Quintus Septimius Florens Tertullian (160 – 225)
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Lateinischer
Kirchenschriftsteller. Tertullian
wurde in Karthago als Sohn eines römischen Zenturios geboren, der in
der dortigen Garnison stationiert war. In seiner Vaterstadt studierte er Rhetorik. Tertullian war der geistvollste und
vielleicht tiefste unter den lateinischen Schriftstellern seiner Zeit. Seine
stilvollendeten Werke, die sich mit dem Streben nach christlicher Vollkommenheit befassen, zeigen seine Neigung zum sittlichen Rigorismus. Sie behandeln
u. a. praktische Fragen des Gemeindelebens (Ehe,
Gebet, Buße, Martyrium). Als leidenschaftlicher, juristisch geschulter, stoisch gebildeter Denker suchte er stets die strengste gesetzliche Entscheidung, die er mit Scharfsinn
und Realismus biblisch zu begründen suchte. Grundbegriffe der späteren abendländischen Theologie (Natur, Gnade, Verdienst,
Dreieinigkeit) sind bei ihm vorgeprägt. Im hohen Alter trat
er einer Gruppe bei - die von den Irrlehren des Montanus
verführt – sich durch mystisch-rigoristische Auffassungen
von der Christengemeinde ausgeschlossen hatte. Weitere
Texte von Tertullian
sind in älterer deutscher Übersetzung online
in der »Bibliothek
der Kirchenväter« von Gregor
Emmenegger, Departement für Patristik und Kirchengeschichte
an der Universität Fribourg, eingestellt. Siehe auch Wikipedia, Kirchenlexikon und Heiligenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Über die Geduld
Über die Spiele
Über
die Geduld
I. Vor Gott dem Herrn muss ich es gestehen: Ich weiß sehr wohl, dass
ich voll Verwegenheit, wo nicht voll Anmaßung handle, wenn ich mich erdreiste,
über die Geduld zu schreiben. Denn ich selbst — als ein Mensch ohne jede gute Eigenschaft — bin außerstande, Geduld zu üben. Und doch sollte man bei denen, die den Beweis für
eine Sache führen oder gar deren Vertretung übernehmen wollen, zuvor
mindestens etwas von der Ausübung derselben bemerken können. Das Beispiel
des eigenen Wandels sollte so beharrlichen Ermahnungen die rechte Richtung geben,
damit nicht, die Worte ob des Mangels an Taten schamrot werden. Ach, wenn doch
wenigstens die Schamröte Heilung brächte! Wenn doch die Beschämung,
selbst nicht getan zu haben, was wir anderen zu tun so dringend anraten, uns
selbst eine Lehre sein könnte!
Aber vielleicht wird es eine Art von Trost sein, über das, was zu genießen
uns selbst nicht gegeben ist, wenigstens zu disputieren — so etwa, wie
auch Kranke nicht aufhören können, vom Glück der Gesundheit zu
reden, solange diese sie flieht. So muß auch ich Armer, der ich immer
wieder an der Fieberhitze der Ungeduld krank liege, nach der Gesundheit seufzen, die einfach in der Geduld besteht; ich muß
darum bitten, muß darüber reden, mich danach sehnen; und angesichts
meiner Gebresten will ich mich daran erinnern, daß gute Gesundheit im
Glauben so leicht nicht zu erlangen ist und noch weniger das rechte Wohlbefinden
in der Zucht des Herrn, solange nicht die Geduld hilfreich zur Seite steht.
So hoch ist die Geduld über alle unsere von Gott
gewollten Werke gesetzt, daß niemand eine Vorschrift zu erfüllen
imstande ist, niemand ein Gott wohlgefälliges Werk auszuführen vermag,
solange er ohne Geduld bleibt. Sogar die, denen sie gänzlich fehlt,
erkennen ihre Vortrefflichkeit an und nennen sie die höchste aller Tugenden.
