Franz Camille Overbeck (1837 - 1905)
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Schweizerischer
evangelischer Theologe, der eng befreundet mit Friedrich
Nietzsche war. Beeinflusst von Nietzsche und Arthur
Schopenhauer, stand er dem Christentum,
besonders in seiner vielfältigen Verflechtung mit der Kultur, zunehmend
kritisch gegenüber. Die einzig sinnvolle Frucht des Christentums sei
die eschatologische Predigt Jesu und das ihr folgende Mönchtum gewesen.
Mit dem Eingang in die Kultur habe es dann sein wahres Wesen verleugnet. Seiner
kritischen Arbeit verdankt die (von ihm negativ beurteilte) theologische Wissenschaft wesentliche Beiträge zur »literarischen« Behandlung biblischer und altkirchlicher Texte. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Die
Frage nach Gottes Dasein
Mit der Frage nach Gottes Dasein ist noch nicht zugleich
die Notwendigkeit ihrer Lösung anerkannt und bewiesen, geschweige denn
irgendeine Beantwortung derselben. — Das Dasein Gottes aus den
durch die Negation in menschlichen Gemütern erregten Empfindungen zu folgern,
daran können nur Theologen denken. Denn Religionsstifter folgern nicht.
Sie sind wenigstens, tun sie es, einfachen Betrügern gleich zu achten.
Theologen aber sind aus anderen Gründen nicht ernst zu nehmen. Die
beste Schule, um an dem Dasein eines Gottes als Weltlenker zu zweifeln, ist
die Kirchengeschichte, vorausgesetzt, diese sei die Geschichte der von
Gott in die Welt gesetzten Religion des Christentums, und es werde demnach angenommen,
er habe ihre Geschichte gelenkt. Augenscheinlich hat er dies nicht getan, in
der Kirchengeschichte ist nichts wunderbar, in ihr erscheint das Christentum
der Welt so unbedingt preisgegeben wie nur irgendein anderes Ding, das in ihr
lebt.
Sofern dem Christentum auf dem Gebiet des geschichtlichen Lebens auch nicht
eine der Korruptionen und Verirrungen erspart geblieben ist, denen die Dinge
unterworfen sind, hält die Kirchengeschichte keine Vorstellung ferner als
die eines besonderen, über der Kirche waltenden Schutzes. Gegen
die Kirchengeschichte ist also das Dasein Gottes nur zu behaupten bei der Annahme,
Gott habe seine Hand vom Christentum in seinem geschichtlichen Dasein abgezogen. Eine Annahme, die noch nichts die Gott oder dem was wir Menschen so nennen schuldige
Ehrfurcht Verletzendes zu haben brauchte. Denn sie schließt nur eine menschliche
Beobachtung eines menschlicher Erfahrung unterliegenden Hergangs ein, noch nicht
das geringste Urteil über ein daraus erschlossenes
Verhalten Gottes. Wenn wir Menschen schon uns die Meinung
anmaßen, etwas zur Erhaltung des Gottesglaubens tun zu können, so sollten wir ihn dann doch wenigstens vor Übertreibung
bewahren, vor unserer Hitze und Maßlosigkeit. Schätzen wir überhaupt
diese Hitze nicht allzu hoch ein.
Die Religion bringt uns weniger Kunde von Gott (— wo haben wir die?), als dass sie uns dessen vergewissern will, Gott
kenne uns. Auch könnte uns das Kennen
Gottes unsererseits an sich nichts helfen, soweit wir uns
hilfsbedürftig fühlen; auf sein Bekanntsein mit uns käme dabei
doch alles an. Und darum schadet uns auch jener unser Mangel nicht.
Der Gott des Christentums ist der Gott des Alten Testaments. In seiner
reifen Jugend verkündeten Himmel und Erde die Ehre Gottes. Kein Wunder,
dass er sich allmählich zu einem Sultan auswuchs, der sich im Alter
die Zeit damit vertrieb, eine Vasensammlung anzulegen und die ihm zusagenden
Töpfe durch Aufnahme in die Sammlung zu »ehren«, die andern, die meisten, denn es gefielen ihm wenige, zu zerschlagen. Diese
Geschichte hat dieser Gott, wie alle seines Gleichen die ihrige, nur in den
Köpfen seiner Verehrer erlebt. Man denke aber bei dieser Geschichte an
die vielen kleinen Götter, die in den Köpfen der Menschen groß
werden, und was aus ihnen schließlich im Dunste des ihnen gespendeten
Weihrauchs werden mag.
Gott und Seele
— zwei Dinge, mit welchen die Theologen, moderne
namentlich, wie Kinder mit ihren Puppen, mit derselben Sicherheit in Hinsicht
auf ihr Eigentums- und Verfügungsrecht darüber, spielen. So
werden denn diese Theologen am besten über diese Dinge befragt werden,
um zu erfahren, dass sie darüber nichts wissen und auch nichts wissen
können, aus dem einfachen Grunde, weil kein Mensch etwas davon weiß,
Begriff und Ding in diesem Fall lediglich menschliche Erfindungen sind. Der
Glaube, es lasse sich für Menschen mit Gott und in seinem Namen
alles machen, mit ihm finde man sich vollkommen in der Welt zurecht, man fahre
damit am besten, ist unter Menschen, welche der
Welt Nachdenken gewidmet haben, nur
der Glaube der Theologen gewesen. Sonst haben gerade Menschenverstand
und höchste Weltweisheit stets entgegengesetzt gedacht. Diese haben in
dem Rat an die Menschen übereingestimmt, mit Gott zu machen was sie wollen,
auch an ihn zu glauben, nur ihn in der Welt, die er nichts angeht, aus dem Spiel
zu lassen. S.114-115
Aus: Geyer, Carl Friedrich, Hrsg.: Religionsphilosophie
der Neuzeit. Klassische Texte aus Philosophie, Soziologie und Politischer Theorie.
Darin: Overbeck, Franz: Das Religionsproblem der Gegenwart aus Christentum und
Kultur, © 1999 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis der Wissenschaftlichen
Buchgesellschaft, Darmstadt
Buddha
und Jesus
Das Christentum ist zwar nicht so gründlich pessimistisch
wie der Buddhismus,
sofern es nicht wie dieser von Haus aus akosmistisch ist, aber es ist doch durch
seine Erfahrung in der Geschichte schließlich so pessimistisch geworden,
daß es auch den Theismus zugrundegerichtet hat und gewissermaßen
ebenfalls in Atheismus ausgeht. Das Unterfangen, die Welt von Gottes Liebe zu
überzeugen, kann es nur mit Atheismus abbüßen und mit ihm die
Welt.
Der Buddhismus ist atheistisch und doch Religion. Eben das vermag das Christentum — was historisch sich
noch so nennen läßt — nicht zu verbinden, und ein Chamberlain‘sches
Christentum ist und bleibt nun einmal ein Liebhaberchristentum.
Kann eine so passive Menschengestalt wie Jesus als Stifter von irgend etwas
in der Welt (in der Geschichte) betrachtet werden?
Ist nicht das Christentum ein historisches Gebilde, zu dessen Dimensionen die
Gestalt Jesu gar kein Verhältnis mehr hat? S.
187f.
Aus: Der Protestantismus im 19. und 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Wolfgang
Philipp
In der Reihe: Klassiker des Protestantismus. Herausgegeben von Christel Matthias
Schröder Band VIII, Sammlung Dieterich Carl Schünemann Verlag Bremen
Christentum
ist Weltflucht und Askese
Einen weltflüchtigeren Glauben als den der ältesten Christen an die baldige Wiederkehr Christi und den Untergang der
gegenwärtigen Weltgestalt kann es doch nicht wohl geben. Ja, hier werden
wir sogar gegen eine Ansicht Verwahrung einzulegen haben, welche neuerdings
um eben dieses urchristlichen Glaubens willen die asketische Lebensbetrachtung
auf das älteste Christentum beschränken will.
Was hier zunächst zu bestreiten ist, ist, dass mit dem weiten Auftun
ihrer Pforten seit dem zweiten Jahrhundert die Kirche die weltflüchtige
Lebensbetrachtung des Urchristentums aufgegeben haben soll. Dieses Auftun
wurde ja vielmehr eine Ursache der schwersten inneren Kämpfe für die
Kirche, und wenn sie auch die puritanischen Sekten, die sich in ihr seit der
zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts erhoben, zum Schweigen brachte,
so war ja davon nicht die Rede, daß sie sich dabei beruhigt und nach der
Aufnahme einer unheiligen Masse in ihren Schoß ihr Ideal von Heiligkeit
modifiziert hätte. In diesem blieb sie mit jenen Puritanern vielmehr in
der Hauptsache nach wie vor in Übereinstimmung. Unaufhörlich war sie
darauf bedacht, diesem Ideal in der Bedrängnis, der sie es ganz zu entziehen
nicht für möglich halten konnte, doch lebendige Formen zu geben, und
geriet schließlich auf die Unterscheidung eines doppelten Christentums,
ohne dabei über den niederen Charakter des Laien-
oder Weltchristentums im Zweifel zu sein.
