E. (Ernst) T. (Theodor) A. (Amadeus) Hoffmann (1776 – 1822)
Deutscher
Dichter, Komponist und Zeichner, der – neben seinen künstlerischem
Schaffen – in seinem erlernten Beruf (Jurist)
u. a. auch ab 1816 als Richter am Kammergericht tätig war. Hoffmann
schuf so phantastisch-märchenhafte romantische Poesie wie in »Der goldene Topf« (1814), scheute aber auch nicht davor zurück, eine düstere, makabere und
gespenstische Gegenwelt des Grauens zu schildern wie in »Elixiere
des Teufels« (1815-1816) und
den »Nachtstücken«
(1817). Tiefenpsychologisch sind seine Dichtungen, in denen
er raffiniert realistische Elemente mit romantischen zu verbinden weiß,
seiner Zeit weit voraus. Als Komponist gehört er mit seiner Instrumentalmusik
und der Oper »Undine« zu den Vorläufern der musikalischen Romantik. Mit seinen Dichtungen hat er durchaus auch die Musikentwicklung beeinflusst (u. a. die Oper »Hoffmans
Erzählungen« von Jacques Offenbach).
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Inhaltsverzeichnis
Träume
sind Schäume Der Fokus |
Der Geisterbanner (aus dem Elementargeist) |
Träume
sind Schäume
Welcher Traum ist nicht merkwürdig,
aber nur die, welche irgend eine auffallende Erscheinung verkündigen — mit Schillers Worten: die Geister, die den großen
Geschicken voranschreiten — die uns gleichsam mit Gewalt in das dunkle,
geheimnisvolle Reich stoßen, dem sich unser befangener Blick nur mit Mühe
erschließt, nur die ergreifen uns mit einer Macht,
deren Einwirkung wir nicht ableugnen können...
Sieh die tausend kleinen Bläschen, die perlend im Glase aufsteigen und
oben im Schaume sprudeln, das sind die Geister, die sich ungeduldig von der
irdischen Fessel loslösen; und so lebt und webt im Schaum das höhere
geistige Prinzip, das frei von dem Drange des Materiellen frisch die Fittiche
regend, in dem fernen uns allen verheißenen himmlischen Reiche zu dem
verwandten höheren Geistigen freudig gesellt und alle wundervollen Erscheinungen
in ihrer tiefsten Bedeutung wie das Bekannteste aufnimmt und erkennt. Es mag
daher auch der Traum von dem Schaum, in welchem unsere Lebensgeister. wenn der Schlaf unser extensives Leben
befängt, froh und frei aufsprudeln, erzeugt werden und ein höheres
intensives Leben beginnen, in dem wir alle Erscheinungen der uns fernen Geisterwelt
nicht nur ahnen, sondern wirklich erkennen, ja in dem wir über Raum und
Zeit schweben.
Es gibt eine höhere Art des Träumens, und nur diese
hat der Mensch in dem gewissen beseelenden und beseligenden
Schlafe, der ihm vergönnt, die Strahlen des Weltgeistes, dem er sich näher
geschwungen, in sich zu ziehen, die ihn mit göttlicher
Kraft nähren und stärken.
Der Fokus
Ist es denn nicht lächerlich zu glauben, die Natur habe uns den wunderbaren
Talisman, der uns zum König der Geister macht, anvertraut, um Zahnweh oder
Kopfschmerz oder was weiß ich sonst zu heilen? — Nein, es ist die
unbedingte Herrschaft über das geistige Prinzip des Lebens, die wir, immer
vertrauter werdend mit der gewaltigen Kraft jenes Talismans, erzwingen. Sich
unter seinem Zauber schmiegend, muss das unterjochte fremde Geistige nur unter
Uns existieren, mit seiner Kraft nur Uns nähren und stärken! — Der Fokus,
in dem alles Geistige sich sammelt, ist Gott! —
Je mehr Strahlen sich zur Feuerpyramide sammeln — desto näher ist
der Fokus! — Wie breiten sich diese Strahlen
aus — sie umfassen das organische Leben der ganzen Natur, und es
ist der Schimmer des Geistigen,
der uns in Pflanze und Tier unsere durch dieselbe Kraft belebten Genossen erkennen
lässt. — Das Streben nach jener Herrschaft ist das Streben
nach dem Göttlichen, und das Gefühl
seiner Macht steigert in dem Verhältnis seiner Stärke den Grad
der Seligkeit. Der Inbegriff aller Seligkeit ist im Fokus!
Der
Geisterbanner
(Aus: Dem Elementargeist)
Der Major O'Malley war wohl einer der allerwunderlichsten Menschen, die es geben
kann, und rechne ich vielleicht ein paar etwas exzentrische Engländer ab,
die mir vorgekommen, so wüsste ich keinen Offizier in der ganzen großen
Armee, der in der äußeren Erscheinung mit O'Malley zu vergleichen.
Ist es wahr, was viele Reisende behaupten, dass die Natur sich eben nirgends
solch ganz besonderer Prägstöcke bedient als in Irland, weshalb denn
jede Familie die artigsten Kabinettstückchen aufzuweisen hat, so konnte
der Major O'Malley billigerweise für einen Prototypus einer ganzen Nation
gelten. Denke dir einen baumstarken Mann von sechs Fuß Höhe, dessen
Bau man gerade nicht ungeschickt nennen kann, aber kein Glied passt zum andern,
und die ganze Figur scheint zusammengewürfelt wie in jenem Spiel, in dem
Figuren aus einzelnen Teilen, deren Nummer die Würfel bestimmen, zusammengefügt
werden. Die Adlernase, die fein geschlitzten Lippen würden das Antlitz
zum Edlen erheben; aber sind die hervorstehenden Glasaugen beinahe widrig, so
tragen die hohen, buschigen schwarzen Augenbrauen den Charakter der komischen
Maske.
Sehr seltsam hatte des Majors Antlitz etwas Weinerliches, wenn er lachte, wiewohl
das selten geschah; dagegen war es, als ob er lache, wenn ihn die Wut des wildesten
Zorns übermannte: Aber dieses Lachen hatte etwas Grauenhaftes, dass die
ältesten, im Gemüt handfestesten Burschen sich davor entsetzten. Ebenso
selten als O'Malley lachte, ebenso selten ließ er sich aber auch hinreißen
vom Zorn. Ganz unmöglich schien es, dass dem Major jemals hätte eine
Uniform passen sollen. Die Kunst des geschicktesten Regimentsschneiders scheiterte
an des Majors unförmlicher Gestalt; der nach dem genauesten Maß zugeschnittene
Rock schlug schnöde Falten, hing ihm am Leibe, als sei er aufgehängt
zum Ausbürsten, während der Degen an den Beinen schlotterte und der
Hut in so seltsamer Richtung auf dem Kopfe saß, dass man schon auf hundert
Schritte den militärischen Schismatiker erkannte. Was aber bei der pedantischen
Formkrämerei jener Zeit ganz unerhört scheinen musste: O'Malley trug
- keinen Zopf. Freilich möchte auch dieser an den wenigen grauen Löckchen,
die sich am Hinterhaupte kräuselten, schwer gehaftet haben, da sonst der
Kopf völlig haarlos war. Ritt der Major, so glaubte man, er müsse
jeden Augenblick vom Pferde fallen, focht er, jeden Augenblick vom Gegner getroffen
werden; und doch war er der beste Reiter, Fechter, überhaupt der geübteste,
gewandteste Gymnastiker, den es nur geben konnte.
So viel, um dir das Bild eines Mannes zu geben, dessen ganzes Streben geheimnisvoll
zu nennen, da er bald bedeutende Summen wegwarf, bald hilfsbedürftig erschien
und, jeder Kontrolle seiner Oberen, jedem Dienstzwang entzogen, durchaus tat,
was er wollte. Eben das, was er wollte, war aber meistenteils so exzentrisch
oder vielmehr so spleenisch toll, dass man um seinen Verstand besorgt werden
konnte. –
Man sprach davon, dass der Major zu einer gewissen Zeit, in welcher Potsdam
mit seinen Umgebungen der Schauplatz seltsamer, in die Geschichte des Tages
eingreifender Mystifikationen war, eine wichtige Rolle gespielt habe und noch
in Verbindungen stehe, die das Unbegreifliche seiner Stellung erzeugten. –
Ein sehr verrufenes Buch, das damals (irr ich nicht, unter
dem Titel Exkorporationen) erschien und in welchem man das Bild eines
Mannes fand, das dem Major ähnlich, nährte jenen Glauben; und auch
ich, von dem mystischen Inhalt jenes Buches angeregt, fühlte mich desto
mehr geneigt, O'Malley für eine Art Armenier
[aus Schillers »Geisterseher«]
zu halten, je länger und näher ich sein wunderliches, wohl könnt
ich sagen, spukhaftes Treiben beobachtete. Dazu gab er mir nämlich selbst
Gelegenheit, indem er seit jenem Abende, als ich ihn krank oder auf andere Weise
erschüttert im Walde antraf, eine ganz besondere Zuneigung zu mir gewonnen
hatte, so dass es ihm Bedürfnis schien, mich täglich zu sehen. –
Dir die ganz absonderliche Art dieses Umgang zu beschreiben, dir manches zu
erzählen, was das Urteil der Burschen, welche keck behaupteten, der Major
sei ein Doppeltgänger und stehe überhaupt mit dem Teufel im Bunde,
vollkommen zu rechtfertigen schien, alles dessen bedarf es nicht, da du bald
den unheimlichsten Geist, der bestimmt war, auf verstörende Weise einzugreifen
in mein Leben, hinlänglich kennen lernen wirst.
Ich hatte die Schlosswache, und dort besuchte mich mein Vetter, der Hauptmann
von T**, der noch mit einem jungen Offizier aus Berlin nach Potsdam gekommen.
Im traulichen Gespräch saßen wir beim Glase Wein, als, beinahe war
es schon Mitternacht, der Major O'Malley eintrat. »Ich
glaubte Euch allein, Leutnant«, sprach er, indem er meine Gäste
verdrießlich anblickte, und wollte sich wieder entfernen. Der Hauptmann
erinnerte ihn daran, dass sie ja alte Bekannte wären, und auf mein Bitten
ließ O'Malley es sich gefallen, bei uns zu bleiben.
»Euer Wein«,
rief O'Malley, als er ein Glas nach seiner Weise schnell hinuntergestürzt,
»Euer Wein, Leutnant, ist der schnödeste Krätzer, der je eines
ehrlichen Kerls Gedärme zerrissen; lasst sehen, ob dieser hier von einer
besseren Sorte!«
Damit holte er aus der Tasche des Kommissmantels, den er über das Hemde
gezogen, eine Flasche und schenkte ein. Wir fanden den Wein vortrefflich und
hielten ihn für einen vorzüglich feurigen Ungarn.
Selbst weiß ich nicht, wie sich das Gespräch auf magische Operationen
und zuletzt auf jenes verrufene Buch wandte, dessen ich zuvor gedachte. Dem
Hauptmann war, vorzüglich wenn er Wein getrunken, ein gewisser spöttelnder
Ton eigen, den nicht jeder gut vertragen mag. In diesem Tone begann er von militärischen
Geisterbannern und Hexenmeistern zu sprechen, die zu jener Zeit allerliebste
Dinge zustande gebracht, wofür man ihrer Macht noch jetzt huldigen und
Opfer bringen müsse.
»Wen meint«, rief O'Malley mit dröhnender Stimme, »wen
meint Ihr, Hauptmann? – Meint Ihr etwa mich, so wollen wir das Geisterbannen
beiseite stellen; dass ich mich aber auf das Entgeistern verstehe, könnt
ich Euch beweisen, und dazu bedarf ich statt eines sonstigen Talismans nur meines
Degens oder eines guten Pistolenlaufs.«
Zu nichts weniger war der Hauptmann aufgelegt, als mit O'Malley Händel
anzufangen; er versicherte daher, artig einlenkend, dass er zwar allerdings
den Major gemeint, indessen nur Scherz im Sinne gehabt, der vielleicht unzeitig
gewesen. Im Ernst wolle er aber jetzt den Major fragen, ob er nicht gut tun
würde, das alberne Gerücht, dass er wirklich über unheimliche
Mächte gebiete, zu widerlegen und so auch seinerseits dem dummen Aberglauben
zu steuern, der nicht mehr in das aufgeklärte Zeitalter passe. –
Der Major lehnte sich über den ganzen Tisch, stützte den Kopf auf
beide Fäuste, so dass seine Nase kaum eine Spanne weit von des Hauptmanns
Antlitz entfernt war, und sprach dann, ihn mit seinen hervorglotzenden Augen
starr anblickend, sehr gelassen: »Hat Euch, mein
Gönner, der Herr auch nicht etwa mit einem sehr durchdringenden Geist erleuchtet,
so werdet Ihr, hoff ich, doch einzusehen vermögen, dass es die törichtste,
einbildischste, ja, ich möchte sagen, verruchteste Anmaßung wäre,
wenn wir glauben wollten, mit unserm geistigen Prinzip sei alles abgeschlossen,
und es gebe keine geistigen Naturen, die, anders begabt als wir, oft nur sich
selbst aus jener Natur allein die momentane Form bildend, sich uns offenbaren
in Raum und Zeit,
ja die, nach irgendeiner Wechselwirkung strebend, hineinflüchten könnten
in das Tongebäcke, was wir Körper nennen. Ich will es Euch nicht zum
Vorwurf machen, Hauptmann, dass Ihr in allen Dingen, die man weder bei der Revue
noch auf der Parade lernt, sehr unwissend seid und nichts gelesen habt. Hättet
Ihr aber nur etwas weniges in tüchtige Bücher geguckt, kenntet Ihr
den Cardanus, den Justinus
Martyr, den Lactanz, den Cyprian,
den Clemens von Alexandrien,
den Macrobius, den Trismegistus,
den Nollius, den Dorneus,
den Theophrastus, den Fludd,
den Wilhelm Postel, den Mirandola,
ja nur die kabbalistischen Juden, Joseph und
Philo, Euch wäre vielleicht eine Ahnung aufgegangen von Dingen, die
jetzt Euren Horizont übersteigen und von denen Ihr daher auch gar nicht
reden solltet.«
Damit sprang O'Malley auf und ging mit starken gewaltigen Schritten auf und
ab, so dass die Fenster und die Gläser erzitterten.
Unerachtet, versicherte der Hauptmann etwas betreten, unerachtet er des Majors
Gelehrsamkeit hoch in Ehren halte, unerachtet er gar nicht in Abrede stellen
wolle, dass es höhere geistige Naturen gebe und geben müsse: so sei
er doch fest überzeugt, dass irgendeine Verbindung mit einer unbekannten
Geisterwelt durchaus gegen die Bedingung der menschlichen Natur, mithin unmöglich
sei und alles, was als Beweis des Gegenteils gelten solle, auf Selbsttäuschung
oder Betrug beruhe.
O'Malley blieb, als der Hauptmann schon einige Sekunden geschwiegen, plötzlich
stehen und begann: »Hauptmann oder (sich
zu mir wendend) Ihr, Leutnant, tut mir den Gefallen
und setzt Euch hin und schreibt ein Heldengedicht, ebenso herrlich, so übermenschlich
groß wie die Ilias!«
Wir erwiderten beide, dass uns das wohl nicht gelingen werde, da keinem der
homerische Geist inwohne. »Ha, ha«,
rief der Major, »seht Ihr wohl, Hauptmann! Weil
Euer Geist unfähig ist, Göttliches zu empfangen und zu gebären,
ja, weil Eure Natur nicht einmal von der Beschaffenheit sein mag, sich auch
nur zur Erkenntnis zu entzünden, deshalb müsstet Ihr eigentlich leugnen,
dass aus irgendeinem Menschen sich dergleichen gestalten könne. Ich sage
Euch, jener Umgang mit höheren geistigen Naturen ist bedingt durch einen
besonderen psychischen Organismus;
und wie die dichterische Schöpfungskraft, so ist auch jener Organismus
eine Gabe, mit der die Gunst des Weltgeistes
seinen Liebling ausstattet.«
Ich las in des Hauptmanns Gesicht, dass er im Begriff stand, irgend etwas Spöttisches
dem Major zu entgegnen. Um es nicht dazu kommen zu lassen, nahm ich das Wort
und machte dem Major bemerklich, dass, soviel ich wüsste, doch die Kabbalisten
gewisse Formen und Regeln aufstellten, um zu jenem Umgange mit unbekannten geistigen
Wesen zu gelangen. Noch ehe der Major aber antworten konnte, sprang der Hauptmann,
von Wein erhitzt, auf und sprach in bitterem Ton: »Nun,
was hilft hier alles Schwatzen; Ihr gebt Euch für eine höhere Natur
aus, Major; Ihr wollt uns glauben machen, dass Ihr, aus besserm Stoff geschaffen
als unsereins, den Geistern gebietet! Erlaubt, dass ich Euch so lange für
einen betörten Schwärmer halte, bis Ihr uns Eure psychische Kraft
zutage gelegt.«
Der Major lachte wild auf und sprach dann: »Ihr
haltet mich für einen gemeinen Geisterbanner, für einen kläglichen
Taschenspieler, Hauptmann? Das steht Euerm kurzsichtigen Sinne wohl an! Doch!
Es soll Euch vergönnt sein, einen Blick in ein dunkles Reich zu tun, das
Ihr nicht ahnet und das Euch verderblich erfassen kann! Ich warne Euch indessen
vorher und gebe Euch zu bedenken, dass Euer Gemüt nicht stark genug sein
könnte, manches zu ertragen, das mir ein ergötzliches Spiel dünkt.«
Der Hauptmann versicherte, dass er bereit sei, es mit allen Geistern und Teufeln
aufzunehmen, die O'Malley zu beschwören imstande wäre, und nun mussten
wir dem Major auf unser Ehrenwort versprechen, uns in der Nacht des Herbstäquinoktiums
[Tagundnachtgleiche], und zwar Schlag zehn Uhr in dem dicht vor
dem ***er Tor gelegenen Wirtshause einzufinden, wo wir das Weitere erfahren
würden.
Es war indessen heller Tag geworden; die Sonne schien durch die Fenster. Da
stellte sich der Major mitten ins Zimmer und rief mit donnernder Stimme: »Incubus!
- Incubus! Nehmahmihah Scedim« warf den Mantel ab, den
er bis jetzt nicht abgelegt, und stand da in voller Uniform.
In demselben Augenblick musste ich heraus, da die Wache ins Gewehr trat. Als
ich zurückkam, waren beide, der Major und der Hauptmann, verschwunden.
»Ich blieb,« sprach der junge Offizier,
ein liebenswürdiger frommer Jüngling, den ich allein fand, »ich
blieb nur zurück, um Sie vor diesem Major, diesem entsetzlichen Menschen,
zu warnen! Fern von mir sollen seine fürchterlichen Geheimnisse bleiben,
und mich gereut es, dass ich mein Wort gab, bei einem Akt zu sein, der vielleicht
uns allen, gewiss aber dem Hauptmann verderblich sein kann. Sie werden mir zutrauen,
dass ich nicht geneigt bin, jetzt mehr daran zu glauben, was die alte Wärterin
dem Kinde vorerzählte; aber haben Sie wohl bemerkt, dass der Major nach
und nach acht Flaschen aus der Tasche zog, die kaum groß genug schien,
eine einzige zu fassen? – dass er zuletzt, unerachtet er unter dem Mantel
nur das Hemde trug, plötzlich von unsichtbaren Händen angekleidet
dastand?« Es war dem so, wie der Leutnant sagte, und ich muss gestehen,
dass eiskalte Schauer mich durchbebten.
An dem bestimmten Tage fand sich der Hauptmann mit meinem jungen Freunde bei
mir ein, und auf den Schlag zehn Uhr nachts waren wir, so wie wir es dem Major
zugesagt, in dem Wirtshause. Der Leutnant war still und in sich gekehrt, desto
lauter und lustiger aber der Hauptmann.
»In der Tat,« rief dieser, als es schon
halb elf Uhr geworden und O'Malley sich nicht blicken ließ, »in
der Tat, ich glaube, der Herr Geisterbanner lässt uns im Stich mitsamt
seinen Geistern und Teufeln!«
»Das tut er nicht«, sprach es dicht hinter dem Hauptmann,
und O'Malley stand unter uns, ohne dass jemand bemerkt, wie er hereingekommen.
Dem Hauptmann erstarb die Lache, die er aufschlagen wollte.
Der Major, wie gewöhnlich in seinen Soldatenmantel gekleidet, meinte, dass
es, ehe er uns an den Ort führe, wo er gedenke, sein Versprechen zu erfüllen,
noch Zeit sei, ein paar Gläser Punsch zu trinken; es würde uns gut
tun, da die Nacht rau und kalt sei und wir einen ziemlichen Weg zu machen hätten.
Wir setzten uns an einen Tisch, auf den der Major einige zusammengebundene Fackeln
und ein Buch legte.
»Hoho,« rief der Hauptmann, »das
ist wohl Euer Beschwörungsbuch, Major?«
»Allerdings«, erwiderte O'Malley trocken.
Der Hauptmann ergriff das Buch, schlug es auf und lachte in demselben Augenblick
so unmäßig, dass wir nicht wussten, was ihn denn so ganz toll lächerlich
bedünken könne.
»Nein,« sprach dann der Hauptmann, sich mit Mühe erholend,
»nein, das ist zu arg! - Major, was zum Teufel,
wollt Ihr denn Euern Scherz mit uns treiben, oder habt Ihr Euch vergriffen?
Freunde, Kameraden, schaut doch nur her!«
Du kannst dir, Freund Albert, unser tiefes Erstaunen denken, als wir gewahrten,
dass das Buch, das uns der Hauptmann vor die Augen hielt, kein anderes war,
als – Pepliers französische Grammaire. -
O'Malley nahm dem Hauptmann das Buch aus der Hand, steckte es in die Manteltasche
und sprach dann sehr ruhig, wie er denn überhaupt in seinem ganzen Wesen
ruhiger und milder erschien als sonst jemals: »Sehr
gleichgültig kann es Euch sein, Hauptmann, welcher Mittel ich mich bedienen
will, um mein Versprechen zu erfüllen, welches in nichts anderm besteht,
als Euch sinnlich meine Gemeinschaft mit der Geisterwelt darzutun, die uns umgibt,
ja in der unser höheres Sein bedingt ist. Glaubt Ihr denn, dass meine Kraft
solcher armseliger Krücken bedarf, als da sind: besondere mystische Formeln,
Wahl einer bestimmten Zeit, eines abgelegenen schauerlichen Orts, deren sich
armselige kabbalistische Schüler in nutzlosen Experimenten zu bedienen
pflegen? Auf offnem Markt, zu jeder Stunde könnt ich Euch beweisen, was
ich vermag; und dass ich damals, als Ihr mich verwegen genug in die Schranken
fordertet, eine besondere Zeit und, wie Ihr gleich sehen werdet, einen Ort wählte,
der Euch vielleicht schauerlich dünken möchte, war nur eine Artigkeit,
die ich Eurethalben dem erzeigen wollte, der in gewisser Art diesmal Euer Gast
sein soll. – Gäste empfängt man gern im Putzzimmer zu gelegensten
Stunde.«
Es schlug elf Uhr; der Major nahm die Fackeln und gebot uns, zu folgen.
Er schritt so schnell, dass wir Mühe hatten, ihm nachzukommen, voran auf
dem großen Wege fort und bog, als wir das Zollhäuschen erreicht,
rechts ein in den Fußsteig, der durch den dort gelegenen dichten Tannenwald
führt. Nachdem wir beinahe eine Stunde gelaufen, stand der Major still
und mahnte uns, dicht hinter ihm zu bleiben, da wir uns sonst leicht im Dickicht
des Waldes, in das wir nun hinein müssten, verlieren könnten. Nun
ging es quer durch im dicksten Gestrüppe, so dass bald dieser, bald jener
mit der Uniform oder mit dem Degen hängen blieb und sich mit Mühe
losmachen musste, bis wir endlich einen freien Platz erreichten. Mondesstrahlen
brachen durch das finstre Gewölk, und ich gewahrte die Ruinen eines ansehnlichen
Gebäudes, in welche der Major hinein schritt. Es wurde finstrer und finstrer;
der Major rief uns an, stillzustehen, weil er jeden einzeln hinabführen
wolle. Mit dem Hauptmann machte er den Anfang; dann traf mich die Reihe. Der
Major hatte mich umfasst und trug mich mehr, als ich ging, hinunter in die Tiefe.
»Bleibt,« flüsterte O'Malley mir
zu, »bleibt hier ruhig stehen, bis ich den Leutnant
gebracht, dann beginnt mein Werk.«
Ich vernahm in der undurchdringlichen Finsternis die Atemzüge eines dicht
neben mir Stehenden.
»Bist du es, Hauptmann?« rief ich.
»Allerdings!« erwiderte der Hauptmann.
»Gib acht, Vetter, es läuft alles auf dumme
Taschenspielerei hinaus; aber es ist ein ganz verdammter Ort, wo uns der Major
hingeführt, und ich wollte, ich säße wieder beim Punschnapf;
denn mir beben alle Glieder vor Frost und, wenn du willst, auch vor einer gewissen
kindischen Bangigkeit.«
Mir ging’s nicht besser als dem Hauptmann. Der raue Herbstwind pfiff und
heulte durch die Mauern, und ein seltsames Flüstern und Ächzen antwortete
ihm aus der Tiefe. Aufgescheuchtes Nachtgeflügel rauschte und flatterte
um uns her, während ein leises Winseln dicht über dem Boden wegzuschleichen
schien. Wahrlich, wir beide, der Hauptmann und ich, konnten von den Schauern
unseres Aufenthalts wohl dasselbe sagen, was Cervantes vom Don Quixote sagt,
als er die verhängnisvolle Nacht vor dem Abenteuer mit den Walkmühlen
übersteht: »Ein minder Beherzter hätte
alle Fassung verloren.«
An dem Wellengeflüster eines nahen Wassers und an dem Heulen der Hunde
gewahrten wir übrigens, dass wir uns nicht ferne von der Lederfabrik befinden
mussten, die bei Potsdam dicht an dem Strom gelegen ist. Endlich vernahmen wir
dumpfe Tritte, die sich immer mehr näherten, bis dicht bei uns der Major
laut rief:
»Nun sind wir beisammen, und es kann vollbracht werden, was begonnen!«
Mittelst eines chemischen Feuerzeuges zündete er die Fackeln an, die er
mitgebracht, und steckte sie in den Boden. Es waren sieben an der Zahl. Wir
befanden uns in einem verfallenen Kellergewölbe. O'Malley stellte uns in
einen Halbkreis, warf Mantel und Hemde ab, so dass er bis an den Gürtel
nackt dastand, schlug das Buch auf und begann mit einer Stimme, die mehr dem
dumpfen Brüllen eines fernen Raubtiers, als dem Ton eines Menschen glich,
zu lesen: »Monsieur, prêtez-moi un peu, s'il
vous plaît, votre canif. - Oui, Monsieur, d'abord - le voilà -
je vous le rendrai.« -
Nein, unterbrach Albert hier den Freund, nein, das ist zu arg! - Das Gespräch:
Vom Schreiben, aus Pepliers Grammaire als Beschwörungsformel! Und ihr lachtet
nicht laut auf, und das ganze Spiel hatte nicht auf einmal ein Ende?
Ich, fuhr Viktor fort, ich komme nun zu einem Moment, von dem ich in der Tat
nicht weiß, ob es mir gelingen wird, ihn dir darzustellen. Mag deine Phantasie
meine Worte beleben! - Immer entsetzlicher wurde die Stimme des Majors, während
der Sturm stärker brauste und der flackernde Schein der Fackeln die Wände
mit seltsamen, im Fluge wechselnden Gebilden belebte. - Ich fühlte, wie
kalter Schweiß auf meiner Stirn tropfte; mit Gewalt errang ich Fassung
- da pfiff ein schneidender Ton durch das Gewölbe, und dicht vor meinen
Augen stand ein Etwas –
Wie, rief Albert, ein Etwas, meinst du, Viktor – eine entsetzliche Gestalt.
Es scheint, sprach Viktor weiter, es scheint heilloser Unsinn, wenn ich von
einer gestaltlosen Gestalt sprechen wollte, und doch kann ich kein anderes Wort
finden, um das grässliche Etwas zu bezeichnen, das ich gewahrte –
Genug, in demselben Moment stieß das Grausen der Hölle seine spitzen
Eisdolche mir in die Brust, und ich verlor die Besinnung. –
Am hellen Mittag fand ich mich wieder, entkleidet auf mein Lager ausgestreckt.
Alle Schauer der Nacht waren verschwunden, ich fühlte mich völlig
wohl und leicht. Mein junger Freund schlief in dem Lehnstuhl. S.
271-285
Aus: Geist und Geisterwelt, Fragmente aus der Literatur des Übersinnlichen
von Thomas Wandler, Rudolf Kaemmerer Verlag, Berlin-Dresden 1923