Gustav Mensching (1901 – 1978)

Deutscher Religionswissenschaftler, der nach seiner Habilitation im Jahre 1927 an die lettische Staatsuniversität in Riga berufen wurde, wo er acht Jahre lang lehrte. Im Jahre 1936 kam er nach Bonn und übernahm dort den Lehrstuhl für Vergleichende Religionswissenschaft. Mensching betrachtete die christliche Religion als Teil der allgemeinen Religionsgeschichte. Seine Forschung galt vor allem der Erscheinungswelt der Religion, ihren Strukturen und Gesetzen, sowie der Religionssoziologie.

Siehe auch Wikipedia

Inhaltsverzeichnis
Wesen und Ursprung der Religion
Die Schöpfungsvorstellungen der großen Religionen

Wesen und Ursprung der Religion

Nach einem bekannten Worte Goethes ist das eigentliche Thema der Weltgeschichte der Kampf des Glaubens mit dem Unglauben. Diese Tatsache wird heute wieder erneut sichtbar, denn die Front des Unglaubens hat sich in unseren Tagen in unerhörter Weise formiert. Angriffe auf die Möglichkeit der Religion werden indessen am besten auf ihre Berechtigung hin untersucht, indem man die Frage nach dem Wesen der Religion stellt und sachgemäß beantwortet.

Das soll in dieser religionswissenschaftlichen Behandlung Frage nach dem Wesen der Religion, die zugleich die Einleitung zu einer Reihe von Vorträgen über die Einzelreligionen ist, geschehen. Wir fragen, was ist Religion, und versuchen begrifflich das zu erfassen, was in lebendigen Zeugnissen als Religion sichtbar ist. Dabei wird eines sogleich deutlich, nämlich, dass man diese Frage nicht beantworten kann, wenn man nicht eine ungefähre Ahnung von dem hat, was man unter Religion verstehen will, denn sonst könnte man die geschichtlich gegebenen Phänomene nicht finden, welche die Grundlage der Definition bilden sollen. Wir müssen also wissen, es handelt sich um bestimmte Erscheinungen, die irgendwie mit einer überirdischen Wirklichkeit zu tun haben. Diese ganz allgemeine Feststellung muss getroffen werden, ehe wir auf die Suche gehen nach Phänomenen, welche in diesen Bereich fallen, um von ihnen hernach ihr Wesen auszusagen.

Unter diesem Gesichtspunkt stellen wir zunächst eine Reihe von lebendigen Zeugnissen verschiedener Religionen unseren gedanklichen Betrachtungen über das Wesen der Religion voran.

In einem ägyptischen Text heißt es vom Sonnengott Amon-Re:
»Er ist zu geheimnisvoll, als dass man sein Wirken aufdecken kann. Er ist zu groß, als dass man ihn erforschen kann, und zu mächtig, als dass man ihn kennen kann. Man stürzt auf der Stelle in einem gewaltsamen Tod hin, wenn man seinen geheimen Namen ausruft, den man nicht kennen darf«.

Das alte Babylon sang von der höchsten Gottheit und der Bestimmung der Menschen: »Du, der du den Menschen erschufest, ihm den Dienst an den Göttern be¬stimmtest: Der Mensch vergesse dein Wort nimmermehr, Er, der dein ist, das Werk deiner Hände«.

Im 504. Psalm lesen wir von Gott und der Stellung des Menschen zu ihm :»Der die Erde anblickt, da
ss sie zittert, die Berge anrührt, dass sie rauchen, ich will Jahve singen mein Leben lang, meinem Gott lobsingen, solange ich bin«.

Der
iranische Prophet Zarathustra bezeugt seine Gottesbegegnung mit folgenden Worten: »Nun will ich verkünden, was mir der Heilige gesagt hat, das Wort, das für die Sterblichen am besten zu hören ist. Alle, die mir diesem Wort Gehorsam leisten, werden durch ihre Werke der guten Gesinnung hineingehen in die Vollkommenheit und Unsterblichkeit«.

Von der tiefen Frömmigkeit indischen
Vishnuglaubens zeugt das folgende Textwort: »Er, der die Schwäne weiß gefärbt, die Papageien grün geziert, den Pfauen gab die bunte Pracht, wird meine Sache wohl versehn. Ob ich gehe oder stehe, schlafe oder bete an, ob ich Psalmen singe, esse, trinke, oder was ich tu, immer weilt mir auf der Spitze meiner Zunge dieses Wort, dieser eine, dieser Werte Name: O Narayana«.

Der Mystiker des Fernen Ostens,
Laotse, sagt vom Göttlichen: »Man schaut nach ihm und sieht es nicht: sein Name ist das Unerkennbare. Man horcht nach ihm und hört es nicht: sein Name ist das Unvernehmbare. Man greift nach ihm und bekommt es nicht: sein Name ist das Unerfassbare«.

Kleanthes, ein griechischer Stoiker um 330 v.Chr., singt von Zeus: »Höchster der Unsterblichen, viele Namen nennen dich, ewig allmächtiger Zeus, dich, den Urquell allen Werdens, der nach ewigen Gesetzen herrscht im All«.

Der Prolog des
Johannesevangeliums spricht von dem ewigen Wort, das in Christus in die Welt kam: »Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf; wieviele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben«.

Und der Apostel Paulus sagt von der geheimnisvollen Kraft offenbarenden Gottesgeistes: »Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist. Welches wir auch reden, nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Heilige Geist lehrt«.

Und schließlich noch ein Wort aus dem
Koran. Da heißt es in der ersten Sure: »Gelobt sei Gott, der Herr der Welten, der Allbarmherzige, der Erbarmer, der König des Gerichtstags! Dir dienen wir, dich rufen wir um Hilfe an, führ uns den Weg, den geraden«.

Diese beispielhaften Zeugnisse aus verschiedenen religiösen Welten mögen in ihrer eindrucksvollen Verwandtschaft die Grundlage bilden für die Beantwortung unserer Frage nach dem Wesen der Religion. Wir fragen: Was ist die Lebensmitte aller dieser religiösen Bekenntnisse, was ist Religion? Ich glaube, dass man das innerste Wesen dessen erfasst, was in diesen Worten sich bekundet, wenn man sagt:

Religion ist erlebnishafte Begegnung des Menschen mit dem Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen.

Wir werden diese Definition im einzelnen erläutern und vertiefen. Aber zunächst schon ist sichtbar, daß mit dieser Rahmendefinition ausgeschlossen ist eine Missdeutung der Religion in bestimmten immer wiederkehrenden Richtungen, nämlich einerseits ist völlig ausgeschlossen, Religion als eine Art vorwissenschaftlicher Welterklärung anzusehen, und auf der anderen Seite kann man Religion auch nicht als eine theologisch sanktionierte Moral definieren. Beides ist geschehen und geschieht auch weiterhin, obwohl bereits Schleiermacher gegen diese beiden Missdeutungen der Religion in seinen berühmten »Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern« Front gemacht hatte. Gehen wir also im einzelnen die vorangestellte eigene Definition durch, und analysieren wir die Elemente, die in dieser Rahmendefinition, bewusstermaßen formal zunächst, gegeben sind, dann zeigt sich folgendes:

zunächst einmal Begegnung, erlebnishafte Begegnung mit heiligen Mächten. Das bedeutet also, dass der Ort der Begegnung und die Art der Begegnung festliegen. Erlebnishafte Begegnung soll es sein, und das Objekt der Begegnung sind heilige Mächte. Es handelt sich also um Erfahrung, um lebendige Erfahrung, die im Innern des menschlichen Subjektes vor sich geht. Und diese Begegnung geschieht in der weiten Welt irdischer Erscheinungen. Direktes unmittelbares Objekt der Begegnung sind sinnliche Eindrücke anschaulicher Art: das heilige Wort, die Person, das Leben in Natur und Geschichte, das eigene Schicksal. Alle diese vordergründigen Bezirke des Lebens sind der Ansatzpunkt der Begegnung mit dem Heiligen, das darinnen sich bekundet. Und so ist die eigentliche Frage also die:


Was ist das Heilige, das uns in diesen Eindrücken und sinnlichen Erfahrungen begegnet? Wir beziehen uns nun hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung dessen, was das Heilige ist, auf das damals epochemachende Buch von Rudolf Otto »Das Heilige« , das 1917 in erster Auflage erschienen ist und vor wenigen Jahren die 26, Auflage erreichte. In diesem Buche wird erstmalig die Frage gestellt, worin das eigentümliche Wesen des religiösen Objektes, also eben des Heiligen liegt. Diese Frage aber wird nicht beantwortet, indem spekulativ irgendwelche Theorien über Gott und Jenseits aufgestellt werden, sondern indem gerade von der Erkenntnis aus, dass man das Heilige nicht in wissenschaftlicher Erkenntnis erfassen kann — der Umweg über den Menschen genommen wird. Die Frage ist also:

Was meinen religiöse Menschen in aller Welt und in allen Religionen, wenn sie bekunden, dass sie vom Heiligen ergriffen seien, wenn sie, wie in unseren Texten, bezeugen, irgendwo und irgendwie dem Heiligen begegnet zu sein? Was finden sie bei sich selber für eine Bestimmtheit vor, die ja feststellbar ist, eine Bestimmtheit, deren entsprechender bestimmender Gegenpol eben das Heilige ist, das nicht in unmittelbarer wissenschaftlicher Erkenntnis zugänglich ist? Darauf antwortet Rudolf Otto:

Das Heilige ist das Numinose, und zwar das Numinose, das nun eben nicht mit den Begriffen des Rationalen und vor allem des Moralischen identisch ist, sondern die Reaktion auf das Heilige, durch die wir das irrationale Heilige umschreiben, ist eine eigentümliche Gemütsbestimmtheit. Und eben dieses Heilige minus seines sittlichen Gehaltes nennt Otto das Numinose. Dieses Numinose aber erscheint als das ganz Andere, als das Überweltliche, das Unirdische. Diese Ausdrücke, die aus dem Bereich des Räumlichen ja genommen sind, sind aber eben nicht räumlich gemeint, sondern sind Qualitätsbegriffe, welche eine Modalität des Seins, eine Modalität der numinosen Wirklichkeit aussagen. Das Numinose ist nicht grundsätzlich das Außerweltliche, es vermag ja eben auch innerhalb dieser Welt erfahren zu werden. Aber es ist das grundsätzlich Andere als alles Weltliche, es ist ein Etwas, das sich aller Vergleichbarkeit entzieht, und das nicht einzuordnen ist in die bekannten irdischen Kategorien. Wie ich schon sagte:

Der Erscheinungsbereich dieses Numinosen ist das natürliche Sein, ein Stück Welt, an dem Überweltliches, Unweltliches erfahren wird. Will man noch näher die Erfahrung des Heiligen, wie sie sich in den vorangestellten Texten bekundete, von der Seite des Subjektes her definieren, dann bedient man sich, und das hat sich weithin durchgesetzt, der von R. Otto dafür geprägten Begriffe. Zunächst einmal ist es das mysterium tremendum, das heißt das Zittern erregende Geheimnis. Dieses Heilige wirkt auf den Menschen, indem es ihn erhebt, aber zugleich erdrückt, indem es Zittern in ihm erregt und ein Gefühl des Befremdetseins. Es ist der heilige Gott, der ferne und unnahbare, der geheimnisvolle Gott.


Alle diese Bildbegriffe wollen auf dieses eine, erste, grundlegende Moment in der Erfahrung des Heiligen hinweisen, nämlich auf das Abdrängende, das Befremdende, das den Menschen in seiner Geschöpflichkeit erzittern Machende. Daneben steht in merkwürdiger Kontrastharmonie ein zweites, das R. Otto das Fascinans nennt, das Anziehende, das Beglückende die Erfahrung des ewig begehrenswerten Gutes, etwa im Sinne des Dichterwortes:

»
In tiefen Nächten grab‘ ich dich, du Schatz,
Denn alle Überflüsse, die ich sah,
Sind Armut und armseliger Ersatz
Für deine Schönheit, die noch nie geschah.«

Auch dieser Wert, dieses Beseligende und Beglückende, ist unvergleichbar. Es ist ein absoluter Selbstwert, kein dienender Wert. Es ist das absolut Beglückende. Alle diese Begriffe, wie gesagt, deuten an, aber sie erschöpfen nicht. Ein Drittes kommt hinzu, das nennt Otto das Augustum, und damit meint er nun wiederum eine Qualität des Heiligen, die er umschreibt durch die Reaktion des Menschen auf sie, nämlich als Abwertung der Modalität des empirischen Seins. Wenn Jesaia in seiner großen Berufungsvision sagt: »Ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen«, so bedeutet das Abwertung der gesamten irdischen Existenz des Menschen als eines Wesens in einer ungöttlichen, unheiligen Wirklichkeit. Und eben den entsprechenden Wert innerhalb der Welt des Heiligen nennt Otto das Augustum, das Erhabene.

Wenn wir also gesagt haben, dass Religion einerseits Begegnung des Menschen mit dem Heiligen ist, so steht auf der anderen Seite die Reaktion: antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen. In dieser zweiten Seite der Definition ist die Reaktion des Menschen ausgesprochen, die zum Wesen der Religion unbedingt dazugehört und auch in den Texten deutlich hervortrat. Religion ist eben nicht nur Gefühl, nicht nur Erlebnis, sondern auch Antwort auf dieses Erlebnis und diese Antwort im weitesten Sinne. Es bedeutet, dass der Mensch, der hier jetzt handelt, in den verschiedenen Bezirken möglichen Handelns vom Heiligen bestimmt ist. Insofern ist damit gesagt, dass Religion entscheidend eine Lebensform ist und nicht etwa eine Denkform oder eine spekulative phantastische Vorstellungsform. Alles das ist Religion eben nicht, sondern sie ist eine Lebensform, die sich aus den Elementen zusammensetzt, von denen wir sprachen.
Antwortendes Handeln aber ist eine bewusst formale und umfassende Bezeichnung. Denn selbstverständlich ist antwortendes Handeln auf vielen Gebieten möglich. Es gehört hierher schon die Antwort, die im Mythos, der religiösen Frühsprache der Menschheit, gegeben ist. Schon der Mythos ist eine Antwort, und das Gebetswort ist selbstverständlich Antwort in diesem Sinne, wie
Augustin sagt:»Du würdest mich nicht suchen, wenn du mich nicht schon gefunden hättest«. Hierher gehört natürlich der breite Bereich des Kultus, der selbstverständlich ebenso ein Handeln, und zwar ein antwortendes Handeln ist. Es gehört weiter hierher die Welt des Sittlichen und der religiösen Kunst, natürlich auch alle theologischen und rationalen Versuche begrifflicher Selbstklärung dieser Erfahrung. Alles das gehört in den Bereich des antwortenden Handelns, und alles das gehört, mit dem Moment der Begegnung mit dem Heiligen zusammen, zum Wesen der Religion.

Nachdem wir so das Wesen der Religion begrifflich umschrieben haben, wollen wir das Gesagte dadurch noch weiter verdeutlichen, dass wir in Kürze uns mit den mancherlei Theorien auseinandersetzen, die den Ursprung der Religion erklären sollen. Dabei wird sich zeigen, dass die meisten dieser Ursprungstheorien zum ständigen Rüstzeug aller durch die Zeiten sich ziemlich gleichbleibenden Angriffe auf die Möglichkeit von Religion innerhalb der modernen Welt und ihres Weltbildes gehören. Zugleich aber lässt sich zeigen, dass diese Theorien eine Auffassung vom Wesen der Religion voraussetzen, die religionswissenschaftlich als überwunden gelten muss.

Da ist zunächst die soziologisch-positivistische These zu berücksichtigen, welche besagt: Religion ist aus sozialem Elend entsprungen, indem verelendete Schichten zum Trost für irdisches Ungemach sich ein seliges Jenseits erträumten, in dem alle Wünsche erfüllt sind, die ihnen hier ewig versagt bleiben. Die führenden Schichten aber haben diesen illusionären Glauben bewußt gepflegt, um die Geführten ihr soziales Elend vergessen zu machen. Die Verbesserung der irdisch-wirtschaftlichen Verhältnisse wird daher die Religion in wachsendem Maße aufheben. Diese Theorie ist schon von der Religionsgeschichte her zu widerlegen, denn manche Religion, wie z.B. der Buddhismus, ist geradezu inmitten von Glanz und Reichtum entstanden. Die erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen ist, wie gesagt, in den verschiedenen Bereichen des Lebens möglich, und wenn beobachtet wurde, daß manche Religion, wie z.B. das Christentum, bevorzugt unter Mühseligen und Beladenen entsprang und gedieh, dann bedeutet das durchaus nicht, dass Armut die Wurzel der Religion ist, sondern, dass die Begegnung mit dem Heiligen denen leichter möglich ist, deren Inneres, aus Mangel an irdischen Gütern, nicht durch diese Welt absorbiert ist, sondern offen ist für die überirdische Welt. Eben deshalb pries Jesus die Armen selig, und nicht weil er Armut selbst für einen Wert hielt.

Immer wieder begegnet die Erklärung der Religion aus primitivem Erkenntnistrieb. Religion wäre dann vorwissenschaftliche Welterklärung, deren Ergebnisse durch die spätere, heutige exakte Naturwissenschaft in wachsendem Maße widerlegt werden. Die Möglichkeit von Reli-gion würde daher mit fortschreitender Erkenntnis aufgehoben werden, da ihre Wahrheit sich als Irrtum herausstellt. Bei diesem Versuch, Religion zu erklären und gleichzeitig zu bekämpfen, zeigt sich besonders deutlich, daß dabei von einem falschen Verständnis lebendiger Religion ausgegangen wird. Der Sinn religiöser Aussage über Gott und Welt liegt nicht im Rationalen. Religiöse Aussagen sind nicht aus Erkenntnistrieb entstanden, sie sagen vielmehr religiöse Begegnung mit dem Heiligen aus, z. B. im Mythos, dessen für uns schwer nachvollziehbare Phantastik nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß ein Mythos echte Wirklichkeitserfassung enthält und darstellt. Ausgesprochen wird sie freilich in Vorstellungsformen, die dem Weltbild des Frühzeitmenschen gemäß waren. Die im Mythos — wie in allen anderen religiösen Ausdrucksformen — gegebene Erfassung numinoser Wirklichkeit ist das zeitlos Gültige darin, die Wahrheit, die von keiner das Weltbild korrigierenden Wissenschaft widerlegt werden kann.

An dieser Stelle darf ein Wort über den Begriff der Wahrheit in der Religion gesagt werden. Wahrheit kann man verstehen als Richtigkeit einer Aussage über einen objektiven Sachverhalt. Eine solche Aussage ist richtig, wenn ihr rationaler Inhalt mit dem Sachverhalt übereinstimmt. Man kann aber unter Wahrheit auch die objektive Wirklichkeit selbst verstehen, wenn man etwa sagt, man habe die Wahrheit erkannt. In diesem doppelten Sinne begegnet uns nun auch in der Religion der Begriff der Wahrheit. Die göttliche Wirklichkeit wird in religiösen Texten nicht selten als Wahrheit bezeichnet, wie z. B. in einem Psalm, in dem es heißt: »deine Wahrheit reicht, soweit die Wolken gehen«. Hier ist Wahrheit nicht die Richtigkeit von Aussagen, sondern die göttliche Wirklichkeit selbst. Die andere zuerst genannte Anwendung des Begriffes Wahrheit im Sinne von Richtigkeit kann in der Religionswelt legitim und illegitim sein. Legitim ist sie dann, wenn man damit die in jeder Glaubenserfahrung gegebene religiöse Erkenntnis meint, auf die ja die Begriffe richtig und falsch anwendbar sind. Man muß sich aber dabei bewußt sein, daß diese Art der religiösen Erkenntnis nicht mit rational-wissenschaftlicher Erkenntnis identisch ist, so daß nicht einfach der rationale Inhalt der Glaubensaussage »wahr« im Sinne von richtig sein kann, sondern wahr ist eine solche Aussage, wenn mit ihr, d. h. in ihrem symbolischen Begriff, religiöse Wirklichkeit erfaßbar ist. Illegitim aber ist der Begriff Wahrheit als Richtigkeit in der Religion, wenn man die religiöse Aussage als rationale Erkenntnisaussage auffaßt und mit wissenschaftlicher Erkenntnis gleichsetzt. Hier setzt dann die berechtigte Kritik rationaler Wissenschaft ein, und es entsteht der Konflikt von Glauben und Wissen, der in lebendiger Religion nicht möglich ist. In dieser Auffassung religiöser Wahrheit als rationaler Richtigkeit wurzelt die intolerante Verfolgung fremder religiöser Meinung.

Bis in die Antike reicht der Versuch zurück, Religion als menschliche Erfindung zur moralischen Lenkung der den Gesetzen des Staates widerstrebenden Menschen zu erklären. Auch diese Theorie ist eindeutig falsch, denn die Religionsgeschichte beweist, daß die Gottheiten der Frühzeit gerade keine moralischen Qualitäten haben und auch nicht notwendig moralische Richter sind über das Tun der Menschen.

