Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 – 1803)

  Deutscher Dichter, der christlich-pietistisch erzogen wurde und 1745-48 in Jena und Leipzig Theologie studierte. Klopstock war ein hervorragender Epiker, Lyriker und Dramatiker. Stil und Gefühlsgewalt seines - in Hexametern gefassten - Epos »Messias«, in dem die Leidensgeschichte Christi und die Auferstehung Christi vor dem Hintergrund himmlischer und höllischer Gewalten in lyrisch-musikalischer Sprache geschildert wird, bereiteten die Empfindsamkeit und Erlebnisdichtung des »Sturm und Drang« vor. Seine feierlichen Oden an Natur, Liebe, Freundschaft, Gott dichtete Klopstock in reimlosem antiken Versmaß und freien Rhythmen. Aus Liebe zur germanischen Vergangenheit führte er in seine Dichtung eine aus altnordischen, keltischen und phantastisch-irrationalen Bestandteilen gebildete Mythologie ein (Barden).

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon
 

Inhaltsverzeichnis

Oden
An Gott
Das Anschaun Gottes
Das große Halleluja
Der Gottesleugner
Der Tod
Dem Allgegenwärtigen
(1758)

Dem Unendlichen (1764)
Wingolf (1767)

Christus-Oden
An den Erlöser
Dem Erlöser
(1773)
  Schriften
Von der heiligen Poesie

Drei Gebete eines Freigeistes, eines Christen und eines guten Königs
Des Freigeistes
Des Christen - der Vorige nach einigen Jahren
Des guten Königs

Messias (Ein Heldengedicht)
 

An Gott
A nice and subtle happiness I See
Thou to thy self proposest, in the choice
Of thy associates.

Milton.

Ein stiller Schauer deiner Allgegenwart
Erschüttert, Gott! mich. Sanfter erbebt mein Herz,
Und mein Gebein. Ich fühl', ich fühl' es,
Dass du auch hier, wo ich weine, Gott! bist.

Von deinem Antlitz wandelt, Unendlicher,
Dein Blick, der Seher, durch mein eröffnet Herz.
Sei vor ihm heilig, Herz, sei heilig,
Seele, vom ewigen Hauch entsprungen!

Verirrt mich Täuschung? oder ist wirklich wahr,
Was ein Gedanke leise dem andern sagt?
Empfindung, bist du wahr, als dürf' ich
Frei mit dem Schöpfer der Seele reden?

Gedanken Gottes, welche der Ewige,
Der Weis' itzt denket! wenn ihr den menschlichen
Gedanken zürnet: o wo sollen
Sie vor euch, Gottes Gedanken! hinfliehn?

Flöhn sie zum Abgrund; siehe, so seid ihr da!
Und wenn sie bebend in das Unendliche
Hineilten; auch im Unbegrenzten,
Wärt ihr, allwissende! sie zu schauen!

Und wenn sie Flügel nähmen der Seraphim
Und aufwärts flögen, in die Versammlungen,
Hoch ins Getön, ins Halleluja,
In die Gesänge der Harfenspieler;

Auch da vernehmt ihr, göttliche Hörer! sie.
Flieht denn nicht länger, seid ihr auch menschlicher,
Flieht nicht; der ewig ist, der weiß es,
Dass er in engen Bezirk euch einschloss.

Des frohen Zutrauns! ach der Beruhigung,
Dass meine Seele, Gott! mit dir reden darf!
Dass sich mein Mund vor dir darf öffnen,
Töne des Menschen herabzustammeln!

Ich wag's, und rede! Aber du weißt es ja,
Schon lange weißt du, was mein Gebein verzehrt,
Was, in mein Herz tief hingegossen,
Meinen Gedanken ein ewig Bild ist!

Nicht heut erst sahst du meine mir lange Zeit,
Die Augenblicke, weinend vorübergehn!
Du bist es, der du warst; Jehova
Heißest du! aber ich Staub von Staube!

Staub, und auch ewig! denn die Unsterbliche,
Die du mir, Gott! gabst, gabst du zur Ewigkeit!
Ihr hauchtest du, dein Bild zu schaffen,
Hohe Begierden nach Ruh und Glück ein!

Ein drängend Heer! Doch Eine ward herrlicher
Vor allen andern! Eine ward Königin
Der andern alle, deines Bildes
Letzter und göttlichster Zug, die Liebe!

Die fühlst du selber, doch als der Ewige;
Es fühlen jauchzend, welche du himmlisch schufst,
Die hohen Engel deines Bildes
Letzten und göttlichsten Zug, die Liebe!

Die grubst du Adam tief in sein Herz hinein!
Nach seinem Denken von der Vollkommenheit,
Ganz ausgeschaffen, ihm geschaffen,
Brachtest du, Gott! ihm der Menschen Mutter!

Die grubst du mir auch tief in mein Herz hinein!
Nach meinem Denken von der Vollkommenheit,
Ganz ausgeschaffen, mir geschaffen,
Führst du sie weg, die mein ganzes Herz liebt!

Der meine Seele ganz sich entgegen gießt!
Mit allen Tränen, welche sie weinen kann,
Die volle Seele ganz zuströmet!
Führst du sie mir, die ich liebe, Gott, weg!

Weg, durch dein Schicksal, welches, unsichtbar sich
Dem Auge fortwebt, immer ins Dunklre webt!
Fern weg den ausgestreckten Armen!
Aber nicht weg aus dem bangen Herzen!

Und dennoch weißt du, welch ein Gedank' es war,
Als du ihn dachtest, und zu der Wirklichkeit
Erschaffend riefst, der, dass du Seelen
Fühlender, und für einander schufest!

Das weißt du, Schöpfer! Aber dein Schicksal trennt
Die Seelen, die du so für einander schufst,
Dein hohes, unerforschtes Schicksal,
Dunkel für uns, doch anbetungswürdig!

Das Leben gleichet, gegen die Ewigkeit,
Dem schnellen Hauche, welcher dem Sterbenden
Entfließt; mit ihm entfloss die Seele,
Die der Unendlichkeit ewig nachströmt!

Einst löst des Schicksals Vater in Klarheit auf,
Was Labyrinth war; Schicksal ist dann nicht mehr!
Ach dann, bei trunknem Wiedersehen,
Giebst du die Seelen einander wieder!

Gedanke, wert der Seel' und der Ewigkeit!
Werth, auch den bängsten Schmerz zu besänftigen!
Dich denkt mein Geist in deiner Größe;
Aber ich fühle zu sehr das Leben,

Das hier ich lebe! Gleich der Unsterblichkeit,
Dehnt, was ein Hauch war, fürchterlich mir sich aus!
Ich seh', ich sehe meine Schmerzen,
Grenzenlos dunkel, vor mir verbreitet

Lass, Gott, dies Leben, leicht wie den Hauch entfliehn!
Nein, das nicht! gib mir, die du mir gleich erschufst!
Ach, gib sie mir, dir leicht zu geben!
Gib sie dem bebenden, bangen Herzen!

Dem süßen Schauer, der ihr entgegen wallt!
Dem stillen Stammeln der, die unsterblich ist,
Und sprachlos ihr Gefühl zu sagen,
Nur, wenn sie weinet, nicht ganz verstummet.

Gib sie den Armen, die ich voll Unschuld oft,
In meiner Kindheit, dir zu dem Himmel hub,
Wenn ich, mit heißer Stirn voll Andacht,
Dir um die ewige Ruhe flehte.

Mit Einem Winke gibst du, und nimmst du ja
Dem Wurm, dem Stunden sind wie Jahrhunderte,
Sein kurzes Glück; dem Wurm, der Mensch heißt,
Jähriget, blühet, verblüht, und abfällt.

Von ihr geliebet, will ich die Tugend schön
Und selig nennen! will ich ihr himmlisch Bild.
Mit unverwandten Augen anschaun,
Ruhe nur das, und nur Glück das nennen,

Was sie mir zuwinkt! Aber o frömmere,
Dich auch, o die du ferner und höher wohnst,
Als unsre Tugend, will ich reiner,
Unbekannt, Gott nur bemerket, ehren!

Von ihr geliebet, will ich dir feuriger
Entgegenjauchzen! will ich mein voller Herz,
In heißern Hallelujaliedern,
Ewiger Vater, vor dir ergießen!

Dann, wenn sie mit mir deinen erhabnen Ruhm
Gen Himmel weinet, betend, mit schwimmendem
Entzücktem Auge; will ich mit ihr
Hier schon das höhere Leben fühlen!

Das Lied vom Mittler, trunken in ihrem Arm
Von reiner Wollust sing' ich erhabner dann
Den Guten, welche gleich uns lieben,
Christen wie wir sind, wie wir empfinden.

Nach. Klopstock: Oden. Erster Band, S. 61 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 63916 (vgl. Klopstock-Oden Bd.1, S. 68 ff.)

Das Anschaun Gottes
Zitternd freu ich mich,
Und würd' es nicht glauben;
Wäre der große Verheißer
Nicht der Ewige!

Denn ich weiß es, ich fühl es:
Ich bin ein Sünder!
Wüsst' es, und fühlt' es,
Wenn auch das Gotteslicht

Heller mir meine Flecken nicht zeigte;
Vor meinen weiseren Blicken
Nicht enthüllte
Meiner verwundeten Seele Gestalt.

Mit gesunkenem Knie,
Mit tiefanbetendem Staunen,
Freu ich mich!
Ich werde Gott schaun!

Forsch ihm nach, dem göttlichsten Gedanken,
Den du zu denken vermagst,
O die du näher stets des Leibes Grabe,
Aber ewig bist!

Nicht, dass du wagtest,
Zu gehn in das Allerheiligste!
Viel unüberdachte, nie gepriesene, nie gefeierte,
Himmlische Gnaden sind in dem Heiligtume.

