Georg Heym (1887 – 1912)
Deutscher
Dichter, der einer der ersten Expressionisten der deutschen Lyrik war und in seinen Gedichten (»Der ewige Tag«, »Umbrae vitae« und »Schwarze Visionen«)
in pophetisch-beklemmender Weise die kommenden Kriegs- und Kulturkatastrophen vorhersah. Man könnte sagen, das, worin Edvard Munch (»Der Schrei«) in der Malerei Ausdruck verlieh, brachte Heym in genialer
Manier in die Morbidität seiner Poesie ein. In seiner tiefen Verzweiflung
und dem Bewusstsein einer absoluten Ohnmacht scheut er nicht davor zurück, Gott anzuklagen und zu verfluchen. Über sich selbst schrieb er:
»Ich liebe alle, die in sich ein zerrissenes Herz haben, ich liebe Kleist, Grabbe, Hölderlin, Büchner, ich liebe Rimbaud und Marlowe. Ich liebe alle, die nicht von der großen Menge angebetet werden. Ich liebe alle, die oft so an sich verzweifeln, wie ich fast täglich an mir verzweifle. . . . Ich glaube wirklich, daß ich von den Deutschen allein mich in den Schatten dieser Götter wagen darf, ohne vor Blässe und Schwachheit zu ersticken. . . . Man könnte vielleicht sagen, daß meine Dichtung der beste Beweis eines metaphysischen Landes ist, das seine schwarzen Halbinseln weit herein in unsere flüchtigen Tage streckt. . . . Ich glaube wohl: In 300 Jahren werden die Menschen sich an den Kopf fassen, wenn sie unsere Leben sehen. Sie werden sich wahrhaftig fragen, wie die Günther, Lenz, Kleist, Grabbe, Hölderlin, Lenau, die Hoddis, Heym, Frank überhaupt soweit durchgekommen sind. Und wie es für diese Naturen (die zu anständig waren, um zu compromisslern, wie die Goethe, Rilke, George etc.) in dieser trüben und vor Wahnsinn knallenden Zeit überhaupt noch möglich war, sich durchzuschlagen«. Heym ertrank unter mysteriösen Umständen beim Schlittschuhlaufen auf der Havel bei dem Versuch, seinen treuen Freund Ernst Balcke zu retten. Siehe auch Wikipedia und Projekt Gutenberg |
Inhaltsverzeichnis
Ich
verfluche dich, Gott. Gebet Die Hölle Das infernalische Abendmahl Mors Wolken Schwarze Visionen Umbrae Vitae Pilatus Judas Eine Fratze |
Ich verfluche
dich, Gott.
Ich verfluche dich, Gott; alter Narr in dem Flitterstand.
Blutig Gespenst. Einsamer Nachtwandrer, du.
Du eilst durch die Himmel ohne Rast, ohne Ruh.
Nach neuer Pein stets zermarterst du deinen Verstand.
Und bin ich auch wie ein chinesischer Delinquent
Bis in den Hals vergraben und habe die Hände nicht frei,
Wenn die Leiden wie Ratten mich beißen, du hörst keinen Schrei,
Du sollst keine Träne sehn, die über die Wange mir rennt.
Ich bin doch besser daran, als du, alter
Tyrann.
Ich kann sterben. Ich geh in der Schatten Tal
Im Triumph. Ich schlafe bei Lethe. Du, armseliger Mann
Bist ewig. Und ewig währt deine grause Qual. S.86
Gebet
(Zweite Fassung / Entwurf)
Großer Gott, der du auf den Kriegsschläuchen sitzest.
Vollbackiger du, der den Atem der Schlacht kaut.
Laß heraus wie Sturm gegen Morgen den Tod,
Gib uns Herr, Feuer, Regen, Winter und Hungersnot.
Daß das Kriegshorn wieder im Lande schallt,
Laß die Äcker liegen mit Leichen voll,
Öde Zeit ist, wie ein Kranker das Jahr,
Herr gib uns das Feuer. Und reiche uns Prüfungen dar.
S.30
Die
Hölle
Und Finsternis bedeckt die weiten
Räume,
Als hätte sich der Satan aufgerichtet
Und würfe seinen Schatten durch das All
Divus Grabbe, Herzog Theudur vun Gushiand
I
Ich dachte viel der Schrecken zu erfahren,
Als ich an ihren hohen Toren stand,
Abgründe rot und Meere voller Brand
Hinter den großen Riegeln zu gewahren,
Und sah ein Land voll ausgespannter Öde,
Und Monde bleich, wie ein paar starre Tränen.
Man gab mir keinen Gruß zurück. Nur blöde
Sahn mich die Schatten an mit lautem Gähnen.
Die Unterwelt, sie gleicht zu sehr der Erde:
Im Schlamm des Hades lag ein Krokodil.
Man warf auch hier nach seinem Kopf zum Spiel,
Vielleicht mit etwas müderer Gebärde.
Wanderer gingen in den Sonntagsröcken,
Sie sprachen von den Sorgen dieser Wochen
Und freuten sich, wenn junge Falten krochen
Aus ihrer Freunde Stirn wie Dornenhecken.
Laternen wurden durch die Nacht geschwungen,
Und einen Toren trug man uns vorbei.
Er war im ewig grauen Einerlei
Vor Langeweile wie ein Pilz zersprungen.
II Der Teufel
Er wohnte damals unter Rummelsburch
In einem Gulli, als die Hitze hing
Vom Nordkap weiß bis an den Semmering,
Und war schon ganz erheblich unten durch.
Er war rheumatisch, und den Alten fror.
Er drehte langsam seinen Rosenkranz
Und um das große Horn der Höllenglanz,
Er kam uns merklich ausgeblichen vor.
»Ja, meine Herrn«, er gab uns seine Hand,
»>Non serviam<, das war. Und Seinen Thron,
Bei Gott, ja damals hätt ich ihn verbrannt.
Doch, eben, ich war viel zu tolerant.
Jetzt bin ich nur noch eine Fiktion.«
Er bot uns noch Zigarren, und verschwand.
III Das Erwachen
Gewölke gleich, das stirbt in dürrer Stille
Im götterlosen Herbst auf kahler Flur,
Zerflossen alle Träume. Und wir lagen
Bei Krügen, schal und leer, und welkem Kranz.
In Morgen-Wehmut schien es zu zerrinnen,
Was eben noch im Träume-Feuer glomm.
Ich hörte in mir dumpf den Schall der Türen,
Die schlugen hinter ihren Schatten zu.
Du ruhtest noch, verwelkt, im frühen Schlummer
Der sich von deiner Schläfe langsam hob,
Und wie ein Trauermantel kühlen Fluges
Im Dunkel sich der Stuben klein verlor.
Ein weißes Licht ging über deine Augen.
Du wachtest auf und krochst an meine Brust,
Und ich, wie eine Distel dürr und trocken,
Verbarg in flache Küsse deine Stirn.
Vergiß. Und komm. Daß ich, Ischariot,
Noch einmal deines Mundes Flammen wecke,
Und singen kann. Daß ich die Lider schließe
Und wie ein Schiff auf roten Finsternissen
Durch blasse Sterne, die versinken wollen,
In leere Weiten treibe und den Tod,
Den Vögeln gleich, die unter großem Fittich
Verbergen hoch ein böses Morgenrot.
IV Die Vorhölle
Am Meere hockend, das verfault im Schimmer
Der mondlos hingezognen Mitternacht,
In blinde Leere blinzeln trüb sie immer,
Wie an der Särge kerzenbleicher Wacht.
Der Himmel reißt sich auf zu mattem Gähnen
Von seinem stumpfen Unrat fast erstickt,
Wo fern am Wall bei schattengroßen Kähnen
Das kranke Wasser an den Bohlen schlickt.
Der Wolken Sümpfe dehnen sich im Grauen,
Die Regentropfen brennen ihre Stirn,
Aus ihrer Adern Schartenknäul, den flauen,
Steigt Fieber rauchend in ihr ödes Hirn.
Sie, Schemen eines Traumes, halb schon Tote,
Lachen sie oft voll herber Bitterkeit,
Als lägen sie bei Charon schon im Boote,
Verdorrt und hohl und winterüberschneit.
Zu leben ohne Freude, und zu sterben
Zu faul, so wälzen sie im Sand herum,
Und hoffen, wie die Quallen zu verderben,
Die auf den Steinen schmelzen, sanft und stumm.
So aufgehängt in gräßlichem Erstarren,
Vergeßnen Früchten gleich, zermürbt vom Wind,
Stört sie nur manchmal großer Fliegen Schnarren
In ihrer Qualen weitem Labyrinth. . S.94ff.
Das
infernalische Abendmahl
I
Ihr, denen ward das Blut vor Trauer bleich.
Ihr, die der Sturm der Qualen stets durchrast,
Ihr, deren Stirn der Lasten weites Reich,
Ihr, deren Auge Kummer schon verglast,
Ihr, denen auf der jungen Schläfe brennt
Wie Aussatz schon das große Totenmal,
Tretet heran, empfangt das Sakrament
Verfluchter Hostien in dem Haus der Qual.
Besteigt die Brücke auf dem schwarzen Fluß,
Darüber wallet der Verfluchten Schar.
Und dunkel grüßt euch groß der Portikus,
Durch den in Dämmrung glänzt der Hochaltar,
Den tausend Kerzen schmücken, die von Blut
Und Fett der Ungebornen sind gedreht.
Wo Knochen hängen, und der rote Sud
Teuflischen Weihrauchs euch entgegenweht.
Wo Priester in der höllischen Soutane
In Reihen knien, zu hellem Meßgeläut,
Wo von den Kanzeln Fahne über Fahne
Wie rote Höllenflamme euch bedräut.
Ein nackter Abt bläht vor dem Götterbild
Den feisten Bauch, da er die Messe singt.
Er greift den Kelch, mit rotem Blut gefüllt,
Den hoch er auf das Haupt der Menge schwingt.
»Trinket mein Blut.« Er trinkt den Becher leer,
Der in sein Herz wie rote Lava quillt.
Sein Gaumen leuchtet wie ein rotes Meer,
Der von dem Glanz des Götterblutes schwillt.
Auf euren Schläfen, wo der Horst der Qual,
Die schwarze Bastion der Hülle droht,
Springt eine Flamme auf, die spitz und schmal
Wie der Skorpione schwarze Zunge loht.
Nachtschwarze Wolken drängen in den Dom
Voll Sturm und Blitzen durch das große Tor.
Ein Wetter tost. Im schwarzen Regenstrom
Versinkt der Orgel Ton im fernen Chor.
Die Gräber springen auf. Der Toten Hand
Streckt weiß und kalt die Knochenfinger aus.
Sie winken euch aus ihrem dunklen Land.
Und ihr Geschrei erfüllt das Riesenhaus.
Die Fliesen brechen auf. Und Lethe braust
Tief unten über einen Wasserfall.
Der Abgrund schwindelt Meilen tief und saust
Voll ungeheurer Stürme weitem Hall.
Die Höllensöhne fahren ihn herab
Mit schwarzem Takelwerk durch den Typhon.
Sie schauen singend in das weite Grab
Vom Totenkopfe ihrer Schiffs-Galion.
II
Hoch wo das Dunkel seine Schatten türmt
Durch Ewigkeiten fern vom Grund der Qual,
Hoch oben, wo im Dom der Regen stürmt,
Erscheint des Gottes Haupt, wie Morgen fahl.
Die weiten Kirchen füllt der Sphären Traum
Voll Schweigen, das wie leise Harfen klingt,
Da, wie der Mond vom großen Himmelsraum,
Der Gottes weißes Haupt heruntersinkt.
Tretet heran. Sein Mund ist süß wie Frucht,
Sein Blut ist, wie der Wein, langsam und schwer.
Auf seiner Lippen dunkelroter Bucht
Wiegt blaue Glut von fernem Sommermeer.
Tretet heran. Wie Flaum von Faltern zart,
Wie eines jungen Sternes goldne Nacht,
Zittert sein Mund, in seinem goldnen Bart,
Wie Chrysolith in einem tiefen Schacht.
Tretet heran. Wie einer Schlange Haut
So kühl ist er, weich wie ein Purpurkleid,
Wie Abendrot so sanft, das übergraut
Brennender Liebe wildes Herzeleid.
Der Gram gefallner Engel ruht, ein Traum,
Auf seiner Stirn, der Qualen weißem Thron,
Wie Schläfer traurig, denen floh zum Saum
Des blassen Morgens ihre Vision.
Tiefer als tausend leere Himmel tief
Ist seine Schwermut, wie die Hölle schön,
Wo in den roten Abgrund sich verlief
Ein bleicher Sonnenstrahl aus Mittagshöhn.
Sein Leid ist wie ein Leuchter in der Nacht,
Schauet die Flamme, die sein Haupt umloht,
Und doppelhörnig in der düstren Pracht
Aus seinem Lockenwald ins Dunkel droht.
Sein Leid ist wie ein Teppich, drauf die Schrift
Der Kabbalisten brennt durch Dunkelheit,
Ein Eiland, dem >vorbei< ein Segler schifft,
Wenn in den Bergen fern das Einhorn schreit.
Sein Leib trägt eines Schattenwaldes Duft,
Wo großer Sümpfe Trauervögel ziehn,
Ein König, der durch seiner Ahnen Gruft
Nachdenklich geht in weißem Hermelin.
Tretet heran, entflammt von seinem Gram.
Trinkt seinen Atem, der so kühl wie Eis,
Der über tausend Paradiese kam,
Voll Duft, der jeden Kummer weiß.
Er lächelt, seht. Und eurer Seele Bild
Wird wie ein Weiher, der im Schilfe schweigt,
Wo leis des Hirtengottes Flöte schwillt,
Der durch die Lorbeerschlucht heruntersteigt.
Schlaft ein. Die Nacht, die schwarz im Dome hängt,
Verlöscht die Lampen an dem Hochaltar.
Der große Adler seines Schweigens senkt
Auf eure Stirn sein dunkles Schwingenpaar.
Schlaft, schlaft. Des Gottes dunkler Mund, er streift
Euch herbstlich kühl, wie kalter Gräber Wind,
Darauf des falschen Kusses Blume reift.
Wie Mehltau giftig, gelb wie Hyazinth.
S.103ff.
Mors
Ein Prolog
Ein Wort, das schneidet tief in euer Herz,
Das gern vergißt, und in der kurzen Freude
Der Stunden hinschwankt. Nur kein Leid, das stört,
Und macht verächtlich. Doch hier heißt es stehn,
Wenn seine Glocke klappert auf der Treppe.
Kommt er zu uns? Behüte Gott. — Er kommt.
Er tritt herein. Ein Schatten und das Licht
Der Lampe flackert düster auf. Der Hund
Sträubt sich vor Grausen. Kalt weht es vorbei.
Und in dem Bette streckt das Teure sich,
Es seufzt, wird kalt. Und plötzlich bricht das Auge.
Warum gerann es so, was sah es nur?
Tot? Ja. Weint nur. Indes der arme Schatten
In fernes Dunkel flieht, als zöge ihn
Mit Macht herab ein hohler kalter Schlund
In ungeheure Tiefe bodenlos.
Faßt nur die alte, welke, weiße Hand,
Sie folgt euch willenlos. Sie rührt sich nicht,
Die einst euch streichelte. Und dieser Mund
Wird nie mehr zu euch sprechen, er ist stumm.
Ein dunkles Schicksal hat ihn stumm gemacht.
Ruft ihr auch: Mutter, Mutter. Es ist taub,
Das Tote da in seinem weißen Bett,
Das niemals für euch taub war. Euer Leid
Hat keinen Tröster mehr. Vergeßt das nicht.
Wer wird euch trösten nun? Ihr seid allein.
Vergeßt das nicht. Vergeßt das nicht.
Ihr bettet sie in einen Sarg. Wie fremd
Wie fern sie in den weißen Tüchern ruht,
Die wächsern alte Hand mit Totenblumen.
Der Duft des Todes und der Kerzen zieht,
Der Lorbeerbäume. Und das Zimmer hallt
Vom Weinen. Wenig Tage, und der Sarg
Wird zugemacht. Seht einmal noch herein.
Nun seht ihr niemals mehr, was ihr geliebt.
Der Deckel klappt herab, man hämmert zu.
Wie man euch grüßt. Wie man euch scheut.
So schwarz? Der Todes Makel ist euch angeklebt,
Und wenn der Sarg die Stiege niederpoltert,
Verschließt sich auf den Fluren Tür auf Tür.
Zum Kirchhof geht‘s. Man senkt den Sarg hinab,
Der Pfarrer dreht sich um. Die Erde fällt.
Seht einmal noch herab. Das letzte Mal.
Auf Nimmer-Nimmerwiedersehn. Der Tod
Gibt nichts heraus. Er hält es unten fest.
Nur eine Heilung gäb‘s. Ihr spränget nach.
Geht nur getrost in euer ödes Haus.
Ihr werdet nicht vergessen. Und das Leben
Wird euch nun bitter sein, wie ihr verdient.
Doch unten wohnt das Tote in den Gräbern,
In kleinen Kammern fort in Ewigkeit.
O ungeheures Reich voll tausend Sälen
Und dunkeln Stuben, wie ein Maulwurfsbau
Mit tausend Gängen, wo die Toten huschen
Sich unerkannt vorbei voll Traurigkeit.
Doch auf dem Haufen weißer Schädel thront
Der Tod im Dunkel, wie ein großer Vogel,
Der nachts bebrütet einen großen Horst.
Wie alt er ist. Wie stumm. Was mag er denken
In seines großen Schädels weißem Dach.
S.101f.
Wolken
(Letzte Fassung)
Der Toten Geister seid ihr, die zum Flusse,
Zum überladnen Kahn der Wesenlosen
Der Bote führt. Euer Rufen hallt im Tosen
Des Sturms und in des Regens wildem Gusse.
Des Todes Banner wird im Zug getragen.
Des Heers carroccio führt die Wappentiere.
Und graunhaft weiß erglänzen die Paniere,
Die mit dem Saum die Horizonte schlagen.
Es nahen Mönche, die in Händen bergen
Die Totenlichter in den Prozessionen.
Auf Toter Schultern morsche Särge thronen.
Und Tote sitzen aufrecht in den Särgen.
Ertrunkene kommen. Ungeborner Leichen.
Gehenkte blaugeschnürt. Die Hungers starben
Auf Meeres fernen Inseln. Denen Narben
Des schwarzen Todes umkränzen rings die Weichen.
Es kommen Kinder in dem Zug der Toten,
Die eilend fliehn. Gelähmte vorwärts hasten.
Der Blinden Stäbe nach dem Pfade tasten.
Die Schatten folgen schreiend dem stummen Boten.
Wie sieh in Windes Maul des Laubes Tanz
Hindreht, wie Eulen auf dem schwarzen Flug,
So wälzt sich schnell der ungeheure Zug,
Rot überstrahlt von großer Fackeln Glanz.
Auf Schädeln trommeln laut die Musikanten,
Und wie die weißen Segel blähn und knattern,
So blähn der Spieler Hemden sich und flattern.
Es fallen ein im Chore die Verbannten.
Das Lied braust machtvoll hin in seiner Qual,
Vor der die Herzen durch die Rippen glimmen.
Da kommt ein Haufe mit verwesten Stimmen,
Draus ragt ein hohes Kreuz zum Himmel fahl.
Der Kruzifixus ward einhergetragen.
Da hob der Sturm sich in der Toten Volke.
Vom Meere scholl und aus dem Schoß der Wolke
Ein nimmer endend grauenvolles Klagen.
Es wurde dunkel in den grauen Lüften.
Es kam der Tod mit ungeheuren Schwingen.
Es wurde Nacht, da noch die Wolken gingen
Dem Orkus zu, den ungeheuren Grüften. S.29f.
Aus: Georg Heym, Gedichte ausgewählt von Christoph Meckel, Fischer Bücherei
886
Schwarze
Visionen
An eine imaginäre Geliebte
I
Du ruhst im Dunkel trauriger Askesen
In deinem weißen Tuch, ein Eremit,
Und deine Locken, die in Nacht verwesen,
Bedecken tief dein eingesunknes Lid.
Auf deinen Lippen gruben sich die Male
Der toten Küsse schon in Trichtern ein.
Die ersten Würmer tanzen um das fahle
Vom Grubenwasser bleiche Schläfenbein.
Wie Ärzte stechen lang sie die Pinzette
Der Rüssel, die im Fleische Wurzel schlägt.
Du jagst sie nicht von deinem Totenbette,
Du bist verflucht, zu leiden unbewegt.
Des schwarzen Himmels große Grabesglocke
Dreht trüb sich rund um deine Winterzeit.
Und es erstickt der Schneefall, dicke Flocke,
Was unten in den Gräbern weint und schreit.
II
Der großen Städte nächtliche Emporen
Stehn rings am Rand, wie gelbe Brände weit.
Und mit der Fackel scheucht aus ihren Toren
Der Tod die Toten in die Dunkelheit.
Sie fahren aus wie großer Rauch und schwirren
Mit leisen Klagen durch das Distelfeld.
Am Kreuzweg hocken sie zuhauf und irren
Den Heimatlosen gleich in schwarzer Welt.
Sie schaun zurück von einem kahlen Baume,
Auf den der Wind sie warf. Doch ihre Stadt
Ist zu für sie. Und in dem leeren Raume
Treibt Sturm sie um den Baum, wie Vögel matt.
Wo ist die Totenstadt? Sie wollen schlafen.
Da tut sich auf im ernsten Abendrot
Die Unterwelt, der stillen Städte Hafen,
Wo schwarze Segel ziehen, Boot an Boot.
Und schwarze Fahnen wehn die langen Gassen
Der ausgestorbnen Städte, die verstummt
Im Fluch von weißen Himmeln und verlassen,
Wo ewig eine stumpfe Glocke brummt.
Die schwarzen Brücken werfen ungeheuer
Die Abendschatten auf den dunklen Strom
Und riesiger Lagunen rotes Feuer
Verbrennt die Luft mit purpurnem Atom.
Kanäle alle, die die Stadt durchschwimmen,
Sind von den Lilienwäldern sanft umsäumt.
Am Bug der Kähne, wo die Lampen glimmen,
Stehn groß die Schiffer, und der Abend träumt
Wie zarte goldene Kronen um die Stirnen.
Der tiefen Augen dunkler Edelstein
Umschließt des hohen Himmels blasse Firnen,
Wo weidet schon der Mond im grünen Schein.
Die Toten schaun aus ihrem Winterbaume
Den Schläfern zu in ihrem sanften Reich.
Und das Verlangen faßt sie nach dem Saume
Des roten Himmels und dem Abend weich.
Da stürzt sie Hermes, der die Nacht erschüttert
Mit starkem Flug, ein bläulicher Komet,
Den Grund herab, der meilentief erzittert,
Da singend ihn der Toten Zug durchweht.
Sie nahn den Städten, da sie wohnen sollen,
Draus goldne Winde gehn im Abendflug.
Der Tore Amethyst im tiefen Stollen
Küßt ihrer Reiherschwingen langer Zug.
Die Silberstädte, die im Monde glühen,
Umarmen sie mit ihres Sommers Pracht,
Wo schon im Ost wie große Rosen blühen
Die Morgenröten in die Mitternacht. S.136f.
Aus: Georg Heym, Gedichte ausgewählt von Christoph Meckel, Fischer Bücherei
886
Umbrae
Vitae
Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen
Und sehen auf die großen Himmelszeichen,
Wo die Kometen mit den Feuernasen
Um die gezackten Türme drohend schleichen.
Und alle Dächer sind voll Sternedeuter,
Die in den Himmel stecken große Röhren.
Und Zaubrer, wachsend aus den Bodenlöchern,
In Dunkel schräg, die einen Stern beschwören.
Krankheit und Mißwachs durch die Tore kriechen
In schwarzen Tüchern. Und die Betten tragen
Das Wälzen und das Jammern vieler Siechen,
Und welche rennen mit den Totenschragen.
Selbstmörder gehen nachts in großen Horden,
Die suchen vor sich ihr verlornes Wesen,
Gebückt in Süd und West, und Ost und Norden,
Den Staub zerfegend mit den Armen-Besen.
Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile,
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen,
Sie springen, daß sie sterben <nun> in Eile.
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen
Noch manchmal zappelnd. Und der Felder Tiere
Stehn um sie blind, und stoßen mit dem Horne
In ihren Bauch. Sie strecken alle viere
Begraben unter Salbei und dem Dorne.
Die Meere aber stocken. In den Wogen
Die Schiffe hängen modernd und verdrossen
Zerstreut, und keine Strömung wird gezogen
Und aller Himmel Höfe sind verschlossen.
Die Bäume wechseln nicht die Zeiten
Und bleiben ewig tot in ihrem Ende
Und über die verfallnen Wege spreiten
Sie hölzern ihre langen Finger-Hände.
Wer stirbt, der setzt sich auf, sich zu erheben,
Und eben hat er noch ein Wort gesprochen.
Auf einmal ist er fort. Wo ist sein Leben?
Und seine Augen sind wie Glas zerbrochen.
Schatten sind viele. Trübe und verborgen.
Und Träume, die an stummen Türen schleifen,
Und der erwacht, bedrückt von andern Morgen,
Muß schweren Schlaf von grauen Lidern streifen. S.8f.
Pilatus
Ein Lächeln schiefen Grames, das verschwindet
Hinein in seiner Stirne weißes Tor.
Er sitzt auf seinem Stuhl. Seine Hände erhoben
Brechen den Stab und fallen von oben.
Aber wie eine Blume voll grüner Helle
Leuchtet im Dunkel der Höfe der König der Juden.
Und die Stirn, die sie schattig mit Dornen beluden,
Brennt wie ein Stein in fahler Grelle.
Und der Gott steigt hinauf, von den Schultern gehoben
Riesiger Engel, er singet, ein Schwan,
Leicht und klein fährt er auf in der strahlenden Bahn
Und der Vater, im Glanze, wartet sein droben.
Aber der Richter am blauen Gebirge
Hänget im riesigen Mantel wie faltige Frucht.
Wild kommt der Abend über die hallenden Öden.
Schweigsame Wasser fallen in grüner Schlucht. S.40f.
Judas
Die Locke der Qual springt über der Stirne
Drin wispern Winde, und viele Stimmen
Die wie Wasser vorüberschwimmen.
Doch er rennet bei Ihm gleich einem Hunde
Und er picket die Worte hervor in dem Kote.
Und er wieget sie schwer. Sie werden tote.
Ach, der Herr ging über die Felder weiß
Sanft hinab am schwebenden Abendtag
Und die Ähren sangen zum Preis,
Seine Füße waren wie Fliegen klein,
In goldener Himmel <gelbem> Schein. S.41
Eine
Fratze
Unsere Krankheit ist unsere Maske.
Unsere Krankheit ist grenzenlose Langeweile.
Unsere Krankheit ist wie ein Extrakt aus Faulheit und ewiger Unrast.
Unsere Krankheit ist Armut.
Unsere Krankheit ist, an einen Ort gefesselt zu sein.
Unsere Krankheit ist, nie allein sein können.
Unsere Krankheit ist, keinen Beruf zu haben, hätten wir einen, einen zu
haben.
Unsere Krankheit ist Mißtrauen gegen uns, gegen andere, gegen das Wissen,
gegen die Kunst.
Unsere Krankheit ist Mangel an Ernst, erlogene Heiterkeit, doppelte Qual. Jemand
sagte zu uns: Ihr lacht so komisch. Wüßte er, daß dieses Lachen
der Abglanz unserer Hölle ist, der bittere Gegensatz des: »Le sage
ne rit qu‘en tremblant« Baudelaires.
Unsere Krankheit ist der Ungehorsam gegen den Gott, den wir uns selber gesetzt
haben.
Unsere Krankheit ist, das Gegenteil dessen zu sagen, was wir möchten. Wir
müssen uns selber quälen, indem wir den Eindruck auf den Mienen der
Zuhörer beobachten.
Unsere Krankheit ist, Feinde des Schweigens zu sein.
Unsere Krankheit ist, in dem Ende eines Welttages zu leben, in einem Abend,
der so stickig ward, daß man den Dunst seiner Fäulnis kaum noch ertragen
kann.
Begeisterung, Größe, Heroismus. Früher sah die Welt manchmal
die Schatten dieser Götter am Horizont. Heut sind sie Theaterpuppen. Der
Krieg ist aus der Welt gekommen, der ewige Friede hat ihn erbärmlich beerbt.
Einmal träumte uns, wir hätten ein unnennbares, uns selbst unbekanntes
Verbrechen begangen. Wir sollten auf eine diabolische Art hingerichtet werden,
man wollte uns einen Korkzieher in die Augen bohren. Es gelang uns aber noch
zu entkommen. Und wir flohen — im Herzen eine ungeheure Traurigkeit —
eine herbstliche Allee dahin, die ohne Ende durch die trüben Reviere der
Wolken zog.
War dieser Traum unser Symbol?
Unsere Krankheit. Vielleicht könnte sie etwas heilen:
Liebe. Aber wir müßten am Ende erkennen, daß wir selbst zur
Liebe zu krank wurden.
Aber etwas gibt es, das ist unsere Gesundheit. Dreimal »Trotzdem«
zu sagen, dreimal in die Hände zu spucken wie ein alter Soldat, und dann
weiter ziehen, unsere Straße fort, Wolken des Westwindes gleich, dem Unbekannten
zu. S.58f.
Aus:: Georg Heym, Dichtungen, Auswahl und Nachwort
von Walter Schmähling . Reclams Universalbibliothek Nr. 9722, © 1998
Philipp Reclam jun., Stuttgart .
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlages