Thomas von Aquin (1225 – 1274)

Thomas von Aquino, lat. Thomas Aquinne (der Aquinase), eingedeutscht Thomas von Aquin, ist der bedeutendste Theologe und Philosoph des Mittelalters; aus gräflichem Geschlecht, Dominikaner, in Köln 1248—52 Schüler von Albertus Magnus; lehrte bis 1259 in Paris, 1261—65 in Orvieto, 1267—68 in Viterbo und Rom, seit 1272 in Neapel. — Heiliger (Tag: 28. 1.) und Kirchenlehrer; Ehrentitel »Doctor angelicus«.Thomas von Aquin fasste den überlieferten Augustinismus mit den Lehren des Aristoteles (erst zu seiner Zeit im Abendland in ihrem ganzen Umfang bekannt) in einer philosophisch-theologischen Synthese zusammen. Über Augustinus, Ibn Sina u.a. wirkten auch platonische und neuplatonische Gedanken auf ihn ein.— Er erkannte die Berechtigung des Wissens neben dem Glauben und die Bedeutung einer eigenständigen Philosophie an. Da das Wissen zu seiner Vollendung des Glaubens bedarf, ordnete er die Philosophie in etwa der Theologie unter. Die thomistische Ethik beruht auf dem Grundgedanken: Sittlich handeln heißt der Ordnung des Seins in Freiheit entsprechen. Darin ist die Anerkennung des sittlichen Naturgesetzes und des Naturrechts im Leben des Einzelmenschen und der Gemeinschaft begründet. Die sich daraus ergebenden Normen erfassen auch die politische Sphäre; dem Fürsten, dem das Recht zusteht, für Zwecke der Gemeinschaft Steuern zu erheben, obliegt anderseits die Verpflichtung zu höchster Gerechtigkeit. Als Anhänger der Preislehre der Scholastiker beschäftigte er sich mit dem gerechten Preis (instum pretium). — In der Theologie entfaltete er die scholastische Wissenschaft von Gottes Offenbarung, indem er neue Quellen (griechische Kirchenväter, altkirchliche Konzilien, umfassende Augustinus-Kenntnisse) erschloß und sich gründlich um die Heilige Schrift bemühte. Charakteristisch ist für ihn eine Dynamisierung des Gnadenbegriffs. Das Wesen der Theologie wird von ihm in einem im Glauben geschehenden Nach- und Mitvollzug der Gedanken Gottes über Welt, Mensch und Geschichte gesehen. — Nachwirkung: Thomismus.— Die Einheit seines Systems ist darin begründet, daß alle Einzelsätze auf wenige ontologische Grundprinzipien zurückgeführt werden. Alles innerweltlich Seiende galt ihm als »durch Teilhabe seiend« und darum verursacht. So steigt Thomas in seinen fünf Gottesbeweisen vom Irdischen zu Gott als der »ersten Ursache« auf. Voraussetzung dieser natürlichen Gotteserkenntnis ist die »Analogie des Seienden«, d. h. eine gewisse, trotz aller Unähnlichkeit bleibende Ähnlichkeit des Geschöpfes mit Gott. Freilich bleibt die natürliche Gotteserkenntnis ohne letzte Sicherheit; nur durch göttliche Offenbarung kann die menschliche Vernunft mehr über Gott zu sagen.

 

Inhaltsverzeichnis

Gibt es Gott?
Die fünf Gottesbeweise Aquinos
Die göttliche Macht
Über die göttliche Dreieinigkeit
  Das Wesen Gottes ist sein Sein
Die Engelwelt
Die Tätigkeit der Engel an den Menschen
Die Entrückung


Gibt es Gott?
1. Scheinbar gibt es Gott nicht. Denn wenn von zwei geraden Gegensätzen der eine unendlich ist, wird der andere völlig erdrückt. Nun wird beim Worte Gott“ das verstanden, daß er ein gewisses unendliches Gut ist. Wenn es also Gott gäbe, so würde man kein Übel finden. Man begegnet aber Üblem in der Welt. Also gibt es Gott nicht.
Zu 1: Augustinus sagt im Enchiridion (II): ,,Da Gott höchst gut ist, so würde er keineswegs etwas Übles bei seinen Werken zulassen, wenn er nicht so sehr allmächtig und gut wäre, daß er auch mit dem Üblen gut täte.“ Es schlägt also in die unendliche Gutschaft Gottes ein, daß er Übel zuläßt und aus ihnen Gutes herfördert.

2. Ferner, was sich durch weniger Urheiten vollbringen läßt, geschieht nicht durch mehrl. Es scheint aber, daß alles, was in der Welt zutage tritt, sich durch andere Urheiten vollbringen läßt, wenn wir annehmen, daß es Gott nicht gibt; weil ja das, was natürlich ist, auf jene Urheit zurückgeht, welche die Natur ist, das Frei-Vorsätzliche aber sich auf jene Urheit heimbringen läßt, die der Verstand oder der Wille sind. Es liegt also gar keine Notwendigkeit zu der Annahme vor, daß es einen Gott gibt.
Zu 2: Da die Natur um eines gesteckten Zieles willen aus der Richtgebung irgend eines drüberstehenden Tuenden am Werk ist, so muß man auch das, was von Natur geschieht, notwendig auf Gott als auf die Erstursache zurückleiten. In gleicher Weise muß das, was frei aus Vorsatz geschieht, auf irgend eine höhere Ursache heimgebracht werden, die nicht Vernunft und Wille im Menschen sind: denn diese können sich wandeln und fehlen: es gehört sich aber, wie (in der Antwort) dargetan wurde, alles Wegliche und Fehlvermögliche in irgend eine erste unanwegliche und an und für sich notwendige Urheit heimgeführt.
Feststellung. Unvermeidlich stößt man in der Dingnatur auf ein erstes unanwegliches Seiende, das vorderste Wirksame, das Notwendige, das Nirgendwoher, am meisten seiend, gut und allerbest, an der Spitze mit Vernunft regierend und aller Dinge letztes Band: das ist Gott.

Die fünf Gottesbeweise Aquinos
Auf fünf Wegen kann man zum Erweis kommen, daß es Gott gibt.

1. Beweis
Am ersten und deutlichsten ist der von der Bewegung her genommene Weg. Es ist nämlich gewiß und steht durch das Gesinn (sensu) fest, daß manches in dieser Welt sich wegt. Alles aber, was in Wegung ist, wird von einem anderen gewegt. Nichts ist nämlich in Wegung, es sei denn, sonach es in einer Möglichkeit zu dem steht, wozu es hingewegt wird: wegen tut aber eins zufolge dem, daß es in der Wirklichkeit da ist (secundum quod est actu). Wegen ist nämlich nichts anderes, als etwas aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit herausholen; aus der Möge etwas in die Wirke heimzubringen, vermag aber nur ein wirklich Seiendes, gerade wie das wirkgeschehlich (in actu) Warme, so Feuer, Holz, das mögegeschehlich (in potentia) warm ist, wirklich (actu> warm sein macht, und damit wegt es an ihm und macht ein anderes daraus. Nun kann aber eins und dasselbe nicht unter ein und demselben Betracht zugleich in der Wirklichkeit und in der Möglichkeit sein, sondern nur unter verschiedenem Betracht. Was nämlich in der Tat (actu) warm ist, kann nicht zugleich möglicherweise (in potenda) warm sein, sondern hat gleichzeitig nur die Möglichkeit, kalt zu sein. Es ist also unmöglich, daß etwas ein und demselben Betracht nach und in ein und derselben Weise bewegend und bewegt ist oder sich selbst wegt. Alles also, was gewegt wird, braucht ein anderes, um gewegt zu werden. Falls also das, wovon es gewegt wird, sich wegt, so braucht dies selbst ein anderes, um gewegt zu werden, und das wieder eins. Dabei kann man aber nicht ins Unendliche gehen, weil es dann kein Erstwegendes gäbe und innige davon nicht irgend eins, das ein anderes wegte, weil Je wegenden Zweitheiten nur dadurch wegen, daß sie von einem ersten Wegenden gewegt sind, gerade wie der Stock nur dadurch anwegt, daß er mit der Hand bewegt wird. Man muß also notwendigerweise zu einem Erstwegenden hinkommen, das von keinem gewegt wird, und darunter verstehen alle Gott.

2. Beweis
Der zweite Weg kommt aus dem Wesen der Wirkursache. Wir begegnen in dem Sinnfälligen vor uns einer Reihenstellung von Wirkursachen, ohne freilich, das ist auch nicht möglich, etwas zu finden, das die Wirkursache seiner selbst ist; es würde ja damit früher sein, als es selber ist, was unmöglich ist. Nun ist es aber unmöglich, bei den eine Wirkung hervorbringenden Ursachen ins Unendliche zu gehen: Grund: bei allen in einer Reihe stehenden Ursachen mit Wirkungen ist die erste die Ursache der mittleren und die mittlere die Ursache der letzten, seien ihrer nun in der Mitte mehr oder nur eine; nimmt man aber die Ursache weg, so entfällt auch die Wirkung; also, falls es kein Erstes bei den Wirkursachen gibt, ist auch nicht ein Letztes und nicht ein Mittleres da. Geht man aber ins Unendliche mit den Wirkursachen, so gibt es nicht eine erste wirkende Ursache, und so sind weder eine letzte Wirkung da, noch Wirkursachen in der Mitte; es ist klar, daß das falsch ist. Es ist also notwendig, irgend eine Wirkursache als erste hinzustellen; diese nennen alle Gott.

3. Beweis
Den dritten Weg nimmt man aus dem Möglichen und dem Notwendigen her; er ist folgender. Wir treffen unter den Dingen etliches, dem es möglich ist, zu sein und nicht zu sein: wenn uns etliches in Fortpflanzung und Auflösung begegnet und folglich den Mögestand hat, zu sein und nicht zu sein. Es ist aber bei allem Derartigen unmöglich, immer zu sein, weil, was die Möglichkeit des Nichtseins hat, auch einmal nicht ist. Wenn also alles in der Möglichkeit steht, nicht zu sein, so war irgend einmal nichts an Dingen da. Wenn das aber wahr ist, so gäbe es auch heute nichts, weil was nicht ist, nur durch eins, was da ist, dazusein beginnt: wenn also nichts im Sein war, so war es unmöglich, daß etwas dazusein begonnen hätte; auf die Weise gäbe es zur Zeit nichts: was offenkundig falsch ist. Es sind also nicht alle Seinsdinge im Mögestand, sondern für irgend eins unter den Dingen ist erforderlich, daß es notwendig da ist. Jedes Notwendige aber bat die Ursache seiner Notwendigkeit entweder anderswoher, oder es hat sie nicht anderswoher. Es ist aber nicht möglich, bis ins Unendliche bei dem Notwendigen weiterzugehen, das eine Ursache seiner Notwendigkeit hat, gerade wie es nach dem Bewiesenen auch bei den Wirkursachen nicht möglich war. Also muß man etwas hinstellen, das durch sich notwendig ist, ohne die Ursache der Notwendigkeit anderswoher zu haben, das vielmehr für die anderen die Ursache der Notwendigkeit ist: das heißen alle Gott.

4. Beweis
Der vierte Weg wird den Stufungen entnommen, die man in den Dingen entdeckt. Man findet nämlich in den Dingen etliches mehr oder weniger gut und wahr und edel, und so geht es auch mit anderem derart. Aber Mehr und Weniger werden von Verschiedenem gesagt, je nachdem es auf verschiedene Weise sich einem nähert, das es am meisten ist: wie mehr warm ist, was näher auf das anrückt, was am meisten warm ist. Es gibt also etwas, welches das Wahrste und das Beste und das Adeligste und folglich das am meisten Seiende ist; denn das, was am meisten wahr ist, ist am meisten seiend, wie es 2. Metaph. (Did. 1, x 1 n 5) heißt. Was aber in einer Gattung im höchsten Grade das Solche heißt, ist die Ursache von allem, was dieser Gattung angehört; gerade wie das Feuer, das am meisten warm ist, die Ursache alles Warmen ist, so heißt es im nämlichen Buch. Es gibt also etwas, das allen Seienden die Ursache des Seins und der Gutheit und jeglicher Vollkommenheit ist: und das nennen wir Gott.

5. Beweis
Der fünfte Weg wird von der Regierung der Dinge hergenommen. Wir sehen nämlich, daß einiges, was der Erkenntnis entbehrt, nämlich die natürlichen Körper, um eines Zweckes willen tätig ist; was daraus hervorgeht, daß sie immer oder doch häufig in derselben Weise tätig sind, um das zu erreichen, was das Beste ist; daraus ist klar, daß sie nicht aus Zufall, sondern aus einer Absicht an das Ziel gelangen. Was aber keine Erkenntnis hat, strebt nicht zu einem Ziel, es sei denn, daß es von einem in Richtung gebracht ist, das Erkenntnis und Vernunft hat, gerade wie der Pfeil vom Schützen. Also gibt es ein Vernünftiges, von dem alle Naturdinge zu einem Ziele hingeordnet werden: und das heißen wir Gott.
Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 105, Thomas von Aquino, Summe der Theologie 1: Gott und Schöpfung, S. 22-26
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlags, Stuttgart


Die göttliche Macht
1. Gibt es in Gott ein Vermögen?
Da Gott im höchsten Grade Wirkheit und schlechthin vollkommen ist, so kommt ihm im höchsten Grade zu, wirkhafte Urheit und wirkiges Vermögen, nicht aber ein leidehaftes (passiva) zu sein.

2. Ist die Macht in Gott unendlich?
Da das Sein Gottes unendlich ist, so ist sein wirkhaftes Vermögen unendlich.

3. Ist Gott allmächtig?
Da Gott alles bewirken kann, was sein kann, nicht aber das, was einen Widerspruch in sich birgt, so heißt er gebührendermaßen allmächtig.

4. Kann Gott machen, daß Vergangenes nicht gewesen ist?
Daß Vergangenes nicht gewesen sein soll, birgt einen Widerspruch in sich; darum untersteht es nicht der göttlichen Gewalt.


5. Kann Gott machen, was er nicht macht?
Hierin gibt es zwei Irrwege. Einige haben nämlich angenommen, Gott tue gewissermaßen aus Naturnotwendigkeit. Gerade wie aus der Tätigkeit der Naturdinge nur hervorgehen kann, was bei ihnen eintritt, wie z. B. aus dem Samen des Menschen ein Mensch und aus dem Samen des Ölbaums ein Ölbaum wird, so könnten aus der göttlichen Wirktätigkeit nicht andere Dinge herauskommen oder eine andere Dingordnung erfließen, als wie sie jetzt da ist. — Aber wir haben oben (19, 3) gezeigt, daß Gott nicht gewissermaßen aus Naturnotwendigkeit handelt, sondern daß sein Wille die Ursache aller Dinge ist; und daß auch nicht der Wille selbst naturhaftig und aus Notwendigkeit zu diesen Dingen einbestimmt wird. Deswegen kommt dieser Lauf der Dinge um uns nicht aus Notwendigkeit von Gott in der Weise, daß anderes nicht kommen könnte.

Andere dagegen haben gesagt, daß die göttliche Macht zu unserem Dingablauf besteckt erscheint, von wegen der Ordnung in der göttlichen Weisheit und Gerechtigkeit, eine Ordnung, ohne die Gott nichts wirkt. - Da aber das Vermögen in Gott, das seine Wesenheit ist, nichts anderes ist, als Gottes Weisheit, so kann man zwar richtig sagen, daß nichts in Gottes Vermögen steht, was nicht in der Ordnung der göttlichen Weisheit liegt: denn die göttliche Weisheit einbegreift das ganze Können des Vermögens. Aber die von der göttlichen Weisheit in die Dinge gegebene Ordnung, worin die Sinntracht der Gerechtigkeit besteht, wie oben (21, 4) gesagt wurde, kommt dennoch nicht der göttlichen Weisheit so gleich, daß die göttliche Weisheit auf diese Ordnung hier bezirkt bleibt. Es liegt nämlich auf der Hand, daß das ganze Gewese der Ordnung, welches der Weise den Dingen, die er macht, auferlegt, vom Zweck hergenommen wird. Sobald daher der Zweck in einem Anmaß zu den eines Zweckes wegen gemachten Dingen steht, ist die Weisheit des Machers auf eine bestimmte Ordnung bezirklich begrenzt. Aber die göttliche Güte ist ein ohne jedes Verhältnismaß die erschaffenen Dinge überschreitender Zweck. Deswegen ist die göttliche Weisheit nicht auf irgend eine gewisse Dingordnung angewiesen, sodaß von ihr nicht ein anderer Lauf der Dinge erfließen könnte. Daher ist schlechthin zu sagen: Gott kann andere Dinge machen, als er macht.

6. Kann Gott die Dinge bessern und bessere machen?
Die Güte bei einem Ding ist zweifach. Die eine gehört zum Wesen des Dings; wie Vernunftbegabtsein zur Wesenheit des Menschen gehört.
Was dies Gut anlangt, kann Gott ein Ding nicht bessermachen, als es ist, mag er auch ein anderes, das besser ist, machen können. Gerade wie er auch nicht machen kann, daß Vierzahl größer ist; denn wenn sie größer wäre, wäre sie nicht mehr die Vierzahl, sondern eine andere. Es steht nämlich mit der Zugabe des Unterschiedes im Wesensbestand in den Begriffsfestsetzungen wie mit der Zuzählung einer Einheit bei den Zahlen, wie es 8. Metaph. (Did. 7, 3 n 8) heißt. Eine andere Güte ist die, welche es außerhalb der Wesenheit einer Sache gibt; wie es ein Gut beim Menschen ist, tugendhaft oder weise zu sein. Einem solchen Gut nach kann Gott die von ihm gemachten Dinge bessermachen. Aber schlechthin gesagt, kann Gott ein anderes besseres Ding machen, als das, was von ihm gemacht ist.
Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 105, Thomas von Aquino, Summe der Theologie 1: Gott und Schöpfung, S. 189-191
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlags, Stuttgart

Über die göttliche Dreieinigkeit
Auf die Betrachtung der Einheit des göttlichen Wesens folgt die der Dreiheit der Personen im göttlichen Leben (in divinis), die der Eine Gott sind. Weil nun die göttlichen Personen unterschieden werden gemäß den Beziehungen, in denen sie zufolge des ewigen Ursprungs der zweiten aus der ersten, der dritten aus der ersten und zweiten, zueinander stehen, so ist

1. vom Ursprung oder Ausgang, der processio, zu handeln,

2. von den wechselweise wirklichen Beziehungen, den relationes reales,

3. von den göttlichen Personen.

Auch bezüglich des trinitarischen Lebens Gottes gebrauchen wir unsere Begriffe nur analogisch. Gott ist weder Natur noch Person im geschöpflichen Sinne, nur in dem der Ähnlichkeit, aber der überragenden, die alle Unvollkommenheiten ausschließt.] Die Wurzel der trinitarischen Seinsweise Gottes sind gewisse Ausgänge in ihm (Joh. 8, 24), aber innebleibende nach Art des Erkennens und des Wollens. Nach der Analogie des im menschlichen Erkenntnisakt erzeugten inneren Wortes, des verbum cordis, das vom Erkennenden ausgeht und doch in ihm verbleibt, ist die erste processio in Gott zu denken. Dieses sein Ursprechen wird auch Zeugung genannt, das ausgehende Wort der Sohn. In Gott als Wille aber findet sich das innebleibende Ausgehen der Liebe, bei welcher der geliebte Gegenstand im Liebenden ist wie das Erkannte im Erkennenden. Sie ist nicht Zeugung, sondern Hingabe, Ausgehen des Geistes, das man Hauchung, Geistung (spiratio) nennen kann. Da es dem Tätigen innebleibende Tätigkeiten in der Verstandnatur (in natura intellectuali) nur diese beiden gibt, so finden sich in Gott nur die zwei Ausgänge des ,,Wortes“ und der ,,Liebe“.

In den Ausgängen gründen die Beziehungen (relationes), welche nicht nur logische gedachte, sondern solche der göttlichen Lebenswirklichkeit sind. Da in Gott alles Gott ist, nichts, das nur zur Wesenheit hinzukäme, aber nicht diese selbst wäre, so ist in ihm Wesenheit und Relation ein und dasselbe Wirklichsein. Dennoch sind die Relationen unter sich real verschieden (in persönlicher Eigentümlichkeit). Das Eine göttliche Wesen ist also absolut an sich als einfache, unendliche Wesenheit, relativ, d. h. bezüglich, in seiner Identität mit den Relationen oder Personen, so fern es west in Vater, Sohn und Geist. Es ergeben sich naturgemäß für die Trinität folgende vier Relationen: Vaterschaft des Zeugenden, Sohnschaft des Gezeugten, Hauchen des Vaters und Sohnes, Gehauchtheit des aus beiden hervorgehenden Geistes.

Begriffsbestimmung von Person.
Unter Person im allgemeinen Sinne versteht man eine unteilige Selbtrage der vernünftigen Natur (rationalis naturae individua substantia). Der Name Person bedeutet das Vollkommenste in der ganzen Natur. Darum ist er, freilich in gesteigertem Sinne, auch von Gott zu gebrauchen. Aber seine Anwendung auf den Dreipersönlichen ist nicht ohne Schwierigkeit und erfordert eine genauere Bestimmung Person ist zu unterscheiden von Wesenheit, sonst könnte Gott, weil einwesig, auch nur einpersönlich sein. ,,Person“ bezeichnet in Gott die Relation als sich selber tragende Seinswirklichkeit (persona divina significat relationem ut subsistentem). Wie die Gottheit Gott ist, so die göttliche Vaterschaft Vater.

In Gott sind, weil Relation und Person dasselbe, notwendig mehrere personhafte Selbstände. Und zwar sind soviele Personen als einander gegenüberstehende Relationen (relationes oppositae), also Vater, Sohn, Geist. Vater und Sohn sind gemeinsam die Träger der wirkenden Hauchung, sodaß den vier Relationen drei Personen entsprechen. Aber die Zahlen, die von Gott gelten sollen, gehören nicht zu den Zahlen der Quantität. Drei bezeichnet hier nicht mathematisch dreimal gesetzte Materie, sondern die divisio formalis: die nicht absoluten, nicht für sich bestehenden, sondern relativen, nach ihrem Wesen nur in der Beziehung zu den anderen begründeten Personen sind eine Dreiheit durch die verschiedene Besitzweise der Einen Wesenheit in drei wirklich unterschiedenen Trägern. Der gemeinsame Name Person drückt hier nicht, wie beim Menschen, eine Gattung aus, sondern das Gemeinsame, daß jede der unterschiedenen Besitzweisen als solche für sich besteht in der göttlichen Natur.

Das innergöttliche Leben wird Dreieinigkeit genannt
Zutreffend wird das innergöttliche Leben mit dem Namen Dreieinigkeit bezeichnet, ebenso der Sohn als ,,ein anderer wie der Vater“. Im übrigen ist bei den Prädikaten für Gott und die göttlichen Personen maßgebend, daß sie die Eine Wesenheit nicht teilen und das Dreipersonale nicht verwischen.

Von der Erkennbarkeit der Dreipersönlichkeit und den Notionen.
Der natürliche Verstand vermag die Dreiheit der göttlichen Personen nicht zu erkennen; Beweise sind hier dem Glauben nur schädlich. Auch scheinbare Andeutungen bei den Alten, wie Platon, treffen nicht die trinitarische Seinsweise Gottes. Aber die aus der Offenbarung bekannten Relationen können uns als Merkmale und Erkennungszeichen gelten, wodurch uns die Personen und ihr Unterschied kennbar werden. Diese Kennmale heißen Notionen und fallen einigermaßen mit den Relationen zusammen. Zu Vaterschaft, Sohnschaft, Hauchung und Gehauchtwerden kommt als fünfte die Ursprungslosigkeit die ein Kennmal des Vaters ist, aber keine Relation aussagt. aber diese Notionen kann man, innerhalb der Rechtgläubigkeit, auch anderer Meinung sein.

Die göttlichen Personen im besondern.
Der Vater
Dem Vater kommt es zu, Ursprung, principium, zu heißen. Der Vatername bezeichnet zunächst und wesentlich seine Personeigentümlichkeit, als Name der Gottheit überhaupt (wie im Vaterunser) ihre Beziehung zum Geschöpflichen, die aber ihr Urbild in der innergöttlichen Vaterschaft hat, der Ursprungslosigkeit des ungezeugt Zeugenden.

Der Sohn
Der Sohn heißt das Wort, Verbum, Logos, analog dem verbum cordis, dem Inwort des Verstandes, von dem es erzeugt ist. Dieser Name für etwas eigentlich ,,Ausgehendes“ geht auf die besondere Person, nicht auf die gemeinsame Wesenheit. Im ,,Wort“ ist eingeschlossen die Beziehung zu den Geschöpfen; denn Gott erkennt dadurch, daß er sich erkennt, auch die Geschöpfe. Wie der Mensch mit dem inneren Wort seine Erkenntnis vollzieht, so spricht auch Gott seine Urgedanken (Ideen) von den Dingen im Logos aus, dem Urbild der geschöpflichen Welt. Auch ,,Bild“ (imago) heißt der Sohn wegen des Ursprungs aus dem, den er ähnlich ebenbildet.

Der Heilige Geist
Der Name der göttlichen Person, die nach der Weise der Liebe ausgeht, ist Heiliger Geist. Geist, spiritus, auch für Wind und Hauch gebraucht, trifft als Name ihr Treibendes und Bewegendes auch auf die Liebe zu, einen Impuls zum geliebten Gegenstand; heilig aber heißen wir die Dinge, die zu Gott hin geordnet sind, Gott selbst aber wegen der Reinheit seines Gutseins. Die Liebeshauchung Heiliger Geist geht vom Sohne aus, wie die Liebe vom Wort, da wir nur lieben was wir kennen. Weil also der Sohn es vom Vater hat, daß von ihm der Heilige Geist ausgeht, so kann man sagen, der Vater hauche durch den Sohn, oder der Heilige Geist gehe durch den Sohn vom Vater aus. Aber wegen der Einheit der Wesenheit von Vater und Sohn heißt es mit Recht, daß der Geist von ihnen als Einer Urheit (principium) ausgeht. Als Ausgang nach Weise des Willens heißt er Liebe, welcher Ausdruck bei der Armut der Sprache für das Willensgebiet bald zuviel, bald zuwenig besagt. Der Heilige Geist ist die personale Art und Weise, in welcher Gott in Gott ist wie das Geliebte im Liebenden: er liebt sich nicht durch etwas seiner Wesenheit Hinzukommendes, sondern sonach er diese Wesenheit ist. Wie von einem Baume gesagt wird, er blühe von lauter Blüten, so wird vom Vater gesagt, er spreche durch das Wort, den Sohn, sich in die Geschöpfe, und wird auch gesagt: der Vater und der Sohn lieben sich durch den Heiligen Geist oder durch die von ihnen beiden ausgehende Liebe sich und die Geschöpfe. Endlich wird der Geist auch Gabe (donum) genannt, sofern sich Gott in ihm gnadenweise an die vernünftigen Geschöpfe hin gibt.