Aus der Ferne nur, nur Einen gemilderten Schimmer,
Damit ich nicht sterbe!
Einen für mich durch Erdenacht gemilderten Schimmer
Deiner Herrlichkeit seh ich.

Wie groß war der, der beten durfte:
Hab' ich Gnade vor dir gefunden, so lass mich
Deine Herrlichkeit sehn!
So zum Unendlichen beten durft', und erhört ward!

In das Land des Golgatha kam er nicht!
An ihm rächt' es ein früherer Tod;
Dass er Einmal, nur Einmal Gott nicht traute!
Wie groß zeiget ihn selbst die Strafe!

Ihn verbarg der Vater in eine Nacht des Berges,
Als vor dem Endlichen vorüberging des Sohnes Herrlichkeit!
Als die Posaun' auf Sinai schwieg,
Und die Stimme der Donner! als Gott von Gott sprach!

Uneingehüllt durch Nacht,
In eines Tages Lichte,
Das keine Schatten sichtbarer machen,
Schauet er nun, so halten wirs, Jahrhunderte schon;

Außer den Schranken der Zeit,
Ohn' Empfindung des Augenblicks,
Dem der Augenblick folgt, schauet er nun
Deine Herrlichkeit, Heiliger! Heiliger! Heiliger!

Namloseste Wonne meiner Seele,
Gedanke des künftigen Schauns!
Du bist meine große Zuversicht,
Du bist der Fels, auf dem ich steh, und gen Himmel schaue;

Wenn die Schrecken der Sünde,
Des Todes Schrecken
Fürchterlich drohn,
Mich niederzustürzen!

Auf diesem Felsen, o du,
Den nun die Toten Gottes schaun,
Lass mich stehn, wenn die Allmacht
Des unbezwingbaren Todes mich ringsum einschließt.

Erheb', o meine Seele, dich über die Sterblichkeit,
Blick auf, und schau; und du wirst strahlenvoll
Des Vaters Klarheit.
In Jesus Christus Antlitz schaun!

Hosianna! Hosianna! die Fülle der Gottheit
Wohnt in dem Menschen Jesus Christus!
Kaum schallet der Cherubim Harfe noch, sie bebt!
Kaum tönet ihre Stimme noch, sie zittert, sie zittert!

Hosianna! Hosianna!
Die Fülle der Gottheit
Wohnt in dem Menschen
Jesus Christus!

Selbst damals, da einer der Gottesstrahlen auf unsere Welt,
Jene Blutweissagung heller leuchtet', erfüllt ward,
Da er verachtet, und elend war,
Als kein anderer Mensch verachtet, und elend war;

Erblickten die Sterblichen nicht,
Aber die Cherubim,
Des Vaters Klarheit
In dem Angesichte des Sohns!

Ich seh, ich sehe den Zeugen!
Sieben entsetzliche Mitternächte
Hatt' er gezweifelt' mit der Schmerzen bängsten
Anbetend gerungen!

Ich seh ihn!
Ihm erscheinet der Auferstandne!
Seine Hände leget er in des Göttlichen Wunden!
Himmel und Erde vergehen um ihn!

Er sieht die Klarheit des Vaters im Angesichte des Sohns!
Ich hör', ich hör' ihn! er ruft,
Himmel und Erde vergehen um ihn! er ruft:
Mein Herr! und mein Gott!

Nach: Klopstock: Oden. Erster Band, S. 140 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 63995 (vgl. Klopstock-Oden Bd.1, S. 153 ff.)

Das große Halleluja
Ehre sei dem Hocherhabnen, dem Ersten, dem Vater der Schöpfung!
Dem unsre Psalme stammeln,
Obgleich der wunderbare Er
Unaussprechlich, und undenkbar ist.

Eine Flamme von dem Altar an dem Thron
Ist in unsere Seele geströmt!
Wir freuen uns Himmelsfreuden,
Dass wir sind, und über Ihn erstaunen können!

Ehre sei ihm auch von uns an den Gräbern hier,
Obwohl an seines Thrones letzten Stufen
Des Erzengels niedergeworfne Krone
Und seines Preisgesangs Wonne tönt.

Ehre sei, und Dank, und Preis dem Hocherhabnen, dem Ersten,
Der nicht begann, und nicht aufhören wird!
Der sogar des Staubes Bewohnern gab,
Nicht aufzuhören.

Ehre dem Wunderbaren,
Der unzählbare Welten in den Ozean der Unendlichkeit aussäte!
Und sie füllete mit Heerscharen Unsterblicher,
Dass Ihn sie liebten, und selig wären durch Ihn!

Ehre dir! Ehre dir! Ehre dir!
Hocherhabner! Erster!
Vater der Schöpfung!
Unaussprechlicher! Undenkbarer!

Nach: Klopstock: Oden. Erster Band, S. 206 ff. Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 64061 (vgl. Klopstock-Oden Bd.1, S. 227 ff.)

Der Gottesleugner
Du fragest sie auch die ernste Frage, die schreckliche:
Auf welcher Stufe der Geister
Steht, wer den Gottesleugner
Nicht für rasend hält?

»Die schreckliche?« Ja die schreckliche!
Denn hältst du ihn, der ein Stolzer ist! ein Empörer ist!
Weiter nichts ist! für einen Denker den;
So ist die Stufe, worauf du stehest, zu tief!

So kannst du werden, was er ist,
Ein Rasender!
Ein Feiger, (Rasende sinds) so Vernichtung
Glaubet, leben mag, sich nicht vernichtet!

Aber ich sucht', und ich fand Entschuldigung
Für den Feigen, der ist, und dem doch Gott nicht ist.
Entscheid', ob ich die rechte fand. Er denket sich,
Ohne Gott! hat sich dadurch nur nicht ganz vernichtet!

Schleichet, bebt, zweifelt umher;
Des Gespenstes Gedanke (sein Wort leugt Tiefsinn)
Ist dem Traume gleich,
Welcher vom Traume träumt.

Nach: Klopstock: Oden. Zweiter Band, S. 102 ff. Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 64264 (vgl. Klopstock-Oden Bd.2, S. 115 ff.)

Der Tod
O Anblick der Glanznacht, Sternheere,
Wie erhebt ihr! Wie entzückst du, Anschauung
Der herrlichen Welt! Gott Schöpfer!
Wie erhaben bist du, Gott Schöpfer!

Wie freut sich des Emporschauns zum Sternheer wer empfindet
Wie gering er, und wer Gott, welch ein Staub er, und wer Gott
Sein Gott ist! O sei dann, Gefühl
Der Entzückung, wenn auch ich sterbe, mit mir!

Was erschreckst du denn so, Tod, des Beladnen Schlaf?
O bewölke den Genuss himmlischer Freude nicht mehr!
Ich sink' in den Staub, Gottes Saat! was schreckst
Den Unsterblichen du, täuschender Tod?

Mit hinab, o mein Leib, denn zur Verwesung!
In ihr Tal sanken hinab die Gefallnen
Vom Beginn her! mit hinab, o mein Staub,
Zur Heerschar, die entschlief!

Nach: Klopstock: Oden. Erster Band, S. 178. Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 64033 (vgl. Klopstock-Oden Bd.1, S. 193-194)

Dem Allgegenwärtigen
(1758)
Da du mit dem Tode gerungen, mit dem Tode,
Heftiger du gebetet hattest,
Da dein Schweiß und dein Blut
Auf die Erde geronnen war;

In dieser ernsten Stunde
Tatest du jene große Wahrheit kund,
Die Wahrheit sein wird
So lang die Hülle der ewigen Seele Staub ist.

Du standest, und sprachst
Zu den Schlafenden:
Willig ist eure Seele,
Aber das Fleisch ist schwach!

Dieser Endlichkeit Los, die Schwere der Erde
Fühlet auch meine Seele,
Wenn sie zu Gott, zu dem Unendlichen
Sich erheben will.

Anbetend, Vater, sink' ich in den Staub, und fleh,
Vernimm mein Flehn, die Stimme des Endlichen,
Gib meiner Seel' ihr wahres Leben,
Daß sie zu dir sich, zu dir erhebe!

Allgegenwärtig, Vater,
Schließest du mich ein!
Steh hier, Betrachtung, still, und forsche
Diesem Gedanken der Wonne nach.

Was wird das Anschaun sein, wenn der Gedank' an dich,
Allgegenwärtiger! schon Kräfte jener Welt hat!
Was wird es sein dein Anschaun,
Unendlicher! o du Unendlicher!

Das sah kein Auge, das hörte kein Ohr,
Das kam in keines Herz, wie sehr es auch rang,
Wie es auch nach Gott, nach Gott,
Nach dem Unendlichen dürstete;

Kam es doch in keines Menschen Herz,
Nicht in das Herz des, welcher Sünder
Und Erd', und bald ein Toter ist,
Was denen Gott, die ihn lieben, bereitet hat.

Wenige nur, ach wenige sind,
Deren Aug' in der Schöpfung
Den Schöpfer sieht! wenige, deren Ohr
Ihn in dem mächtigen Rauschen des Sturmwinds hört,

Im Donner, der rollt, oder im lispelnden Bache,
Unerschaffner! dich vernimmt,
Weniger Herzen erfüllt, mit Ehrfurcht und Schauer,
Gottes Allgegenwart!

Laß mich im Heiligtume
Dich, Allgegenwärtiger,
Stets suchen, und finden! und ist
Er mir entflohn, dieser Gedanke der Ewigkeit;

Laß mich ihn tiefanbetend
Von den Chören der Seraphim,
Ihn, mit lauten Tränen der Freude,
Herunter rufen!

Damit ich, dich zu schaun,
Mich bereite, mich weihe,
Dich zu schaun
In dem Allerheiligsten!

Ich hebe mein Aug' auf, und seh,
Und siehe der Herr ist überall!
Erd', aus deren Staube
Der erste der Menschen geschaffen ward;

Auf der ich mein erstes Leben lebe,
In der ich verwesen werde,
Und auferstehen aus der!
Gott würdigt auch dich, dir gegenwärtig zu sein.

Mit heiligem Schauer,
Brech' ich die Blum' ab;
Gott machte sie,
Gott ist, wo die Blum' ist.

Mit heiligem Schauer, fühl' ich der Lüfte Wehn,
Hör' ich ihr Rauschen! es hieß sie wehn und rauschen
Der Ewige! Der Ewige
Ist, wo sie säuseln, und wo der Donnersturm die Zeder stürzt.

Freue dich deines Todes, o Leib!
Wo du verwesen wirst,
Wird Er sein,
Der Ewige!

Freue dich deines Todes, o Leib! in den Tiefen der Schöpfung,
In den Höhn der Schöpfung, wird deine Trümmer verwehn!
Auch dort, verwester, verstäubter, wird Er sein,
Der Ewige!

Die Höhen werden sich bücken!
Die Tiefen sich bücken,
Wenn der Allgegenwärtige nun
Wieder aus Staub' Unsterbliche schafft.

Werfet die Palmen, Vollendete! nieder, und die Kronen!
Halleluja dem Schaffenden,
Dem Tötenden Halleluja!
Halleluja dem Schaffenden!

Ich hebe mein Aug' auf, und seh,
Und siehe der Herr ist überall!
Sonnen, euch, und o Erden, euch Monde der Erden,
Erfüllet, rings um mich, des Unendlichen Gegenwart!

Nacht der Welten, wie wir in dem dunkeln Worte schaun
Den, der ewig ist!
So schaun wir in dir, geheimnisvolle Nacht,
Den, der ewig ist!

Hier steh ich Erde! was ist mein Leib,
Gegen diese selbst den Engeln unzählbare Welten,
Was sind diese selbst den Engeln unzählbare Welten,
Gegen meine Seele!

Ihr, der unsterblichen, ihr, der erlösten
Bist du näher, als den Welten!
Denn sie denken, sie fühlen
Deine Gegenwart nicht.

Mit stillem Ernste dank' ich dir,
Wenn ich sie denke!
Mit Freudentränen, mit namloser Wonne,
Dank' ich, o Vater! dir, wenn ich sie fühle!

Augenblicke deiner Erbarmungen,
O Vater, sinds, wenn du das himmelvolle Gefühl
Deiner Allgegenwart
Mir in die Seele strömst.

Ein solcher Augenblick,
Allgegenwärtiger,
Ist ein Jahrhundert
Voll Seligkeit!

Meine Seele dürstet!
Wie nach der Auferstehung verdorrtes Gebein,
So dürstet meine Seele
Nach diesen Augenblicken deiner Erbarmungen!

Ich liege vor dir auf meinem Angesicht;
O läg' ich, Vater, noch tiefer vor dir,
Gebückt in dem Staube
Der untersten der Welten!

Du denkst, du empfindest,
O du, die sein wird,
Die höher denken,
Die seliger wird empfinden!

O die du anschaun wirst!
Durch wen, o meine Seele?
Durch den, unsterbliche,
Der war! und der ist! und der sein wird!

Du, den Worte nicht nennen,
Deine noch ungeschaute Gegenwart
Erleucht', und erhebe jeden meiner Gedanken!
Leit ihn, Unerschaffner, zu dir!

Deiner Gottheit Gegenwart
Entflamm', und beflügle
Jede meiner Empfindungen!
Leite sie, Unerschaffner, zu dir!

Wer bin ich, o Erster!
Und wer bist du!
Stärke, kräftige, gründe mich,
Daß ich auf ewig dein sei!

Ohn' ihn, der mich gelehrt, sich geopfert hat
Für mich, könnt' ich nicht dein sein!
Ohn' ihn wär der Gedanke deiner Gegenwart
Grauen mir vor dem allmächtigen Unbekannten!

Erd' und Himmel vergehn;
Deine Verheißungen, Göttlicher, nicht!
Von dem ersten Gefallenen an
Bis zu dem letzten Erlösten,

Den die Posaune der Auferstehung
Wandeln wird,
Bist bei den Deinen du gewesen!
Wirst du bei den Deinen sein!

In die Wunden deiner Hände legt' ich meine Finger nicht;
In die Wunde deiner Seite
Legt' ich meine Hand nicht;
Aber du bist mein Herr, und mein Gott!

S.53ff.
Aus: Friedrich Gottlieb Klopstock, Oden. Auswahl und Nachwort von Karl Ludwig Schneider . Reclams Universalbibliothek Nr. 1391 © 1966 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages

Dem Unendlichen (1764)
Wie erhebt sich das Herz, wenn es dich,
Unendlicher, denkt! wie sinkt es,
Wenns auf sich herunterschaut!
Elend schauts wehklagend dann, und Nacht und Tod!

Allein du rufst mich aus meiner Nacht, der im Elend, der im Tod hilft!
Dann denk ich es ganz, daß du ewig mich schufst,
Herrlicher! den kein Preis, unten am Grab', oben am Thron,
Herr Herr Gott! den dankend entflammt, kein Jubel genug besingt.

Weht, Bäume des Lebens, ins Harfengetön!
Rausche mit ihnen ins Harfengetön, kristallner Strom!
Ihr lispelt, und rauscht, und, Harfen, ihr tönt
Nie es ganz! Gott ist es, den ihr preist!

Donnert, Welten, in feierlichem Gang, in der Posaunen Chor!
Du Orion, Wage, du auch!
Tönt all' ihr Sonnen auf der Straße voll Glanz,
In der Posaunen Chor!

Ihr Welten, donnert
Und du, der Posaunen Chor, hallest
Nie es ganz, Gott; nie es ganz, Gott,
Gott, Gott ist es, den ihr preist!

S.74
Aus: Friedrich Gottlieb Klopstock, Oden. Auswahl und Nachwort von Karl Ludwig Schneider . Reclams Universalbibliothek Nr. 1391 © 1966 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages


Wingolf (1767)
Erstes Lied
Wie Gna im Fluge, jugendlich ungestüm,
Und stolz, als reichten mir aus Iduna's Gold
Die Götter, sing' ich meine Freunde
Feirend in kühnerem Bardenliede.

Willst du zu Strophen werden, o Haingesang?
Willst du gesetzlos, Ossians Schwunge gleich,
Gleich Ullers Tanz auf Meerkristalle,
Frei aus der Seele des Dichters schweben?

Die Wasser Hebrus wälzten mit Adlereil
Des Zelten Leier, welche die Wälder zwang,
Daß sie ihr folgten, die den Felsen
Taumeln, und wandeln aus Wolken lehrte.

So floß der Hebrus. Schattenbesänftiger,
Mit fortgerissen folgte dein fliehend Haupt
Voll Bluts, mit toter Stirn, der Leier
Hoch im Getöse gestürzter Wogen.

So floß der Waldstrom hin nach dem Ozean!
So fließt mein Lied auch, stark, und gedankenvoll.
Des spott' ich, der's mit Klüglingsblicken
Höret, und kalt von der Glosse triefet.

Den segne, Lied, ihn segne bei festlichem
Entgegengehn, mit Freudenbegrüssungen,
Der über Wingolfs hohe Schwelle
Heiter, im Haine gekränzt, hereintritt.

Dein Barde wartet. Liebling der sanften Hlyn,
Wo bliebst du? kommst du von dem begeisternden
Achäerhämus? oder kommst du
Von den unsterblichen sieben Hügeln?

Wo Scipionen, Flakkus und Tullius,
Urenkel denkend, tönender sprach, und sang,
Wo Maro mit dem Kapitole
Um die Unsterblichkeit mutig zankte!

Voll sichres Stolzes, sah er die Ewigkeit
Des hohen Marmors: Trümmer wirst einst du sein,
Staub dann, und dann des Sturms Gespiele,
Du Kapitol! und du Gott der Donner!

Wie oder zögerst du von des Albion
Eiland herüber? Liebe sie, Ebert, nur!
Sie sind auch deutsches Stamms, Ursöhne
Jener, die kühn mit der Woge kamen!

Sei mir gegrüsset! Immer gewünscht kommst du,
Wo du auch herkommst, Liebling der sanften Hlyn!
Vom Tybris lieb, sehr lieb vom Hämus!
Lieb von Britanniens stolzem Eiland,

Allein geliebter, wenn du voll Vaterlands
Aus jenen Hainen kommst, wo der Barden Chor
Mit Braga singet, wo die Telyn
Tönt zu dem Fluge des deutschen Liedes.

Da kommst du jetzt her, hast aus dem Mimer schon
Die geistervolle silberne Flut geschöpft!
Schon glänzt die Trunkenheit des Quells dir,
Ebert, aus hellem entzücktem Auge.

»Wohin beschwerst du, Dichter, den Folgenden?
Was trank? was seh' ich? Bautest du wieder auf
Tanfana? oder, wie am Dirce
Mauren Amphion, Walhalla's Tempel?«

Die ganze Lenzflur streute mein Genius,
Der unsern Freunden rufet, damit wir uns
Hier in des Wingolf lichten Hallen
Unter dem Flügel der Freud' umarmen.

S.19ff.


Von der heiligen Poesie
Aus dem ersten Bande der Halleschen Ausgabe des Messias
Das Publikum ist sehr berechtigt, von dem, der etwas den Aussprüchen desselben unterwirft, zu fordern, daß er, wenn er das Gemälde aufgestellt hat, weggehe und schweige. Ich darf sagen, daß ich diesem Gesetze beinahe mit einer Art Gewissenhaftigkeit nachgelebt habe. Ich habe mich gleich von Anfang unter die Zuschauer gemischt, geschwiegen und von einigen, gelernt. Ich werde auch jetzt nichts anders tun. Ich werde nur einige von den Zuschauern, die mich hören wollen, auf die Seite nehmen und sie auf eine Stelle führen, von welcher, wie ich glaube, Gedichte von dieser Art, in ihrem wahren Gesichtspunkte, angesehen werden. Meine Absicht ist also nicht, vom Messias, sondern von derjenigen Poesie, die ich die heilige nenne, überhaupt zu reden.

