Giordano (Filippo) Bruno (1548 – 1600)

  In Nola geborener italienischer Philosoph, der nach seiner Geburtsstadt auch »der Nolaner« genannt wird. Bruno verband die neuplatonische Auffassung von der Welt als unendlichem Universum mit der stoischen Naturlehre von der alles belebenden Weltseele. In seiner Schrift »Über die Ursache, das Prinzip und das Eine« gibt er seine philosophische Weltsicht in Dialogform an die Nachwelt weiter. Danach ist die Weltseele das »formale und konstitutive Prinzip «, die als »wahre Wirklichkeit« und »wahre Form aller Dinge« »überall die Herrin der Materie« ist und »in gewissen Abstufungen die gesamte Materie« erfüllt. Für einen personalen Gott bleibt in diesem Weltbild kein Raum. Gott ist für ihn übersubstanstantiell und damit schlichtweg dem philosophischen Denken entzogen. Bedeutend sind seine Lehrgedichte. Sein Denken war am scholastischen Aristotelismus und Lukrez geschult und ging von der »pythagoreischen« Lehre des Kopernikus aus. Noch an das Mittelalter gebunden, vertrat er im Rahmen des Neuplatonismus der Renaissance sein von dichterischer Anschauungskraft belebtes einheitliches pantheistisches Weltbild. Weitreichend ist die Wirkung seiner Gedanken gewesen (Herder, Goethe, Jacobi, Schelling u. a.). Leibniz übernahm von ihm den Begriff der Monade. Am 22. Mai 1592 wurde der Nolaner verhaftet. Hauptanklagepunkte waren die Ablehnung der Trinität und eines personalen Gottes. Da sich Bruno beharrlich weigerte von dieser Auffassung abzugehen, wurde er nach siebenjähriger Untersuchungshaft von der päpstlichen Inquisition am 17. 02. 1600 in Rom als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Er starb als Märtyrer für seine Überzeugung, von der er kein Jota zurücknahm. Seine letzten Worte: »Mit größerer Furcht verkündigt ihr vielleicht das Urteil gegen mich, als ich es entgegennehme«. 1889 wurde ihm als »Held der Geistesfreiheit« ein Denkmal errichtet.

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Inhaltsverzeichnis
Über die Ursache, das Prinzip und das Eine
Gott ist als erste Ursache und erstes Prinzip übersubstantiell und nicht unmittelbar erkennbar
Die Weltseele
Das Wahre, das Eine und das Sein sind ein und dasselbe
Wenn der Beweger einer ist . . .

Über die Ursache, das Prinzip und das Eine

Ursach‘, Prinzip und Eines immerdar,
Woraus Bewegung fließt und Sein und Leben,
Das weit und breit sich ausdehnt, tief und eben,
Vom Himmel und der Erd‘ zur Hölle gar.

Durch Sinne und Vernunft mir wird gewahr,
Was weder Tat, noch Maß und Zahl ergeben:
Was über alles Maß hinaus darf streben
An Masse, Kraft und Menge wunderbar.

Nicht irrer Wahn, Verlust und Mißgeschick,
Noch Neid, gemeine Selbstsucht, blindes Wüten,
Kein Starrsinn, Frevel, loser Übermut:

Nie können sie verschleiern meinen Blick,
Den Tag verdunkeln mir, den froh erblühten,
Noch löschen meiner Sonne edle Glut.

  Causa, principio, er uno sempiterno,
Onde l‘esser, la vita, il moto pende:
E a lungo, a largo, e profondo si stende
Quanto si dic‘ in ciel terr‘ er inferno,

Con senso, con raggion, con menre scerno
Ch‘atto, misura, er conro non comprende
Quel vigor, mole, e numero, che tende
Oltr‘ ogn‘ inferior, mezzo, e superno.

Cieco error, tempo avaro, ria fortuna,
Sord‘ invidia, vil rabbia, iniquo zelo,
Crudo cor, empio, ingegno, strano ardire

Non bastaranno a farmi l‘aria bruna,
Non mi porrann‘ avanti gli occhi il velo,
Non faran mai ch‘il mio bel sol non mire.

S.23 [...]

Gott ist als erste Ursache und erstes Prinzip übersubstantiell und nicht unmittelbar erkennbar

TEOFILO. Nach dem von mir Gesagten halte ich es für unzumutbar, daß der Naturphilosoph alle Ursachen und Prinzipien anführe, vielmehr kann er sich doch auf die physischen allein beschränken, und zwar auf deren wesentliche und dem Einzelfall angemessene. Wenn man auch über die Dinge, insofern sie von erstem Prinzip und erster Ursache abhängen, so spricht, daß man sagt, sie »haben« jene Ursache und jenes Prinzip, so ist dennoch die darin ausgedrückte Beziehung nicht so eng, als daß aus der Erkenntnis des einen die des anderen folgte. Daher kann man auch nicht fordern, daß beide in ein und dieselbe Wissenschaft gehören.

DICSONO. Wie nun das?

TEOFILO. Weil wir, ausgehend von der Erkenntnis aller abhängigen Dinge, bestenfalls auf die Spur der Erkenntnis des ersten Prinzips und der ersten Ursache kommen können. Entspringt doch das All Seinem Willen und Seiner Güte, die das Prinzip Seiner Tätigkeit, Seiner alles umfassenden Schöpfung, bilden. Dasselbe gilt auch für das Verständnis der Kunstwerke, insofern jemand, der eine Statue betrachtet, nicht den Bildhauer betrachtet. Wer das Bild der Helena anschaut, sieht nicht Apelles, sondern das Werk seiner Tätigkeit, das sich seinem herausragenden Genie verdankt. All dies jedoch zählt nur zu den Wirkungen der Akzidenzien und Bestimmungen der Substanz jenes Mannes, der darin seinem absoluten Wesen nach gänzlich unerkannt bleibt.