Betrachtung der göttliche Dreipersönlichkeit nach verschiedenen Verhältnissen.
In Gott sind Person und Wesenheit der Sache nach dasselbe, aber unter sich, weil von den substantialen, selbtragenden Relationen konstituiert, auch wirklich verschieden. Sprechen wir von der Einen Wesenheit der drei Personen und den drei Personen Einer Wesenheit, so wird die Wesenheit gleichsam ah Form der Personen bezeichnet. Dieses Verhältnis von Wesenheit und Person muß auch die ganze trinitarische Terminologie, den Gebrauch der abstrakten und konkreten Nomina, der Adjektive und des Numerus bestimmen. Sofern gewisse Attribute der göttlichen Wesenheit eine Verwandtschaft und Ähnlichkeit mit den Eigentümlichkeiten der Personen haben, dienen die Appropriationen oder Zueignungen zur Beleuchtung und Verdeutlichung der persönlichen Eigentümlichkeiten, besonders in Rücksicht auf die Wirkungen Gottes in der Welt. Sind diese auch allen drei Personen gemeinsam, so erscheinen einzelne doch in näherer Verwandtschaft zur Eigentümlichkeit einer Person [wie z. B. die Zweckstrebigkeit in der Natur zur Weisheit des Logos]. Auch bei diesen Zueignungen sind wir auf die Analogie des Geschöpflichen angewiesen, dessen Betrachtung einer vierteiligen Ordnung unterliegt:

1. Ein Ding wird betrachtet an sich selbst, als das Sein das es ist;

2. als in sich eines und einiges;

3. als wirkfähiges und verursachendes;

4. nach seinem Verhältnis zum Verursachten (sec. habitudinem).

Danach ergeben sich als Zueignungen:

1. für den Vater die Ewigkeit, den Sohn die Schönheit, den Geist die Nießfreuung (usus) der Liebe;

2. für den Vater die Einheit, den Sohn die Gleichheit, den Geist der Zusammenschluß (concordia, connexio);

3. für den Vater die Macht, den Sohn die Weisheit, den Geist die Gutheit;

4. für den Vater das ,,Aus welchem“, den Sohn das ,,Durch welchen“, den Geist das ,,In welchem“.

Vergleich der Personen mit den Relationen oder Eigentümlichkeiten
Vergleicht man die Personen mit den Relationen oder Eigentümlichkeiten, so ist zu sagen: die letzteren sind in den Personen und sind diese selbst. Die Relation macht die Person (so Vaterschaft die Person Vater) aus und unterscheidet sie von den anderen. Wird das Wirklichsein der Relationen weggedacht, so bestehen auch die Personen nicht. Die Relationen ihrerseits aber setzen die notionalen Akte voraus, also die Zeugung und die Hauchung.

Verhalten der Personen inbezug auf die göttliche Tätigkeit
Wie verhalten sich die Personen zu den notionalen Akten, den nach menschlicher Art Gott zugeschriebenen Tätigkeiten, die den Charakter der Personen begrifflich kennbar machen und nur im auffassenden Verstande, nicht in der Gottwirklichkeit sich von den Relationen unterscheiden? Diese Akte sind notwendig, weil in der Natur Gottes gelegen, des Sicherkennenden, Sichliebenden. Seine ganze Natur muß der Vater dem Sohne mitteilen, nur der Unterschied gemäß dem Ursprung bleibt. Weil aber so die actus notionales, Zeugung und Hauchung, die ganze göttliche Natur in die hervorgebrachte Person übergießen, so sind die drei Personen notwendig wesensgleich, aber jene innergöttlichen Akte sind nicht von allen gemeinsam aussagbar.

Das Verhältnis der Personen unter sich.
Wegen der Einheit der göttlichen Wesenheit kommt ihnen volle Gleichheit zu. Und da die notionalen Akte in der göttlichen Natur beruhen und darum ewige sind, so sind auch die drei Personen gleich-ewig. Das Ausgehen ist keine zeitliche Folge, aber in logischem Betracht gibt es kraft der Notion des Ursprungs die Ordnung des ,,einer aus dem andern“. Die drei durchdringen und durchwohnen einander vollkommen. Wegen dieser circuminsessio ist die Macht und Größe des Sohnes und Geistes die gleiche wie die des Vaters.

Die Sendung
Die übernatürlichen Beziehungen der Personen zur Welt erfaßt der Begriff der Sendung, der sowohl den Ausgang der einen Person aus einer anderen als die zeitliche Wirksamkeit der ausgehenden in der Schöpfung in sich schließt. Die ewige, notwendige Seinsweise des Ausgehens setzt sich gleichsam fort in der neuen Seinsweise der zeitlichen, freien Wirkung in der Welt, z. B. des Sohnes als er anfing, dem Fleische nach in der Welt zu sein, in der er vorher schon war. Daß eine göttliche Person auf neue Weise im Geschöpfe ist, kommt nicht von einer Veränderung in jener, sondern in diesem. Die Sendung als sichtbare tritt äußerlich in die Erscheinung (so bei der Menschwerdung des Logos), als unsichtbare vollzieht sie sich nur im Geschenk der heiligmachenden Gnade, in der die Person des Heiligen Geistes selber dem Menschen gegeben wird und ihm sich einwohnt. Unsichtbar gesendet zu werden, kommt nur dem Sohn und Geist zu, nicht aber, da er von keinem ist und nicht ausgeht, dem Vater, obzwar auch er, wie nach Joh. 14 die ganze Trinität, durch die Gnade dem Menschen einwohnt. Diese unsichtbare Sendung erstreckt sich auf alle jener Gnade Teilhaftigen und von ihr Erneuerten. Die sichtbaren Sendungen entsprechen dem Eingehen der Vorsehung auf jede Seinsweise; so leitet er den Menschen durch Sichtbares auf das Unsichtbare hin. Sichtbar ist der Sohn gesendet worden als der Urheber der Heiligung, der Geist als ihr Kennmal (indicium).
Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 105, Thomas von Aquino, Summe der Theologie 1: Gott und Schöpfung, S. 192-197
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlags, Stuttgart

Das Wesen Gottes ist sein Sein
Alles aber, was einem Ding zukommt, ist entweder aus den Prinzipien (Bestandteilen) seiner Natur entstanden, so wie lachensfähig im Falle des Menschen, oder es kommt von einem äußeren Prinzip (Ursache), so wie das Licht in der Luft durch die Einwirkung der Sonne. Es kann aber nicht sein, daß das Sein selbst von der Form oder Washeit eines Dinges selbst verursacht ist, ich meine so wie von einer Wirkursache, weil auf diese Weise ein Ding Ursache seiner selbst wäre und ein Ding sich selbst ins Sein führen würde: das ist unmöglich. Also muß jedes solche Ding, dessen Sein etwas anderes als seine Natur ist, das Sein von einem anderen haben. Und weil alles, was durch ein anderes ist, auf das zurückgeht, was durch sich ist, so wie auf eine erste Ursache, muß es ein Ding geben, das die Ursache des Seins für alle Dinge ist dadurch, daß es selbst nur Sein ist; sonst würde man im Falle der Ursachen ins Unendliche gehen, da jedes Ding, das nicht nur Sein ist, eine Ursache seines Seins hat, wie gesagt worden ist. Also ist offenbar, daß der Geist Form und Sein ist und daß er das Sein von einem ersten Seienden hat, das nur Sein ist, und dies ist die erste Ursache, die Gott ist. [...]

Es gibt nämlich etwas wie Gott, dessen Wesen sein Sein selbst ist; und daher finden einige Philosophen, die behaupten, Gott habe keine Washeit oder kein Wesen, weil sein Wesen nichts anderes sei als sein Sein. Und daraus folgt, daß Gott nicht unter eine Gattung fällt; denn alles, was unter eine Gattung fällt, muß Washeit außer seinem Sein haben, da sich die Washeit oder Natur der Gattung oder der Art gemäß der Beschaffenheit der Natur (der Gattung oder der Art) nicht gesondert in den Dingen, zu denen die Gattung oder die Art gehört, sondern das Sein ist verschieden in den verschiedenen Dingen. Aber wir dürfen, wenn wir sagen, daß Gott nur Sein ist, nicht in den Irrtum jener verfallen, die behauptet haben, Gott sei jenes allgemeine Sein, wodurch jedes beliebige Ding der Form nach sei. Dieses Sein nämlich, das Gott ist, ist von einer derartigen Beschaffenheit, daß zu ihm keine Hinzufügung gemacht werden kann, weshalb es durch eben seine Reinheit ein von jedem Sein unterschiedenes Sein ist.

Aus: Thomas von Aquin, De ente et essentia/ Das Seiende und das Wesen, Lateinisch/Deutsch
Übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Franz Leo Beeretz
Reclams Universalbibliothek Nr. 9957 (S. 51, 55-57)
© 1979, 1987 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages

Die Engelwelt
1. Wesen der Engel
Der Zweck der geschaffenen Dinge ist die Anähnlichung an Gott (assimilatio ad Deum). Weil nun Gott das Geschöpf durch Verstand und Willen hervorbringt , volle Ähnlichkeit aber des Gewirkten mit der Ursache es erfordert, daß es die Ursache gerade darin, wodurch sie die Wirkung hervorbringt, nachahmt, so verlangt die Vollkommenheit des Alls, daß es rein-verstandliche, stofflose Geschöpfe gibt. Das sind die von der Schrift so genannten Engel. Sie sind nicht aus Stoff und Form zusammengesetzt, sondern reine Formen. Bezüglich ihrer Zahl hat der Grundsatz zu gelten: je vollkommener die Wesen, um so mehr sind ihrer erschaffen; also ist für die edelste unter den Seinsarten eine die Zahl der stofflichen übersteigende anzunehmen. Während die zusammengesetzten Dinge von einer und derselben Art die bestimmende Wesensform gemeinsam haben und nur durch die Verbindung mit verschiedenem Stoff verschieden werden, sind die stofflosen Formen jede eine Art für sich. Aus ihrer Stofflosigkeit ergibt sich auch, daß sie unzerfällig, unsterblich sind, weil ja die corruptio in der Trennung von Stoff und Form besteht.

Wo in einem Seinsbereiche sich Unvollkommenes zeigt, in demselben muß etwas Vollkommenes vorherbestehen. So muß es in der verstandlichen Natur vollkommen verstandliche Wesen geben, die, um zu verstehen und zu wissen, nicht auf die sinnlichen Dinge, also ihrer Natur nach nicht auf die Vereinigung mit einem Leibe angewiesen sind: wir nennen sie Engel. Nehmen sie, wie sich aus der Schrift ergibt, Leiber an, so können solcherweise Lebenstätigkeiten (opera vitae) durch sie geschehen, aber nicht als wesenseigene von ihnen hervorgebracht werden.

Wie verhält sich das Engelwesen zum Raume? Es ist an einem Orte, aber nicht geortet wie der dimensive Körper, sondern nach Weise der Seele, die im Körper wirksam ist, durch kraftliche Wirkung an einer Örtlichkeit. Und da seine Kraft endlich ist und auf etwas bestimmtes Eines sich erstreckt, so ist es nicht, wie der unendliche Gott, überall, sondern eben dort, wo der Bereich seiner Wirkkraft ist. Als Örtlichkeit innehabendes Wesen und ausreichende Ursache für die Wirkung in seinem Felde ist es immer auch nur als Eines dort wirksam. Und nur in diesem Sinne, nicht im Sinne räumlicher Behinderung wie beim Körperlichen, ist zu sagen: es können nicht mehrere Engel an einem Orte sein.

Wie der Engel nicht nach Körperweise vom Ort enthalten ist, sondern kraftwirklich ihn enthält, so bewegt er sich auch nicht in stetigem Durchmessen des Raumes, sondern nur im Sinne des Wechsels seines Wirkungsreiches, wobei es ihm möglich, aber nicht notwendig ist, die Mittelorte zwischen dem einen und anderen zu berühren. Das Nacheinander seiner Wirkungen begründet auch einen gewissen Zusammenhang mit der Zeit, die ja nichts anderes ist als die Zählung des Vor und Nach in der Bewegung. Aber die Zeit, in der die Bewegung des Engels sich vollzieht, hängt nicht von der Bewegung der Himmelskörper ab. Sie kann unkontinuierlich sein, sodaß er in einem Augenblick an diesem, in einem anderen an jenem ist.

2. Die Erkenntnis der Engel
Da der Engel nicht, wie Gott, reines Wirklichsein ist, so sind in ihm Erkennen und Wesenheit nicht dasselbe. Sein Erkennen subsistiert nicht, besteht nicht für sich, sodaß Engelsein nur Eines wäre [gleichwie, wenn Menschsein an und für sich bestünde, es nur Einen wirklichen Menschen gäbe], sondern als Geschöpf hat er nur Vermögen, in diesem oder jenem Grade durch Teilhabe erkennend zu sein. Aus demselben Grunde sind auch seine Tätigkeit und sein Wirkvermögen von seinem Sein verschieden und wie bei jeder endlichen Wesenheit begrenzt. Verstand und Besinn (intellectus et mens) wird er genannt, weil seine Erkenntnis nur verstandlich, nicht, wie beim Menschen, zugleich auch sinnlich ist. Auch ist er gegenüber den Gegenständen seiner natürlichen Erkenntniskraft niemals im Zustande des bloßen Vermögens, zu erkennen, sondern immer in wirklicher Erkenntnis, und auch die Gegenstände sind nie bloß Erkennbares (etwa auf dem Wege über das Stoffliche), sondern immer Erkanntes. Darum entfällt hier auch die Unterscheidung von anwirkendem und möglichem Verstand (intellectus agens et possibilis Als Verstandwesen ohne Leib sind die Engel rein intellektive Geschöpfe und als solche die höchsten in der Ordnung des Alls.

Was nun das Erkenntnismittel betrifft, so kann der Engel nicht, wie Gott, alles vermittels seiner Wesenheit erkennen, die ja auf Gattung und Art hin bestimmt ist, während seine Verstandeskraft auf alles Wahre und Erkennbare sich erstreckt. Nun kommt aber in den zerfälligen Dingen die Form durch ihren beformten Stoff nicht voll und ausschließlich zum Ausdruck. So ist anzunehmen, daß die Engel nicht abstrahierend erkennen durch Erkenntnisformen, die sie von den Dingen her empfangen, sondern durch naturhaft inneseiende Ähnlichkeitsbilder, die Ideen, die ihnen anerschaffen sind und sie befähigen, das Nahe und Ferne ohne Wechsel des Ortes zu erkennen. Zahl und Umfang dieser Ideen finden sich in umgekehrtem Verhältnis. Was Gott in Einem erkennt, das sehen die erschaffenen Verstandwesen vielheitlich (per multa), in um so mehr Ideen, je tiefer sie stehen. Je höher also der Engel steht, desto weniger, aber auch umfassender und allgemeiner sind seine Ideen.

Was erkennt der Engel? Die unstofflichen und die stofflichen Dinge. Als sich selber tragendes Verstandwesen versteht er durch seine Wesenheit sich selbst, durch jene anerschaffenen Ideen aller Dinge auch die anderen Engel und durch sein Wesen, dem das Bild Gottes eingeprägt ist, auch Gott, aber nicht nach seiner Wesenheit, sondern als Spiegelung in seiner Engelnatur. Auch zur stofflichen Welt hat er ein Verhältnis, das seiner Seinsweise entspricht. Es gibt eine Ordnung des Seienden: was in den niederen Dingen mangelhaft, stückweise und vielheitlich da ist, findet sich in den höheren auch in höherer Weise, zusammengefaßter, ganzheitlicher und einfacher. Die Engel als die gottnächsten und gottähnlichsten Geschöpfe sind auch in ihrer Erkenntnis näher ,,dem höchsten Scheitel der Dinge“ (summo rerum vertice), in welchem alles in höchster Einfachheit überdinglich (supersubstantialiter) vorbesteht. ,,So besteht auch alles Stoffliche in den Engeln voraus, und zwar einfacher und unstofflicher als in den Dingen selbst, freilich vielheitlicher und unvollkommener als in Gott.“ Sie erkennen das Stoffliche dadurch, daß es in ihnen ist vermittels der entsprechenden Ideen.

Wiederum nach der Ordnung, daß das Höhere auch die geeintere, weiter sich erstreckende Kraft hat, so wie der Eine menschliche Grundsinn gegenüber den Einzelsinnen, erkennt der Engel durch Eine Idee viele Dinge, die einzelnen und stofflichen auch als solche. Seine Erkenntnis des Zukünftigen ist im Bereiche des aus seinen Ursachen notwendig oder wahrscheinlich Erfolgenden tiefer und sicherer als beim Menschen, das freifällig Künftige aber ist ihm wie jedem Geschöpf verborgen. Denn was noch nicht Natur hat, kann ihm in seinen Ideen noch nicht schaubar werden: die künftigen Dinge in ihrem wirklichen Sein sind allein dem Blicke (intuitus) Gottes ewig gegenwärtig. Auch unsere tiefste Innenwelt mit den geheimen Gedanken kennt er nicht, es sei denn aus den Wirkungen von Verstand und Wille her, die ihm verborgen sind; solche Wirkungen aber, also ihm erkennbar, sind auch schon unsere sinnliche Begehr und die Phantasie. Noch weniger erkennt er aus natürlicher Kraft die Geheimnisse der Gnade; aber sie in der Schau des Logos mitzuschauen, dazu begnadet ihn Gott, so reich und wann er will, und der reicher empfangende leuchtet sie dem tieferstehenden zu.

Selig den Logos und im Logos schauend ist der Engel immer vollwirklich (actu) erkennend, ebenso im Verhältnis zu seinen natürlichen Gegenständen; im Zustand der Möglichkeit ist sein Verstand nur insofern, als er nicht immer alle zugleich betrachtet. Aber die Grundweise seines Erkennens ist die des Zusammenschauens: er kann unter Einer Idee vieles auf einmal erkennen (wie der Menschenverstand Subjekt und Prädikat zugleich als zusammengehörige Teile eines Satzes), freilich nur den Gesamtgehalt einer Idee als solcher für sich, aber in der Erkenntnis der Dinge durch den Logos (per Verbum) erkennt er alles unter dem Einen Erkenntnisbild der göttlichen Wesenheit. Und weil er, was er erkennen kann, ohne weiteres auch wirklich erkennt, so entfällt bei ihm die diskursive Bewegung. Er ist intellectualis, der Mensch aber, wegen der Schwäche seines Verstandeslichtes auf Schlußfolgerung angewiesen, rationalis. Hätte der Mensch die Fülle des Verstandeslichtes wie der Engel, so erfaßte er im ersten Anblick der Ursätze schauenderweise schon alles, was aus ihnen zu folgern ist. Gleicherweise braucht es beim Engel nicht das zusammensetzende und trennende Verfahren des Urteils, sondern indem er das Subjekt hat, hat er auch alle seine möglichen Prädikate; aber er weiß von unsrer logischen Bemühung um Urteil und Schluß. Die Unmittelbarkeit seiner schauenden Erkenntnis schließt auch den Irrtum aus, es sei denn bei dämonischen Übergriffen in die Geheimnisse Gottes. Beim guten Engel besteht ein Unterschied der Leuchtkraft seiner Erkenntnis, je nachdem er die Dinge nach ihrem Sein im göttlichen Urwort, dem Logos, oder — über seine Ideen — nach ihrem Sein in der Geschaffenheit schaut. Mit Augustinus läßt sich hier von einer morgendlichen und abendlichen Erkenntnis (cognitio matutina — vespertina) reden.

3. Der Wille der Engel
Im Zuge alles Geschaffenen auf Gut hin erkennen die verstandbegabten Wesen als die höchsten die Natur von Gut selbst (darin eben besteht das proprium intellectus) und neigen zum Inbegriff aller Güter, dem bonum universale. Diese Neigung heißt Wille. Da nun die Engel durch den Verstand den alleinslichen Grund von Gut erkennen, so ist offenbar in ihnen Wille. Er ist aber, da sie nicht wie Gott das Allgut sind, sondern außer sich haben, weder mit ihrer Natur noch ihrem Verstande sachlich eins und dasselbe. Wie und weil nun ihr Verstand dem menschlichen überlegen ist, so und darum auch ihre Wahlfreiheit. Aber als rein verstandliche Strebung (appetitus intellectivus) ist ihr Wille ohne die Spannungen und Gegensätze der sinnlichen, je nur auf Teilgüter gerichteten Begehrung.

Der natürliche Willensakt des Engels ist Liebe. Wie alles in der Welt wird auch er, so sehr er als freies Wesen selber ein treibendes ist, von etwas getrieben, nämlich von der Neigung schier Natur, die der Urheber der Natur ihm einerschaffen hat. Natur als Dingwesenheit ist vor Verstand und darf von Verstand nicht aufgehoben, sondern muß von ihm bewahrt werden. Aller Natur aber ist gemeinsam, daß sie irgendwelche Neigung hat, d. i. ihre natürliche Strebung oder Liebe (appetitus naturalis vel amor), die je nach der Seinsweise der Naturen in jeder verschieden ist: in der erkenntnislosen gemäß der naturhaften Ordnung auf etwas hin, in der sinnlichen gemäß dem Sinnenbegehr, in der verstandlichen gemäß dem Willen. Eine solche ist der Engel, darum gehört es sich, daß in seinem Willen natürliche Liebe (dilectio) ist. Und sie ist recht, recht wie jeder amor naturalis. Denn die Neigung der Natur (inclinatio naturae) nicht recht zu nennen, heißt dem Schöpfer Abtrag tun. Diese natürliche Liebe ist Grundlage und bestimmendes Maß seiner wählenden (dilectionis electivae). Er liebt kraft Natur und freier Wahl sich selbst, kraft Natur die Mitengel, und mehr als sich selbst und alle Teilgüter liebt er mit der Notwendigkeit der Naturneigung das Allgut Gott.

4. Erschaffung, Bewährung und Fall der Engel
Als Kerngedanken treten hervor: Die Engel entstanden durch Gottes Schöpfermacht mit der Zeitlichkeit als gliedlicher Bereich im ordo rerum. Erschaffen mit der natürlichen Seligkeit ihrer Natur, mußten sie, versehen mit der gnadenhaften Möglichkeit, ihren Endzweck, jene übernatürliche Seligkeit, welche die Naturkraft jeglichen Geschöpfes übersteigt, erst durch Bewährung verdienen. So war auch hei ihnen der Adel der geschöpflichen Freiheit gewahrt. Die Sünde der Nichtbewährung konnte beim Engel in einer Verletzung seiner Ordnungsstellung zu Gott liegen: in dem Willen, ihm darin ähnlich zu werden, worin es ihm nicht zustand, oder sich selbst zu verdanken, was nur Gnade war und sein konnte. Nur durch Fall und Schuldigwerden der guten Engel, nicht von Natur, gibt es Dämonen, und sie sind auch nicht von ihrer Natur her böse: denn als verstandliche Wesenheiten können sie keinesfalls eine naturhafte Neigung (inclinationem naturalem) auf irgend welches Übel hin haben. Ihr Verstand ist nicht für jede Wahrheit verdunkelt, ihr Wille aber im Bösen verhärtet, wie der des guten Engels befestigt ist im Guten; denn wie der Engel sich entschieden hat, so bleibt er.
Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 105, Thomas von Aquino, Summe der Theologie 1: Gott und Schöpfung, S. 224-228
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlags, Stuttgart

Die gegenseitige Wegungsweise in der Schöpfung

Es ist nun zu erwägen, auf welche Weise ein Geschöpf das andere anwegt . Diese Überlegung wird in drei Teile zerfallen, so daß wir zuerst besinnen, wie die Engel bewegen, die rein geistige Geschöpfe sind; zweitens, wie die Körper bewegen ; drittens, wie die Menschen, welche aus einer geistigen und einer körperlichen Natur zusammengestellt sind .
Beim ersten begegnen unserer Erwägung drei Stücke; zuvörderst, wie Engel zu Engel tätig ist; alsdann, wie zu körperlichem Geschöpf drittens, wie zu Menschen
Im Bereich des ersten muß man überlegen die Lichtgebung und das Sprechen der Engel und ihre Reihung zueinander, die der guten sowohl , wie die der bösen .

Die Lichtgebung

1. Wegt ein Engel den Verstand des anderen an, indem er ihm aufleuchtet?
Ein Engel leuchtet dem anderen auf, insofern er ihm eine Wahrheit, die er kennen lernt, deutlich macht, entweder indem er dessen Vernunft stärkt, oder aus einem Ähnlichkeitsbild der Sache her, in welche er Einsicht hat.

2. Wegt ein Engel den Willen eines zweiten an?
Da ein Engel weder das AIleinsgut ist noch es vor Augen stellt, noch der Urheber der Vernunftnatur ist, so kann er eines zweiten Willen nicht wegen.

3. Kann der untere Engel dem oberen aufleuchten?
Da Ordnung von Ordnung umfaßt wird, wie Ursache unter Ursache einbeschlossen ist, so kann nicht ein niederer Engel einem höheren Einleuchtung geben, das natürliche und ordentliche Vermögen gemeint.

4. Beleuchtet der obere Engel den unteren über alles, was er kennen lernt?

Da Gut dem Wesen nach erfordert, daß es sich anderen vergemeinschaftet, so gehört es sich, daß die höheren Engel, welche in vollster Beteilschaft an der göttlichen Güte stehen, den unteren über alles Erleuchtung geben, was sie kennen gelernt haben: freilich so, daß die mit vollkommenem Wissen in der höheren Ordnung verbleiben.

Das Sprechen der Engel
Nun sind die Sprechweisen der Engel zu erörtern, worum fünf Fragen bestehen:

1. Spricht der eine Engel zu dem anderen?
Da ein Engel einem zweiten den Gedanken seines Besinns dadurch kund macht, daß, wer den Gedanken hegt, ihn mit seinem Willen dazu hernimmt, dem zweiten etwas deutlich zu machen, so ist festzustellen, daß ein Engel zum anderen spricht.

2. Der untere zum oberen?
Da der untere Engel das, was er im Besinn empfängt, dem höheren insohin kundtut, als es aus seiner Willensbildung, mehr aber von der Erstwahrheit abhängig ist, so spricht er zu ihm, flößt ihm aber nicht Erleuchtung ein.

3. Der Engel zu Gott?
Die Engel sprechen nicht zu Gott, ihm irgend etwas kund zu tun, sondern sie sprechen, sagt man, wann sie entweder seinen Willen, was sie tun sollen, befragen oder seine Erhabenheit bestaunen.

4. Wirkt beim Sprechen der Engel der örtliche Abstand etwas?

Da das Sprechen der Engel in einer Vernunfttätigkeit besteht, so bereitet der örtliche Abstand kein Hindernis.
5. Lernen das Sprechen des einen Engels zum zweiten alle kennen?
Da unter den Engeln der eine, was er eigen im Besinn erfaßt, aus irgend einer Ursache an den einen und nicht an den zweiten herangehen kann, so vermag eines Engels Sprechen der eine gewahr zu werden ohne die anderen.

Die geordnete Gliederung der Engel nach Heiligherrschaften und Reihen
Dann gilt es, die ordentliche Gliederung der Engel den Heiligherrschaften und Reibungen nach zu erwägen: es ist ja gesagt worden, daß die höheren die niederen belichten und nicht umgekehrt. Darum spielen acht Fragen:

1. Gehören alle Engel einer Heiligherrschaft an?

Von dem einen Fürsten, und das ist Gott, her gesehen, gehören die Engel und die vernünftigen Geschöpfe alle nur einer Heiligherrschaft an; aber von der unter dem Fürsten gegliederten Vielheit her gehören die Engel weder gemeinsam mit dem Menschen noch unter sich nur einer Heiligherrschaft an, bilden vielmehr schon die Engel unter sich drei Heiligherrschaften.

2. Ist in einer Heiligherrschaft nur eine Reihe?

In jeder Heiligherrschaft unterscheidet man drei Chorreihen:
die oberste, die mittlere und die unterste, je nach wechselndem Amt und Tun der Engel.

3. Sind in einer Reihe mehrere Engel?

Viele Engel stehen in nur einem uns bekannten Chor, aber jeder beliebige Engel hat seine eigene uns unbekannte Reihung.

4. Ist die Unterschiedlichkeit der Heiligherrschaften und Reihen von Natur?
Dem natürlichen Zweck gemäß unterscheidet man Reihen bei den Engeln nach den Naturgeschenken, aber dem übernatürlichen Zweck zufolge trifft man Unterscheidungen: im Sinne des Abschlusses nach den Gnadengeschenken und im Sinne der Bereitstellung nach den Naturgeschenken, bei den Menschen aber nur nach den Gnadengeschenken.

5. Die Namen und Eigentümlichkeiten der einzelnen Reihen.

Man führt neun Chöre der Engel namentlich auf: Seraphim, Cherubim, Throne, Mächte. Kräfte, Herrschaften, Fürstentümer, Erzengel und Engel, nach der Übereinstimmung nämlich mit ihren Geistesvollkommenheiten und Diensten.

6. Der Vergleich der Reihen zu einander.
Angesichts der Verschiedenartigkeit der Auslegung gerade der Reihennamen bei den Engeln erscheint eine unterschiedliche Einstufung einiger Chöre bei Dionysius und Gregorius auch nach der Schrift angängig.

7. Werden die Reihen den Gerichtstag überdauern?
Die Engelstände werden nach dem Gerichtstag in der Stufenunterscheidung verbleiben; in der Ausführung ihrer Ämter aber, werden sie teils verbleiben teils nicht.

8. Werden Menschen zu den Engelschören hinaufgenommen?
Mag auch der Naturenunterschied zwischen Menschen und Engeln immer bleiben, so können durch das Gnadengeschenk die Menschen doch eine so große Herrlichkeit verdienen, daß sie den Engeln auf den einzelnen Stufen gleichkommen: darin: besteht die Hinaufnahme der Menschen zu den Reihen der Engel.

Die Gliederung der bösen Engel
Die Erwägung geht zur Gliederung der bösen Engel über, inbetreff deren vier Fragen sich erheben:

1. Gibt es Stände unter den Dämonen?
Den Reihen der Engel gehören und gehörten die Dämonen nicht an nach dem Herrlichkeitsstand, wohl aber nach dem Gnadenstand, nach welchem sie verdienen konnten; und sie verbleiben in den Chören in Anlangung dessen, was die Natur besagt.

2. Gibt es unter ihnen Standesvorrang?

Da die Dämonen der Natur nach nicht gleich sind, so müssen notwendig der unteren Handlungen den Handlungen der oberen untertan sein: und sohin gibt es bei ihnen natürlich untergebenen und höheren Stand.

3. Erleuchtet einer den anderen?

Mögen auch die Dämonen durch irgend welche Wahrheitskundmachung sich gegenseitig Licht zu machen scheinen, so erleuchten sie doch eigentlich nicht, da sie trachten, alles von Gott abwendig zu machen.

4. Sind sie dem Standesvorrang der guten Engel unterworfen?
Am Standvorrang, der erstlich Gott zukommt, haben die Geschöpfe teil, und die vollkommeneren am meisten; darum haben die guten Engel über die bösen den Standesvorrang.

Der Vorsitz der Engel über die körperliche Schöpfung
Nun geht die Erwägung an den Vorsitz der Engel über die körperliche Schöpfung heran. Vier Dinge kommen in Frage:

1. Wird die Körperschöpfung von den Engeln verwaltet?
Da die körperliche Wirkkraft einzelzugeteilt, die engelhafte aber alleinslich ist, so wird die körperliche Schöpfung durch die Engel verwaltet.

2. Gehorcht das körperliche Geschöpf auf den Wink des Engels?

Wo nun aber die Engel den Wesungsstoff nicht in die Wirklichkeit der selbtragenden Wesungsform hereinführen können, was von Gott unmittelbar oder von irgend einem natürlichen Tuenden geschieht, heißt es mit Recht vom Wesungsstoff, daß er nicht Winkgehorcher der Engel ist.

3. Können die Engel mit eigener Wirkkraft unmittelbar Körper örtlich bewegen?

Da die körperliche Natur unterhalb der geistigen steht, und da die körperliche Bewegung die vollkommenste ist, so wird jene gegebenermaßen unmittelbar von der geistigen Natur dem Orte nach bewegt.

4. Können die guten oder die bösen Engel Wunder tun?

Das Wunder geht an der Ordnung der ganzen erschaffenen Natur vorbei. Da Gott allein kein Geschöpf ist, so kann also auch er allein aus eigener Wirkkraft Wunder tun

Die Tätigkeit der Engel an den Menschen
Des weiteren ist die Beschäftigung der Engel mit den Menschen zu überlegen. Zunächst, inwieweit sie diese mit ihrer natürlichen Wirkkraft verändern können; zweitens, auf welche Weise sie von Gott zum Dienst an den Menschen ausgesandt werden ; drittens, wie sie die Menschen behüten .
Das erste belangen vier Fragen:

Die Wirkungsmöglichkeit der Engel
1. Kann der Engel den Verstand des Menschen erleuchten?
Da die Menschen an Natur unterhalb der Engel stehen, so erhalten sie von ihnen Licht.

2. Kann er sein Gemüt erregen?

Da es zu Gottes Bereich gehört, den Willen zu geben, so steht es bei ihm auch eigentümlich ihn wirksam zu ändern; die Engel aber können es bloß auf dem Wege der Zurede oder der Erzeugung von Gemütsbewegungen.

3. Kann er seine Einbildung wandeln?
Da die Bilderscheinungen in unserer Einbildung zuweilen in örtlicher Verränderung der Körpergeister und Körpersäfte ihre Ursache haben, worin eine körperliche Natur einem Engel gehorcht, so folgt, daß sowohl der gute als auch der böse Engel mit der Wirkkraft seiner Natur die Einbildung des Menschen wegen kann.

4. Kann er sein Gesinn verändern?
Ein Engel hat die Möglichkeit einer Veränderung im Sinnen eben des Menschen entweder, indem er dem Gesinn von draußen her etwas Sinnfälliges entgegenhält, oder indem er drinnen die Säfte zu mannigfaltigen Sinneserscheinungen erregt.

Die Aussendung der Engel
Weiter geht die Überlegung auf die Aussendung der Engel über. Dazu ergeben sich vier Fragen:

1. Werden irgend Engel zum Dienst ausgeschickt?
Da Engel auf Herrscherbefehl Gottes mit der körperlichen Schöpfung zu tun haben, so sagt man mit Recht, sie werden zum Dienst ausgesandt.

2. Werden alle geschickt?
Nicht alle Engel werden ausgesandt, sondern insgemein nur die niederen; ausnahmsweise auch die höheren.

3.Üben die gesandten Beisitz aus?

Alle Dienstengel sind Beisitzer in der Schau der göttlichen Wesenheit aber allein die obersten drei Chöre sind Beisitzer in der Erfassung der Geheimnisse, welche in ihr spielen.

4. Aus welchen Reihen findet die Aussendung statt?
Nicht alle Engel der zweiten Heiligschaft werden in Dienst gesandt, wie aus den Namen der Reihen hervorgeht.

Die Obhut der guten Engel
Hiernach ist der guten Engel Obhut und der bösen Ansturm ins Auge zu fassen. Um das erste entstehen acht Fragen:

1. Werden die Menschen von Engeln beschützt?

Es ist notwendig, daß die Menschen von den Engeln behütet und bei den Werken in Richtung gehalten werden, sie gerade darin vielfachem Irren unterworfen sind.

2. Werden den einzelnen Menschen einzelne Engel zur Wache beigegeben?

Weil allermaßen vornan, um das ewig Dauernde Gottes Vorsehung es zu tun hat, und den verschiedenen Gattungen der Dinge, die bleiben, verschiedene Engel vorgesetzt sind, so entspricht es der Vernunft, daß auch die einzelnen der Wesungsform nach unvergänglichen Menschen in Einzelengeln ihre Wache haben.

3. Geht die Wache bloß die letzte Reihe der Engel an?
Die Sonderhut der Einzelmenschen geht die Engel der untersten Reihe an, die alleinsliche aber [über Gruppen] erstreckt sich auf alle Chöre.

4. Kommt es jedem Menschen zu, einen Schutzengel zu haben?

Die einzelnen Menschen haben im Zustand der Lebensfahrt wegen der mannigfachen Gefahren Engel zum Schutze beigeordnet; sind sie aber an das Ziel der Wanderschaft hingekommen, so werden sie keinen Beschützer, sondern entweder einen Engel zum Mitherrscher oder einen Strafdämon bei sich haben.

5. Wann beginnt die Schutzwache des Engels beim Menschen?

Da die Engelwache insgemein eine Wohltat ist, so wird nicht von der Taufe an, sondern von Geburt an ein Engel dem Menschen zum Schutze beigegeben.

6. Hat der Engel den Menschen immer in seiner Obhut?

Da die Engelshut eine gewisse Ausübung der göttlichen Vorsehung ist, die nirgendwann einmal gänzlich den Menschen verläßt, so verläßt auch nicht der Schutzengel jemals ganz den Menschen, mag er auch dann oder wann einmal nach Anordnung der göttlichen Ratschlüsse zulassen, daß er eine Fehle an Strafe oder Schuld erleidet.

7. Empfindet er Schmerz, wenn der Behütete verlorengeht?

Da in der Welt den Engeln nichts schlechthin nichtwillentlich geschieht, so empfinden sie keinerlei Schmerz über das Böse der Menschen, die sie betreuen.

8. Gibt es unter den Engeln Kampf aus Anlaß der Obhut?
Bei den Engeln kann es keinen Kampf geben in Zwietracht der Willensrichtungen, aber in der Gegensätzlichkeit der Verdienste, für welche sie eintreten, wenn es heißt, daß sie kämpfen.

Die Angriffe der Dämonen
Nun ist die Belagerung durch die Dämonen näher anzusehen, um welche sich fünf Fragen entwickeln:

1. Werden die Menschen von den Dämonen bekämpft?

Die Menschen werden von den Dämonen nur aus deren Bosheit bekämpft, von Gott selbst aber ist die Gegebenheit der Bekämpfung da.

2. Ist das Versuchen dem Teufel eigenbehörig?

Das Versuchen, mit einem Abstoß in die Sünde zu schaden, ist dem Teufel so eigenbehörig, daß es dem Menschen nur zukommt, wenn er sich zum Diener des Teufels macht.

3. Kommen alle Sünden der Menschen aus dem Ansturm oder der Versuchung der Dämonen her?
Alle Sünden der Menschen haben auf einem Umweg im Teufel ihre [Paradies-] Ursache, ihre gerade Ursache aber im freien Wahlentscheid.

4. Können sie wahre Wunder tun, um zu verführen?

Da die Wirkkraft der Dämonen geschöpflich ist, so können sie eigentlich keine Wunder tun: dehnt man diese Benennung auf alles aus, was die Menschenmöglichkeit übersteigt, so können sie Wunder tun, um die Menschen zu verführen.

5. Lassen sich die Dämonen, welche von den Menschen überwunden werden, von der Befehdung der Menschen abhalten?

Überwunden, läßt der Teufel bei ein und demselben von der Versuchung ab, nicht für immer, aber eine Zeitlang.
Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 105, Thomas von Aquino, Summe der Theologie 1: Gott und Schöpfung, S. 384-391
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlags, Stuttgart

Die Entrückung
1. Wird die Seele des Menschen zum Göttlichen hin entrückt?
Zuweilen wird die Seele des Menschen entrückt, sobald sie durch göttlichen Geist mit einer Entlösung vom Sinnfälliges zum Übernatürlichen erhoben wird. [Die Entrückung besagt eine gewisse Gewaltsamkeit. »Gewaltsam« aber heißt, »wobei der Bewegungsanfang draußen liegt und das Gewalt Erleidende nichts beiträgt«, wie 3. Ethic. (1 n 3) gesagt wird. Es trägt nun aber jedwedes zu dem bei, in was es der eigenen, sei es willentlichen, sei es naturhaften Hinneigung gemäß strebt. Somit braucht es, daß derjenige, welcher von etwas draußen hingerissen wird, in etwas hingerissen wird, was von dem verschieden ist, in das seine Hinneigung strebt. Diese Verschiedenheit kann nun zwiefach gesehen werden. In der einen Weise in Bezug auf das Ziel der Neigung: z. B. wenn der Stein, der naturhaft dazu hinneigt, daß er hinunterfällt, in die Höhe geworfen wird. In der anderen Weise in Bezug auf das Maß des Strebens z. B. wenn der Stein schneller hinuntergeworfen wird, als es seine natürliche Bewegung ist.

Zum Gemaß und zur Würde des Menschen gehört, daß er zum Göttlichen erhoben wird, ebendaher, daß „der Mensch nach dem Ebenbild Gottes gemacht ist“ (Gen. 9, 6). Und weil das göttliche Gut ins Unendliche hinein die menschliche Vermöglichkeit übersteigt, so bedarf der Mensch, daß ihm übernatürlich geholfen wird, jenes Gut zu erreichen: das geschieht durch jegliche Wohltat der Gnade. Daß nun dergestalt von Gott der Besinn durch die Entrückung erhoben wird, ist nicht der Natur entgegen, sondern liegt über der Vermöglichkeit der Natur.
Das Wort des (Johannes) von Damaskus (Gott regiere uns nicht mit Gewalt und gezwungen, De Fide Orth. 2, 30) ist in Bezug auf das zu verstehen, was durch den Menschen zu tun ist. In dem aber, was die Vermöglichkeit des freien Wahlentscheides übersteigt, hat der Mensch die Erhebung durch eine gewisse kräftigere Einwirkung nötig. Man kann sie in gewisser Hinsicht Zwang nennen, wenn man nämlich auf die Weise der Einwirkung sieht, nicht aber, wenn man auf das Ziel der Einwirkung sieht, in das die Natur des Menschen und sein Streben hingeordnet ist.]

2. Fällt die Entrückung mehr in den Bereich der erkennigen Kraft als in den der begehrigen Kraft? (Vgl. I II 28, 3)
Wiewohl der Mensch der Verstehkraft nach die Entrückung erfährt, so spricht man doch auch mit Recht bei der Begehrkraft von einem Zusammenhang mit der Entrückung, weil doch die Begehrkraft sowohl eine Ursache bei der Entrückung sein kann, wie sie auch durch die Entrückung bisweilen in Wegung kommt.

3. Hat Paulus in der Entrückung die Wesenheit Gottes geschaut? (Vgl. I 12, 11 zu 2)
Aus der Abhandlung. Aber dagegen spricht, daß Augustinus in der Schrift Über die Gottschau an Paulina (Ep. 147 al. 112, 13) feststellt: ,,Das Wesen Gottes selber konnte von einigen geschaut werden, die noch in diesem Leben standen, wie von Moses und Paulus, der in der Entrückung unsagbare Worte hörte, wie sie einem Menschen zu sprechen nicht gestattet sind.“

Ich antworte: Einige sagen, Paulus habe in der Verzückung nicht die Wesenheit Gottes selber gesehen, sondern einen gewissen Abglanz ihrer Helle. Das Gegenteil aber stellt offenbar Augustinus fest, nicht bloß in der Schrift über die Gottschau, sondern auch 12. Super Gen. ad Litt. (28). Das gerade bezeichnen auch die Worte des Apostels. Er sagt nämlich (2. Kor. 12, 4): ,,er habe unaussprechliche Worte gehört, die kein Mensch wiedergeben darf“. Dieser Art scheint aber das zu sein, was zur Schau der Seligen gehört, die über den Stand der Wanderschaft hinausliegt, gemäß Jes. 64, 4: ,,Kein Auge sieht es, o Gott, ohne dich, was du denen bereitet hast, die dich lieben.“ Somit heißt es richtiger, daß er Gott der Wesenheit nach geschaut hat.

4. War Paulus in der Entrückung den Sinnen entfremdet? (Vgl. 180,5)
Es ist unmöglich, daß der Mensch im Stande des gegenwärtigen Lebens Gott über die Wesenheit schaut, wenn er nicht der Sinne entlöst wird.

5. War die Seele des Paulus in jener Entrückung völlig vom Leibe getrennt? (Vgl. 180,5; I 12, 11)
Obwohl es notwendig war, daß der Verstand des Paulus in dessen Entrückung den Vorstellungsbildern und der Wahrnehmung des Sinnfälligen entzogen wurde, so brauchte doch seine Seele nicht so vom Leibe getrennt zu werden, daß sie als Wesungsform keine Einung mehr mit ihm hatte.

6. Wußte Paulus nicht, ob seine Seele vom Leibe getrennt war?
Als Paulus in den dritten Himmel entrückt war, wußte er nicht (weder vorher noch nachher), ob da noch seine Seele mit dem Leibe verbunden oder vom Leibe getrennt war.

Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 109, Thomas von Aquino, Summe der Theologie 3: Der Mensch und das Heil, S. 560-562
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlags, Stuttgart