Hans Lassen Martensen (1808 – 1884)
Dänisch-lutherischer
Theologe und Bischof von Seeland, der eine Synthese zwischen Christentum und seinem Zeitaltalter herstellen wollte, indem er die kirchliche Lehre durch spekulative Elemente zu einer mystisch-theosophischen
Theologie zu erweitern suchte. Martensen wurde von Kierkegaard deshalb heftig angegriffen. Siehe auch Wikipedia |
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Die theologische
Voraussetzung
Der ethische Gottesbegriff.
Gott der allein Gute.
§. 16. »Niemand ist gut, denn der einige Gott« (Matth.
19, 17).
Gott aber könnte nicht der allein Gute
sein, wenn er nicht die vollkommene Persönlichkeit wäre. Persönlichkeit erkennen
wir nur da, wo ein Wesen
zu sich selber Ich sagt und selbstbewusst sich selber behauptet, oder will. Dieses ist die höchste Form der Existenz,
und muss daher dem höchsten Wesen, wenn es überhaupt als existierend
gedacht werden soll, ohne die jedem geschaffenen Ich eigene Beschränkung,
in eminentem Sinne zukommen.
Wie viele Versuche man auch gemacht hat, Gott
als überpersönliches Wesen zu denken, indem man über
den Begriff der
Persönlichkeit, als einen vermeintlich zu beschränkten, zu anthropomorphischem,
hinausging, ihn »transzendierte«:
alle diese Versuche haben dennoch zu keinem höheren und besseren Resultate
geführt, als dass man den Höchsten sich als ein unterpersönliches
Wesen, als ein Wesen, das an Bedeutung tief unter der Persönlichkeit steht,
vorstellte, sei es, dass man ihn als ein abstrakt
logisches
Wesen, eine bewusstlose Vernunft,
eine blinde Weisheit
dachte, oder als ein physisches Wesen, eine blinde Naturmacht,
oder endlich als eine Einheit
von beiden, ein unbestimmt ideal-reales
Prinzip u. dgl.,
jedenfalls das Eine so sehr, als das Andere, dem wissenden und wollenden Geiste
an Würde weit nachstehend, auch völlig ungeeignet, zum Erklärungsgrunde
einer Welt des Selbstbewusstseins
und der Freiheit,
einer Welt der Sittlichkeit zu dienen, und ebenso unvermögend, die ausschließliche
Geltung und Auktorität, sowie den endlichen Sieg des Guten zu verbürgen.
Das im ethischen Sinne Gute findet sich überhaupt
gar nicht außerhalb der Persönlichkeit und ihres Reiches. Gibt es
etwas, was in absolutem Sinne gut heißen darf; gibt es ein unbedingt Wertvolles
– und dieses bleibt doch die unabweisbare Forderung und Überzeugung
des Menschengeistes und Menschenherzens -: so kann Solches nur in einer absoluten Persönlichkeit vorhanden sein, welche in dem
unendlichen Reichtume ihres Inhaltes,
in vollkommener Einheit des Wesens und der Existenz,
sich selbst bestimmt als die vollkommene Freiheit, das Endziel ihres freien
Wollens aber als das höchste Gut. Die Grundvoraussetzung daher, ohne welche
die Ethik sich selbst
aufgeben müsste, ist der ethische Gottesbegriff, welcher den logischen und den physischen Begriff nicht ausschließt, sondern
sie beide als seine Momente einschließt. Denn die vollkommene
Gottheit trägt Beides, vollkommenes Wissen und vollkommenes Vermögen
(Allweisheit und Allmacht) als ihre Attribute in sich. Gott, der vollkommen Wollende, ist zugleich der vollkommen Wissende
und Könnende.
Man hat gefragt, ob das Gute darum gut sei, weil Gott es will, oder
ob er das Gute darum wolle, weil es in sich selber gut ist. Die Scotisten im Mittelalter behaupteten
das Erstere, Plato dagegen und Thomas
von Aquino das Zweite. Dem einen wie dem anderen dieser Sätze
haben sich große Missverständnisse angehängt, und die richtige
Antwort lässt sich einzig aus dem Begriffe der Persönlichkeit selbst
ableiten. Die Scotisten lehren: das Gute sei gut, weil Gott es wolle, da er in seiner Allmacht, seiner höchsten Souveränität bestimme, was als gut gelten solle;
und wenn er das Entgegengesetzte für gut erklärte, so müsste
auch dieses gut heißen, weil eben Gottes Majestätsrecht, auf seiner
ewigen Machtvollkommenheit beruhend darin bestehe, nach dem Wohlgefallen seines Willens das Gute
festzusetzen. Sie stellen sich hierbei die Gottheit ganz nach Analogie der kirchlichen und päpstlichen Autorität des Mittelalters vor, welche
gleichfalls dekretiert, was sie will, und darum, weil sie es will, auch verlangt,
dass es von Allen als ein Gutes anerkannt werde. Allein, in diesem Sinne aussprechen:
das Gute sei gut, weil es Gott wolle, heißt nichts Anderes, als Gottes
ethische Persönlichkeit leugnen. Wird die Allmacht
als das in Gott Übergeordnete angenommen, welches über das
Ethische als ein ihm Untergeordnetes herrsche, so dass sie dieses willkürlich
bestimmen könne: so befinden wir uns in der Tat mitten in einem physischen Gottesbegriffe. Gottes Persönlichkeit schwebt
alsdann über dem Ethischen, als ein lediglich nach Willkür behandelndes
Machtwesen; und das Gute verliert alle Notwendigkeit,
hat keine innere Güte, behält keinen unbedingten Wert in sich selber.
Dieser Betrachtungsweise, nach welcher das Ethische unter das Physische degradiert
wird, stellt sich die andere entgegen, nach welcher Gott das Gute darum will,
weil es in sich selber gut ist. Aber auch dieser Vorstellung haben sich nicht
selten Irrtümer beigemischt. Man denkt sich nämlich das Gute oft als
eine Idee, welche außerhalb Gottes und von ihm unabhängig ein Gegenstand
seiner Anerkennung sei, oder als ein außer oder über ihm bestehendes
Gesetz, als eine Regel, welcher auch sein Wille sich unterordne. Aber ebenso
sich selbst widersprechend wie der Gedanke ist, dass Gott durch irgend Etwas
außerhalb seiner selbstbestimmt werde, ist es auch der andere Gedanke,
dass außer oder gar über ihm ein absolut Wertvolles, ein absoluter
Zweckgedanke bestehen sollte, während doch Alles, was einen Wert hat, diesen
nur haben kann für einen intelligenten Willen, welcher jenen Wert bestimmt
und in ihm seine Befriedigung findet, und jeder Endzweck eine Persönlichkeit
voraussetzt, welche denselben sich vorstellt und zu ihrer Aufgabe macht.
Die Lösung dieser Schwierigkeit muss in dem Begriffe der Persönlichkeit selbst gesucht werden; und jene zwei Sätze müssen lediglich
zwei Seiten derselben absoluten Persönlichkeit ausdrückend erkannt
werden. Diese Persönlichkeit an sich in ihrer Totalität ist selbst
das Gute. Gott will das Gute, weil es in sich selber gut ist, jedoch nicht als
etwas außer ihm Vorhandenes, sondern weil das Gute sein eigenes
ewiges Wesen ist.
Gott kann gar nichts Anderes wollen, als sich Selbst, als sein
persönliches Wesen, welches in ihm des Guten ewige Notwendigkeit ist, sein Wesen, in welchem »keine Veränderung,
noch Schatten des Wechsels ist« (Jakob.
1, 17), welches Gott selber nicht ändern kann, weil sein
Wille doch nicht von seinem eigenen Wesen abfallen kann.
Anderseits aber darf man auch sagen: das Gute ist gut, weil Gott es will, nicht,
als gäbe es in Gott irgend eine Willkür, sondern weil sein Wille in
Wahrheit nur insofern der gute Wille ist, als Gott mit Freiheit
sein Wesen aktualisiert. Denn der Begriff der Persönlichkeit ist nicht
bloß dieser, sich selbst vorzufinden, sich selbst gegeben zu sein, sondern
auch sich selbst zu setzen, das Gute nicht bloß zu sein, sondern auch
sich selbst als das Gute hervorzubringen. Dieses gilt, mit
aller in der Sache liegenden Modifikation, wie von der menschlichen, ebenso
auch von der göttlichen Persönlichkeit.
Ist Gott nur mit Notwendigkeit gut, ist er, so zu sagen, deterministisch und
fatalistisch durch seine einmal gute Natur, sein Wesen bestimmt, ist seine Willensbewegung
also nur die Form eines Naturprozesses: alsdann ist er noch mit einer physischen
Bestimmtheit behaftet, welche der vollkommenen Güte im Wege steht; alsdann
ist sein Wille zwar der wesentlich-gute Wille, sofern er des Guten Inhalt und
Fülle in sich trägt, ermangelt aber des Momentes der subjektiven Freiheit, und hiermit auch des Charakters der völligen Geistigkeit. Von
diesem Gesichtspunkte aus stimmen daher auch wir in den Ausspruch ein: »das
Gute ist gut, weil Gott es will«, sofern nämlich
das Gute nur dadurch unbedingten Wert hat, dass es nicht allein mit Notwendigkeit da ist, sondern mit Freiheit gesetzt
wird. Und Jeder, der an Gottes heilige
Liebe glaubt, wird
einräumen, dass diese Liebe für uns keinen unbedingten Wert hätte,
nicht der Gegenstand unsere unbedingten Anbetung und Hingebung sein könnte,
wenn Gott nur mit Notwendigkeit liebte, wenn man nicht mit voller Wahrheit von Gottes freier Liebe, Gottes freier Gnade reden dürfte. Gott ist die vollkommene Einheit des Ethisch-Notwendigen
und des Ethisch-Freien, und dadurch erst die vollkommene Realität
des Guten, das ewige Ur- und Vorbild für die ganze Welt der geschaffenen
Geister.
§. 17. Als die vollkommene Realität des Guten ist
Gott über den Gegensatz von Realität und Ideal erhaben, unter welchem sich jedes der
freien Geschöpfe befindet. Dieses ist’s, was in dem Worte Christi
an den reichen Jüngling liegt: »Was heißest
du mich gut? Niemand ist gut, denn der einige Gott.« Nicht allein über diese Welt der Sünde,
sondern über die ganze geschaffene Geisterwelt hinaus weist er zu Gott,
als dem in der vollen Bedeutung des Wortes wirklich Guten,
der Quelle alles Guten in den Geschöpfen.
Ja, obgleich selbst der Mittler zwischen Gott und der Schöpfung,
das ausgeprägte Bild des göttlichen Wesens,
der Offenbarer Gottes auf Erden, dennoch weist er in diesem Zusammenhange auch
von sich hinweg und über sich hinaus. Denn, so lange Christus sich noch in der Zeitlichkeit und im Stande der Erniedrigung befindet, steht
er auch noch in jenem Gegensatze zwischen seiner Wirklichkeit und seinem Ideale.
Noch hat er nicht in allen Versuchungen und Anfechtungen
bestanden; noch hat er nicht sprechen können: »Es ist vollbracht!«, noch ist er nicht
zum Vater zurückgekehrt. In Gott aber, dem allein Guten, ist kein Gegensatz zwischen Ideal und Wirklichkeit. Denn sein Wille ist nicht,
wie der menschliche, einem »Soll«, einem »Muss« unterworfen, welches erst
unter einer zeitlichen Entwickelung und durch ein fortgehendes Streben zu erfüllen
wäre; er wird nicht vom Bösen versucht; sein Wille kann nicht, wie der eines Menschen sich ändern:
unwandelbar ist er Derselbe gestern und heute und in alle Ewigkeit. Dies ist ein Gedanke, welcher und nicht allein zur Demut auffordert, sondern zugleich uns Hoffnung und Zuversicht einflößt.
Denn unter der Unruhe des Lebens, unter dem großen Kontraste zwischen
Ideal und Wirklichkeit, ist doch die tiefste Beruhigung hierin enthalten, dass
wir wissen: Einer lebt, welcher gut ist!
Über alle Verwirrung dieser Welt, über dem unsteten und wandelbaren
Dichten und Trachten der Menschen, über Torheit und Sünde und Jammer,
waltet Ein grundguter, ursprünglich guter Wille, welchem das Reich und
die Macht gehört,
Ein heiliger Wille, welcher unter allen irdischen Wandlungen sich selber gleich
bleibt, in alle Ewigkeit die Treue gegen sich selbst bewahrt, nicht weichet, sich selbst nicht verleugnet. Nicht,
weil wir an den Allmächtigen glauben, sondern weil wir an den Guten glauben, welchem die Allmacht als seine Dienerin, als sein Arm zu Gebote steht,
können wir das Vertrauen haben, das Gute werde gewiss zuletzt zum Siege
hinausgeführt werden.
Eine Halbheit des Glaubens bleibt es, nicht an den Guten zu glauben, sondern
nur an das Gute, an die unpersönliche Idee des Guten. Denn alsdann sind es ja nur wir Menschen,
welche die Idee realisieren sollen: und das Gute bleibt alsdann nur eine perennierende
[hartnäckige] Forderung. Dass aber dieses Gute, die höchste, allumfassende
Idee, das unbedingt Wertvolle, welche im Umfange des ganzen Daseins jedem Dinge seine
Stelle anweist, welchem alles Andere untergeordnet und Nichts koordiniert ist,
dass Dieses nur eine unerfüllte Forderung bleiben, nirgends in voller Wirklichkeit
existieren sollte, das zu denken, hieße in das Höchste selbst einen
Widerspruch verlegen. Denn das Gute ist nicht eine derartige Idee, welche, gleich
allen bloß abstrakten Wahrheiten, sich gleichgültig gegen die Wirklichkeit
verhält, oder sich mit einer unvollkommenen Wirklichkeit begnügen
könnte: sondern im Gegenteile eine Idee, welche eine in aller Hinsicht vollkommene Wirklichkeit fordert. Vollkommene Wirklichkeit
aber kann das Gute nirgends, als in einem vollkommen guten Willen haben. Und
es bleibt eine dem menschlichen Herzen tief eingewurzelte Überzeugung:
dass
»Ein Gott ist, ein heiliger
Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke«.
§. 18. Gott aber ist nicht allein die vollkommene Freiheit, sondern
auch die vollkommene Liebe. Liebe ist nur da, wo ein Wesen in sich selber sein kann, aber in freier Hingebung
und Selbstmitteilung in Anderen und für Andere sein will. Nun ist es dem
Begriffe der Persönlichkeit wesentlich, dass sie nicht allein, nicht die Einsame bleiben, sondern
mit anderen Persönlichkeiten Gemeinschaft stiften will. Und die göttliche
Persönlichkeit hat eine Welt von Persönlichkeiten erschaffen, um diese
mit ihrer seligen Fülle erfüllen zu können.
Schon Plato hat gesagt, dass das Gute nicht bloß das in sich selbst Vollkommene, sondern
das sich selbst Mitteilende sei, dass es an der Sonne sein
sinnliches Abbild habe, welche die Dinge nicht nur sichtbar mache, sondern ihnen
auch Leben, Wärme und Gedeihen spende; dass das Gute etwas Höheres
sei als Erkenntnis, etwas Höheres als Dasein und Wesen, wohl aber dieses
Alles uns mitteile und seiner selbst uns teilhaftig mache (Plato,
Vom Staate, 6. und 7. Buch). Vom Standpunkte der natürlichen
Schöpfung aus hat er hiermit eine Ahnung des erst in Christo vollkommen
geoffenbarten Mysteriums ausgesprochen. Denn dass wir von Gottes Liebe reden
können, gründet sich ausschließlich darauf, dass die Liebe selbst
sich uns mitgeteilt hat. Der persönliche Gott kann nicht a
priori erkannt werden, sondern muss
uns selber entgegenkommen. Und gerade so, wie er sich uns geoffenbart
hat, sollen wir ihn jetzt aufnehmen, und nur durch seinen eigenen Geist Das
zu verstehen und Dem nachzudenken suchen, was Gott selber uns bereitet und geschenkt
hat (1. Kor. 2, 9f.).
§. 19. Dass die heilige Liebe das Prinzip und der ewige Grund der Welt ist, nicht bloß
Prinzip der Geisterwelt, sondern auch einer Körperwelt, einer Natur,
welche in ihrer Unendlichkeit uns durchweg einen Gegensatz gegen das Ethische
darstellt, würde undenkbar sein, wäre der Wille der heiligen Liebe
nicht zugleich der vollkommene Weisheitsglaube, welcher sich durch ein teleologisches
System von Zwecken und Mitteln offenbaren kann.
