Richard Wagner (1813 – 1883)

  Deutscher Komponist und Schriftsteller, der in seiner Dresdener und Leipziger Schulzeit durch die Musik Carl Maria von Webers, Ludwig von Beethovens und Wolfgang Amadeus Mozarts und die Dichtungen Shakespeares, Schillers, Goethes und E. T . A. Hoffmanns die Jugendeindrücke empfing, die sein späteres musikalisches Werk, entscheidend beeinflussen sollten. In seiner in den Jahren 1880/81 entstandenen – von der Schopenhauer’schen Weltanschauung beeinflussten - Spätschrift »Religion und Kunst« forderte Wagner eine »Religion der Zukunft«, die sich aus Elementen des Christentums und des Buddhismus zusammenfügen solle.Wagners Grundeinstellung war antisemitisch gepragt.

Friedrich Nietzsche und Richard Wagner
, Adolf Hitler und Richard Wagner

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Inhaltsverzeichnis
Heldentum und Christentum
Wagners Auseinandersetzung mit der Philosophie Schopenhauers
Einsicht in die Nichtigkeit der Erscheinungswelt, Erlösung durch die Verneinung des Willens zum Leben,
Die Gewalt des Mitleidens

Heldentum und Christentum
Wenn wir, nach dem Innewerden der Notwendigkeit einer Regeneration derselben, den Möglichkeiten der Veredlung der menschlichen Geschlechter nachgehen, treffen wir fast nur auf Hemmnisse. Suchten wir ihren Verfall uns aus einem physischen Verderbnisse zu erklären, und hatten wir hierfür die edelsten Weisen aller Zeiten zu Stützen, welche die gegen die ursprüngliche Pflanzennahrung eingetauschte animalische Nahrung als Grund der Ausartung erkennen zu müssen glaubten, so waren wir notwendig auf die Annahmen einer veränderten Grundsubstanz unseres Leibes geraten, und hatten aus einem verderbten Blute auf die Verderbnis der Temperamente und der von ihnen ausgehenden moralischen Eigenschaften geschlossen.

Ganz abseits dieser Erklärung, und mit völliger Unbeachtung der Versuche, die Degeneration der menschlichen Geschlechter von dieser Seite ihres Bestehens her zu begründen, wie einer der geistvollsten Männer unserer Zeit diesen Verfall allerdings auch aus einem Verderbe des Blutes nach, ließ hierbei die veränderte Nahrung aber durchaus unbeachtet, und leitete ihn einzig von der Vermischung der Rassen her, durch welche die edelsten derselben mehr verloren, als die unedleren gewannen. Das ungemein durchgearbeitete Bild, welches
Graf Gobineau von diesem Hergange des Verfalles der menschlichen Geschlechter uns mit seinem Werke »Essai sur l’inégalité des races humaines« darbietet, spricht mit erschreckender Überzeugungskraft zu uns. Wir können uns der Anerkennung der Richtigkeit dessen nicht verschließen, daß das menschliche Geschlecht aus unausgleichbar ungleichen Rassen, und daß die edelste derselben die unedleren wohl beherrschen, durch Vermischung sie aber sich nicht gleich, sondern sich selbst nur unedler machen konnte. Wohl könnte dieses eine Verhältnis bereits genügen, unsren Verfall uns zu erklären; selbst, dass diese Erkenntnis trostlos sei, dürfte uns nicht gegen sie verschließen: ist es vernünftig anzunehmen, dass der gewisse Untergang unsres Erdkörpers nur eine Frage der Zeit sei, so werden wir uns wohl auch daran gewöhnen müssen, das menschliche Gefühl einmal aussterbend zu wissen. Dagegen darf es sich aber um eine außer aller Zeit und allem Raume liegende Bestimmung handeln, und die Frage, ob die Welt eine moralische Bedeutung habe, wollen wir hier damit zu beantworten versuchen, dass wir uns selbst zunächst befragen, ob wir viehisch oder göttlich zugrunde gehen wollen.

Hierbei wird es wohl zunächst darauf ankommen, die besonderen Eigenschaften jener edelsten Rasse, durch deren Schwächung sie sich unter die unedlen Rassen verlor, in genauere Betrachtung zu ziehen. Mit je größerer Deutlichkeit die neuere Wissenschaft die natürliche Herkunft der niedersten Menschenrassen von den ihnen zunächst verwandten tierischen Gattungen zur billigenden Anschauung gebracht hat, um desto schwieriger bleibt es uns, die Ableitung der sogenannten weißen Rasse aus jener schwarzen und gelben zu erklären: selbst die Erklärung der weißen Farbe erhält unsre Physiologen noch in Unübereinstimmung. Während gelbe Stämme sich selbst als von Affen entstammt ansahen, hielten die Weißen sich für von Göttern entsprossen und zur Herrschaft einzig berufen. Dass wir gar keine Geschichte der Menschheit haben würden. wenn es nicht Bewegungen, Erfolge und Schöpfungen der weißen Rasse gegeben hätte, ist uns durchaus klargemacht worden, und können wir füglich die Weltgeschichte als das Ergebnis der Vermischung dieser weißen Rasse mit den Geschlechtern der gelben und schwarzen ansehen, wobei diese niederen gerade nur dadurch und soweit in die Geschichte treten, als sie durch jene Vermischung sich verändern und der weißen Rasse sich anähneln. Der Verderb der weißen Rasse leitet sich nun aus dem Grunde her, daß sie, unvergleichlich weniger zahlreich an Individuen als die niedrigeren Rassen, zur Vermischung mit diesen genötigt war, wobei sie, wie bereits bemerkt, durch den Verlust ihrer Reinheit mehr einbüßte, als jene für die Veredlung ihres Blutes gewinnen konnten.

Ohne nun hier selbst auf eine nur ferne Berührung der unendlich mannigfachen Ergebnisse der immer mehr vermittelten Mischungen stets neuer Abarten der alten Urrassen uns einzulassen, haben wir für unsren Zweck nur bei der reinsten und edelsten derselben zu verweilen, um ihres übermächtigen Unterschiedes von den geringeren innezuwerden.


Ist beim Überblick aller Rassen die Einheit der menschlichen Gattung unmöglich zu verkennen, und dürfen wir, was diese ausmacht, im edelsten Sinne als Fähigkeit zu bewusstem Leiden bezeichnen, in dieser Fähigkeit aber die Anlage zur höchsten moralischen Entwicklung erfassen, so fragen wir nun, worin der Vorzug der weißen Rasse gesucht werden kann, wenn wir sie durchaus hoch über die anderen stellen müssen. Mit schöner Sicherheit erkennt ihn Gobineau nicht in einer ausnahmsweisen Entwicklung ihrer moralischen Eigenschaften selbst, sondern in einem größeren Vorrate der Grundeigentümlichkeiten. welchen jene entfließen. Diese hätten wir in der heftigeren, und dabei zarteren, Empfindlichkeit des Willens, welcher sich in einer reichen Organisation kundgibt, verbunden mit dem hierfür nötigen schärferen Intellekte, zu suchen; wobei es dann darauf ankommt, ob der Intellekt durch die Antriebe des bedürfnisvollen Willens sich bis zu der Hellsichtigkeit steigert, der sein eigenes Licht auf den Willen zurückwirft und, in diesem Falle, durch Bändigung desselben zum moralischen Antriebe wird; dahingegen Überwältigung des Intellektes durch den blind begehrenden Willen für uns die niedrigere Natur bezeichnet, weil wir hier die aufreizenden Bedürfnisse noch nicht als vom Lichte des Intellektes beleuchtete Motive, sondern als gemein sinnliche Antriebe uns erklären müssen. Das Leiden, so heftig in diesen niedrigeren Naturen es sich auch kundgeben mag, wird dennoch im überwältigten Intellekte zu einem verhältnismäßig nur schwachen Bewusstsein gelangen können, wogegen gerade ein starkes Bewusstsein von ihm den Intellekt der höheren Natur bis zum Wissen der Bedeutung der Welt steigern kann. Wir nennen die Naturen, in welchen dieser erhabene Prozess durch eine ihm entsprechende Tat als Kundgebung an uns sich vollzieht, Heldennaturen. —