DICSONO. Die Erkenntnis des Universums bedeutet also nicht, etwas über das Wesen und die Substanz des ersten Prinzips zu wissen, sondern nur die Akzidenzien der Akzidenzien zu kennen.

TEOFILO. Gewiß! Aber ich möchte nicht, daß Ihr mich so versteht, als gäbe es Akzidenzien in Gott, oder als könne Er aufgrund Seiner Akzidenzien erkannt werden.

DICSONO. Es sei mir fern, Euch solch kurzen Verstand zu unterstellen. Weiß ich doch, daß es einen Unterschied macht, von den Dingen außerhalb der göttlichen Natur zu sagen, sie seien bloße Akzidenzien, oder sie seien Seine Akzidenzien, oder aber sie seien wie Seine Akzidenzien. Mit dieser letzten Ausdrucksweise wollt Ihr — wie ich glaube — die Wirkungen der göttlichen Tätigkeit bezeichnen, die zwar die Substanz der Dinge, ja die natürlichen Substanzen selbst sind; und dennoch sind sie nur wie die entferntesten Akzidenzien, wenn es um die angemessene Erkenntnis des übernatürlichen göttlichen Wesens geht.

TEOFILO.
Wohl gesprochen!

DICSONO. Weil also die göttliche Substanz unendlich ist und sich überaus weit entfernt von ihren Wirkungen hält, welche die äußerste Grenze unseres Erkenntnisvermögens darstellen, so können wir unmittelbar von ihr gar nichts wissen, sondern nur ihre >Spur< erkennen, wie die Platoniker sagen, ihre >entfernte Wirkung< — in den Worten der Peripatetiker, ihre >Hülle< — im Sinne der Kabbalisten, ihre >Rückansicht< — nach der Lehre der Talmudisten oder — mit den Apokalyptikern zu reden— nur ihr >Spiegelbild<, ihren >Schattenriß<, ihre Verschlüsselung im >Rätsel<.

TEOFILO.
Dies um so mehr, als wir das Universum, dessen Substanz und Prinzip so schwer zu erkennen sind, nicht einmal im ganzen anschauen, so daß wir dessen erstes Prinzip und erste Ursache aus ihrer Wirkung weit weniger ergründen können als das Wesen des Apelles, wenn wir die von ihm gemalten Figuren betrachten. Denn diese lassen sich vollständig ins Auge fassen — im Gegensatz zu der großen und unendlichen Wirkung der göttlichen Allmacht. Daher kann auch das hier benutzte Gleichnis nicht als angemessener Vergleich gewertet werden.

DICSONO. Fürwahr! Auch ich versteh‘ es so.

TEOFILO. Da wird es sich empfehlen, über ein so erhabenes Thema sich des Redens lieber zu enthalten.
S.52-53 [...]

TEOFILO. Wenn wir Gott das erste Prinzip und die erste Ursache nennen, dann verstehen wir darunter ein und dasselbe Ding, nur in verschiedenen Beziehungen; wenn wir dagegen von Prinzipien und Ursachen in der Natur sprechen, so meinen wir verschiedene Dinge in verschiedenen Beziehungen. Wir nennen Gott erstes Prinzip, insofern alle Dinge ihm nachgeordnet sind in einer bestimmten Reihenfolge des Früher oder Später gemäß der Natur, der Dauer oder der Würde. Wir bezeichnen Gott als erste Ursache, insofern alle Dinge von ihm unterschieden sind, wie die Wirkung vom Bewirkenden und das Hervorgebrachte vom Hervorbringenden. Diese beiden Beziehungen unterscheiden sich zugleich, weil nicht jedes Ding, das früher und würdiger ist, auch die Ursache dessen ist, was später und weniger würdig ist, und weil nicht jedes Ding, das Ursache ist, auch früher und würdiger ist als das, was verursacht ist — was jedem
einsichtig wird, der gründlich darüber nachdenkt.

DICSONO.
Nun erklärt, welchen Unterschied ihr zwischen Ursache und Prinzip in der Natur macht.

TEOFILO. Wiewohl gelegentlich der eine Begriff statt des anderen gebraucht wird, ist dennoch — genau genommen — nicht jedes Ding, das Prinzip ist, auch Ursache: denn der Punkt ist das Prinzip der Linie, aber nicht ihre Ursache; der Augenblick ist das Prinzip der Tätigkeit, [jedoch nicht deren Ursache]; der Zeitpunkt am Anfang der Bewegung ist das Prinzip der Bewegung, aber nicht ihre Ursache; die Voraussetzungen sind das Prinzip der Beweisführung, aber nicht deren Ursache. Daher ist >Prinzip< gegenüber >Ursache< der allgemeinere Begriff.

DICSONO. Indem Ihr also die beiden Begriffe auf bestimmte eigentliche Bedeutungen beschränkt — wie es im neueren Sprachgebrauch üblich ist —, scheint Ihr mir unter >Prinzip< dasjenige zu verstehen, das innerlich zur Erzeugung eines Dinges beiträgt und dann im Hervorgebrachten verbleibt; wie Materie und Form im Zusammengesetzten vorhanden bleiben, oder auch wie die Elemente, aus denen sich ein Ding zusammensetzt und in die es wieder zerfällt. >Ursache< hingegen nennt Ihr, was äußerlich zur Hervorbringung der Dinge beiträgt und sein Wesen außerhalb der Zusammensetzung hat; wie die Wirkursache und der Zweck, auf den das Hervorgebrachte ausgerichtet ist.

TEOFILO. Ganz richtig.

DICSONO. Nachdem wir nun den Unterschied zwischen den beiden Begriffen bestimmt haben, hätte ich gern, daß Ihr Eure Aufmerksamkeit erst den Ursachen und dann den Prinzipien zuwendet. Was nun die Ursachen betrifft, so möchte ich zunächst über die erste bewirkende Ursache belehrt werden, dann über die Formursache, die — wie Ihr sagt — mit der bewirkenden verbunden ist, und schließlich über die Zweckursache, die jene in Bewegung setzen soll.

TEOFILO. Diese von Euch vorgeschlagene Anordnung ist ganz nach meinem Sinn. Was nun die bewirkende Ursache betrifft, so behaupte ich, daß die universale physische Wirkursache der universale Intellekt ist, der als erstes und hauptsächliches Vermögen der Weltseele zugleich die universale Form des Weltalls bildet.

DICSONO. Damit scheint Ihr mir die Ansicht des Empedokles zu vertreten, aber auf eine sicherere, deutlichere und entwickeltere Weise, ja überdies auch in einem tieferen Sinne — soviel ich aus Euren Worten entnehmen kann. Erweist uns also den Gefallen und laßt Euch herbei, alles im einzelnen auszuführen und zuerst zu erklären, was es mit diesem >universalen Intellekt< auf sich hat.

TEOFILO. Der universale Intellekt ist das innerste, wirklichste, ureigene Vermögen und der potentielle Teil der Weltseele. In sich gleichbleibend, erfüllt er das All, erleuchtet das Universum und leitet die Natur an, ihre Arten hervorzubringen, so wie es ihr zukommt. Er verhält sich zur Hervorbringung der natürlichen Dinge wie unser Intellekt zur entsprechenden Hervorbringung der Erzeugnisse des Denkens. Die Pythagoreer nennen ihn >Beweger und Antreiber des Universums<, vergleichbar den Worten des Dichters, der da sagt:

totamque iufusa per artus
Mens agitat molem et toto se corpore miscet.
Vergil, Aeneis VI 726f

[alle die Glieder durchströmend,
Ganz mit dem Leibe vereint, so beweget der Geist die Materie.]

Von den Platonikern wird er >Baumeister der Welt< genannt. Dieser Baumeister, sagen sie, tritt aus der höheren Welt, die ganz und gar eine ist, in die sinnliche Welt ein, die vielfach unterteilt ist und in der nicht nur Freundschaft, sondern — wegen der Trennung der Teile — auch Zwietracht herrscht. Indem dieser Intellekt, ruhig und unbeweglich bleibend, etwas von sich in die Materie ergießt, bringt er das All hervor. Er wird von den Magiern >der fruchtbarste der Samen< — oder auch >Sämann< — genannt; befruchtet er doch die Materie mit allen Formen, die er ihrer Art und Beschaffenheit gemäß gestaltet, ausbildet und mit so vielen wunderbaren Ordnungen verwebt, wie sie weder dem Zufall zugeschrieben werden können noch einem anderen Prinzip, das nicht zu unterscheiden und zu ordnen vermöchte. Orpheus nennt ihn >Auge der Welt<, weil er alles Natürliche von innen und von außen sieht, auf daß sich alles nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich gemäß der eigenen Symmetrie entwickele und erhalte. Von Empedokles wird er >Unterscheider< genannt — in dem Sinne, daß er niemals müde wird, die im Schoß der Materie ungeschiedenen Formen zu sondern und die Entstehung des einen aus dem Zerfall des anderen zu befördern, Plotin nennt ihn >Vater und Erzeuger<, weil er die Samen auf die Gefilde der Natur ausstreut und der ursprüngliche Verteiler der Formen ist. Bei uns heißt er >der innere Künstler<, weil er die Materie von innen heraus formt und gestaltet, so wie er aus dem Innern des Samens oder der Wurzel heraus den Stamm hervor- und emportreibt, aus dem Innern des Stammes die Äste entwickelt, aus dem Innern der Äste die Zweige formt, aus diesen die Knospen sprießen läßt, hieraus — wie aus Nervenfasern — die Blätter webt, die Blüten bildet und die Früchte schafft; wie er auch zu bestimmten Zeiten seine Säfte aus den Blättern und Früchten in die Zweige zurückruft, aus den Zweigen in die Äste, aus den Ästen in den Stamm und aus dem Stamm in die Wurzel. Auf ähnliche Weise entfaltet er seine Wirkung im Körper der Tiere, zuerst von dem Samen und der Mitte des Herzens aus bis in die äußeren Glieder, und indem er von diesen her zum Herzen zurück die entwickelnden Kräfte wieder sammelt, tut er so, als wolle er die bereits ausgespannten Fäden wieder aufwickeln. Und wenn wir schon glauben, daß jenes gleichsam leblose Werk nicht ohne Sinn und Verstand erzeugt wird, das wir nach bestimmter Ordnung und durch Nachahmung auf der Oberfläche der Materie hervorzubringen vermögen, indem wir durch Schälen und Schnitzen des Holzes die Gestalt eines Pferdes erscheinen lassen: um wieviel größer müssen wir uns dann den Intellekt jenes Künstlers vorstellen, der aus dem Innern der Samenmaterie heraus die Knochenmasse fügt, die Knorpel formt, die Adern höhlt, die Poren öffnet, die Fasern webt, die Sehnen verzweigt und mit so wunderbarer Meisterschaft das Ganze ordnet? Um wieviel größer, sage ich, ist doch dieser Künstler, der nicht auf einen einzelnen Teil der Materie angewiesen ist, sondern beständig alles in allem wirkt? So gibt es drei Arten des Intellekts: den göttlichen, der alles ist; den gerade genannten weltlichen, der alles schafft; und den je besonderen, der alles wird. Denn zwischen den Extremen muß es dieses Mittlere geben, das die wahre, allen natürlichen Dingen weniger äußerliche als vielmehr innerliche Wirkursache ist. S.55-58 [...]

Die Weltseele
TEOFILO. Wenn also der Geist, die Seele und das Leben in allen Dingen vorkommen und in gewissen Abstufungen die gesamte Materie erfüllen, so sind sie zweifellos die wahre Wirklichkeit und die wahre Form aller Dinge. Die Weltseele ist mithin das formale und konstitutive Prinzip des Universums und aller Dinge, die es enthält; wenn nun das Leben sich in allen Dingen findet, dann ist die Seele die Form aller Dinge; sie ist überall die Herrin der Materie und herrscht in den zusammengesetzten Dingen; sie bewirkt die Zusammensetzungen und den Zusammenhalt der Teile. Und daher scheint es, daß der Form die Dauer nicht weniger zukommt als der Materie. Jene [Form] verstehe ich als ein und dieselbe in allen Dingen; jedoch — entsprechend der Verschiedenheit der Veranlagungen der Materie und entsprechend dem Vermögen der aktiven und passiven materiellen Prinzipien — bringt sie verschiedene Gestaltungen hervor und erzeugt unterschiedliche Fähigkeiten: einmal Leben ohne Empfindung; ein andermal Leben mit sinnlicher Wahrnehmung, doch ohne Verstand; dann wieder scheinen alle diese Fähigkeiten unterdrückt und zurückgedrängt, sei es durch Entkräftung der Materie, sei es durch einen anderen in ihr liegenden Grund.

Während so die Form ihren Ort und ihre Gestalt wechselt, kann sie doch unmöglich zunichte werden, denn die geistige Substanz ist nicht weniger beständig als die materielle. So sind es allein die äußeren Formen, die wechseln und auch vergehen, denn sie sind nicht selbst die Dinge, sondern nur an den Dingen; sie sind nicht Substanzen, sondern nur deren Akzidenzien und Bestimmungen.

POLIHIMNIO. Non entia, sed entium. [Sie sind nichts Seiendes, sondern nur an Seiendem.]

DICSONO. Gewiß; wenn von den Substanzen etwas verschwinden könnte, müßte die Welt sich entleeren

TEOFILO. Wir haben also ein ewiges, subsistierendes inneres Formprinzip, das unvergleichlich besser ist als das von den Sophisten ausgedachte, die sich nur mit den Akzidenzien befassen und die Substanz der Dinge nicht kennen: deshalb halten sie ja auch die Substanzen für vergänglich, zumal sie vornehmlich, vor allem und hauptsächlich dasjenige Substanz nennen, was sich aus der Zusammensetzung ergibt. Das ist jedoch nichts anderes als ein Akzidens, das in sich weder beständig noch wahr ist und sich in nichts auflöst. Sie meinen, der Mensch gehe in Wahrheit aus Zusammensetzung hervor, und die Seele sei in Wahrheit die Entelechie und der Aktus eines lebenden Körpers oder auch das Ergebnis einer gewissen Symmetrie des Organismus und seiner Glieder. Daher ist es kein Wunder, wenn sie so großen Schrecken vor dem Tode und der Auflösung empfinden und verbreiten, als seien sie unmittelbar vom Verlust des Daseins bedroht. Gegen solche Torheit erhebt die Natur mit lauter Stimme Einspruch, indem sie uns versichert, daß weder der Körper noch die Seele den Tod zu fürchten haben, weil sowohl die Materie wie die Form vollkommen beständige Prinzipien sind.

O du Geschlecht, verfolgt von der frostigen Furcht vor dem Tode,
Scheust du die Schatten, den Styz und den Schall leerer Namen,
Diese Mären der Dichter, Gefahren erfundener Welten?
Kann doch den Leib — hat verzehrt ihn die Flamme, hat Schwäche des Alters
Einmal ihn hingerafft — fürder Leid nicht ereilen noch treffen:
Frei ist die Seele vom Tod, wie oft sie auch wechselt ihr Haus.
Alles sich ändert, nichts je vergeht.
  O genus attonitum gelidae formidine mortis,
Quid Styga, quid tenebras et nomina vana timetis,
Materiam vatum, falsique pericula mundi?
Corpora sive rogus flamma, sec tabe vetustas
Abstulerit, mala posse pati non ulla putetis:
Morte carent animae, domibus habitaneque receptae.
Omnia mutantur, nihil interit.

Ovid, Metamorphosen XV 153-159 und 165 (als Lehre des Pythagoras vorgetragen)
S.67f [...]

Der Nolaner nimmt an, daß es ein Geist ist, der allem das Wesen gibt — von Timaios und den Pythagoreern »Geber der Formen« genannt —, daß es eine Seele oder ein Formprinzip ist, das alles schafft und formt - von ebendenselben »Quelle der Formen« genannt—, daß es eine Materie ist, aus der alles gemacht und gestaltet ist — von allen »Behältnis der Formen« genannt.

DICSONO. Diese Lehre gefällt mir sehr, zumal in ihr — wie es scheint — nichts ausgelassen wird. Müssen wir doch wahrlich, wenn wir ein ewiges und konstantes Prinzip der Materie ansetzen können, auch ein gleichartiges Formprinzip hinzunehmen. Wir sehen, daß alle Formen der Natur aus der Materie entspringen und auch wieder in sie zurückkehren; daher scheint es wirklich nichts zu geben, was beständig, dauerhaft, ewig und als Prinzip zu gelten würdig wäre, außer der Materie. Ferner wird deutlich, daß die Formen kein Sein ohne die Materie haben, in der sie entstehen und vergehen, aus deren Schoß sie hervorkommen und in den sie wieder einkehren. Daher muß die Materie — immer fruchtbar und immer sich gleichbleibend — das besondere Vorrecht haben, als einziges substantielles Prinzip zu gelten, als etwas, das immer bestehen bleibt, während alle Formen zusammen nur als verschiedene Bestimmungen der Materie aufzufassen sind, die kommen und gehen oder verschwinden und sich erneuern, weshalb es ihnen allen nicht zukommt, als Prinzip bezeichnet zu werden. Darum finden sich auch unter denjenigen, die das Wesen der Naturformen wohl durchdacht haben — soweit man dies aus Aristoteles und verwandten Denkern entnehmen kann — solche, die zuletzt die Schlußfolgerung gezogen haben, daß die Formen nur Akzidenzien und Bestimmungen der Materie sind, so daß das Vorrecht, als Aktus und Entelechie zu gelten, nur der Materie zuerkannt werden darf und nichts anderem, von dem wir in Wahrheit weder sagen können, daß es Substanz, noch, daß es Natur sei, sondern nur, daß es an der Substanz und an der Natur hervortritt. Diese selbst erklären sie zur Materie, die bei ihnen als notwendiges, ewiges und göttliches Prinzip gilt, wie bei jenem Mauren Avicebron, der sie den in allem waltenden Gott nennt.

TEOFILO. Zu diesem Irrtum wurden sie dadurch verleitet, daß ihnen keine andere als die akzidentelle Form bekannt war. Wenn auch dieser Maure von der peripatetischen Lehre, in der er aufgewachsen ist, die substantielle Form übernommen hat, so betrachtet er diese doch als etwas Vergängliches und nicht nur als etwas an der Materie Veränderliches, als etwas Erzeugtes und nicht selbst Erzeugendes, als etwas Begründetes und nicht selbst Begründendes, als etwas Hervorgetriebenes und nicht selbst Hervortreibendes; damit setzte er ihren Wert herab und hielt sie für etwas Unedles im Vergleich zu der dauerhaften, ewigen, gebärenden, mütterlichen Materie. Und so geht es gewiß allen, die das nicht erkennen, was uns bekannt ist.


DICSONO.
Das ist nun gründlich genug erörtert worden, und es ist Zeit, von dieser Abschweifung wieder zu unserem eigentlichen Thema zurückzukehren. Wir können jetzt die Materie von der Form unterscheiden, nämlich von der akzidentellen — sei sie, wie sie wolle — und von der substantiellen Form. Was noch zu untersuchen bleibt, ist ihre Natur und ihre Realität. Aber zunächst möchte ich gern wissen, ob man nicht — in Anbetracht der allumfassenden Verbindung, die diese Weltseele und universale Form mit der Materie eingeht — auch jene andere philosophische Ansicht gelten lassen kann, die Aktus und Wesen der Materie nicht voneinander trennt und diese als etwas Göttliches auffaßt und nicht als so eigenschafts- und formlos, daß sie sich nicht selbst gestalten und einkleiden könnte.

TEFIILO. Nicht ohne weiteres; denn nichts wirkt völlig auf sich selbst; vielmehr besteht immer ein gewisser Unterschied zwischen dem Wirkenden und dem Bewirkten oder demjenigen, an dem die wirkende Tätigkeit erfolgt. Daher tut man gut daran, in dem Organismus der Natur die Materie von der Seele zu unterscheiden und in dieser wieder einen Unterschied zwischen den einzelnen Arten und ihrem gemeinsamen Wesen zu machen. So lehren wir, daß in diesem Organismus dreierlei enthalten ist:

erstens der in den Dingen waltende universale Intellekt,

zweitens die belebende Seele des Ganzen und

drittens das Substrat.
S.90-92 […]

Das Wahre, das Eine und das Sein sind ein und dasselbe.
TEOFILO. Das Universum also ist Eins, unendlich und unbeweglich. Eins, sage ich, ist die absolute Möglichkeit [possibilità], Eins die Wirklichkeit [atto], Eins die Form oder die Seele, Eins die Materie oder der Körper. Eins die Ur-Sache, Eins das Wesen, Eins das Größte und Beste, das — um nicht erkannt werden zu können — Unbegrenzbare und Unbeschränkbare und insofern Unbegrenzte und Unbeschränkte und folglich Unbewegliche. Dies bewegt sich nicht räumlich, weil es nichts außer sich hat, wohin es sich begeben könnte, da es ja selbst alles ist. Es entsteht nicht, weil es kein anderes Sein gibt, das es begehren oder ersehnen könnte, denn es hat schon selbst alles Sein. Es ist unvergänglich, weil es nichts anderes gibt, in das es sich verwandeln könnte, denn es ist schon selbst alles. Es kann weder zunehmen noch abnehmen, insofern es nämlich unendlich ist und ihm daher ebensowenig etwas hinzugefügt wie etwas hinweggenommen werden kann; denn das Unendliche hat keine in bestimmtem Verhältnis zueinander stehenden Teile. Es unterliegt keinem Wechsel der Beschaffenheit, denn es gibt nichts ihm Äußerliches, dessen Einwirkung es zu erleiden hätte und von dem es irgendwie affiziert werden könnte. Da es überdies alle Gegensätze in seinem Sein zu Einheit und Harmonie verbindet und keine Neigung zu einem anderen und neuen Sein fassen kann oder zu einer anderen und neuen Seinsweise, so kann es auch weder einer Veränderung hinsichtlich irgendeiner Eigenschaft unterliegen, noch Gegensätzliches oder Verschiedenes haben, von dem es verändert würde; denn in ihm befindet sich alles miteinander im Einklang. Es ist nicht Materie, da es weder gestaltet noch gestaltbar ist, weder begrenzt ist noch begrenzbar. Es ist nicht Form, da es nichts anderes formt und gestaltet; denn es ist alles, ist das Größte, das Eine, das Universum. Es ist weder meßbar noch Maß. Es umfaßt sich nicht, da es nicht größer als es selbst ist; es wird nicht von sich umfaßt, denn es ist nicht kleiner als es selbst. Es läßt sich nicht vergleichen, denn es ist nicht eins und ein anderes, sondern ein und dasselbe.