Und auch Dies wäre etwas Undenkbares, wenn der heilige
Liebeswille nicht zugleich der unbeschränkte Machtwille wäre, wenn nicht eine physische
Allmöglichkeit jener Liebe zu Gebote stände. Mit
anderen Worten: das Ethische, oder die Liebe, welche Gottes innerstes Grundwesen
ist, muss das Logische und das Physische, die Intelligenz und die Macht, als
seine Potenzen bei sich haben. Die drei Prinzipien, auf welche alles Nachdenken
über das Dasein als auf die letzten, Alles bedingenden, zurückkommt,
das Physische, das Logische und das Ethische, müssen in der Einheit des
göttlichen Wesens ewig vereint sein, als Ein unauflösliches Leben (Hebr. 7, 16), in welchem
aber ein Über- und Unterordnungsverhältnis stattfindet, so dass das
Ethische, oder die Liebe, das Subjekt ist, die zwei anderen seine Prädikate.
Dieses tritt schon mit vollster Klarheit in dem ersten Artikel des christlichen
Glaubens hervor, in dem Glauben an Gott den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer
Himmels und der Erde. Denn hier wird ausdrücklich gesagt, dass Gott, als
Schöpfer, die Einheit von Liebe und Allmacht sei; und, wenn es auch nicht buchstäblich dasteht, liegt Dem doch unzweifelhaft
die Voraussetzung zu Grunde, dass die allmächtige
Liebe mit Weisheit schaffe, d. h. teleologisch oder nach Zweckgedanken.
Der ethische Gottesbegriff des Christentums wird also schon in dem ersten Glaubensartikel
in seinem prinzipiellen Gegensatze gegen das Heidentum aufgestellt, welchem
der Begriff des freien Schöpfer-Gottes fremd ist. Denn entweder fasst der
heidnische Gedanke Gott als ein unbewusste Natur, welche aus einem ewigen Keime, (einem Weltei) sich durch die niederen Formen des
Daseins zu den höheren entfaltet habe; oder, wie es bei den tieferen Denkern
der Fall ist, er bleibt in einem Dualismus zwischen Geist und Materie, zwischen dem Ethischen und dem Physischen gefangen.
In beiden Fällen kommt aber das Ethische nicht zu seinem Rechte, kann nicht
als das in sich selbst Vollkommene verstanden werden, und behält eine gedrückte
Existenz.
Am klarsten zeigt sich Dieses bei Plato, gerade darum,
weil er mehr, als irgend ein anderer unter den Denkern des Heidentums, wenigstens
in der Richtung des ethischen Gottesbegriffes philosophiert
und unter den Zeugen seiner hohen Bedeutung dasteht, wenngleich er sich dieses
Begriffes nur sehr unvollständig bemächtigt hat. Denn freilich legt
er der Idee des Guten den Primat im Ideenreiche
bei, und ordnet ihr alle anderen Ideen unter; freilich erkennt er, dass Gott
und das Gute Eines seien; auch nennt er Gott den Vater des Weltalls,
doch mit dem Zusatze, dass es schwer sei, ihn zu finden, und schwer, wenn man
ihn gefunden, Anderen ihn zu zeigen und kund zu tun; freilich sagt er, dass
das Gute das sich selbst Mitteilende sei. Zugleich aber lässt er, in Unabhängigkeit
von Gott und außerhalb Gottes, dazu gleich ewig mit ihm, ein physisches
Wesen oder Unwesen bestehen, eine ungestalte Materie
(Hyle) als einen
der göttlichen Tätigkeit widerstrebenden Stoff. In diesen Stoff, aus
welchem als letzten Grunde nach alles Böse in der Welt herstamme, gestaltet
der Gott des Guten seine Ideen hinein, und offenbart sich dadurch also –
nicht als den allmächtigen Schöpfer, sondern als einen Künstler,
einen Weltbaumeister, einen Demiurgen.
In seiner demiurgischen, d. i. bauenden, bildenden gestaltenden Tätigkeit
kann Gott nur allmählich jenes nicht allein nicht-göttliche Prinzip, sondern wider-göttliche Prinzip überwinden, welches
aber niemals vollkommen überwunden wird. Denn immer bleibt ein unüberwindlicher
Rest übrig, und unablässig muss der Kampf fortgehen zwischen dem Göttlichen
und der finsteren Hyle, der blinden Naturnotwendigkeit. Ja, im Theätet
des Plato sagt Sokrates ausdrücklich, dass das Böse niemals untergehen könne, weil es
eine »Notwendigkeit« sei, dass immerdar
ein dem Guten entgegengesetztes Etwas existiere. Dass
aber dieser Dualismus auf die ethische Welt und Lebensanschauung einen durchgreifenden,
und dazu die Tatkraft lähmenden Einfluss haben
muss, ergibt sich aus dem Gesagten schon von selbst. Breitet er doch über
die ganze Sinnenwelt einen Schleier der Schwermut, veranlasst den Denker, seinen Körper als das Gefängnis der Seele zu betrachten, die ganze Arbeit des Philosophierens aber ein unausgesetztes
Absterben für die niedere Daseinssphäre; daher auch dem kontemplativen
Leben vor dem praktischen den Vorzug gegeben wird, darum nämlich, weil
wir nur in der Kontemplation in der ungestörten Anschauung der reinen Ideen leben können.
Im Gegensatze gegen diesen Dualismus haben die christlichen Lehrer von Anfang
an die große Wahrheit betont, dass Gott die Einheit von Liebe und Allmacht ist, wie sie denn,
gegenüber jener Vorstellung einer von Gott unabhängig bestehenden, widerstrebenden Materie, mit besonderem
Nachdrucke lehrten, dass Gott die Welt aus Nichts
geschaffen habe. Dies ist aber eine Formel, eine Ausdrucksweise, welche
eben nur im Gegensatze gegen die Vorstellung einer von Gott unabhängigen präexistierenden Materie zu verstehen ist.
Das Nichts, aus welchem Gott die Welt geschaffen hat, ist durchaus
nicht, wie man es nicht selten verstanden hat, das absolute
Nichts, denn aus diesem Nichts wird Nichts; sondern das relative Nichts.