Ich weiß sehr wohl, daß ich mich hier doppelter Gefahr aussetze. Die erste ist, daß ich von einer Sache nur etwas sage, von der man ein Buch schreiben müßte, sie ganz zu sagen. Und es ist schwer, von einer wichtigen Sache genug zu sagen, wenn man sie sucht erschöpft. Die zweite Gefahr ist, daß ich meine Richter an die strengen Forderungen erinnere, die sie, so sehr berechtigt, an denjenigen tun, der es unternimmt, sie durch diesen Weg, auf den erhabenen Schauplatz der Religion zu führen. Allein sowohl diese Vorstellung als auch meine Abneigung, etwas, das zur Kritik gehört, zu schreiben, hat bei mir der Gedanke überwunden, daß ich dadurch vielleicht etwas täte, was einigen nützen und andern angenehm sein könnte. Eh ich von der Sache selbst rede, kann ich die Frage nicht ganz unberührt lassen: Ob es erlaubt sei, den Inhalt zu Gedichten aus der Religion zu nehmen? Es können sie einige aus wirklicher Frömmigkeit tun. Diesen antworte ich mit der Ehrerbietung, die ich gegen jedes rechtschaffene Herz habe.

Der Teil der Offenbarung, der uns Begebenheiten meldet, besteht meistenteils nur aus Grundrissen, da doch diese Begebenheiten, wie sie wirklich geschahn, ein großes, ausgebildetes Gemälde waren. Ein Dichter studiert diesen reichen Grundriß und malt ihn nach den Hauptzügen aus, die er in demselben gefunden zu haben glaubt. Zugleich weiß man von ihm, daß er dies für nicht mehr als Erdichtungen ausgibt. Er tut in seiner Art nichts weiter, als was ein anderer tut, der aus den nicht historischen Wahrheiten der Religion Folgen herleitet. Sie dachten auf verschiedene Weise über die Religion nach.

Wenn aber ein anderer aus noch zärterer Sorgfalt nichts Fremdes in der Religion einmischen zu lassen, einwendet: Der Dichter bringt mich durch seine mächtigen Künste dahin, daß ich zu der Zeit, da ich ihn lese, oder auch noch länger, vergesse, daß es ein Gedicht ist. Ist es erlaubt, daß jemand mich und viele zu einer solchen Art zu denken verleite, daß wir unvermerkt Geschichte, von denen wir nicht gewiß wissen, daß sie geschehen sind, für Geschichte von so großer Bedeutung, von solchen Endzwecken, für Geschichte der Religion, ansehen? Wenn jemand diesen Einwurf im Ernste machen könnte, würde ich sagen: Die Folgen, die er aus den Geschichten zieht, welche er in diesem Feuer des Herzens oder der Einbildungskraft für wahr hält, sind seinem moralischen Charakter nicht schädlich. Sobald die Geschichten von einer Art wären, daß sie dieses sein könnten, so wird er gewiß, eh er darnach handelt, sich erinnern, daß es Erdichtungen sind.

Da ich also, wie ich glaube, die Erlaubnis in der Religion zu dichten annehmen darf; oder mit andern Worten, da ich für erlaubt halte, auch nach poetischer Denkungsart, dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, weiterzuentwickeln: so gehe ich zu dieser viel wesentlicheren Frage fort: Unter welchen Bedingungen man von Materien der Religion dichreui dürfe? Diese Bedingungen werden von nichts Geringem als von dem innern Plane der Religion bestimmt. Ein Teil des Entwurfs und der Ausbildung eines heiligen Gedichts hängt zwar von dem Genie und dem Geschmacke des Poeten ab, ein anderer Teil aber, und vielleicht der größte, gehört vor den Richterstuhl der Religion. Es ist hier sogar nicht genug, daß der Verfasser des heiligen Gedichts den Riß der Religion tiefsinnig studiert habe, ihren großen Umgang, nebst allen ihren Verhältnissen genau kenne, sie muß auch sein Herz, mit derjenigen starken Hand gebildet haben, die, an dem rechtschaffenen Manne, der sie versteht, so kennbar ist. Eh ich diese Gedanken weiter auseinandersetze, und sie in einigen ihrer beinah unzählbaren und fast immer moralischen Aussichten zeige, muß ich mich in wenigen Anmerkungen auf das beziehn, was in dem heiligen Gedichte von dem Genie und Geschmack allein abhängt.
Einige meiner Leser bitte ich, dies zu überblättern. Sie wissen, von welchem großen Umfange des Schönen und des Nützlichen die Poesie ist, welche würdige und mannigfaltige moralische Absichten sie haben kann, immer haben sollte und selten hat. Sie wissen, was die Welt, von dem aufgeklärtesten Richter an, bis auf den letzten Nachsager, von der höhern Poesie fordert. Sie haben gelesen und selbst gedacht. Sie halten nur das durch die Zeit reif gewordne Urteil des Publici und nicht den Kritikus für unfehlbar. Dieser hatte sie oft überzeugt, daß, was er Geschmack nenne, nicht selten Kurzsichtigkeit, Eigensinn, Einseitigkeit oder gar, nur Mode sei. Sie haben festgesetzt, daß in einem kleinen Stücke des Virgils und derer, die mit ihm genannt zu werden verdienen, mehr eigentliche und wahre Regel als in vielen Lehrbüchern sei.

Es sind aber noch andre und ebenso verehrungswürdige Leser, die wenig von diesem allen wissen, es zu wissen verdienen, eine unverdorbne natürliche Empfindung und ein gutes Herz. haben. Sie sind ein sehr würdiger, so schätzbarer und der größte Teil des Publici, wenn man nicht alle, die sich ins Urteilen mischen, zum Publiko rechnet. Der Verfasser eines heiligen Gedichts muß besonders auch für sie schreiben. Und für sie mache ich folgende wenige
Anmerkungen über die höhere Poesie, welche ich voraussetzen muß, um die Frage zu erklären: Auf welche Art man von Materien der Religion dichten dürfe? Ich will jenes in kurzen Sätzen tun.

Die höhere Poesie ist ein Werk des Genie, und sie soll nur selten einige Züge des Witzes, zum Ausmalen, anwenden.

Es gibt Werke des Witzes, die Meisterstücke sind, ohne daß das Herz etwas dazu beigetragen hatte. Allein, das Genie ohne Herz wäre nur halbes Genie. Die letzten und höchsten Wirkungen der Werke des Genie sind, daß sie die ganze Seele bewegen. Wir können hier einige Stufen der starken und der stärkern Empfindung hinaufsteigen. Dies ist der Schauplatz des Erhabenen.

Wer es für einen geringen Unterschied hält, die Seele leicht rühren, oder sie ganz in allen ihren mächtigen Kräften, bewegen der denkt nicht würdig genug von ihr.
Man fordert von demjenigen, der unsere Seele so zu bewegen unternimmt, daß er jede Seite derselben auf ihre Art ganz treffe. Sie bemerkt hier jeden Mißton, auch den feinsten. Wer dieses recht überdacht hat, wird sich oft entschlossen haben, lieber gar nicht zu schreiben.

Wem es dennoch glückt, der hat Empfindungen in uns hervorgebracht, die, weder die höchste philosophische Überzeugung noch die andern Arten der Poesie verursachen können. Diese Eindrücke haben, in Betrachtung der Stärke und der Dauer, einige Ähnlichkeit mit dem Exempel, das ein großer Mann gibt.
Die höhere Poesie ist ganz unfähig, uns durch blendende Vorstellungen zum Bösen zu verführen. So bald sie das tun wollte, hört sie auf zu sein, was sie ist. Denn so sehr auch einige sich selbst klein machen wollen, so können sie sich doch niemals so weit herunterbringen, daß sie etwas anderm, als was wirklich edel und erhaben ist, diese große und allgemeine Bewegung aller Kräfte ihrer Seele erlaubten.

Der letzte Endzweck der höhern Poesie und zugleich das wahre Kennzeichen ihres Werts ist die moralische Schönheit. Und auch diese allein verdient es, daß sie unsere ganze Seele in Bewegung setze. Der Poet, den wir meinen, muß uns über unsere kurzsichtige Art zu denken erheben und uns dem Strome entreißen, mit dem wir fortgezogen werden. Es muß uns mächtig daran erinnern, daß wir unsterblich sind und auch schon in diesem Leben viel glückseliger sein, könnten.
Der Mensch, auf diese Höhe geführt und in diesem Gesichtspunkte angesehen, ist der eigentliche Zuhörer, den die höhere Poesie verlangt.

Man kann hier, auch ohne Offenbarung, schon weit gehn. Homer ist außer seine Göttergeschichte, die er nicht erfunden hatte, schon sehr moralisch. Wenn aber die Offenbarung unsre Führerin wird, so steigen wir von einem Hügel auf ein Gebirge.

Youngs Nächte* sind vielleicht das einzige Werk der höhern Poesie, welches verdiente, gar keine Fehler zu haben. Wenn wir ihm nehmen, was er als Christ sagt, so bleibt uns Sokrates übrig. Aber wieweit ist der Christ über Sokrates erhaben!
* Edward Young (1683—1765), englischer Dichter. Seine »Nachtgedanken«, eine Sammlung von Elegien, beeinflußten Klopstock, Herder, den Sturm und Drang und die Romantik.

Vielleicht sind auch noch folgende Anmerkungen, in Betrachtung dessen, was ich von der heiligen Poesie zu sagen habe, nicht überflüssig.
Wir haben uns gewöhnt, der Seele Verstand, Einbildungskraft und Willen als Hauptkräfte zu geben. Das Gedächtnis, das immer mit jenen zugleich wirkt, gehört nicht hierher. Wer Werke der höhern Poesie unternimmt, sieht dies nach seinem Endzwecke so an.

Die Einbildungskraft ist ihm öfter eine Malerin des großen und furchtbaren Schönen in der Natur als ihrer sanftrührenden Gegenstände. Indem er jenes malt, gelingen ihm alsdann die stärksten Züge, wenn er sich, durch das Feuer seiner Abbildung der Leidenschaft nähert.

Dem Verstande legt er am liebsten diejenigen Wahrheiten vor, die gewußt zu werden verdienen, und die nur der rechtschaffene Mann ganz versteht.
Und in dem Willen oder dem Herzen dieser vielseitigen und gewaltigsten Kraft der Seele, sucht er vorzüglich diejenigen Empfindungen zu treffen, die es erweitern, die es groß und edel sein lehren.

Aber sein Zweck geht weiter als eine Kraft der Seele, indes daß die andern schlummern, nur zu erregen, sie sanft zu unterhalten und ihr einen stillen Beifall abzulocken. Eine Absicht, welche auch Meisterstücke hervorgebracht hat! Er bringt uns (welches ihm besonders alsdann glückt, wenn ihn der Schauspieler oder der Vorleser verstanden hat), er bringt uns mit schneller Gewalt dahin, daß wir ausrufen, uns laut freuen, tiefsinnig stehnbleiben, denken, schweigen oder blaß werden, zittern, weinen. Die Kritik sollte sich fast nicht einlassen, die Ursachen dieser so schnellen und so mächtigen Wirkungen aufzusuchen. Sie sind von so verschiedenen Feinheiten, und diese haben ein so mannigfaltiges Verhältnis untereinander, daß es unendlich schwer ist, sie alle mit Richtigkeit zu entwickeln. Und wenn sie entwickelt sind, so untersucht sie der Leser von tiefsinnigem Geschmacke zwar gern; allein der Poet wußte sie schon und wußte noch mehr als diese; oder, wenn er auch etwas Neues lernte, so würde er doch nicht mehr Poet dadurch. Überdies sind diese feinen Entwicklungen, die den Faden durch das ganze Labyrinth ziehen, zu sehr der Gefahr ausgesetzt, unrichtig durch ihre Feinheit zu werden. Doch etwas läßt sich davon sagen.

Das Schwerste für den Verfasser und den Beurteiler jedes größern Gedichts ist der Grundriß des Ganzen. Das Wesentlichste dieses Grundrisses ist, Einfalt und Mannigfaltigkeit auf eine Art verbinden, die großen Endzwecken angemessen ist, eine gewisse Hoheit in die Hauptidee des Gedichts bringen, die kühne Erfindung eben an ihre Grenzen, und keinen Schritt darüber, führen, neue Charaktere, aber diese so groß und so liebenswürdig zeigen, daß es uns sonderbar vorkommt, daß sie dennoch neu sind, die Hauptbegebenheiten Hand an Hand so auf einen Schauplatz fortleiten, daß die Episode immer um sie und neben ihnen ist und sich so wenig jenseits der Berge verirrt, daß sie sich vielmehr oft in die Reihe der Hauptbegebenheiten einflicht. Es ist noch eine gewisse Ordnung des Plans, wo die Kunst in ihrem geheimsten Hinterhalte verdeckt ist und desto mächtiger wirkt, je verborgner sie ist. Ich meine die Verbindung und die abgemeßne Abwechslung derjenigen Szenen, wo in dieser Einbildungskraft in jener die weniger eingekleidete Wahrheit, und in einer andern die Leidenschaft, vorzüglich herrschen: wo sie diese Szenen einander vorbereiten, unterstützen oder erhöhn; wie sie dem ganzen eine größre, unangemerkte, aber gewiß gefühlte Harmonie geben. Wir wollen annehmen, daß sich der Poet vorgesetzt habe, in einer gewissen wichtigen Stelle unser Herz in einem sehr hohen Grade zu bewegen. Vielleicht würde er unvermerkt auf folgende Art verfahren. Vielleicht würde er sich auch den Entwurf gemacht haben, es zu tun. Hier das Herz mit dieser Stärke zu bewegen, saget er zu sich, muß ich immer und so steigen, daß jeder meiner vorhergehenden Schritte Vorbereitung sei. Diesen stummen, erstaunungsvollen Schmerz will ich hervorbringen! Ich muß meine Hörer nach und nach mit wehmütigen Bildern umgeben. Ich muß sie vorher an gewisse Wahrheiten erinnern, die ihre Seele für diesen letzten großen Eindruck aufschließen. Wenn sie eine Weile bei Gräbern, die noch mit Blumen bedeckt waren, vorübergegangen sind, dann sollen sie noch schnell genug an die tiefste, totenvolle Gruft kommen. Führte ich sie auf einmal dahin, so würden sie mehr betäubt werden, als fühlen. Es gehören diese Vorbereitungen ohnedies zu meinem übrigen Plane; und jetzt will ich sie aus dieser Ursache so anordnen. Einige werden diese Anmerkungen über die Kunst des Plans für zu hoch getrieben halten, aber wohl nur diejenigen, die, wenn sie anderer Meinung gewesen wären, den Satz in der Ausübung übertrieben hätten.

Das Erhabne, wenn es zu seiner vollen Reife gekommen ist, bewegt die ganze Seele, und welche Seele am meisten? Die selbst Hoheit hat, die selten bewundert, aber auch mehr bewundert, als irgendeine kleine, wenn sie muß. Mittelmäßige Seelen trifft es nur mir einem gewissen Schlage, den sie nicht ganz fühlen, weil sie mehr durch ihn erschüttert werden als ihn fühlen. Die Kräfte unsrer Seelen haben eine solche Harmonie unter sich, sie fließen, wenn ich es sagen darf, so beständig ineinander, daß, wenn eine stark getroffen wird, die andern mitempfinden und in ihrer Art zugleich wirken. Der Poet zeigt uns ein Bild. Dem Bilde gibt er so viel Ebenmaß und Richtigkeit, daß es auch den Verstand reizt, oder er weiß ihm gewisse Züge mitzuteilen, die nahe an die Empfindung des Herzens grenzen. Die ungeschmückte Wahrheit, die allein den Verstand zu beschäftigen schien, hat gleichwohl unter seiner Hand einige helle Mienen der Bilder angenommen, oder sie zeigt sich mit einer solchen Würde und Hoheit, daß sie die edelsten Begierden des Herzens reizt, sie in Tugend zu verwandeln. Ist es das- Herz, so der Poet angreift, wie schnell entflammt uns dies! Die ganze Seele wird weiter, alle Bilder der Einbildungskraft erwachen, alle Gedanken denken größer. Denn obgleich einige Leidenschaften eine gewisse ruhige Art zu denken ganz unterbrechen, so feuert uns doch überhaupt das bewegte Herz an, schnell, groß und wahr zu denken. Welche neue Harmonie der Seele entdecken wir dann in uns! Mit welchem ungewohnten Schwunge erheben sich die Gedanken und Empfindungen in uns! Welche Entwürfe! welche Entschlüsse!

Aber dieser unserer Erhebung hängt oft noch eine gewisse Mittelmäßigkeit an. Wir fühlens, wir wollten uns noch höher erheben. Unsre Seele ist noch weiter. Sie kann noch mehr fassen. Was fehlte die Religion noch. Wir waren nur noch in der Sphäre, wo wir selbst die Wahrheiten erfunden haben. Wie glücklich ist gleichwohl derjenige, der hier viel weiß, viel denkt und viel empfindet. Aber wie glückselig der, der auch nur angefangen hat, die viel höhern Wahrheiten der Religion zu verstehn und zu empfinden.

Die Religion ist, in der Offenbarung selbst, ein gesunder männlicher Körper. Unsre Lehrbücher haben ein Gerippe daraus gemacht. Doch haben sie in ihren Absichten ihren großen Nutzen.

Der Verfasser des heiligen Gedichts ahmt der Religion nach, wie er, n einem nicht viel verschiedenen Verstande, der Natur nachahnten soll. Obgleich die Offenbarung, in Absicht auf die Lehren fürs Herz, nur auf dem Wege der Natur fortgegangen war, so ist doch ihr Mittel uns von neuem glückselig und tugendhaft zu machen, weit über die Natur erhaben. Das heilige Gedicht ist auf einem viel hohem Schauplatze. Der Plan der Offenbarung ist seine erste Regel.
Ein Gedicht, dessen Inhalt aus gewissen Geschichten des ersten Bundes genommen würde, müßte nach einer andern Hauptidee gearbeitet werden als eins, so das Innere der Religion näher anginge. jenem wäre, wenn ich so sagen darf, noch in einer Art Weltlichkeit erlaubt.

Der Anstand oder die Würdigkeit, sowohl der handelnden Personen als ihrer Handlung, ist vielleicht das schwerste in dem heiligen Gedichte. Diese Schwierigkeit geht so weit, daß man mit vielen Gründen behaupten könnte, Gott gar nicht reden zu lassen.

Die Offenbarung selbst führt Gott auf doppelte Art redend ein.

Bald redet er ganz kurz und ganz als der Schöpfer und Richter der Welt, bald so erbarmend, daß er den Menschen die Ursachen seiner Gerichte anzeigt und die Bedingungen, unter welchen sie Gnade erlangen sollen, oft wiederholt.

Diese Würdigkeit soll sich ebenso in den menschlichen Bildern zeigen, durch die der Dichter die Handlungen Gottes vorstellt. Er muß hier mit genauer Sorgfalt in den Fußstapfen der Offenbarung bleiben. Man könnte den höchsten Grad dieses Anstands Feierlichkeit nennen.

Eine Handlung, die an sich selbst wahrscheinlich ist, wird durch den Mangel der Würdigkeit unwahrscheinlich.

Diese Würdigkeit muß für die geringsten Personen des heiligen Gedichts einige Züge übrig haben. Und um ihrentwillen gehören weder gewisse Personen noch gewisse Handlungen darein, die in andern epischen Gedichten einen Platz verdienten.

Die Geschichte der Bibel, besonders die, so das Innere der Religion näher angeht, enthält nur einige der großen Taten, die geschehn sind, und sie sagt uns selbst in ihren starken Ausdrücken, daß die meisten für uns (gewiß nur so lange wir hier leben) verloren sind.

Einige andre entwirft sie mit so wenigen Worten, daß wir notwendig Umstände hinzudenken müssen, um sie uns vorzustellen. Dies sind Gründe für die Wahrscheinlichkeit der Erdichtungen überhaupt.

Gewisse Wahrheiten, deren völlige Erkenntnis uns in diesem Leben noch nicht notwendig ist, sind uns so offenbart, daß sie so viele Winke zu sein scheinen, weiter über diese Wahrheiten nachzudenken. Entdeckungen, die wir auf diese Art machen, gehören in das heilige Gedicht. Und oft können wir Erdichtungen darauf gründen.

Einige Kritici sind viel zu freigebig mit der Erlaubnis gewesen, nach welcher der Dichter auf die Sage, in Absicht der Geschichte, und auf den Wahn, in Betrachtung der Grundsätze fortbauen dürfe. Der Verfasser des heiligen Gedichts muß hier vor allen andern Dichtern am behutsamsten sein.

Wenn alles dies, was der Poet auf diese oder jene Art folgert oder hinzudichtet, demjenigen, was wir gewiß wissen, nicht allein nicht widerspricht, sondern auch in dem lichtvollen Plane der Religion kein zu dunkler Schatten ist, so hat er sich aufs wenigste bemüht, der Religion nicht unwürdig zu dichten.

Dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, besteht aus moralischen Wahrheiten, aus Begebenheiten, aus Prophezeihungen, aus Geheimnissen und aus solchen Stellen, wo das Geheimnisvolle mit jenen, besonders mit moralischen Wahrheiten vermischt ist. Obgleich überhaupt dieses alles sehr deutlich geschrieben ist, so gibt es doch auch viel tiefsinnige Stücke. Es ist sonderbar, daß die Ausleger ebenso oft bei den deutlichen Stellen als bei den tiefsinnigen geirrt haben. Ich nenne schon Irrtum, wenn man zuweilen da hundert Schritte sein will, wo man nur einige sein sollte, und wenn man sein will, wo man nur glauben sollte. Im Gegenteil nenne ich eine Vermutung, als eine solche betrachtet, noch nicht Irrtum. Denn wir dürfen, wo wir in der Schrift dazu veranlaßt werden, mit Demut vermuten. Aber sowohl in Betrachtung dessen,, was wir für eine vermutliche Wahrheit, als auch dessen, so wir für eine gewisse halten, scheint es, daß der Verfasser des heiligen Gedichts sich folgendes zur Regel zu machen habe. Die moralische Wahrheit der Bibel, besonders da, wo sie eine Stufe höher als die philosophische steigt, muß in ihrer vollen Stärke gesagt werden, aber nicht mürrisch und trübsinnig. Die Offenbarung ist beides nicht. Sie ist voll Ernst. Einige heilige Begebenheiten lassen ehensowenig eine Ausbildung zu, als sie andre zu fordern scheinen. Die Stelle: »Die Gräber taten sich auf, und stunden auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen; und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen.« Diese Stelle ist von der letzten Art. Wo eine Anwendung der Prophezeihung nötig sein sollte, so hat sie keine andre Regel als die allgemeine Regel der Schriftausleger, die sie dabei zu beobachten haben. Nur müßte der Dichter die Erfüllung in eben dem Tone beschreiben, in welchem der Prophet die Begebenheit vorher verkündigt hat. Die Geheimnisse sind dasjenige, was mit der meisten Einfalt gesagt werden muß, außer wo sie, daß ich so sage, zu Begebenheiten werden. Alles, was der Messias tut, ist Geheimnis, weil er der Gottmensch ist, aber dennoch ist es zugleich historisch. Bei den vermischten Geheimnissen, zum Exempel bei der Ordnung, in welcher der Mensch selig werden soll, ist dem Dichter vorzüglich die äußerste Sorgfalt nötig, seiner großen Wegweiserin, der Offenbarung zu folgen.

Da ich vorher sagte, der Dichter müsse der Religion nachahmen, wie er der Natur nachahmen soll, so meinte ich nicht die Schreibart der Offenbarung. Ich meinte den Hauptplan der Religion: große wunderbare Begebenheiten, die geschehen sind, noch wunderbarere, die geschehen sollen! eben solche Wahrheiten! diesen Anstand! diese Hoheit! diese Einfalt! den Ernst! diese Liebenswürdigkeit! diese Schönheit, soweit sie sich durch eine menschliche Nachahmung erreichen lassen. Die Nachahmung der Propheten, sofern ihre Werke Meisterstücke der Beredsamkeit in Absicht auf den Ausdruck sind, ist etwas anders.
Die Griechen, die Römer und die Franzosen haben ein goldnes Weltalter ihrer schönen Wissenschaften, das in kurzer Zeit eingeschränkt ist. (Ich weiß nicht, warum wir vergessen haben, den Engländern auch eins zu geben? Es ist schon lange her, dass sie Meisterstücke haben. Und mindestens haben sie durch Glover* nicht aufgehört.) Das goldne Weltalter der Hebräer ist von viel längerer Dauer. Es fängt mit Moses oder Hiob an. Und es sind zwo verschiedene Sachen, die Schreibart der Morgenländer überhaupt und die Schreibart der Offenbarung
. *Richard Glover (1712—1785), englischer Dichter.

Die höhern Wesen, welche für unsre philosophische Erkenntnis außer der Schöpfung waren, die wir kennen, sind durch die Offenbarung in dieselbe zurückgekommen. Aber sie mußten, nach unserer Art zu denken, auch für die Einbildungskraft gebildet werden. Und daß sie dies würden, hat seine guten Gründe. Es ist wahrscheinlich, daß endliche Geister, die sich besonders auch mit Betrachtung der Körperwelt beschäftigen, Leiber haben. Und es ist nicht ganz ohne Wahrscheinlichkeit, daß Wesen, die Gott auch so sehr bei der Seligkeit der Menschen braucht, einen Körper empfingen, der demjenigen ähnlich war, welchen der Mittler dieser Seligkeit annahm. Der Verfasser des heiligen Gedichts ist hier auf eine ganz neue Szene der Einbildungskraft geführt. Hier kann er besonders seinem großen Zwecke am nächsten kommen, den Bildern solche Züge zu geben, daß er zugleich den Verstand beschäftigt oder die Empfindungen des Herzens in Bewegung setzt. Einfalt und Hoheit sind hier die Züge der letzten Hand.

Und welche erstaunungswürdige Wahrheiten legt die Religion dem Verstande vor! Wie bringen diese in unsre Seele diejenige Hoheit zurück, die ihr angeschaffen war! Und wie vielseitig sind sie! Jeder ihrer Zweige gibt dem Wandrer, der von Kleinigkeiten ermüdet war, einen Schatten, unter dem er ausruhn und sein wahreres Leben atmen kann. Seid vollkommen wie Gott! sagte der große Stifter unserer Religion. Wenn der Dichter diese Wahrheiten nicht vergebens sagen will, so muß er sie so sagen, daß sie das Herz eben so sehr als den Verstand beschäftigen.

Das Herz ganz zu rühren, ist überhaupt, in jeder Art der Beredsamkeit, das Höchste, was sich der Meister vorsetzen, und was der Hörer von ihm fordern kann. Es durch die Religion zu tun, ist eine neue Höhe, die für uns ohne Offenbarung mit Wolken bedeckt war. Hier lernen der Dichter und der Leser einander am gewissesten kennen, ob sie Christen sind. Nichts geringers darf derjenige sein, der hier unser ganzes Herz bewegen, und der, welcher hier den Dichter ganz empfinden will. Dann wird der Dichter, auch mir dem glücklichsten Genie, ohne wirkliche Empfindung der Schönheit der Religion und ohne eine Rechtschaffenheit des Herzens, die nicht schimmern, noch viel weniger glänzen will, diese Bewegungen in uns hervorbringen können?

Der Freigeist und der Christ, der seine Religion nur halb versteht, sehn da nur einen großen Schauplatz von Trümmern, wo der tiefsinnige Christ einen majestätischen Tempel sieht. Und wie konnten jene etwas anders sehen? Denn nicht selten verwandeln sogar kleine Züge, die sie verkannten, den Tempel für sie in Trümmern. Und gleichwohl haben sie, wenn mir diese kühnste unter allen Vergleichungen erlaubt ist, die Mythologie studiert, den Homer zu verstehn
. S.146ff.
Aus: Friedrich Gottlieb Klopstock, Dichtungen und Schriften. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk.
Auswahl und Einführung von Walter Flemmer. Goldmanns gelbe Taschenbücher Band 873, Wilhelm Goldmann Verlag, München

Drei Gebete eines Freigeistes, eines Christen und eines guten Königs

Des Freigeistes
Ach, wo soll ich mich hinwenden; erstes der Wesen, daß ich dich finde, daß ich dich kennenlerne, wer du bist? daß ich lerne, wer ich bin? Dieser stille Wald, diese deine Zahllosen, deine Geschöpfe uns mich her, diese Schönheit der Natur, haben in meine Seele jene Ruh zurückgebracht, die mich nun seit Jahren schon so selten besucht, haben in meine Seele ... Doch ach! habe ich eine Seele? habe ich eine? O, Grab, Grab! entsetzliches Grab! wird etwas Unsterbliches von mir übrig sein? Oder nimmst du mich ganz? Ganz, wie ich mich jetzt fühle? du fürchterlicher, aufgeworfner Staub! du Verwesung! Und dann sollen jene Sonnen noch rollen? Und diese Lüfte noch atmen? Die sind besser als ich?

O Wesen! Wesen! Erster! Namloser! wer bist du? wer bin ich? ich? Jetzt fühle ich mich noch, so ganz, so sanft, so gewaltig, so ausgeschaffen! Und Morgen! Morgen vielleicht! (warum erbarmt sich die Ungewißheit des entsetzlichen Morgens und läßt ihn halb für mich künftig sein?) Morgen wird dieses ganze Geschöpf, das sich heute noch so sehr fühlt, dies Gebäude deiner ungedachten stillen Allmacht, o du, den ich suche und nicht finde! dies Meisterstück! (o möchte ichs nicht kennen noch Namen dazu haben!) morgen wird es ein toter Körper, den man kaum würdigt aufzuheben und ihn mit Erde zu beschütten, dann bald ein modernder, geschwollner, abscheulicher Leichnam, dann ein wenig Staub sein, der ungesehn verfliegt, bis auch sein kleines Teilchen, in der Tiefe des unnachgebildeten Kleinen der Schöpfung verwest und vielleicht die Bewohner seiner Sterne mit Dünsten der Pest anhaucht! das alles werd ich, morgen vielleicht, anfangen zu sein! Aber dieses Bäumchen, dieser Zweig im Schoße der Erde, noch schattenlos, mit diesen armen Sprößlingen, er wird den andern Frühling wieder blühn! Ist er zu größren Endzwecken geschaffen als ich? Wenn er das ist, so will ich ihn ausreißen und hinwerfen, daß er verdorre und keinen Frühling wieder blühe . . . !

O [Unerschaffner!] Unerlöster! Unerlöster? Ach, wenn noch ein Schatten jenes goldnen Bildes von Unsterblichkeit über meinem jauchzenden Traume schwebte! Wenn ich noch der nachdenkende Knabe, der sanfte Jüngling mit der stillen rollenden Träne wäre, die damals noch über meine Wange floß, wenn mein Vater den Namen des Unerschaffnen nannte und zu mir sprach: Du bist erst sein Sohn, dann meiner! Ach, wenn diese Tage meiner zu gewissen Sterblichkeit wiederkämen! so wollte ich noch einen Blick in die Gegenden mitternächtlicher Träume tun, wo Gespenster toter Wahrheiten berumwandeln und sich mit wunderbarem Blute färben! Was zitterst, du für Gedanken, Nerven! oder Gehirn oder Lebensgeist! oder wie du sonst heißest! Du Gestern! Du Augenblick! Noch einer vielleicht du nichts! Oder, damit ich doch etwas bleibe, du Etwas, das unendlich klein, dicht ans Nichts hin, zertrümmert ist! O wenn dort erst mein letzter Staub verweste und den Fluch der Schöpfung, den Tod, weit um sich her, auch dort verstreute! so fühlte ich diesen brennenden Widerspruch, dieses quälende Gezänk zwischen Tod und Unsterblichkeit in mir nicht mehr! Ach, dieses weit ausgeworfne Los aller Gebornen, aber nur derer, die gen Himmel sehn und weinen können, nicht jener, die, begnadigter, über dem Staube kriechen oder unter der Wolke am tonvollen Wipfel hangen und, vielleicht! dem Schöpfer singen, wenn es anders so etwas ist, als was die Menschen Wahrheit nennen, daß Er Töne, und was nicht vielmehr als Töne ist, Gedanken dazu, verlangt! ... doch ich will meine Qualen hemmen!

Ist dies die Stunde der Stille? die Stunde der Betrachtung, nach der ich so seufzte, und die so selten zu mir zurückkommt! Aber, warum seufzte ich nach ihr? Warum kommt sie jetzt so selten wieder? Weil ich so elend bin! Ja, ich empfinde es! ich empfinde es! Ich bin elend! Hat denn der, der jene Himmel mit diesem Lächeln froher Empfindungen (wenn sie Empfindungen haben!) überkleidete, hat Er mich so elend gemacht? oder bin ich es selbst, der sich so elend gemacht hat? Ich will es heraussagen! Und es soll nicht mehr in meinem geheimsten Herzen herumschleichen! So wenig ich es mir länger verhehlen konnte oder wollte, daß ich ganz elend bin! so wenig kann ich oder will ich mir den Gedanken ferner verbergen: daß Er anfing! und ich das Werk seiner Hand vollendete! Er drückte mich gegen die Erde! Ich wurde zu schwer und stürzte hin! Wenn man erst dort ist, wo er nicht ist, im Elende, was kommt alsdann auf einen Schritt oder Sprung oder Flug weiter an? Diesmal habe ich den meisten, unabsehlichsten Flug getan, den ein Mensch tun kann! Ich habe Gott bei mir verklagt und ihn verdammt. Ach! Wesen der Wesen!...

Das verdient ich nicht: ich kann noch weinen! Ich darf dich nicht nennen! Ach, ich würde dich, Erbarmer! nennen, wenn ich dich nennen dürfte! ... Was habe ich getan? nun klagt er mich bei sich selbst an! Doch... (denn ich kann noch weinen!) er würdigt mich nicht einmal, daß er mich verdamme! Ich kann noch weinen! Aber das ist ein fürchterliches Weinen! ... was durchschauert mich? Fühle ich eine Seele in mir?. Und diese Seele das erstemal in dem Augenblicke, da sie gerichtet wird? O könnte ich mich aufmachen und eilen und mit diesen Tränen der Vernichtung flehn: Erbarme dich über mich! Denn verflucht sei der Mann, der mich gezeugt! und das Weib, die mich geboren hat!

Des Christen
Der Vorige nach einigen Jahren
Heut ist der Tag, da ich wieder zu Gott gekommen bin, der große feierliche Tag der Entscheidung, da ichs gewiß wußte, daß ich unsterblich war, daß Gott sich versöhnen ließe, und daß ich mit ihm versöhnt war. Ich will den jauchzenden Tag vor deiner stillen Allgegenwart feiern, o du, den ich niemals aussprechen, aber zu dem ich ewig stammeln, mit heißem Herzen, mit lauten Tränen und mit Schauern, die jenes Leben hier beginnen, stammeln werde! Wie glückselig bin ich nun! Und wie fehlen mir auch hier die Namen! Wär ein Unsterblicher gekommen und hätte es mir in jener Zeit, da ich vor Gott floh, der mir mit allen seinen Erbarmungen nachrief, hätte mir ein Engel in dieser dunklen Zeit gesagt, daß ich es werden würde, was ich nun bin, ich hätte es nicht geglaubt, so elend war ich!

O Dank, Dank! aus diesem ganzen vollen Herzen, der es fassen und nicht fassen kann, lauter, jubilierender, ewiger Dank, daß ich geschaffen und mit Gott versöhnt bin! Nun weiß ich, wer du bist? und wer ich bin? o du Naher! Hier um mich Gott, wie du es in der Unendlichkeit jener Himmel bist, die neuen Unendlichkeiten gleich ferner Himmel auch nur mit den Gedanken ersteigen, du hier und dort und da und weiter hin! und weiter hin! (steh hier still, Seele! aber steh jauchzend still!) Du dort überall Allgegenwärtiger! Angebeteter! Großer! Ewiger! Aber auch hier ist er um mich zugegen, hier, wo ich vor ihm anbete! Welch ein Gedanke ist dieser! Und wer kann ihn ganz hinauf denken, außer dem, der ihn werden hieß und zu seinem Fluge sprach: Hier sind deine Grenzen! Wie selig bin ich! Hier ist Gott! — Gott war. Da war ich noch nicht!

Und lauter Ewigkeit, einsame Ewigkeit ist dort hinter meinem Rücken! Gott ist! Und ich bin! Gott wird sein! Und ich werde sein! Er wird sein, der er sein wird! Und ich, was er mich machen wird! Ein vollendeter Gerechter! Vor dem, der ewig ist?

Ja, vor dem, der ewig ist! rein und schuldlos und einer der Begnadigten, die durch den Tod des großen Gebornen neu erschaffen sind! O du Strom der Glückseligkeit! O du Wonne deines Vaters! und meine! Namlosester unter allen, was die Stimme des Menschen diesseits der Gräber nicht aussprechen, noch der Gedanke des, der den Tod sehn soll, begreifen kann, aber doch hier in meinem überströmenden, schauervollen, anbetenden Herzen empfunden!

Ich bin im Einsamen mit Ihm! Hier liege ich tief unten an seinem Blute und schaue das hohe Kreuz hinauf. O führt alle Morgensterne vor mir vorüber und laßt mich alle ihre Wonne sehn und zeigt mir einen Anblick wie diesen! O Empfindung! Empfindung! Die Gedanken der Wonne, sie strömen zu Tausenden in meinem Herzen empor, und ich kann sie nicht aussprechen!

Die ihr mit verhülltem Antlitze vorüber geht, Erstgeborne der Schöpfung, Anbeter, Schutzengel, Engel des Todes und des Gerichts! gebt mir eure Namen, mit denen ihr ihn nanntet, da ihr ihn bluten saht! Ich will dich mit der Stimme des Menschen nennen, o du, den meine Seele liebt! Mein Gebein soll dich noch in der stillen Verwesung nennen und deinen nicht mehr blutenden Wunden entgegenschauern. Aber wie schön sind sie, deine quellenden Wunden! Mit welcher göttlichen Hoheit schaute dein letzter Blick herab und brach! Wie neigtest du dein Haupt! O, dein letztes Rufen am Kreuze! Und — nun entschliefst du! O du Liebenswürdiger! Du Schöner! Du Großer! Du Angebeteter! O du volle Wonne meiner ganzen Seele! noch vollere, noch höhere, noch unaussprechlichere der jubilierenden, vollendeten gerechten, wenn sie nun auch über das Grab hin gelächelt hat.

Aber auch dann will ich hier stehn! Hier auf Golgatha! hier, wo sein Blut hingequollen ist. Ich eile dann nicht mit zu jenen ewigen Hügeln, welche Erzengel mit Strömen ihrer Halleluja umtönen! Ich will hier auf Golgatha stehn, wo sein Blut hingequollen ist! Und wenn dann die neue Erde zu Eden aufblüht, so soll hier der Baum des Lebens an meinen Füßen emporwachsen! Ich will seine jungen Sprößlinge entfalten, dann unter seinen Schatten mit Augen die Jubellieder weinen, zu dem aufschaun, der für mich geblutet hat! Wo verweilst du? Unter welchen Blumen liegst du verborgen, sanftester unter den Freunden, schöner Tod? Du Tod des Christen! Komm, komm! und hülle den müden Wandrer im Staube, zwei Schritte tiefer ein! Und du, den meine Seele liebt, du mit den schimmernden Wunden, schau dann herunter, vom hohen Kreuze herunter und erbarme dich meiner letzten Tränen, wie du dich meiner erbarmt hast, eh ich geboren ward.

Des guten Königs
Nun ist der ermüdende Tag vorüber! Hat der erste schon so viel Schweiß? Aber ich will den Schweiß mutig abwaschen und auf den großen Lohn schaun! Wie wallte mein Herz diesem stillem Abend zu! Nun ist er gekommen! Ich will alles, was bei meiner großen, unaussprechlichen Glückseligkeit menschliche Kleinigkeiten sind, vergessen und mich ganz in mich hinein versammeln. Und nun — nun lege ich, Großer! Unaussprechlicher! Ewiger! nun lege ich meine Krone vor dir nieder und lasse mein ganzes Herz vor dein Auge hinströmen! Du bist rund um mich allgegenwärtig. O wie jauchzt meine Seele, daß ich mich auf mein Angesicht werfen und mit dem, der ewig ist, reden darf! Ich unterwinde mich nicht, die Geheimnisse deiner Vorsehungen und ihre hunderttausend Tiefen zu ergrübeln. Aber du weißt es, o du Schöpfer und Richter der Welt, wie meine Seele noch staunt, daß du mich über deine Tausende, der ich Staub wie sie bin, zum König gesetzt hast.

Vielleicht sind Engel, die vor dieser Würde zitterten. Ich zittre mit ihnen! verhülle mein Auge! und werfe meine Krone nieder! Ach! es wird ein großer Tag kommen! Laß mich denn, du furchtbarer Richter, eine beßre Krone mit Freuden niederlegen können. Du hast mich zum Glückseligsten unter tausendmal Tausenden gemacht! Wer bin ich? Staub vom Staube, wie die Zahllosen, über die du mich gesetzt hast! Mein Vater war, was ich bin, und ich bin geworden, was er war! Daß sein Gebein sanft ruhe und er vor seinem Richter freudig stehn möge! Mir aber sende deine Weisheit, daß ich der Lasten und des Schweißes und der Ehre würdig sei, die du mir gegeben hast! O sende sie von deinem Himmel herab! Ein Engel führe sie mir zu! Und mein Auge sehe sie in ihrer Schönheit! Sie wollen mir lauter Blumen auf meinen Weg streun, daß die Blumen hoch aufwachsen und mir die beßre Krone verdecken! Ich will die Blumen zertreten und auf die Krone schaun! Er ist rauh mein Weg, ich kenne ihn wohl! Aber die Krone, die Krone! wie schimmert sie! Wenige Weise wissen, wie schön sie ist, und noch weniger Könige habens gewußt! Laß mich unverwandt auf ihren großen Lohn schaun! Denn mein Weg ist sehr rauh, und ich will der Blumen nicht! Ich weiß meine großen Pflichten.

Anbetung und heißes, ewiges Lob sei dir, mein Schöpfer und Gott, daß mein Herz willig war, sie zu lernen: ich soll deine Tausende glücklich machen! Aber der Weise und der Tugendhafte will auf eine andre Art glücklich sein als die Tausende. Laß mich den Weisen und den Tugendhaften nicht umsonst suchen! Ihn zu finden, ist der Anfang meiner Belohnung hier. Aber laß ihn auch seiner würdig bleiben, wenn ich ihn gefunden habe! Ach, zu oft vergaßen Könige im Taumel schlechter Freuden die Glückseligkeit ihres Volkes, und auch nüchtern war ihre Seele zu klein, den Weisen zu suchen! Nun sind sie gerichtet! Wenn ich sie dort sehen soll, wo die Krone, aus Hügeln aufgegraben, keine Würde mehr gibt, so laß sie mich mit den Freuden eines Mannes sehn, der recht getan hat. Ja, mein heißes Verlangen, meine gerungne, emporgehobne Hand, die Tränen meiner heiligen Pflicht bringen himmlische Freude in mein Herz! Ich bin ganz freudig! Ich fühle es! Ich fühle es! hier in meinem schlagenden Herzen fühle ich es, daß ich recht tun will! Und du wirst meine tiefe Anbetung erhören, o du großer Menschenfreund! Du Schöpfer! Du Freund der Erschaffnen! Darum flehe ich dich nicht an, daß du mich vom Kriegsblute rein erhaltest.

Du kennst den ganzen Ekel meiner Seele vor dem stolzen Erobrer und meine Verachtung gegen ihn! Du weißt, wie mein Herz vor dem totenvollen Gefilde schauert, und wie ich ihn hasse, den Lorbeer, der aus Blute emporwächst! Aber wenn ein solcher Ungerechter kommt und mein teures Volk töten will, dann will ich vor ihnen herziehn und mit ihnen bluten! Und der Ungerechte soll sehn, daß der Gott der Könige und der Menschlichkeit mit mir ist! Das ist die Wonne meiner Seele, daß dein Auge meine Menschlichkeit sehn und deine Weisheit mich immer lehren wird. Auf diesen Felsen trete ich sicher und jauchzend hin und bin der Glückseligste unter den Menschen! Und nun soll mein ganzer Jubel vor dich hinströmen, daß du mich so glückselig gemacht hast. Aber mit welchem Namen soll ich sie nennen, all die Freuden, die meine Seele füllen?

Und ich bin (ich werde es ewig in meinem dankenden Herzen wiederholen!) ich bin vor diesen tausendmal Tausenden bestimmt, erwählt., auserkoren, von Gott auserkoren, sie alle zu Glückseligen zu machen? ich? — Welch ein weiter, offner Schauplatz! Welch eine Aussicht der Wonne! O, ich lasse dich nicht, mein Schöpfer und Gott! ich lasse dich nicht, du segnest mich denn mit der Glückseligkeit aller, über die du mir diese hohe Gewalt gegeben hast! Einem sterblichen Menschen ist eine solche Gewalt gegeben? Ach, einer, der im Frieden schlummert, ein vollendeter Rechtschaffner, ein ganz Unsterblicher, er würde wiederkehren und von neuem ein Sterblicher werden wollen, wenn ihm dieses höchste der Geschäfte, zahllose Glückselige zu machen, gegeben würde! Komm spät, verweile dich lange, ach, komm spät, sanfter Tod, der auf mich wartet! Ich muß erst den Knaben, der jetzt im Arme der Mutter weint oder lächelt, zu einem glücklichen Manne machen! — Wie kann, wie soll ich dich, du großer Ewiger, tief genug für alle die Freuden anbeten, die du mir ohne Maß gibst! das ist der einzige Kummer meiner Seele, daß ich dich nicht genug anbeten kann. Aber du siehst ihre Fülle, ihren ganzen Strom, der sich fortreißen will und nicht kann! Nun, es soll dich, du großer Glückseliger! du Vater aller Wonne! jede meiner Taten, jeder Gedanke, der die Taten zeugt, soll dich still anbeten!

Wenn ich die trocknende Träne des Leidenden, wenn ich die Freudenträne meiner Glücklichen sehn, wenn ich ihren lauten Segen hören werde: dann, dann kann ich mich nicht mehr halten! dann eile ich in meine Einsamkeit! dann falle ich vor dir nieder und weine vor Freuden! — Laß, o laß mich, mein furchtbarer Richter! in dieser Gesinnung mit dem festen Herzen eines Mannes bleiben, der tut, was er sich vornimmt! Erhöre dies mein Gebet und erhöre es noch, wenn du mich schon oft erhört haben wirst, wenn meine grauen Haare mit allen Ehren eines Mannes, der recht getan hat, gekommen sein werden! Dies sei mir ein Zeichen, daß du mich erhört hast: und laß mich jede Schmeichelei, auch die feinste und verdeckteste und alle ihre Schlangenwendungen von ferne sehn, die Schmeichelei jedes Eiteln und Stolzen, der haben will, daß ich in meinem Hause unaufhörlich lächle! und nicht haben will, daß ich es wisse, daß der Elende in seiner Hütte weint! Laß sie mich mit Taten schrecken, die ihrer nicht bedürfen! Ja, selbst die gutgemeinte und sanfte Schmeichelei des rechtschaffnen Mannes, der seiner Würde vergaß, laß auch sie mich sehn, aber niemals ahnden, niemals zürnen, daß auch er ein Mensch ist. Denn ich werde es selbst sein und ihm vielleicht zu froh vergeben! Erhalte mich in deiner Weisheit, daß ich es selten tue! — Dank! und laute Anbetung! und alle Wonne, die Sterbliche und Unsterbliche empfinden können, sei dem großen, ewigen Könige! dem Unerschaffnen! Dem Glückseligen! dem Liebenswürdigen! dem Furchtbarsten der Richter! dem Väterlichsten der Väter! dem Wesen der Wesen!
S.196ff.
Aus: Friedrich Gottlieb Klopstock, Dichtungen und Schriften. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk.
Auswahl und Einführung von Walter Flemmer. Goldmanns gelbe Taschenbücher Band 873, Wilhelm Goldmann Verlag, München