Susanna Katharina von Klettenberg (1723 - 1774)
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Deutsche
Schriftstellerin, Herrenhuterin und Freundin von Goethes Mutter,
die sich durch eine uneingeschränkte Toleranz und aufrichtige Religiosität
auszeichnete und dem jungen Goethe in den Jahren 1768-70 nicht nur tiefgründige Eindrücke pietistischer Frömmigkeit vermittelte, sondern auch die Bekanntschaft mit pansophisch-alchimistischen und kabbalistischen Schriften (Wellings Opus
Mago-Cabbalisticum, Paracelsus, Swedenborg).
Selbst vor dem Mischen alchimistischer Tinkturen schreckte man nicht zurück,
was Goethe später beim »Faust« zupass kam. Goethe dankte es ihr, indem er sie als Urbild der »Schönen Seele« in »Wilhelm Meisters Lehrjahre VI« und in der Gestalt der Makarie in »Wilhelm
Meisters Wanderjahren« literarisch verewigte. Über sein Verhältnis zu ihr berichtete er auch in »Dichtung
und Wahrheit«. Vor seiner Abreise nach
Straßburg vermittelte ihr Goethe noch die Bekanntschaft mit Johann Caspar Lavater. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
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An Lavater
/ Über Glaubenserfahrung
Ja Lavater entweder
Atheist oder Christ das übersetz ich mir, entweder Kind
oder Narr! —
der Weise, der unter dem Namen Deist
keinen in der Menschheit geoffenbarten Gott haben
will, und der Schulgelehrte, der es beweist, daß Gott
ist Mensch worden, sind mir geistige Mißgeburten, ich kann sie nicht
brauchen. Nach zehnjährigem Suchen fühlte ich in einer
glücklichen Stunde daß Er ist, ja Er ist. Er war gestern bei denen Aposteln, die Ihn sahen,
hörten, betasteten, die das was sie gesehen gehört, mit Händen
gegriffen haben, zu dem End‘ anderen schrieben, damit sie gleiches Glück
mit ihnen genießen, und so gut von seinem Sein
ein unmittebares Gefühl haben möchten, wie sie.
Er ist aber auch noch heute bei uns. Er ist bei uns durch ein Gefühl
das just so lebhaft, so bleibend, so überzeugend ist, wie das, so durch
Sehen mit Augen entstanden. Sehen der Augen ist nichts wann es nicht zum Gefühl
im Herzen wird; die Diener dorten auf der Hochzeit in Kanaan, die das
Wasser in die Krüge gefüllt hatten, wußten, woher der gute Wein
kam, sie fühlten aber nichts dabei. Die Jünger fühlten, wir fühlen
ihnen nach, und haben mehr als die Diener die sahen. —
Die unserer jetzigen Ökonomie angemessene unmittelbare Umgangsweise mit Christus, ist ein bleibendes
Gefühl. Ein Gefühl das weit zärtlicher ist als das Gefühl von einem Freund, als das Gefühl so
Lavater von Goethe hat - - Ein Gefühl
das immer einerlei ist, zwar nach den Umständen, in denen wir als Menschen
uns finden bald froh, bald zärtlich wehmütig,
bald stärker bald schwächer, aber immer da bleibt
nie ermangelt. Da erwacht man nie so trocken, als ob man
keine Seele hätte. —
Ein Gefühl, das wir benutzen können das Kräfte darreicht zu beten, — zu beten,
aber um nichts zu beten, als um das, von
dem wir nicht durch Schlüsse, durch Empfindung so gewiß
wissen, daß wir es bekommen können als gewiß der Sohn weiß, daß Er Brot bitten darf, und keinen Stein empfangen
wird —
Ein Gefühl das Kräfte darreicht zum Tun
— daß man mit Lust tun kann, im
Notfall auch Berge versetzen, Schwierigkeiten heben kann, die Bergen gleichen,
dadurch man Glauben macht, weil man selbst
glaubt, fühlen, weil man selbst fühlt. Kein Glaube wo nicht sinnliche
Erfahrung zum Grund liegt — ist fühlen nicht sinnlich? sind nicht
vielmehr alle Sinnen Gefühl? wann wir fühlen, was Paulus
was Stephanus fühlten »den
lebenden Christus!«
— n‘importe, ob wir sehen, was sie
sahen — Das Annehmen, das ganze Wahrhalten der simplen Geschichte, wie Er geboren,
gestorben, auferstanden ist bringt uns zu dem großen Gefühl.
Hier lieber Lavater ist der Fleck
wo man Kind oder
Narr muß werden —
Die Erzählung von Ihm müssen wir glauben so wie eure Kinder glückliche
Eidgenossen, die Geschichte von Wilhelm Tell glauben,
sich mittragen, dadurch zu ähnlicher Gesinnung ihrer Väter heranwachsen,
durch Erfahrung innewerden, was Freiheit ist, und so fühlen, was sie glaubten.
Bruder sie werden denen Regungen ihrer Seele, dem Hunger und Durst nach Ihm
nie widerstehen, nie widerstehen können.
— Getrost, es ist das von höherer Kraft in
ihr Herz gesäte Korn, es wächst unter dem Lauf von Tag und Nacht,
und der reife Weizen wird Erntefreuden, Genüsse schenken.
Aus. Susanna Katharina von Klettenberg, An Lavater:
Die schöne Seele, herausgegeben von H. Funck, Leipzig 1911, S.259 bis 261
Enthalten in: Zeichen der Zeit, Ein deutsches Lesebuch in vier Bänden.
Band 1: Auf dem Wege zur Klassik, Herausgegeben von Walther Killy Fischer Bücherei
441 (S.294f.)