Auch die Philosophen, von denen man meint, sie lebten nur für die Weisheit,
setzen die Geduld an die bevorzugte Stelle; bei all ihrer sonstigen Uneinigkeit,
bei all ihrer Vorliebe für einander widerstreitende Schulen, entgegengesetzte
Meinungen und Systeme begegnen sie einander alle in schwärmerischem Preisen
der Geduld und sehen diesen einen Gegenstand ihrer Studien als das einzige Feld
an, in welchem sie einander friedlich begegnen... und
mit der Geduld tragen sie auch ihre Weisheit vollkommen zur Schau...
II. Was aber uns Christen zur Ausübung der Geduld veranlaßt, ist
nicht nur ein Zurschautragen von unbeteiligtem Gleichmut, wie etwa die Zyniker
dies aus Verstellung tun oder sonst nur die Stumpfsinnigen aus Mangel an Bewußtsein,
sondern gerade das ist für uns die göttliche Eigentümlichkeit
der himmlischen Lehre und ihres Lebensreichtums, daß Gott selbst sie vor
uns und für uns übt, sie unserem Wachsein vorhält und den Lichtglanz
des Tages gleichmäßig über Gerechte und Ungerechte ausgießt..
. so sehr, daß viele nur deswegen nicht an den Herrn glauben, weil sie
so lange Zeit hindurch von Seinem Zorn gegen diese Welt nichts merken.
Dies ist freilich eine Art göttlicher Geduld, die weit, weit außerhalb menschlicher Reichweite liegt. Sozusagen eine
transzendente Geduld, vielleicht nur als eine solche verständlich, die
in den höheren Regionen waltet, nur aus überirdischem Geist vollziehbar.
Wie aber steht es mit jener Art von Geduld, welche durch Gott unter den Menschen
auf dieser Erde offenbar gemacht worden ist, so daß sie gewissermaßen
mit Händen zu greifen war?
Gott ließ es sich gefallen, im Mutterschoße geboren zu werden. So
erwartete Er also den Zeitpunkt. Geboren, ertrug Er es, heranzuwachsen. Herangewachsen,
verlangte Er, nicht erkannt zu werden. Er verhinderte Seinen eigenen Ruhm. Er
ließ sich von Seinem Knecht taufen. Ja sogar die Angriffe des Versuchers
wies er nur mit Worten ab. Dann verwandelte sich der Herr in einen geduldigen
Lehrer, der den Menschen zeigte, wie die beleidigte Geduld
vollständig zu versöhnen sei und wie die Menschen dadurch sogar
dem Tod entgehen können. Er stritt nicht. Er schrie nie zurück. Niemand
hörte Seine Stimme auf den Gassen. Das geknickte Rohr zerbrach Er nicht,
und den glimmenden Docht löschte Er nicht aus. Die
Propheten hatten nicht gelogen: Gott selbst, der Seinen Geist und Seine ganze
Geduld in Seinen Sohn gelegt hatte, gab Ihn als Zeugnis. Jeden, der Ihm
anhangen wollte, nahm Er auf. Keine Tafel und kein Dach verschmähte Er
je. Er machte selbst den Diener bei der Fußwaschung Seiner Schüler...
V. Vielleicht ist es angebracht und auch nicht nutzlos, wenn wir unsere Erörterungen
von den notwendigen Grundwahrheiten des Glaubens ausgehen lassen. Wortreichtum
mag sonst tadelnswert sein — in Sachen der Erbauung gereicht er niemandem
zum Vorwurf. Und so scheint es uns angemessen, da doch von einer Tugend hier
die Rede ist, nun auch ihr Gegenbild zu betrachten, So wird das, wonach man
trachten soll, in helleres Licht gesetzt werden, wenn erst dargelegt ist, was
deswegen folgerichtig zu meiden wäre.
Was also die Ungeduld betrifft — überlegen wir einmal, ob sie nicht
vielleicht, so wie die Geduld in Gott, als das
Gegenteil davon etwa in unserem bösesten Feind erzeugt und von diesem empfunden
und verbreitet werde. Daraus wird auch erhellen, wie sehr sie vor allem dem
Glauben widerstrebt. Sicherlich, was sein Dasein dem Widersacher
Gottes verdankt, das kann dem Eigentum Gottes kaum sehr günstig sein. Unter dem Eigentum bestehen dieselben Feindschaften wie unter seinen Besitzern.
Wenn Gott die höchste Güte ist, so ist der Teufel gewiß die
größte Bosheit. Eben durch ihre Gegensätzlichkeit lassen sie
uns erkennen, daß keiner dem anderen Vorschub leistet. Ja, es kann überhaupt
nicht möglich scheinen, daß vom Schlechten etwas Gutes käme,
ebensowenig wie es möglich ist, daß aus dem Guten etwas Schlechtes
stamme. Ich finde tatsächlich den Ursprung der Ungeduld
im Teufel selbst.
Denn daß Gott der Herr alle Dinge, die Er geschaffen hat, Seinem Ebenbilde,
dem Menschen, unterwarf, das hat jener schon damals nur mit Unwillen ertragen.
Hätte er es geduldig hingenommen, so hätte er keinen Schmerz darüber
empfinden können, und wenn er keinen Schmerz empfunden hätte, so wäre
auch kein Neid gegenüber dem Menschen in ihm erwacht. Er betrog den Menschen
nur, weil er ihn beneidete, er hatte ihn aber beneidet, weil er Schmerz empfand,
und er empfand Schmerz sicher nur deshalb, weil er jenes nicht hatte geduldig
ertragen können. Wie dieser Engel des Verderbens im Anfang war, ob zuerst
schlecht, dann ungeduldig, oder erst ungeduldig, dann schlecht, brauche ich
nicht erst zu untersuchen; denn es ist offenbar, daß eines zusammen mit
dem anderen begonnen hat... Was also der Teufel zuerst
gefühlt hat und womit er den ersten Schritt zur Sünde tat, ebendasselbe
— die Ungeduld — ruft er seinerseits zuhilfe, nunmehr durch eigene
Erfahrung über die Reizmittel zur Sünde genügend belehrt; dadurch
kann er den Menschen ins Verderben treiben... Der Mensch war voll Unschuld,
Gott und dem Nächsten ein Freund, ein Bewohner des Paradieses. Sobald er
aber der Ungeduld unterlegen war, hörte er auf, an Gott Gefallen zu finden
— er hörte auf, die himmlischen Dinge tragen zu können. Und
von da an war der Mensch der Erde überantwortet, von den Augen Gottes verstoßen;
er fing an, der Ungeduld leicht zugänglich zu werden für alles, was
Gott mißfällt. Denn da die Fruchtbarkeit des Weibes aus der Saat
des Teufels sofort eine böse geworden war, gebar sie alsbald einen Sohn
des Zornes...
Das war die Wiege der Ungeduld, damals befand sie
sich gleichsam noch in ihren Kindertagen. Aber welches Wachstum erlangte sie
alsbald! Doch wenn sie die erste Sünde war, so ist das weiter kein Wunder,
denn daraus folgt nur, daß sie — weil die erste — notwendig
auch jede andere Sünde ins Dasein ruft, so daß aus ihrer Fülle
allein die verschiedenen Flußläufe der Verbrechen alle ihren Ausgang
nehmen... Mag jemand aus Feindschaft oder Raubes wegen einen Mord begehen, immer
ging dem voraus, daß er ein ungeduldiger Sklave entweder des Zornes oder
des Neides, also der Habsucht geworden war. Welcher von diesen Antrieben auch
immer sich melden mag, er könnte ohne Mangel an Geduld sich gar nicht weiterentwickeln.
Wer hat je Ehebruch begangen, außer wenn er den Trieb zur Lust nicht mehr
geduldig ertragen konnte? ... Und auch das Preisgeben der weiblichen Keuschheit
um Geld ist doch nur durch ein ungeduldiges Verlangen nach Gewinst veranlaßt.
