Friedrich Hölderlin (1770 – 1843)

  Deutscher Dichter und Philosoph, der seit 1788 Student im Tübinger Stift war, und sich dort mit Hegel und Schelling) befreundete. 1793/94 Hauslehrer bei Charlotte von Kalb, 1796—98 bei dem Bankier Jakob Fr. Gontard in Frankfurt a. M., dessen Gattin Susette, von ihm als »Diotima« gefeiert, ihn zu schwärmerischer Liebe begeisterte. 1798/1800 in Homburg (befreundet mit I. v. Sinclair), danach Aufenthalte in Schweden und in der Schweiz. 1802 kehrte er von Bordeaux, wo er wieder Hofmeister gewesen war, mit den ersten Anzeichen geistiger Erkrankung in die Heimat zurück. 1804—06 war er Hofbibliothekar (ohne dienstliche Tätigkeit) in Hamburg. Seit 1807 verbrachte er sein Leben geistig umnachtet im Haus eines Tübinger Tischlers. Hölderlin war vor allem Lyriker. Das in Frankfurt a.M. begonnene und auch in der dritten Fassung Bruchstück gebliebene Drama »Der Tod des Empedokles« (1798—1800) verwandelt die Sage vom Tod des Philosophen im Ätna in ein religiöses Mysterium. In der Lyrik gelangte Hölderlin von frühen Hymnen in Reimstrophen und persönlich-stimmungshaften Natur- und Liebesgedichten in Versmaßen der antiken Ode zu den großen Elegien (»Menons Klagen um Diotima«, »Brot und Wein«), in denen er in Distichen — wie in »Der Archipelagus« in Hexametern — den vom Geist und von der Liebe durchwalteten Göttertag des Griechentums beschwört und in schmerzhaftem Auf und Ab von Hoffnung und Klage die Gewissheit einer Erneuerung der Menschheit festzuhalten sucht. Schließlich zu freien Rhythmen übergehend, ringt Hölderlin in gedrängter, mythisch-dunkler Bildersprache um die Bestimmung der Völker und Menschen und das Wesen der göttlichen Mächte (»Patmos«). Gleichzeitig entstanden die eigenwilligen Übersetzungen von Werken Pindars sowie des »Ödipus« und der »Antigone« des Sophokles.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Zu Jacobis Briefen über die Lehre des Spinoza
Über die Religion

Gedichte
Patmos

Zu Jacobis Briefen über die Lehre des Spinoza
1. Lessing war ein Spinozist. pag. 2
,Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit waren nicht für ihn. Er konnte sie nicht geniessen. Anderes wusste er nichts.‘ ,Sollte er sich nach jemand nennen, so wusste er keinen andern als Spinoza.’ , —pag. 12. ,Könne man ihn ganz, so sei einem nicht zu helfen. Man soll lieber ganz sein Freund werden. Es gebe keine andere Philosophie, als die des Spinoza‘ — pag. 13. wenn der Determinist bündig sein will, muss er zum Fatalisten werden. Dann gibt sich das übrige von selbst —. Der Geist des Spinoza mag wohl kein anderer gewesen sein, als das uralte: »a nihilo nihil fit.«

Dieses im abstraktesten Sinne genommen fand Spinoza, dass durch ein jedes Entstehen in dem Endlichen, durch jeden Wechsel in demselben ein Etwas aus dem Nichts gesetzt werde. Er verwarf also jeden Übergang des Unendlichen zum Endlichen. Setzte dafür ein immanentes Ensoph pag. . Diesem gab er, in sofern es Ursache der Welt ist, weder Verstand noch Willen. Denn der Wille und der Verstand findet ohne einen Gegenstand nicht statt. Und zufolge der transzendentalen Einheit und absoluten Unendlichkeit der ersten Ursache, findet kein Gegenstand statt. Und einen Begriff von seinem Gegenstand hervorzubringen, einen bestimmten Willen zu haben, ehe etwas da, auf das es sich beziehen könnte, sei ungereimt. (Ist nun kein Verstand und kein Wille da, auf welchen sich die Wirkungen, als primitive, bestimmte Ursache beziehen könnten,) so muss man eine unendliche Reihe von Wirkungen annehmen.‘ ,Der Einwurf:, dass eine unendliche Reihe von Wirkungen unmöglich, widerlege sich selbst (insofern nämlich die Unendlichkeit indeterminabilis nicht series infinita ist), weil jede Reihe, die nicht aus nichts entspringen soll, schlechterdings eine unendliche, indeterminabilis ist. Und dann sind es nicht bloss Wirkungen, weil die innewohnende Ursache immer und überall ist. Überdies ist die Vorstellung von Folge und Dauer blosse Erscheinung pag. 16. 17, nur die Form, welcher wir uns bedienen, das Mannigfaltige in dem Unendlichen anzuschauen.‘


2. Jakobi glaubt eine verständige, persönliche Ursache der Welt. Er sieht die Einwürfe Spinoza’s so klar, dass sie beinahe zur Eigentümlichkeit in ihm werden. Aber er hilft sich dadurch, dass er bloss den Hauptteil der Spinozistischen positiven Lehre angreift. Er schliesst aus dem Fatalismus unmittelbar gegen den Fatalismus und alles, was mit ihm verknüpft ist. ,Wenn es lauter wirkende und keine Endursachen gibt, so hat das denkende Vermögen in der ganzen Natur bloss das Zusehen. Sein einziges Geschäft ist, den Mechanismus der wirkenden
Kräfte zu begleiten. Auch die Affekte wirken nicht, insofern sie Empfindungen und Gedanken mit sich führen. Und im Grunde bewegt uns ein Etwas, das von allen Äusserungen nichts weiss, und das insofern, von Empfindung und Gedanke schlechterdings entblösst ist. Empfindung und Gedanke sind nur Begriffe von Ausdehnung, Bewegung, Graden von Geschwindigkeit u. s. w.‘

a) Wendet aber Lessing ein, dass es zu den menschlichen Vorurteilen gehöre, den Gedanken als das erste und vornehmste zu betrachten, und aus ihm alles herleiten zu wollen, da doch alles mitsamt den Vorstellungen von höheren Prinzipien abhänge. Es gäbe eine höhere Kraft, die unendlich vortrefflicher sei, als die oder jene Wirkung. Es könnte auch eine Art des Genusses für dieselbe geben, die nicht nur alle Begriffe übersteige, sondern völlig ausser dem Begriffe liege. Dies hebe aber ihre Möglichkeit nicht auf. —- Dem Spinoza habe Einsicht zwar über alles gegolten, aber nur insofern, als sie für den Menschen, das endliche, bestimmte Wesen, das Mittel sei, womit er über seine Endlichkeit hinausreiche. Er sei ferne gewesen, unsere elende Art, nach Absichten zu handeln für die höchste Methode zu halten und den Gedanken oben zu setzen.

b) gesteht Jakobi, dass er sich von der extramundanen Gottheit keine genügende Vorstellung machen könne, dass die Prinzipien des Leibniz den Spinozistischen kein Ende machen. Die Monaden samt ihren Vinculis, sagt er, lassen ihm Ausdehnung und Denken, überhaupt Realität so unbegreiflich, als er sie schon gehabt habe. Er wisse da weder rechts noch links. Es sei ihm sogar, als käme ihm noch überdies etwas aus der Tasche, — Lessing zeigt ihm überdies eine Stelle im Leibniz, die offenbar Spinozistisch ist. Es heisst da von Gott, er befinde sich in einer immerwährenden Expansion, und Kontraktion. Dieses wäre die Schöpfung und das Bestehen der Welt. Und Jakobi findet, dass kein Lehrgebäude so sehr, wie das von Leibniz mit dem Spinozismus übereinkäme. ,

1) habe Mendelssohn öffentlich gezeigt, dass die Harmonia praestabilita im Spinoza stehe.

