Albertus Magnus, Albert der Große, Graf von Bollstädt (1200 – 1280)
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Scholastischer
Gelehrter und Kirchenlehrer; Dominikaner;
Lehrer von Thomas von Aquin;
. Vielseitig und kreativ,
wie er war, vermittelte Albertus dem christlichen
Mittelalter arabische und jüdische Wissenschaft sowie naturwissenschaftliche
Beobachtungen und setzte insbesondere durch seine Kommentare (Paraphrasen) zu Aristoteles den Aristotelismus durch. In seinen systematischen Schriften findet sich neben dem aristotelischen viel neuplatonisches und (in der Theologie)
augustinisches Gedankengut. |
Inhaltsverzeichnis
Gott ist unerkennbar
>>>Christus
Zur synoptischen Frage
Geheimnis der Menschwerdung
Gott
ist unerkennbar
43. Gott ist für uns schlichthin unerkennbar. Bekannt ist er uns lediglich
unter einer bestimmten Rücksicht. Wir wissen nur von seiner Existenz, und
auch das nur unbestimmt. Er erscheint uns »wie ein
Meer« (Johannes von Damaskus),
dessen Grenzen wir nicht kennen. Aber was er ist, sein Wesen — und gerade
das gehört zu einer richtigen Erkenntnis — ist uns verborgen.
44. Jede beweiskräftige Aussage (und die durch sie übermittelte
Wahrheit) stützt sich auf ein vernünftiges Denken, aber nicht jede
Wahrheit auf jedes Denken, vielmehr die menschliche Wahrheit auf die menschliche
Vernunft, die göttliche Wahrheit auf die Gedanken Gottes. Wir haben allerdings keine Einsicht in die Wahrheit Gottes. So sagt Augustinus, Gott tue alles nach
einem gerechten, uns freilich verborgenen Plan.
45. Wissen ist nicht ein beiwesentliches Sein (accidens) im eigentlichen
Sinn, höchstens im erweiterten Sinn, der (nicht nur alle dem Wesen hinzugegebenen
Kräfte und Eigenschaften, sondern auch) alle Folgewirkungen des Wesens
einschließt. Wissen ist für die Seele ein hohes Lebensgut, und in
der Theologie ist es eine verähnlichende Ausstrahlung der Ersten Güte,
ein bereichernder Wert für die Seele.
46. Unsere Gotteserkenntnis im Zustand der Vollendung wird nicht
eine andere, sondern eine andersartige Erkenntnis von Gottes Wesen sein. Jetzt
erkennen wir es nur verhüllt, in rätselhaften Umrissen und in einem
Spiegel (d.h. mittelbar) (vgl.1 Kor 13,12). Dann aber werden wir unmittelbar,
ohne jedes (Erkenntnis-) Mittel schauen, was Gott ist. (S. 23)
47. Dann kommt (Pseudo) Dionysius wieder darauf zu sprechen, wie wir im Zustand der Pilgerschaft Gott erkennen.
Er sagt: Jetzt bedienen wir uns geeigneter Symbole, und von ihnen aus erheben
wir uns zu der in sich einfachen und gesammelten Wahrheit des Göttlichen.
Alles, was auf der Ebene unseres Erkenntnisvermögens liegt, übersteigen
wir, treffen auf den göttlichen Strahl (der Gott selbst ist) und lassen
unsere Erkenntniskräfte ruhen, da wir nicht weiter vordringen können.
In Gott selbst liegen die Grenzen jeglicher Erkenntnis, und was er ist, lässt
sich sachgemäß weder erkennen noch in Worte fassen, wegen seiner
alles überragenden Erhabenheit.
48. (Pseudo) Dionysius führt zuerst aus: Wird der Menschengeist
in seiner Spitze nach Art der Engel mit Gott (zur geistigen Schauung) geeint,
so spricht der Mensch von Gott unter Ausschluss alles anderen, das nicht
Gott ist. Das muss so sein, weil unser Geist nur dann in diese Vereinigung
mit Gott aufgenommen wird, wenn er nach dem Überstieg über alles Geschöpfliche
die eigene Denkfähigkeit abstellt und so zur Ruhe kommt, um zu erkennen,
dass Gott über allem und nichts von allem ist.
49. Ein Weiser im eigentlichen (vom aristotelischen radikal verschiedenen) Sinn
ist, wer Göttliches verkostet und die Erweise der göttlichen Weisheit,
Macht und Güte auch erfahrungsmäßig erfasst hat. Jes 11,
2: »Der Geist des Herrn lässt sich auf ihn nieder: der Geist der
Weisheit...«
50. Es kommt vor, dass ein altes Mütterchen von Glaubensdingen
mehr versteht, als einem Gelehrten aufgeht, wenn er sich weigert, sein Denken
gefangenzugeben und es dem Dienste Gottes zu unterwerfen (vgl. 2 Kor 10, 5). Bildlich ist das zum Ausdruck gebracht an der Stelle Num 22, 28 —35: Die
Eselin hält dem Propheten Bileam vor, nicht er, sondern sie habe den Boten
und den Willen Gottes erkannt. Auch nach einem Satz im 2. Petrusbrief (2, 16) hat Gott durch das stumme Lasttier den Propheten an seinem wahnsinnigen Vorhaben
gehindert. Das wiederholt sich irgendwie dann, wenn ein einfacher Mann, der
im Dienste Christi lebt, aber vom kunstvollen und geschliffenen Reden nichts
versteht, durch Wort und Lebensführung Gelehrte widerlegt, die sonst vom
Gipfel ihrer Wissenschaft aus die Höhen des Himmels und die Tiefen der
Abgründe durchforschen können.
51. Das ganze Weltall ist dem Menschen Rede von Gott, da ja »die
Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet
das Firmament« (Ps 19, 2).
52. Ohne anderen Ansichten zu nahetreten zu wollen, sage
ich: Die Lösung dieser Fragen (über das Person-Sein in Gott) erwarte
ich lieber vom Zustand der Vollendung. Im Zustand der Pilgerschaft reicht dafür
unser Wissen nicht aus.
Aus: Albertus Magnus, Ausgewählte Texte.
Lateinisch und Deutsch. Hrsg. und übers. von Albert Fries
© 1981 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 4. unveränderte
Auflage (S. 23, 25)
Texte zur Forschung Band 35
Veröffentlichung auf Pilos-Website mit freundlicher
Erlaubnis der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt