Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 – 1790)
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Deutscher
Dichter, der in Königsberg Theologie studierte und Vorlesungen Kants besuchte. Lenz, der als einer der bedeutendsten Dichter des »Sturm
und Drang« gilt, traf mehrmals mit Goethe zusammen, den er sehr bewunderte. Mit Herder tritt er 1773 in Briefkontakt. Um 1775 wurde er von Vielen (neben Goethe) als der zweite deutsche Shakespeare angesehen. Er verfasste Natur- und Liebesgedichte und verschiedene Dramen, die er selbst als Komödien bezeichnete und in denen er auch heute noch aktuelle soziale Fragestellungen
psychologisch in phantasievoller und realistischer Weise durchleuchtete.
Lenz bezeichnet die »Meynungen eines
Layen«, deren zweiter Teil in aktualisierter Schreibweise nachstehend
folgt, als »Grundstein seiner ganzen Poesie«.
Die »Stimmen des Layen auf dem letzten
theologischen Reichstage im Jahre 1773«, in denen der Theologe
Lenz die christliche Grundhaltung seiner Zeit kritisiert, sind als Reden konzipiert, die er sehr wahrscheinlich im gleichen Jahr der Straßburger »Sozietät« vorgetragen hat. Siehe auch Wikipedia Weitere Texte siehe »Projekt Gutenberg« |
Stimmen des
Laien auf dem letzten theologischen Reichstage im Jahre 1773
Wenn wir uns selbst ansehen, so finden wir — was? einen Körper, der
Materie enthält, die aber auf eine wunderbar vollkommene Weise zusammengesetzt
und organisiert ist, deren Geheimnisse alle angewandte Bemühungen der Anatomiker
uns noch nicht haben entschleiern können, und aller anzuwendenden Bemühungen
der größten mechanischen Künstler, nachzuäffen, noch viel
vergeblicher sein würden. Doch sagt uns die Vernunft, — und die Vernunft
der ältesten Nationen hat es schon von jeher gesagt — dass diesem
auch aufs künstlichste zusammengesetzten Körper
noch etwas fehle, ihn in Bewegung zu setzen, in ihm zu denken, zu empfinden,
zu urteilen und zu wollen, der prometheische Funke, wie ihn die Griechen nannten,
der vom Himmel seinen Ursprung nehmen musste, die lebendige
Seele, wie sie
Moses nennt, die Gott selbst
in unsre Maschine hinabhauchte. Die Theorie dieses Götterhauchs,
den wir in uns fühlen — und weh dem, der ihn nicht fühlt! —
stellen wir bei Seite, so viel wissen wir, daß diese uns
belebende Kraft der edelste Teil unseres Selbst ist, dass von ihrer Bildung,
Erhöhung, Erweiterung die Bildung, Erhöhung und Erweiterung unserer
ganzen Glückseligkeit abhängt. Wer das nicht glauben will,
der lasse es bleiben, die Sache redet von sich selbst. Je größer
die Sphäre ist, in der wir leben, desto beglückter und würdiger
unser Leben, wer aber taub ist, dem wird, freilich ewig vergeblich, in die Ohren
geschrieen werden.
Wir wissen, daß sich die Materie nicht selbst bewegt,
alle Kräfte müssen von außen auf sie wirken, sonst ruht sie
ewig, verharrt ewig in ihrem Zustande. Unser Geist
aber hat in sich den Ursprung seiner Bewegung, kann
denken was er will, wollen was er will, unsere Körper bewegen, wohin und
wie er will — es ist töricht, dass ich auf die ersten Wahrnehmungen
eines Kindes zurück führe, aber, um der falschen Weisheit Einhalt
zu tun, um die Ikarischen oder Phaetonischen vermessenen Bestrebungen herab
zu ziehen und zu demütigen, ist oft kein besserer Rat, als bei den uns
jetzt Torheit dünkenden Beobachtungen unsrer Kindheit wieder in die Schule
zu gehen, auf unsere abgeworfene Kinderschuhe zu treten, und wieder von vorne
anfangen gehen zu lernen, eh wir fliegen können. Unser
Geist also ist eine Kraft, die sich selbst bewegt, und doch auch zugleich seine
Wirksamkeit auf Dinge außer sich äußert, sie bewegt und verändert. Das sind lauter Erfahrungen, die wir machen, so bald wir zu erfahren
anfangen, die mir also nicht können bestritten werden.
Nun kommt es darauf an, zu wissen, ob diese Kraft
ewig sei, ewig und ohne Zeit in Ansehung ihres Ursprungs, ewig und ohne
Zeit in Ansehung ihres Endes, ob sie sich selbst immer in ihrem ganzen Umfang
und Stärke erhalten könne, oder ob ein anderer da sei, der sie erhält,
unterstützt, vermehrt, erweitert, vergrößert oder vermindert. Die Erfahrung lehrt uns, daß diese Veränderungen in uns vorgehen,
die Bibel lehrt uns, von wem sie kommen, lehrt uns, daß einer da sei,
der diese Kraft uns gegeben, der ihr ein gewisses Gesetz der Bewegung vorgeschrieben,
der nach Maßgabe der rechten Anwendung dieser Kraft sie in uns vermehre
oder vermindere, das heißt, uns belohne oder bestrafe. Und welches ist
dann das große Gesetz, nach welchem wir diese Kraft anwenden oder brauchen
sollen, um glücklich zu sein? Ganz einfach! gar nicht weit gesucht, ganz
simpel! es ist die völlige Dependenz [Abhängigkeit] von dem, der sie uns gegeben hat — von
Gott. —
Verflucht also die Freiheit,
die sich wider ihn empören will, die glücklich sein will auf einem
andern Wege, als den er uns vorgezeichnet, den sein göttlicher
Verstand durchgeschaut, sein göttlicher Wille gut befunden und bestätigt
hat. Ja frei sind wir, aber frei vor Gott, wie Kinder unter den Augen
ihres liebreichen Vaters frei scherzen und spielen dürfen. Kehren wir ihm
aber den Rücken, so ren¬nen wir in den Tod, und die Freiheit, die uns
von dort entge¬gen winkt, ist kalt und grauenvoll, ist der Wink des Chaos
und der alten Nacht.
War uns also eine nähere Offenbarung
des göttlichen Willens nötig? Hier sind
wir wieder an der Frage, die so viel Lärmen in der ganzen Christenheit
gemacht hat. Und nicht zu ihrer Ehre. Denn Schande ist es, da uns eine so herrliche Offenbarung geschehen, die wir im Staub hingeworfen
mit Dankbarkeit verehren sollten, dass wir jetzt erst fragen, ob eine solche
uns nötig gewesen. Dankest du also dem Herrn deinem Gott, du toll und törichtes
Volk? Hätte der Kamtschadale [Angehöriger
eines altasiatischen Fischer- und Jägervolks auf der ostsibirischen Halbinsel
Kamtschatka] so gefragt, der von der Bestimmung seiner Seele,
von dem höheren Zwecke seiner Schöpfung nichts wusste, sich gern und willig unter die Tiere des Waldes gesellte,
mit ihnen fraß, sich gattete und unterging — hätte der alte
Römer oder Grieche so gefragt, der von der Fortdauer seiner Substanz auf
längere Zeit, als die achtzig Jahre, die sie unter ihres gleichen sichtbar
zubrachten, keine einzige klare Nachricht, nur dunkle schwimmende Ahndungen
hatte; aber der Christ —
Nun ja freilich der Christ. — Wir finden unter keiner
Sekte in der Welt größere Verbrecher, größere Scheusale,
als unter den Christen. Und das wird alles ganz treuherzig nicht den
Individuen, nicht den Usurpateurs des christlichen Namens zugeschrieben, sondern
der Religion und ihrem Urheber. Das ist eine Lästerung, die unter dem Himmel
ihres gleichen nicht hat, und die doch, seit der ersten Ausbreitung unserer
Religion, immer mit ihr in gleichen Schritten gegangen ist. Und wer ist Schuld
daran, als eben die Christen, die ihren Namen schänden und zu allen Zeiten
geschändet haben, die man in der ersten Kirche fein aus den Versammlungen
der übrigen Unschuldigen heraus stieß, in den nachfolgenden Kirchenversammlungen
aber nicht allein beibehielt, sondern feierte, vergötterte, krönte
und wer weiß nicht was, und um doch das exkommunizieren ja nicht aus der
Mode kommen zu lassen, die wahren Christen aus der christlichen Gemeinde verbannte.
Kann nun die Religion dafür? Ich erzähle hier gar nichts Neues, sondern
was jedem Kinde bekannt ist. Aber die Frage scheint immer noch unbekannt zu
sein, ob schon sie freilich auch schon alt genug ist, und der h.
Augustin 22 Bücher drüber geschrieben hat: kann nun die Religion dafür?
Dass wir aber von unserem Zwecke nicht abkommen: wenn also eine göttliche Offenbarung nötig war — und ihr lieben Christen!
die ihr darüber so viele Skrupel habt, die ihr jetzt so gut die Regel de
tri in Büchern rechnen könnt, ob auch wohl ein Rechenbuch nötig
war, das von nichts besserem anfing, als von den elenden fünf Spezies,
erlaubt mir doch, zu behaupten, dass wenn euch Weisen und Klugen die göttliche
Offenbarung nicht mehr nötig ist, sie doch wohl euren Vorfahren und den
Vorfahren ihrer Vorfahren nötig gewesen sein könne, die euch nachmals
mit vieler Müh, aber wenig Dank, rechnen gelehrt haben — erlaubt
mir doch zu behaupten, daß unser lieber Urältervater
Adam noch nicht wusste, was er essen sollte, oder was er stehen lassen
sollte, wenn er nicht gleich eine göttliche Offenbarung empfangen, dass
ihr noch jetzt kein Fleisch fressen und keinen Wein trinken würdet, wenn Gott nicht Noah selber
angezeigt, die wilden Tiere zu verfolgen und den Weinstock zu pflanzen, dass
die Heiden viel erkenntlicher gegen Gott waren, den sie nicht kannten, dass
sie sich von einer unbekannten Macht fortgerissen fühlten, demjenigen göttliche
Ehre zu erzeigen, der zuerst ihren Vorfahren jagen, oder Ackerbau, oder Weinstöcke
pflanzen gelehrt, denn das ist der Ursprung des heidnischen
Götterdienstes, weil sie wohl einsahen, dass der völlig sich
selbst gelassene Mensch nicht auf solche Verbindungen würde gekommen sein
— doch wo gerate ich hin? Sei es, diese Unordnung ist eine Pindarische
wert —
Was wäre unsere Welt ohne die beständige Einmischung und Einwirkung
der Gottheit — die ihr sie nicht glaubt, lernt zittern vor ihr,
wann sie euch richtet und in Erdbeben, Donner, Wasserfluten daher tönt,
aber was wäre unsere Welt ohne den beständigen nahen seligen Einfluss
einer höheren Macht, die wir kennen, die das Spiel
alle der verborgenen Kräfte, die wir nicht kennen, in Bewegung setzt, und
in dieser Bewegung erhält, ohne daß wir nötig hätten,
einen Fuß deshalb vor unsre Tür zu setzen — die Materie läge
tot da, unser Geist nur in einer kleinen Sphäre wirksam, wollte der die
Erde ihre Bahn laufen machen, wenn nun plötzlich die sie
bewegende Kraft ausbewegt hätte und ruhte, wollte der den Pflanzen
Öl, den Tieren Lebensgeister geben, wenn irgend ein feindseliger Planet
sich auf immer zwischen uns und unsere Sonne stellte, von deren beseelenden
Wärme die ganze Freigiebigkeit unsers Bodens, das ganze Lebenssystem aller
unserer Tiere abhängt?
Ja was wäre auch unsere Welt, wenn alle diese Naturbegebenheiten nach unveränderlichen
Gesetzen fortwährten und die Gottheit sich nie einem menschlichen Geiste
näher mitgeteilt hätte?
Wir sehen es an uns — an uns starken Geistern selber. Welch eine wilde
See voll Zweifel, die alle zu keinem Zweck führen? Wer wird unsere Vernunft
leiten, gütige Gottheit, wenn du nicht selbst uns einen Kompass in die
Hand gibst, nach dem wir schiffen können. Je weiter wir kommen, je weiter
von den Küsten der Sinne und ihrer Erfahrungen uns entfernen, an denen
wir doch unmöglich ewig fortfahren können, wenn wir nicht seicht bleiben
wollen, desto unsicherer, ungewisser, dunkler wird der Weg. Gütige Gottheit,
entzieh uns das Licht deiner Sterne nicht, oder wir streichen die Segel und
gehn unter. Was ist aber von denen zu halten, die gern uns Nebel vor diesen
Himmelsleuchten hingen, und den letzten einigen Wegweiser aus unseren Augen
entrücken möchten?
O wenn wir erst dort angekommen sein werden, in diesem unbekannten Lande, wovon
so viel pro und contra disputiert, fingiert, philosophiert, negiert, affirmiert,
doziert, in Systeme reduziert wird, weil niemand das Herz hat, mit Kolumbus
ins Schiff zu steigen und selbst hinzufahren, sondern nur vom Ufer drüber
hin und her zu räsonnieren, und darnach, wenn er’s entdeckt hat,
zu sagen, das hätten wir alle eben so gut gekonnt — — alsdann
erst, wenn wir dort angekommen sind, werden wir die Heilsamkeit
der Lichter und Sterne, die uns dahin führten, zu erkennen und dankbar
zu verehren wissen. Bis dahin lasst uns nicht darüber schwätzen
und plaudern, ob der Stern so und so heißen sollte, ob er ein Stern erster
oder zweiter Größe sei, ob er sein Licht von sich selber habe, oder
von irgend einer andern Sonne — und darüber versäumen, uns einzuschiffen.
Das war eine mehr als poetische Degression. Und nun muss ich sehen, wie ich
wieder zu meinem Zwecke zurück komme.
Es war also die Frage, da zur Erhebung und Bildung unserer
Seele eine göttliche Offenbarung vonnöten, weil unserer Seele, als einer wirkenden Kraft, der Weg und die Gesetze ihrer Wirksamkeit
mussten vorgeschrieben werden, so gut als den materiellen Kräften in der
Welt ihre Gesetze und Harmonie
vorgeschrieben ist: auf welche Art diese göttliche
Offenbarung am füglichsten geschehen konnte. Nun frage ich, ob man
eine bessere Methode anzugeben weiß, sich Geistern, die in Körper
eingeschlossen sind, mitzuteilen, als die vom Schöpfer
uns anerschaffenen göttlichkunstreich mechanisierten Organe, und die mittels
derselben hervorgebrachte Sprache, die alle, die eben die Organe haben, eben
die Ideen durch dieselben auszudrücken gewohnt sind, als ein Medium unter
sich stabilisiert und festgesetzt haben, ihre Ideen einander wechselweise mitzuteilen. Wir müssen also für so organisierte Menschen eine göttliche Offenbarung
in Worten einer gebräuchlichen Sprache annehmen, und diese Worte müssen
auf eine gewisse Weise gestellt sein, um einen bestimmten Sinn auszudrücken.
Sie können aber auch mehr ausdrücken und tiefer gehen, als es beim
ersten Anblicke scheint, wie wir diesen Effekt bei allen Schriften von einiger
Vortrefflichkeit wahrnehmen, die oft erst bei der dritten, vierten Lesung recht
hell, erwärmend und belebend werden.
Natürlich muß bei einer göttlichen Offenbarung, die für
alle Zeiten, alle Völker und alle Umstände brauchbar sein soll, diese
Eigenschaft in der höchsten Vollkommenheit angetroffen werden, und müssen
wir also, an statt über die dunklen Stellen derselben uns lustig zu machen,
mit vieler Ehrfurcht darüber verweilen, und das ganze enge Maß der
Sphäre unseres Verstandes empfinden, der schon am Rande so vieler Abgründe
zurückbebt, durch deren Tiefen vielleicht schon die nächstfolgenden
Geschlechter ohne Wolken schauen werden.
Das verhindert uns aber nicht, all unsre Kräfte aufzubieten, in dieser Dunkelheit schon jetzt so weit vorzudringen als wir können, denn die Erfahrung lehrt uns trotz unserer heiligsten Systeme, dass in
der Welt nichts übernatürlich zugehe,
dass alle Wirkungen und Produkte unseres Verstandes in
ihren Ursachen, in den Bestrebungen und Anstrengungen desselben gegründet
sind. Aber da gleich beim ersten Schritte umzukehren und zu sagen, das
lohnt der Mühe nicht — die Offenbarungen waren nicht göttlich
— wahrhaftig! das ist der Weg nicht — das heißt, das kleine
von unseren Aeltern übertragene Pfund fein im Schweißtuche vergraben,
weil man weiß, dass der Herr streng war, und erntete, wo er nicht gesät
hatte, uns Sachen sagte, die wir nicht gleich auf Anhieb verstanden haben, und
uns doch nicht die Mühe geben wollten, sie verstehen zu lernen.
Ob also die Wahrheiten, die wir in der Bibel anfangs sparsamer ausgestreut,
nachgehends häufiger zusammengedrängt finden, göttlichen Ursprungs seien, das ist die Frage. Und wie ist die auszumachen,
wie ist die zu beantworten? Wie die Wahrheit immer antwortet
und seit Anfang der Welt geantwortet hat. Probiert mich, nehmt mich eine Weile
auf Treu und Glauben an, aber ohne Tücke, ohne Hinterhalt eurer anderweitigen
Afterneigungen und Begierden, und wenn ihr euch glücklich in meinem Besitze
fühlt, nichts mehr zu wünschen und zu hoffen fühlt als mich,
und immer mehr mich, so behaltet mich bei und sucht auf dem Wege, den ich euch
vorlege, immer weiter vorzudringen, um immer neue Länder der Glückseligkeit
zu entdecken: denn es sind ganz gewiss welche da, glaubt mir nur. Wer
nun ihr glaubt, der schifft ein, wer nicht will, der bleibt am Ufer stehen und
lacht die einfältigen Schöpse aus, die sich immer weiter aus seinem
Gesichte entfernen, bis sie zuletzt sein Lachen nicht mehr hören, er aber
bleibt wie die Bürger in kleinen Reichsstädten, glücklich auf
seinem Mist, und wer wollte ihm sein armes Glück missgönnen?
Das wäre nun genug wider den Unglauben deklamiert — lasst uns aber
nun untersuchen, wie viel und wie wenig wir glauben sollen, um weder Don
Quichotte zu sein und spanische Schlösser und verfluchte Prinzessinnen
aufzusuchen, wo Windmühlen und Dulzineen stehen, noch auch den Gefährten
des Kolumbus ähnlich, die, so bald sie auf
der hohen See waren, schon den Mut verloren, jemals wieder auf festes Land zu
kommen. Wie kann Gott sich
Menschen geoffenbart haben, wie ist das möglich? Sie zu Maschinen gemacht
und durch sie zu andern Menschen gesprochen, wie die heidnischen Orakel durch
die delphischen Priester? —
Diesen Begriff nahmen gewisse zunftmäßige Theologen, die den Glauben
des Pöbels gepachtet hatten, um sich anderweitige Vorteile damit einzutauschen,
mit Freuden an, nur dem Namen nach von jenen Priestern des Altertums unterschieden,
die den Göttern ihre Absichten oder auch absichtslose Einfälle unterschoben,
um den Pöbel mit dem allerstrengsten und furchtbarsten Zaume und Gebiss
zu regieren, die ein menschlicher Verstand nur aussinnen konnte, mit der Ehrfurcht
gegen seine Götter. Diesem Begriffe lehrt uns also die Philosophie, der
gesunde Gebrauch unseres Verstandes ausweichen — aber lehrt sie uns auch
in den entgegengesetzten Begriff fallen, lehrt sie uns das, was
von der Gottheit, nicht auf der Gottheit unanständige Art hervorgebracht
werden konnte, als gar nicht von der Gottheit hervorgebracht, als bloß
menschlich, irrig, unbestimmt, schwankend, und vielleicht gar töricht und
elend wegwerfen? Die Perlen, die nicht vom Himmel gefallen, sondern ganz
natürlich aus dem Grunde des Meers hervorgefischt sind, mit Füßen
treten? — das sei ferne.
Es hat gewisse Menschen gegeben, die der Gottheit lieber waren, als wir. Fällt
uns das so schwer, so unmöglich zu glauben? Ei meine lieben und auserwählten
Kinder Gottes, ihr, die ihr ganz allein sein Herz habt, gegen die Petrus
und Paulus noch einschenken müssen, und die
heiligen Propheten und Märtyrer allzumal doch nur Stiefkinder waren, wie,
wenn ich euch frei heraus sage, daß ich doch nicht glaube, daß dem
Dinge so ist, wenn ich frei heraus bekenne, dass wir mit allem unserm Wissen
kreuz und quer, lang und breit, das uns so jämmerlich schwer auf dem Herzen
liegt, doch immer, wenn wir uns an diesen Leuten messen, ihnen durch die Beine
durchfallen. Und wo hatten sie das her, ja, lieber Gott! wo hatten sie das her,
es waren doch nur Fischer und jene Teppichmacher, und die alten Propheten gar
Avanturiers, die auf keiner Universität promoviert hatten.
Woher kam ihnen das, worauf nach erstaunenden Bestrebungen unsere größten
Genies endlich doch nur halb blindlings und in der Dämmerung des von ihnen
ausgegangenen Strahls tappten. Vom Geiste
Gottes? wahrhaftig nicht, nein, das kann nicht sein, denn was ist
Geist Gottes, zeigt mir ihn, beschreibt mir ihn, definiert mir ihn, malt
mir ihn an die Wand! Von wem denn? wir wissen nicht.
Soll ich versuchen, Ihnen dies Problem aufzulösen? Sie müssen mich
aber nicht auslachen, ich bitte Sie, denn ich lasse mich durch Lachen nicht
abweisen. Ich würde Sie vorher auffordern, mir zu beweisen, ob Sie mit
Verstand gelacht hätten, und können Sie mir das — nun dann will
ich mit lachen. Es hat Leute in der Welt gegeben, wie uns die Bibel sagt, und
was ist zu tun, hier müssen wir doch der Bibel glauben, denn es ist das
älteste Geschichtsbuch, das wir haben, die sich es gleich vom Anfange einfallen
ließen, sie könnten doch wohl etwas weniger sein, als der Gott, der
über ihnen donnerte, die also den Entschluss fassten, diesen Gott, dessen
Erkenntnis wenigstens nach den Anfangsgründen (die
gemeiniglich das beste und sicherste sind, was wir davon haben) ihnen
durch die Tradition von Adam an bis auf Enos,
und von Enos bis auf Henoch, und von
dem bis auf Noah, und von dem so weiter bekannt geworden war, auch allein
als Gott zu verehren, und sich seinem Willen in allen Stücken zu unterwerfen,
möcht er ihnen auch noch so dunkel und unbegreiflich
vorkommen.
Diese Leute hießen die Patriarchen, und Gott
hat sich ihnen immer von Zeit zu Zeit unter einer sichtbaren Menschengestalt
gezeigt, und ihnen seinen Willen, den sie freilich noch nicht immer ganz
verstunden, zu erkennen gegeben. Diese Leute erzählen das Ding ihren Kindern,
und diese wieder ihren Nachkommen, und so entstand die ganze jüdische Republik,
und die ganze jüdische Gesetzgebung.
Nach und nach, da die Leute schon gescheiter geworden, und nicht mehr zum simplen
einfältigen Gehorsam gegen die Befehle der Gottheit zu bringen waren,
sondern immer schon das aber wie? aber warum? wissen wollten, da ging es nicht mehr an, ihnen in ihrer eigenen Gestalt zu
erscheinen, sie hätten sich zu familiär mit der Gottheit gemacht,
wie wir in späteren Zeiten schon ein Pröbchen davon sehen werden,
und was wäre denn aus dem ganzen Gehorsam der Menschen
gegen die Gottheit, und aus seinem ganzen Endzwecke der Schöpfung mit ihnen
geworden?
Er musste sich also in eine Wolke hüllen, donnern und blitzen um sich her,
damit sie mit ihrem überklugen Verstande endlich einsehen lernten, dass
er mehr könne als sie, und diejenigen unter ihnen, die noch den meisten
Gehorsam, die meiste gänzliche Unterwerfung und Ergebenheit in seinen Willen,
das größte Gefühl ihrer Dependenz von ihm zeigten, seiner näheren
Offenbarung würdigen, die mochten hernach sehen, wie sie den übergesunden
im hitzigen Fieber stolzierenden Patienten die Arznei eingeben, ob mündlich
oder schriftlich, ob von Taten begleitet, die über den Wirkungskreis der erstaunend vernünftigen Tollhäuser waren,
und die sie durch die nach Gottes Weg und Ordnung angewandte und geübte
in ihnen liegende Kraft bewirkten, die aber, weil sie andern Leuten nicht in
dem von ihnen erfundenen Weg und System lagen, durchaus für übernatürlich, unnatürlich oder widernatürlich gelten
mussten, nachdem sie bescheidener oder impertinenter in ihren Urteilen waren.
Solche der vorzüglichen sichtbaren Offenbarung Gottes gewürdigten Leute hießen Propheten, und es steht in der Bibel, dass der Herr mit ihnen geredet und dass sie wieder
mit dem Volke geredet, so und so sagt der Herr, und das und das wird erfolgen,
wenn ihr so handelt, und das und das wird geschehen, wenn ihr anders handelt.
Finden Sie nun darin etwas wider- oder übernatürliches? Ich im geringsten
nicht. Es ist Mutter Natur, dieselbe, wie sie aus der
Hand Gottes kommt, dieselbe, wie ich sie jetzt um mich herum allenthalben in
ihren Wirkungen fortschreiten sehe und auf meinem Antlitze fußfällig
anbete.
Nachdem lang genug Propheten zu dem Volke geschickt waren, die Leute oft genug
gesehen, dass das wahr geworden, was sie ihnen unter gewissen Bedingungen gedroht
hatten, und Gott doch klüger und mächtiger sei
als sie, nachdem sie den hellen Glanz der Wahrheit nicht mehr ableugnen konnten,
der ihnen zeigte, daß sie durchaus Gott gehorchen mussten, um glücklich
zu sein, erschien Gott endlich selber wieder in derselben Gestalt in der er
sich den ersten Menschen und den Patriarchen und den Propheten allen hatte sehen
lassen und setzte den Gehorsam und die Dependenz auf die höchste Probe,
auf die sie nur konnten gesetzt werden. Ward geboren wie sie, elender als sie
alle, und starb des allerbittersten Todes, den nur je ein Sterblicher hätte
sterben können. Und das ging natürlich, denn als ein
Gott sich unter sie mischte und sich in nichts von ihnen unterscheiden wollte,
als in der Vortrefflichkeit seiner Lehre und dem Edlen seiner Taten, wurde er ihnen zu gemein, sie konnten ihn länger nicht an ihrer Seite leiden,
und wollten ihn also fort aus einer Welt schaffen, in der sie selbst gern die
unbeschränktesten Gebieter und Götter sein wollten.
Er litt mit Demut und Geduld, denn das war der Zweck seiner Erscheinung, stellte
uns das Muster des tiefsten Gehorsams gegen die göttliche
Zulassung des physischen und moralischen Übels in der Welt auf, des Gehorsams
bis zum Tode am Kreuz —
Warum? Um uns zu zeigen, dass je weiter diese Unterwerfung, diese Ergebenheit,
diese Dependenz von dem Willen der Gottheit gehe, desto
herrlicher der Lohn sei, der uns erwartet, dass alle die Einschränkungen
unserer zeitlichen Glückseligkeit, die durch die Vermehrung und Ausbreitung
des Menschengeschlechts und seiner guten und bösen Begierden, guten und
bösen Tätigkeit notwendig geworden waren, uns an unserem inneren und
geistigen und zugleich ewigwährenden und unveränderlichen Glücke
nicht den geringsten Abbruch täten, sondern vielmehr als Dämme anzusehen
waren, durch welche der Strom der Glückseligkeit nur darum eine Weile aufgehalten
zu werden schiene, damit er hernach desto gewaltsamer und überschwänglicher
auf uns zuströmen könne, und wir hernach in vollem Maß glücklich
und trunken von Seligkeit und Wonne den Himmel im Busen tragen möchten,
den die starken Geister leugnen, und die Schwärmer und Abergläubige
hundert Brillen aufsetzen ihn aufzusuchen, ich weiß nicht wo.
Das ist meine Überzeugung, und ich hoffe, ich werde sie sobald nicht gegen
eine andere austauschen, man müsste mir denn ihren Grund und ihre Quelle
irgendwo in der Bibel anzugeben wissen. Die nächsten Freunde unseres im
Fleische erschienenen Gottes schrieben seine Reden und Handlungen auf, und wohl
uns! dass sie es taten, ich fürchte, durch andere Hände würden
diese Geschichte so lauter und unbeschmutzt nicht gegangen sein, was auch Herr
Doktor Bahrdt in Gießen davon halten mag. Die Apostel
aber waren von ihm selbst bedenken Sie, welche Autorität — von ihm
selbst ausgewählt, ausgesucht, weil sie den nächsten Umgang mit ihm
gehabt, seine Lehren also aus der ersten Hand hatten, sie in der Welt auszubreiten,
alle Welt Teil an dieser großen Wahrheit nehmen zu lassen, dass Gott selbst
in der Welt sichtbar eine Weile gelebt wie ein andrer Mensch, ausgestanden,
gelitten wie ein andrer Mensch, und weit mehr als alle andere Menschen, und
doch nicht müde oder mutlos geworden, seinen Weg fortzugehen, menschlich
gut und edel, menschlich am besten, am edelsten zu handeln, wenn auch der Tod,
und Schimpf und Schande im Tode selbst das Finale davon wäre — denken
Sie, welch eine Lehre! Wie viel Trost! Wie viel Aufmunterung für
edle Menschen, leidende Helden, leidende Halbgötter. Denken Sie, wenn Kato noch gelebt hätte, und ein Apostel wäre zu ihm gekommen, und ihm das
Schicksal seines Gottes erzählt, ob noch Verzweiflung seinen Dolch gegen
seine eigene Brust würde gerichtet haben? Dieser Gedanke gehört nicht
mein, sondern dem englischen Dichter Cowley, aber
er ist vortrefflich gedacht und noch besser empfunden, und weil ich ihn nachempfinde,
so trage ich ihn hier, wie mich deucht, nicht am unrechten Ort auf.
Die Bibel sagt uns aber noch mehr, sie sagt uns, daß diese Leute den Geist
Gottes empfangen, und weil uns das dunkel ist, was der
Ausdruck sagen will, sollen wir deshalb die ganze Sache in Zweifel ziehen? Mit nichten, wie viel ist, das ihr nicht begreift, und wie vieles, das euch
in der Tat noch hundert Prozent unbegreiflicher ist als dieser Ausdruck selber?
Habt ihr denn nicht oft genug gelesen, und sagt ihr selber nicht oft genug,
dies und das Buch ist in dem Geiste dies und jenes Mannes geschrieben, diese
und jene Übersetzung ist völlig im Geiste ihres Originals?
Ein menschlicher Geist, der in der von Gott durch die
ganze Welt bekannt gemachten Ordnung des Rechts und der Wahrheit denkt, forscht
und handelt, eine Kraft, die sich so unaufhörlich nach der von Gott etablierten
und uns empfindbaren Harmonie bewegt, hat schon in gewissen Umständen den
Geist Gottes, eine göttliche Gesinnung, eine Gesinnung, die dem Willen
der Gottheit konform ist, und so hatte die ganze erste christliche Kirche den
Geist Gottes.
Da ihr aber die Sphäre der menschlichen Geister nicht immer nach der Sphäre
eures eigenen Geistes abmessen könnet, da ihr nicht wissen könnet,
wie hoch es gewissen menschlichen Geistern könne gegeben gewesen sein,
zu der Gottheit empor zu streben, sich seiner Fülle zu nähern, und
aus derselben einen besondern und vorzüglichen gnädigen Einfluss zu
erfahren, da ihr ja eben so wenig die sogenannten Wunder begreifen oder nachmachen
könnt, die die Apostel taten, und uns die historische Feder eines, der
kein Apostel war, von ihnen aufgezeichnet hat — warum
wollet ihr diese Leute, oder ihre Autorität leugnen, weil sie größer
waren als ihr, weil sie aus höhern Fenstern sahen?
Warum wollt ihr wegen dessen, was euch in ihren Reden und Episteln dunkel ist,
das Vortreffliche, dem ihr mit Amen und Händeklatschen Beifall geben müsst,
das so schön gesagt ist, als es nur gesagt werden konnte, das mehr als
den Stempel des Genies trägt, das eure besten Philosophen nicht halb so
kurz, lebhaft und kräftig würden haben sagen können, für
bloß menschlich, für Irrtümern unterworfen, für zweideutig
halten? Lernt sie doch erst verstehen, eh ihr so über
sie weg urteilt, das Recht gesteht ihr ja dem elendesten Schmierer zu — und kommt ihr nicht zu eurem Zweck, so schiebt euer Urteil lieber auf,
denn es könnten andere Leute da sein, oder noch erst geboren werden, die
sie nun besser verstünden als wir, und da, wo wir nichts als Unordnung
und Verwirrung und Labyrinth sahen, den schönsten herrlichsten chinesischen
Garten entdeckten — einen Garten Gottes wie Eden, und wir, die wir uns
weidlich darüber mokiert hätten, welch eine Meinung würden wir
unsern Nachkommen von unserem Geschmack hinterlassen.
Diese Leute schrieben nun — und hatten den heiligen
Geist — das ist mir genug, und nun werd ich mich schon in Acht
nehmen, ihnen Irrtümer oder Ketzereien zuzutrauen. Dass der heilige Geist
es nicht war, der ihnen den Griffel führte, sondern daß es ihre eigene
menschliche Seele war, die die Muskeln ihrer Hand bewegte, weiß ich so
gut als andere, dass sie im übrigen noch immer Menschen mit Einschränkungen
blieben wie wir, weiß ich auch, denn nur der Unendliche
hat keine Grenzen, und alle geschaffene Geister und Kräfte
haben weitere und engere Grenzen, nachdem
es seiner Weisheit und Ordnung beliebt, daß sie also bei Sachen, die mehr
die äußere Einrichtung der Kirche, als die innere Aufrichtung und
Entwicklung der menschlichen Geister betrafen, nicht einerlei Meinung sein, pro et contra disputieren, auch gar irren
und fehlen konnten, will ich alles zugeben, dass sie aber in sofern geirrt haben,
als sie Apostel ans menschliche Geschlecht waren, dass sie für uns geirrt
haben, in allgemeinen Wahrheiten, die sich nicht auf lokale Umstände beziehen
— das glaube ich nimmer und in Ewigkeit, und wer es glaubt, setzt ein
Misstrauen in die Güte Gottes, die uns durch die zwölf Apostel auf
dem Wege unsers Heils gewiss nicht in der Irre führen wollte —
Diese Abhandlung ist noch theologisch, m. H., ich hoffe aber, es soll die letzte
sein. Man wird sie mir verzeihen — weil heut zu Tage doch die Theologie
selber beim Tanzmeister in die Schule gehen, und Komplimente machen lernen muß:
es ist mir nichts weiter übrig als die Anwendung derselben auf die Theologen
in meinem Vaterland und dann auf die ganze Welt zu machen, meiner Predigt ein
honett Bürgerkleid anzuziehen, und dann zu versuchen, wie sie in vornehmen
Gesellschaften ihr Glück macht.
Was die ersten anbetrifft — meine werten Herren! so wollt ich Sie als
ein Patriot, denn diesen Titel kann mir niemand so wenig als meine deutschen
Aeltern und das von ihnen empfangene deutsche Blut streitig machen, recht sehr
ersucht haben, anstatt der Neuerungssucht, die gar zu gern an allen ehrwürdigen
Monumenten hackt und kritzelt, um ihr Altertum und ihre Ehrwürdigkeit zweifelhaft
und zweideutig zu machen, lieber den Staub und Kot rein abzuwischen, mit welchen
alle alte und neue Neuerer seit Konstantins, ja
seit der Apostel Zeiten selber sie betragen haben: alle hineingebrachte Meinungen
und Systeme und ihnen zu gefallen verdrehte und verstümmelte Sprüche
aus dem Wege zu schaffen, und wie welche bei dem, der sie liest oder betrachtet,
eben die Erschütterung, den süßen Tumult,
die entzückende Anstrengung und Erhebung aller in uns verborgenen Kräfte
hervorbringt, als der in dem Augenblicke fühlte, da er sie hervorbrachte.
Es ist also immer unser Geist, der bewegt wird, entflammt, entzückt, über
seine Sphäre hinaus gehoben wird — nicht der Körper mit samt
seiner Sensibilität, mag sie auch so fein und subtil sein als sie wolle. Denn das Wort zeigt nur ein verfeinertes körperliches Gefühl an, das
ich durchaus nicht verkleinere, verachte, noch viel weniger verdamme, behüte
mich der Himmel!
Verfeinert euren Körper ins unendliche wenn ihr wollt und wenn ihr könnt,
destilliert ihn, bratet ihn, kocht ihn, wickelt ihn in Baumwolle, macht Alkohol
und Alkahest [arab.
angebliches Lösungsmittel für alle Stoffe bei den Alchimisten] draus, oder was ihr wollt — der ehrliche Deutsche, der noch seiner alten
Sitte getreu, Bier dem Champagner, und Tabak dem eau de mille fleurs vorzieht,
der nur einmal in seinem Leben heiratet, und wenn sein Weib ihm Hörner
aufsetzen will, sie erst modice castigat [bescheiden
rügt, Vorhaltungen macht], dann prügelt, dann zum Haus
hinausschmeißt, hat einen eben so guten Körper als ihr, und noch
besseren wann ihr wollt, wenigstens dauerhafter, weiß er ihn nicht so
schön zu tragen als ihr, nicht so artig zu beugen, nicht so gut zu salben
und zu pudern, er braucht ihn wozu er ihn nötig hat — und sucht das
Schöne — wenn der Himmel anders unser Vaterland jemals damit zu beglücken,
beschlossen hat — nicht in dem, was seine verstimmte Sensibilität
in dem Augenblicke auf die leichteste Art befriedigt, oder vielmehr einschläfert,
sondern in dem, was seine männliche Seele aus den
eisernen Banden seines Körpers losschüttelt, ihr den elastischen Fittich
spannt, und sie hoch über den niederen Haufen weg in Höhen führt,
die nicht schwärmerisch erträumt, sondern mit Entschlossenheit und
Bedacht gewählt sind.
Da mihi figere pedem, ruft er, nicht mit
halbverwelkten Blumen zufrieden, die man ihm auf seinen Weg wirft, sondern Grund
will er haben, felsenfesten Grund und steile Höhen darauf zaubern, wie
Goethe sagt, die Engel und Menschen in Erstaunen setzen. Ist es Geschichte,
so dringt er bis in ihre Tiefen, und sucht in nie erkannten Winkeln des menschlichen
Herzens die Triebfedern zu Taten, die Epochen machten, ist es Urania, die seinen
Flug führt, ist es die Gottheit, die er singt, so fühlt er das Weltganze in allen seinen Verhältnissen wie Klopstock,
und steigt von der letzten
Stufe der durchgeschauten und empfundenen Schöpfung zu ihrem Schöpfer
empor, betet an — und brennt — ist es Thalia, die ihn begeistert, so sucht er die Freude aus den verborgensten Kammern hervor,
wo der arbeitsame Handwerker nach vieler Mühe viel zu genießen vermag,
und der Narr, der euch zu lachen machen soll, ein gewaltiger Narr sein muss,
oder er ist gar nichts. Ist’s endlich die Satire selbst, die große
Laster erst zur Kunst machten, wie große Tugenden und Taten die Epopee
[Epen], so schwingt er die Geißel mutig und ohne zu schonen,
ohne Rücksichten, ohne Ausbeugungen, ohne Scharrfüße und Komplimente
grad zu wie Juvenal, je größer, je würdigerer
Gegenstand zur Satire, wenn du ein Schurke bist — kurz —
Wo gerate ich hin? Ich habe nur mit zwei Worten anzeigen wollen, daß weder
Nationalhass, noch Parteilichkeit, noch Eigensinn und Sonderbarkeit mich begeisterten,
wenn ich jemals Unzufriedenheit über die französische Bellitteratur,
die so wie alle ihre Gelehrsamkeit mit ihrem Nationalcharakter wenigstens bisher
noch immer in ziemlich gleichem Verhältnis gestanden, bezeugt habe: doch
das ist grad zu und ohne Einschränkung noch nie geschehen, und geschieht
auch jetzt nicht. S.265-285
Aus: Deutsche Reden, Teil I. Von Berthold von Regensburg bis Ludwig Uhland.
Herausgegeben von Walter Hinderer Reclams Universalbibliothek Nr. 9672-78 ©
1973 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
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