Heinz Friedrich Bernhard Zahrnt (1915 - 2003)
Deutscher Theologe und Schriftsteller, der in Kiel, Marburg und Tübingen Theologie, Philosophie und Geschichte studiert hat. Zahrnt war evangelischer Pfarrer und von 1950 bis 1975 Chefredakteur des »Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts« in Hamburg. Er ist Autor von zahlreichen engagierten theologischen Werken, in denen er den verborgenen, aber äußerst lebendigen Gott einer breiteren Öffentlichkeit wieder näher bringen wollte. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Der Name Gottes , Die Bibel ,
Gott hat die Naturgesetze gesetzt, nach denen die Welt geschaffen und erhalten wird ,
Die Vernunft ist dafür da, damit der Mensch sie gebraucht ,
Gott ist immer da , Ursache des Leids in der Welt , Vatergott ,
Christus
Der
Name Gottes
Sollte ich versuchen, den Namen Gottes zu umschreiben, das heißt in lauter Bildern »um ihn herum zu schreiben«, so würde ich formulieren:
»Gott« ist
der Name dafür, dass das Ja vor dem Nein in der Welt ist, und dass
das Ja mächtiger ist als alles Nein;
»Gott« ist der
Grund dafür, dass ich Vertrauen haben kann, obwohl ich mir selbst
nicht traue;
»Gott« repräsentiert
das »Mehr«, das ich selbst nicht zu
leisten vermag, das mir aber erstaunlicherweise zugefügt wird und das mich
mein Leben ertragen, bisweilen sogar gelingen läßt;
»Gott« ist die
Gewähr, dass die Welt niemals abgeschlossen und der Mensch in ihr
eingeschlossen ist, sondern dass die Welt offen bleibt und der Mensch in
ihr ein offenes Wesen. Weil Gott ist, kann der Mensch bleiben.
Ob Gott oben in der Höhe
oder unten in der Tiefe gesucht wird, ob er aus der
Vergangenheit oder aus der Zukunft in die Gegenwart kommt, ob er »ist«,
»wird« oder »geschieht«, ob er diesseitig oder
jenseitig gedacht wird, transzendent oder immanent, als Person oder Prinzip: Theismus oder Pantheismus,
Monotheismus oder
Polytheismus — Gott steht in jedem Fall
am Anfang, unbegründet und darum unergründlich. Gott hat seinen Grund in sich selbst: Gott kommt von Gott.
S.48-49
Wer erfahren will, was der Name »Gott« im Christentum besagt, muß sich an die Geschichte halten, in der
Gott selbst sich nach christlichem Glauben einen Namen gegeben hat. Dem
einmaligen zeitlichen Vorrang kommt ein dauernder authentischer Vorrang zu.
Der geschichtliche Ursprung der Wahrheit wird zur bleibenden
Quelle, aus der alle nachkommenden Generationen schöpfen. Aus diesem
Grund bleibt auch für jede zeitgerechte Erfahrungstheologie die biblische
Botschaft Ursprung und Anhalt der Gotteserfahrung. Wo
die Bibel nicht im Schwange geht, dort gerät der Glaube ins Schwanken.
S.65
Aus: Heinz Zahrnt, Glauben unter leerem Himmel. Ein Lebensbuch, Serie Piper
SP 3502, © 2000 Piper Verlag GmbH, München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Dorothee Zahrnt
Die
Bibel
Die Bibel ist nicht die Urkunde der Offenbarung
Gottes selbst, sondern die
Urkunde des Glaubens von Menschen an Gottes Offenbarung.
Was Martin Luther vom Psalter gesagt hat: »Da siehest du allen Gläubigen ins Herz«, das gilt auch
für die Bibel insgesamt. In ihren Zeugnissen hat sich niedergeschlagen,
was Menschen als Einzelne oder in Gemeinschaft — als Sippe, Kultverband,
Volk oder Kirche — mit Gott erfahren haben, voran der Eine, den die Kirche
als den Christus Gottes bekennt.
Gott im Gedächtnis des Glaubens, memoria Dei
in memorabilibus hominum, Bruchstücke einer großen Konfession, Zeugnisse einer maßlosen, niemals gestillten Suche
nach Sinn – das ist die Bibel. S.66-67
Aus: Heinz Zahrnt, Glauben unter leerem Himmel. Ein Lebensbuch, Serie Piper
SP 3502, © 2000 Piper Verlag GmbH, München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Dorothee Zahrnt
Nicht, daß der Gott der Bibel, wie etwa Odysseus, Hamlet oder Faust, eine erdichtete
Figur wäre oder sich erst allmählich entfaltete — Gott
ist von Ewigkeit her
seiner selbst voll bewußt da. Aber er »zwingt« den
Menschen nicht, sondern »zieht« ihn, so daß eine wechselseitige
Beziehung entsteht und Gott sich für den Menschen wandelt.
Auf diese Weise ergibt sich, in einer unauflöslichen
Verflechtung von göttlicher Reflektion und menschlicher Projektion, der
Lebenslauf Gottes in der Weltgeschichte— und dies keineswegs nur in einem ständigen Aufstieg zu immer höherer
Vollkommenheit, sondern in stetem Auf und Ab und mit immer offenem Ausgang.
S.14
Aus: Heinz Zahrnt, Das Leben Gottes. Us einer unendlichen Geschichte, Serie
Piper SP 2953, © 1997 Piper Verlag GmbH, München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Dorothee Zahrnt
Gott
hat die Naturgesetze gesetzt, nach denen die Welt geschaffen und erhalten wird
Das Buch Hiob mahnt uns, daß es keinen theologischen Universalschlüssel gibt, weder für die Erkenntnis Gottes noch zur Erschließung
der Welt.
Wir können den Lauf der Welt nicht mit göttlichen Eingriffen von oben
und außen erklären. Gott zerreißt nicht ständig den Kausalzusammenhang
der Natur und Geschichte, sondern schafft und erhält die Welt, indem er
die »Naturgesetze« wahrt und sich den Fortgang der Geschichte aus
sich selbst ergeben läßt:
»Gott
macht, daß die Dinge sich selber machen.«
(Teilhard
de Chardin)
Das verbürgt die Freiheit des Menschen und die Offenheit
der Geschichte. Der Lauf der Welt ist nicht von
Ewigkeit zu Ewigkeit festgelegt; Sinn und Ordnung
stehen nicht von vornherein fest. Vielmehr würdigt Gott den Menschen,
bei der Ordnung und Deutung der Welt mitzuwirken und mit
ihm zusammen den Sinn zu entwerfen und die Ordnung zu schaffen. Dabei
funktioniert der Mensch nicht wie eine Puppe im Marionettentheater,
bei dem Gott, verborgen hinter
dem Vorhang, die Fäden zieht, sondern er gleicht einem Schauspieler auf
der Bühne, der seine Rolle frei gestaltet — wie in einem Stegreifspiel.
Es ist nicht Gottes Sache, sondern Aufgabe,
Lust und Last des Menschen, sich zwischen den jeweils möglichen
Lösungen zu entscheiden, das Böse zu verwerfen
und das Gute zu wählen. Wo es aber geschieht, dort ist es nach seinem
Willen und geschieht in seiner heilsamen Gegenwart.
Göttliche Vorsehung und menschlicher Vorsatz lassen
sich nicht prozentual gegeneinander aufrechnen. Es steht in diesem Augenblick — auch bei
Gott — noch nicht fest, wann und woran wir einmal sterben werden:
ob und zu welchem Zeitpunkt sich in unserem Körper die »natürlichen« Voraussetzungen für die Entstehung
einer bösartigen Geschwulst oder für die Herbeiführung eines
Herzinfarkts gebildet haben, oder ob es durch einen Verkehrsunfall zu Lande,
zu Wasser oder in der Luft geschehen wird. S.64-65
Aus: Heinz Zahrnt, Wie kann Gott das zulassen? Hiob- der Mensch im Leid, Serie
Piper SP 453, © 1985 Piper Verlag GmbH, München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Dorothee Zahrnt
Die
Vernunft ist dafür da, damit der Mensch sie gebraucht
Gott ist weder ein Garant
der Moral noch die Religion Lieferantin einer Weltanschauung. Vielmehr
sind Moral und Weltanschauung eine Sache der Rationalität des Menschen,
und damit ein Erweis seines Erwachsenseins. Beseelt von dem Wunsch, zu sein
und zu bleiben, und konfrontiert mit einer widerspenstigen Wirklichkeit, muß
der Mensch seine Vernunft gebrauchen, um die Welt zu erforschen, ihren Gang
zu erklären und das Richtige zu ihrer Erhaltung und Ordnung zutun.
Dabei kann sich der Glaubende nicht unmittelbar auf göttliche
Beglaubigungen berufen und einfach beteuern: »Das
ist Gottes Wille und Tat«. S.67
Aus: Heinz Zahrnt, Wie kann Gott das zulassen? Hiob- der Mensch im Leid, Serie
Piper SP 453, © 1985 Piper Verlag GmbH, München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Dorothee Zahrnt
Gott
ist immer da
Ob anwesend oder abwesend, ob verborgen oder offenbar — Gott ist immer da, aber
er ist nicht immer gleichermaßen für uns da. Es muß
immer auch damit gerechnet werden, daß Gott selbst sich tiefer in seine
Verborgenheit zurückzieht und wir deshalb dann in einer Gottesferne, ja
in einer Gottesfinsternis leben. Gott zeigt sich ja nicht immer in der gleichen
Weise; er ist nicht immer gleich gegenwärtig, und
schon gar nicht ist er jederzeit für uns verfügbar. Wir haben
wohl seine Verheißungen, aber wir haben keine Garantien. Darum gibt es
schon in der Bibel unterschiedliche Zeiten in der Geschichte
Gottes mit den Menschen: Zeiten, über denen steht: »Siehe
jetzt!«, und Zeiten, über denen steht: »Siehe, jetzt nicht!« S.70-71
Aus: Heinz Zahrnt, Wie kann Gott das zulassen? Hiob - der Mensch im Leid, Serie
Piper SP 453, © 1985 Piper Verlag GmbH, München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Dorothee Zahrnt
Ursache
des Leids in der Welt
Nach der Ursache des Leids gefragt, komme ich, so gern ich es auch möchte,
nicht darum herum, Gott damit in Zusammenhang zu bringen. Das biblische Zeugnis
ist hier eindeutig:
Amos: »Ist etwa ein
Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tut?« (3,6)
Klagelieder Jeremiae: »Wer
darf denn sagen, daß solches geschieht ohne des Herrn Befehl und daß
nicht Böses und Gutes kommt aus dem Munde des Allerhöchsten?« (3,37 f.)
Deuterojesaja: »Ich
bin der Herr, und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die
Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der Herr, der dies
alles tut.« (45,6f.)
Es gibt in der Welt keine von Gott
freien Räume und Zeiten. Was auch immer geschieht, Gott
hat damit zu tun — aber Wie und in welcher
Weise?
Wo das Frageinteresse sich auf die Ursache richtet, aber noch eine andere Blickrichtung
in der Bibel, wenn es um die Frage nach dem Leid geht. Diese ist schon vorbereitet
in der Prophetie des Alten Testaments und endgültig offenbar geworden im
Evangelium Jesu. Da werden die Köpfe der Menschen herumgerissen: »So sehet auf und erhebet eure Häupter, weil sich eure Erlösung
naht!« (Lukas 21,28) Hier wird nicht kausal und daher ergeben nach
der Herkunft, sondern final und daher zuversichtlich nach
dem Ende des Leids in der Welt gefragt, und entsprechend richtet sich der Blick
nach vorn, in Richtung Zukunft.
Die Antwort des Evangeliums Jesu auf die Frage
nach dem Leid der Welt lautet: Gott geht
geradewegs auf das Leid zu. Die Liebe Gottes im endgültigen Angriff auf
das Böse und damit auch auf alle Leiden und Übel in der Welt, von
der Schuld bis zum Hunger, von der Angst bis zur Armut, vom Unrecht bis zum
Unglück — das macht den Sinn und Inhalt des Evangeliums Jesu aus. Der Lärm der Weltgeschichte klingt in das Lachen der Erlösten
aus.
Diese eindeutige Tendenz des Evangeliums Jesu verbietet es, sich lange bei der
Frage nach der Herkunft des Leids aufzuhalten und darüber zu grübeln: »Post Christum natum« — nach Christi Geburt —
seit Gottes Heil für uns geschah, wird jede nur denkbare Antwort auf die
Frage nach der Herkunft des Leids in der Welt überholt von der Auskunft,
daß Gott bei den Menschen
in ihren Leiden steht und es zum Guten wenden will. S.84-85
Aus: Heinz Zahrnt, Wie kann Gott das zulassen? Hiob - der Mensch im Leid, Serie
Piper SP 453, © 1985 Piper Verlag GmbH, München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Dorothee Zahrnt
Vatergott
Jesus verkündigt nicht einen neuen
Gott, sondern den
Gott seiner Väter, wie er ihm in seiner
Bibel begegnet ist, aber er verkündigt ihn anders
und neu. Zwei Symbole stehen für ihn ranggleich nebeneinander, Er
nennt Gott »Vater«
und spricht vom Kommen des Reiches Gottes. Beide Schlüsselwörter beschreiben übereinstimmend den Kern seiner
Verkündigung: die Zusage der unmittelbaren Nähe Gottes.
Der Name »Vater« ist für Jesus
der vertrauteste, alles umfassende Ausdruck seiner
eigenen Gotteserfahrung. Auch in der hebräischen Bibel wird Gott
»Vater« genannt; für
die Frömmigkeit des zeitgenössischen Judentums
war jedoch nicht Gottes Nähe, sondern seine
Ferne kennzeichnend. Jesus spricht dagegen
unbefangen von Gott und redet ihn vertrauensvoll
mit »Abba« an. Das aramäische
Wort »Abba« stammt nicht aus der Kultsprache
des Tempels oder der Synagoge, sondern weist in die Alltagssphäre des Hauses
und der Familie. Es ist ein familiäres, fast unehrerbietiges Wort.
Damit wird das Gottesverhältnis entscheidend als Liebe und Vertrauen charakterisiert.
Zugleich aber warnt Jesus vor aller biederen »Vertraulichkeit«. Was er über Gott als Vater sagt, übersteigt alle irdische Vaterschaft,
überhaupt alle menschliche Art. Jegliche Analogie streng abweisend, sagt
er: »Ihr sollt niemanden unter euch >Vater< nennen auf Erden, denn nur einer ist euer Vater: der im Himmel ist.«
Daß Gott »Vater« genannt wird, umschließt alles, was überhaupt
von Gott an Gutem gesagt werden kann. Es beansprucht
die Erfüllung alles dessen zu sein, was Menschen je von
Gott geglaubt und für die Menschheit erhofft haben.
S.218-219
Aus: Heinz Zahrnt, Das Leben Gottes. Aus einer unendlichen Geschichte, Serie
Piper SP 2953, © 1997 Piper Verlag GmbH, München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Dorothee Zahrnt