Sodann — und dieses hängt mit dem eben besprochenen Punkte eng zusammen
— muss entschieden geleugnet werden, dass die urchristliche Erwartung der baldigen Wiederkunft Christi nach ihrer tatsächlichen
Nichterfüllung in der Kirche nur
zurückgetreten wäre und damit insbesondere sich
auch die Weltflüchtigkeit des Urchristentums erledigt hätte. Sieht man die Dinge so an, so wird es immer ein unlösbares
Rätsel bleiben, wie ein Glaube, dessen ganze Weltbetrachtung an seiner
sinnlichen Erfüllung gehangen hätte, nicht an der Nichterfüllung
zerschellt ist. Wie konnte nur der christliche Glaube, als er in einem so wesentlichen
Punkte wie seiner Erwartung der Wiederkunft Christi tatsächlich widerlegt
war, noch fortbestehen, wenn er nicht eine idealere Form fand, in welche er
sich der tatsächlichen Widerlegung zum Trotz bergen konnte? Diese Form
aber fand er gerade in der asketischen Betrachtung und Führung des Lebens,
welche in der Tat eine Metamorphose des urchristlichen Glaubens an die Wiederkehr
Christi ist, sofern sie auf der fortwährenden Erwartung dieser Wiederkehr
beruht, die Welt daher als zum Untergange reif zu betrachten fortfährt
und den Gläubigen bewegt, sich ihr zu entziehen, um auf die stündlich
drohende Erscheinung Christi bereit zu sein.
Die Erwartung der Wiederkunft Christi, unhaltbar geworden in ihrer ursprünglichen
Form, welche sich die Aussicht auf den Untergang der gegenwärtigen Weltgestalt
mit allerlei judaistischen Hoffnungen erheiterte, verwandelt sich in den Todesgedanken,
der schon nach Irenäus den Christen stets
begleiten soll, in das memento mori, womit
der Karthäusergruß die Grundweisheit des Christentums jedenfalls
tiefer zusammenfasst als etwa die moderne Formel, es solle »sich
nichts Störendes drängen zwischen den Menschen und seinen Urquell«, worin eine schale und nur zu kirchlich-polemischen Zwecken zu brauchende Negation
liegt, solange man vergisst, dass zu diesem »Störenden« nach der Ansicht des Christentums die Welt überhaupt gehört. Gerade
am Punkte des Glaubens an die Wiederkunft Christi hätte aber unsere moderne
liberale Theologie wieder besonderen Anlass, sich ihres Missverhältnisses
zu den Grundideen des Christentums bewusst zu werden, sofern für sie
allerdings jener urchristliche Glaube auf das hinausläuft, was sich die
alte Kirche nie eingesteht, aber auch im Schweiße ihres Angesichts vor
sich selbst zu verhüllen trachtet, nämlich auf eine bloße Täuschung,
der man weiter nichts zu entnehmen weiß, als »daß
es dem Reiche Gottes, das Jesus durch sein Evangelium in die Welt gesetzt hat,
eigentümlich sei, ein stets werdendes und ein stets kommendes zu sein«.
Ist dieses anders zu verstehen als im Sinne der alten Kirche, also nicht im
Sinne eines Antriebs, das immerwährende Kommen des Reiches Gottes zur Gegenwart
zu machen durch ein Verlassen dieser Welt, sondern im Sinne einer einfachen
Erwartung des Kommenden innerhalb der Welt, so kommt dies ziemlich einer Rückkehr
zum nackten Judentum und seiner Messiashoffnung gleich. So wohlfeil aber konnte
sich natürlich die Christengeneration, welche wirklich an die Wiederkunft
Christi geglaubt hatte, über das Ausbleiben dieser Wiederkunft nicht beruhigen.
S. 188-191
Aus: Der Protestantismus im 19. und 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Wolfgang
Philipp
In der Reihe: Klassiker des Protestantismus. Herausgegeben von Christel Matthias
Schröder Band VIII, Sammlung Dieterich Carl Schünemann Verlag Bremen
Christentum
und Reformation vernichten Religion
Nur noch eine Erwägung möge uns nahelegen, wie wesentlich der christlichen
Religion ihr weltverneinender Charakter ist. Betrachten wir die Religion als
eine Angelegenheit des täglichen Lebens und vergleichen unsere Tage in
bezug auf das, was von der Religion im Leben in die Erscheinung tritt, mit früheren
Zeitaltern, so werden wir zunächst nur wiederholen können, was schon
oft behauptet worden ist, daß die antiken Menschen viel frömmer waren
als wir. Das Christentum und die Reformation, so scheint
es dann auf den ersten Blick, haben die Religion aus der Welt geschafft. Nun soll hier gar nicht die Frage im allgemeinen überdacht werden, inwiefern
in der Tat die Religion in der Welt gegen die Vorzeit abgenommen hat. Von der
Reformation wird sich gar nicht bestreiten lassen, dass sie das Gebiet
der Religion im Leben sehr eingeengt hat: diese Tatsache aber wird auch für
den nichts auf sich haben, dem die Reformation als eine mindestens ebenso politische
wie religiöse Bewegung gilt, wie denn diese ihre beiden Richtungen sich
auch in ihrem größten Manne wunderbar verkörpern.
Aber wie steht es mit dem Christentum? Dieses hat in der Tat die Welt entgöttert,
es hat den Weltgebrauch und Weltgenuß, den es nicht vernichten konnte,
bestehen lassen, ihm aber die Weihe genommen, die das Altertum darübergelegt
hatte. Man brauche Blumen, führt Tertullian
einmal aus, wozu sie von Natur da sind, nur nicht zu gottesdienstlichen
Zwecken. »Auch ich schlachte
mir einen Hahn«, sagt er, »nicht
weniger wie Sokrates dem Aesculap, und zünde Weihrauch an, wo mich ein
Geruch stört, nur nicht unter den Feiern und Bräuchen, unter welchen
dieses vor den Idolen geschieht« (Vom Kranze
des Soldaten, c. 10). Was den T. nicht hindert, die Ritualgesetzgebung
des Alten Testaments wohl zu würdigen als die religiöse Weihung aller
Verrichtungen des täglichen Lebens (Geg. Marcion,
II,19).
Erinnert sei auch noch an die Edikte der ersten christlichen Kaiser, in welchen
für das Fortbestehen vorhandener Volksfeste gesorgt, doch ihnen aller religiöse
Charakter genommen wird und alle Bräuche, welche an ihre religiöse
Bedeutung erinnern, verboten werden (E.
von Lasaulx, Der Untergang des Hellenismus, München 1854, S. 115). Diese andeutenden Beispiele — denen als gewichtiges Gegenbeispiel nur
das bekannte Bemühen der katholischen Kirche gegenübersteht, welches
die Kirchenhistoriker mit Recht unter den Gesichtspunkt einer Paganisierung [dem Heidentum zuführen] des Christentums stellen —, genügen, um begreiflich zu machen, wie
das Christentum eine Welt vorbereitet, in welcher die Religion kaum noch sichtbare
Gestalt gewinnen kann. Legt man nun dieser seiner Tendenz eine weltbejahende
Weltbetrachtung zugrunde, so ist nicht zu begreifen, wie dann noch vom Christentum
als einer Religion die Rede sein kann, da es dann vielmehr nur eine systematische
Vernichtung der Religion ist.
Anders steht die Sache mir, wenn man erkennt, dass die Weltverneinung die
innerste Seele des Christentums ist, die Welt ihm gar nicht mehr als mögliche
und würdige Stätte der Religion gilt. Damit hängt auch die außerordentliche
Armut der Kirchengeschichte an großen und reinen Charakteren zusammen.
Von den größten und reinsten erfährt in diesem Bereiche die
Geschichte nichts.
Da man nun aber in der Tat dem Christentum seine ganze Gewalt nimmt, wenn man
ihm irgendwo einen Vorbehalt zugunsten der Weltkultur unterschiebt, wie man
ihn braucht, um sich nicht zu sagen, dass man die Weltkultur, aber nicht
das Christentum will, so kann ja auch das Resultat einer solchen Betrachtungsweise
nur die widrigste Sentimentalisierung, Verflachung und Entnervung des Christentums
sein, wie sie sich leider in der populären liberalen Literatur der Theologie
heutzutage in so breiten Strömen über unsere Köpfe ergießt.
Was hilft es, von den »ewigen Lichtgedanken«
des Christentums zu reden, »von einer Liebe
ohne Ende, von einer Gnade über alle Sünde, von einer Seligkeit in
allem Erdenschmerz, von einem Leben, welches den Tod nicht kennt«, wenn man diese Gedanken in einem Licht sucht, in welchem sie das Christentum
wenigstens nicht finden lehrt. Dieses freilich ist nicht der Meinung, man könne
aller dieser überschwänglichen Dinge in der Welt so leicht habhaft
werden, dass kaum mitten aus der sonstigen Weltbildung heraus sichtbar
zu werden brauchte, dass man sie sucht! Es kann aber nicht genug bedauert
werden, wie reißend allgemeine Gedanken- und Gefühlsverwirrung in
diesen Dingen gegenwärtig sich verbreitet durch die Art, wie die Theologie
ihren Streit unter die Laien geworfen hat. S. 191-193
Aus: Der Protestantismus im 19. und 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Wolfgang
Philipp
In der Reihe: Klassiker des Protestantismus. Herausgegeben von Christel Matthias
Schröder Band VIII, Sammlung Dieterich Carl Schünemann Verlag Bremen