Als erkennbarsten Typus des Heldentums bildete die hellenische Sage ihren Herakles aus. Arbeiten, welche ihm in der Absicht, ihn dabei umkommen zu lassen, aufgegeben sind, verrichtet er in stolzem Gehorsam und befreit dadurch die Welt von den grausamsten Plagen. Selten, und wohl fast nie, treffen wir den Helden anders als in einer vom Schicksale ihm bereiteten leidenden Stellung an: Herakles wird von Hera aus Eifersucht auf seinen göttlichen Erzeuger verfolgt und in dienender Abhängigkeit erhalten. Nicht ohne Berechtigung dürften wir in diesem Hauptzuge eine Beziehung auf die Schule der beschwerdevollen Arbeiten erkennen, in welcher die edelsten arischen Stämme und Geschlechter zur Größe von Halbgöttern erwuchsen: die keineswegs mildesten Himmelsstriche, aus denen sie vollkommen gereift endlich in die Geschichte treten, können uns über die Schicksale ihrer Herkunft füglich Aufklärung geben. Hier stellt sich denn auch, als Frucht durch heldenmütige Arbeit bekämpfter Leiden und Entbehrungen, jenes stolze Selbstbewusstsein ein, durch welches diese Stämme im ganzen Verlaufe der Weltgeschichte von anderen Menschenrassen ein für alle Male sich unterscheiden.

Gleich Herakles und Siegfried wussten sie sich von göttlicher Abkunft: undenkbar war ihnen das Lügen, und ein freier Mann hieß der wahrhaftige Mann. Nirgends treten diese Stammeseigentümlichkeiten der arischen Rasse mit deutlicherer Erkennbarkeit in der Geschichte auf, als bei der Berührung der letzten rein erhaltenen germanischen Geschlechter mit der verfallenden römischen Welt. Hier wiederholt sich geschichtlich der Grundzug ihrer Stammhelden: sie dienen mit blutiger Arbeit den Römern, und — verachten sie als unendlich geringer denn sie, etwa wie Herakles den Eurystheus verachtet. Dass sie, gleichsam weil es die Gelegenheit so herbeiführte, zu Beherrschern des großen lateinischen Semitenreiches wurden, dürfte ihren Untergang bereitet haben. Die Tugend des Stolzes ist zart und leidet keinen Kompromiß, wie durch Vermischung des Blutes: ohne diese Tugend sagt uns aber die germanische Rasse — nichts. Denn dieser Stolz ist die Seele des Wahrhaftigen, des selbst im dienenden Verhältnisse Freien. Dieser kennt zwar keine Furcht, aber Ehrfurcht, — eine Tugend, deren Name selbst, seinem rechten Sinne nach, nur der Sprache jener ältesten arischen Völker bekannt ist; während die Ehre selbst den Inbegriff alles persönlichen Wertes ausdrückt, daher sich nicht geben noch auch empfangen lässt, wie wir dies heutzutage in Übung gebracht haben, sondern als Zeugnis göttlicher Herkunft den Helden selbst in schmachvollsten Leiden von jeder Schmach unberührt erhält. So ergibt sich aus Stolz und Ehre die Sitte, unter deren Gesetze nicht der Besitz den Mann, sondern der Mann den Besitz adelt; was wiederum darin sich ausdrückt, dass ein übermäßiger Besitz für schmachvoll galt und deshalb von dem schnell verteilt wurde, dem er etwa zugefallen war.


Beim Überblicke solcher Eigenschaften und aus ihnen geflossener Ergebnisse, wie diese sich namentlich in einer unverbrüchlichen edlen Sitte kundgeben, sind wir, sobald wir nun wieder dieser Sitte verfallen, und jene Eigenschaften sich verlieren sehen, jedenfalls berechtigt, den Grund hiervon in einem Verderbe des Blutes jener Geschlechter aufzusuchen, da wir den Verfall unverkennbar mit der Vermischung der Rassen eintreten sehen. Diese Tatsache hat der ebenso energische als geistvolle Verfasser des oben angeführten Werkes über die Ungleichheit der menschlichen Rassen so vollständig ermittelt und dargestellt, daß wir unsre Freunde nur darauf verweisen können, um annehmen zu dürfen, daß, was wir jetzt noch an jene Darstellung knüpfen wollen, als nicht oberflächlich begründet angesehen werde. Für unsre Absicht ist es nämlich nun wichtig, den Helden wiederum da aufzusuchen, wo er gegen die Verderbnis seines Stammes, seiner Sitte, seiner Ehre, mit Entsetzen sich aufrafft, um, durch eine wunderbare Umkehr seines mißleiteten Willens, sich im
Heiligen als göttlichen Helden wiederzufinden.

Es war ein wichtiger Zug der christlichen Kirche, daß nur vollkommen gesunde und kräftige Individuen zu dem Gelübde gänzlicher Weltentsagung zugelassen wurden, jede leibliche Schwäche oder gar Verstümmelung aber dazu untüchtig machte. Offenbar durfte dieses Gelübde nur als aus dem allerheldenmütigsten Entschlusse hervorgegangen angesehen werden können, und wer dagegen hierin »feige Selbstaufgebungen« — wie dies kürzlich einmal zu vernehmen war, — erblickt, der möge sich seiner Selbstbeibehaltung tapfer erfreuen, ohne jedoch weiter mit Dingen sich zu befassen, die ihn nicht angehen. Dürfen wir auch verschiedene Veranlassungen als Beweggründe zu jener vollständigen Abwendung des Willens vom Leben annehmen, so charakterisiert sich diese doch immer als höchste Energie des Willens selbst; war es der Anblick, das Abbild, oder die Vorstellung des am Kreuze leidenden Heilands, stets fiel hierbei die Wirkung eines allen Eigenwillen bezwingenden Mitleides mit der des tiefsten Entsetzens über die Eigenschaft dieses die Welt gestaltenden Willens in der Weise zusammen, dass dieser in höchster Kraftäußerung sich gegen sich selbst wandte. Wir sehen von dann ab den Heiligen in der Ertragung von Leiden und Selbstaufopferung für andere den Helden noch überbieten; fast unerschütterlicher als der Stolz des Heiden ist die Demut des Heiligen, und seine Wahrhaftigkeit wird zur Märtyrerfreude.

Von welchem Werte dürfte nun das »Blut«, die Qualität der Rasse, für die Befähigung zur Ausübung solches heiligen Heldentumes sein! Offenbar ist die letzte christliche Heilsverkündigung, aus dem Schoße der ungemein mannigfaltigen Rassenvermischungen hervorgegangen, welche, von der Entstehung der chaldäisch-assyrischen Reiche an, durch Vermischung weißer Stämme mit der schwarzen Rasse den Grundcharakter der Völker des späteren romanischen Reiches bestimmte. Der Verfasser der uns vorliegenden großen Arbeit nennt diesen Charakter, nach einem der Hauptstämme der von Nordosten her in die assyrischen Ebenen eingewanderten Völker, den semitischen, weist seinen umbildenden Einfluss auf Hellenismus und Romanismus mit größter Sicherheit nach, und findet ihn, seinen wesentlichen Zügen nach, in der so sich nennenden »lateinischen« Rasse, durch alle ihr widerfahrenen neuen Vermischungen hindurch, forterhalten. Das Eigentum dieser Rasse ist die römisch-katholische Kirche; ihre Schutzpatrone sind die Heiligen, welche diese Kirche kanonisierte, und deren Wert in unseren Augen dadurch nicht vermindert werden soll, dass wir sie endlich nur noch im unchristlichen Prunke ausgestellt dem Volke zur Verehrung vorgeführt sehen.

Es ist uns unmöglich geworden, dem, durch die Jahrhunderte sich erstreckenden, ungeheuren Verderbe der semitisch-lateinischen Kirche noch wahrhafte Heilige, d. h. Heldenmärtyrer der Wahrhaftigkeit, entwachsen zu sehen; und wenn wir von der Lügenhaftigkeit unsrer ganzen Zivilisation auf ein verderbtes Blut der Träger derselben schließen mußten, so dürfte die Annahme uns nahe liegen, dass eben auch das Blut des Christentums verderbt sei. Und welches Blut wäre dieses! Kein anderes als das Blut des Erlösers selbst, wie es einst in die Adern seiner Helden sich heiligend ergossen hatte.

Das Blut des Heilandes, von seinem Haupte, aus seinen Wunden am Kreuze fließend, — wer wollte frevelnd fragen, ob es der weißen, oder welcher Rasse sonst angehörte?

Wenn wir es göttlich nennen, so dürfte seiner Quelle ahnungsvoll einzig in dem, was wir als die Einheit der menschlichen Gattung ausmachend bezeichneten, zu nahen sein, nämlich in der Fähigkeit zu bewu
sstem Leiden. Diese Fähigkeit müssen wir als die letzte Stufe betrachten, welche die Natur in der aufsteigenden Reihe ihrer Bildungen erreichte; von hier an bringt sie keine neuen, höheren Gattungen mehr hervor, denn in dieser, des bewußten Leidens fähigen Gattung erreicht sie selbst ihre einzige Freiheit durch Aufhebung des rastlos sich selbst widerstreitenden Willens. Der unerforschliche Urgrund dieses Willens, wie er in Zeit und Raum unmöglich aufzuweisen ist, wird uns nur in jener Aufhebung kund, wo er als Wollen der Erlösung göttlich erscheint. Fanden wir nun dem Blute der sogenannten weißen Rasse die Fähigkeit des bewussten Leidens in besonderem Grade zu eigen, so müssen wir jetzt im Blute des Heilandes den Inbegriff des bewußt wollenden Leidens selbst erkennen, das als göttliches Mitleiden durch die ganze menschliche Gattung, als Urquell derselben, sich ergießt.

Was wir hier einzig mit der Möglichkeit eines schwer verständlichen und leicht missverständlichen Ausdruckes berühren, dürfte sich unter der Beleuchtung durch die Geschichte in einem vertraulicheren Lichte gewahren lassen. Wieweit durch jene gesteigerte Hauptfähigkeit, die wir als die Einheit der menschlichen Gattung konstatierend annahmen, die bevorzugteste weiße Rasse sich in der wichtigsten Angelegenheit der Welt erhob, sehen wir an ihren Religionen. Wohl mu
ss uns die brahmanische Religion als staunenswürdigstes Zeugnis für die Weitsichtigkeit, wie die fehlerlose Korrektheit des Geistes jener zuerst uns begegnenden arischen Geschlechter gelten, welche auf dem Grunde einer allerwesenhaftesten Welterkenntnis ein religiöses Gebäude aufführten, das wir, nach so vielen tausend Jahren unerschüttert, von vielen Millionen Menschen heute noch als jede Gewohnheit des Lebens, Denkens, Leidens und Sterbens durchdringendes und bestimmendes Dogma erhalten sehen. Sie hatte den einzigen Fehler, dass sie eine Rassenreligion war: die tiefsten Erklärungen der Welt, die erhabensten Vorschriften für Läuterung und Erlösung aus ihr, werden heute noch von einer ungeheuer gemischten Bevölkerung gelehrt, geglaubt und befolgt, in welcher nicht ein Zug wahrer Sittlichkeit anzutreffen ist. Ohne bei diesem Anblicke zu verweilen, noch auch selbst den Gründen dieser Erscheinung näher nachzuforschen, gedenken wir nur dessen. dass es eine erobernde und unterjochende Rasse war, welche, den allerdings ungeheuren Abstand der niederen Rasse von sich ermessend, mit einer Religion zugleich eine Zivilisation gründete, durch deren beiderseitige Durchdringung und gegenseitige Unterstützung eine Herrschaft zu begründen war, welche durch richtige Abschätzung und Geltendmachung vorgefundener natürlicher Gegebenheiten auf festeste Dauer berechnet war. Eine Meisterschöpfung sondergleichen: Herrscher und grauenvoll Bedrückte in ein Band metaphysischer Übereinstimmung solchermaßen verschlingend, dass eine Auflehnung der Bedrückten undenklich gemacht ist; wie denn auch die weitherzige Bewegung des Buddha zugunsten der menschlichen Gattung an dem Widerstande der starren Rassenkraft der weißen Herrscher sich brechen mußte, um als bieder abergläubige Heilsordnung von der gelben Rasse zu neuer Erstarrung aufgenommen zu werden.

Aus welchem Blute sollte nun der Genius der Menschheit, der immer bewusstvoller leidende, den Heiland erstehen lassen. da das Blut der weißen Rasse offenbar verblasste und erstarrte? — Für die Entstehung des natürlichen Menschen stellt unser Schopenhauer gelegentlich eine Hypothese von fast überzeugender Eindringlichkeit auf, indem er auf das physische Gesetz des Anwachsens der Kraft durch Kompression zurückgeht, aus welchem nach abnormen Sterblichkeitsphasen ungewöhnlich häufig erfolgende Zwillingsgeburten erklärt werden, gleichsam als Hervorbringung der gegen den, das ganze Geschlecht bedrohenden Vernichtungsdruck, sich doppelt anstrengenden Lebenskraft; was nun unsren Philosophen auf die Annahme hinleitet, daß die animalische Produktionskraft, infolge eines bestimmten Geschlechtern noch eigenen Mangels ihrer Organisation, durch ihr antagonistische Kräfte bis zur Vernichtung bedroht, in einem Paare zu so abnormer Anstrengung gesteigert worden sei, dass dem mütterlichen Schoße dieses Mal nicht nur ein höher organisiertes Individuum, sondern in diesem eine neue Spezies entsprossen wäre. Das Blut in den Adern des Erlösers dürfte so der äußersten Anstrengung des Erlösung wollenden Willens zur Rettung des in seinen edelsten Rassen erliegenden menschlichen Geschlechtes, als göttliches Sublimat der Gattung selbst entflossen sein.

Wollen wir uns hiermit als an der äußersten Grenze einer zwischen Physik und Metaphysik schwankenden Spekulation angekommen betrachten und wohl vor dem Weiterbeschreiten dieses Weges hüten, der, namentlich unter Anleitung des alten Testamentes, manchen unsrer tüchtigen Köpfe zu den törigsten Ausbildungen verleitet hat, so können wir jedoch der soeben berührten Hypothese in betreff seines Blutes noch eine zweite, allerwichtigste Eigentümlichkeit des Werkes des Erlösers entnehmen, nämlich diesen der Einfachheit seiner Lehre, welche fast nur im Beispiele bestand. Das in jener wundervollen Geburt sich sublimierende Blut der ganzen leidenden menschlichen Gattung konnte nicht für das Interesse einer noch so bevorzugten Rasse fließen; vielmehr spendet es sich dem ganzen menschlichen Geschlechte zur edelsten Reinigung von allen Flecken seines Blutes. Hieraus fließt dann die erhabene Einfachheit der reinen christlichen Religion, wogegen z. B. die brahmanische, weil sie die Anwendung der Erkenntnis der Welt auf die Befestigung der Herrschaft einer bevorzugten Rasse war, sich durch Künstlichkeit bis in das Übermaß des ganz Absurden verlor. Während wir somit das Blut edelster Rassen durch Vermischung sich verderben sehen, dürfte den niedrigsten Rassen der Genuß des Blutes Jesu, wie er in dem einzigen echten Sakramente der christlichen Religion symbolisch vor sich geht, zu göttlichster Reinigung gedeihen. Dieses Antidot [»Gegengift«] wäre demnach dem Verfalle der Rassen durch ihre Vermischung entgegengestellt, und vielleicht brachte dieser Erdball atmendes Leben nur hervor, um jener Heilsordnung zu dienen.
S.413ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 145, Richard Wagner, Die Hauptschriften. Herausgegeben und eingeleitet von Ernst Bücken
©1956 by Alfred Kröner Verlag in Stuttgart. Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart

Wagners Auseinandersetzung mit der Philosophie Schopenhauers
Einsicht in die Nichtigkeit der Erscheinungswelt
Richard Wagner an Mathilde Wesendonck. Tagebuchblätter und Briefe 1853-1871. 4. Auflage, Berlin 1904, S.44-55
Wie jedem leidenschaftlich durch das Leben Erregten es ergehen wird, suchte auch ich zunächst nach der Konklusion des Schopenhauerschen Systems; befriedigte mich die ästhetische Seite desselben vollkommen, und überraschte mich hier namentlich die bedeutende Auffassung der Musik, so erschreckte mich doch, wie jeder in meiner Stimmung Befindliche es erfahren wird, der der Moral zugewandte Abschluß des Ganzen, weil hier die Ertötung des Willens, die vollständigste Entsagung, als einzige wahre und letzte Erlösung aus den Banden der, nun erst deutlich empfundenen, individuellen Beschränktheit in der Auffassung und Begegnung der Welt gezeigt wird. Für denjenigen, welcher sich aus der Philosophie eine höchste Berechtigung für politische und soziale Agitationen, zugunsten des sogenannten »freien Individuums«, gewinnen wollte, war allerdings hier gar nichts zu holen, und die vollständigste Ablenkung von diesem Wege zur Stillung des Triebes der Persönlichkeit war einzig gefordert. Dies wollte denn auch mir für das erste durchaus nicht munden, und so schnell glaubte ich der sogenannten »heiteren« griechischen Weltanschauung, aus welcher ich auf mein »Kunstwerk der Zukunft« geblickt hatte, mich nicht entschlagen zu dürfen. Wirklich war es HERWEGH, welcher mit einem gewichtigen Worte mich zunächst zur Besonnenheit gegen meine Empfindlichkeit veranlaßte. Durch diese Einsicht in die Nichtigkeit der Erscheinungswelt — so meinte er — sei ja eben alle Tragik bestimmt, und intuitiv müsse sie jedem großen Dichter, ja jedem großen Menschen überhaupt. innegewohnt haben. Ich blickte auf mein Nibelungen-Gedicht. und erkannte zu meinem Erstaunen, daß das, was mich jetzt in der Theorie so befangen machte, in meiner eigenen poetischen Konzeption mir längst vertraut geworden war. So verstand ich erst selbst meinen »Wotan«, und ging nun erschüttert von neuem an das genauere Studium des Schopenhauerschen Buches. Jetzt erkannte ich, daß es vor allem darauf ankam, den ersten Teil desselben, die Erklärung und erweiterte Darstellung der Kantschen Lehre von der Idealität der bisher in Zeit und Raum so real gegründet erschienenen Welt zu verstehen, und meinen ersten Schritt auf dem Wege dieses Verständnisses glaubte ich nun durch die Erkenntnis der ungemeinen Schwierigkeit desselben getan zu haben. Von Jetzt an verließ mich das Buch viele Jahre hindurch nie gänzlich, und bereits im Sommer des darauf folgenden Jahres hatte ich es zum vierten Male durchstudiert. Die hierdurch allmählich auf mich sich einstellende Wirkung war außerordentlich, und jedenfalls für mein ganzes Leben entscheidend. Ich gewann dadurch für mein Urteil über alles, was ich bisher rein nach dem Gefühle mir angeeignet hatte, ungefähr dasselbe, was ich einst, aus der Lehre meines alten Meisters Weinlig entlassen, durch das eingehendste Studium des Kontrapunktes für die Musik mir gewonnen hatte. Wenn ich späterhin in zufällig angeregten schriftstellerischen Arbeiten mich wieder über das mich besonders angehende Thema meiner Kunst vernehmen ließ, so war diesen zuversichtlich anzumerken, was ich hiermit als den Gewinst aus meinem Studium der Schopenhauerschen Philosophie bezeichne.

Erlösung durch die Verneinung des Willens zum Leben
Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt. 2. Bd. 5. 45/46.
Sein Hauptgedanke, die endliche Verneinung des Willens zum Leben, ist von furchtbarem Ernst, aber einzig erlösend. Mir kam er natürlich nicht neu, und niemand kann ihn überhaupt denken, in dem er nicht bereits lebte. Aber zu dieser Klarheit erweckt hat ihn mir erst dieser Philosoph. Wenn ich auf die Stürme meines Herzens, den furchtbaren Krampf, In dem es sich — wider willen — an die Lebenshoffnung anklammerte, zurückdenke, ja, wenn sie noch jetzt oft zum Orkan anschwellen, — so habe ich dagegen doch nun ein Quietiv [»Beruhigungsmittel«] gefunden, das mir endlich in den wachen Nächten einzig zu Schlaf verhilft, es ist die herzliche und innige Sehnsucht nach dem Tod: volle Bewußtlosigkeit gänzliches Nichtsein, Verschwinden aller Träume — einzigste endliche Erlösung!

Die Gewalt des Mitleidens
Richard Wagner an Mathilde Wesendonck. Tagebuchblätter und Briefe 1853-1871. 4. Auflage, Berlin 1904, S.51-53
Um sich gegen die Gewalt des Mitleidens abzustumpfen bringt man gemeinhin vor, daß niedere Naturen ja erwiesenermaßen das Leiden selbst bei weitem schwächer, als eben bei der höheren Organisation es der Fall ist, empfinden; ganz mit dem Grade der erhöhten Sensibilität, die ja erst zum Mitleiden befähigt, nehme noch erst das Leiden an Realität zu: unser an niedere Naturen verwendetes Mitleiden sei daher Verschwendung, Übertreibung, ja Verzärtelung der Empfindung. —

Diese Meinung beruht eher auf dem Grundirrtume, aus dem alle realistische Weltanschauung hervorgeht, und hier gerade zeigt sich der Idealismus in seiner wahrhaft moralischen Bedeutung, indem er uns jene als egoistische Borniertheit aufdeckt. Es handelt sich hier nicht darum, was der andere leidet, sondern was ich leide, wenn ich ihn leidend weiß. Wir kennen ja alles außer uns Existierende nur insoweit, als wir es uns vorstellen, und wie ich es mir vorstelle, so ist es für mich. Veredle ich es, so ist es, weil ich edel bin, fühle ich sein Leiden als ein tiefes, so ist es, weil ich tief fühle, indem ich sein Leiden mir vorstelle, und wer dagegen es sich gering vorstellen mag, zeigt dadurch eben nur, daß er selbst gering ist. Somit macht mein Mitleiden das Leiden des andren zu einer Wahrheit, und je geringer das Wesen ist, mit dem ich leiden kann, desto ausgedehnter und umfassender ist der Kreis, der überhaupt meiner Empfindung nahe liegt. — Hierin liegt aber auch der Zug meines Wesens, der andren als Schwäche erscheinen kann. Ich gebe zu, daß einseitiges Handeln dadurch sehr aufgehalten wird; aber ich bin mir gewiß, daß, wenn ich handle, ich dann meinem Wesen angemessen handle, und jedenfalls nie absichtlich jemand Leid zufüge. Für alle meine Handlungen kann mich aber einzig nur noch diese Rücksicht bestimmen: Andren so wenig wie möglich Leiden zu verursachen. Hierin finde ich mich ganz mit mir einig, und nur so kann ich hoffen, andren auch Freude zu machen:

denn es gibt keine wahre, echte Freude, als die Übereinstimmung im Mitleiden. Diese kann ich aber nicht erzwingen: das muß mir aus der befreundeten eigenen Natur von selbst gewährt werden, und deshalb — konnte ich dieser Erscheinung nur einmal ganz und voll begegnen! —

Ich bin mir aber auch darüber klar geworden, warum ich mit niederen Naturen sogar mehr Mitleiden haben kann, als mit höheren. Die höhere Natur ist, was sie ist, eben dadurch, daß sie durch das eigene Leiden zur Höhe der Resignation erhoben wird, oder zu dieser Erhebung die Anlagen in sich hat, und sie pflegt. Sie steht mir unmittelbar nah, ist mir gleich, und mit ihr gelange ich zur Mitfreude. Deshalb habe ich, im Grunde genommen, mit Menschen weniger Mitleiden, als mit Tieren. Diesen sehe ich die Anlage zur Erhebung über das Leiden, zur Resignation und ihrer tiefen, göttlichen Beruhigung, gänzlich versagt. Kommen sie daher, wie dies durch Gequältwerden geschieht, in den Fall des Leidens, so sehe ich mit eigener, qualvoller Verzweiflung eben nur das absolute, erlösungslose Leiden, ohne jeden höheren Zweck, mit der einzigen Befreiung durch den Tod, somit durch die Bekräftigung dessen, es sei besser gewesen, wenn es gar nicht erst zum Dasein gelangt wäre. Wenn daher dieses Leiden einen Zweck haben kann, so ist dies einzig durch Erweckung des Mitleidens im Menschen, der dadurch das verfehlte Dasein des Tieres in sich aufnimmt, und zum Erlöser der Welt wird, indem er überhaupt den Irrtum alles Daseins erkennt. (Diese Bedeutung wird Dir einmal aus dem dritten Akte des Parzival, am Karfreitagsmorgen, klar werden.) Diese Anlage zur Welterlösung durch das Mitleiden im Menschen, aber unentwickelt, und recht geflissentlich unausgebildet verkommen zu sehen, macht mir nun eben den Menschen so widerwärtig, und schwächt mein Mitleiden mit ihm bis zur gänzlichen Empfindungslosigkeit gegen seine Not. Er hat in seiner Not den Weg zur Erlösung, der eben dem Tiere verschlossen ist; erkennt er diesen nicht, sondern will er sich ihn durchaus versperrt halten, so drängt es mich dagegen, ihm diese Türe gerade recht weit aufzuschlagen, und ich kann bis zur Grausamkeit gehen, ihm die Not des Leidens zum Bewußtsein zu bringen. Nichts läßt mich kälter, als die Klage des Philisters über sein gestörtes Behagen: hier wäre jedes Mitleid Mitschuld. Wie es meine ganze Natur mit sich bringt, aus dem gemeinen Zustande aufzuregen, so drängt es mich auch hier nur zu stacheln, um das große Leid des Lebens zu fühlen zu geben! S.195ff.

Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 145, Richard Wagner, Die Hauptschriften. Herausgegeben und eingeleitet von Ernst Bücken
©1956 by Alfred Kröner Verlag in Stuttgart. Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart