Hans Leisegang (1890 – 1951)

  Deutscher Philosoph und Physiker, der 1911 zum Dr. phil. in Straßburg promovierte. 1920 folgte seine Habilitation und venia legendi für Philosophie, Pädagogik und Psychologie an der Universität Leipzig. 1925 wurde er in Leipzig zum außerordentlichen Professor, 1930 zum ordentlichen Professor in Jena ernannt. 1931 erhielt Leisegang den Lessingpreis der Stadt Braunschweig. 1934 musste er für sechs Monate ins Gefängnis wegen »Beschimpfung des Nationalsozialismus«, 1937 erfolgte seine Dienstenthebung. Danach nahm er das Studium der Physik auf (Promotion zum Dr. rer. nat. 1942) Danach Tätigkeit als technischer Physiker. 1945 wurde er als Professor der Philosophie an der Universität Jena wiedereingesetzt. 1948 erfolgte seine Entlassung und anschließende Flucht nach West-Berlin. Seit 1948 war er Ordinarius für Philosophie an der Freien Universität Berlin.

Siehe auch Wikipedia

 

Inhaltsverzeichnis
Die gnostischen Götter , Pistis Sophia , Marcion - der erste Reformator

>>>Christus
Die geheime Offenbarung

Die gnostischen Götter

Was aber nun das Weltbild der häretischen Gnosis von diesem christlich-kirchlichen unterscheidet, ist ein Eingriff, der in diesen sich von Stufe zu Stufe zu immer höheren und reineren Sphären erbebenden Kosmos gemacht wird. An einer Stelle des Himmels, die in den einzelnen Systemen nicht immer dieselbe bleibt, meist aber die Sphäre des Saturn, des letzten und höchsten Planeten ist, wird die untere Welt gegen die obere gleichsam abgeriegelt. Dadurch entsteht ein Reich der Finsternis und ein Reich des Lichts. Was in der unteren Welt, dem Reich der Finsternis, liegt, gilt nicht mehr als Schöpfung des außerweltlichen guten Gottes, sondern als das Werk des bösen, von Gott abgefallenen und von ihm verfluchten Archonten, der sich selbst als Gott und als den Fürsten dieser Welt ausgibt, sie nach oben hin abschließt, so dass aus ihr nichts entfliehen kann, und es verhindert, dass eine Kunde von dem außerweltlichen guten Gott zu den Menschen dringt. [...]

Der außerweltliche, unsichtbare und unerkennbare Gott steht als reiner in sich ruhender Geist der irdischen, sichtbaren und ständigem Wandel unterworfenen Materie gegenüber. Er ist das vollkommen Gute, sie ist das radikal Böse. Zwischen beiden Gegensätzen sucht das Denken nach einer Beziehung; es stellt die Frage: Wie konnte der gute Gott diese böse Welt hervorbringen?

Die Antwort liefert der Schöpfungsprozeß. Er ist eine immer weiter von Gott fortführende Entwicklung. Veranlaßt durch seine Güte bringt Gott durch seinen Logos, der das Schöpfungswort und der Schöpfungsgedanke zugleich ist, zuerst die reine Welt des Geistes hervor. Die in ihr waltenden Geistkräfte, die teils unpersönlich als Ideen, teils persönlich als reine Geister gedacht werden, schaffen den sichtbaren Himmel mit seinen Sternengeistern und Planetensphären, die Erde und auch den Menschen als das Ebenbild Gottes.

Dabei aber ist unter den Geistern selbst ein Abfall von Gott erfolgt. Sie haben die ihnen verliehene Freiheit der Selbstbestimmung mißbraucht; unter der Führung eines ersten von Gott abgefallenen Engels hat sich ein Teil von ihnen dem Irdischen zugeneigt, ist in die Bande der Materie geraten und böse geworden. Durch sie kommt die Sünde zu den Menschen; sie drängen sich in der Sternenregion, in der sie herrschen, zwischen die irdische und die himmlische Welt. Der Mensch ist von Gott gänzlich getrennt. Eine Erlösung aus diesem Zustande der Gottentfremdung, der Gottverlassenheit und der Abhängigkeit von den bösen Dämonen, die ihn quälen, kann nur dadurch erfolgen, daß Gott selbst von außen in den Kosmos eingreift und den Gottesgedanken, den Logos, den Erlöser aus Himmelshöhen durch die Reiche der guten und bösen Geister hindurch zu den Menschen schickt, um ihnen die Kunde von seiner unwandelbaren Güte zu bringen und ihnen den Weg zu zeigen, auf dem sie aufsteigen und an den bösen Dämonen vorbei zu Gott zurückgelangen können. In diesem Wissen von dem Wege nach oben und in der Kenntnis der Mittel, die anzuwenden sind, um ihn gehen zu können, besteht die Gnosis. Der Mensch aber kann sie nur deshalb erlangen, weil er selbst die Welt im Kleinen in sich birgt; er ist der Mikrokosmos und vereint in sich alle Kräfte und Substanzen des Makrokosmos; er besteht aus Materie, aber in ihm ist auch der Logos, auch der göttliche Geist lebendig, der die oberen Regionen des Kosmos durchwaltet. Sucht er sich von der Materie und dem Einfluß der bösen Geister zu befreien, dann ist er auch dazu fähig, mit seinen Geisteskräften aufwärts zu steigen, dann kann der göttliche Logos auf ihn wirken. Seine volle Erlösung aber erlangt er erst, wenn er dem ganzen Kreis der Schöpfung entflieht und in die außerhalb dieses Kreises liegende unendliche Ewigkeit eingeht, in der Gott selbst thront. So vollzieht sich die Aufwärtsentwicklung des Menschen in umgekehrter Stufenfolge wie die Schöpfung der Welt.

Von der Erde kämpft sich der Mensch durch das ihm feindliche Reich der Dämonen bis zum Monde empor, von dort geht seine Reise durch die sieben Planetensphären in den Fixsternhimmel hinein, dann steigt er auf in die reine Welt des Geistes, bis ihn der Logos selbst zu Gott zurückführt. Dabei wird eine irdische Hülle nach der andern abgelegt: der Körper wird zum Luftleib, dieser in der Sternenregion zum Ätherleib und dieser wieder zum reinen Geist- oder Lichtwesen; denn Licht und Geist fallen in der gnostischen Vorstellungswelt zusammen, sie sind wesenseins. Auch Gott ist Geist und deshalb Licht: ,,ein Licht, da niemand zukommen kann.“ Wenn der Gnostiker vom Geiste spricht, so versteht er darunter nicht unseren modernen, ganz abstrakten und unsinnlichen Geistbegriff. Für ihn ist Geist immer noch Stoff, wenn auch ein ganz feiner und ganz leichter, ein Hauch, ein Fluidum, ein Duft oder ein Lichtglanz. In diesem hier nur in den Grundzügen wiedergegebenen Gedankenkreis bewegen sich die gnostischen Spekulationen, die aber in der Ausmalung der Einzelheiten und in der Verknüpfung der Zusammenhänge oft bedeutend voneinander abweichen. S.18, 26-28
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 32, Hans Leisegang, Die Gnosis . ©1985 by Alfred Kröner Verlag in Stuttgart.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart