Isaak August
Dorner (1809 – 1884)
Deutscher evangelischer Theologe, der in Tübingen Philosophie und Theologie studierte Formal sich an Hegels Dialektik orientierend – stand Dorner inhaltlich der reformatorischen Theologie (Rechtfertigungsglaube) und der analytischen Interpretierung der Dogmen in Schleiermachers Glaubenslehre nahe. Zwischen der übernatürlichen Trennung und idealistischen Vermischung von Gott und Mensch suchte er eine vermittelnde Synthese. Er machte sich deshalb einen Namen als einer der führenden Köpfe der spekulativen Vermittlungstheologie. Isaak August Dorner ist der Vater des Philosophen und Theologen August Dorner (1846 -1920). Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Aus: System
der christlichen Glaubenslehre. 1. Aufl. 1879, 2. Aufl. 1886 (zit. nach der
2. Aufl.).
Die
christliche Lehre vom Glauben
Die Lehre vom Glauben als die
Vorbedingung der Erkenntnis vom Christentum als Wahrheit: Die Lehre vom Glauben
hat den Stufengang oder das gesetzmäßige Werden des christlichen
Glaubens bis an den Punkt zu verfolgen, wo die Einigung mit dem objektiven Christentum
in seinem Mittelpunkt erreicht und von diesem die unmittelbare religiöse
Gewissheit gewonnen ist (I
S.16).
Da das Christentum nach seinem Anspruch verschiedene Seiten an sich hat, die
historische und die idealgöttliche, so sind drei Hauptauffassungen desselben
möglich, und durch jede derselben wird die Art der subjektiven religiösen
Stellung zu demselben, bzw. die Beschaffenheit des Glaubens bestimmt sein. Es
kann das Hauptgewicht auf die historische oder auf die ideale Seite gelegt,
oder endlich können beide Faktoren als in inniger Einheit und Durchdringung
stehend gedacht und ebenso angeeignet werden (I
64).
Da das Christentum nicht einen bloß historischen und nur auf historischer
Autorität ruhenden Glauben verlangt, sondern wesentlich idealen, ewigen
Gehalt beansprucht, so wendet sich das historischen Glauben irre am gewordene,
nach eigener Gewißheit verlangende Subjekt naturgemäß dieser
Seite zu, welche als geistige dem Geist mehr Befriedigung verspricht. Aber die
verschiedenen möglichen Weisen, durch Hingebung an ein geschichtsloses
Ideales religiöse Gewißheit und Befriedigung zu gewinnen, entsprechen
weder inhaltlich dem Christentum, noch tragen sie wahre religiöse Gewißheit
ein (I 101).
Ist durch den sittlich-religiösen Prozess die Trauer über sich selbst
zum Heils- oder Lebenszweifel geworden, so ist Verständnis und Empfänglichkeit
für die evangelische Botschaft erschlossen, die alle Selbstrechtfertigung
des Sünders verwirft, aber auch die Selbstverurteilung wie bestätigt,
so in göttliche Vergebung umsetzt und dem Glauben an Christus Gewissheit
der Rechtfertigung verheißt. Durchdringen sich nun kraft der Predigt von
Christus Demut und Mut, Verzagen an sich selbst und Vertrauen auf Gott zu lebendiger
Einheit, so wird der Akt des Glaubens möglich, sittlich notwendig und wirklich,
der das Evangelium innerlich aneignet und dem sich dieses nun in eigenster Erfahrung
als die Kraft des Heils und als die Wahrheit erweist, die eine neue Weise des
Seins und Bewußtseins, die Gotteskindschaft begründet (I
128).
Durch die religiöse Gewißheit ist
der Erwerbung der wissenschaftlichen nicht vorgegriffen, aber die Voraussetzung
für sie oder für die wissenschaftliche Erkenntnis der Begründung
des Christentums, d. h. seiner Selbstbegründung, gegeben (I
146).
Das dogmatische Gesamtsystem gliedert
sich in zwei Hauptteile,
von denen der erste die Fundamentallehre,
der zweite die spezielle
Glaubenslehre enthält (I
164).
Die Fundamentallehre zerfällt in drei
Hauptabschnitte:
I. Die Lehre
von Gott,
Il. die Lehre von der Kreatur, besonders vom Menschen,
III. die Lehre von der Gemeinschaft oder Einheit Gottes und
des Menschen durch Gottes Selbstoffenbarung, oder die Lehre von der Religion
(121).
Der
trinitarische Gottesbegriff
Der christliche Gottesbegriff
ist historisch angesehen entschieden der trinitarische
(349).
Das ewige Resultat der ewigen
Selbstunterscheidung Gottes von sich
mit der ebenso ewigen Rückkehr in sich ist der Organismus
der absoluten göttlichen
Persönlichkeit, so dass nur derjenige wahrhaft den persönlichen
Gott denkt, der den trinitarischen Gott, die Gewähr
der absoluten Persönlichkeit nicht in Abrede stellt (396).
Die ethische Abteilung der Trinität oder die ethische Dreieinigkeit des
göttlichen Willens: Das Ethische hat zunächst so in Gott die
Gestalt, daß er die heilige Urmacht ist,
die auf sich nicht kann noch will verzichten, sondern die sein
und gelten wollen muß als die heilige
Notwendigkeit des
Guten, die es selbst ist auch das - der
Vater (416)
... Gott hat ewig in sich Prinzip ethischer Bewegung aus sich selbst, oder dem
ethisch Notwendigen gegenüber auch das Prinzip des Freien als des Werkzeuges
für seine ethische Selbsthervorbringung oder Selbstverwirklichung zur absoluten
ethischen Persönlichkeit und zur lebendigen Liebe; denn ohne Freiheit,
Wollen aus sich ist keine
Liebe möglich - der Sohn
(417), der hl.
Geist und einigt ursprünglich und urbildlich in
Gott das ethisch Notwendige Freie
(420).
Das ewige Resultat des trinitarischen
Prozesses ist ewige Gegenwart der göttlichen
Persönlichkeit in den verschiedenen Seinsweisen (431).
So ist, weiß, will sich die absolute göttliche Persönlichkeit,
unbeschadet ihrer Einheit,
in jeder der drei Hypostasen, also dreifach oder dreifaltig, und umgekehrt jede
der drei Hypostasen oder Seinsweisen hat ihren Anteil an der göttlichen
Persönlichkeit, wie diese durch sie vermittelt wird. So weiß und
will sich Gott in jeder der drei Existenzweisen, die er
sich ewig gibt als Gott, aber nie in Isoliertheit von den anderen (433).
Die
Offenbarung vollzieht sich in der Menschwerdung Gottes
Die für die Menschheit bestimmte Offenbarung
hat vier Grundmerkmale:
1. Ursprünglichkeit oder Neuheit,
2. Kontinuität in sich und mit dem Weltganzen oder Stetigkeit und Universalität,
3. Positivität und
4. Allmächtigkeit (I 572).
Form und Inhalt der Offenbarung vollenden sich erst in der Menschwerdung
Gottes so, daß die Vollendung der
Offenbarung Gottes von ihr selbst auch zur Vollendung der Religion und damit
der Menschheit wird. Diese Vollendung vollzieht sich zunächst in
Einem, der als absoluter Gottmensch sowohl der Offenbarer schlechthin, als der
vollkommen Gott ebenbildliche Mensch ist, aber die Vollendung der Welt
vermittelt (I 643).
Wenn der Glaube nicht bloß in Jesus Christus
die Erscheinung des Gottmenschen gegeben weiß,
sondern auch erkennt, daß erst in der Menschwerdung
Gottes die Vollendung und das Ziel der Religion und Offenbarung enthalten
sein kann, so ist ihm eben damit auch die doppelte wissenschaftliche Aufgabe
gestellt, in der vorchristlichen Geschichte die Vorbereitung oder das Wesen
der absoluten Religion zu erkennen und nachzuweisen, in Christi Erscheinung
aber ihre Verwirklichung (I
669).
Das Heidentum vermag nicht einen geordneten Fortschritt bis zur Vollendung der
Religion darzustellen, sondern nur eine Kreisbewegung durch entgegengesetzte
Extreme, die seine geschichtliche Widerlegung enthält (I
686).
Das Christentum ist die höhere Einheit und dadurch das Ende von Heidentum und Judentum durch
seine Grundidee und Grundtatsache, die absolute
Menschwerdung Gottes in Jesus
Christus und das vom Gottmenschen ausgehende
Werk des heiligen Geistes zur Verwirklichung des
Reiches Gottes. Die Vollendung der Religion und Offenbarung
hat sich als in Jesu von Nazareth geschichtlich
gewordene erwiesen durch seine heilige Persönlichkeit, sein Selbstzeugnis
und sein Werk, die Umschaffung der von ihm ergriffenen Menschheit. Aber ebenso
erweist er sich auch fort und fort jedem, der an ihn glaubt, als der allgenugsame Erlöser und Vollender (I
718).
Das
Böse ist falsche Kreaturliebe
Materiell besteht darin die Einheit des Bösen, dass es falsche, d. h. von
Gott abgewendete Kreaturliebe ist. So ist
es einerseits Abkehr von Gott oder
Sünde, aber andererseits und zugleich falsche Zukehr zu der Kreatur.
Dadurch aber besteht es in irgendeiner Art von Selbstsucht. Die falsche Kreaturliebe ist nämlich auf erster Stufe
Selbstsucht in leidentlicher Form, Weltvergötterung, wirkt aber
auf der zweiten, wo der Faktor der Persönlichkeit energischer mitwirkt,
geistige Selbstsucht oder Selbstvergötterung
(II 80).
Die Entstehung des Bösen überhaupt hat
ihren zureichenden Grund in der kreatürlichen Freiheit. Es kann also nur die Möglichkeit des Bösen mit der Schöpfung
zusammenfallen, Gott aber nicht Urheber seiner Wirklichkeit heißen (II 143). –
Die Versuche, den Gottmenschen als
persönliche Lebenseinheit zu erkennen, scheitern notwendig, wenn dabei
ausgegangen wird von dem Begriff des persönlichen Ichs, sei es eines menschlichen,
sei es eines göttlichen, um in ihm die Grundlage für die
gottmenschliche Lebenseinheit und das Band der Naturen zu finden, statt
umgekehrt die Einheit des gottmenschlichen Ichs als Resultat
der Einigung der göttlichen und menschlichen Seite in ihm zu gewinnen (II
412).
Der
Logos ist der substantielle Lebensgrund des Gottmenschen
Durch ihn wird ihm des Vaters Wille, das ethisch
Notwendige offenbart. Er mit diesem Menschen ursprünglich geeinigt, bestimmt
dessen Willen. Er ist ursprünglich und von Anfang als das lebendige göttliche Substrat dieser Person zu denken, das sich aber
immer mehr in Jesu aktuale wissende und wollende Menschheit hineinbildet, um
die Gottmenschheit zu voller Aktualität zu bringen
(II, 421).
Der Logos konnte in Christus
nur dadurch vollkommener Mensch werden, dass Christus
nicht bloß ein einzelner ist, ein anderer, sondern des Menschen
Sohn und als solcher zum kreatürlichen Zentrum der Welt bestimmt.
Wiederum aber Sohn des Menschen oder der zweite Adam,
der zugleich der letzte ist, konnte er nur sein durch die Inkarnation des göttlichen Weltzentrums oder des Logos (II
422).
In Christus ist mit dem
Werden der menschlichen Seite notwendig auch
ein Werden der Gottmenschheit gegeben, und die Menschwerdung ist nicht als eine mit einemmal fertige, sondern als fortgehende, ja wachsende
zu denken, indem Gott als Logos jede der neuen Seiten, die von der wahren menschlichen
Entwicklung hervorgebildet werden, stetig ergreift und sich aneignet, wie umgekehrt
die wachsende aktuelle Empfänglichkeit der Menschheit mit immer neuen Seiten
des Logos sich bewußt und wollend zusammenschließt.
Trotz dieses Werdens innerhalb der Unio ist aber der Logos von Anfang an mit
Jesu im tiefsten Wesensgrund geeinigt oder Jesu Leben immerdar ein gottmenschliches
gewesen, indem nie eine vorhandene Empfänglichkeit für die
Gottheit ohne ihre Erfüllung blieb. Das menschliche Werden und die Unveränderlichkeit
der Gottheit stimmt aber dadurch zusammen, daß Gott
als Logos ohne Selbstverlust in Geschichte eingehen kann für den
Zweck steigender Selbstoffenbarung in der Menschheit,
diese aber fähig ist, immer mehr in die Unveränderlichkeit, wieder
ohne Alterierung ihres Wesens, gestellt zu werden (II
431). -
Die Versöhnung
Gottes mit der sündigen Welt
Die Genugtuung, welche erforderlich ist, damit Gott
mit der sündigen Welt
versöhnt und seine Gemeinschaft
mit ihr hergestellt werde, besteht in der Gott zu leistenden
Sühne, welche nicht zunächst in Lebensgerechtigkeit,
sondern in williger Unterwerfung unter das Gesetz der
göttlichen Gerechtigkeit besteht, das die Sünde und Schuld mit gerechtem
Leiden belegt, deren Mittelpunkt die göttliche
Ungnade ist (II 632).
Christus macht den ewigen
Versöhnungswillen Gottes in Leidensgehorsam zu seinem eigenen, um ihn und damit das göttliche Ineinander der Gerechtigkeit
und Liebe auch in der Welt zur Wirklichkeit zu bringen. Diesen seinen subjektiven
Versöhnungswillen betätigt Christus dadurch, daß seine göttliche
Liebe oder stellvertretende Gesinnung sich in die
Stelle der Menschheit versetzt, um im eigenen Leidensgefühl
auch die gegen die Sünde und Schuld der Menschheit gerichtete göttliche
Ungnade zu tragen mit schlechthinniger Ergebung und Leidenswilligkeit,
um seine rettende Liebe auch der strafenden Gerechtigkeit Gottes gegenüber
zu beweisen (II 641).
Christi den Willen des Vaters
aufnehmender Versöhnungswille und die seiner stellvertretenden
Gesinnung entsprechende Tätigkeit, die zum Leidensgehorsam wurde,
hat auch objektive Bedeutung, daher auch objektive Wirkung und Erfolg. Indem
Gott in ihm die Menschheit als der göttlichen Gerechtigkeit genügend
ansieht, sieht er in ihm, der für uns gelitten und
in Liebe zur göttlichen Gerechtigkeit sich Gott geopfert hat, den
vollkommenen Bürgen für die Welt, um dessentwillen ihr nun nicht bloß freie Sündenvergebung und Straffreiheit, sondern auch
Leben und Seligkeit
angekündigt und dargeboten werden kann
(II 651).
Enthalten in: Textbuch zur deutschen systematischen
Theologie und ihrer Geschichte vom 16. bis 20. Jahrhundert, Band I 1530 –
1934 von Richard H. Grützmacher 4.Auflage, 1955 C. Bertelsmann Verlag Gütersloh
(S.156-160)