So viel über die Laster, die als Hauptsünden vor dem Herrn gelten.
Im ganzen genommen, ist aber jede Sünde auf Rechnung der Ungeduld zu setzen.
Das Böse ist nur die mangelnde Geduld im Guten. Der Unzüchtige hat
keine Geduld mehr, Keuschheit zu üben, der Unehrliche keine mehr für
die Rechtschaffenheit, der Gottlose keine mehr für Frömmigkeit, der
Unruhige keine mehr für ein stetig stilles Leben... Um schlecht zu werden,
dazu gehört für jeden, wer immer er sei, nichts weiter, als daß er im Guten nicht mehr zu verharren vermag...
Ist es nicht offenkundig, daß das Volk
Israel den Herrn fortwährend durch
seine Ungeduld beleidigt hat? Uneingedenk des Armes, der es aus den Plagen Ägyptens herausgezogen hatte, begehrte es voll Ungeduld von Aaron Götzenbilder
zu Führern... es hatte das notwendige Fernweilen des Moses, der mit dem
Herrn redete, voll Ungeduld nicht länger ertragen wollen.., um uns nicht
in Einzelheiten zu verlieren: Sie sind stets nur durch die Sünde der Ungeduld
in ihr Verderben gerannt. Wie hätten sie sonst Hand an ihre Propheten legen
können? Sie hatten schließlich nicht einmal mehr zum Zuhören
Geduld genug! Und zuletzt haben sie sich an den Herrn selbst vergriffen —
sie hatten nicht Geduld genug, ihn auch nur zu sehen. Hätten sie Geduld
gehabt — sie wären gerettet worden.
VI. Also ist es die Geduld, die dem Glauben vorangeht und die ihm nachfolgt.
Abraham glaubte an Gott,
und es wurde ihm von Gott zur Gerechtigkeit
angerechnet. Allein, seine Bewährung empfing auch der Glaube Abrahams
erst durch Ausharren. Denn ihm ist befohlen worden, seinen Sohn zu opfern —
ich möchte nicht sagen, zur Erprobumg seines Glaubens, sondern zu dessen
vorbildlicher Bezeugung. Gott wußte recht wohl, wen er als gerecht anzusehen
hatte. Abraham hörte einen so ungeheuren Auftrag, dessen Ausführung
Gott selbst nicht einmal wollte, geduldig an. Aber nicht nur dies — er
würde ihn auch vollzogen haben, wenn das wirklich Gottes Wille gewesen
wäre. Mit Recht ist er also ein Gesegneter zu nennen, weil er gläubig
war, und mit Recht ein Gläubiger, weil er seine Geduld bezeugte.
Deshalb hat auch der Offenbarungsglaube, durch diese Geduld
also verklärt, dem Gesetz die Gnade hinzugefügt, als er durch
den Samen Abrahams — der Christus ist — unter die Heiden ausgebreitet
wurde, deshalb hat er auch die Geduld als seinen stärksten Beistand zur
Erweiterung und Vervollständigung des Gesetzes an die Spitze gestellt;
an der Lehre der Gerechtigkeit hatte einzig und allein noch die Geduld gefehlt,
denn in den alten Zeiten forderte man ja noch Auge um
Auge, Zahn um Zahn und vergalt Böses mit Bösem. Es konnte noch
keine Geduld auf Erden geben, weil Geduld erst aus der Vollkommenheit des Glaubens
entsteht. Bis dahin hatte sich Ungeduld immer noch die Gelegenheiten zunutze
gemacht, die das Gesetz ihr ließ. Leicht konnte sie sich entzünden,
denn der Herr der Geduld und ihr Lehrer für die Menschen war noch nicht
unter uns erschienen. Nachdem Er aber gekommen war und die Gnade des Glaubens
um die Geduld vermehrt hatte, ist es nun nicht mehr erlaubt, irgend jemanden
auch nur mit Worten zu verletzen, ja nicht einmal, ihn einen Narren zu schelten.
Wenigstens nicht, ohne sich der Gefahr des göttlichen Gerichts auszusetzen.
Verboten ist der Zorn, verpönt der Unmut, die freche Hand wird zurückgehalten,
die giftige Zunge durch Verachtung gelähmt. Das Gesetz hat mehr gewonnen
als verloren, da Christus es so aussprach: »Liebet eure Feinde, segnet
jene, die euch fluchen, und bittet für eure Verfolger damit ihr euch alle
als Kinder eures himmlischen Vaters erkennet.« Du siehst also, was für
einen Vater wir uns durch die Geduld erwerben. In diesem einen Grundgesetz ist
die ganze Lehre von der Geduld zusammengefaßt; nun erst ist Böses
zu tun überhaupt nicht mehr erlaubt — auch nicht einmal mit guten
Gründen.
VII. Aber gehen wir weiter die Hauptveranlassungen der Ungeduld durch. Zu allen
werden uns die Vorschriften des Herrn genau die betreffende Antwort geben. Wenn
etwa unsere Seele durch Verlust von Hab und Gut beunruhigt ist, so finden wir
uns fast auf jeder Seite der Heiligen Schrift zur Weltverachtung ermahnt. Gibt
es eine dringendere Aufforderung, Geld und Gut zu verachten, als die Erinnerung
an die Tatsache, daß der Herr selbst ohne jeglichen Besitz irgendwelcher
Reichtümer gefunden wird? Immer wieder erklärt Er die Armen für
gerecht und verdammt die Reichen als solche. Er gab uns also als Mittel, Verluste
erträglich zu machen, den Abscheu vor dem Reichtum im voraus, Er zeigte
uns durch Seine eigene Entäußerung von allen Reichtümern, wie
wenig etwaige Einbußen daran für uns Gewicht haben sollten.
Wir müssen es ohne Klagen geduldig ertragen, wenn uns verkürzt oder
ganz entzogen wird, was wir überhaupt nicht begehren sollten, weil der
Herr es nie begehrt hat. Daß die Habsucht die Wurzel aller Übel sei,
hat uns der Heilige Geist durch den Mund des Apostels verkündet. Bilden
wir uns doch nicht ein, diese Habsucht bestehe bloß in der Begierde nach
fremdem Eigentum! Auch was unser zu sein scheint, gehört uns doch in Wahrheit
sehr wenig, weil alles Gott gehört und auch wir Ihm gehören. Wenn
wir bei einem erlittenen Verlust Ungeduld verspüren, so fallen wir daher
in eine Schuld, die mit der Habsucht nahe verwandt ist, denn wir betrüben
uns über den Entzug von etwas, das uns nicht einmal wirklich gehört.
Wenn wir die Abwesenheit von eigentlich fremdem Gut so schwer ertragen, ist
das nicht so, als ob wir ungeduldig nach fremden Gut Verlangen trügen?
Wer sich von der Ungeduld über Verluste packen läßt, sündigt
dadurch fast gegen Gott selbst, denn er stellt das Irdische höher als das
Himmlische. Unsere Seele, dieses Geschenk des Herrn, hat sich dann offenbar
von der Liebe zu zeitlichen Dingen verwirren lassen.
Seien wir immer bereit, Irdisches zu verlieren, bewahren wir uns lieber die
himmlischen Güter! Wenn ich mir die Geduld als Gewinn erwerbe, dann mag
die ganze übrige Welt für mich verloren sein. Wer es nicht über
sich bringt, einen kleinen, etwa durch Nachlässigkeit, Diebstahl, oder
Gewalt entstandenen Schaden mit Gleichmut zu ertragen, der wird schwerlich schnell
genug sein Hab und Gut angreifen, wenn es sich darum handelt, durch Almosen
seinem Nächsten beizuspringen... Gelassenheit bei
Verlusten ist eine gute Vorübung im Schenken. Wer sich nicht vor
Verlusten fürchtet, der ist auch beim Geben nie unwirsch und zögert
nicht. Wie will einer, der zwei Röcke hat, einen davon dem Nackten anbieten,
wenn er nicht imstande war, dem auch noch den Rock zu geben, der ihm den Mantel
stahl? Wie sollen wir uns mit dem Mammon der Ungerechtigkeit Freunde erwerben,
wenn wir diesen Mammon so lieben, daß wir seinen Verlust nicht ohne Murren
der Ungeduld ertragen? Aber dann werden wir eben mit dem Zugrundegegangenen
auch selbst zugrunde gehen...
VIII. Besitzen wir doch auch unseren Körper und sogar
unsere Seele in dieser Welt nur als Zielscheibe für alle Beleidigungen! Unterziehen wir uns aber diesen Beleidigungen mit Geduld, wie sollten
wir uns da noch durch Verluste von viel geringeren Dingen verletzt oder gekränkt
fühlen? Die Geduld eines Dieners Christi sollte bei größeren
Versuchungen in Standhaftigkeit geübt und bewährt sein, als daß
er die Schande erleben dürfte, seine Geduld bei Kleinigkeiten zu Fall kommen
zu lassen.
Vor Herausforderungen, wenn uns jemand durch Tätlichkeiten reizt, haben
wir das Mahnwort des Herrn: »Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt,
so halte ihm auch noch die linke hin.« Denn durch Geduld sollen wir es
bewirken, daß alle Nichtswürdigkeit ermüdet. Wie schwer ein
Schlag durch die Wucht des Schmerzes auch sein mag, wie sehr der Schimpf auch
brennen mag, alles wird ja doch noch schwerer vom Herrn geahndet. Durch deine
Gelassenheit schlägst du den Nichtswürdigen nur noch kräftiger,
denn er wird dann durch Den geschlagen werden, um dessentwillen du gelassen
bleiben kannst. Wo eine giftige Zunge sich in Flüchen oder Schmähungen
ergeht, dort erinnere du dich an das Wort des Herrn:
»Wenn sie euch fluchen, so freut euch doch!« Der Herr selbst
ist vor dem Gesetze zum Verfluchten geworden — und doch ist Er allein
der Gesegnete. So folgen wir denn dem Herrn als seine Knechte, lassen wir uns
geduldig verfluchen, damit wir zu Gesegneten werden! Würde ich ein gegen
mich ausgestoßenes unverschämtes oder nichtswürdiges Wort nicht
gleichmütig genug anhören, dann wäre alsbald die natürliche
Folge unvermeidlich, daß ich entweder die Bitterkeit zurückgebe oder
mich in stillem Ärger selbst verzehre. Wenn ich aber den schlüge,
der mir geflucht hat, wie könnte ich da noch darauf Anspruch erheben, die
Lehre des Herrn befolgt zu haben, die besagt, daß der Mensch weniger durch
die Unreinheit der Gefäße beschmutzt werden kann als durch das, was
aus seinem Mund ausgeht — und daß jedes törichte Wort, jede
überflüssige Schärfe eine bleibende Schuld darstellt? Daraus
ist zu entnehmen, daß der Herr selbst uns ermahnt, auch das geduldig von
anderen zu erleiden, was Er uns zu tun verbietet.
Hier noch ein Wort über den Triumph der Geduld.. Jedes
Unrecht — gleichgültig, ob in Worten oder in Taten — nimmt
bald ein Ende, wenn es auf Geduld trifft, es wird zunichte, kraftlos
wie ein Geschoß, das gegen einen Felsen geschleudert wird und an dessen
Härte abprallt. Ohnmächtig fällt es herab, wirkungslos, und zuweilen
wütet es sogar durch den bloßen Rückstoß gegen den, der
es abschleuderte. Man beleidigt doch nur in der Absicht~ zu verletzen, denn
der Erfolg des Beleidigers besteht ausschließlich im Schmerz des Beschuldigten.
Wenn du also seinen Zweck dadurch vernichtest, daß du dich über solches
nicht betrübst, dann kann die Folge davon nur sein, daß der andere
sich ärgert: nämlich über sein Verfehlen des Zweckes. Du bleibst
dann nicht nur schadlos — was dir allein schon genügen müßte
—, sondern du kannst dann auch noch die Freude fühlen, daß
dein Feind sich verrechnet hat — sein Ärger wird so zu deiner Sicherheit
und schützt dich. Dies ist der Nutzen, den uns die Geduld gewährt.
XII. . . . Die Liebe, dieses höchste Geheimnis des Glaubens, dieses Kleinod
des christlichen Bekenntnisses, wird nur erlernt durch die Schule der Geduld
allein. Darum empfiehlt sie auch der Apostel mit allen Kräften, die ihm
der Heilige Geist verleiht, und sagt: »Die Liebe
ist großmütig« — denn sie hat sich die Geduld
zu eigen gemacht. »Sie ist gütig« — denn Geduld kann
nichts Böses tun. »Sie beneidet nie« — und gerade das ist die Eigentümlichkeit der Geduld. »Sie
ist auch nicht übermütig« — denn aus der Geduld hat sie
echte Bescheidenheit geschöpft. Liebe, die sich die Geduld zu eigen gemacht
hat, »ist auch nie aufgeblasen, nie unbescheiden« — denn das
alles paßt nicht zur Geduld. Liebe, der die Geduld vermählt ist,
»sucht auch nicht das Ihrige« — sie ist nie eigensüchtig
— denn sie gibt das Ihrige freudig hin, falls es dem anderen nicht schadet.
»Sie läßt sich auch niemals reizen« — denn dann
hätte sie ja der Ungeduld Raum gegönnt! Deswegen schließt der
Apostel diesen Satz mit den Worten: »Die Liebe erträgt
alles, sie duldet alles« (1. Kor. 13, 2—7) — natürlich,
weil es eben zu ihrem Wesen gehört, Geduld zu üben.
E chte Liebe wird also mit Recht niemals aufhören.
Alles übrige mag ein Ende nehmen und vergehen. Die Liebe nicht.
Erschöpfen mag sich die Gabe der Sprachen, die Gabe der Wissenschaft, die
Gabe der Weissagung. Was dann aber bleibt, und ewiglich bleibt, das ist der
Glaube, die Hoffnung und die Liebe. Der Glaube, den Christi Geduld zum Leben
erweckt hat. Die Hoffnung, die durch menschliche Geduld zu blühen nicht
aufhört. Und die Liebe, die nach der Anleitung und dem lebendigen Vorbild
Gottes stets die Geduld als treue Magd und Begleiterin mit sich führt.
XV. . . . Wo immer also der Geist Gottes herabsteigen mag, dort ist die Geduld
seine unzertrennliche Begleiterin. Würden wir ihr nicht zugleich mit dem
Geiste bei uns Einlaß gewähren, würde dann letzterer bei uns
verweilen? Nein, ich glaube nicht, daß er dann bei uns auch nur einen
Augenblick lang bleiben könnte. Ohne seine stete Begleiterin und Dienerin
muß er sich ja zu jeder Zeit und an jedem Ort beengt fühlen. Was
immer sein Widersacher unternehmen mag an Bösem, an Verruchtem —
wie sollte er es ohne Geduld zu ertragen vermögen, er allein? Denn gerade
das notwendigste Hilfsmittel zu jedem Ertragen ginge ihm dann ab.
Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band I, Die
Väter der Kirche . Herausgegeben von Walter Tritsch (S.71-80) Holle Verlag
, Darmstadt
Aus: Quintus Septimus Tertullian, De spectulatis. Über
die Spiele. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Karl-Wilhelm
Weeber
Reclams Universalbibliothek Nr. 8477 (S.72-87) © 1988 Philipp Reclam jun.,
Stuttgart . Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis
des Reclam Verlags