Immer wieder begegnet bis in die Gegenwart der Gedanke, die Gottesvorstellungen seien phantasievolle Personifizierungen der Naturgewalten denen sich der Mensch hilflos ausgeliefert fühle. Man begründet diese These durch den Hinweis auf die vielen Götter, die, wie der Gott des Gewitters, des Regens, der Fruchtbarkeit usw., eindeutig Naturvorgänge zu ihrem Funktionsbereich haben. Die Naturbeziehung vieler Gottheiten der Religionsgeschichte ist selbstverständlich nicht zu leugnen, sie bedeutet aber nicht, daß Gottheiten aus Personifikation von Naturkräften entstanden seien. Die Gottheiten werden ja auch nicht mit der Natur und ihren Kräften identifiziert, wohl aber, und das bestätigt unsere Definition des Wesens der Religion, begegnet der Mensch in den Naturvorgängen, zumal in den ihn erschütternden, dem Heiligen. Der Sonnengott ist daher nicht die Sonne, aber die Sonne freilich ist sein Symbol. Durch eine phantasievolle Personifizierung der Naturkräfte entständen übrigens auch niemals heilige Götter, sondern bestenfalls gesteigerte Menschengestalten, denen das Wesentliche am Gotteswesen fehlte, das Moment des Heiligen, und heilig sind die Gottheiten der Religionsgeschichte. Das ist ihre, sie von allen bloßen Phantasieerzeugnissen unterscheidende Qualität. Das Heilige kann man nicht erfinden, man muß ihm erlebnishaft begegnet sein.

Feuerbach hat die Behauptung aufgestellt, die ihm vielfach nachgesprochen wurde, »Götter sind die in göttliche Wesen verwandelten Wünsche der Menschen«. So ist es nach seiner Ansicht vor allem der Selbsterhaltungstrieb, der angesichts des Todes das Jenseits erfand.

Auch diese These ist schon von der Religionsgeschichte her als falsch zu erweisen, denn es gibt viele Religionen, die gar nicht an einer persönlichen Unsterblichkeit interessiert sind, und die gerade den natürlichen Selbstbehauptungstrieb des Menschen bekämpfen, wie der Buddhismus und alle asketische Mystik. Religion ist dann also gerade nicht aus elementaren Wünschen der Menschen und aus ihren Bedürfnissen entstanden, sondern sogar gegen ihre natürlichen Triebe.

Es ist auch unmöglich, Religion aus der Furcht abzuleiten, wie es ebenfalls bereits in der Antike geschah. Daß Dämonenfurcht, zumal im Bereich der Naturreligion, eine wichtige Rolle spielt, ist sicher. Aber man verwechselt Ursache und Wirkung, wenn man erklärt, aus der Furcht sei Religion entsprungen, denn ehe man sich fürchtet, muß man Wesen begegnet sein, die zu fürchten sind. Die Dämonen sind früher als die Dämonenfurcht, man kann jene nicht aus dieser ableiten. Religion ist eben primär Begegnung mit den Heiligen. Religion ist auch nicht aus dem Wunder entstanden, sofern man Wunder modern definiert als Durchbrechung des natürlichen Kausalzusammenhanges, denn in der Frühzeit kannte man kein Naturgesetz, das durch wunderhafte Ereignisse hätte durchbrochen werden können. Man kannte nur den gewohnten Ablauf der Naturvorgänge. Das Ungewöhnliche, aber darum nicht naturgesetzlich Unmögliche, war für den naiven Menschen die bevorzugte Offenbarungsform der Gottheit. Damm setzt die Erfahrung des Wunderbaren den religiösen Glauben voraus, sie begründet ihn aber nicht. Im Neuen Testament ist dieser Sachverhalt besonders deutlich; denn hier werden Ereignisse, die wir Wunder nennen, entweder »Zeichen« oder »Krafttaten« (dynameis) genannt. Eben dies aber bedeutet, daß nicht ihre Beziehung zu einem (gar nicht bekannten) Naturgesetz berücksichtigt wird, sondern vielmehr die in ihnen erlebbare Kraft des Heiligen. Darum sagte Goethe, diesen Sachverhalt richtig erkennend: »Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind«. Endlich muß darauf hingewiesen werden, daß Religion, wie wir sie analysiert haben, geschichtlich nur in den Einzelreligionen wirklich ist. Diese Einzelreligionen haben zwar alle ihre einmalige und unverwechselbare »Lebensmitte«, aber abgesehen von ihrem gemeinsamen Religionscharakter lassen sich in ihnen Grundstrukturen erkennen, die bestimmte Religionen wieder zu Gruppen zusammenschließen. Die elementarsten Grundstrukturen sind die der »Volksreligion« und der »Universalreligion«. Die Grundstruktur der Volksreligion ist durch folgende Momente charakterisiert: In der Volksreligion ist primärer Träger eine vitale Gemeinschaft (Familie, Sippe, Stamm, Volk). Die Mitgliedschaft dieser sakralen Gemeinschaft begründet Anteil am gegebenen Heil, d.h. Kontakt mit der Gottes- oder Götterwelt. Diese Gottheiten sind auf jene Gemeinschaften bezogen und beschränkt. Das Heil wird bewahrt durch den öffentlichen Kultus. In der Universalreligion ist dagegen Träger der inzwischen zum Selbstbewußtsein erwachte Einzelne. Dieser Einzelne findet sich vor in einem existentiellen Zustand des Unheils, der Isolierung vom Heiligen. Die Gottheit ist universal, und in der Religion wird ein universales Heil angeboten, das erst verwirklicht werden muss.

Was ist Religion? Erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen. Sie entspringt weder aus rationaler Naturerklärung noch aus menschlicher Phantasie, sondern aus echter Erfahrung einer heiligen Wirklichkeit, in der menschliche Existenz verankert sein muß, wenn sie ganze, heile, also im Heil sich vollziehende Existenz sein will. Um dieses Heil kreist alle Religion, sei es, daß das gegebene Heil bewahrt werden soll wie in den frühen Volksreligionen, sei es, dass es erst gewonnen werden muss wie in den späten universalen Erlösungsreligionen. In diesem Sinne sagte Laotse: »Die da Meister waren in der Vergangenheit, die waren im Verborgenen eins mit den unsichtbaren Mächten«. S.11ff.

Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 228, Die großen nichchristlichen Religionen unserer Zeit, In Einzeldarstellungen, Das Heidelberger Studio, eine Sendereihe des Süddeutschen Rundfunks
Copyright 1954 by Alfred Kröner Verlag Stuttgart, Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart


Die Schöpfungsvorstellungen der großen Religionen
»Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde und die Erde war wüste und leer und es war finster auf der Tiefe und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.«»Im Anfang wandelte er, der Eine, sich um zu einem Goldkeim. So zustandegekommen ward er dann der Herr des Gewordenen. Fest hingesetzt hat er die Erde und dann auch diesen Himmel da.« »Im Anfang war Eines nur, Eines ohne ein Zweites«.