Indem es ein und dasselbe ist, hat es nicht ein Sein und noch ein Sein, und weil es nicht ein Sein und noch ein Sein hat, hat es nicht Teile und wieder Teile, und weil es nicht Teile und wieder Teile hat, ist es nicht zusammengesetzt. Es ist Grenze auf solche Weise, daß es keine Grenze ist; es ist solchermaßen Form, daß es keine Form ist; es ist dergestalt Materie, daß es keine Materie ist, es ist derart Seele, daß es keine Seele ist; denn es ist alles ohne Unterschied, und deshalb ist es Eines: das Universum ist Eines. In ihm ist fürwahr die Höhe nicht größer als die Länge und Tiefe; daher wird es einer gewissen Ähnlichkeit wegen als Kugel bezeichnet, ohne jedoch eine Kugel zu sein.

Sind nämlich in der Kugel Länge, Breite und Tiefe dasselbe, weil sie dieselben Abmessungen haben, so sind im Universum Länge, Breite und Tiefe dasselbe, weil sie keine derartigen Abmessungen haben, sondern unendlich sind. Insofern diese weder Hälfte, Viertel noch sonst eine Maßeinheit haben, so gibt es hier überhaupt kein Maß, auch weder Bruchteile noch sonst überhaupt einen Teil, der von dem Ganzen verschieden wäre. Denn wer von einem Teil des Unendlichen sprechen will, muß denselben unendlich nennen; wenn dieser aber unendlich ist, so trifft er mit dem Ganzen in einem Sein zusammen: also ist das Universum Eines, ist unendlich und unteilbar.

Und wenn sich im Unendlichen kein Unterschied findet zwischen Teil und Ganzem sowie zwischen dem einen und dem anderen, so ist gewiß das Unendliche Eines. Innerhalb des Umfangs des Unendlichen gibt es keinen größeren und keinen kleineren Teil, denn kein noch so großer Teil wie kein noch so kleiner vermag die Größenverhältnisse des Unendlichen zu erreichen, und daher besteht in der unendlichen Dauer kein Unterschied zwischen einer Stunde und einem Tag, zwischen einem Tag und einem Jahr, zwischen einem Jahr und einem Jahrhundert, so wenig wie zwischen einem Jahrhundert und einem Augenblick; denn die Augenblicke und die Stunden haben nicht mehr Sein als die Jahrhunderte, und jene stehen in keinem geringeren Verhältnis zur Ewigkeit als diese. Desgleichen besteht im Unermeßlichen kein Unterschied zwischen einer Spanne und einem Stadion, zwischen einem Stadion [antikes Längenmaß = 192m] und einer Parasange [altes pers. Längenmaß = 5000 m] denn die Größenverhältnisse des Unermeßlichen lassen sich so wenig in Parasangen wie in Spannen ausdrücken. Deshalb ist die Zahl unendlich vieler Stunden nicht größer als die unendlich vieler Jahrhunderte, und die Menge unendlich vieler Spannen ist nicht größer als die unendlich vieler Parasangen.

An ein Größenverhältnis des Unendlichen, an eine Ähnlichkeit, eine Vereinigung oder Identität mit ihm reichst du als Mensch nicht mehr heran denn als Ameise, als Gestirn nicht mehr denn als Mensch; denn jenem Sein kommst du als Sonne oder Mond nicht näher denn als Mensch oder Ameise; und daher ist im Unendlichen dies alles ununterschieden. Was ich hier sage, meine ich auch in bezug auf alle Dinge, die ein gesondertes Dasein haben. Wenn nun all diese einzelnen Dinge im Unendlichen nicht eins und ein anderes sind, sich nicht voneinander unterscheiden und keine Arten bilden, so sind sie notwendigerweise auch ohne Zahl; also erweist sich abermals das Universum als das unbewegliche Eine.

Da dieses alles umfaßt und nicht erst ein Sein und dann ein anderes erfährt, auch weder mit ihm noch in ihm irgendeine Veränderung vorgeht, so ist es folglich alles, was es sein kann, und in ihm unterscheidet sich — wie ich neulich gesagt habe — der Aktus nicht von der Potenz. Wenn aber Potenz und Aktus nicht voneinander verschieden sind, so kann in ihm auch kein Unterschied zwischen dem Punkt, der Linie, der Fläche und dem Körper bestehen; und zwar ist die Linie dann insofern Fläche, als eine Linie, indem sie sich bewegt, Fläche sein kann, und die Fläche wird dann durch Bewegung zum Körper, insofern die Fläche sich bewegen und dadurch zum Körper werden kann. Der Punkt ist also notwendigerweise im Unendlichen nicht vom Körper unterschieden; denn der Punkt wird, indem er seinem Punkt-Sein davonläuft, zur Linie, die ihrerseits, indem sie ihrem Linie-Sein enteilt, zur Fläche wird, die dann, indem sie ihrem Fläche-Sein entflieht, zum Körper wird. Da also der Punkt das Vermögen hat, zum Körper zu werden, unterscheidet er sich dort nicht vom Körper, wo Potenz und Aktus ein und dasselbe sind. Somit ist das Unteilbare nicht vom Teilbaren verschieden, das Einfachste nicht vom Unendlichen, der Mittelpunkt nicht vom Umkreis.

Weil also das Unendliche alles ist, was es sein kann, ist es unbeweglich; weil in ihm alles gleich ist, ist es Eines; und weil es alle Größe und Vollkommenheit besitzt, die sich überhaupt erreichen lassen, ist es als Unermeßliches das Größte und Beste.

Wenn sich nun der Punkt nicht vom Körper unterscheidet, der Mittelpunkt nicht von der Peripherie, das Endliche nicht vom Unendlichen, das Größte nicht vom Kleinsten, so können wir mit Gewißheit behaupten, daß das Universum ganz Mittelpunkt ist, oder daß der Mittelpunkt des Universums überall ist, und daß seine Peripherie, insofern sie sich vom Mittelpunkt unterscheidet, in keinem bestimmten Teil, sondern überall ist; ein Mittelpunkt nämlich, der von jener [Peripherie] verschieden wäre, findet sich nicht. Seht also, wie es nicht unmöglich, vielmehr sogar notwendig ist, daß das Beste, Größte, Unbegreifliche alles ist, überall ist und in allem ist, denn als Einfaches und Unteilbares kann es alles, überall und in allem sein. Und so ist es nicht aus der Luft gegriffen, wenn man gesagt hat, daß Jupiter alles Seiende erfüllt, in allen Teilen des Universums wohnt und der Mittelpunkt von allem ist, was Sein hat, als das Eine in allem und als der, durch den alles Eines ist. Indem er alles ist und alles Sein in sich faßt, bewirkt er, daß ein jegliches Ding in jeglichem Ding ist.

Aber Ihr könntet nun fragen, warum die Dinge sich verändern, warum die Einzelmaterie unter dem Zwang steht, die Form zu wechseln. Darauf würde ich antworten, daß jegliche Veränderung nicht ein anderes Sein erstrebt, sondern nur eine andere Seinsweise. Und darin liegt der Unterschied zwischen dem Universum und den Dingen im Universum, daß jenes das ganze Sein und alle Seinsweisen umfaßt, während von diesen jedes das ganze Sein hat, aber nicht alle Seinsweisen; es kann nämlich nicht alle Eigenschaften und Akzidenzien in Wirklichkeit [attualmente] haben, denn viele Formen desselben Substrats sind miteinander unverträglich, weil sie entweder entgegengesetzt sind oder verschiedenen Arten zugehören, wie zum Beispiel dasselbe individuelle Substrat nicht zugleich den Akzidenzien des Pferdes und des Menschen zugrundeliegen kann, so wenig wie den Gestalten einer Pflanze und eines Tieres.

Jenes [Universum] umfaßt alles Sein ganz, denn außerhalb oder jenseits des unendlichen Seins ist überhaupt nichts, da es kein Außerhalb und kein Jenseits hat, während von diesem [Einzelseienden] ein jegliches zwar das ganze Sein umfaßt, aber nicht vollständig, denn über jedes einzelne hinaus gibt es unendlich viele andere. Ihr versteht also, wie Alles in Allem ist, aber nicht vollständig und auf jegliche Weise in jedem einzelnen; und ihr versteht, wie jedes ein Seiendes ist, aber nicht auf dieselbe Weise. Darum geht nicht fehl, wer behauptet, das Sein, die Substanz und das Wesen seien Eines; insofern dieses unendlich und unbegrenzt ist, sowohl der Substanz und der Dauer wie der Größe und der Kraft nach, ist es hinsichtlich seines Wesens weder selbst Prinzip noch ein aus dem Prinzip Abgeleiteter; denn da alles Seiende in Einheit und Identität, das heißt in dasselbe Sein einmündet, erhält es die Qualität des Absoluten, nicht die des Relativen.

In dem einen Unendlichen und Unbeweglichen, das die Substanz oder das Sein ist, findet sich die Vielheit oder die Zahl; obgleich sie der Modus der Vielgestaltigkeit des Seins ist, welche Ding für Ding einzeln bezeichnet, macht sie das Sein nicht zu mehr als Einem, sondern nur zu einem Vielfältigen, Vielförmigen und Vielgestaltigen. Wenn wir also Naturphilosophen gründlich darüber nachdenken und die Logiker ihren Einbildungen überlassen, so finden wir, daß alles, was Unterschied und Zahl ausmacht, bloßes Akzidens, bloße Gestalt und bloße Beschaffenheit ist. Jede Hervorbringung, von welcher Art sie auch sei, ist eine Veränderung, während die Substanz immer dieselbe bleibt, weil sie nur Eine ist: das eine unsterbliche göttliche Wesen. Dies war Pythagoras fähig zu verstehen, der, statt den Tod zu fürchten, eine Verwandlung erwartet; dies zu verstehen, waren auch alle Philosophen imstande, die gemeinhin Naturphilosophen heißen und die gelehrt haben, daß der Substanz nach nichts entsteht oder vergeht, wenn man nicht auf diese Weise nur die Veränderung bezeichnen will. Ebenso hat dies Salomo verstanden, der da sagt, es gebe nichts Neues unter der Sonne, sondern das, was ist, sei schon vorher gewesen. Da seht Ihr also, wie alle Dinge im Universum sind und wie das Universum in allen Dingen ist, wir in ihm und es in uns, und so alles in eine vollkommene Einheit einmündet. Daher braucht sich unser Geist nicht zu beunruhigen, wie wir auch wegen nichts zu verzagen brauchen; denn diese Einheit ist einzig und beständig und dauert immerfort; dieses Eine ist ewig. Jedes Gesicht, jedes Äußere wie auch alles andere ist eitel und gleichsam nichts, ja alles ist nichts außer diesem Einen.

Jene Philosophen haben ihre Freundin — die Weisheit — gefunden, die diese Einheit erkannt haben; denn völlig dasselbe sind Weisheit, Wahrheit und Einheit. Das haben alle zu sagen vermocht, daß das Wahre, das Eine und das Sein ein und dasselbe sind, aber nicht alle haben dies auch verstanden, denn etliche haben nur die Worte übernommen, ohne damit — wie wahre Weise — ihren Sinn zu begreifen. Aristoteles unter anderen, dem das Eine verborgen blieb, hat auch das Sein und das Wahre nicht erkannt, denn er wußte nicht, daß das Sein Eines ist; und obwohl es ihm freistand, das Sein als ein Gemeinsames von Substanz und Akzidens aufzufassen und im weiteren seine Kategorien entsprechend der Vielheit der Gattungen und Arten durch ebenso viele Unterscheidungen gegeneinander abzusetzen, hat er es doch versäumt, tiefer in die Wahrheit einzudringen, weil er nicht bis zur Erkenntnis dieser Einheit und Unterschiedslosigkeit der unvergänglichen Natur oder des ewigen Seins gelangt ist, sondern wie ein platter Sophist mit böswilligen Auslegungen und windigen Überredungskünsten die Lehren der Alten verdreht und sich der Wahrheit widersetzt hat, wohl nicht so sehr aus Mangel an Verstand, als vielmehr aus Mißgunst und Ehrgeiz.

DICSONO. Also ist diese Welt, dieses Sein, dieses Wahre, dieses Universum, dieses Unendliche und Unermeßliche in jedem seiner Teile ganz, so daß es das ubique [überall, die Allgegenwart] selbst ist. Was daher im Universum ist, ist hinsichtlich des Universums nach dem Maße seiner Fähigkeit überall, sei es auch in bezug auf die übrigen Einzeldinge, was es wolle; denn es ist über, unter, innerhalb, rechts, links und überhaupt an jeder Stelle des Raumes, weil im Unendlichen als Ganzem all diese Unterschiede sind wie auch keiner von ihnen. Was wir auch im Weltall betrachten: es enthält, was Alles in Allem ist, und umfaßt daher auf seine Weise die ganze Weltseele, wenn auch — wie schon gesagt — nicht vollständig, so doch als eine solche, die ganz in jedem beliebigen Teil des Universums ist. Da der Aktus einer ist und überall ein Sein bewirkt, so darf man annehmen, daß es in der Welt eine Vielheit von Substanzen und von dem gebe, was wahrhaft das Sein bildet. Darüber hinaus seht Ihr es — wie ich weiß — als unzweifelhaft an, daß jeder einzelne dieser unzähligen Weltkörper, die wir im Universum erblicken, darin nicht wie in einem ihn umschließenden Raum oder Zwischenraum an bestimmter Stelle schwebt, sondern wie in einem [alles] Umfassenden, Erhaltenden, Bewegenden und Schaffenden, welches von jedem dieser Weltkörper ebenso ganz umfaßt wird wie die Weltseele von jedem seiner Teile. Wenn also ein einzelner Weltkörper — wie die Erde — sich auf einen anderen — wie die Sonne — zubewegt und ihn umkreist, so bewegt sich doch in bezug auf das Universum keiner auf dasselbe zu, noch um dasselbe, sondern, in demselben.

Außerdem lehrt Ihr, daß — wie die Weltseele auch nach allgemein vertretener Auffassung in der gesamten großen Masse enthalten ist, der sie das Sein gibt, und doch zugleich unteilbar bleibt und insofern auf dieselbe Weise im Ganzen und in jedem beliebigen Teil ganz ist — so auch das Wesen des Universums Eines im Unendlichen ist und in jedem Ding, sofern man es als Glied von jenem betrachtet, so daß in der Tat das Ganze und alle seine Teile der Substanz nach Eines sind; daher habe es Parmenides nicht unpassend das Eine, Unendliche und Unbewegliche genannt, sei es auch sonst mit seiner Lehre, wie es wolle, da sie aufgrund einer nicht allzu getreuen Überlieferung ungewiß ist. ihr sagt, daß die Unterschiede, die man an den Körpern hinsichtlich ihrer Form, Beschaffenheit, Gestalt, Farbe und ihren sonstigen besonderen sowie gemeinsamen Eigenschaften wahrnimmt, nichts anderes sind als das wechselnde Antlitz ein und derselben Substanz: ein unstetes, bewegliches und vergängliches Antlitz des einen unbeweglichen, beständigen und ewigen Seins, in dem alle Formen, Gestalten und Glieder sind, aber noch ungeschieden und gleichsam zusammengeballt wie im Samen, in dem die Hand nicht vom Arm, der Kopf nicht von der Brust und die Sehne nicht vom Knochen geschieden ist. Diese Scheidung und Entwirrung erschafft jedoch keine andere, neue Substanz, sondern bewirkt die Verwirklichung und Vollendung bestimmter Eigenschaften, Unterschiede, Akzidenzien und Abstufungen jener einen Substanz. S.130-137
Aus: Giordano Bruno, Über die Ursache, das Prinzip und das Eine. Übersetzung und Anmerkungen von Philipp Rippel, Zeittafel, Literaturhinweise und Nachwort von Alfred Schmidt
Reclams Universalbibliothek Nr. 5113 (C)1986 Philipp Reclam jun., StuttgartVeröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlags

Wenn der Beweger einer ist . . .
Aus der Einheit ihres Bewegers folgt grundsätzlich die Einheit der Welt. — Niemand bestreitet, daß die Kreisbewegung wahrhaft eine ist, gleichförmig und ohne Anfang und Ende. Wenn sie eine ist, so ist sie eine Wirkung, welche nur von einer Ursache her sein kann. Wenn also der erste Himmel einer ist, unter dem alle die Untergeordneten sind, die zu einer Ordnung zusammenwirken, muß der Beweger und Herrscher ein einziger sein. Da dieser unstofflich ist, ist er nicht zahlenmäßig vermehrbar aufgrund dieses Stoffes. Wenn der Beweger einer ist, und wenn durch einen Beweger nur eine Bewegung und diese (sie sei zusammengesetzt oder nicht) nicht anders als in einem Bewegbaren ist, es sei einfach oder zusammengesetzt, dann bleibt nur noch, daß das bewegbare Universum eines ist. Mithin gibt es nicht mehr als eine Welt. (S. 156-157)
Aus: Giordano Bruno, Über das Unendliche, das Universum und die Welten Aus dem Italienischen übersetzt und herausgegeben von Christiane Schultz
Reclams Universalbibliothek Nr. 5114 . © 1994 Philipp Reclam jun., Stuttgart Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlags