Franz Xaver von Baader (1765 – 1841)
![]() |
Deutscher
katholischer Philosoph und Theologe mit eingehendem Studium mystischer
und theosophischer Traditionen. Jakob Böhme und Louis Claude de Martin sind wichtige
Quellen seiner universalistischen Einheitsspekulationen (Weltseele). Baader war Wegbereiter der romantischen Naturphilosophie und stand in engem Gedankenaustausch mit Friedrich
Wilhelm Joseph Schelling, den er tief beeindruckte. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Sätze
aus der erotischen Philosophie Über den Begriff der Zeit |
>>>Christus Impetus philosophicus für das Weihnachtsfest |
Sätze
aus der erotischen Philosophie
36. Wie Gott den Menschen schuldlos oder unschuldig und so
wie die Natur unverdorben schuf, nicht aber schuldunfähig und unverderblich,
und wie Gott wollte, dass der Mensch durch eignes Tun, Mitwirken und Verdienst (mittelst der bewährenden Versuchung) diese
Schuldfähigkeit und Verderblichkeit in sich tilgen sollte, so gilt dasselbe
für jede andere Liebe, denn jede Liebe muss von ihrem ersten, unmittelbaren,
natürlichen oder Unschuldstand durch eine Versuchung zu ihrem bewährten
Stand und Bestand eingehen.
37. Wie ferner der Abfall oder der Treubruch des Menschen von und gegen Gott
nicht notwendig war, und wie der Mensch auch ohne solchen die Versuchung hätte
durchgehen und bestehen können; wie aber die Versuchung notwendig war,
weil er ohne seinen Durchgang durch sie die Bewährung oder Wahrhaftig-
und Bleibendmachung seiner Verbindung mit Gott nicht hätte erlangen können,
— so gilt dasselbe auf seine Weise für jede Liebe, nämlich für
die Menschenliebe wie für die Naturliebe, als Prinzip der Kultur wie der
bildenden Kunst.
So wie die Liebe Gottes zum Menschen sich herablässt, ihn zu sich
erhebend, breitet sie sich als Menschenliebe in der Horizontale aus, und steigt
als Naturliebe in die niedrigere herab, diese zu sich erhebend. Sollte aber
mit dieser wahren Liebe oder Neigung zur Natur das wahre Hörigkeitsverhältnis
derselben zum Menschen hergestellt sein, so mußte die intelligente Kreatur
auch hier die doppelte Versuchung bestehen, entweder despotisch auf gottvergessene
Weise die Natur zu missbrauchen oder sklavisch (und gleichfalls gottvergessen) sich ihr zu unterwerfen. Dort nämlich vergisst sie, dass Gott
der absolute Herr der Natur ist; hier,
dass dieser Gott ihr alleiniger unmittelbarer Herr ist. In der
ersten Versuchung fiel Luzifer,
in der zweiten der Mensch.
39. Der Sturz des stolzen Luzifer ging Gott nicht zu Herzen, wohl aber der Fall
des schwachen, durch Sinnlichkeit verführten Menschen. Indem aber dieser
Fall Gott zu Herzen ging, ging sofort die rettende, helfende Liebe von diesem
seinem Herzen aus, und fing mit der Menschwerdung (denn diese fing im Moment
des Falls an) das Werk der Versöhnung, d. i. der unauflösbaren Wiedervereinigung
Gottes mit dem Menschen, und durch ihn mit der Welt an. Welches Werk die fortgehende
Weltgeschichte im Großen wie die Geschichte des Lebens jedes einzelnen
Menschen im Kleinen ist. Die Liebe ist und war, wie Johannes
sagt, bei Gott, als er die Welt und den Menschen schuf, als aber
der Mensch fiel, ging sie von Gott aus und kam als erlösendes Wort in die
Welt.
Man konnte sagen, dass im Momente des Fall des Menschen Gottes Herz sich
an ihm versah, jedoch hier in dem dem gewöhnlichen entgegengesetzten
Sinne, weil nämlich das Unförmliche hiermit wieder reformiert ward.
Der Strahl der göttlichen Liebe oder Jesus (nach der Deutung der Hebräer) ging nämlich im Momente des Falls sofort in die Sophia als die eigentliche
Matrix aller Urbilder, und ward im Urbild des Menschen zum Geistmenschen, so
wie hiermit die natürliche Menschwerdung in der Zeit begann. Hierauf beruht
der dreifache Name des Erlösers als Jesus, Christus und Mariä Sohn.
40. Ähnliche Mysterien gehen in jeder Menschenbrust vor, welche das Werk
der Versöhnung in sich gewähren lässt, weil der Zentralprozess
sich in jedem partiellen wiederholt oder spiegelt. Welcher Liebende hätte
nämlich nicht in sich wahrgenommen, daß er, indem er verzeiht und
sich versöhnt, tiefer in sein Herz eingeht, sich tiefer in diesem Herzen
und hiermit in dem Gedanken eines wiederhergestellten Verhaltens zu dem von
ihm Abgefallenen an die Stelle des zerrissenen und entstellten Verhaltens desselben
sich fasst, und, mit diesem neugeschöpften und gefassten, gleichsam
schöpferisch wordenen Verlangen und Imagination in den Reuigen eingehend,
diesen selber erneuert und sich tiefer mit ihm verbindet. Welcher Liebende,
sage ich, hätte nicht bemerkt, dass nur das hierbei als Opfer fließende
Herzblut den Kitt zu jenem innigen und dauernden Freundschafts- und Liebesbund (als Konsanguinität im tieferen Sinne) gibt, von welchem gilt, was des Moses Weib sagte: Du bist mir zum Blutbräutigam
geworden.
Man könnte darum jedem Menschen, welcher den Versöhnungsprozess in sich aufrichtig und herzlich durchgemacht hat, zurufen: Du bist nicht ferne
vom Reiche Gottes!
Aus: Franz von Baader, Sätze aus der erotischen
Philosophie und andere Schriften, ( S.125-128)
Herausgegeben von Gerd-Klaus Kaltenbrunner
Sammlung Insel si 19
Über
den Begriff der Zeit
Ein Wesen dagegen, welches in dem Augenblicke der Ausübung
einer solchen, der Einheit des Systems widerstrebenden Aktion, sich nicht in
einer direkten oder totalen Beziehung zu dieser Einheit befindet, oder ein Wesen,
dessen entgegengesetzte Aktion das Zentrum nicht direkt, sondern nur indirekt
angreift, wird auch nicht die direkte niederdrückende Gegenwirkung, oder
das ganze Gewicht des letzteren empfinden, und eben sowohl seine Entfernung
vom Zentrum, als die Vernichtung in seinem Innern (als die natürliche Wirkung
dieser Entfernung) wird also auch nur indirekt oder partiell sein. Gerade in
diesem letzteren Falle befindet sich der Mensch in dieser Schein-Zeit gegenüber
oder unter der Gottheit, und es wird belehrend sein, einige charakteristische
Eigenschaften dieser Zeit zu entwickeln, welche, sonst sehr dunkel und unbegreiflich,
sich sehr natürlich erklären, wenn man sie von diesem Gesichtspunkte
aus betrachtet. Erstens wenn der Mensch in dieser Schein-Zeit niemals die totale
Aktion des Zentrums finden kann, so folgt, daß er niemals seinen Gott
total finden kann, insoferne er sich nur in dieser Zeit hält. Alles, was
sich ihm in dieser Zeit und diesem Raume anbietet, versucht ihn also (entweder
zu seiner Beseligung oder zu seiner Verdammnis) aus ihr herauszutreten; denn
es ist, wie man es vollkommen in der Theorie weiß, obschon man es immer
in der Praxis wieder vergisst, nur eine Täuschung, wenn dieser immer
von dieser Zeit missbrauchte Mensch dennoch an dieselbe glaubt, das heißt
wenn er immer in einem anderen Punkte oder Teile derselben Zeit oder desselben
Raumes das zu finden hofft, was er nicht in einem ersteren finden konnte. —
Alle sogenannten Beweise für das Dasein Gottes, oder eigentlich aller Gottesdienst,
welcher ein Heraustreten aus der Zeit nicht bewirkt‚ werden euch niemals
diesen totalen Gott offenbaren, dessen Bedürfnis ihr fühlet. [...]
Aus diesem Gesichtspunkte wird man es sehr klar finden, dass der Atheist
(oder derjenige, welcher, da er sich der vollkommenen Offenbarung Gottes in
seinem Innern widersetzt, Gottesmörder genannt werden könnte) nur
diese innere Offenbarung (die moralische, wie man sagt) dieses Gottes leugnet,
nicht aber seine äußere Offenbarung, welche von ihm Naturgesetz,
Schicksal, Verhängnis usw. genannt wird, und man kann einen solchen Gottesleugner
nur widerlegen, indem man ihm zeigt, dass seine eigene Anomie (Gesetzlosigkeit
oder innerer Mangel alles Gesetzes), welcher er vergeblich seine lügnerische
Selbstgesetzgebung (Autonomie) entgegensetzt, oder mit andern Worten: dass
seine innere Trennung von Gott nur sein eigenes Werk und der Erfolg seiner eigenen
Schuld ist.
Aus: Franz von Baader, Über den Begriff der Zeit
(1818) / Über den Zwiespalt des Gaubens und Wissens als geistige Wurzel
des Verfalls der religiösen und politischen Societät in unserer wie
jeder Zeit (1833) Hrsg. von Carl Linfert . Libelli Band XVIII ( S.27-28, 31-32)
Herausgegeben von der Wissenschaftlichen Buchgemeinschaft e. V. Darmstadt