August Dorner (1846 - 1920)

Deutscher Philosoph und Theologe, der insbesondere von Immanuel Kant und Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher beeinflusst war. Nach August Dorner ist Gott absoluter, selbstbewusster Geist, der die Welt nicht aus Nichts, sondern aus den in ihm vorhandenen Potenzen geschaffen hat. Gott ist eine Einheit aus Vernunft und Wille, die über die Welt erhaben und ihr zugleich immanent ist. In der Natur und geschichtlichen Entwicklung offenbart sich das göttliche Wirken, das teleologisch von zielorientierten Ideen und Normen beherrscht wird. August Dorner ist der Sohn des Theologen Isaak August Dorner (1809 – 1884).

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis

Gott hat die Welt nicht aus Nichts geschaffen
Beweise für das Dasein Gottes
Ontologischer Gottesbeweis
Kosmologischer Gottesbeweis
Teleologischer Gottesbeweis
  Ethischer Gottesbeweis
Ästhetischer Gottesbeweis
Geschichtlicher Gottesbeweis
Religiöser Gottesbeweis
Bestimmung des göttlichen Wesens
  Gott ist vernünftiger Wille
Das göttliche Selbstbewusstsein
Das Böse und Übel in der Welt
Das göttliche Schaffen
Metaphysische Begründung der Religion
Realität und Unsterblichkeit des Ichs

Gott hat die Welt nicht aus Nichts geschaffen
Die Schöpfung aus Nichts ist eine völlig ungenügende Formel, weil sie höchstens negativ abwehrt, dass Gott nicht aus einem ihm fremden Stoffe die Welt gebildet habe, was sie freilich auch nur dann tut, wenn man nicht wie Augustin u. A. das Nichts wieder als eine negative Kraft fasst, die das Sein mindert, so dass Gott das summe esse, die Welt das minus esse wäre, mit Negation gemischtes göttliches Sein enthielte.

Man wird nicht sagen können, dass Gott aus Nichts geschaffen habe, sondern dass Gott die Welt aus sich, aus den in ihm vorhandenen Potenzen geschaffen habe und schaffe. Wenn Gott sich selbst wissendes und wollendes Wesen ist, so kann er als Herr über seine Potenzen die Faktoren, die bei ihm in Einheit sind, den objektiven und den subjektiven, den idealen und den realen, zunächst für sich fixieren, den realen für sich, der ohne den idealen blinder Trieb, den idealen, der ohne den realen bloße Idee wäre, den subjektiven, der für sich selbstisch wäre, weil ihm die universale Vernunft fehlte, den objektiven, der für sich allgemein wäre, es aber zu keiner Konkretheit brächte. So kann also das absolute Wesen einen möglichen Zustand seiner Seinsweisen denken, der das Gegenteil seiner absoluten Harmonie wäre, und doch würde, falls jeder Faktor für sich wäre, jeder sich nach dem anderen sehnen, weil alle Seinsweisen zusammengehören, keine für sich besteht. Es würde jeder, wenn er aus der aktiven Einheit herausgenommen wäre, im Verhältnis zu seinem Zustand in der Einheit in einem Potenzzustand sich befinden.

Dass nun diese Potenzen in einen absoluten Gegensatz treten, jede für sich im absoluten Potenzstand bliebe, würde unmöglich sein, weil sie niemals ganz unaktiv sein und ganz aus der Einheit fallen können. Dagegen ist es nicht unmöglich, dass diese Kräfte auseinander treten, um in neuer Form geeint zu werden. Dieses Auseinandertreten würde der Einigung gegenüber einen relativen Potenzzustand darstellen; die Einigung würde die Aktualität darstellen, denn sie sollten ja aus einer Trennung zu einer neuen Form der Einigung übergehen. Wenn diese Einigung aber nicht eine leere Wiederholung der absoluten Einheit sein soll, so muss sie anders geartet sein; sie kann nicht absolut sein; sie kann nur eine relative, werdende sein und wenn sie eine werdende ist, so muss sie, da kein Grund vorhanden ist, warum der Vereinigungsprozess aufhörte, eine ins Unendliche fortschreitende sein.

Somit ergeben sich Grade der Einigung, es entstehen durch das jedesmalige Fixieren eines Einigungspunktes eine Reihe von Existenzformen, deren jede ein Abbild der göttlichen Einheit darstellt und welche alle zusammen in all ihren Beziehungen eine unendliche Fülle des Seins darstellen, von dem zwar jedes für sich unvollkommen, das aber in seiner Totalität ein unendlich mannigfaltiges und doch einheitliches Abbild des vollkommenen Wesens ist. So wird man also, gerade wenn Gott voll selbstbewusstes und sich selbst wollendes Wesen ist, das seine Seinsweisen durchschaut, auch als möglich zugeben müssen, dass Gott diese mögliche Gestaltung seiner Kräfte oder Seinsweisen als denkbar fixieren kann und den ganzen möglichen Prozess des Werdens übersieht, der aus dem Auseinandertreten der Potenzen und ihrer sukzessiven Einigung hervorgeht, und wenn er so ein neues von seinem ursprünglichen Einheitszustand verschiedenes Sein überschaut, so ist auch anzunehmen, dass er diese mögliche Welt will. Denn er wird so auf neue Weise seiner Harmonie bewurst, wenn er auch die auseinander tretenden Potenzen in der Einheit erhalten kann, und er hat nur so einen wirklich universalen Willen, wenn er sich auch als den Möglichkeitsgrund von anderen Existenzformen und ihrer werdenden Harmonie will, falls er diese Möglichkeit in sich erschaut.

So angesehen, wird die göttliche Kausalität die Welt wirklich aus sich hervorbringen, und die göttliche Intelligenz wird nicht erst durch das Erschauen eines andern zum Selbstbewusstsein kommen, sondern indem sie sich selbst durchschaut, sieht sie in sich selbst vielmehr die Möglichkeit eines andern, einer andern Art der Vereinigung der in ihr harmonisch geeinten Seinsweisen auf Grund ihres Auseinandertretens.

So ist es wohl möglich, ja nicht nur möglich, sondern vernünftig anzunehmen, dass das absolute Wesen seiner Einsicht in die mögliche unendliche Kombinationsfähigkeit seiner auseinander tretenden Potenzen gemäß kausal ist und diese Möglichkeiten realisiert. Wie das freilich die absolute Ursache macht, um kausal zu sein, davon haben wir keine Anschauung. Dass sie aber den Potenzen durch ihre Ursächlichkeit, durch ihren bewussten Willen eine neue Existenzform geben kann, das kann man sich daran deutlich machen, dass auch wir unsere Gedanken mitteilen können, ohne sie deshalb selbst zu verlieren, indem wir ihnen in Wort oder Schrift eine Art selbständige Existenz geben. Warum sollte das absolute Wesen seine Potenzen nicht so beherrschen, dass es ihnen eine neue Existenzform geben kann und sie doch zugleich in sich einheitlich zusammenhält, ja gerade auf Grund davon, dass es sie in sich einheitlich zusammenhält, ihnen zugleich eine neue Existenzform gibt; sie für sich setzt, um sie in neuen Formen zu kombinieren, in Analogie damit, dass wir unseren Gedanken, unseren Gefühlen und Wollungen auch eine andere Existenzform zu geben vermögen, die von der Einheit mit unserem Ich abgelöst ist, in objektiven Darstellungen, ohne dass wir deshalb die Einheit mit uns selbst, mit unseren Gedanken, Gefühlsweisen, Willensrichtungen verlieren.

So wäre nun die Welt ein Produkt Gottes, das Gott aus seinen ihm eigenen Potenzen, denen er eine andere Existenzform gibt, schafft, aber doch von ihm unterschieden. Denn die Welt würde niemals eins werden mit dem göttlichen Ich, das als die absolute Einheitsform ihr gegenüber völlig transzendent ist, insofern Gott sich selbst als ihren Möglichkeitsgrund weiß und will, und sich als die alles überragende vollkommene Einheit erfasst. Insofern aber in der Welt die verschiedensten Grade der Vereinigung der Potenzen Gottes sind, sind diese Vereinigungspunkte, die voneinander unterschieden und doch alle aufeinander bezogen sind, doch nur durch die göttliche Aktion möglich; Gott ist in jedem solchen Vereinigungspunkt als die einigende Kraft tätig, ist also jedem solchen Punkte immanent, er ist ebenso im der einheitlichen Beziehung all dieser Vereinigungspunkte tätig, und je umfassender und vollkommener ein solcher Einheitspunkt ist, um so energischer macht sich in ihm die einigende Tätigkeit des absoluten Ich geltend. Aber nichtsdestoweniger ist ein solcher Einheitspunkt nicht mit dem absoluten Ich identisch; vielmehr wird er in seiner Bezogenheit auf andere Punkte als eine von ihm unterschiedene und im Verhältnis zu ihnen selbsttätige Kraft sich betätigen, die von dem absoluten Ich verschieden, aber von seiner Aktion beseelt ist.

So ruft die göttliche Aktion auf Grund der relativ selbständig gesetzten Potenzen Einheitspunkte hervor, die in ihrer Weise aktiv sind, in denen die Eine göttliche Aktion als eine besondere Art der Tätigkeit dem jeweiligen Einheitspunkt gemäß sich offenbart. Auf diese Weise ist Gott über der Welt als vollendete Einheit und ist in ihr doch aktiv, ist ihr immanent, insofern er seinen Potenzen eine neue Daseinsform gibt, indem er sie aus ihrer ursprünglichen Einheit heraushebt und so ihnen Selbständigkeit verleiht, um sie in neuer Weise durch seine einigende Tätigkeit zu selbsttätigen Einheitspunkten zu verbinden. Und das vermag er auf Grund davon, dass er das ewig mit sich einige, sich selbst wissende und wollende Ur-Ich ist, das sich zugleich als den ewigen Möglichkeitsgrund der Welt weiß und will, d. h. als die Kraft, die die Einheit ihrer Potenzen löst, um sie in neuer Weise zu verbinden und ihnen so eine neue Daseinsform zu geben. So wird auch ihre Aktion und die Formen ihrer Vereinigung zwar durchaus von Gottes Aktion durchdrungen sein, aber doch so, dass die so hervorgerufenen Einheitspunkte sich auf ihre Weise betätigen, weil die göttliche Aktion in jedem eine bestimmte Art der Betätigung zur Folge hat, in diesem Sinne Kausalität setzende Kausalität ist.
S. 34-37
Aus: Grundriss der Religionsphilosophie von D. Dr. A. Dorner, Verlag der Dürr’schen Buchhandlung, Leipzig 1903

Beweise für das Dasein Gottes
Um das Dasein Gottes zu erkennen, hat man seit alten Zeiten die Beweise für das Dasein Gottes ins Feld geführt, die in der neueren Zeit viel umstritten, von vielen gänzlich aufgegeben sind.

Was man gegen den Versuch das Dasein Gottes zu erweisen einwendet, ist zunächst dies, dass man hier gar keine Basis hat, von wo der Beweis ausgehen soll. Denn gesetzt Gott wäre als das absolute Wesen vorhanden, so würde man doch gar keinen Anhalt haben, ihn zu beweisen, da vielmehr tatsächlich alles von ihm ausginge, also auch die Gottesidee des Menschen in letzter Instanz selbst göttliches Produkt wäre. An die Stelle des Gottesbeweises sollte demgemäß die tatsächliche Erfahrung Gottes treten. Der einzige Anhalt für Gottes Existenz wäre danach das Gottesbewusstsein selbst, das eben ein Sein Gottes im Bewusstsein wäre. Von dieser Tatsächlichkeit müsste man ausgehen. Aber Beweise Gottes könnte die endliche Kreatur nicht geben, die höchstens den Inhalt ihres Gottesbewusstseins mehr oder weniger klar ausdrücken könnte.

Allein wenn auch in dem Menschen das Gottesbewusstsein vorhanden ist, so ist es doch in concreto [in Wirklichkeit] in sehr verschiedenen Formen vorhanden. Welche Form ist nun die richtige? Gerade wegen der großen Mannigfaltigkeit der Gottesvorstellungen können Zweifel an der Existenz Gottes erwachen. Wenn also auch der Fromme, der sich um die Erkenntnis weniger kümmert, Gott zu fühlen oder unmittelbar anzuschauen glaubt, so ist doch für den, der die Erkenntnis als seine Aufgabe ansieht, die Frage nicht abzuweisen, ob denn dieses Gottesgefühl eine reale Basis habe, ob diese Gottesanschauung wirklich haltbar sei, ob man ihre Wahrheit erkennen könne oder ob hier lediglich ein Glaube an die Stelle des Erkennens treten müsse, der doch, wenn er mit dem Erkennen in Streit kommt, immer eine prekäre Stellung einnimmt. Auch ein Anselm, der den ontologischen Gottesbeweis formuliert hat, geht von dem Satz aus: credo, ut intelligam [ich glaube, um zu verstehen] und begnügt sich nicht mit dem Glauben als einer dem Erkennen fremden Verfassung des Gemütes. Nur das bleibt richtig, dass man nicht Gott durch das Erkennen erst hervorbringen kann. Das wäre ein geradezu widersinniges Unternehmen. Es kommt vielmehr nur darauf an, zu beweisen, dass die Existenz Gottes ein vernunftnotwendiger Gedanke ist, dass wir diesen Gedanken denken müssen.

Derjenige freilich, der nur Sinneserkenntnisse gelten lässt, wird selbstverständlich von solcher Vernunftnotwendigkeit nicht viel halten, obgleich auch seine Beweise im Gebiet der empirischen weltlichen Erkenntnis keineswegs bloß auf Sinneserfahrung, sondern ebenfalls auf Schlüssen aus der Sinneserfahrung beruhen, Von Gesetzen könnte nie die Rede sein, wenn man nur bei der Tatsächlichkeit der Erfahrung stehen bliebe. Wer aber anerkennt, dass wir auch übersinnliche Erkenntnisse gewinnen können, der wird sich doch nicht so ablehnend zu dem Versuche verhalten, das Dasein Gottes als einen vernunftnotwendigen Gedanken zu erweisen. Ob nun freilich dieser vernunftnotwendige Gedanke des Daseins Gottes auch das Sein Gottes verbürgt, das könnte man ja auch wieder bezweifeln wollen. Wir müssen diese Frage in concreto untersuchen.

Der Beweis e consensu gentium [die bei allen Völkern herrschende geiche Ansicht] ist eigentlich kein Beweis. Denn daraus, dass sich die Vorstellung von Gott überall findet, folgt noch nichts über die Existenz des Gegenstandes dieser Vorstellung, nicht einmal für den normalen Charakter dieser Vorstellung, da es z. B. auch allgemeine Entwickelungsstadien gibt, die doch als tiefere Stufen überwunden werden, wie denn in der Tat in der neueren Zeit ein mythologisches, ein metaphysisches und ein positivistisches Zeitalter der Menschheit unterschieden worden ist. Im Übrigen gehen die Gottesbeweise von gegebenen Tatsachen aus und schließen von ihnen auf die Gottheit. Diese Tatsachen können im Subjekt oder in der Welt gegeben sein. Im Subjekt ist die Tatsache vorhanden, dass der Begriff Gottes gebildet wird. Diese Tatsache sucht man als eine notwendige zu erweisen und von ihr die Existenz Gottes zu erschließen.

Ebenso ist im Subjekt das sittliche Streben vorhanden. Auch von dieser Tatsache sucht man auf die Gottheit zu schließen. In der Welt konstatieren wir den Weltzusammenhang, die Verkettung durch Ursache und Wirkung; oder man konstatiert in der Welt das Leben, die Zweckmäßigkeit und Schönheit. Von diesen Tatsachen aus schließt man auf die Gottheit. Man hat deshalb von alters her den ontologischen, den moralischen, den kosmologischen, den teleologischen Beweis in mancherlei Modifikationen versucht. Alle diese Beweise ruhen im Grunde auf unserem Bewusstsein, sei es auf unserem Selbst- oder auf unserem Weltbewusstsein und setzen die Realität des Ich und der Welt oder mindestens, wie der ontologische, die erkennenwollende Vernunft voraus. Denn ohne diese Voraussetzung würden sie keinen Anhaltepunkt haben. Im Grunde also sind diese Beweise nur möglich, wenn es eine erkennenwollende Vernunft gibt; wenn man dem Illusionismus oder dem Phänomenalismus huldigt, der nur Erscheinungen im Bewusstsein anerkennt, dieses selbst aber als bloße Vorstellung gelten lässt, so kann man nicht von der Welt oder dem Ich, denen man alle Realität abspricht, auf das Sein Gottes schließen.

Ferner ist zu bedenken, dass bei diesen Beweisen ebenso selbstverständlich die Denknotwendigkeit als ein zwingender Beweis vorausgesetzt wird. Wenn man daran zweifelt, ob das, was ich notwendig denken muss, auch wirklich so sei, wie ich es denken muss, so ist natürlich jeder Beweis unmöglich, d. h. diese Beweise beruhen auf der Voraussetzung, dass unsere Denknotwendigkeit das letzte Kriterium für die Gewissheit der Existenz dessen sei, was ich notwendig denken und, wenn ich es denke, notwendig als existierend denken muss. Wer diesen Satz nicht an¬erkennt, der kann die Gottesbeweise nicht gelten lassen. Aber wer diesen Satz leugnet, der kann überhaupt keine Erkenntnis für möglich halten. Denn das letzte Kriterium der Wahrheit ist nicht der tatsächliche Eindruck. Diesen kann man bezweifeln; sondern es ist die Notwendigkeit des Denkens, dass ich dies Betreffende als existierend anerkennen muss, der Beweis, dass alle Zweifel hier unberechtigt sind. Eben dies geht aber schon insofern über die Tatsächlichkeit hinaus, als hier zu der Tatsächlichkeit noch die Einsicht hinzukommt, dass es notwendig so als tatsächlich angenommen werden muss. Noch vollkommener ist der Beweis, wenn man zugleich zeigen kann, dass nicht nur die Kriterien der Beobachtung des Tatsächlichen jeden Zweifel ausschließen, sondern dass diese Tatsächlichkeit auch das unter den gegebenen Umständen an sich Notwendige sei und dass gerade diese Tatsächlichkeit erwartet werden muss. Wenn also die Tatsächlichkeit der Gotteserfahrung gegeben ist, so fügt der Gottesbeweis hinzu, dass diese Erfahrung durch die Notwendigkeit der Gottesidee bestätigt wird.