Das sind Zeugnisse aus weit auseinander liegenden Welten, aus der israelitischen und aus der indischen Religionswelt. Es sind Dokumente der Weltbetrachtung, der religiösen Weltbetrachtung, Dokumente, die ein Beweis dessen sind, daß verschiedenste Religionen zur Welt in sehr ähnlicher Beziehung stehen, nämlich in der, daß sie diese Welt auf göttliche Ursache irgendwie zurückführen. Ehe wir uns mit den Schöpfungsvorstellungen der verschiedenen großen Religionen hier befassen, ist es wünschenswert, eine grundsätzliche Klarstellung der Beziehungen von Religion und Welt einleitend zu versuchen. Wir stellen die Frage: welcher Art ist die Beziehung von Religion und Welt? Wenn man Religion falsch definiert, und als eine vorwissenschaftliche Welterklärung auffaßt, wie es der Rationalismus aller Zeiten getan hat und tut, eine Auffassung, welche nahe gelegt wird durch die tatsächliche Befassung der Religion mit der Welt, im Mythos nämlich, dann ist die Folge die, daß man eine wachsende Aufhebung der Religion und ihrer Aussagen durch die wissenschaftliche Welterklärung annehmen muß. Der Religion würde dann, eben wenn sie so aufgefaßt wird und ihre Dokumente als eine Art vorwissenschaftlicher Welterklärung angesehen werden, in wachsendem Maße der Boden entzogen werden. Das aber ist eine Fehldeutung der Religion, und eine Fehldeutung folglich auch des Mythos, der aus ihr erwächst. Wo der Mythos nach Welterklärung aussieht, wie eben da, wo er von der Weltschöpfung etwa spricht, ist die innere Voraussetzung eine völlig andere Haltung als sie der wissenschaftlichen Weltbetrachtung und Welterforschung zu Grunde liegt. Es gibt also eine Beziehung von Religion und Welt, aber eben nicht im Sinne der Welterklärung.

Denn Religion ist erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen. Die Konsequenzen, die sich für das Verhältnis von Religion und Welt daraus ergeben sind folgende: weil Religion eine erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen ist, ist die Welt, diese anschaubare Wirklichkeit, die primäre Stätte solcher Begegnung mit dem Heiligen, sie ist das vorzüglichste Objekt der religiösen Erfahrung, wie Schleiermacher schon gesagt hat: »Religion ist Anschauung und Gefühl des Universums.« Darunter verstand er Witterung des Ewigen und Heiligen im Endlichen. Aus dieser erlehnishaften Begegnung gestaltet die mythische Phantasie und die phantastische Spekulation der menschlichen Frühzeit Vorstellungen, Gedanken und Bilder über den Ursprung und den Bau der Welt. Das nennen wir dann ein religiöses Weltbild, das wir von der religiösen Weltanschauung unterscheiden. Wir sagen noch einmal: der Mythos ist nicht primär Erklärung der Welt, sondern er ist der vielfach phantastische Ausdruck einer Begegnung mit heiligen Mächten in und an der Welt. Darüber hinaus aber taucht die Frage nach dem Sinn und nach dem Wert der Welt auf. Da haben wir es dann mit Weltanschauung im eigentlichen Sinne zu tun, denn hier liegt eine prinzipielle und reflektierte Deutung der Welt seitens der Religion vor. Der Vordergrund, die sichtbare Welt, gewinnt in den höheren Religionsformen eine eigene Problematik hinsichtlich ihres Wertes, ihrer Realität, ihres Sinnes und ihres Zieles. Und daraus wiederum folgt dann die jeweilige Stellung und Aufgabe des Menschen in der Welt. Das ist eine weitere Beziehung von Religion und Welt und zwar eine praktische, die die Welt als Objekt des Handelns betrachtet, also eine religiös bestimmte Welteinstellung. Wir haben also folgende Momente zu unterscheiden: zunächst einmal die Welt als Erlebnisobjekt, als Stätte der Begegnung mit dem Heiligen und daraus entspringend eben jene mythischen Vorstellungen z. B. über den Ursprung der Welt, mit denen wir es hier allein zu tun haben werden. Davon unterscheiden wir die Welt als Gegenstand der religiösen Weltdeutung, das ist religiöse Weltanschauung im eigentlichen Sinne, verbunden schließlich damit, daß die Welt Objekt praktischer Einstellung, sei es positiver, sei es negativer Art, wird. Alle diese möglichen Be-ziehungen spielen zwischen Religion und Welt.

Wir haben nun die Aufgabe, uns mit den wesentlichsten und charakteristischsten Vorstellungen, die, wie gesagt, aus der Begegnung mit dem Heiligen in der Welt erwachsen, zu beschäftigen, mit den Weltentstehungsvorstellungen. Wir beginnen mit Babylonien und Assyrien. Die alte babylonische Religion besaß ein Weltschöpfungsepos, Enuma elisch, genannt nach den ersten Worten »als droben«, nämlich als droben die Sterne noch nicht geschaffen waren. Diese altbabylonischen Vorstellungen handeln davon, daß die Gottheit Marduk, der große Gott von Babel, die Welt geschaffen hat. In einem Text des genannten Epos heißt es:

»Er bestimmte weise der Sterne Wandel, der Götter Abbild sah er in ihnen, er bestimmte den Jahrlauf in weiser Fügung, drei Sterne wählt er für alle Monde, nach der Jahreszeit schuf er die Himmelsbilder, schuf die Sonne, der Sterne Führer, des Himmels Norden gab er an Enlil, den Süden an Ea, daß niemand sich irre. Er öffnete weit des Himmels Schranken und versah die Pforten mit Schlössern. Den Mond ließ er glänzen und gab ihm die Nacht, und monatlich krönt er sein lichtes Kommen.«

Dieser Text zeigt den besonderen Charakter dieser babylonisch-assyrischen Religionswelt. Sie ist eine Astralreligion:der Lauf der Sterne ist in besonderer Weise das Urbild menschlichen Geschehens und Geschickes. Das alles aber schuf ein Gott, Marduk, nachdem er in einem mythischen Kampfe den Drachen des Urchaos, Tiamat, besiegt hat, um dann die Welt aus dieser Urmaterie zu gestalten.

