 500 Livres.
450 000 Livres.
80 000 Livres.
10 000 Livres.
562 500 Livres


Ungerechnet dein Mobiliar, deine Ringe, deine Pretiosen.

Ich bin viel reicher gewesen als du; und obwohl ich einen großen Teil meines Vermögens verloren habe und krank bin wie du, habe ich doch nicht mit Gott gehadert, wie dir das deine Freunde manchmal vorzuwerfen scheinen.

An Satan will mir durchaus nicht gefallen, daß er. um dich zur Sünde zu verleiten und dir Gott aus dem Sinn zu bringen, um die Genehmigung bittet, dir dein Vermögen zu nehmen und dir die Krätze anzuhangen. In diesem Zustand halten sich die Menschen immer an die Gottheit; nur die Glücklichen vergessen sie. Satan kannte die Welt noch nicht recht; er hat sich seither besser gebildet. Wenn er jetzt einen packen will, so macht er aus ihm einen Generalsteuerpächter oder womöglich noch etwas Besseres.

Deine Frau war eine freche Person. Aber deine sogenannten Freunde Eliphas, gebürtig aus Theman in Arabien, Baldad von Suez und Sophar von Nahamath waren noch viel unausstehlicher als sie. Sie ermahnten dich zur Geduld auf eine Weise, die den Sanftmütigsten rasend machen könnte vor Ungeduld; sie halten dir lange Predigten, die noch langweiliger sind als die von dem Spitzbuben V... in Amsterdam gehaltenen.

Es ist wahr, du selbst weißt nicht recht, was du sagen willst, wenn du ausrufst: »Mein Gott, bin ich ein Meer oder ein Walfisch, daß ich von dir in einen Kerker eingeschlossen werde«? Aber deine Freunde sind im gleichen Fall, wenn sie dir antworten: »Kann auch das Schilf aufgrünen ohne Feuchtigkeit und das Gras der Wiesen wachsen ohne Wasser«? Diese Axiome sind ohne den geringsten tröstenden Wert. Sophar von Nahamath wirft dir vor, du seiest ein Schwätzer; aber keiner dieser guten Freunde leiht dir einen Taler. So hätte ich nicht an dir gehandelt. Freilich, nichts ist gewöhnlicher als Leute, die Ratschläge erteilen und nichts seltener als solche, die Hilfe leisten. Das ist was rechtes, wenn man drei Freunde hat und keinen Tropfen Fleischbrühe von ihnen bekommt, wenn man krank ist. Ich denke, als dir Gott deinen Reichtum und deine Gesundheit wieder gab, wagten diese beredten Herrschaften nicht mehr, vor dir zu erscheinen. Darum sind »Hiobsfreunde« auch sprichwörtlich geworden.

Gott war sehr unzufrieden mit ihnen und sagt ihnen in Kapitel XLII gerade ins Gesicht: sie seien langweilig und unweise; und er verurteilt sie zu einer Strafe von sieben Stieren und sieben Widdern, weil sie dummes Zeug geredet haben. Ich hätte sie verurteilt, weil sie ihrem Freund nicht geholfen haben.

Sage mir doch auch, bitte, ob es wahr ist, daß du noch 140 Jahre nach dieser Geschichte gelebt hast. Das sehe ich gerne, wenn brave Leute so lange leben; heute müssen die Leute große Spitzbuben sein; so kurzlebig sind sie.
(Von einem Kranken in Bad Aachen.)
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 40, Was sagt Voltaire? Eine Auswahl aus den Werken. Herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Dr. Paul Sakmann S.128ff.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart

Spinozas Meinung über das Buch Hiob
Über das Buch Hiob und über Hiob selbst herrscht unter den Schriftstellern große Meinungsverschiedenheit. Manche glauben, Moses habe das Buch geschrieben und die ganze Geschichte sei nur eine Parabel. Das geben einige Rabbinen im Talmud an, denen auch Maimonides in seinem Buche More Nebuchim zuneigt. Andere halten die Geschichte für wahr, und manche von ihnen glauben, Hiob habe zur Zeit Jakobs gelebt und dessen Tochter Dinah zum Weib genommen.

Ibn Esra dagegen behauptet, wie schon gesagt, in seinem Kommentar über dieses Buch, es sei aus einer anderen Sprache ins Hebräische übertragen. Ich wünschte, er hätte uns das überzeugender bewiesen, denn alsdann dürften wir daraus den Schluss ziehen, dass auch die Heiden heilige Bücher gehabt haben. Ich lasse also die Sache dahingestellt, doch vermute ich dass Hiob ein Heide von großer Charakterstärke war, dem es zuerst gut, dann sehr schlecht und schließlich wieder sehr gut erging. Denn Hesekiel erwähnt ihn Kap. 14, V. 14 neben anderen.

Dieses wechselvolle Schicksal des Hiob und seine Charakterstärke wird wohl vielen dazu Anlass gegeben haben, über Gottes Vorsehung Betrachtungen anzustellen, oder es wird doch der Autor des Buches dadurch veranlasst worden sein, den Dialog zu verfassen. Denn sein Inhalt wie sein Stil weisen nicht auf einen in der Asche sitzenden schwer Kranken, sondern auf einen Mann, der ruhig in seinem Studierzimmer nachdenkt. Hier möchte ich nun mit Ibn Esra annehmen, dass das Buch aus einer anderen Sprache übertragen ist, weil es heidnische Poesie nachzuahmen scheint. Denn der Vater der Götter beruft zweimal eine Götterversammlung, und Momos, der hier Satan heißt, spöttelt über die Worte Gottes mit der größten Freiheit usw. Doch das sind bloße Vermutungen ohne sichere Begründung. S. 175f.
Nach : Baruch de Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, PHB 93, Felix Meiner Verlag, Hamburg

Martin Luther über das Buch Hiob
Das Buch Hiob ist ein sehr gutes Buch, nicht allein für und von diesem, sondern auch allen betrübten, angefochtenen, leidenden und bekümmerten Herzen zum Trost geschrieben. Da ihn der Teufel und die Menschen hart anfochten und sich wider ihn stellten, litt ers mit Geduld und sprach: »Der Name des Herrn sei gebenedeit«, Hiob 1, 21. Da aber Gott begann mit ihm zu zürnen, ward er ungeduldig und ärgerte sich. Es verdross ihn und tat ihm wehe, dass es den Gottlosen so wohl ging. Darum soll das der armen Christen, die verfolgt werden und leiden müssen, Trost sein, nämlich dass ihnen Gott in jenem Leben so große, herrliche und ewige Güter geben will und hier auch ein Maß des Leidens gibt, wie weit und lang die Verfolger greifen sollen, nicht wie sie gerne wollten.

Hiob hat nicht also geredet, wie es in seinem Buch geschrieben steht; sondern hat's gedacht. Denn es redet sich nicht so in der Anfechtung und Versuchung; dennoch ist die Sache so geschehen.

Der hebräische Poet und Meister dieses Buchs, er sei nun gewesen, wer er wolle, hat solche Versuchungen und Anfechtungen gehabt, gesehen, erfahren und so beschrieben. Und es scheint, dass es ein großer, trefflicher Theologe gewesen sein muss, der dies Buch gemacht und geschrieben hat, er sei gewesen wer er wolle.
Aus: Martin Luther, Das Wort