Houston Stewart Chamberlain (1855 – 1927)
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In
Portsmouth geborener Schriftsteller und Kulturphilosoph, der seit
1908 mit Eva, der Tochter Richard Wagners
verheiratet und seit 1916 deutscher Staatsbürger war. Die in seinem
Werk »Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts«
(1899) vertretene rassenideologische Deutung der Geschichte hatte großen Einfluss auf die rassistischen Vorstellungen
des Nationalsozialismus. In Chamberlains Werken
tritt mehr oder weniger unverhohlen eine menschenverachtende antijüdische Grundeinstellung zu Tage, die sicherlich eine wesentliche Ursache dafür
war, dass er zu Adolf Hitlers Lieblingsphilosophen
zählte. Siehe auch Wikipedia |
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Inhaltsverzeichnis
Die
reine Gedankengestalt Gott. Wir können über Gott nichts aussagen. |
Christus Der Heiland Der Mittler |
Die reine Gedankengestalt Gott.
Oft weisen unsere Mystiker darauf hin, wie genau die Gedankengestalt G o t t
durch die Gedankengestalt M e n s c h bedingt wird. Man denke sich den seines
Menschtums bewussten Menschen im Weltall nicht vorhanden, der Begriff Gott
wird nirgends mehr gedacht, er ist ausgelöscht, als wäre er nie gewesen:
mit dem Menschen schwindet auch sein Gott dahin; mit Recht dichtet Angelus
Silesius:
Ich weiß, dass ohne mich Gott
nicht ein Nu kann leben;
Werd‘ ich zu nicht, er muss vor Not den Geist aufgeben.
Nicht minder schwindet Gott dahin, sobald der Mensch des Gedankens
seiner Menschenwürde verlustig geht; denn die Annahme, ein solcher Mensch
müsste dennoch Gott an seinen Werken erkennen, beruht auf einer falschen
Voraussetzung. Pascal hat
unwiderleglich dargetan, dass die Natur kein Göttliches offenbare,
vielmehr Gott sich in ihr nur denen zeige, die Gott schon glauben; denn jede
Erscheinung, die der Apologet zum Beweise des Daseins Gottes heranzieht, könne
mit gleichem Recht für das Gegenteil angeführt werden (Pensées,
Nr. 242—244, 557 usw.). Der Glaube an Gott geht voran und entsteht,
wie gesagt, ursprünglich als Denknotwendigkeit. Es treten mit der Zeit
allerhand andere Erscheinungen hinzu: Geisterglauben, Dämonenglauben, Götterglauben
mit allen daraus hervorgegangenen Kulten und Observanzen, und — wie wir
gleich sehen werden — es pflegt die ursprüngliche Gottesvorstellung
vor dem verwickelteren Apparat in den Hintergrund zu entschwinden; ja, es ist
für den auf diese Weise gewonnenen Gedanken an Gott bezeichnend, daß
er meistens sein eigenes Leben außerhalb der Kulte und Dogmen führt;
wird er auch später mit ihnen verwoben, es bleibt doch einem schärferen
Auge sein Wesen als das eines fremden Gastes nicht verborgen.
Über diesen Gegenstand steht uns nämlich ein reicher Vorrat an zuverlässigen
Berichten zur Verfügung; denn jene gleich zu Anfang dieses Kapitels flüchtig
erwähnte, unsere Wissenschaft überraschende Tatsache der Allgegenwart
des Gottesgedankens auf der ganzen Erde gehört, meiner Überzeugung
nach, hierher: es handelt sich zunächst nicht um einen irgendwie gefolgerten,
empfundenen, geahnten Schöpfergott — wie unsere Religionsforscher
vielfach schließen — sondern vielmehr um einen Gedanken, den auch
der einfachste, im Nachsinnen ungeübteste Kopf nicht umhin kann zu denken:
daher die ausnahmslose Allgemeinheit des Gedankens und zugleich seine verhältnismäßige
Blässe. Der in diesen Fragen noch unbewanderte Leser greife zunächst
zu Andrew Lang‘s The Making of Religion, P. W. Schmidt‘s Der Ursprung der Gottesidee und zu Leopold von Schroeder‘s Arische Religion,
Band 1, von wo aus er den Weg zu weiterer Literatur finden kann. Unter
jedem Himmelsstrich, im Norden und Süden wie auf dem Äquator, in Asien
und Amerika wie in Australien, Ozeanien und Afrika, allüberall, wo es nur
menschenähnliche Geschöpfe gibt, da findet sich die Vorstellung eines
höchsten Wesens — die Vorstellung Gottes — gleichsam (wie
Lang sich ausdrückt) »eines vergrößerten
übernatürlichen Menschen«. Bezeichnend für dieses
höchste Wesen ist, dass es stets als g u t vorgestellt wird, häufig auch als Wächter der Tugend, der (so
z. B. bei den angeblich tiefstehenden Australnegern) Keuschheit, Mitleid,
Uneigennutz und Treue gegen das gegebene Wort lehrt. Nicht minder bezeichnend
ist aber der geringe Raum, den dieses Wesen im öffentlichen Kult einnimmt,
indem es nur auf dem dunklen Hintergrund des Bewusstseins verharrt, während
allerhand Geister- und Dämonen- und auch Götterspuk im Vordergrund
des Lebens sich breitmacht.
Dieser Gott ist zu heilig, um viel im Munde geführt, und zu gütevoll,
um gefürchtet zu werden; daher tritt er zurück vor den der Abwehr
böser Dämonen gewidmeten umständlichen magischen Riten und vor
den den Ahnen und den guten Geistern zu Ehren gefeierten Opferfesten. Je weniger
zivilisiert, je freier von Priestertum und von allen Religionsgebräuchen,
um so deutlicher wird die Nähe dieses reinen Gottes empfunden, und um so
wirksamer erweisen sich die sittlichen Gebote, die auf ihn zurückgeführt
werden — als Beispiele nenne ich die Andamanesen-Insulaner und die Buschmänner;
mit dem Aufkommen religiöser Gebräuche und namentlich eines Priestertums
verdunkeln sich sowohl Vorstellung wie Lehre, da die Menschen nunmehr den Hauptwert
auf bestimmte Kulthandlungen, Wortformeln, Opfervorschriften und dergleichen
legen. Doch schwindet diese älteste und echteste Gedankengestalt Gott niemals
und nirgends ganz hin, kann es auch nicht, weil sie, wie gesagt, einer unentrinnbaren
Denknotwendigkeit entspringt und nur dort dem Geiste verloren geht, wo der Begriff
Mensch alle Geltung verliert; weswegen dieser Gottesgedanke auf den Gipfeln
religiösen Lebens stets wiederkehrt und auch heute Bedeutung besitzt, wie
ich bald zeigen werde. Vorher möchte ich noch einen Augenblick bei den
guten, viel verlästerten Wilden bleiben.
Lehrreich finde ich es, die Namen zu erfahren, welche die urtümlichen Menschen
zur Bezeichnung dieses Göttlichen gebrauchen. Häufig heißt es
der Vater, der große Vater, unser allgegenwärtiger Vater, oder der
Alte, der Alte des Himmels, der alte Mann (im Sinne eines
von jeher Dagewesenen), sehr häufig auch der Gute, der Wohltäter,
der große Freund, anderwärts der Himmlische, der Himmelsherr, der
Alte im Himmelland, manchmal auch kurzweg der Himmel, seltener heißt es
der Herr oder der Meister. Diese naiven Benennungen bedeuten eben so viele Zeugnisse
für den Ursprung der Idee eines höchsten Wesens
(Gott) aus der Forderung eines Gegenstückes zu der Idee Mensch.
Denn, sich als Mensch erkennen heißt, sich von allem übrigen Leben
grundsätzlich unterscheiden und bedeutet den Entschluss, sich als
ein Höheres. — mit höheren Rechten, Forderungen und Erwartungen
— zu behaupten. Dies schließt notwendig in sich die Vorstellung
eines Übermenschen (um Goethe‘s Ausdruck zu gebrauchen), eines besseren Selbst, eines Helfers
und schließlich eines Meisters. Das bereits Seite 21 fg. Ausgeführte
sei hier wiederholt. Die Gedankengestalt Mensch kann als eine Bewegung des ganzen
Wesens nach oben gedeutet werden: damit diese Bewegung Bestand gewinne, muß
ihr von oben her etwas entgegenkommen — und siehe da! diese Erwartung
wird nicht getäuscht: ein höchstes, gutes, freundliches, väterliches
Wesen neigt sich aus dem Himmel herab. Selbst die Wilden von Süd-Guinea
sagen: »Dieser Gott allein hat keine Priester, dieser
allein verkehrt unmittelbar mit den Menschen« (A.
Lang, a. a. 0., 3. Aufl., S. 220). Ob dieses Wesen rein geistiger Art
sei oder auch leiblicher, pflegt nicht gefragt zu werden, ebensowenig, ob ihm
die Eigenschaft eines Weltschöpfers zukomme oder nicht; es bewährt
sich eben überall als die reine Gedankengestalt Gott.
S.22-24
Wir
können über Gott nichts aussagen.
Wir können über Gott nichts aussagen — gar nichts, außer
dass wir als Menschen seiner bedürfen. Das Wort Brahman ist weder
männlich noch weiblich, sondern sächlich, ebenso wie das griechische
Theion und das Wort »Gott« im Nordischen
und im Gotischen; letzteres erhielt erst später, unter christlichem Einfluss,
das männliche Geschlecht. Es handelt sich um ein Göttliches, über
welches nichts Näheres bestimmt werden kann, um »einen
bleibenden Gedanken in der Seele«, wie unser
Eckehart sich
ausdrückt — eine Erkenntnis, die er durch die Worte ergänzt: »wer Got scheuwen sol, der muoz blint sin.« Der indische Weise, von seinem Schüler gebeten, ihm Gott zu schildern,
antwortet: »Neti, netil«— er ist nicht
so und er ist nicht so; was wir wiederum bei Meister
Eckehart buchstäblich antreffen:
»Sprich ich nu: got ist guot, ez ist niht war, mer: ich
bin guot, got ist niht guot: usw.«
Schön heißt es von Gott in der Taittiriyaka Uponishad:
Vor dem die Worte kehren um
Und die Gedanken, ohne ihn zu finden.
Als Kontrast und zugleich zur Ergänzung sei hier auf den verwandten Ausspruch
eines hellenischen Weisen hingewiesen. In seiner bekannten apologetischen Schrift
Octavius erzählt Minucius Felix folgende
Anekdote über Simonides. Aufgefordert, sich über das Wesen Gottes
zu äußern, verlangt der Weise einen Tag zur Überlegung, dann
noch einen Tag und am folgenden Abend noch einen dritten Tag. Gefragt, warum
er seine Antwort immer wieder verschiebe, erwidert er: »Je
tiefer ich über Gottes Wesen nachsinne, um so undeutlicher werden meine
Vorstellungen« (angeführt nach G.
Boissier: La Fin du Paganisme, 7. Aufl., 1, 272). Der erhabene Denker Yadjnavalkya geht so weit, man könne von Gott weder aussagen, er sei seiend,
noch auch er sei nicht seiend: ein Satz, in welchem die Tatsache, daß Gott eine reine Gedankengestalt (Idee) ist, vollkommenen
Ausdruck findet. Auch hier bietet uns Eckehart
eine genaue Parallele:
»Spriche ich ouch: got ist ein wesen, ez ist niht war: er ist ein überswebende
wesen und ein ü b e r w e s e n d e n i h t h e i t.«
(Ausg. Pfeiffer, 5. 316—319).
Und Luther schreibt: »Gott
ist unbegreiflich und unsichtbar; was man aber begreift und sehen kann, ist
nicht Gott« (Konkordanz, unter ,,Gott“).
Es ist nun höchst bemerkenswert, dass wir nicht allein bei unseren
Mystikern, sondern bei allen hervorragendsten Religionslehrern innerhalb des
Christentums ähnlichen Aussprüchen über die Unerkennbarkeit Gottes
begegnen: denn dies beweist, dass der Begriff Gott als Gedankengestalt
neben den anderen Gottesbegriffen weiterlebt.
Die christliche Kirche hat es nämlich unternommen, drei vollkommen verschiedene
Gottesvorstellungen verschieden nach Ursprung und nach Wesen — miteinander
zu einer Einheit zu verschmelzen: den persönlich-historischen Judengott,
den mythologisch-mystischen dreieinheitlichen Gott des Weltalls und die dem
Menschen notwendige und insofern angeborene Gedankengestalt
G o t t. An Jahve, dem Judengott, ist das Mögliche geschehen, um
alles, was auch nur von weitem einer Idee gleichsehen könnte, auszumerzen;
es handelt sich um eine völlig greifbare, klarbegrenzte, geschichtliche
Gestalt; Jahve ist eigentlich nichts anderes als ein alter Jude, mit großartiger
Willensenergie und guten Geistesgaben ausgestattet, dabei aber zornmütig
und rachsüchtig und in manchen Beziehungen der einfachsten sittlichen Begriffe
ermangelnd: jeden Betrug, jeden, Raub- und Mordzug billigt er, sobald dieser
seinem auserwählten Völkchen oder einem seiner besonderen Lieblinge
zugute kommt; er ist ohne jedes Gefühl für angeborenen Menschenwert
und angeborenes Verdienst. Unwillkürlich fällt einem bei Jahve
Goethe‘s
Zahme Xenie ein
Wie Einer ist, so ist sein Gott;
Darum ward Gott so oft zu Spott.
Einer anderen Welt entstammt der eigentliche Gott der christlichen Kirche: die
Vorstellung einer heiligen Dreieinigkeit (Trimurti) ist altarisches Gut, das in den verschiedensten
Gestalten überall, wo diese metaphysisch beanlagte Menschenart stark vertreten
ist, wieder auftaucht. In diesem Falle fand die nähere Ausbildung der Vorstellung
unter dem Einfluss der späthellenischen Philosophie statt, die auf
theologische Abwege geraten und gerade, weil ihre Flugkraft gebrochen war, sich
besonderer Eingebungen rühmte und sich Unmögliches zutraute. Hier
handelt es sich um die unbedingte großartige Vorstellung einer allumfassenden
Gottheit, die — als solche — außerhalb aller Zeit und aller
Geschichte steht; dieser Gott bildet nicht, wie die Gedankengestalt des höchsten
guten Wesens, des Vaters im Himmel, den ergänzenden Gegensatz zu der Idee
des Menschen, vielmehr ergänzt er die Vorstellung der Natur. Daher bedarf
er zur Verbindung mit dem flüchtigen Geschlecht der Sterblichen einer zweiten
göttlichen Persönlichkeit, des Erlösers; schließlich stellt
eine dritte das Element der Gemeinsamkeit dar zwischen Schöpfer, Erlöser
und dem Menschen. Das Gesagte genügt zum Beweise, dass zwischen dem
historischen Judengott und dem mythologischen Christengott in Wahrheit nicht
die allerentfernteste Analogie besteht. S.28-30
Aus: Houston Chamberlain: Mensch und Gott, Betrachtungen über Religion
und Christentum
Verlag von F. Bruckmann, München