In Ägypten begegnen uns ebenfalls Vorstellungen über die Schöpfung der Welt. Der Gott Rê, der Sonnengott, siegt, wie Marduk, ebenfalls über ein Urwesen des Chaos, über Apophis, die Schlange. Er war im Anfang im Urwasser, Nun, das die Erde umgibt und unterspült. Da erschuf Rê Schû und Tefnût, das erste Götterpaar aus seinem Speichel, dann schuf er in seinem Herzen die Welt, und aus den Tränen seiner Augen entsprangen die Menschen. Und an einer anderen Stelle heißt es: »Er befahl, und die Götter entstanden, er ist der Vater der Götter, der die Menschen machte, und der die Herden schuf . . . Er ist der, der das Kraut machte für die Herden und den Fruchtbaum für den Menschen, er schafft, wovon die Fische im Strom leben und die Vögel unter dem Himmel.«

Eine dritte religiöse Welt kennt den gleichen Gedanken. Es ist Iran, das alte Persien, wo die Religion Zarathustras entstand. Auch sie, wahrscheinlich babylonisch beeinflußt, kennt die Idee der Schöpfung. Es handelt sich um eine religiöse Weltbetrachtung, die in besonderer Weise dualistisch gestaltet ist. Die Weltschöpfung geschieht hier in einer doppelten Form. Nämlich einerseits wird zunächst vom guten Geist die geistige Welt geschaffen, die gute geistige Welt, und danach erfolgt andererseits, ebenfalls durch den guten Geist, die sogenannte zweite Schöpfung, nämlich die Schöpfung der guten körperlichen Welt. Aber dann erzählt der Mythos, daß in diese nach Geist und Körper gesonderte gute Welt der böse Geist einbrach und nun seinerseits zu den guten geistigen und körperlichen Wesen böse geistige und körperliche Erscheinungen schuf, so daß nun also ein doppelter Dualismus durch die ganze Schöpfung geht nach iranisch-mazdaistischer Auffassung: nämlich die Spaltung in gut und böse und in Geist und Körper, wobei das Gute und das Böse jeweils auf die geistige und auf die körperliche Welt verteilt ist. Also auch hier finden wir die gleichen Vorstellungen — nämlich: einen Schöpfergott und in diesem Falle dann auch noch zur Erklärung des Bösen in dieser gut geschaffenen Welt, das Schöpfungswirken eines numinosen Gegenspielers negativer Art und eines Kampfes in der Urzeit.

Von dem babylonischen bzw. dem vorderorientalischen Weltbild beeinflußt, begegnen uns nun die bekannten Weltschöpfungsvorstellungen im Alten Testament. Hier ist es nun so, daß uns zwei Schöpfungsberichte vorliegen, die durch Jahrhunderte von einander getrennt sind. Der älteste Text, der von der Schöpfung handelt, steht im 1. Buche Mose Kap. 2, Vers 4 ff. Hier wird eine eng begrenzte Welt uns vor Augen gestellt, wenn es da heißt: »Zur Zeit als Jahve Erde und Menschen machte, gab es auf Erden noch gar kein Gesträuch auf den Fluren, und noch sproßten keine Pflanzen auf den Fluren, denn Jahve hatte noch nicht regnen lassen auf der Erde, und Menschen waren noch nicht da, um den Boden zu bebauen. Es stieg aber eine Quelle auf und tränkte die ganze Oberfläche des Erdbodens. Da bildete Jahve den Menschen von Erde und hauchte in seine Nase Lebensodem, so wurde der Mensch ein lebendes Wesen«. Das sind die Worte dieses zweiten Schöpfungsberichtes des sogenannten Jahvisten, wie man den unbekannten Schriftsteller nennt. Er ist, wie gesagt, der erste und älteste. Es ist noch ein primitiver Gottesbegriff, der hier zu Grunde liegt: Gott formt die Geschöpfe aus Erde, wie der Töpfer seine Gefäße bildet, und wie es auch in Ägypten gelegentlich von dem Gotte Chnum erzählt wird, daß er Menschen aus Ton auf einer Töpferscheibe schuf. Und dann führt Jahve in jenem Bericht die Tiere vor den Menschen zu seiner Gesellschaft. Als aber diese Gesellung scheitert, schafft Jahve aus der Rippe des Mannes ein Weib. Der Tiefsinn in diesen Vorstellungen ist offenkundig: das Leben wird als Einblasung Gottes aufgefaßt und Mann und Weib streben nach Gemeinschaft, weil sie ursprünglich eins waren. Der viel später gestaltete Schöpfungsbericht, der am. Anfang des Alten Testaments steht, also 1. Mose 1. bis 2. Kap. Vers 3, aus einer Quellenschrift, die man den Priesterkodex nennt, und die etwa um 450 v. Chr. verfaßt wurde aber selbst wohl älter ist, zeigt einen viel weiteren Blick. Es liegt eine gewisse Systematik darin: erst werden die Elemente geschaffen, dann die Einzelwesen, erst das Niedere, dann das Höhere und zuletzt der Mensch. Aber selbstverständlich ist das keine Wissenschaft in unserem Sinne, die hier spricht, sondern es ist ein echter Mythos, der von einer supranaturalen Gottesidee zeugt im deutlichen Unterschiede von anderen vorderorientalischen Schöpfungsvorstellungen, denn dieser Gott steht außerhalb der Welt, er ist der eine und der einzige Gott, der hier die Welt schafft. Aber es ist doch durchaus eine Abhängigkeit von diesen vorderorientalischen Vorstellungen insofern gegeben, als nach diesem biblischen Schöpfungsbericht am Anfang das All Wasser war, der Urozean, der in der babylonischen Welt durch Tiamat repräsentiert war und im Alten Testament als tehôm, Meer, erscheint. Auch sonst sind zweifellos Beziehungen gegeben, mit denen sich die Wissenschaft vielfach beschäftigt hat. Aber es ist ganz deutlich, daß in dem biblischen Schöpfungsbericht ein sehr viel tieferes Erleben sich ausspricht, und daß die Elemente, die etwa übernommen sind aus der fremden Welt, in sehr tiefer und eigener Weise umgestaltet wurden.

In diesem späteren Schöpfungsbericht des Alten Testamentes sind noch folgende Einzelmomente von Interesse: die bekannten Anfangsworte lauten »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, die Erde aber war wüste und leer (tohu wa bohu)« — die Erde, von der hier die Rede ist, kann nicht unsere Erde sein, denn jene ist »wüst und leer« und es entsteht erst hernach durch göttliches Schöpfungswirken das dreigeteilte irdische All: nämlich Lufthimmel, Erde, Meer. Unter »Himmel und Erde« im ersten Vers des Alten Testaments wird daher auch nicht die irdische Welt sondern das ebenfalls nach vorderorientalischer Auffassung dreigeteilte himmlische All zu verstehen sein, das vor dem irdischen All geschaffen wird. Man muß wissen, daß es allgemeine Anschauung jener Zeit und Welt war, daß dem dreigeteilten himmlischen All, das aus Himmelszonen, aus einer Art Erde, dem Firmament nämlich, und dem himmlischen Himmel besteht, ein ebenfalls und ebenso geteiltes irdisches All entspricht: Meer, Erde und Lufthimmel.

Diese Vorstellungen stehen offenbar auch noch hinter dem biblischen Schöpfungsbericht. Die himmlisch-überirdische Dreiteilung ist im Alten Testament nicht weiter beibehalten worden, aber es herrscht deutlich die Vorstellung, daß in dem dreigeteilten himmlischen All das dreigeteilte irdische All hängt. Es ist weiterhin sichtbar, daß nach der Meinung des Verfassers von Genesis 1. das irdische All aus dem Urwasser hervorgegangen ist. Im 7. Vers wird ja ausdrücklich die Schöpfung einer Veste beschrieben, »als Scheidewand zwischen den Gewässern unterhalb und oberhalb der Veste«. »Und Gott nannte die Veste Himmel«. An dieser Veste, darunter man also das himmlische Erdreich zu verstehen hat, werden die Sterne befestigt, wie es im 17. Verse wörtlich heißt. Die irdische Erde, wenn ich so sagen darf, tritt auf göttliches Schöpfungswort hin aus dem sie noch überflutenden Urwasser hervor: »Da sprach Gott: Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort, so daß das Trockene sichtbar wird... Und Gott nannte das Trockene Erde die Ansammlung der Gewässer aber nannte er Meer«. Es ist also ganz deutlich, daß hier nicht von derselben Erde die Rede ist wie im ersten Verse. Die irdische Erde ist also, wie in Babylonien, als auf dem Wasser schwimmende Insel vorgestellt.

Mit den Vorstellungen über die Schöpfung im Alten Testament hängen selbstverständlich die des Christentums und dann auch die des Islam engstens zusammen.

Im Neuen Testament begegnet uns grundsätzlich und im allgemeinen dieselbe Vorstellung, daß Gott die Welt geschaffen hat, wie im Alten Testament. Neu aber ist im Neuen Testament einerseits die eschatologische Wendung, die hier hineinkommt. Die Auffassung also, die be-sagt, daß diese gegenwärtige Welt nur eine vorübergehende Dauer hat, daß eine neue Welt zu erwarten ist, wie es im 2. Petrusbrief (3, 13) heißt: »Wir erwarten neue Himmel und eine neue Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnt«.

Und ein zweiter Gedanke kommt neu hinzu, das ist die christologische Wendung, daß nämlich der Gedanke der Schöpfung nun nicht mehr nur auf die konkrete anschaubare Welt angewandt wird, sondern daß die geistig religiöse Welt der Menschen im Innern als Schöpfung, und zwar als neue Schöpfung angesehen wird im Sinne des Wortes aus dem 2. Korintherbrief (5, 17) — »Wo einer in Christo ist, da ist neue Schöpfung«.

Im Islam, der sich bekanntermaßen weithin auf alttestamentliche Vorstellungen stützt, finden wir wieder eine Schöpfungsvorstellung, wie sie aus dem Alten Testament uns schon bekannt ist. Da heißt es in einer der Suren des Koran (17, 23 ff.): »Er schuf den Himmel und die Erde nach festem Plan, er ist erhaben ob jeder Abgötterei. Er schuf den Menschen aus einem Tröpfchen. Siehe, und nun ist er ein offener Widersacher. Und die Haustiere schuf er auch, an denen ihr habt Wärmendes und Nutzungen und eßt Von ihnen. Er ist es, der gesandt vom Himmel Wasser, von dem ihr Trinken habt, von ihm Gebüsch auch, unter dem ihr weidet«.

Während wir in diesen Beispielen deutlich von Schöpfung im Sinne eines Schaffens und Machens seitens einer personalen Gottheit gehört haben, wenden wir uns jetzt einer anderen Gruppe von Religionen zu, in denen ein anderer Typus von Weltentstehungsvorstellungen uns begegnet. Zunächst Indien. Interessanterweise finden wir in der reichen Welt Indiens beide Motive, von denen ich sprach, zusammen: auf der einen Seite das reine Schöpfungsmotiv. Da ist z. B. die Rede von einem Urkampf mit chaotischen Mächten und von einem Sieg über sie. So heißt es etwa im Veda von Indra, dem Drachentöter und Demiurgen, daß er von den Göttern, wie Marduk in Babylonien, den Oberbefehl erhielt, den Drachen tötete und eine Welt erschuf. Von grundsätzlich anderer Art aber ist nun die Weltentstehungsvorstellung, die in Indien eigentlich dominiert. Da heißt es schon im 10. Buche des Rigveda, einem jüngeren Teil dieses ältesten Religionsdokumentes Indiens:

»Nicht war Nichtseiendes, nicht Seiendes war damals, nicht war Luftraum, nicht Firmament über ihm. Was webte damals, wo, in wessen Schutz? War etwa Nebel das unergründliche Tiefe? Nicht Tod, nicht Leben war da, nicht unterscheidendes Merkmal zwischen Nacht und Tag. Das atmete, jedoch in eigener Weise, ohne Hauch, das Eine, von ihm verschieden war sonst nichts vorhanden.« Das ist diejenige religiöse Intuition, die hinter der Mannigfaltigkeit dieser gestaltenreichen, aber in ständigem Werden und Vergehen befindlichen Welt »im Anfang« das Eine sieht, das Undifferenzierte, Ewige, das keine Eigenschaften dieser endlichen Welt hat, das etwas ganz Anderes ist und auf völlig eigene Weise da ist, ein Irrationales, erdenfernes Ursein.

Auch die religiöse Welt Chinas kennt nicht eine Schöpfung durch ein persönliches göttliches Wesen. Die Religion, die hier seit frühen Tagen lebt, nennt man nach einem Wort des Sinologen de Groot »Universismus«. Es ist die Vorstellung, daß die drei Grundelemente der Welt: Himmel, Erde, Mensch eine kosmische Einheit bilden auf Grund der intimen Wechselwirkung, in der sie stehen. Der Mensch vereint in sich die Elemente des männlichen und weiblichen Prinzips (yang und yin). Beide aber haben ihre Entsprechung in Himmel und Erde, dem lichten schöpferischen und dem dunklen empfangenden Element. Das All bildet somit eine umfassende Harmonie, der sich der Mensch einzufügen hat durch Beachtung der Ordnungsgesetze, die das Ganze durchwalten. Es wird hier also weniger danach gefragt, wie das All entstanden ist als vielmehr, woraus es besteht, und wie das Geschehen in der Welt durch Wandlungen und Kombinationen bewirkt wird.

Das sind einige markante Beispiele aus der Fülle der religiösen Weltentstehungsmythen, die, wie wir noch einmal sagen, aus religiöser Erfahrung des Heiligen und Ewigen in der Welt erwachsen sind, und die Ausdruck solcher Begegnung sind.

Wir fragen nun, welche typischen Möglichkeiten zeigen diese Beispiele hinsichtlich der Frage nach der Entstehung der Welt. Es sind, wie wir sahen, im Wesentlichen zwei große Grundformen: nämlich einerseits Schöpfung, andererseits Emanation, Entwicklung. Die Schöpfung und die Schöpfungskategorie, die hier angewandt wird, ist der Ausdruck eines bestimmten Erlebens, nämlich des Gewirktheitsbewußtseins des Menschen und seiner Welt. Die Voraussetzung dafür ist die bestimmende Macht der wirkenden numinosen Mächte. Der Mensch steht dieser Welt gegenüber, erfährt in ihr und durch sie hindurch sich selbst als abhängig von dem Heiligen, als total gesetzt und bestimmt. Das Schöpfungsbewußtsein, das der bildhafte Ausdruck dieses Erlebens ist, schließt zugleich eine Bewertung der Welt ein. Diese Welt ist gesetzte Realität und zwar eine wert- und sinnvolle Realität. Die setzende Macht aber erlebt der Mensch hier als persönliche Willensmacht, die das Daseiende gestaltet und ihm einen Sinn und ein Ziel verleiht.

Die andere Weise der Weltentstehung im Glauben der Religionen ist der Gedanke der Emanation. Hier wird die Welt nicht als gemacht, als geschaffen angesehen, sondern als geworden, geworden aus einer Ursubstanz, einer Urwirklichkeit. Das Verhältnis dieser beiden Möglichkeiten zu einander soll uns zum Schluß noch kurz beschäftigen.

Wir beobachten also einerseits dieses Ausströmen der Vielheitswelt aus der Einheit einer göttlichen Urwesenheit. Darin spricht sich das Bewußtsein der Verwandtschaft des Menschen und seiner Welt mit göttlicher Wirklichkeit aus. Aber es handelt sich nicht um eine Verwandtschaft dieser konkreten anschaubaren Welt mit dem Göttlichen, sondern ihres eigentlichen Wesens, das hinter dieser erscheinenden Vielheit intuitiv erlebt und erschaut wird. Dieses Ewige ist der Welt immanent. Auch hier liegt also das Bewußtsein zu Grunde, daß diese Welt nicht aus sich, sondern aus einem ganz Anderen geworden ist. Wo dagegen die Schöpfung betont wird, da wird ein bewußter Akt einer schaffenden Gottheit angenommen, wobei die Transzendenz des persönlichen Schöpfers vorausgesetzt und betont wird. Und dieses Gefühl des Ganz-Anders-Seins der Gottheit gegenüber allem Weltlichen und Hiesigen wird hier in der Form der Transzendenz ausgesprochen.

Betrachtet man die Weltentstehungsvorstellungen der Religionen vergleichend, so zeigt sich, daß bestimmte Religionen zu jener Emanationsidee neigen, während andere ganz ausdrücklich und dominierend den Gedanken der Schöpfung durch einen persönlichen und transzendenten Gott betonen. Das sind einerseits die Religionen, die die Nähe und Immanenz eines unpersönlich Göttlichen betonen, die man als mystische Religionen bezeichnet. In ihnen dominiert der Gedanke der Emanation, des Werdens aus dem Ursein. Bei diesen Religionen ist es nun so, daß die Realität der Welt als Erscheinung weitgehend verneint wird, ja, daß, wie in Indien, die Welt geradezu als Täuschung und Illusion aufgefaßt wird. Auf der anderen Seite stehen die prophetischen Religionen, die die Gottheit als leidenschaftlichen Willen erleben, der die Welt als Wirklichkeit ins Dasein ruft und ihr, wie schon bemerkt, Wert und Sinn verleiht.

Vielfach gehen beide Vorstellungen auch nebeneinander her, ein Beweis dafür, daß Transzendenzerlebnis und Immanenzerlebnis im Grunde in jeder Frömmigkeitserfahrung nebeneinander liegen und nur verschiedene Aspekte sind, die in einzelnen Religionen verschieden stark betont werden.

Endlich muß noch darauf hingewiesen werden, daß uns vielfach auch die Idee der Emanation und der Schöpfung aus dem Nichts begegnet. Was ist das für ein Nichts? Die Mystiker sprechen häufig von dem Nichts. Das Nirvâna wird gelegentlich das Nichts genannt, Angelus Silesius spricht von Gott als einem Nichts und Übernichts. Dieses Nichts ist also nicht ein ontologisches Nichts im empirischen und irdischen Sinne, sondern es ist das Absolute, das nicht mit irdischen Kategorien, besonders auch nicht mit der irdischen Kategorie des »Seins« im endlichen Sinne benennbar ist. Und der Sinn der Behauptung des Werdens aus dem Nichts bedeutet in diesem Zusammenhange, daß es kein Werden aus einem gleichgearteten und auf gleiche Weise seienden Sein gibt, sondern nur ein Werden aus einem ganz Anderen, dem Ewigen und Heiligen. Es ist ein echtes religiöses Anliegen, dies zu betonen. Aber da, wo im Sinne der Schöpfungsidee von einem Machen aus dem Nichts, von einer creatio ex nihilo, wie etwa im christlichen Dogma, die Rede ist, da liegt auch dieser Vorstellung der Gedanke zu Grunde, daß in der Schöpfung ein geheimnisvoller Übergang sich ereignet von einer andersartigen heiligen Welt zur Welt der endlichen Gestalten. Der Gedanke der Schöpfung legt ja nahe, anzunehmen, daß vom Material her eine Gleichgeartetheit dessen, aus dem die Welt geschaffen wird, mit der späteren Welt vorläge. Das soll aber ausgeschlossen werden dadurch, daß eine Schöpfung aus dem Nichts, also aus keiner vergleichbaren Weltsubstanz angenommen wird. Zugleich liegt in dieser Formulierung das Moment des Gebeimnisses: »Machen aus dem Nichts« das ist ein Symbolbegriff für das schlechthin Andere, aus dem die Welt geschaffen wird.

Die Weltentstehungsmythen beginnen zumeist mit den Worten »im Anfang«. Diese Aussage offenbart zugleich den eigentlichen Sinn der Mythen. Zwar ist das Wort »Anfang« ein Zeitbegriff, aber er ist hier eben nicht zeitlich gemeint. In Indien z. B. begegnen uns kâla und akâla, die Zeit und die Nichtzeit, als Seinsformen des ewigen Brahman. Kâla, die Zeit, läßt alles Seiende und Vergehende entstehen. Zeit ist das Prinzip der Veränderung. Akâla, die Nichtzeit, aber ist das eigentliche Sein an sich. Und darauf bezieht sich auch der Begriff des Anfangs. »Anfang« heißt im Lateinischen principium.

In principio, im Anfang im Prinzip, im Eigentlichen. war, wie das Johannesevangelium etwa sagt, das »Wort«, das die Welt schuf. Was die Mythen von der Weltentstehung berichten, vollzieht sich »in principio«, vollzieht sich in einer zeitlosen Zeit, in einer Nichtzeit, in dem, was außer aller Zeit liegt, was hinter allen sichtbaren Veränderungen eigentlich geschieht. Darum sind die Mythen der Weltschöpfung zugleich das rituelle Mittel, durch das man in der menschlichen Frühzeit durch kultisch-dramatische Wiederholung der Mythen das urzeitlich Eigentliche, das Heilige, zu realisieren trachtete, wodurch man alles Endliche ständig neu in das Ewige einzubeziehen suchte. Der Mythos hat es darum eigentlich nicht mit der vordergründigen Welt zu tun, obwohl er von ihr redet. Dann wäre, was der Mythos von der Entste-hung der Welt in concreto sagt, durch Wissenschaft zu korrigieren. Solche Korrektur aber ist nicht möglich und nicht notwendig, denn der Mythos handelt vom eigentlichen Ursein als göttlichem Hintergrunde der Welt, aus dem alles geworden ist und auf das alles Gewordene bezogen ist und bezogen bleiben muß, denn »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis«, ein Gleichnis nämlich des Unvergänglichen.
S.9ff.
Kröner, Stuttgart, Krögers Taschenausgabe Band 230, Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie, Eine Vortragsreihe, Das Heidelberger Studio, eine Sendereihe des Süddeutschen Rundfunks
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