Ja, die Gottesbeweise greifen noch weiter. Sie gehen von einer bestimmten psychologischen oder kosmologischen Tatsächlichkeit aus und wollen zeigen, dass diese Tatsächlichkeit notwendig auf die Annahme der Existenz Gottes führen muss, ja der ontologische Beweis will zeigen, dass unsere erkennende Vernunft selbst mit der Annahme von Gottes Existenz steht und fällt.

Unter diesen Voraussetzungen betrachten wir nun die Beweise für das Dasein Gottes. Die Reihenfolge könnte an sich ziemlich gleichgültig sein, wenn man nicht in diesen Beweisen eine Stufenfolge von dem Unbestimmten zum Bestimmten und von den einfacheren Grundkategorien zu komplizierteren Gedankengängen beobachten könnte.

Ontologischer Gottesbeweis
Wir beginnen deshalb mit dem ontologischen Beweise. Die verschlungenen Wege, welche der ontologische Beweis durchlaufen hat, hier näher zu verfolgen ist nicht nötig. Sein Grundgedanke ist der: Weil wir genötigt sind, ein allerhöchstes Wesen zu denken, zu dessen Begriff die Existenz gehört, so müssen wir auch ein solches höchstes Sein annehmen. Gegen diesen Gedanken hat man eingewendet, dass wenn man ein Wesen als real denke, es darum noch nicht real sei. Dass wir ein allerrealstes Wesen denken, das sei noch gar kein Beweis für dessen Existenz. Um die Existenz festzustellen, dazu genüge nicht das bloße Denken. Dazu bedürfe es noch einer Anschauung oder irgendeiner Erfahrung. Wenn uns diese nicht zu Gebote stehe, so helfe es nichts, wenn man auch die Idee des allerrealsten Wesens oder eines höchsten Wesens, quo majus cogitari non potest; fasse oder fassen müsse. Wenn man zunächst diesen Einwand gelten ließe, so wäre doch auch so der ontologische Beweis nicht völlig wertlos. Man gehe einmal davon uns, die Religion besitze eine Gotteserfahrung. Das sei als Tatsache feststehend. So hätte man ja das, was man zur Ergänzung des Beweises suchte, nämlich die Erfahrung. Es wäre aber doch für die religiöse Erfahrung keineswegs ohne Wert, wenn man zeigen könnte, dass unsere Vernunft dieser Erfahrung vollkommen zustimmt, dass sie genötigt ist, ein allerrealstes Wesen zu denken, in welchem der Einheitstrieb unseres Denkens erst alles zu einer Einheit zusammenfassen kann. Denn es würde damit eine Übereinstimmung des Denkens mit der religiösen Erfahrung gegeben sein, die für uns von dem höchsten Werte wäre, weil wir so im unserem Geistesvermögen eine volle Harmonie anzunehmen berechtigt wären. Aber man kann noch weiter gehen.

Wenn jemand sagen würde, die religiöse Gotteserfahrung ist Illusion, wie wollte man ihm begegnen? Die Empiristen würden antworten: Dadurch, dass man ihn aufforderte, dieselbe Erfahrung zu machen. Damit wäre aber nichts entschieden. Es stünde Be¬hauptung gegen Behauptung. Dass diese Erfahrung keine Illusion sei, das kann man nur zeigen, wenn man beweisen kann; dass es unberechtigt sei, eine solche Erfahrung zu bezweifeln, weil ihr Inhalt unserem vernunftnotwendigen Denken entspreche. Eben diese Notwendigkeit zeigt nun der ontologische Beweis. Denn er zeigt, dass wenn wir überhaupt erkennen wollen, wir annehmen müssen, dass es ein Wesen gibt, in welchem - gleichviel auf welche Weise - alle Realität zusammengefasst ist, ein Wesen, das vielleicht nicht selbst das All der Realität ist, als ob nicht andere Realität sein könnte, die von ihm hervorgebracht ist, aber jedenfalls ein Wesen, in dem alle Realität zusammengefasst ist, das die einheitliche Quelle aller Realität ist. Denn ohne diese Voraussetzung könnten wir den Gedanken der Welt als einer einheitlichen Größe gar nicht aufrechterhalten, müssten wir den Versuch des zusammenhängenden Erkennens aufgeben. Wenn Kant sagt, wir müssten die Idee dieses Wesens denken als regulative Idee, um überhaupt zu erkennen, so erklärt er damit die Gottesidee für eine notwendige Idee. Wenn wir nun diese Idee notwendig denken und, wenn wir sie denken, sie nicht bloß als Idee, sondern als Realität denken müssen - denn dächten wir sie n u r als Idee, so wäre diese Idee sich selbst widersprechend, da es sich widerspricht, das allerrealste Wesen, die Quelle aller Realität als bloße Idee zu denken - so muss die Existenz dieses Wesens angenommen werden, und dann wird auch eine anderweitige Erfahrung desselben gegen die Skepsis sich sichern lassen.

Ja man kann noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Wenn wir auch keine Erfahrung von diesem Wesen machten, würden wir doch - falls wir überhaupt erkennen wollen, seine Realität als erwiesen ansehen müssen, weil wir es notwendig denken und notwendig als existierend denken müssen, und wir müssten dann weiter schließen, dass dieses allerrealste Wesen auch unsere Idee von ihm veranlasst haben müsse, da es ja die Quelle aller Realität, auch unserer Denktätigkeit sein müsste. Ich vermag mich aus diesen Gründen nicht davon zu überzeugen, dass der ontologische Beweis leer und unhaltbar sei. Denn wenn wir notwendig diese Idee der Gottheit als des allerrealsten Wesens bilden müssen, so würde unser Denken überhaupt kein Erkennen herbeiführen können, wenn dieses Wesen, das wir notwendig denken müssen und als real denken müssen, nicht existierte. Weshalb sollten wir denn der Anschauung mehr trauen als dem Denken?, wenn unser Denken uns in die Irre führte, warum sollte uns nicht auch unsere Anschauung, unsere Phantasie, unser Gefühl erst recht in die Irre führen! Es ist gar kein vernünftiger Grund der Phantasieanschauung, dem Gefühl mehr zuzutrauen als dem Denken, wie ja denn tatsächlich das Denken auch die Realität der religiösen Erfahrung ganz konsequenterweise ebenso skeptisch anficht, wie die Realität unserer Gottesidee.

Wir haben bisher die Notwendigkeit der Annahme der Existenz Gottes darauf zurückgeführt, dass wenn wir überhaupt erkennen wollen, wir das allerrealste Wesen voraussetzen müssen; hierin ist zweierlei vorausgesetzt, einmal, dass wir nicht bloß das Denken als ein Spiel unseres Geistes betreiben, sondern dass wir den Willen haben zu erkennen. Diese Voraussetzung ist auch berechtigt. Denn es ist nicht in unser Belieben gestellt, ob wir erkennen wollen oder nicht. Wir können zwar auch das Erkennen unterlassen. Dann machen wir uns aber dessen schuldig, unvernünftig zu sein. Denn unsere Vernunft fordert, dass wir erkennen. Sodann haben wir zu zeigen gesucht, dass die Idee Gottes notwendig sei, weil wir Gott als den notwendigen Einheitspunkt voraussetzen müssen, ohne den wir die Welt (uns in die Welt eingeschlossen) nicht erkennen können. So ist aber das ontologische Argument nur im Zusammenhang mit der Forderung des Welterkennens, des Erkennens überhaupt durchführbar. Wir haben bisher nur gesagt: Wir können überhaupt nicht erkennen, wenn wir nicht die Existenz Gottes voraussetzen. Da ist die Notwendigkeit der Annahme der Existenz Gottes darauf gegründet, dass sie die unentbehrliche Voraussetzung für unser Welterkennen sei.

Wir können aber noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Die Notwendigkeit der Annahme der Existenz Gottes ist in unserem Denkvermögen selbst begründet. Sie beruht darauf, dass wir reale Kategorien denken müssen. Wir denken die Kategorie der in sich beruhenden Substanz mit Notwendigkeit. Wenn dieser Kategorie nichts Seiendes entsprechen würde, so würde unsere denkende Vernunft, die diese Kategorie bildet, für unser Erkennen unbrauchbar sein. All unser Erkennen ruht auf der Voraussetzung, dass es ein substantielles Sein gibt, das in sich selbst beruht; der Einheitstrieb unserer Vernunft zwingt uns, dieses substanzielle Sein nicht als ein vielfältiges sondern als Eines zu denken, zwingt uns Eine absolute Substanz zu denken, in der alles Sein beschlossen ist. Hiernach könnte man sagen, die Grundidee, auf der alles andere Erkennen ruht, ist die notwendige Idee des absoluten substantiellen Seins und die Wahrheit dieser Idee bezweifeln heißt, unsere Vernunft selbst in Frage stellen. So ist der ontologische Beweis erst vollendet und von der Welterkenntnis unabhängig gemacht. Die Einrichtung unserer denkenden Vernunft an sich zwingt uns zu der Annahme der Existenz eines absoluten substantiellen Seins, weil wir sonst diese reale Kategorie in Verbindung mit dem Einheitstrieb der Vernunft völlig vergeblich bilden würden und dann unserer denkenden Vernunft grundsätzlich misstrauen müssten, was nichts anderes bedeuten würde, als dass die erkennende Vernunft sich selbst aufgibt. Freilich ist diese Annahme Eines absoluten substantiellen Seins noch sehr unbestimmt. Die nähere Bestimmung desselben ergibt sich durch die anderen Gottesbeweise.

Kosmologischer Gottesbeweis
Das kosmologische Argument kann auf mancherlei Weise gestaltet werden und ist mannigfaltig gestaltet worden. Zunächst kann man es von der Aufgabe des Erkennens aus gestalten, wie es Schleiermacher versucht hat. Man kann sagen: Dass das erkennende Subjekt die objektive Welt in sein Erkennen aufnehmen kann, ist nur denkbar, wenn das Erkennende und das zu erkennende Sein für einander zugänglich sind. Ohne diese Voraussetzung ist jedes Erkennen unmöglich. Diese Voraussetzung ist aber nur haltbar, wenn das erkennende Subjekt und das zu erkennende Objekt durch eine höchste Einheit verbunden sind, welche beide für einander bestimmt hat. Diese Einheit ist die Gottheit, die die Voraussetzung für alles Erkennen ist.

Sicher ist der Gedanke richtig, der von der Tendenz des Erkennens und der Fähigkeit der Welt erkannt zu werden, also von den subjektiven und objektiven Faktoren der Welt auf die Einheit schließt, welche allein eine Vereinigung des Subjekts mit dem Objekt in der Form des Erkennens, des Aufgenommenwerdens des Objekts in das Subjekt ermöglicht. Und parallel damit geht bei Schleiermacher der Gedanke, dass unser Handeln auf die Welt, das Realisieren. unserer Zweckbegriffe in der Welt auch nur unter der Voraussetzung möglich sei, dass unserem Vermögen die Zweckbegriffe zu bilden und der Welt, welche sie in sich aufnehmen soll, welche durch sie gestaltet werden soll, eine höchste Einheit zu Grunde liegt, die den Erfolg unseres Handelns in der Welt verbürgt. Es würde also, um beides zusammenzufassen, der Gegensatz des intelligenten Subjekts und der objektiven Welt eine Einheit voraussetzen, welche die Vereinigung beider in Form des Erkennens und Handelns ermöglicht. Aus der Beschaffenheit der Welt, die in den Gegensatz von Subjekt und objektiver Realität zerspalten ist und doch diesen Gegensatz ausgleichen will, wird also hier auf eine letzte Einheit geschlossen, welche die Möglichkeit der Ausgleichung dieses Gegensatzes garantiert. Zweifellos wird jeder, der diesen Gegensatz und die Möglichkeit des Erkennens anerkennt, also nicht jede Erkenntnis skeptisch ablehnt, Schleiermacher zustimmen müssen.

Das kosmologische Argument ist aber auch noch bedeutend erweitert worden. Wir finden nicht b1oß in dem Verhältnis vom Objekt zum Subjekt, sondern überall in der Welt eine gegenseitige Wechselwirkung der Dinge. Die ganze Welt steht in einer solchen Wechselwirkung; alle einzelnen Dinge sind nicht nur für sich; sondern stehen in Beziehung zu anderen Dingen und es besteht so durch diese Wechselwirkung ein allgemeiner Weltzusammenhang. Diese Tatsache vorausgesetzt fragt es sich nun, woher diese Wechselwirkung? wie ist die Wechselwirkung möglich? Die einzelnen, Objekte haben sich nicht selbst an den Ort gestellt, in dem sie in der Wechselwirkung stehen. Sie finden sich da vor. Beobachten wir die Erscheinungswelt, so ist hier überall ein mechanischer Zusammenhang.

Es ist überall ein Aufeinanderwirken in den Formen von Raum und Zeit in Gestalt der Bewegung. Woher dieser mechanische Naturzusammenhang? Auch hier schließt man mit Notwendigkeit auf eine letzte einheitliche Ursache, welche diesen ganzen Zusammenhang geordnet, welche die Weltpotenzen so zusammengeordnet hat, dass sie in dieser Weise aufeinander wirken. Diese letzte hinter dem ganzen Aufeinanderwirken stehende Ursache; welche dieses Aufeinanderwirken, diese allgemeine Wechselwirkung veranlasst, welche die Ordnung dieser gesamten Wechselwirkung hervorbringt, ist eben die Gottheit. Auch dieser Gedanke, den wir notwendig denken müssen, entspricht durchaus der Frömmigkeit, welche in dieser Ordnung ein höheres Walten ahnt. Der kosmologische Beweis in dieser Form ist durchaus haltbar. Denn wenn man nicht bei dem Zufall stehen bleiben, d. h. allen Grundsätzen des Erkennens Hohn sprechen will, das Überall nach einem notwendigen Zusammenhang und Gesetzen sucht, so bleibt gar nichts anderes übrig als eine letzte Ursache anzunehmen, welche dieses gesamte Aufeinanderwirken erst ermöglicht. Lotze ist diesem Gedanken besonders nacgegangen, den übrigens Schleiermacher vor ihm schon ausgesprochen hatte.

Eine andere Form des kosmologischen Beweises erweckt eher Bedenken und doch enthält auch sie ein nicht ganz zu übergehendes Moment. Kant hat den kosmologischen Beweis anders formuliert und schließlich als unhaltbar hingestellt. Er will von einer Wirkung auf die Ursache dieser Wirkung zurückschließen, von dieser Ursache als Wirkung wieder auf deren Ursache und so fort und meint, man könne entweder bei einer letzten Ursache ankommen oder die Kette der Ursachen ins Unendliche zurückverfolgen wollen. Beides aber sei nicht berechtigt, sondern man solle an der Hand der Erfahrung die Ursachenkette immer weiter zurückverfolgen, ohne über die Erfahrung hinausgehend darüber zu spekulieren, ob es eine unendliche Kette endlicher Ursachen oder eine letzte absolute Ursache gebe. Kant hat dabei offenbar die Wechselwirkung außer Acht gelassen.

Aber ein Moment ist doch nicht ganz zu übersehen. Die Wechselwirkung ist gleichzeitig. Aber die Erfahrung führt uns an der Hand der Ursachen auch in die Vergangenheit zurück, und da wir doch zugeben müssen, dass die Wechselwirkung nicht nach rückwärts greift, und dass die gegenwärtige Wechselwirkung das Resultat früherer Wechselwirkungen ist, so findet doch auch die Betrachtung ihre Stelle, welche die Kette der Verursachung nach rückwärts verfolgen will. Dieser Gesichtspunkt führt - zunächst nur in mechanischer Form - auf die Idee einer Entwickelung, wie sie die Naturwissenschaften vertreten, auch ohne die Zweckidee zuzuziehen. Diese ganze Kette der Entwickelung, mag man sie nun ins Unendliche, Anfangslose zurückverfolgen, oder mag man ihr einen Anfang setzen, wird, weil zugleich auf Wechselwirkung (z. B. Anpassung, Zustand des labilen Gleichgewichts, Kampf ums Dasein usw.) beruhend, doch immer eine einheitliche Ursache voraussetzen, die in jedem Stadium dieser Entwickelung stets das Aufeinanderwirken ermöglicht und am Ende auch die Ursache dafür ist, dass aus früheren Entwickelungsstadien spätere sich haben entfalten können. Ohne diese einheitliche Ursache, welche den ganzen Prozess ewig begründet, würde dieser wieder als ein Spiel des Zufalls erscheinen. Gerade die Voraussetzung einer einheitlichen Ursache würde erst die Möglichkeit geben, den ganzen Prozess als einen einheitlichen zusammenhängenden zu verstehen. Wir können also das kosmologische Argument in diesem Sinne erweitern.

Wenn man schon hier, wie man auch das kosmologische Argument wenden möge, auf eine gesetzmäßiges Wirken hervorrufende Ursache zu schließen genötigt wird, so wird der Unterschied des Toten und Lebenden, des Organischen und Anorganischen, der in der Welt vorhanden ist und der mit dem Unterschied des Mechanischen und Teleologischen im engsten Zusammenhange steht, auf den teleologischen Gottesbeweis hinführen. Denn wenn irgendwo so zeigt sich in dem Organischen das teleologische Moment und wenn man den Aufbau der Natur auf dem Erdball beobachtet, so scheint hier von dem anorganischen zu dem organischen Gebiet und in diesem durch die Stufenreihe der organischen und beseelten und sich fühlenden Wesen hindurch bis zum Menschen eine beständige Steigerung stattzufinden, in welchem in gewisser Art der gesamte Naturprozess mikrokosmisch zusammengefaltet und von seiner Intelligenz im Zusammenhang überschaut wird. Ist das aber der Fall, so lässt sich vom teleologischen Standpunkt aus der Versuch machen, den ganzen Weltprozess teleologisch zu verstellen. Auf diesen Gedanken hat man den teleologischen Gottesbeweis gegründet.

Teleologischer Gottesbeweis
Dass dieser Beweis in der Form, in welcher er früher gegeben wurde, indem man in einzelnen Naturerscheinungen Zwecke zu beobachten glaubte und die Natur nur von endlichen vereinzelten Zweckbetrachtungen im menschlichen Interesse aus als zweckmäßig erklärte, nicht haltbar ist, bedarf keiner Worte. Man hat auch dem Beweis entgegengehalten, dass es keineswegs bloß Zweckmäßiges in der Natur gebe, dass es auch eine Dysteleologie gebe, welche die Annahme der Herrschaft des Zweckes ausschließe. Kant hat endlich gemeint, dass dieser Beweis im günstigsten Falle nicht auf einen intelligenten Urheber, sondern wir auf einen Baumeister schließen lasse, der das ihm zur Verfügung stehende Material zweckvoll gestalte. Dieser letzte Gedanke ist ausgeschlossen, wenn der kosmologische und der ontologische Beweis ihre Geltung behaupten. Denn dann würde der teleologische eben nur hinzufügen, dass man den Welturheber als einen zweckmäßig produzierenden, intelligenten vorstellen müsse.

Allein die Frage bleibt eben die, ob es angesichts der Tatsachen angeht, diese Zweckmäßigkeit als eine weltumspannende aufzufassen. So viel versteht sich nach allem von selbst, dass man nicht. danach streben kann, überall die Zweckmäßigkeit im Einzelnen nachzuweisen, was sehr leicht in concreto zu Künsteleien vergangener Zeiten zurückführen könnte. Man muss die Frage in größerem Stil behandeln und fragen, ob es nicht angängig sei; wenn man zweifellos an den höheren Organismen eine immanente Zweckmäßigkeit nicht leugnen kann, den Gesichtspunkt der Zweckbetrachtung auf den ganzen Zusammenhang in dem Sinne auszudehnen, dass man dem ganzen Naturzusammenhang in seinem Aufbau vom Anorganischen zum Organischen, von da zum Beseelten, von da zum Bewussten und vernünftigen Existenzen eine immanente Zweckmäßigkeit zuschreibt, die man nicht bloß auf blinde Kausalität zurückführen kann. Da ist es nun wieder Kant, der gerade diesen Gedanken in seiner Kritik der Urteilskraft durchgeführt hat. Es dürfte doch noch niemandem gelungen sein, auf rein mechanischem Wege die höheren Organismen zu erklären, ja die so oft schon überaus feine Organisation der niederen Organismen rein mechanisch zu verstehen.

Denn wenn sicher auch alle diese Vorgänge in den Organismen auf mechanischen Kombinationen beruhen, so ist doch aus dem mechanischen Prinzip für sich nicht begreiflich, warum gerade in dieser bestimmten Weise die mechanischen Kombinationen zusammengeordnet sind. Man wird doch angesichts dieses großen immanenten Zusammenhanges, der eine Zielstrebigkeit zum Menschen hin zeigt, den Gedanken des Zweckes nicht leugnen können. Es ist in der Welt eine immanente Teleologie. Freilich könnte man fragen, ob diese Teleologie genügt, um auf einen intelligenten Urheber der Welt zu schließen. Allein wenn sie einmal besteht, so ist sie aus den einzelnen Individuen nicht erklärlich; es ist doch eine Ursache, die den ganzen Prozess überschauen und leiten muss, notwendigerweise vorauszusetzen, wenn man überhaupt die Zweckbeurteilung zulässt. Man hat in der neueren Zeit behauptet, es genüge, um diesen Prozess zu verstehen, ein der Welt immanentes Prinzip, das in gewisser Art unbewusst und doch mit einer Art Hellsehen den Prozess steigere und teleologisch bestimme.

Allein der Begriff des Unbewussten ist bis jetzt noch nicht sehr klar herausgearbeitet. Wenn dieses Unbewusste nach Art einer intellektuellen An¬schauung den Prozess leitet, so ist es eben nicht im strengen Sinne des Wortes unbewusst und es wird dann höchstens diese immanente Zweckursache so vorgestellt, dass sie nicht den ganzen Prozess sofort überschaut, sondern nur mit einer Art Hellsehen das jedes Mal Nächste, was sie hervorbringt, übersieht und so sich selbst in ihrer Funktion beständig steigert. Allein andererseits ist doch wieder die Tendenz dieses Unbewussten von Anfang an klar, den Prozess beständig zu steigern. Wenn man einmal einen teleologischen Prozess anerkennt, so ist diese Auskunft doch nur eine halbe Maßregel, die einen halbblinden, halbsehenden Naturgeist annimmt, der seinem dunkeln Drange folgt. Wenn freilich bewusste Intelligenz nur endliche Intelligenz sein kann, so möchte jene Ansicht Recht haben. Aber es wäre doch erst noch zu beweisen, dass eine alles überschauende Intelligenz nicht bewusst sein könne, dass das Bewusstsein nur an bestimmte Hirnfunktionen gebunden sein, durchaus nur begrenztes Bewusstsein sein müsse.*
*Wie übrigens ein begrenztes Hirnbewusstsein, das doch nur auf einem ganz beschränkten Atomenkomplex beruht, mit seinem Bewusstsein schließlich doch den ganzen Prozess soll übersehen, ja die Idee des Absoluten, des Unendlichen soll fassen können, ist durchaus nicht klar. Und doch soll nach dieser Theorie das Hirnbewusstsein erzeugt werden, damit dasselbe einen Überblick über den ganzen Prozess gewinne, der also hiernach dem Unbewussten fehlt, das als Leibfreies doch wieder ein Hellsehen haben soll.

Nimmt man auch nur eine intellektuelle Anschauung an, die klar den Prozess übersieht, so kann diese doch nicht an den Prozess selbst gebunden sein, sondern muss, wenn sie den Prozess zu einem Ziele führen will, über dein Prozess stehen. Wenn es daher berechtigt ist, die Weltentwickelung teleologisch zu betrachten, so wird die einzig übrig bleibende Annahme die sein, dass die absolute Ursache diesen Prozess in ihrem Zusammenhange zweckmäßig geordnet hat, dass sie also bewusst intelligente Ursache ist, wie man auch diese Intelligenz im Unterschied von der unsrigen sich vorstelle, ob als intellektuelle Anschauung, was das wahrscheinlichste ist, oder sonst irgendwie, nur nicht blind.

Nun kann man aber freilich gegen die Annahme, dass der Weltprozess teleologisch aufzufassen sei, erhebliche Einwände geltend machen, die wir nicht unerwähnt lassen dürfen. Einmal ist doch der teleologische Prozess nur ein beschränkter, auf der Erde beobachteter. Wenn man dagegen die Weltsphären hinzu¬nimmt, so scheint hier die anorganische Masse mit ihren elemen¬taren Kräften noch bedeutend zu überwiegen und wenn an irgend einem Punkte oder an mehreren Punkten des Weltalls die Bedingungen für die Entfaltung eines organischen und beseelten oder gar bewussten oder selbst vernünftigen Lebens gegeben sein sollten, so wären das eben doch nur vereinzelte Fälle. Der organische Prozess auf Erden aber scheint doch ein endlicher zu sein, da die Erde einem Stadium der Entwickelung entgegengeht, welches alles organische Leben wieder auslöscht, so dass der ganze irdische teleologische Prozess doch nur eine Episode zu sein scheint, welche wieder ihrem Ende verfällt. Dazu kommt nun aber auch die Vergänglichkeit aller irdischen Organismen, ihre Sterblichkeit und was noch schlimmer ist, ihre Leidensfähigkeit. Die Natur ist voll von Schmerz und Vergänglichkeit, so sagt man. Die Teleologie verträgt sich mit alledem nicht. Es ist nicht möglich aus einem solchen Segment der Schöpfung, und wenn es für sich selbst auch gar keine Bedenken gegen die Teleologie aufwiese, auf einen intelligenten Urheber zu schließen. Mindestens müsste man zugeben, dass wenn er intelligent ist, ihm doch die Durchführung des Zweckes nicht gelingt. Wenn man also auch auf einen intelligenten Urheber der Welt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schließen könnte, so scheint der Schluss auf einen absoluten intelligenten Urheber nicht berechtigt zu sein.

Ja wenn man erwägt, dass schließlich das mechanische Element das bei weitem in der Erscheinungswelt überwiegende ist, so würde es doch vielleicht noch angemessener sein, den Mechanismus als das allein Herrschende hinzustellen und die Zweckidee, als das Produkt der Subjekte anzusehen, das aber durchaus keinen Anspruch auf Wahrheit machen könne, sondern nur von dem beschränkten Standpunkt des Menschen aus auf die Betrachtung des All ausgedehnt werde.

Das wäre sehr schön, wenn nur der Mensch mit seiner Zweckidee aus dem Mechanismus sich erklären ließe, wenn überhaupt das Denken, das Erkennen aus den mechanischen Funktionen sich ableiten ließe. Das ist aber bisher nicht gelungen und kann nicht gelingen. Es bleibt also bestehen, dass es nicht bloß Zweckmäßigkeit, sondern auch Zwecke setzende Wesen in der Welt gibt, die nicht von; sich selbst sind. Man würde also eher auf eine in gewisser Art dualistische Ansicht geführt, dass das höchste Wesen zwar intelligent sei, dass aber seine Intelligenz doch nicht das Herrschende in ihm. sei, dass ein anderes Prinzip in ihm sein müsse, aus dem sich das Unzweckmäßige, die Vergänglichkeit aller Zwecke, die Endlichkeit der Lebewesen, der Tod und das Leiden erkläre. Die Zweckbetrachtung könnte also nur einen relativen Charakter tragen. Bevor wir indes diese Frage zur Entscheidung bringen, müssen wir noch einen anderen Gesichtspunkt hervorheben.

Wenn es sich um Zweckmäßigkeit in der Welt handelt, so kann man wohl zunächst bei der Beobachtung stehen bleiben, dass es organische und beseelte Lebewesen gibt, die man ohne Zuziehung der Teleologie schwerlich verstehen kann. Allein es kann auch, wie schon bemerkt, diese Beobachtung die Veranlassung dafür bilden, die ganze Natur unter dem Gesichtspunkt des Zweckes zu betrachten. Man findet eine Steigerung in der Natur, die in dem Menschen als ihrem höchsten Zweckprodukt endet. Aber damit ist die Betrachtung noch nicht ab¬geschlossen. Vielmehr beginnt nun erst recht die Frage, wozu ist denn der Mensch da? Was hat denn der Mensch für einen Zweck? Warum endet der Naturprozess mit dem Menschen? Die Antwort hierauf kann eine sehr verschiedene sein, aber es wird sich schwerlich ableugnen lassen, dass, wenn man nur bei endlichen relativen Zwecken stehen bleiben muss, man aus diesen einen Schluss auf einen, absoluten, intelligentem Urheber nicht wagen kann.

Zwar ist zuzugeben, dass beseelte Wesen in gewisser Art in sich abgeschlossene Wesen sind, die nicht als Mittelzwecke allein aufgefasst werden können. Sie fühlen, empfinden selbst und so scheinen sie relativ wenigstens in sich selbst Zwecke zu sein. Aber man kann doch gerade bei der Endlichkeit dieser Wesen diese Betrachtung nicht als die endgültige festhalten, da vielmehr in dem gesamten Prozess diese Wesen Durchgangspunkte sind, da sich an sie höhere Formen organischen Lebens anschließen, bis im Menschen der Höhepunkt der irdischen Entwickelung erreicht ist, der nun aber selbst erst recht wieder sich aus den niedrigsten Anfängen zu den Höhen menschlicher Geistesentwickelung und Kultur erhebt, so dass hier nun erst recht das teleologische Moment mit doppelter Gewalt hervortritt. Die teleologische Betrachtung muss in einem letzten Zweck enden.

Wie dieser nun auch inhaltlich beschaffen sein möge, jedenfalls muss er einen endgültigen Charakter tragen, muss Endzweck sein. Wenn wir aber keinen solchen Endzweck aufstellen können, vermögen wir die teleologische Betrachtung gar nicht durchzu¬führen, und haben kein Recht, von der teleologischen Weltanschauung einen Schluss auf die Gottheit zu machen.

Als Endzweck könnte man nun den ganzen Prozess ansehen; man könnte alle einzelnen Glieder desselben als Teile eines Ganzen betrachten, das in sich selbst wertvoll ist. Allein dann müsste man zeigen, inwiefern dieses Ganze ein in sich Wertvolles ist und worin die Einheit besteht, die es zu einem Ganzen zusammenhält. Als den letzten Zweck hat man es nun hingestellt, dass die Natur im Menschen zum Bewusstsein kommen soll, dass der Mensch den gesamten Naturprozess mit seiner Wissenschaft durchschaut, und darin ist zweifellos für denjenigen ein wertvoller Zweck, der die theoretischen Interessen so hoch hält, dass sie ihm an sich selbst wertvoll sind. Es ist wahr, dass in der Menschheit in fortschreitendem Maße die Erkenntnis der Natur durch hingebende Arbeit gewonnen wird, und je mehr man in dieser Erkenntnis fortschreitet, um so wunderbarer tritt der gesamte Naturzusammenhang vor dem menschlichen Auge hervor und keineswegs bloß die irdische, auch die kosmischen Sphären sind Gegenstand immer neuer Enthüllungen des Naturgeheimnisses; und wie die große Welt, so tritt die kleine Welt in ihrer wunderbaren Tätigkeit, in ihren feinsten Organisationen und in den einfachsten Lebewesen immer klarer vor das menschliche Auge und so wird immer mehr der gesetzliche Zusammenhang des Alls deutlich.

Dass man von hier aus auf eine intelligente Ursache zu schließen das Recht hat, welche es geordnet hat, dass diese große Schöpfung für den Menschen erkennbar von ihm erkannt werde, das könnte schon eher einleuchten, und zwar um so mehr, als der Mensch doch auch nicht von sich selber stammt. Nun könnte man zwar einwenden, wenn die Natur nicht ein in sich selbst wertvoller Zweck ist, so ist der Inhalt des Erkennens noch kein Endzweck. Denn nur ein in sich selbst wertvoller Inhalt kann auch dem Erkennen einen Wert als Selbstzweck geben. Darauf ließe sich indes antworten, dass das Erkennen selbst Wert in sich habe und nicht erst seinen Wert von einem Inhalt her¬nehmen müsse, der ihm Wert verleihe. Es sei eben genug Zweck, wenn die Natur sich so entwickele, dass sie in dem Menschen zur Erkenntnis komme, zumal wenn es noch gelinge, das ganze Gebäude dadurch zum Abschluss zu bringen, dass man einen intelligenten Welturheber voraussetze, der in der Natur den Zweck verfolge, sich, seine Intelligenz in dem großen Naturzusammenhange zu offenbaren und im menschlichen Bewusstsein diese Offenbarung zu konzentrieren.

Dieser Gedanke, der die Schellingsche Naturphilosophie leitete, hat gewiss eine Berechtigung. Aber dieser Gesichtspunkt ist einseitig. Das Bewusstsein des Menschen ist nicht bloß Be¬wusstsein von der Natur. Es ist auch Bewusstsein von sich selbst und Erkenntnis seiner selbst, die man als gesteigertes Selbst¬bewusstsein bezeichnen kann. Wenn der Inhalt des Ich nur die Natur wäre, könnte man bei dem obigen Zwecke stehen bleiben. Aber das Ich hat noch anderen Inhalt, den es durch seine Tätigkeit hervorbringt. Das lässt sich am einfachsten schon daran er¬kennen, dass die Erkenntnis der Natur sich gar nicht ohne Ein¬griffe in die Natur, ohne Behandlung der Natur gestalten lässt. Ohne Mikroskop und Teleskop gibt es keine Erkenntnis der kleinen und großen Welt.

Schon um die Natur zu erkennen, muss der Mensch nicht nur Fragen an sie stellen, sondern er muss die Natur auf seine Weise bearbeiten; mit Organen, die er sich aus Naturobjekten geschaffen hat, kann er sie nur näher zu erkennen versuchen. Neben der theoretischen, ja Hand in Hand mit der theoretischen Erfassung der Natur geht ihre praktisch - technische Bearbeitung. Es wird nun wohl niemand behaupten wollen, dass der Mensch die Naturkräfte sich nur im Interesse der Naturerkenntnis dienstbar mache; im Gegenteil, er sucht die Herrschaft über die Natur, er will technische Vorteile aller Art erringen, um dadurch sein Leben zu steigern und sein Lebensgefühl zu erhöhen. Dieses Lebensgefühl, wenn es gehoben ist, ist ein Gefühl der Lust. Man hat daher gemeint, der Endzweck des Menschen sei seine Eudämonie [Glückseligkeit, seelisches Wohlbefinden], zu der ihm die Herrschaft über die Natur als Mittel und die Erkenntnis der Natur als Mittel zur Beherrschung derselben dient.

Allein Kant hat schon geltend gemacht, dass wenn man als den letzten Zweck die Eudämonie des Menschen ansehe, um derentwillen die Natur da sei, so sei alles so eingerichtet, dass der Mensch diesen Zweck nicht erreiche, und der neuere Pessimismus hat in allen Tonarten diesen Gedanken variiert und seine Wahrheit darzutun versucht. Es ist auch völlig richtig, dass die Eudämonie des Menschen nicht der letzte Zweck der Welt sein kann, weil das schon der Natur des Menschen selbst widersprechen würde. Zwar ist zweifellos uns das Lebensgefühl, das Gefühl der Lust und Unlust, je nachdem das Leben gefördert oder gehemmt ist, mit auf den Weg gegeben, aber doch nur als Schutz für das Leben selbst, das der Zweck ist, um deswillen das Gefühl da ist. Zwar ist dieses eudämonische Gefühl oft irreleitend; es gibt süße Gifte und wenn man beobachtet haben will, dass unser Organismus mehr für die Empfindung der Unlust als für die der Lust zugänglich sei, so lässt sich auch das wohl aus dem Interesse der Selbsterhaltung verstehen.