Das relative Nichts ist nämlich nicht das in keinem Sinne des Wortes Seiende,
sondern Das, was im Verhältnis zu einem höheren, im absoluten Sinne
Seienden, als ein Nicht-Seiendes zu betrachten
ist. Das Nichts, aus welchem Gott die Welt geschaffen
hat, sind seine ewigen Möglichkeiten,
nicht allein logische (von
Gott nur gedachte), sondern zugleich physische (wesentlich
in Gott seiende) Potenzen.
In diesen besitzt Gott sowohl den Stoff, d. i. das Etwas,
aus welchem er die Welt schafft, wie auch die Kräfte,
die Werkzeuge, Mittel,
durch er sie hervorbringt. In diesem Sinne nehmen wir das Wort des Apostels
buchstäblich, wenn er sagt: »Alle Dinge sind
aus Gott« (Röm. 11, 30).
Wenn sowohl ältere als neuere Denker (J. Böhme, Oetinger, Baader, Schelling, Rothe und manche Andere)
von einer ewigen Natur oder Leiblichkeit in Gott redeten, und wenn in der neueren Theologie und Religionsphilosophie dieser Begriff sich immer mehr geltend macht, so haben sich freilich oft dieser
Lehre bedenkliche Verwirrungen angehängt: Dennoch steht es aber fest, dass
der Gedanke einer ewigen Natur in Gott von dem ethischen Gottesbegriffe
unzertrennlich ist: denn nur als Herrscher über eine reale
Natur können Geist und Freiheit ihre Energie offenbaren.
Freilich kommt es darauf an, wie man das Verhältnis zwischen der ewigen
Natur und der göttlichen Persönlichkeit bestimmt:
ob man die Persönlichkeit sich aus der Natur, wie aus einem dunklen Grunde,
über welchen sie sich erst allmählich zum Herren macht, entwickeln
und emporsteigen lässt, wodurch man Gott einem zeitlichen Prozesse unterwirft (wie der frühere Schelling), oder aber,
ob man die Natur in Gott als mit zu der ewigen, selbstbewussten Liebe gehörig,
nämlich als eine derselben dienende Potenz ansieht. Letztere Auffassung
ist die unsere, welche auch so ausgedrückt werden kann, dass man sagt:
die Allmacht gehört von Ewigkeit her zu der Liebe, als ihre Dienerin.
Der Begriff der Allmacht kann ohne den Begriff einer ewigen Natur nicht
durchgeführt werden. Nur verwechsele und vermenge man nicht die
beiden Begriffe: Natur und Materie. Natur ist das lebendige Unpersönliche, welches dem Geiste und der Idee entgegengesetzt, aber dazu bestimmt ist, Mittel,
Organ, Werkzeug
für den Geist und die Idee zu sein, und in seiner Normalität ausschließlich
durch diese bestimmt ist.
Materie ist gleichfalls das Unpersönliche, aber aus der Vereinigung mit
dem Geiste herausgetreten, von diesem nicht durchdrungen, sondern ihm widerstrebend.
Von einer Natur in Gott zu reden, heißt daher keineswegs Dasselbe, als
wenn man von einer Materie in Gott redet. Soll nun der Begriff
der Allmacht Gottes lebendig gedacht werden, so ist nicht einzusehen,
wie man den Begriff einer ewigen Natur von ihr ausschließen könne.
Denn, soll Gott wirklich als der absolute Machtwille, welcher ein Moment in dem ewigen Liebeswillen ist,
gedacht werden: so muss er auch ein dominium haben,
d. h. eine Allheit realer Kräfte, über welche er waltet als Herr und Gebieter.
Es ist allerdings ganz richtig, dass Gott alles durch sein Wort geschaffen hat
(wobei zu bemerken ist, dass »Wort« an und für sich ein geist-leiblicher Begriff ist, und wenn wir vom »Worte«
reden, wir schon über das rein Geistige und bloß Ideale hinausgehen),
und es steht geschrieben: »So er spricht, so geschieht’s;
so er gebeut, so stehet es da«. Dadurch aber wird durchaus nicht
ausgeschlossen, dass seinem Machtwillen, seinem Herrscherwillen von Ewigkeit
her Millionen von Kräften zu Gebote stehen, welche kommen, wenn er gebeut,
welche ausrichten, was er will.
Die heilige Schrift leitet unsere Gedanken selbst in diese Richtung. Denn, wenn
sie von einem ewigen Pleroma
(Kol. 2, 9), einer unendlichen Fülle in Gott redet, so kann dieser Begriff nicht anders
von uns durchgedacht werden, als wenn wir und dabei nicht allein eine ewige
Idee, eine Gedankenfülle vorstellen, sondern zugleich eine ewige Machtfülle,
eine Allheit physischer (wesenhafter), aber übermaterieller Kräfte.
Und da wir diese Fülle uns denken müssen als eine unendlich reiche
Mannigfaltigkeit von Kräften umfassend, welche all von der göttlichen Weisheit durchleuchtet und durchdrungen werden: so ist es unzutreffend, die ewige Natur
in Gott mit einigen der Alten »als ein brausendes
Meer, einen unendlichen Ozean« uns vorzustellen, während wir
sie, die von der ewigen Weisheit durchstrahlte
und geordnete, vielmehr als ein System oder einen Organismus lebendiger Kräfte zu denken haben, welcher als solcher Grund und Voraussetzung
ist für diese geschaffene Welt, für das All der Dinge, zu dem er sich
aber sowohl immanent als transzendent verhält.
Mag immerhin hierbei von konkretem Begreifen nicht die Rede sein dürfen,
muss man sich auch überzeugen, dass es ein Gegenstand sei, den wir gleichsam
nur berühren, nicht umspannen können: dennoch werden wir zu derselben
Voraussetzung immer zurückgeführt, so oft wir Ernst machen mit der
oft wiederholten Behauptung: die Allmacht
sei nicht bloß eine ideale, sondern eine physische (natur-
und wesenhafte) Eigenschaft in Gott, und zugleich bedenken, dass die Kraft Gottes, von
welcher wir so häufig reden, eine Unendlichkeit von Kräften in sich schließen müsse.
Der Materialismus und der Naturalismus werden stets mit der Behauptung Recht behalten, dass aus der bloßen und
nackten Idee niemals ein leibhaftes Universum hervorgehen konnte, dass jene
gewaltigen Massen, die im Himmelraume rollenden Weltkörper, die Gebirge
des Erdballs, Alpenketten und Dovrefjelde (Name
des hohen Gebirges, welches Schweden von Norwegen trennt) u. s.
w. nicht dem bloßen Gedanken, dem ohne Produktionspotenzen gedachten Willen
entspringen konnten, sondern nur dem Willen mit Produktionspotenzen, welche
für Gott gleichsam die Stelle der »ersten Materie«
(materia prima) vertraten, und noch etwas ganz
Anderes waren, als der bloße Gedanke oder Wille. Will man daher den ethischen
Gottesbegriff festhalten, so vermögen wir die Sache nicht anders
als so anzusehen, dass allein die Wahl uns bleibt zwischen einer übermateriellen
Natur, einer Physis in Gott, aus deren unendlicher Potentialität alle jene Dinge hervorgehen
können, sobald Gottes Wille es gebeut, sobald sein Schöpfungsplan
es mit sich bringt, - und einen Dualismus, wie der Plato’s war, welcher eine mit Gott gleich ewige, nach und nach durch »die
Idee« zu organischen Gestalten umzuformende Materie annahm, eine
Vorstellung, bei welcher das Ethische, das Gute, immer mit einer Unmacht behaftet bleibt.
Dass Gott nicht der naturlose Geist sei, bezeugt
die Heilige Schrift auf jedem ihrer Blätter. Sie kennt allein den lebendigen
Gott. Aber den lebendigen Gott können wir uns nicht anders, als im Verhältnis zu einer ewigen, ihm untergeordneten, aber zu
seinem Wesen gehörigen Natur vorstellen. Und wenn die Schrift von Gott
als einem unauflöslichen Leben (Hebr.
7) redet, so vermögen wir auch dieses uns nur zu denken als
die unauflösliche Einheit der Gegensätze des Lebens, als welche wir
ja eben die Gegensätze zwischen Geist und Natur, zwischen Ethischem und
Physischem kennen. Die Schrift, welchen den lebendigen Gott als den wirksamen,
handelnden darstellt, redet durchweg von ihm in Anthropomorphismen.
Aber die Wahrheit des religiösem Anthropomorphismus
beruht auf der Natur in Gott. Und wo lebendige Frömmigkeit ist, lässt sie bis auf diese Stunde sich’s nicht abstreiten, dass
Gott Augen und Ohren, Hände und Füße, »einen noch nicht verkürzten Arm« habe, wird auch niemals
aufhören »den Finger Gottes« in
den großen Weltbegebenheiten und in dem Leben des Einzelnen zu suchen
und zu erblicken. Denn obgleich sie des Bildlichen, des Symbolischen in solchen
Bezeichnungen sich wohl bewusst ist, obgleich sie erkennt, dass Alles, was nur
der kreatürlichen Beschränktheit angehört, von dem Gottesgedanken
ferne zu halten sei: dennoch hält sie unverändert daran fest, dass
dem Allem irgend etwas in Gott entsprechen müsse, was mit anderen Worten
sagen will, dass Gott wirkliche Offenbarungs-Organe, Werkzeuge
seines allmächtigen Tuns habe.
Und dieses mag Tertullian, als er Gott eine Leiblichkeit beilegte, vorgeschwebt haben. »Wer
will es leugnen«, sagt er, »dass
Gott, obgleich er Geist ist, auch einen Leib habe?« Ja, behauptet
er, »es gebe nichts Unkörperliches, als nur
Dasjenige, was nicht sei«, womit er also die Leiblichkeit als unumgängliche
Bedingung aller realen Existenz hinstellt. Zwar hat Tertullian durch diese Behauptung großen Anstoß erregt, was er indes
eigentlich gemeint hat, ist etwas durchaus Unverfängliches und Richtiges,
dass nämlich Gott nicht als der naturlose Geist gedacht werden dürfe, dass auch Gott, seinem überweltlichen Wesen entsprechenden, Organismus haben müsse. –
Die heilige Schrift redet von Gott auch in anthropopathischen Vorstellungen, d. i. legt Gott menschliche Gefühle bei. Aber auch dieser
Darstellungsweise müssten wir alle Wahrheit absprechen, wäre Gott
nur der abstrakte Geist, entspräche nicht Etwas
in Gott Demjenigen, was wir Menschen Seele nennen, und was wieder ohne einen Organismus nicht vorstellbar ist. Wir lassen
es uns auch nicht nehmen, an einen Gott zu glauben, welcher ein Herz hat, um
unseres Elends sich zu erbarmen; und wenn Christus sagt: »Wer
mich siehet, siehet den Vater«, so nehmen wir Dies als volle und
tatsächliche Wahrheit, entsprechend dem, was der Apostel (2.
Kor. 4, 6) sagt: dass die Gläubigen, »in dem Angesichte Jesu Christi die Herrlichkeit Gottes erkennen.«
Und was bedeutet für uns noch die ganze Bildersprache der Schrift, wenn
ein naturloser Idealismus und Spiritismus das Wort führen soll? Nicht allein, wo die Schrift in Gleichnissen redet,
sondern auch, wo sie eigentlich redet, sind selbst ihre wichtigsten und erhabensten
Aussprüche, alle ihre Ausdrücke für Gott und göttliche Dinge,
niemals abstrakt-geistige, sondern immer der Art, dass sie eine Einheit des
Geistigen, Ethischen und Physischen ausdrücken, was sich besonders zeigt
an jenen Johanneischen Bezeichnungen: Wort,
Licht
und Leben,
Tod und Finsternis. Man muss also doch
dem alten Oetinger vollkommen Recht geben, wenn
er fordert, man solle sich nicht durch einen hohlen Spiritualismus die Kraft der Schrift abschwächen und Alles dünne und luftig machen, sondern weit mehr, als gewöhnlich
geschehe, die Bibel physice verstehen,
und massiverer, kraft- und lebensvollerer Begriffe sich befleißigen.
Der Standpunkt der heiligen Schriftsteller ist der eines
geistigen Realismus,
ebenso hoch über dem Spiritualismus als dem Materialismus stehend, welche sich beständig
in den Haaren liegen, überall einander zum Anstoß dienen und im Wege
sind. Nach einem alten Gleichnis kann man jenen luftigen Idealismus sich als
ein Ross vorstellen, das vor dem Materialismus,
welcher ihm wie ein ungeheuerer Klotz im Wege liegt, scheu geworden, sich bäumt
und allerlei wunderliche Luftsprünge versucht.
Die fundamentale Bedeutung des Gesagten für die Ethik liegt nahe. Während Plato’s Dualismus eine Geringschätzigkeit der Leiblichkeit
mit sich führt, welche ihm lediglich als Fessel und
Kerker der Seele gilt und den Denker beständig
dazu drängt, der Sinnenwelt abzusterben und sich zu den reinen Ideen, zu
der Welt der Leib- und Gestaltlosigkeit zurückzuwenden: so erscheint der
christlichen Anschauung diese Sinnen- und Körperwelt – obgleich jetzt
der Vergänglichkeit und der Eitelkeit unterworfen – keineswegs als
etwas an und für sich dem Geiste Feindseliges, vielmehr
als Dasjenige, was seiner Bestimmung, seinem wahren Wesen zufolge, das Äußere des Geistes und sein williges Werkzeug ist.
Die höchste Geistigkeit ist nicht die, welche alle Sinnlichkeit von sich
ausgeschieden hat, sondern diejenige, deren übersinnliche
Reinheit und Vollkommenheit
sich in das Sinnliche einkleidet, es durchdringt und durchleuchtet. Das
charakteristische Merkmal des Christentums ist gerade, dass es, als die geistigste aller Religionen, zugleich den Leib und die Welt der Leiblichkeit mehr, als
jede andere in Ehren hält. Denn »Wort
ward Fleisch, und wohnete unter uns«; unsere Leiber sind
bestimmt, »Tempel des Geistes« zu werden; wir warten der Auferstehung des Leibes, und mit
ihr eines neuen Himmels und einer neuen Erde. »Leiblichkeit
ist das Ende der Wege Gottes.« Wenn die Widersacher des Christentums bis auf den heutigen Tag sich dieses als einen naturfeindlichen Spiritualismus vorstellen, welcher zwischen Geist
und Leib eine unausfüllbare Kluft befestige: so kann ein auf dieser Vorstellung
beruhender Angriff niemals das Christentum selbst treffen, sondern teils nur
gewisse platonisierende Richtungen, welche sich
in die christliche Spekulation hineingedrängt haben, teils ungesunde asketische Verirrungen, wie sie in
den Klöstern des Mittelalters herrschend waren. Gibt man aber das Christentum
selbst für abstrakten Spiritualismus und Dualismus aus: so charakterisiert
sich ein solches Verfahren als unverantwortliches Missverständnis.
§. 20. Gott, als die ewige Liebe,
heißt
im ersten Glaubensartikel der Vater,
der Allmächtige, Schöpfer Himmels und der Erde, welcher die
Welt zu dem Zwecke hervorgebracht hat, um sich ihr mitteilen zu können.
Im zweiten Artikel wird er der Sohn genannt, das Wort, welches Fleisch ward und , als Heiland
der Welt, unter uns gewohnt hat, endlich
im dritten Artikel der heilige und heilig
machende Geist, das belebende Prinzip eines Geisterreiches, dessen letzte
Vollendung die verklärte Leiblichkeit ist.
Sofern Gott also Vater, Sohn und Geist, sofern er Schöpfer,
Erlöser und Heiligmacher ist, offenbart er sich als Den, welcher
sich auf Vollkommenste mitteilt.
Obgleich also unser christliches Bewusstsein nur Einen
Gott, Eine ewige Liebe kennt, so werden wir uns doch des Einen
in Dreien bewusst, und bringen dem Einen unsere Anbetung in dreifacher Richtung dar:
dem Vater, welcher über uns waltet,
dem Sohne, welcher zur Welt herabgestiegen ist, wo er uns entgegenkommt,
dem Geiste, welcher im Innersten unserer Seele wirkt.
Der einfältige Glaube an Vater, Sohn und heiligen Geist, wie er in dem
apostolischen Symbolum ausgesprochen ist, hat seine Begründung und weitere
Entwickelung in der kirchlichen Dreieinigkeitslehre und in den dogmatischen
Darstellungen der Kirchenlehrer gefunden. Hier beschränken wir uns darauf,
die Bedeutung, welche der Glaube an den
dreieinigen Gott für die Ethik hat, anzudeuten.
Die Erkenntnis, dass Gott die Liebe ist, führt uns mit Notwendigkeit von
Gottes Weltoffenbarung zurück auf seine Selbstoffenbarung oder auf das
innere Liebesleben, welches Gott in sich selber lebt. Welche Definition wir dem Begriffe der Liebe nun auch geben wollen:
jedenfalls müssen wir diese als ein Verhalten von Person zu Person, von Ich zu Du, als ein Verhältnis der innersten Gegenseitigkeit
bestimmen, weil ja die Liebe nur durch Gegenseitigkeit befriedigt wird.
Ist aber die Liebe wirklich Gottes ewiges Wesen: so muss Gott auch von Ewigkeit zu Ewigkeit den
vollkommenen Gegenstand seiner Liebe besitzen, und die Welt kann deren erster
und wesentlicher Gegenstand nicht sein. Denn, nehmen wir an, dass Gott für
seine Liebe keinen anderen Gegenstand hat, als diese Welt: so erscheint das
Dasein der Welt als ebenso notwendig wie Gottes eigenes Dasein und die Schöpfung
geht alsdann nur aus einem natunotwendigem Drange des Wesens Gottes hervor,
dem Bedürfnisse, sein eigenes Klomplement (Ergänzung),
sein anderes Ich, nämlich das persönliche
Geschöpf hervorzubringen.
Demnach hätte es eine Zeit gegeben, in welcher die Liebe Gottes ohne ihren Gegenstand war, diesen nur in Gedanken,
in der Möglichkeit besaß.
Denn das Reich Gottes, in welchem Gott liebt und geliebt wird,
ist doch erst in der Fülle der Zeit erschienen, und der Zeitpunkt, in welchem
Gottes Reich vollendet und Gott Alles in Allem sein wird, liegt noch immer in
der Ferne. Also hätte Gott der Schöpfung bedurft, um in dem Liebesverhältnisse zu ihr seine vollkommene Existenz
erst zu gewinnen. Nur alsdann ist aber Gott der von der Welt Unabhängige,
der absolut über sie Erhabene,
wenn er auch ohne die Welt und vor der Welt Anfang in der Fülle der Liebe
lebt, nicht aber in dem bloßen Verlangen der Liebe nach der Gegenliebe
des Geschöpfes, einem Verlangen, welches überdies von einem Leiden,
einem Streben, durch unendliche Hindernisse und Hemmnisse erst hindurch zu dringen,
sich nicht unterscheiden würde.
Gottes Liebe zur Welt ist die reine und ungetrübte, die heilige Liebe nur
alsdann, wenn er, welcher sich selber genug ist und
Niemandes bedarf, in unendlicher Huld und freier Herablassung, Leben
und Freude und Freiheit außerhalb seiner selbst hervorruft, freiwillig einem Gegenseitigkeitsverhältnisse mit der
Kreatur sich unterzieht und dadurch in die Gegensätze der Endlichkeit und
Zeitlichkeit eingeht, in Christus sich sogar der Selbsterniedrigung und dem Leiden
hingibt, um auf diese Weise ein Reich der Gnade und Seligkeit stiften zu
können. Aber diese freie Liebesmacht in Gottes Verhältnisse zur Welt,
sie setzt eben das vollkommene Sein der Liebe,
oder die in sich realisierte Liebe voraus, d. h. die Liebe
des Vaters und des Sohnes in der Einheit des heiligen Geistes.
Dieses ist’s, was den eigentlichen Inhalt der christlichen Dreieinigkeitslehre
ausmacht, Dieses ist ihre innerste Bedeutung, nämlich, dass Gott von Ewigkeit
her in sich selbst persönliche Unterschiede trägt, oder ein inneres dreifaches Liebesverhältnis Gottes zu sich
selbst, wodurch zugleich Gottes Verhältnis zu seiner inneren Idee und Machtfülle
auf dreifache Art auf dreifache Art bestimmt wird (vergl.
Die Dreieinigkeitslehre indes Verfassers Dogmatik). Welche Stellung man
aber auch zu den verschiedenen dogmatischen Versuchen der Lösung dieses
Geheimnisses einnehme, so bleibt die praktische Seite der Sache diese: Gott
muss in sich selbst den ewigen und vollkommenen Gegenstand seiner Liebe haben,
so dass er ein in sich selbst vollkommen befriedigtes
Liebesleben lebt.
Der Glaube an den dreieinigen Gott , mit anderen
Worten, an die ewige Liebe, als eine Liebe, welche
nicht erst in ferner Zukunft verwirklicht werden soll, selbst also nur eine unendliche Forderung, sondern als die in sich selbst verwirklichte, ewig befriedigte und selige
Liebe, dieser Glaube ist die Grundvoraussetzung der ethischen Weltanschauung
des Christentums, welche von der realen Vollkommenheit des
Guten in Gott ausgehen muss, und sich nicht dabei beruhigen kann, dass Gott
von vorne herein in dem Gegensatze zwischen Ideal und Wirklichkeit gedacht wird.
Die Vorstellung von dem Reiche des Guten, oder dem Gottesreiche, welches das werdende Liebesreich im Laufe der Zeit allmählich
bekommt, verliert ihren ethischen Charakter, und wird zur Vorstellung eines
für Gott selbst notwendigen Prozesses,
in welchem er abhängig von dem Menschen erscheint, wenn ihr nicht als die Voraussetzung dieses
Ideals, das durch die Geschichte erst realisiert werden soll, das ewig realisierte Ideal, d.
h. die ewig und urbildliche Wirklichkeit der Liebe,
zu Grunde liegt. Gesetzt also, dass die christliche Dogmatik nicht schon ihrerseits die Dreieinigkeitslehre entwickelt hätte:
die Ethik müsste in ihrem Interesse diese Lehre postulieren. S.
81-98
Aus: Die christliche Ethik dargestellt von Dr. H. Martensen. Bischof von Seeland.
Allgemeiner Teil. Deutsche vom Verfasser veranstaltete Ausgabe. Verlag von H.
Reuther 1883. Karlsruhe und Leipzig. (Rechtschreibung wurde bei Übertragung
weitgehend aktualisert).