Baruch
(Benedictus) Spinoza (1632 – 1677)
>>>Gott
Inhaltsverzeichnis
Die Weisheit Gottes hat in Christo
menschliche Natur angenommen
Der Mund Gottes
Der Lehrer des Sittengesetzes
Die Weisheit Gottes hat in Christo menschliche Natur
angenommen
Wir erkennen es zwar ganz klar, dass Gott sich den Menschen unmittelbar
mitteilen kann, denn ohne körperliche Hilfsmittel teilt er unserm Geiste
sein Wesen mit; wollte aber ein Mensch bloß mit dem Geiste irgendwie etwas
begreifen, das in den tiefsten Grundlagen unsrer Erkenntnis nicht enthalten
ist und nicht aus ihnen abgeleitet werden kann, so müsste sein Geist
notwendig weit vorzüglicher sein und den menschlichen Geist weit mehr überragen.
Ich glaube daher nicht, dass irgend jemand eine solche
Vollkommenheit vor den andern erreicht hat, ausgenommen Christus, dem der Heilsplan
Gottes ohne Worte und Gesichte, ganz unmittelbar offenbart worden ist, so dass Gott durch Christi Geist sich den Aposteln offenbart hätte
so wie einst dem Moses durch die Stimme aus der Luft. Darum kann die Stimme
Christi gerade so wie jene, die Moses hörte, Gottes Stimme heißen.
Und in diesem Sinne können
wir auch sagen, die Weisheit Gottes, d. h. eine Weisheit, die über alle
menschliche ist, habe in Christo menschliche Natur angenommen und Christus sei
der Weg des Heils gewesen.
Ich muß hier aber daran erinnern, dass ich keineswegs von dem rede,
was einige Kirchen von Christus lehren, und es auch nicht bestreite. Denn ich
gestehe offen, dass ich es nicht begreife. Was ich eben festgestellt habe,
entnehme ich der Schrift selber. Denn nirgends habe ich gelesen, dass Gott
dem Christus erschienen sei oder mit ihm gesprochen habe, sondern nur, dass Gott durch Christus sich den Aposteln offenbart habe, und dass dieser der
Weg des Heils sei, und endlich, dass das alte Gesetz durch einen
Engel, aber nicht unmittelbar von Gott selbst überliefert worden sei usw.
Daher, wenn Moses mit Gott von Angesicht zu Angesicht sprach, wie ein Mann mit
seinem Freunde pflegt (d. h. vermittels beider Körper),
so hat Christus mit Gott von Geist zu Geiste verkehrt.
Ich behaupte also, dass außer Christus niemand ohne Hilfe des Vorstellungsvermögens,
d. h. ohne Hilfe von Worten oder Bildern die Offenbarungen Gottes empfangen
hat, und daß zum Prophezeien nicht ein vollkommenerer Geist, sondern ein
lebhafteres Vorstellungsvermögen nötig ist . . . S.24f.
Der Mund
Gottes
Christus hat, wie wir annehmen müssen, die Dinge wahr und adäquat
begriffen, obgleich auch er Gesetze im Namen Gottes geschrieben zu haben scheint.
Denn Christus war nicht so sehr ein Prophet als vielmehr
der Mund Gottes. Gott hat nämlich durch den Geist Christi (wie
ich im 1. Kap. gezeigt) so wie einst durch die Engel, nämlich
durch eine geschaffene Stimme, durch Erscheinungen usw.der Menschheit Offenbarungen
zu teil werden lassen.
Darum wäre es ebenso unvernünftig anzunehmen, Gott habe seine Offenbarungen
den Anschauungen Christi angepaßt, wie daß er früher seine
Offenbarungen den Anschauungen der Engel, d. h. also der geschaffenen Stimme
und der Erscheinungen angepaßt habe, um sie den Propheten mitzuteilen,
die sinnloseste Annahme, die man sich denken kann, zumal da Christus. nicht
bloß zu den Juden, sondern zur Belehrung der ganzen
Menschheit gesandt war, und es darum nicht genügt hätte, wenn
sein Geist bloß den Anschauungen der Juden angepaßt gewesen wäre,
während er doch den Anschauungen und Überzeugungen, die der Menschheit
gemeinsam sind, d. h. den allgemeinen und wahren Begriffen angepaßt sein
mußte. Eben daraus, daß Gott sich Christus
unmittelbar offenbart hat und nicht durch Worte und Bilder wie den Propheten,
können wir gerade erkennen, daß Christus die offenbarten Dinge in
Wahrheit begriffen oder erkannt hat.
Denn dann wird eine Sache erkannt, wenn sie rein durch den Geist, ohne Worte
und Bilder begriffen wird. Christus hat also die offenbarten Dinge wahr und
adäquat begriffen; wenn er sie daher wirklich einmal als Gesetze vorschrieb,
so tat er es wegen der Unwissenheit und Halsstarrigkeit des Volkes. Er handelte
also darin gerade wie Gott, indem er sich dem Geist des Volkes anpasste
und deshalb, wenn er auch mit etwas größerer Klarheit als die andern
Propheten sprach, dennoch dunkel und häufiger durch Gleichnisse seine Offenbarungen
lehrte, zumal wenn er zu Leuten sprach, denen es noch nicht gegeben war, das
Himmelreich zu erkennen (s. Matthäus,
20 Kap. 13, V. 10 ff.). Solchen jedoch, denen es gegeben war,
die Geheimnisse des Himmels zu verstehen, hat er ohne Zweifel die
Dinge als ewige Wahrheiten gelehrt, aber nicht als Gesetze vorgeschrieben;
auf diese Weise befreite er sie von der Knechtschaft des Gesetzes, und nichtsdestoweniger
bestätigte und befestigte er dadurch das Gesetz noch mehr und schrieb es
tief in ihre Herzen ein. S.86f.
Der Lehrer
des Sittengesetzes
Christus ist, wie gesagt, nicht gesandt worden, um den Staat zu erhalten und
Gesetze zu geben, sondern bloß um das allgemeine Gesetz zu lehren. Hieraus
lässt sich leicht einsehen, dass Christus das mosaische Gesetz
durchaus nicht aufgehoben hat, da er überhaupt keine neuen Gesetze im Staate
hat einführen wollen.
Vielmehr war er vor allem darauf bedacht, die Sittengesetze
zu lehren und sie von den Staatsgesetzen zu unterscheiden, und zwar in
erster Linie wegen der Unwissenheit der Pharisäer, welche glaubten, nur
der lebe glückselig, der die Staatsrechte oder das mosaische Gesetz aufrecht
halte, während es sich doch, wie gesagt, nur auf den Staat bezog und nur
dazu diente, einen Zwang auf die Hebräer auszuüben, nicht sie zu belehren. S.95f.
Aus: Baruch de Spinoza, Theologisch-politischer Traktat . Übertragen und
eingeleitet nebst Anmerkungen und Registern von Carl Gebhardt
Philosophische Bibliothek Band 93, Verlag von Felix Meiner in Hamburg