Aber die Gefühlsirrtümer können doch der Wahrheit keinen Abbruch tun, dass das Gefühl auf das engste mit dem Selbsterhaltungstriebe und mit dem Triebe zur Erhaltung der Gattung zusammenhängt, also im Dienste des Lebens steht, indem es das Leben hemmende und Leben fördernde anzeigt. In der niederen beseelten Natur leistet es auch diese Dienste in viel umfassenderem Maße. Bei dem Menschen ist gerade seine Kultur ein Hindernis, dass diese Gefühle mit der Sicherheit des Naturinstinktes wirken, weil die Intelligenz des Menschen hinzukommt, die diese unmittelbare Form, wie das Schädliche und Nützliche angezeigt wird, mehr in den Hintergrund drängt. Der Mensch ist nicht angelegt, im Genuss Befriedigung zu finden. Denn jeder Genuss wird schließlich zur Gewohnheit und befriedigt dann nicht mehr, oder wenn der Mensch in Genüssen abwechselt, so wird er zuletzt doch der Genüsse überdrüssig. Der Zweck des Menschen kann nicht im Genuss liegen. Oder wenn dies der Fall sein sollte, so würde er seinen Zweck völlig verfehlt haben. Von dieser Voraussetzung aus kann man nun auf die Idee kommen: wenn der Genuss dem Menschen das Letzte und Höchste wäre, wenn dies als der Weltzweck angesehen werden müsste, so hätte die Welt ihren Zweck verfehlt.

Hier ließe sich nun die oben S. 212f. erwähnte relative Zwecktheorie einfügen, indem man sagte: Das Leiden und die Vergänglichkeit der Welt lassen zwar einen absoluten positiven Zweck nicht zu, aber wenn einmal diese Welt da ist, so ist es vernünftig, dass die Genussfähigkeit und die Genüsse so lange gesteigert werden, und so lange eine beständige Enttäuschung, eintritt, bis die Menschen erkennen, es ist vergeblich Anstrengungen im Interesse der Eudämonie zu machen, und den Willen zum Leben und zum Genießen quieszieren [zu beruhigen]. Der Endzweck der Welt wäre dann nicht positiv, sondern nur der, die Nichtigkeit alles eudämonischen Strebens zu offenbaren.

Der Schluss, der von einer solchen Weltauffassung auf die Gottheit gemacht werden könnte, wäre nur der, dass das eudämonische Streben auf eine unvernünftige göttliche Potenz zurück zuführen sei, dass ein unvernünftiger Wille diese Welt überhaupt will, da es unvernünftig ist, eine Welt zu wollen, deren Streben auf Glückseligkeit gerichtet ist, die doch nie erreicht werden kann. Dass aber doch dieser Wille mit einer vernünftigen Intelligenz kombiniert ist, da sichtlich das Ziel der Welt, nämlich das Aufgeben alles eudämonischen Strebens, wenn sie einmal da ist, mit den denkbar zweckmäßigsten Mitteln erreicht wird, insofern der ganze Prozess der Weltentwickelung darauf zusteuert, in dem menschlichen Bewusstsein eine Übersicht über den Weltprozess zu erreichen, die eben zum Resultat die Einsicht hat, dass die Tendenz auf Eudämonie, die durch die ganze Welt hindurchgeht, je mehr die Weltentwickelung sich steigert, um so weniger erreicht ist. Dieses Resultat ist freilich in sich widersprechend; aber man sagt: die Welt ist voller Widerspruch; die einzige Metaphysik, die diese widerspruchsvolle Welt erklären kann, ist die genannte. Was sich nicht widerspricht, ist das Aufhören alles wechselnden Lebens, die absolute Identität mit sich selbst, die ewige in ihrer Ruhe, ihrem Potenzzustand verharrende Substanz, die eben. nicht will.

Es ist ein Verhängnis der deutschen Philosophie, dass gerade diejenigen, die in der Gegenwart am lebhaftesten für die Metaphysik eintreten, kein erfreulicheres Resultat hervorbringen, als dass sie schließlich. eine blinde Willkür zum Welturheber machen, die am Ende wieder durch die List der Idee, welche das Bewusstsein hervorruft, beruhigt wird. Hier hat natürlich auch das Erkennen keinen Wert in sich selbst, sondern nur als Mittel der Quieszenz [Beruhigung] des Willens. Es ist einem praktischen Zweck, zwar nicht einem positiven, aber einem negativen, dienstbar gemacht. Es ist hier nicht der Ort, an dieser Metaphysik selbst Kritik zu üben. Es ist hier für uns mir die Frage, ob die Welt wirklich so beschaffen ist, dass sie uns zu einem solchen metaphysischen Resultate zwingt oder wenigstens mit hoher Wahrscheinlichkeit führt.

Man könnte dieser Auffassung schon das entgegenhalten, dass die Erkenntnis Selbstzweck ist, dass sie in sich selbst wertvoll ist und dass ihr Wert sich keineswegs nach dem Lustgefühl bemisst, das sie hervorruft, dass das Lustgefühl nicht der Maßstab ist, an dem man den Wert messen kann, sondern dass das in sich Vernünftige, das in sich Notwendige das Wertvolle ist und dass die Erreichung dieses Wertvollen sich allerdings auch in einem Gefühle der Befriedigung ausspricht, aber nicht dadurch seinen Wert erhält, dass es das Lustgefühl erzeugt, sondern vielmehr ein Gefühl der Befriedigung erzeugt, weil es in sich selbst wertvoll und notwendig ist und wertvoll bleibt, wenn es auch die mannigfachste Unlust zur Folge hätte, wie dies schon ein Plato von dem Guten in dem Bilde des leidenden Gerechten ausgeführt hat. Wenn so das Erkennen in sich selbst wertvoll ist, wäre es gar nicht erst nötig, auf die Gefühle der Befriedigung zu rekurrieren [zurückzugreifen, Bezug zu nehmen], die mit dem Erkennen verbunden sind. Doch ist diese Betrachtung für sich einseitig, und sie wird in einer umfassenden Betrachtung erst völlig deutlich werden.

Man hat als Endzweck noch einen anderen in sich selbst wertvollen Zweck in der Welt angegeben, den ethischen, und so versucht, den teleologischen Beweis zum Ende zu führen, indem man die gesamte Zweckmäßigkeit in der Natur nur als Vorspiel ansah, das in dem ethischen Weltzweck ausmündet, dem sich schließlich auch die Teleologie der Natur einfügen. lassen müsse.

Ethischer Gottesbeweis
Wir kommen hiermit zu dem ethischen Gottesbeweise, der auch wieder verschiedene Formen angenommen hat.

Die Voraussetzung für den ethischen Gottesbeweis ist die Annahme, dass das Sittliche unbedingt verpflichtende Kraft hat. Wenn ein solches, mehr oder weniger ausgebildetes, aber in jedem Falle unbedingte Erfüllung forderndes Sittengebot angenommen wird, so ist der Schluss aus dieser Tatsache auf einen Gott, der das Gebot gegeben hat, so motiviert worden, dass der empirisch vorhandene Widerstand gegen das Sittengebot mit Hilfe der Gottheit überwunden werden soll, insofern Gott als der in Anspruch genommen wird, der als Geber des Gebotes auch den Widerstand besiegt. Wenn diese Hemmnisse in dem Gegensatz der Natur gegen das Sittengebot begründet sind, so muss Gott vorausgesetzt werden als die Macht, von der das Naturgesetz und Sittengesetz gleichmäßig abstammt, in dem also auch die Garantie für die Durchführbarkeit des Sittlichen trotz der Naturhemmnisse gegeben ist. Oder wenn der Widerspruch gegen das Sittliche in der eigenen Natur gefunden wird, so soll Gott als der postuliert werden, der die positive Kraft zum wirklichen sittlichen Handeln verleiht. Beide Male ist vorausgesetzt, dass die Menschen nicht im Stande sind, sich selbst zu helfen, weil sie von der Natur außer ihnen oder ihrer eigenen Natur gehemmt sind.

Dieser Beweis ist im Grund, so gefasst, eher ein Postulat als ein Beweis. Ist die Forderung eine unbedingte, so muss sie auch erfüllt werden können, so muss die Welt, so muss der Mensch so beschaffen sein, dass sie erfüllt werden kann. Tritt in der Empirie also eine Hemmung entgegen, die nicht durch den Willen überwunden werden kann, so ist das Postulat einer Macht zu stellen, die dem Sittlichen zum Siege verhilft.

Diese Formen des Beweises sind insofern anfechtbar, als sie von dem empirischen Dualismus ausgehend, diesen durch den Rückgang auf eine transzendente Einheit zu heben suchen, indem sie sich auf die Unbedingtheit der Forderung stützen. Denn man könnte immer sagen: Wenn das Sittliche solchen Widerstand findet, so ist es eben nicht unbedingt, sondern nur relativ; und wenn dieser Widerstand vorhanden ist, so ist eben darin ja der empirische Beweis gegeben, dass das Sittliche nicht unbedingten Charakter haben kann, sondern die Meinung seiner Unbedingtheit nur auf einer falschen Abstraktion beruht. Auch würde mit der Annahme eines Gottes, der die Hemmung überwinden soll, nicht viel gewonnen sein, da gerade, wenn er allmächtig ist, diese Hemmung ja nur von ihm selbst stammen kann. Hat er selbst aber diese Hemmung veranlasst, so ist es schwierig, zugleich ihn wieder zu postulieren, damit er sie aufhebe. Man kann mit Recht einwenden: warum hat denn dieser Gott, den ihr postuliert, nicht von vornherein dafür gesorgt, dass die Natur, die äußere und unsere eigene, keinen Widerstand leistet? Man wird daher diesen moralischen Beweis etwas anders formulieren müssen, wenn er brauchbar sein soll.

Dass die sittliche Forderung einen unbedingten Charakter hat, wird man anerkennen müssen. Aber sie ist inhaltlich jedes Mal durch die gegebenen Verhältnisse bedingt, wie ich in meiner Ethik ausgeführt habe. Diese Forderung gestaltet sich zu einem Ideale, das unter den gegebenen Verhältnissen mit Hilfe der Natur und des eigenen Naturorganismus realisiert werden soll. Da dieses Ideal ein Handeln fordert, das über den Kreis des Ich übergreift und Zwecke setzt, die in der empirischen Welt realisiert worden sollen, so muss vorausgesetzt werden, dass die Natur außer uns und unser eigener Organismus so beschaffen sind, dass sie die Realisierung dieser Zwecke ermöglichen. Die objektive Welt, auf die wir handeln, d. h. in der wir unser Ideal verwirklichen wollen, muss mit dem Ideal, mit den Zweckbegriffen, die wir bilden, zusammenstimmen können. Das ist aber nur dann der Fall, wenn wir eine höhere Macht annehmen, welche das Subjekt mit seiner Ideale bildenden Tätigkeit und die Natur, mittels deren wir diese Ideale realisieren wollen, für einander bestimmt hat.

Dass, was nicht zu leugnen ist, der Realisierung des Ideals mannigfache Schwierigkeiten entgegentreten, das kann deshalb kein Grund gegen die Realisierbarkeit der Ideale sein, weil ja gerade durch unsere Tätigkeit erst eine volle Harmonie von Geist und Natur hervorgerufen werden soll, diese also nicht schon quasi fertig vorhanden sein kann, wenn nicht unsere Tätigkeit gleich Null sein soll.

So wird also im Interesse des sittlichen Handelns eine höhere Macht postuliert werden müssen, welche das Gelingen des Handelns garantiert, indem sie das Subjekt mit seiner idealbildenden Tätigkeit, mit seiner unbedingt fordernden Vernunft und die Natur, welche der Realisierung der Zwecke dient, für einander gesetzt hat. Hier würde das Subjekt, welches das sittliche Ideal mit seiner unbedingten Forderung denkt, ebenso wie die Bedingungen der Realisierung desselben in der Natur auf das absolute Wesen als die beide für einander bestimmende Macht zurückgeführt werden. Es würde also hier eine sittliche Macht postuliert werden, welche die Naturordnung in ihre Berechnung mit aufgenommen hat, damit mit Hilfe derselben die sittliche Forderung realisiert werde. Und wohlgemerkt, es wird eine Macht postuliert, welche über den gegebenen Zustand übergreift, insofern sie die Bedingungen festgesetzt hat, welche eine Realisierung der sittlichen Forderung, anders ausgedrückt eine Übertragung der sittlichen Zweckbegriffe auf die Natur, eine Durchdringung der Natur mit geistigen Kräften und ein Aufeinanderwirken der sittlichen Personen mittels der Natur ermöglichen. Hiermit ist nun ein Endzweck gegeben, der in sich wertvoll ist. Die in sich notwendige, unbedingt fordernde sittliche Idee, welche eben ihre Realisierung fordert, enthält den letzten Zweck. Der letzte Zweck ist gegeben in der sittlichen Tätigkeit, welche das sittliche Ideal realisiert. Er ist nicht gegeben in einzelnen Pro¬dukten des sittlichen Handelns, da diese vielmehr immer so beschaffen sind, dass sie neue sittliche Aufgaben in sich schließen; der Zweck kann mir in der Totalität des sittlichen Handelns liegen, dem keine Grenzen gesteckt sind.*
* Wenn man Anstoß an einer unbegrenzten Totalität nehmen wollte, so ist der hierin liegende scheinbare Widerspruch dadurch gehoben, welche Handlungen auch geschehen, sie immer durch die Grundgesinnung zur Einheit zusammengehalten werden, und welche Zwecke realisiert werden, sie immer schon von der universalen Idee des Gottesreiches umspannt sind.

Und die Gottheit ist es, die vorausgesetzt werden muss, damit dieses sittliche Handeln möglich sei, die dieses sittliche Handeln als den letzten Zweck der Welt gesetzt hat. Dass die Subjekte, welche solche Tätigkeit ausüben, selig sind in ihrer Tat, d. h. ein Gefühl davon haben, dass diese Tätigkeit ihrem Wesen entspricht, das ist eine Begleiterscheinung dieses sittlichen Handelns. Der vernünftige Zweck, ist die Be¬tätigung der vernünftigen Subjekte im sittlichen Handeln, durch die sie die sittliche Forderung, das sittliche Ideal beständig, jedes Mal der Stelle entsprechend, wo sie sich augenblicklich befinden, realisieren. Aber dieser Zweck kann nur realisiert werden, wenn vorausgesetzt werden kann, dass die Gottheit mit diesem Zweck den Weltzusammenhang geordnet hat und dadurch seine Verwirk¬lichung ermöglicht.
Man kann nun noch einen Schritt weiter gehen. Wenn die Gottheit diesen Weltzweck gesetzt hat und beständig für diesen Zweck die Weltordnung begründet, so ist auf sie auch die Setzung dieses Zweckes in unserem Bewusstsein zurückzuführen und die Erkenntnis des sittlichen Ideals ist durch die Gottheit bedingt, wie seine Realisierung. Die Welt wird dann ein Reich Gottes und Gott ist es, der die Welt dazu bestimmt hat, sein Reich zu sein. Wie er das Aufeinanderwirken der Naturkräfte durch seine Aktion ermöglicht, so ermöglicht er auch durch seine Aktion das Auf¬einanderwirken der Geister, die ethische Zwecke verfolgen mittels der Natur, und das Wirken der Subjekte auf die Natur. So ist das sittliche Leben auf die Gottheit gegründet und Gott ist es, der diesen letzten Zweck der Welt ermöglicht.

Dieser ethische Beweis für die Gottheit stützt sich darauf, dass wir in uns die unbedingte Forderung eines sittlichen Lebens haben. Leugnet man diese unbedingte Forderung, so ist natürlich der Beweis nicht durchführbar. Erkennt man aber in dieser sittlichen Tätigkeit den letzten Zweck, so wird die teleologische Naturbetrachtung durch diese Betrachtung erst zu Ende geführt. Denn wenn in der Natur auch nur relative Zwecke sind, so ist doch die Zweckmäßigkeit der Natur ein Zeichen dafür, dass sie auch für den höchsten Zweck zugänglich ist; ja man kann sagen, dass in aufsteigender Linie sich das zweckvolle Leben der Welt offenbart, bis es im Menschen zum völligen Durchbruch kommt und in dem Menschen die Natur in ihrer Zielstrebigkeit erkannt und zusammengefasst wird, um durch ihn zu dem höchsten Zwecke in Beziehung gebracht und durch die zweckmäßige Tätigkeit des Menschen dem absoluten Weltzwecke eingegliedert zu werden. Dass diese ethische Tätigkeit des Menschen nun keineswegs bloß eine praktische im engeren Sinne, sondern ebenso eine theoretische und ästhetische ist und dass die Natur ebenso Objekt der theoretischen und ästhetischen wie der praktischen Tätigkeit im engeren Sinne ist, versteht sich für den von selbst, der den Umfang des sittlichen Handelns, den Kreis der sittlichen Aufgaben richtig zu bestimmen weiß. Es kann daher auch, da das Erkennen eine ethische Aufgabe ist, Gott als die Bedingung für das Erkennen, welche Denken und Sein in Harmonie gesetzt hat, postuliert werden, so dass das obige kosmologische Postulat Gottes hier um so mehr bestätigt wird, als auch ein Handeln ohne Erkennen ebenso unmöglich ist wie ein Erkennen ohne Wollen und ohne dass man das Erkennen als eine sittlich gestellte Aufgabe auffasst, die man wollen soll.

Ästhetischer Gottesbeweis
Dasselbe gilt von dem ästhetischen Gebiet. Denn wenn die Welt des Schönen darauf beruht, dass das Mannigfaltige zu einer Einheit zusammengefasst wird, dass eine Fülle freier Gestalten durch eine Idee zusammengehalten und durch Gesetz und Ordnung verbunden ist, wenn das Naturschöne darauf beruht, dass eine Fülle von Einzelheiten zu einem Ganzen verbunden ist, das durch den Reichtum seiner mannigfaltigen Einzelheiten ebenso die Phantasie wie durch die strikte Gesetzmäßigkeit der Form, welche diese Mannigfaltigkeit zu einem Ganzen verbindet, den Verstand anzieht, so werden wir durch dieses Schöne darauf hingewiesen, dass in der Natur ebenso eine unendliche Fülle des mannigfaltigsten Lebens wie eine diese gesamte Mannigfaltigkeit beherrschende Gesetzmäßigkeit und Ordnung existiert.

Eben dies aber legt uns wieder den Schluss nahe auf ein Wesen, dem dieser harmonische Reichtum entquillt; und wenn wir nun ferner bedenken, dass unserem Bedürfnis einer ästhetischen Auffassung der Natur eine solche Beschaffenheit der Natur entspricht, so führt die ästhetische Naturanschauung ebenso auf die Gottheit zurück, die auch nach dieser Seite Geist und Natur für einander geordnet hat. Dasselbe gilt von der ästhetischen Produktion und der anschauenden Reproduktion von Kunstwerken. Alle Gegensätze des sittlichen Lebens, welche der Vollendung des Sittlichen im Wege stehen, alle Disharmonien unseres geistigen und leiblichen Daseins rufen das Bedürfnis hervor, dass man wenigstens zunächst in einem Phantasiebilde der Wirklichkeit »im schönen Schein« dieselben überwinde und dass man diesem inneren Bilde durch die Naturmittel einen vollkommenen Ausdruck gebe, um so die Möglichkeit einer ethischen Vollendung, einer Ausgleichung dieser Gegensätze sich zu. vergegenwärtigen. Ja man kann sagen, dass die bloße Möglichkeit in vollendeter Form diesen Gegensätzen Ausdruck zu geben, schon insofern einen Wert hat, als man sich auf diese Weise der Herrschaft des Geistes über die Mittel der Darstellung, die die Natur bietet, bewusst wird.

Ihm gab ein Gott, zu sagen, was er duldet. Auch diese Tätigkeit, welche erst mit dem ethischen Leben selbst zu vollendeter Höhe kommt, die aber schon in den Kämpfen des Daseins eine Harmonie uns vor Augen stellt, die doch schon jetzt eine Fülle lebendiger Kräfte zu einem harmonischen Ganzen verbindet, ja die selbst Leiden und Fehler wenigstens insofern dieser Harmonie einordnet, als sie durch vollendete Darstellung derselben die Kraft des Geistes zeigen, sich der Natur für seine Zwecke zu bedienen - diese Tätigkeit setzt ein Zusammenstimmen des Geistes und der Natur voraus, das auf eine höhere Einheit derselben hinweist, welche in der Gottheit begründet ist.

Gegen diese Schlüsse, welche im praktischen, theoretischen und ästhetischen Interesse die Gottheit voraussetzen, könnte man nun geltend machen, dass es sich hier doch nur um Postulate handle, um Ideale, deren Verwirklichung wir fordern, und um deren Verwirklichung für möglich zu halten, wir die Gottheit postulieren. Dagegen sei die Wirklichkeit so voll von Unwissenheit, Unsittlichkeit, Hässlichkeit aller Art, dass es doch kaum berechtigt sei, eine Gottheit vorauszusetzen, welche die Realisierung dieser Zwecke garantiere. Die Wirklichkeit strafe diese Garantie zu. sehr Lügen. Wenn Gott wirklich diese Garantie geben würde, müsste die Welt anders aussehen, als sie in der Tat aussieht. Diesem Einwande kann man auf doppelte Weise begegnen. Einmal kann man darauf hinweisen, dass doch tatsächlich die Ideale sich nicht so ohnmächtig zeigen, wie eine pessimistische Stimmung annimmt.

Geschichtlicher Gottesbeweis
Es würde dies zu einem neuen Versuche, Gott zu erweisen, führen, nämlich Gott aus der Geschichte zu erschließen. Wenn die Realisierung der ethischen Aufgaben sich in der Geschichte vollzieht, so ist auch die Geschichte das Feld, wo das göttliche Walten erkannt werden muss. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Dass in der Geschichte die Herrschaft der Ideale sich nicht vollkommen erweist, ist wahr. Dass die Geschichte aber lediglich eine »Kulturkomödie« darstelle, ist nicht wahr. Wir finden doch in dem Prozess der Geschichte im. Ganzen eine aufsteigende Linie. Die ethischen Aufgaben werden mit der fortschreitenden Zeit mit größerer Energie verfolgt. Die menschliche Erkenntnis wächst und bereichert sich; die Welt der Schönheit wird immer mehr von gottbegnadeten Künstlern ausgebaut; die sittliche Energie in der Beherrschung der Natur und die sittliche Kraft der Persönlichkeit nimmt zu; die innere Konzentration schreitet zugleich mit der immer um¬fassenderen Ausgestaltung der sittlichen Aufgaben fort. Eine Verfeinerung des sittlichen Gefühls macht sich geltend und wenn auch der Fortschritt der Menschheit nicht in einer geraden Linie sich vollzieht, so ist doch nicht zu leugnen, dass die einmal gewonnenen Errungenschaften bleiben und das Fundament sind, auf dem weitergebaut wird, freilich so, dass in jeder Generation das Erworbene wieder aufs neue frei angeeignet werden muss, um besessen zu werden.

Die Zeiten des Niedergangs, welche großen produktiven Zeiten folgen, sind doch nicht bloß Zeiten des Niedergangs. Sie scheinen oft wertloser, weil man sie mit den produktiven Zeiten vergleicht. Aber gerade in solchen Zeiten wird erst das Gemeingut vieler, was in produktiven Zeiten wenigen angehörte. Und wenn in einem Gebiete Verfall eintritt, so geschieht es oft nur, weil die Arbeit in einem anderen Gebiet, das bisher vernachlässigt wurde, nachgeholt wird. Ja der Verfall selbst erweist sich nur als eine Durchgangsstufe, um eine höhere Entwickelung anzubahnen; er ist das Anzeichen dafür, dass das bisher Geltende nicht mehr genügt und ein Höheres zunächst dunkel geahnt wird, bis es schließlich hervorbricht, wobei sich dann allemal zeigt, dass ohne die vorangehende Stufe, gegen die man zunächst in Gegensatz trat, doch auch das höhere Neue nicht erreichbar gewesen wäre. Kurz, eine aufmerksame Betrachtung der Geschichte wird zwar viel Unvollkommenes, Schlechtes, Unwahres, Hässliches zugestehen müssen; aber sie wird doch in dem ganzen Prozess einen vernünftigen Zusammenhang, ein Fortschreiten der Menschheit wahrnehmen.

So wird durch die Geschichte doch das Postulat der Gottheit nicht Lügen gestraft, sondern weit eher bestätigt. Das ist besonders der Fall, wenn man erwägt, dass es sich ja hier um ethische Aktion handelt, dass der Selbsttätigkeit hier freier Spielraum gelassen ist. Wäre durch die Gottheit alles schon vollkommen dem Ideal entsprechend festgestellt, so wäre für eine Entwickelung durch Selbsttätigkeit ja gar kein Raum übrig. Wenn die volle Harmonie von Geist und Natur, wenn die Vereinigung der Geister, wenn die Erkenntnis erst durch Tätigkeit gewonnen werden soll, so kann dies Alles nicht anfangs schon da sein, sondern es muss nur seine Möglichkeit garantiert sein, und das ist es ja gerade, was diese Gottesbeweise wollen. Ein vorläufiges Außereinander von Ideal und Wirklichkeit ist die Vorbedingung dafür, dass das Ideal durch eigene Tätigkeit realisiert wird. Das führt uns aber auf den zweiten Punkt.

Wenn Gott hier vorausgesetzt wird, so wird er nicht nur als der vorausgesetzt, von dem die jetzige Beschaffenheit der Welt stammt, sondern als der, der eben der Welt die Möglichkeit einer zweckvollen Entwickelung zu einem Reiche Gottes erhält. Der Rückschluss, der hier auf Gott gemacht wird, geht nicht von dem empirischen Tatbestande allein aus, sondern er geht von der Differenz der Bestimmung der Welt, ihrer Aufgabe, ihres Zweckes, ihres Ideales mit dein gegenwärtigen Tatbestand aus. Eben daher muss auf eine über den Weltbestand, wie er dermalen empirisch ist, hinausgehende göttliche Ursächlichkeit geschlossen werden, welche die Welt für die Durchführung des Ideales angelegt hat und für seine schließliche Realisierung Sorge trägt.

In diesem Sinne wird auf einen überweltlichen Gott geschlossen. Wenn andererseits die gegenwärtige Welt gar keine Spuren göttlicher Wirksamkeit zeigte, so würde dieser Schluss nicht berechtigt sein. Diese Spuren werden eben in dem Bewusstsein des unbedingt geltenden Sittengebotes, in der Erkenntnis des sittlichen Ideales gefunden und auf Grund davon, dass diese unbedingte Forderung dem Bewusstsein immanent ist, die es als unbedingte sich nicht selbst gegeben hat, wird der Schluss gewagt, dass Gott diese Forderung dem Menschen ins Herz gelegt hat, und dass er auch für die Möglichkeit zur Realisierung dieser Forderung Sorge getragen hat und trägt, zumal doch in der Menschenwelt überall mindestens Ansätze zur Realisierung des Ideals vorhanden sind. Hieraus geht aber hervor, dass die Art, wie das Verhältnis Gottes zur Welt nach diesen Gottesbeweisen vorgestellt wird, durch den Beweis selbst mitbestimmt ist.

Nicht ein Gott, der völlig und nur der Welt immanent ist, dessen Aktion mit der Aktion der Weltpotenzen identifiziert werden kann, wird postuliert, sondern ein Gott, der über die Welt übergreift, der ihr ein erhabenes Ziel gesteckt hat, das über ihren jeweiligen Tatbestand übergreift, und der also selbst auch über die Welt erhaben sein muss. Aber auch nicht ein Gott wird postuliert, der nur über die Welt erhaben ist und ihr gar nicht immanent ist. Denn wenn das letztere nicht der Fall wäre, wenn die Welt keine Spuren der göttlichen Wirksamkeit trüge, so würde man keinen Anhaltpunkt haben, auf ihn zu schließen. In dem Bewusstsein des unbedingten Soll, ist er den Menschen immanent, indem er dieses in ihnen hervorruft, und je mehr die ethische Tätigkeit sich entwickelt, um so vollkommener wird seine Immanenz in der Welt sich gestalten; nicht direkt in dem Sinne, dass er selbst in der Welt einzelne Taten tut, sondern indirekt, indem sich Gott in der Welt durch die Tätigkeit des Menschen offenbart, die durch Gottes Immanenz in der Seele ermöglicht wird.

Religiöser Gottesbeweis
Und dies führt noch auf den religiösen Gottesbeweis, der diese ganze Linie zum Abschluss bringt. Für den Frommen ist es sicher, er ist dessen gewiss, dass Gott sich ihm mitteile, sei es nun dass er Gott im Gefühl oder im Willen oder in der, Phantasie öder in der Intelligenz verspüre. Das Ideal der Religion, die Gottmenschheit schließt es eo ipso in sich, dass der Mensch sich seiner Einheit, seiner Gemeinschaft mit Gott so bewusst ist, dass er sich dadurch als Mensch erst zur vollen Höhe gehoben weiß. Er weiß Gott in sich und sich in Gott, aber so, dass er sich nicht mit Gott identifiziert, sondern durch die Immanenz Gottes in sich, sich selbst gehoben weiß, ebenso aber auch sich als endlichen von dem. ihm nur nach seiner Fassungskraft immanenten Gott unterscheidet. Wenn der Mensch dieses Bewusstsein hat, so kann sich das für seine Erkenntnis nur als ein Erkennen des ihn beseelenden Gottes darstellen, und wenn das Dasein Gottes durch die erörterten Vernunftbeweise als vernunftnotwendige Annahme erwiesen ist, so ist dieses religiöse Bewusstsein ein neuer Beweis für Gottes Dasein.

Zugleich aber wird hierdurch der ethische Gottesbeweis erst vollendet. Denn nun zeigt sich, dass Gott nicht bloß als befehlender Gott postuliert werden kann, nicht bloß als der Gott, der die Möglichkeit des sittlichen Handelns garantiert, sondern als der Gott, der schlie߬lich dem menschlichen Geist in allen seinen Kräften so immanent sein will, dass er sie in ihrer Tätigkeit steigert, so dass in der Einheit von Mystik und Ethik, vom göttlicher Immanenz in der Seele, die produktiv wirkt und die Selbsttätigkeit belebt, die höchste Form der Gotteswirksamkeit und Gottesgemeinschaft gefunden werden muss. Diese Selbsttätigkeit auf Grund göttlicher Immanenz kann sich ebenso im Erkennen wie in der künstle¬rischen Phantasie und im praktischen Handeln zeigen; und in dem Maße als der Mensch in diesen Betätigungen gottbegeistet handelt, kann man zwar nicht von göttlichen Taten, als handle Gott allein im Menschen und vernichte seine Selbsttätigkeit, wohl aber von gesta Dei per hominem reden.

Aus dem Gesagten dürfte erhellen, dass die Annahme des Daseins Gottes vor den Kriterien des vernünftigen Erkennens standhält.

Bestimmung des göttlichen Wesens
Wie aber soll nun dieser Gott vorgestellt werden? Aus den Beweisen selbst geht schon hervor, dass Gott nicht nur Sein, sondern auch bestimmte Aktionsweisen zuzuschreiben sind. Man hat den Gedanken ausgesprochen, dass der ontologische Gottesbeweis das Dasein Gottes feststelle und dass sich daran die anderen Gottesbeweise so anschließen, dass sie das göttliche Dasein näher bestimmen und so durch diese Beweise ein Gesamtbild von göttlichen Eigenschaften gewonnen werde, die dann untereinander wieder durch das ethische Wesen Gottes in das rechte Verhältnis gesetzt werden.*
*Am vollkommensten hat dies J. A. Dorner in seiner Glaubenslehre Teil I zur Darstellung gebracht und schließlich die Eigenschaftslehre durch die Trinitätslehre abgeschlossen, ein höchst beachtenswerter und großartiger spekulativer Versuch.

Indes werden hier allerhand Einwände gemacht, welche die Unmöglichkeit einer konkreten Gotteserkenntnis dartun sollen. »Die Absolutheit Gottes, seine Unendlichkeit schließt jede nähere begriffliche Bestimmung Gottes aus; er ist das Unerkennbare« sagt H. Spencer, und schon Schleiermacher war der Meinung, dass Gott die gegensatzlose Einheit aller Gegensätze und deshalb einem begrifflichen Erkennen, das immer in Gegensätzen sich bewege, unzugänglich sei. Man hat ihm indes mit Recht entgegnet, dass Gott doch über die Gegensätze nicht völlig hinausgehoben werde, wenn er zu der Welt in Gegensatz gestellt wird, dass ebenso auch sein Sein im Gegensatz zu dem Nichtsein, seine Ursächlichkeit im Gegensatz zur Ruhe stehe.

Auch darauf hat man oft hingewiesen, dass der Begriff der Absolutheit oder der Begriff der Unendlichkeit nicht die Bestimmtheit ausschließe, dass man das infinitum nicht mit dem indefinitum verwechseln dürfe. Aber andererseits ist es doch schwierig, Gott eine Reihe einzelner Prädikate zuzuschreiben und sie dann wieder dadurch in Verhältnis zueinander zu setzen, dass man sie gegenseitig beschränkt. Es ist doch fraglich, ob nicht Gott verendlicht wird, wenn er solche einzelne Prädikate haben soll, deren jedes für sich gesetzt wird, und die dann wieder mechanisch verbunden werden. Hegel hat dieser äußeren Aufzählung göttlicher Prädikate entgegengehalten, dass eines immer das andere wieder aufhebe, und hat vielmehr in Gott einen Prozess vorgestellt, durch dem er erst lebendiger und aktiver Gott werde. Andere wie Trendelenburg, Harms, sind dabei stehen geblieben, zwar zuzugeben, dass man von den einzelnen Weltseiten aus Rückschlüsse auf Gott machen, dass man die göttliche Tätigkeit hiernach verschieden bestimmen könne, wie sie der Welt zugewendet ist, dass man aber nicht wagen dürfe, aus dieser Tätigkeit das göttliche Wesen selbst näher zu bestimmen.

Wir haben zunächst gesehen, dass Gott als die höchste Quelle der Realität, als absolute aus sich seiende Substanz, als die Ursache der Wechselwirkung der Weltwesen, als die Ursache des Lebens und der Weltentwickelung, als der Begründer eines zweckmäßigen Zusammenhangs in der Welt, als der Möglichkeitsgrund alles Erkennens und eines ethischen Lebens, als die Quelle der Schönheit und. der Möglichkeitsgrund des ästhetischen Produzierens, endlich als die beseelende Kraft aller menschlichen produktiven Tätigkeit überhaupt aufgefasst werden muss. Mit alledem sind wir von verschiedenen Seiten der Welt auf Gott als die letzte Quelle aller Realität zurückgeführt.

Aber es ist doch eine ganz andere Frage, ob wir deshalb auch Gott die Prädikate nicht nur des Seins und der Ursächlichkeit, sondern der Lebendigkeit, der zweckesetzenden Intelligenz, der ethischen Güte, der Schönheit und Harmonie, der alles erkennenden Vernunft zuschreiben können. Man könnte denken, alle diese konkreten Bestimmtheiten gehen erst aus der schaffenden Tätigkeit Gottes selbst hervor, indem in den endlichen Weltwesen in abgesonderter Form erscheine, was in Gott in Einer untrennbaren Einheit verbunden sei, und indem von dem endlichen Erkennen die eine göttliche Aktion in ihren verschiedenen Beziehungen zu der Welt erfasst und in verschiedene Betätigungsweisen zerlegt werde.

Es ist indes doch nicht völlig deutlich, wie man Gott als die Quelle des Lebens, des Erkennens, als die Quelle der Harmonie, als die Quelle des Guten und Zweckmäßigen in der Welt ansehen soll, ohne dass ihm irgend etwas diesen Größen Analoges selbst zu eigen wäre. Wenn man auch glaublich machen könnte, dass das schöpferische Hervorbringen ein Auseinandergehen des Geschaffenen in eine Mannigfaltigkeit endlicher Produkte zur Folge habe, so dass das, was in der Einen göttlichen Realität in ungeteilter und uns unzugänglicher Weise vorhanden ist, in dem Geschaffenen in einer Stufenreihe von Realitäten, die durch Gegensätze einander gegenseitig beschränken, erscheine, so würde doch immer die Frage unbeantwortet bleiben, wie diese letzte Identität oder Indifferenz dazu komme, eine solche gegensätzliche Welt hervorzurufen. Ja noch mehr; wenn diese Identität, dieses absolut gegensatzlose Sein das Höchste wäre, wie wäre es zu verstehen, dass die Welt nicht schließlich wieder in diese Identität zurückginge, da ja ihre gegensätzliche Existenz doch immer unvollkommen ist; wenn sie aber in die Identität zurückginge, würde der ganze Prozess der Welt als ein nichtiges Spiel des Absoluten erscheinen; da nicht zu. sehen wäre, weshalb sie produziert wird, wenn sie doch wieder zu Grunde geht.

Daher ist man doch immer wieder darauf zurückgekommen, die Gottheit so vorzustellen, dass in ihr das Mannigfaltige der Welt begründet werden kann. Denn wenn dies nicht geschieht, so muss die Mannigfaltigkeit der Welt als neben der Gottheit bestehend aufgefasst werden, und gerade das würde wieder der Absolutheit Gottes widersprechen, wenn neben ihm etwas existiert, das nicht ihm sein Dasein verdankte.

Andererseits, wenn man das Mannigfaltige der Welt in Gott begründet sein lässt, so wird die Absolutheit Gottes, wie es scheint, eben dadurch auch erschüttert, dass man die Einfachheit Gottes aufhebt oder ihn in die endlichen Gegensätze hineinzieht. Wenn der erste Standpunkt Gott der Welt so fremd vorstellt, dass diese um der göttlichen Erhabenheit willen in ihm keine Stelle findet, und dem Deismus zuneigt, in Wahrheit aber in den Dualismus verfällt, so ist der zweite Standpunkt in Gefahr, Gott zu verendlichen, und so zwar die Welt mit Gott in Verbindung zu bringen, aber um den Preis, dass Gott seine Absolutheit in der endlichen Welt verliert, sich selbst in ihr entfaltet und entwickelt, was zu dem Vorwurfe des Pantheismus Anlass geben würde. Wenn nun freilich an sich die Ketzernamen des Deismus und Pantheismus uns nicht zu schrecken brauchen, zumal der Pantheismus selbst sehr mannigfache Formen angenommen hat, so liegt doch offenbar hier eine sachliche Schwierigkeit vor, die sich ebenso religiös in dem Bewusstsein ausdrückt, dass Gott sowohl der Welt gegenüber transzendent überweltlich, als auch ihr und insbesondere der Seele immanent vorgestellt werden müsse.

Diese Schwierigkeit lässt sich nur heben, wenn man in Gott selbst den Grund der Welt finden kann, ohne deshalb ihn selbst zu verendlichen. Das ist nur möglich, wenn man zugibt, dass die Absolutheit bestimmte Unterschiede nicht ausschließt, sondern einschließt, dass die Unendlichkeit nicht mit Unbestimmtheit, dass das infinitum nicht mit dem indefinitum identifiziert werden darf. Es muss eine Möglichkeit in Gott geben für die endlichen Weltgestalten, ohne dass Gott selbst in diesen Formen zerfließt, sich verendlicht und seine Absolutheit verliert.

Gott ist vernünftiger Wille
Dass Gott nun nicht bloß totes Sein ist, sondern tätige Substanz sein muss, könnte sich von selbst zu verstehen scheinen, wenn nicht ein sehr bedeutender Metaphysiker der Gegenwart an die Stelle Gottes als purus actus, als aktueller Substanz Gott als ruhende Substanz setzen wollte. Diese Substanz soll zwar die Attribute des Willens und des Logischen haben; aber dieser Wille soll. ursprünglich potentieller Wille, Wille im Potenzzustand und insofern mit sich identisch und in Einheit mit dem mit sich identischen Logischen sein. Denn wenn der Wille aktiv wird, so soll er nur Endliches wollen können, also aus seiner Absolutheit in die Beschränkung übergehen.

Nur die unendliche Potenz des Wollens soll der vollkommene Zustand des göttlichen Willens sein. Allein dieser Gedanke ist in sich widersprechend; denn die Potenz des Wollens ist an sich unvollkommen; eine bloße Potenz hat kein Sein im vollen Sinne, sondern nur die reale Möglichkeit zu aller möglichen Wirklichkeit. Im Grunde ist doch auch hier - von der Eudämonie abgesehen - der Wille als unendlicher vorgestellt, der seine Unendlichkeit verliert durch ein positives, aktives Wollen, während in der Potenz die unendliche Möglichkeit enthalten ist. Wird nun etwas gewollt, so ist damit die unendliche Möglichkeit durch das aktive Wollen eingeschränkt. Das soll der unlogische Charakter des Willens sein, dass er durch Aktion seine Unendlichkeit zerstört, in der Potenz aber schließlich eben doch auch wieder nur unendliche Potenz ist und damit von der Aktivität, der Tätigkeit ausgeschlossen ist, obgleich diese Potenz Potenz zur Aktivität, zum aktiven Wollen ist.

Aber schon Hegel hat mit Recht darauf hingewiesen, dass ein Wille, der als absolute Willkür nur rein abstrakte Unendlichkeit hat und durch Gebrauchmachen von seiner Willkür sich beschränkt, in sich widerspruchsvoll ist und über sich hinausweist. Er zeigt mit vollem Recht, dass eine solche Willkür an sich schon selbst endlich sei, weil sie, wenn sie will, nur zwischen einzelnem Endlichen wählen kann. Nur ein Wille, der das Allgemeine, Vernünftige in sich aufnehme, sei frei und über die »schlechte Unendlichkeit« hinaus. Wenn vollends ein solcher Wille ein Attribut der absoluten Substanz sein soll, die doch absolutes Sein ist, so ist das doppelt widerspruchsvoll. Denn als aktiver Wille steht er im Widerspruch zu dem absoluten Sein, weil er nur Endliches wollen kann, als bloße Potenz steht er in Widerspruch zu dem absoluten Sein; ein solcher Wille bleibt also in jedem Zustand in Widerspruch mit der absoluten Substanz. Er kann also nur eliminiert werden oder er muss als aktiver Wille sich nicht notwendig verendlichen, weil sonst die absolute Substanz stets mit einem ihr widersprechenden Attribute behaftet bleibt.

Nun ist es aber unmöglich Gott als bloßes ruhendes Sein zu denken, weil ihm dann jede Kausalität fehlte. Man wird also den Willen aktiv denken müssen, ohne dass er sich durch sein aktives Wollen selbst verendlicht. Sein Wille kann als aktiver aber auch nicht bloß sein Wollen wollen; das wäre ein formal leerer Wille. Wir müssen Gott vielmehr so aktuell denken, dass er einen vernünftigen, in sich notwendigen Inhalt will, dass sein Wille mit sich insofern identisch ist, als sein Wille ewig das Vernünftige will. Dieses Vernünftige ist aber auch keineswegs bloß das formal Logische, die formale Identität mit sich. Das Vernünftige ist zwar logisch, aber es ist mehr als bloß Logisches ; es ist das Allgemeingültige, in sich Notwendige.

Wenn ferner die Erkenntnis auf Gott zurückgeführt werden soll, so kann er als die Quelle des Erkennens nicht blind vorgestellt werden. Wenn Gott die Quelle aller Realität sein soll und zu¬gleich die Quelle des Erkennens, so kann er nur als intelligente Ursache vorgestellt werden, und das Gleiche geht aus dem teleo¬logischen und ethischen Gottesbeweise hervor. Aus einem nicht intelligenten Wesen ist die Erkenntnis des endlichen Geistes und die teleologische Zweckmäßigkeit der Welt nicht zu begreifen. Ebenso ist aus einem untätigen Wesen die Welt nicht zu begreifen. Dass also die Gottheit als vernünftiger Wille aufzufassen ist, dürfte erhellen. Aber was bedeutet der vernünftige Wille in Gott?
Was ist der Inhalt des vernünftigen Willens? Nur die endliche Welt kann dieser Inhalt nicht sein, denn das wäre wieder nur ein endlicher Inhalt. Wenn die Welt auf Gott soll zurückgeführt werden können, so muss er doch zunächst etwas für sich sein; sonst könnte die Welt nicht von ihm stammen. Nur auf Grund seines Fürsichseins kann die Welt von ihm sein. Er kann nicht gleichgesetzt werden mit der Welt, wenn die Welt auf ihn zurückgehen soll.

Als die Quelle der Welt muss er von ihr unterschieden sein. Der Inhalt seines vernünftigen Willens kann nicht primo loco die Welt sein; dieser Inhalt muss zunächst er selbst sein. Denn nur wenn er sich als vernünftigen Willen will und sich als vernünftigen Willen weiß, kann er die Welt von sich unterscheiden und als ein von ihm Unterschiedenes hervorbringen. Wenn die Gottheit Ursache von lebendigen, intelligenten, selbsttätigen, selbstbewussten Wesen ist, so muss sie selbst selbsttätig sein. Um Wesen hervorzubringen, die ein eigenes Zentrum der Selbsttätigkeit haben, muss das absolute Wesen seine eigene Tätigkeit von der seiner Geschöpfe unterscheiden. Selbsttätig ist aber ein absolutes Wesen nur, wenn es Herr seiner selbst, seiner selbst mächtig ist, wenn es sich selbst ewig bewusst will und weiß. Ein blinder, nicht intelligenter Wille, der sich nicht selbst will und weiß, ist ein Naturtrieb ohne Freiheit oder Willkür, die mit Zufall identisch ist, und zwischen blinder Notwendigkeit und Zufall schwankt er hin und her. Ein solcher Wille kann nichts von ihm Unterschiedenes hervorbringen, weil er sich selbst nicht will, also auch nichts, was irgendwelche eigene, von ihm unterschiedene Selbsttätigkeit hat.

Das göttliche Selbstbewusstsein
Man hat gemeint, das absolute Wesen sei unbewusst oder überbewusst, weil das Selbstbewusstsein nur eine endliche Funktion sei. Allein diese Meinung stützt sich darauf, dass das Selbstbewusstsein nur auf Grund eines Anstoßes, einer Hemmung entstehe, die von einem anderen, einem Nichtich herkomme. Allein es ist selbst für unser endliches Bewusstsein noch sehr fraglich, ob nicht umgekehrt das Selbstbewusstsein der Grund davon ist, dass wir von anderem wissen, und nicht das andere der Grund unseres Selbstbewusstseins. Denn klar wissen wir doch von anderem erst dann, wenn wir dasselbe in unser Bewusstsein aufnehmen, wenn wir uns selbst wissen als das andere wissend. Das selbstbewusste Ich ist aktiv, nicht passiv.*
Es ist die Meinung, dass das Bewusstsein mir durch ein anderes entstehe, das eine Hemmung hervorrufe, von v. Hartmann so spezialisiert worden, dass der Wille, der gehemmt werde, stutzig werde und nun sich als gehemmt fühle. Darin bestehe das Wesentliche des Bewusstseins. Allein wenn der Wille nicht vorher sich fühlt, so ist auch nicht zu sehen, warum er durch die Hemmung sich fühlen soll. Durch die Hemmung kann das Gefühl einen bestimmten Charakter erhalten, aber nicht entstehen. Wenn nun das Bewusstsein nur darin sich erweitern soll, dass es einen möglichst umfassenden Überblick über alle Gefühle gewinnt, so bleibt es allerdings nur der Zuschauer der durch Willenshemmungen entstehenden Gefühle, also passiv. Nun soll aber dieses passive Bewusstsein eine solche Übersicht über den Weltprozess gewinnen, dass es das Unglück des Wollens sieht und nun den, von diesem Standpunkt vernünftigen Einfluss auf den Willen ausübt, nicht mehr zu wollen. Da ist der Entschluss nicht mehr zu wollen, ein vernünftiger Entschluss und der Wille des Nichtmehrwollens ein vernünftiger, von dem Bewusstsein beeinflusster Wille. Dann kann das Bewusstsein nicht mehr passiv sein. Und doch soll der Wille, der an sich blind, unbewusst ist, auf einmal von den endlichen Gestalten des passiven Bewusstseins sich zum Quieszieren bestimmen lassen!

Der Beweis ist noch nicht erbracht, dass jedes Bewusstsein, auch das absolute, nur durch ein anderes hemmendes Wesen hervorgebracht werde, zumal ja schon das endliche Bewusstsein nicht bloß endlichen, sondern auch unendlichen Inhalt aufnehmen kann, was sehr schwer zu erklären ist, wenn das endliche Bewusstsein nur der Reflex von endlichen Hemmungen sein soll. Wenn man meint, das absolute Wesen als purus actus müsse irgendwie gehemmt, auf sich selbst zurückgeworfen sein, um von sich wissen zu können, nur mit dem Bewusstsein des anderen zugleich entstehe das eigene Bewusstsein, so ist das deshalb nicht richtig, weil das andere in das eigene Bewusstsein aufgenommen wird, nicht das eigene Bewusstsein in das andere, das Bewusstsein also schon da sein muss, wenn das andere in das Bewusstsein aufgenommen wird. Und wenn man auch nur bei dem endlichen Fühlen stehen bleibt, so wird das andere, von dem die Hemmungen ausgehen, nicht der Grund des Fühlens sein, sondern nur die Veranlassung bestimmter Modifikationen des Fühlens.
Wenn nicht das Ich von vornherein fühlend wäre, sich selbst fühlte, würde es auch durch die Berührung mit anderem niemals fühlend werden. Denn das Gefühl ist immer nur ein Selbstgefühl des eigenen Wohl oder Wehe. Das absolute Wesen kann aber vollends nicht von einem anderen abhängen. Es wäre also durchaus richtig, ihm Selbstbewusstsein, ja Bewusstsein abzusprechen, wenn diese nur durch die Beschränkung durch ein anderes entstünden
.*
*Nur sei hier nebenbei darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn man das Absolute durchaus deshalb unbewusst setzt, man doch genötigt würde, die bewussten Wesen energischer von dem Absoluten zu unterscheiden als so, dass sie bloße Funktionen des Absoluten sein sollen. Denn sonst verendlicht es sich ja selbst wieder und dann ist auch kein Grund, ihm als Verendlichtem Bewusstsein abzusprechen. Soll Gott als unbewusst erwiesen werden, so wird seine Absolutheit betont, sein Unterschied vom Endlichen; andererseits soll die Welt doch wieder nur verendlichtes Absolute sein.


Aber das ist nicht der Fall. Nur das ist richtig, dass das Bewusstsein und vollends seine höchste Form, das Selbstbewusstsein, niemals aus einem einfachen purus actus verständlich wird. Es müssen in Gott selbst uranfängliche Unterschiede gesetzt sein, verschiedene Seinsweisen, die durch seine Aktivität ewig zur Einheit verbunden sind. Das Selbstbewusstsein ist Resultat, aber es ist das Resultat, das Produkt des selbsttätigen Ich. Wir werden über dies Geheimnis den Schleier nie völlig lüften können; das Sichwollen, Sichtwissen ist ein stetes Sichselbstsetzen. Man hat Gott in diesem Sinne nicht das absolute Subjekt, sondern Subjekt - Objekt genannt.

Die subjektive und die objektive Seinsweise ist durch die Tätigkeit des absoluten Wesens zur Einheit zusammengefasst. Das absolute Wesen setzt sich so als die Einheit seiner subjektiven und objektiven Seinsweise, als Subjekt - Objekt. Ebenso ist Gott die Einheit des Willens und der Vernunft durch seine Tätigkeit; eben deshalb ist er vernünftiger Wille und den Willen erfüllende Vernunft. Den Willen kann man als die reale, die Vernunft als die ideale Seinsweise bezeichnen; er ist aber beides in unlöslicher Einheit. Eben weil er sich ewig in diese gegensätzlichen Seinsweisen dirimirt
[trennt, entfremdet, auflöst] und ewig beide zur Einheit zusammenfasst, ist er ewig tätiger, lebendiger, sich selbst setzender Gott, der sich weiß und sich will. Er setzt sich als das absolute Wesen, als die Einheit der Existenzweisen, der subjektiven und objektiven, der realen und idealen, des Willens und der Intelligenz. Denn indem das Eine Wesen sich als Willen und als Intelligenz zur Einheit zusammenfasst, ist es eben nicht bloß tote Substanz, sondern setzt sich als vernünftigen Willen und als tätige erkennende Vernunft. Das Sichselbstsetzen ist so ein Sichselbstwollen und Sichselbstwissen, aber ein Sichwollen als vernünftigen Willen und ein Sichwissen als erkennende Vernunft. Wir brauchen also für die Entstehung des göttlichen Selbstbewusstseins und sich Selbstwollens keinen Anstoß von außen; es genügt die Diremtion des göttlichen Ich in die subjektive und objektive, die reale und ideale Seinsweise, in die wollende und denkende Funktion; da aber in den entgegengesetzten Formen dasselbe tätige göttliche Ich ist, so erfasst dieses göttliche Ich sich auch als dasselbe in den entgegengesetzten Seinsweisen.*
*Man hat die Trinitätslehre so verstanden, dass sie der Versuch sein soll, durch Unterschiede in Gott, die er zur Einheit zurückführt, Gott als Geist, als sich selbst wissendes und wollendes, ethisches Wesen zu erfassen.


Ist nun aber mit diesem Versuche, in das Innere des göttlichen Wesens einzudringen, etwas für die Beziehung Gottes zur Welt gewonnen? Ist nun nicht eine Höhe erstiegen, von der erst recht der Zugang zu der Welt verschlossen ist, indem Gott nur als der sich selbst setzende, wollende, erkennende erfasst wird? Man kann hierauf antworten: Gerade wenn Gott sich als vernünftigen Willen weiß, so weiß und will er sich damit nicht nur als sich, sondern als Möglichkeitsgrund aller Realität. Wenn wir den Bestand der Welt kennen und von ihm aus auf einen intelligenten Gott schließen, der sich selbst will und weiß als vernünftigen Willen, so ist dieser Schluss nur dann berechtigt, wenn in diesem Sichselbstwollen und Wissen Gottes zugleich enthalten ist, dass er sich als den Möglichkeitsgrund aller Realität überhaupt weiß und will.

Und hierin ist zweierlei zugleich gegeben: Gott als Möglichkeitsgrund aller Realität kann in dem idealen, aber auch im realen Sinne genommen werden, als der, dessen Vernunft die Idee aller Realität umfasst, der nicht bloß sich weiß, sondern sich als universale Vernunft, als den, der die Idee von allem Möglichen, das werden kann, weiß, ebenso aber auch als der, der sich als die universale Kraft weiß und will, alles, was durch ihn real werden kann, zu realisieren, das ideal Mögliche in die Wirklichkeit überzuführen. Indem nun das absolute Wesen sich als den Möglichkeitsgrund von allem weiß und will, ist es zugleich ethisch bestimmt; Gott würde gar kein vernünftiger Wille sein, wenn er sich nur als sich, nicht auch als den Möglichkeitsgrund aller Realität in dem doppelten Sinne wollte.

Darin ist enthalten, dass er sich auch als die Quelle von allein, was durch ihn werden kann, weiß und will, aber nur auf Grund davon, dass er sich selbst weiß und will. Das ethische Moment ist hierin insofern enthalten, als Gott in seinem Wollen und Denken das Sichwollen mit dem universalen Wollen von aller Realität verbindet, als Gott sich will als die Quelle aller wahrhaften Realität, die von ihm ausgehen kann. Denn das Ethische enthält formal die Einheit der Freiheit mit dem in sich Notwendigen und das ist eben in Gottes vernünftigem Willen gegeben, inhaltlich aber enthält es die Verbindung der Egoität mit dem Universellen, oder nicht bloß sich selbst zu wollen und zu wissen, sondern sich zu wissen und zu wollen als die universale Quelle aller wahren Realität, die aus seinem Ich hervorgehen kann, populär ansgedrückt, sich nicht bloß zu wissen und zu wollen als den Erhabenen, Einzigen, in sich Abgeschlossenen, sondern als den Mitteilsamen, ja noch mehr als den Hervorbringer aller Realität, als den, der auch anderer Realität, die durch ihn möglich ist, das Dasein gönnt.

Das Böse und Übel in der Welt
Bevor wir diesen Gedanken weiter verfolgen, müssen wir eines Einwandes gedenken, der dagegen erhoben -wird, dass man Gott selbst einen vernünftigen, guten Willen zuschreiben, ihn selbst ethisch nennen könne. Man meint gegenüber der Annahme der ethischen Bestimmtheit Gottes, dass das Sittliche ein Verhältnis¬begriff sei, also im Absoluten nicht vorkommen könne; das Absolute sei wohl als das allein zu Grunde liegende Eine der Grund des Sittlichen, da jeder in dem andern sich finden und den andern wie sich behandeln müsse, weil er ebenso wie der andere eine Funktion Gottes sei; aber Gott selbst, der die zu Grunde liegende Einheit sei, stehe eben deshalb über dem Gegensatz und könne zwar als der Begründer des endlichen Ethischen gelten, aber nicht selbst ethisch sein. Allein einmal ist in dieser Auffassung die göttliche Funktion so stark von Gott unterschieden, dass seine Funktion zwar ethisch, er selbst aber nicht ethisch sein soll, was doch nur begreiflich wäre, wenn eben seine Funktion nicht nur seine Funktion, sondern wenn die endlichen Wesen selbständiger wären. Sodann aber ist in Gott selbst auch ein Verhältnis, das Verhältnis seines Willens zu seiner Vernunft; er ist als vernünftiger Wille, als Einheit von Freiheit und Notwendigkeit ethisch und insofern er anderen das Dasein gönnt, ist er auch ethischer universaler Wille, der sich als solchen Möglichkeitsgrund von anderen will.*
* Ich will hier noch einer Instanz gegen die Annahme des ethischen Wesens Gottes gedenken, des Bösen und Übels in der Welt. So leicht ist dieser Einwand nicht beseitigt, wie es die ältere Theologie versucht hat, die das Böse auf den freien Willen gründete und das Übel als Strafe für das Böse ansah. Denn die Sünde ist gar nicht die Quelle alles Übels, z. B. nicht des Übels in der Natur. Wenn Mäterlinck im »begrabenen Tempel« ausführt, dass die Übel, die den Menschen treffen, gar nicht gerecht verteilt seien, so ist das durchaus richtig. Die Freiheit des Menschen ist aber gar nicht so groß, dass man alle Sünde ihr zur Last legen kann, besonders wenn man die Erbsünde lehrt, aber auch dann nicht, wenn man von ihr absieht, da der heranwachsende Mensch in der Regel nicht ein solches Maß der Freiheit besitzt, um dem Einfluss einer schlechten Umgebung den nötigen Widerstand entgegensetzen zu können; und wenn auch auf einer bestimmten Höhe der religiös-sittlichen Entwickelung eines Volkes einzelne vielleicht eine annähernd normale Entwickelung durchmachen können, so wird man doch von dem gesamten Entwickelungsprozess der Menschheit schwerlich eine solche normale Entwickelung als möglich behaupten können. Es ist unmöglich, insbesondere den Anfang der menschlichen Entwickelung, wo die Intelligenz noch auf das höchste beschränkt, die Willenskraft noch gering und nicht konzentriert ist, die Triebe noch in ihrer natürlichen Kräftigkeit hervortreten und dadurch untereinander in Streit geraten, sittlich normal vorzustellen, und wenn man auch von dem ethischen Ideal aus sagen muss, dass ein solcher Zustand nicht sein soll, dass er überwunden werden muss, so kann man daraus nicht den Schluss ziehen, dass er auch in der augenblicklichen Gegenwart nicht zu sein brauchte, sondern nur, dass er in Zukunft beseitigt werden müsse. Ja gerade die ethische Auffassung der Welt wird vielmehr die Differenz zwischen dem Ideal und der anfänglichen Wirklichkeit voraussetzen müssen, damit die Unvollkommenheiten durch eigene Tätigkeit überwunden werden; die natürlichen Triebe und die von dem Menschen theoretisch und praktisch zu bearbeitende Natur können noch nicht der sittlichen Vernunft anfangs vollkommen gehorchen, wenn durch eigene Tätigkeit diese Harmonie hergestellt werden soll; also die Bedingung für eine selbsttätige Entfaltung des Sittlichen kann nur das sein, dass die Triebe und die Natur dem vernünftigen Willen dienstbar gemacht werden können, aber nicht, dass sie von Anfang dienstbar gemacht sind, dass erst allmählich durch die eigene Tätigkeit die Herrschaft des Geistes immer mehr zunimmt und immer umfassendere Gebiete des eigenen Organismus und der Natur sich untertan macht. Es wird also nichts übrig bleiben, als zuzugeben, dass Sünde und Übel nicht auf die Freiheit des Menschen in letzter Instanz, sondern auf die göttliche Einrichtung der Welt zurückgeführt werden müssen.

Allein das nötigt uns nicht, deshalb Gottes ethisches Wesen in Abrede zu stellen. Das würde allerdings gelten, wenn die Sünde und das Übel bleiben müssten, oder wenn sie sich gar beständig steigerten, wie der konsequente Pessimismus annehmen muss. Wenn dagegen der Geist durch seine Aktion die anfängliche Disharmonie immer mehr überwindet und der Gegensätze immer mächtiger wird, wenn er bestimmt ist, das Ideal durch eigene Tätigkeit zu realisieren, so ist es rational, dass eben, weil die Welt des höchsten Vorrechts, der Selbsttätigkeit von ethisch angelegten Geistern teilhaft werden sollte, sie eben nicht sofort dem Ideal entsprechen kann, sondern durch deren Selbsttätigkeit das ideal allmählich realisiert wird.

Gerade hier bestätigt es sich wieder, dass wir von der Unvollkommenheit der bestehenden Welt auf einen ethischen Gott rekurrieren müssen, der über ihre Unvollkommenheiten erhaben, die Garantie bietet, dass sie überwunden werden können, ja, dass sie von Gott geordnet sind, damit sie durch die eigene Tätigkeit der endlichen Geister überwunden werden.

So würde sich freilich ergeben, dass der ethische Gott das Unethische setzt, um endliches Ethische zu erzielen, und das scheint ein scharfer Widerspruch. Allein der Widerspruch löst sich, sobald man die Sache so ansieht, dass Gott die Bedingungen für das endliche Ethische setzt und dass er durch seine Tätigkeit das Ethische mit hervorruft, indem er durch seine, dem Geiste immanente Aktion den Geist freimacht, so dass dieser nun auch durch seine Tätigkeit nicht bloß das Böse, sondern auch die Übel überwinden lernt. Die Bedingungen für das Ethische sind gut. Die Naturtriebe, der Partikularwille, die vereinzelten noch ungeordneten Anlagen sind an sich nicht böse, sondern als Voraussetzungen für die Betätigung des Geistes gut. Böse ist nur, dass die Naturtriebe anfangs über den Geist überwiegen, der Partikularwille über den Universalwillen, die Vereinzelung und Zerstreuung über die Einheit. Das aber tritt erst hervor, wenn der Geist seine universale Einheitstendenz auf Grund göttlicher Aktion wirklich geltend macht. Dann wird eben der rein natürliche Zustand im Verhältnis zum Geiste als böse aufgefasst, weil er dem Ideal nicht entspricht; hierin ist aber schon der Antrieb zum Fortschritt über den bösen Zustand hinaus. So ist das Böse nur am Guten und beruht nur auf einem falschen Verhältnis an sich guter Faktoren; es ist nur Durchgangspunkt der Entwickelung, der, wenn endliche Entwickelung sein soll, nicht zu vermeiden ist, der aber dem ethischen Wesen Gottes keinen Eintrag tut, weil das Böse im gesmten Weltplan nur als das Anregungsmittel zum Fortschritt von dem unvollkommenen zum vollkommenen Zustand erscheint. Denn damit, dass das Unvollkommene ins Verhältnis zum Ideal gebracht und damit erst zum Nichtseinsollenden, d. h. Bösen gestempelt wird, ist der Anfang seiner Überwindung gemacht. Die göttliche Einwirkung zeigt sich hier so, dass auf jeder Stufe die Unvollkommenheit als Böses durch Gott zum Bewusstsein gebracht wird, wodurch er heilig und gerecht erscheint. Er bringt aber das Böse zum Bewusstsein auf Grund davon, dass er die Idee des Guten im Bewusstsein steigert, an der gemessen das Unvollkommene erst voll böse wird. So wird durch seine Verurteilung seine Überwindung angebahnt, bis es schließlich durch gottbegeistete Tätigkeit in seiner völligen Nichtigkeit offenbar wird und in der Gottmenschheit immer mehr verschwindet, in welcher der von Gottes Geist erfüllte Geist zu freier, alle Gegensätze überwindender Tätigkeit belebt wird.


Das göttliche Schaffen
Man kann also schwerlich sagen, man könne Gott nicht ethische Prädikate zuschreiben, weil er überethisch sei, da man solche überethische Bestimmung der Gottheit nur zu unterethischen Bestimmungen derselben kommt, die der Idee der Absolutheit nicht nur nicht mehr, sondern weit weniger entsprechen, während absolut nicht einzusehen ist, warum es, Gottes unwürdig sein soll, sich als vernünftigen Willen zu wissen und zu wollen, der allem das Dasein gönnt, was durch ihn sein kann, der sich als Möglichkeitsgrund einer Welt will, der er so viel von seinen Vollkommenheiten mitteilt, als es seine Absolutheit erlaubt.

Wenn man nun weiter fragt, wie denn Gott sich als den Möglichkeitsgrund von anderem wissen und wollen könne, wie die Idee eines anderen in ihm dem absolut Vollkommenen entstehen könne, in dem von Anfang das All der Realität befasst sein muss, so ist es ja für den endlichen Geist schwer, in die absolute Sphäre einzudringen und das Geheimnis der Schöpfung zu entschleiern. Indes wird das zweifellos richtig sein, dass die Gottheit nur aus den in ihr selbst vorhandenen Potenzen die Welt hervorbringen kann, ja selbst die Idee eines anderen Seins nur in ihm selbst entstehen kann. Denn wenn die Welt auf Gott zurückgeführt werden muss, so ist das selbstverständlich. Wenn nun die Welt nur aus Gott soll stammen können, und doch nicht aus nichts - denn aus nichts wird nichts - so kann man nur annehmen, dass Gott sich selbst insofern zu dem Urheber eines von ihm verschiedenen Seins machen kann, als er Herr über sich selbst ist, als er die in ihm liegenden Potenzen, die in ihm zu absoluter Harmonie verbunden sind, in neuer Weise für sich heraussetzt, damit sie in neuer Weise verbunden werden und so in dieser neuen Form eine neue Art des Daseins haben, das, wir Welt nennen.

So allein ist die Welt einerseits von dem absoluten Wesen selbst unterschieden nach der Form des Daseins und doch hat sie göttliche Kräfte in sich, die ihren Inhalt ausmachen. Wir sind damit wieder an dem Punkt angelangt, wo die Metaphysik der Religion mit der Metaphysik überhaupt zusammentrifft und von dem oben die Rede gewesen ist.

Es kommt zunächst darauf an, dass dieses Heraustreten der Potenzen aus der .Einheit nicht auf einen Zufall zurückgeführt wird, sondern darauf, dass Gott, indem er sich selbst als den vernünftigen Willen, als das Subjekt-Objekt erfasst, zugleich die Möglichkeit ins Auge fasst, dass die in ihm geeinten Kräfte auch in eine gegensätzliche Stellung gebracht werden könnten, und dass er sieht, was die Folge einer solchen gegensätzlichen Stellung der Potenzen sein würde, wenn sie auseinander tretend doch zu neuen Formen der Einheit geführt würden. Er muss übersehen, dass die in ihm vorhandenen Potenzen in einen zeitlichen Prozess eingehen würden, sobald sie Veränderungen eingehen, denn die Form der Veränderung ist eben die Zeit, dass ferner die Vereinigung der einmal auseinander getretenen Potenzen, der realen und der idealen, nur eine allmähliche, nicht eine plötzliche sein könne, und dass die aus dieser gegensätzlichen Stellung hervorgehenden Formen der Vereinigung niemals wieder dieselben sein können wie die ewige und ursprüngliche, die er nie aufgibt.

Würde er diese ewige ursprüngliche Vereinigung fallen lassen, dann würde er selbst in den unvollkommenen zeitlichen Prozess eingehen, würde nicht Herr des Seins sein, würde nicht die freie Quelle aller Realität sein, sondern sich selbst verendlichen. Wenn er hingegen als der ewig Bewusste, mit sich Harmonische die Möglichkeiten überschaut, die aus dieser neuen Daseinsform seiner Potenzen hervorgehen, so bleibt er Herr des Seins und es bleibt seinem Willen vorbehalten, wenn er den aus ihr hervorgehenden Prozess übersieht, mit Bewusstsein und Willen diese Möglichkeit einer anderen Daseinsform zu realisieren, die er in ihrem ganzen Prozess als eine zwar in endlichen Formen sich darstellende, aber in diesen Formen doch göttliche Potenzen enthaltende Welt überschaut.

Wenn sein Wille aber vernünftiger, universaler Wille ist, so wird er auch diesen anderen möglichen Existenzformen das Dasein gönnen. Wir werden zwar nie das Geheimnis entschleiern, wie das absolute Wesen es anfängt, diesen Potenzen eine solche neue selbständige Existenzform zu verleihen; aber wir können es uns doch an einer Analogie deutlich machen, wie schon oben bemerkt ist. Wir sind im Stande, Ideen zu produzieren, die zunächst durchaus nur Produkte unseres Bewusstseins und gänzlich mit unserem eigenen Denken und Fühlen verschmolzen sind, und doch können wir sie - allerdings nur mittels des uns zur Verfügung stehenden Stoffes - aus uns heraussetzen, ihnen eine von uns unabhängige Existenz in der Schrift, in künstlerischen Darstellungen geben, ohne dass deshalb irgendwie unsere eigene Fähigkeit sie immer wieder zu denken Not litte und ohne dass deshalb irgendwie unser eigenes einheitliches Bewusstsein zerrissen würde, da die von uns losgelöste Idee doch immer zugleich unserem Bewusstsein zugehörig bleibt.

Ähnlich müssen wir Gottes Produzieren uns vorstellen, nur dass er nicht einen von ihm unabhängigen Stoff braucht, sondern alles aus sich selbst entnimmt. Indem er über seine Potenzen frei verfügt, vermag er ihnen eine neue gegensätzliche Existenzform zu geben, ohne deshalb ihre Harmonie, wie er sie ewig in sich realisiert, aufzuheben. Wenn nun aber diese Potenzen zu einer relativen Selbständigkeit gegeneinander gelangt sind, so kann das doch nur einen Sinn haben, damit sie in neuer Weise zur Einheit gebracht werden. Denn nur wenn aus dieser neuen Existenzweise der Potenzen ein einheitliches, in sich mannigfaltiges Ganze wird, das in einer neuen Form das absolute Wesen abbildet und den Inhalt desselben in endlichen Formen auseinanderlegt und zusammenfasst, kann die Realisierung der Welt einen Sinn haben, aber nicht, wenn alles nur in einem zwecklosen Chaos endete.

Im Gegenteil, wenn durch einen noch nicht geordneten, aber ordnungsfähigen Anfang hindurch immer mehr die Vernunft zur Herr¬schaft kommt, hat der Weltprozess einen Sinn und Wert. Das geschieht nun, wie oben gezeigt ist, wenn die reale Potenz, die zur Selbständigkeit entlassen, zunächst das Übergewicht hat, in den gesteigerten Formen des Naturlebens immer vollkommenere Ein¬heitsformen mit der idealen Potenz erreicht, bis im Menschen eine Zusammenfassung des bisherigen Entwickelungsganges da¬durch gewonnen wird, dass dieser sich selbst wissen und wollen und die Natur in sein Selbstbewusstsein aufnehmen kann. Er selbst durchläuft denn auch verschiedene Stadien der Entwickelung, indem er zuerst unter dem Einfluss der Natur und seines natürlichen Lebens steht, bis er im Stande ist, seine verschiedenen Anlagen und Triebe, seine selbstische Richtung durch die universale Richtung seiner Vernunft zu harmonisieren. Wie nun das be¬wusste Ich die höchste Einheitsform der Weltpotenzen als Mikrokosmos herstellen kann und wie die verschiedenen Iche wieder durch ihr bewusstes Aufeinander- und Miteinanderwirken neue höhere Einheiten in der Familie, im Staate herstellen können, das alles soll hier nicht verfolgt werden. Uns kommt es hier auf die metaphysische Begründung der Religion an, um deren willen das Bisherige gesagt ist.

Metaphysische Begründung der Religion
Wenn das Ich an seinem Teil die Einheit der Welt herstellen will, wenn das Ich sich zum Mikrokosmos gestalten und mit der, Natur und den anderen Ichen in Wechselwirkung treten will, muss es immer die letzte Einheit voraussetzen. Ja dass überhaupt das Ich als ein Konzentrationspunkt der Potenzen der Welt möglich ist, das geht zurück auf die Einheit des absoluten Wesens, das sich in seiner Einheit behauptet und die selbständig hervortretenden Potenzen doch immer wieder durch seine jedes Mal vereinende Tätigkeit zu immer neuen und höheren Einheiten zusammenbindet. Trotzdem sind diese Einheiten nicht bloß Erscheinungsformen dieser absoluten Tätigkeit, sondern als solche Einheitspunkte sind sie endliche Größen, welche auf der göttlichen Aktion, die die auseinander getretenen Potenzen zusammenbindet, beruhen.

Wenn das Selbstbewusstsein zustande kommt, so beruht dies als endliches darauf, dass hier das Ich als einheitliche Größe seine Identität, mit sich in der subjektiven und objektiven Form, als Wille und Intelligenz, als reales und ideales Wesen erfasst und sich so selbst setzt. Aber diese Selbstsetzung ist doch keine absolute, sondern eine relative. Sie geschieht doch nur auf Grund davon, dass hier die Einheit setzende Tätigkeit Gottes wirksam ist, welche diese Einheitsform der Potenzen begründet. Denn nur darum, weil die Gottheit in sich ihre absolute Harmonie bewahrt, können die auseinander getretenen Potenzen zu neuen Einheiten zusammengefasst werden. So ist jedes einheitliche und vollends jedes bewusste Wesen nur aus der vereinigenden Tätigkeit der Gottheit begreiflich, die aber hier nicht sich selbst, sondern eine neue Einheit von. den auseinander getretenen Potenzen setzt, die eben darum auch als solche Einheit sich auf ihre endliche, nicht auf absolute Weise betätigt.

Man kann sagen, die göttliche Aktion hat zum Resultat ihrer beständigen Wirksamkeit, auf Grund dieser Aktion relativ selbsttätige Wesen. Wenn nun die Stufe des Selbstbewusstseins erreicht wird, so wird auch das endliche Ichbewusstsein diese göttliche einende Aktion mit umfassen, auf Grund deren es existiert. Die Religion auf ihrer höchsten Stufe ist nun das Bewusstsein dieser Einheit setzenden göttlichen Tätigkeit in den endlichen Wesen und vor allem im Menschen selbst, in dem sie sich in der konzentriertesten Form offenbart. Wie wir gesehen haben, dass psychologisch die Religion überall aus einem Gefühl des Gegensatzes, aus einer Tendenz der Überwindung der Gegensätze zur Einheit hervorgeht, so ist sie überall die Überwindung von Gegensätzen durch ihre Zurückführung auf die göttliche Einheit, metaphysisch angesehen durch die diese Gegensätze im Bewusstsein zur Einheit führende göttliche Aktion und hat ihre Vollendung in der Immanenz dieser alle Gegensätze ausgleichenden göttlichen Macht im Bewusstsein, in der Religion der Gottmenschheit. Da nun aber diese göttliche Macht eine geistige ist, so ist die Religion die Vermählung des endlichen mit dem absoluten Geiste, in der die höchste Einheit beider erreicht wird, ohne dass die Unterschiede ausgelöscht sind. Denn nun ist sich der endliche Geist erst recht des ihm innewohnenden alle Gegensätze ausgleichenden göttlichen Geistes bewusst, mittels dessen er sich selbst erst recht vollkommen betätigen kann.

Es ist der göttliche Geist, der dem menschlichen Geiste immanent ist, ihn belebt und seine Aktivität erhöht, so dass dieser auf Grund dieser einheitlichen Kraft eine Harmonisierung aller Gegensätze, der Kräfte in ihm selbst, der geistigen und natürlichen Kräfte und der endlichen Geister untereinander unternimmt und so an dem Kommen des Gottesreiches arbeitet. Da nun alle Gegensätze durch das religiöse Bewusstsein ausgeglichen werden, so ist es auch klar, dass die Religion alle möglichen Bestimmtheiten in sich aufnehmen kann, indem man sich bewusst ist, dass in der Gottheit die vollendete Einheit und Harmonie der der Welt zu Grunde liegenden Potenzen gegeben ist und dass sie durch ihr Wirken im menschlichen Bewusstsein den Menschen in den Stand setzt, die Harmonie der Welt immer vollkommener zu gestalten.

So ist die Religion die Quelle des Friedens, aber nicht des Kirchhofsfriedens der Vernichtung aller endlichen Existenzen, wodurch frei¬lich auch alle Gegensätze aufgehoben wären, sondern der Harmonisierung aller Gegensätze, einer immer vollkommeneren Verbindung aller Weltrealitäten zu einem harmonischen Ganzen, zu einem Reiche Gottes. Allein die Einheit der Welt ist nicht auf einmal da. Sie setzt sich nur allmählich im gesamten Weltprozess durch. Zuerst zeigt sie sich nur in äußerlicher Weise in der mechanischen Ordnung, dann in der konzentrierten Form der Organismen, der beseelten Wesen, in der teleologischen Ordnung in der Stufenleiter der Entwickelung, endlich im Menschen, in seinem die Welt mit in das Bewusstsein aufnehmenden Selbstbewusstsein, das ohne Gottesbewusstsein ein Fragment, ein zersplittertes, ungeordnetes, bleiben müsste; das religiöse Bewusstsein durchläuft selbst wieder eine Reihe von Stufen, bis es in der Gottmenschheit seine prinzipielle Höhe erreicht und als solches Gottmenschliches nun berufen ist, das Band des Alls, die harmonisierende Kraft aller Gegensätze in der Welt in theoretischer, ästhetischer und praktischer Form durch seine vom göttlichen Geiste bestimmte Aktion zu werden.

Realität und Unsterblichkeit des Ichs
Zu den metaphysischen Voraussetzungen der Religion gehört auch die Realität des Ich. Ohne relativ selbständige Ichpunkte, welche die Gottheit beseelen kann, kann von Religion keine Rede sein. Das beweisen selbst diejenigen, ohne es zu wollen, die das Ich als einen selbständigen Faktor leugnen, z. B. der Satz v. Hartmanns: ich kann Gott erlösen. Da ist doch dem Bewusstsein eine fast übergöttliche Macht zugeschrieben. In Wahrheit setzt die Religion die Existenz des Ich voraus, und wenn in der Religion der Gottmenschheit das Ich von dem absoluten Wesen durchdrungen sich selbsttätig entfaltet, so steht auch der Unsterblichkeitsglaube mit der Religion im engsten Zusammenhang.

Kein Geringerer als Schleiermacher hat diesen Zusammenhang in Abrede gestellt und sich dabei auf die jüdische Religion berufen und gemeint, wenn jemand, so lange er lebe, ein Leben in der vollen Gottesgemeinschaft lebe, so sei das völlig genügend für die Religion, die nicht notwendig über die Dauer dieses Lebens etwas aussagen müsse. Man könnte dem entgegenhalten, dass in den meisten Religionen ein Leben nach dem Tode angenommen werde, entweder in der niedrigeren Form der Fortsetzungstheorie oder in der Form der moralischen Vergeltungstheorie oder in der Kombination von beidem.

Man könnte ebenso geltend machen, dass dieses Leben ein Fragment sei, das ohne eine Fortsetzung nach dem Tode des Anfangs nicht wert sei; oder vielleicht noch besser ausgedrückt, dass der religiöse Inhalt dieses Lebens in der Gottmenschheit ein so wertvoller sei, dass der von Gott begeistete Mensch in der kurzen Spanne dieses Lebens kein voll genügendes Feld zur Auswirkung seiner Kräfte besitze. Hiergegen hat man indes von den verschiedensten Seiten Schwierigkeiten erhoben.

Die einen haben gemeint, dass jeder das, was er wirklich leisten könne, eben in diesem Leben leiste, dass mit diesem Leben seine Leistungskraft erschöpft sei, andere, dass die individuelle Unsterblichkeit schon deshalb unmöglich sei, weil unser psychophysischer Organismus die Bedingung unserer Individualität sei, mit ihm also unsere Individualität verschwinden müsse.

Zwar haben heutzutage die meisten Philosophen zugegeben, dass man diese Frage nicht mit Denkoperationen lösen könne. Allein es will mir fraglich scheinen, ob man hier so ohne weiteres dem empiristischen Zug der Zeit folgen muss. Zunächst jedenfalls nicht in dem Sinne, dass man durch spiritistische Experimente die Frage im bejahenden Sinne zu lösen sucht. Denn alles, was in dieser Hinsicht vorgebracht wird, ist durch die Phantasie zu sehr beeinflusst, als dass man auf festen Boden kommen könnte.

Aber auch in dem Sinne braucht man nicht ohne weiteres dem Empirismus zu folgen, dass man es ablehnt auf Schlüsse zurückzugehen, die über die Erscheinung hinausgehen. Es ist gar nicht einzusehen, wenn man der Welt Atome und Äther zu Grunde legt, die doch auch unsichtbar und unerfahrbar sind, warum nicht auch Iche existieren sollen, welche doch, wie wir sehen, eine unendlich kräftigere Aktion ausüben, eine unendlich stärkere Kraft der Kombination zeigen als die Atome der Natur. Man hat zwar neuerdings die Selbständigkeit des Ich in Abrede gestellt ; es soll nur ein passives Abbild einer unbewussten Kombination von Willensatomen sein, ein Hirnbewusstsein. Allein es wird nie und nimmer gelingen begreiflich zu machen, wie ein solches Abbild eines Atomkonglomerats sich als einheitlichen Ichpunkt wissen und wollen und nach allen Seiten eine einheitliche Tätigkeit ausüben kann; eben deshalb wird von solcher Voraussetzung aus das religiöse Bewusstsein am unerklärlichsten, weil es die stärkste einheitliche Konzentration enthält.

Soll Religion sein, so muss nicht bloß ein passives Bewusstsein da sein, sondern es muss Ichpunkte geben, die die in ihnen wirksame Gottheit auch in ihr Bewusstsein aufnehmen, die an sich vorhandene Einheit mit Gott zu einer bewussten machen können, Konzentrationspunkte, welche durch die Aktion der Gottheit beseelt werden können. Nur darf man sich dieselben nicht als einfache Punkte vorstellen, vielmehr ist das menschliche Ich eine aktive Größe. Das Ichbewusstsein ist nichts Einfaches, sondern es ist ein Sichselbstsetzen, es ist Subjekt-Objekt, es ist die unlösliche Einheit der realen und der idealen Seite, es ist Einheit von Willen und Intelligenz, die durch unmittelbare Aktion gesetzt ist. Das Ich ist Produkt - das ist das Richtige an dem Satze, dass es passiv sei - aber es ist nicht bloß Produkt, Resultat, sondern es ist auch der Grund seiner selbst.

Es bringt sich immer wieder hervor, es setzt sich selbst, nicht absolut, aber insofern es immer durch seine eigene Aktivität die Einheit herstellt, die es an sich schon ist. Es ist nicht bloß ein Wollen, ein Wissen, ein Fühlen, es ist ein Sichwollen, Sichwissen, Sichfühlen, und wenn es sich fühlend, denkend oder wollend betätigt, so weiß und will und fühlt es sich immer zugleich. Ich denke, ich will, ich fühle. Diese Art von Einheit ist nirgends in der Welt als im Ich und kein Mensch kann sie erklären aus dem Körper; denn der Körper ist eine mechanische Einheit von Atomen; aus dieser mechanischen Einheit entsteht niemals ein Selbstbewusstsein, eine Reflexion in sich. Wenn das Selbstbewusstsein aber nicht als das Produkt des Körpers aufgefasst werden kann, so kann es auch nicht in seinem Bestand von den körperlichen Funktionen abhängen. Damit ist aber die Möglichkeit der Unsterblichkeit zugestanden und muss zugestanden werden.

Ich will hier nicht auf die Einwände eingehen, welche gegen diese Unabhängigkeit des Geistes von dem Körper gemacht werden, sondern nur so viel bemerken, dass die Abhängigkeit des Geistes von dem Körper sich auf die Art seiner Funktionen, aber nicht auf seinen Bestand bezieht. Die Existenz des Ich hängt nicht vom Körper ab, sondern die Art seiner Betätigung. Ohnmachten, vorübergehende Bewusstlosigkeit, Fieberphantasien, Wahnsinn, Altersabnahme, Doppelich und was dergleichen mehr ist, sind teils auf eine herabgeminderte Aktivität des Ich, teils auf die Unfähigkeit des Ich, seiner körperlichem Organe Herr zu bleiben, zurückzuführen. Aber dass das Selbstbewusstsein vollkommen durch körperliche Einflüsse zerstört werden könne, wird man nicht beweisen können, wenn es auch vorübergehend gestört werden kann. Eine andere Frage wäre die, ob das Ich durch verkehrte Tätigkeit oder durch Untätigkeit nicht sich selbst in den Potenzustand versetzen könne.

Wenn aber das Ichbewusstsein nicht durch den Körper hervorgebracht, sondern die Tätigkeit des Ich nur durch den Körper in bestimmte Bahnen geleitet werden, oder auf die mannigfaltigste Weise angeregt werden kann, so ist gegen die Möglichkeit der Unsterblichkeit nichts einzuwenden. Wenn dieses Ich, das sich selbst immer setzt, doch zugleich mit seiner Selbstsetzung auf einem Gesetztsein ruht, wenn es die göttliche Aktion ist, welche sein Bewusstsein ermöglicht, wenn es die göttliche Aktion ist, welche als die einigende Kraft diese Form der Einheit der Potenzen hervorbringt und diesen aktiven Konzentrationspunkt setzt, so ist nicht einzusehen, warum die Gottheit dieses Ich als die höchste Aktivität in der Welt hervorbringen sollte, um sie wieder zu vernichten.

Wenn nun vollends die Stufe der Gottmenschheit erreicht ist, in welcher das Ich sich von Gottes Geist beseelt weiß, sich nicht ohne Gott denken kann, sich dauernd in Gott, Gott in sich weiß, und sich auf Grund dieser Gottmenschheit einer unendlichen Entwickelungsfähigkeit bewusst ist sowohl im Erkennen wie im ästhetischen Gebiete und im Wollen, so hat es einen Inhalt, der in sich selbst wertvoll ist und eben um dieses Inhalts willen, den es nur in einer über dieses Leben hinausgehenden Fortdauer voll betätigen kann, ist das in seiner Selbstsetzung von dem Leib nicht abhängige Ich auf die Unsterblichkeit hin angelegt.

Es ist indes unmöglich über die konkrete Form der Fortdauer Näheres auszusagen, ob, wie Lessing meinte, die Seelen auf der Erde wieder erscheinen, ob sie auf Sterne versetzt werden, ob sie in anderen Formen ein neues Leben führen; nur das kann man vielleicht sagen, dass sie in irgend welcher Weise sich einen neuen Organismus anbilden. Denn dass sie in Wechselwirkung mit den übrigen Weltfaktoren irgendwie bleiben, ist eine natürliche Annahme, wenn man. überhaupt ihre Fortdauer annimmt. Wenn diese Fortdauer mit der Idee der moralischen Vergeltung in Beziehung gebracht wird und zwar weil dieser Ausgleich auf Erden nicht genügend realisiert werde, so ist dieser in den Religionen so oft hervortretende Gedanke zwar vollkommener als die bloße Fortsetzungstheorie; er enthält aber doch nicht genügend in dieser Form die Idee einer Fortentwickelung. Denn es scheint oft, als ob mit diesem Leben die Entscheidung gefallen und das künftige Leben nur dazu da wäre, für dieses Leben Belohnungen oder Strafen entgegenzunehmen. In Wahrheit aber hat die Unsterblichkeit nur einen Wert für endliche Wesen, wenn sie so erst sich voll ausleben, den Inhalt, der ihr Leben lebenswert macht, erst voll entfalten können. Die Strafen oder Belohnungen können aber hier nur insofern in Betracht kommen, als sie Mittel sind, um den Fortschritt zu ermöglichen. Denn darauf kommt es an, dass auf Grund der göttlichen Aktion die Geisterwelt immer vollkommener sich gestalte und die Natur durch ihre Tätigkeit immer mehr durchdringe
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S. 200-247
Aus: Grundriss der Religionsphilosophie von D. Dr. A. Dorner, Verlag der Dürr’schen Buchhandlung, Leipzig 1903