2) haben beide im Grunde dieselbe Lehre von der Freiheit und nur ein Blendwerk unterscheide ihre Theorie. — Spinoza erläutere unser Gefühl von Freiheit durch das Beispiel eines Steines, welcher dächte und wüsste, dass er sich bestrebt, seine Bewegung, soviel er kann, fortzusetzen. Cp. LXII. Op. Koph. p. 584 et 585. Leibniz erläutere dasselbe mit dem Beispiele einer Magnetnadel, welche Lust hätte, sich nach Norden zu bewegen und in der Meinung stände, sie drehe sich unabhängig von einer andern Ursache, indem sie der unmerklichen Bewegung der magnetischen Materie nicht inne würde.

Die Endursachen erklärt Leibniz durch einen Appetitum, einen Conatum immanentem (conscientia sui praeditum). Ebenso Spinoza, der in diesem Sinn sie vollkommen gelten lassen konnte, und bei welchem Vorstellung des Äusserlichen, und der Begierde das Wesen der Seele ausmachen.

Bei Leibniz, wie bei Spinoza setzt eine jede Endursache eine wirkende voraus. Das Denken ist nicht die Quelle der Substanz, sondern die Substanz ist die Quelle des Denkens. — pag. 17—26.

Jakobi zieht sich aus einer Philosophie zurück, die den vollkommenen Skeptizismus notwendig macht. Er liebt den Spinoza, weil er ihn mehr als ein andrer Philosoph zu der vollkommenen Überzeugung geleitet hat, dass sich gewisse Dinge nicht entwicklen lassen; vor denen man die Augen darum nicht zudrücken muss, sondern sie nehmen wie man sie findet.

Das grösste Verdienst des Forschers ist, Dasein zu enthüllen und zu offenbaren. Erklärung sei ihm Mittel, Weg zum Ziele, nächster — niemals lezter Zweck. Sein letzter Zweck ist, was sich nicht erklären lässt: Das Unauflösliche, Unmittelbare, Einfache. — pag. 29. 3 1.

Aus: Hölderlin Sämtliche Werke Dritter Band, besorgt durch Ludwig v. Pigenot,
Gedichte . Empedokles . Philosophische Fragmente. Briefe 1798 - 1800 (S.231-235)
Dritte Auflage im Propyläen-Verlag [1943]

Über die Religion
Du fragst mich, wenn auch die Menschen, ihrer Natur nach sich über die Not erheben, und so in einer mannigfaltigeren und innigeren Beziehung mit ihrer Welt sich befinden, wenn sie auch, in wie weit sie sich über die physische und moralische Notdurft erheben, immer ein menschlich höheres Leben leben, und so in einem höheren mehr als mechanischen Zusammenhange leben, dass ein höheres Geschick zwischen <ihnen> und ihrer Welt sei, wenn auch wirklich dieser höhere Zusammenhang ihnen ihr Heiligstes sei, weil sie in ihm sich selbst und ihre Welt und alles, was sie haben und sehnen, vereiniget fühlen, warum sie sich den Zusammenhang zwischen <sich> und ihrer Welt gerade vorstellen, warum sie sich eine Idee oder ein Bild machen müssen, von ihrem Geschick, das sich genauer betrachtet weder recht denken liesse, noch auch vor den Sinnen liege?

So frägst du mich, und ich kann dir nur so viel darauf antworten, dass der Mensch auch insofern sich über die Not erhebt, als er sich seines Geschicks erinnert, dass er für sein Leben dankbar sein kann und mag, dass er seinen durchgängigen Zusammenhang mit dem Elemente, indem er sich regt, auch durchgängiger empfindet, dass er, indem <er> sich in seiner Wirksamkeit und den damit verbundenen Erfahrungen über die Not erhebt, auch eine unendlichere, durchgängigere Befriedigung erfährt, als die Befriedigung der Notdurft ist; wenn anders seine Tätigkeit rechter Art, nicht für ihn, für seine Kräfte und seine Geschicklichkeit zu weit aussehend, zu unruhig, zu unbestimmt, von der andern Seite nicht zu ängstlich, zu eingeschränkt, zu mäßig ist. Greift es aber der Mensch nur recht an, so gibt es für ihn in jeder ihm eigentümlichen Sphäre ein mehr als notdürftiges, ein höheres Leben, also eine mehr als notdürftige, eine unendlichere Befriedigung. So wie jede Befriedigung ein momentaner Stillstand des wirklichen Lebens ist, so ist es auch eine solche unendlichere Befriedigung, nur mit einem wichtigen großen Unterschiede, dass auf die Befriedigung der Notdurft eine negative erfolgt, wie z.B. die Tiere gewöhnlich schlafen, wenn sie satt sind, auf eine unendlichere Befriedigung aber zwar auch ein Stillstand des wirklichen Lebens, aber dass dieses neue Leben im Geiste erfolgt, und dass die Kraft des Menschen das wirkliche Leben, das ihm die Befriedigung gab, im Geiste wiederholt, (bis ihn die dieser geistigen Wiederholung eigentümliche Vollkommenheit und Unvollkommenheit wieder ins wirkliche Leben treibt.) Ich sage, jener unendlichere, mehr als notdürftige Zusammenhang, jenes höhere Geschick, das der Mensch in seinem Elemente erfahre, werde auch unendlicher von ihm empfangen, befriedige ihn unendlicher, und aus dieser Befriedigung gehe das geistige Leben hervor, wo er gleichsam sein wirkliches Leben wiederhole. Insofern aber ein höherer, unendlicher Zusammenhang zwischen ihm und seinem Elemente ist, in seinem wirklichen Leben, kann dieser weder bloß in Gedanken, noch bloß im Gedächtnis wiederholt werden. Denn der bloße Gedanke, so edel er ist, kann doch nur den notwendigen Zusammenhang, nur die unverbrüchlichen, allgültigen, unentbehrlichen Gesetze des Lebens wiederholen, und in eben dem Grade, in welchem <er> sich über dieses ihm eigentümliche Gebiet hinaus und den innigeren Zusammenhang des Lebens zu denken wagt, verleugnet er auch seinen eigentümlichen Charakter, der darin besteht, dass er nicht bloß im einzelnen Falle, sondern jedem Falle, unter allen Umständen richtig ist, dass er ohne besondere Beispiele eingesehen und bewiesen werden kann. Jene unendlicheren mehr als notwendigen Beziehungen des Lebens können zwar auch gedacht, aber nur nicht bloß gedacht werden; der Gedanke erschöpft sie nicht, und wenn es höhere Gesetze gibt, die jenen unendlichem Zusammenhang des Lebens bestimmen, wenn es ungeschriebene göttliche Gesetze gibt, von denen Antigone spricht, als sie, trotz des öffentlichen strengen Verbots, ihren Bruder begraben hatte, — und es muss wohl solche geben, wenn jener höhere Zusammenhang keine Schwärmerei ist — ich sage, wenn es solche gibt, so sind sie, insofern sie bloß für <sich> und nicht im Leben begriffen gedacht werden, vorgestellt werden, unzulänglich, einmal weil jede Abstraktion in eben dem Grade, in welchem der Zusammenhang des Lebens unendlicher, die Tätigkeit und ihr Element, die Verfahrungsart und die Sphäre, in der sie beobachtet wird, also das Gesetz und die besondere Welt, in der es ausgeübt wird, unendlicher verbunden ist und schon deswegen das Gesetz, wenn es auch gleich ein für gesittete Menschen allgemeines, wäre, doch niemals ohne einen besonderen Fall, niemals abstrakt gedacht werden könnte, wenn man ihm nicht seine Eigentümlichkeit, seine innige Verbundenheit mit der Sphäre, in der es ausgeübt wird, nehmen wollte. Und dann sind die Gesetze des unendlichen Zusammenhangs, in dem sich der Mensch mit seiner Sphäre befinden kann, doch immer nur die Bedingungen, um jenen Zusammenhang möglich zu machen, und nicht der Zusammenhang selbst.

Also kann dieser höhere Zusammenhang nicht bloß im Gedanken wiederholt werden. So kann man von den Pflichten der Liebe und Freundschaft und Verwandtschaft von den Pflichten der Hospitalität, von der Pflicht, großmütig gegen Feinde zu sein, man kann von dem sprechen, was sich für die oder jene Lebensweise, für den oder jenen Stand, für dies oder jenes Alter oder Geschlecht schicke, und nicht schicke, und wir haben wirklich aus den feinen, unendlichen Beziehungen des Lebens zum Teil eine arrogante Moral, zum Teil eine eitle Etikette oder auch eine schale Bestimmungsmaßregel gemacht und glauben uns mit unsern eisernen Begriffen aufgeklärter, als die Alten, die jene zarten Verhältnisse als religiöse, das heißt, als solche Verhältnisse betrachteten, die man nicht so wohl an und für sich als aus dem Geiste betrachten müsse, der in der Sphäre herrsche, in der jene Verhältnisse stattfinden.

Und dies ist eben die höhere Aufklärung, als <die unsrige>. Jene zartem und unendlichem Verhältnisse müssen also aus dem Geiste betrachtet werden, der in der Sphäre herrscht, in dem sie stattfinden. Dieser Geist aber, dieser unendlichere Zusammenhang, selbst ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
halten muss, und diesen und nichts anderes meint und muss er meinen, wenn er von einer Gottheit redet, und von Herzen und nicht aus einem dienstbaren Gedächtnis oder aus Profession spricht. Der Beweis liegt in wenigen Worten. Weder aus sich selbst allein, noch einzig aus den Gegenständen, die ihn umgeben, kann der Mensch erfahren, dass mehr als Maschinengang, dass ein Geist, ein Gott ist in der Welt, aber wohl in einer lebendigeren, über die Notdurft erhabnen Beziehung, in der <er> stehet mit dem, was ihn umgibt.

Und jeder hätte demnach seinen eigenen Gott, insofern jeder seine eigene Sphäre hat, in der er wirkt und die <er> erfährt, und nur insofern mehrere Menschen eine gemeinschaftliche Sphäre haben, in der sie menschlich, d. h. über die Notdurft erhaben wirken und leiden, nur insofern haben sie eine gemeinschaftliche Gottheit; und wenn <es> eine Sphäre gibt, in der alle Menschen zugleich leben, und mit der sie in mehr als notdürftiger Beziehung sich fühlen, dann, aber auch nur insofern, haben sie alle eine gemeinschaftliche Gottheit.

Es muss aber hiebei nicht vergessen werden, dass der Mensch sich wohl auch in die Lage des andern versetzen, dass er die Sphäre des andern zu seiner eigenen Sphäre machen kann, dass es also dem einen natürlicherweise nicht so schwer fallen kann, die Empfindungsweise zu billigen von einem Göttlichen, die sich aus den besonderen Beziehungen bildet, in denen jeder mit der Welt steht, wenn anders jene Vorstellung nicht aus einem leidenschaftlichen, ühermütigen oder knechtischen Leben hervorgegangen ist, woraus dann immer auch eine gleich nothdürftige, leidenschaftliche Vorstellung von dem Geiste, der in diesem Leben herrsche, sich bildet, so dass dieser Geist immer die Gestalt des Tyrannen oder des Knechts trägt. Aber auch in einem beschränkten Leben kann der Mensch unendlich leben, und auch die beschränkte Vorstellung einer Gottheit, die aus diesem seinem Leben für ihn hervorgeht, kann eine unendliche sein.

Also, wie einer die beschränkte aber reine Lebensweise des andern billigen kann, so kann er auch die beschränkte aber reine Vorstellungsweise billigen, die der andere von Göttlichem hat. Es ist im Gegenteil Bedürfnis der Menschen, so lange sie nicht gekränkt und geärgert, nicht gedrückt und nicht empört in gerechtem oder ungerechtem Kampf begriffen sind, ihre verschiedenen Vorstellungsarten von Göttlichem eben wie die übrigen Interessen sich einander zuzugesellen, und so der Beschränktheit, die jede einzelne Vorstellungsart hat und haben muss, ihre Freiheit zu geben, indem sie in einem harmonischen Ganzen von Vorstellungsarten begriffen ist, und zugleich, eben, weil in jeder besonderen Vorstellungsart auch die Bedeutung der besonderen Lebensweise liegt, die jeder hat, der notwendigen Beschränktheit dieser Lebensweise ihre Freiheit zu geben, indem sie in einem harmonischen Ganzen von Lebensweisen begriffen ist.----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
d. h. solche sind, wo die Menschen, die in ihnen stehen, insofern wohl ohne einander isoliert bestehen können, und dass diese Rechtsverhältnisse erst durch ihre Störung positiv werden, d. h. dass diese Störung kein Unterlassen, sondern eine Gewalttat ist, und eben so wieder durch Gewalt und Zwang gehindert und beschränkt wird, dass also auch die Gesetze jener Verhältnisse an sich negativ, und nur unter Voraussetzung ihrer Übertretung positiv sind; da hingegen jene freieren Verhältnisse, so lange sie sind, was sie sind, ungestört bestehen.

Aus: Hölderlin Sämtliche Werke Dritter Band, besorgt durch Ludwig v. Pigenot, Gedichte . Empedokles . Philosophische Fragmente. Briefe 1798 - 1800 (S.259-265)
Dritte Auflage im Propyläen-Verlag [1943]

Patmos
Dem Landgrafen von Homburg
Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.

Im Finstern wohnen
Die Adler und furchtlos gehn
Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg
Auf leichtgebaueten Brücken.
Drum, da gehäuft sind rings
Die Gipfel der Zeit, und die Liebsten
Nah wohnen, ermattend auf
Getrenntesten Bergen,
So gib unschuldig Wasser,
O Fittige gib uns, treuesten Sinns
Hinüberzugehn und wiederzukehren.

So sprach ich, da entführte
Mich schneller, denn ich vermutet'
Und weit, wohin ich nimmer
Zu kommen gedacht', ein Genius mich
Vom eigenen Haus. Es dämmerten
Im Zwielicht, da ich ging
Der schattige Wald
Und die sehnsüchtigen Bäche
Der Heimat; nimmer kannt' ich die Länder;
Doch bald, in frischem Glanze,
Geheimnisvoll
Im goldenen Rauche, blühte
Schnellaufgewachsen,
Mit Schritten der Sonne,
Mit tausend Gipfeln duftend,

Mir Asia auf, und geblendet sucht'
Ich eines, das ich kennete, denn ungewohnt
War ich der breiten Gassen, wo herab
Vom Tmolus fährt
Der goldgeschmückte Paktol
Und Taurus stehet und Messogis,
Und voll von Blumen der Garten,
Ein stilles Feuer; aber im Lichte
Blüht hoch der silberne Schnee;
Und Zeug unsterblichen Lebens
An unzugangbaren Wänden
Uralt der Efeu wächst und getragen sind
Von lebenden Säulen, Zedern und Lorbeern
Die feierlichen,
Die göttlichgebauten Paläste.

Es rauschen aber um Asias Tore
Hinziehend da und dort
In ungewisser Meeresebene
Der schattenlosen Straßen genug,
Doch kennt die Inseln der Schiffer.
Und da ich hörte
Der nahegelegenen eine
Sei Patmos,
Verlangte mich sehr,
Dort einzukehren und dort
Der dunkeln Grotte zu nahn.
Denn nicht, wie Cypros,
Die quellenreiche, oder
Der anderen eine
Wohnt herrlich Patmos,

Gastfreundlich aber ist
Im ärmeren Hause
Sie dennoch
Und wenn vom Schiffbruch oder klagend
Um die Heimat oder
Den abgeschiedenen Freund
Ihr nahet einer
Der Fremden, hört sie es gern, und ihre Kinder
Die Stimmen des heißen Hains,
Und wo der Sand fällt, und sich spaltet
Des Feldes Fläche, die Laute
Sie hören ihn und liebend tönt
Es wider von den Klagen des Manns. So pflegte
Sie einst des gottgeliebten,
Des Sehers, der in seliger Jugend war

Gegangen mit
Dem Sohne des Höchsten, unzertrennlich, denn
Es liebte der Gewittertragende die Einfalt
Des Jüngers und es sahe der achtsame Mann
Das Angesicht des Gottes genau,
Da, beim Geheimnisse des Weinstocks, sie
Zusammensaßen, zu der Stunde des Gastmahls,
Und in der großen Seele, ruhigahnend den Tod
Aussprach der Herr und die letzte Liebe, denn nie genug
Hatt' er von Güte zu sagen
Der Worte, damals, und zu erheitern, da
Ers sahe, das Zürnen der Welt.
Denn alles ist gut. Drauf starb er. Vieles wäre
Zu sagen davon. Und es sahn ihn, wie er siegend blickte
Den Freudigsten die Freunde noch zuletzt,

Doch trauerten sie, da nun
Es Abend worden, erstaunt,
Denn Großentschiedenes hatten in der Seele
Die Männer, aber sie liebten unter der Sonne
Das Leben und lassen wollten sie nicht
Vom Angesichte des Herrn
Und der Heimat. Eingetrieben war,
Wie Feuer im Eisen, das, und ihnen ging
Zur Seite der Schatte des Lieben.
Drum sandt' er ihnen
Den Geist, und freilich bebte
Das Haus und die Wetter Gottes rollten
Ferndonnernd über
Die ahnenden Häupter, da, schwersinnend
Versammelt waren die Todeshelden,

Itzt, da er scheidend
Noch einmal ihnen erschien.
Denn itzt erlosch der Sonne Tag
Der Königliche und zerbrach
Den geradestrahlenden,
Den Zepter, göttlichleidend, von selbst,
Denn wiederkommen sollt es
Zu rechter Zeit. Nicht wär es gut
Gewesen, später, und schroffabbrechend, untreu,
Der Menschen Werk, und Freude war es
Von nun an,
Zu wohnen in liebender Nacht, und bewahren
In einfältigen Augen, unverwandt
Abgründe der Weisheit. Und es grünen
Tief an den Bergen auch lebendige Bilder,

Doch furchtbar ist, wie da und dort
Unendlich hin zerstreut das Lebende Gott.
Denn schon das Angesicht
Der teuern Freunde zu lassen
Und fernhin über die Berge zu gehn
Allein, wo zweifach
Erkannt, einstimmig
War himmlischer Geist; und nicht geweissagt war es, sondern
Die Locken ergriff es, gegenwärtig, Wenn ihnen plötzlich
Ferneilend zurück blickte
Der Gott und schwörend,
Damit er halte, wie an Seilen golden
Gebunden hinfort
Das Böse nennend, sie die Hände sich reichten –

Wenn aber stirbt alsdenn
An dem am meisten
Die Schönheit hing, daß an der Gestalt
Ein Wunder war und die Himmlischen gedeutet
Auf ihn, und wenn, ein Rätsel ewig füreinander
Sie sich nicht fassen können
Einander, die zusammenlebten
Im Gedächtnis, und nicht den Sand nur oder
Die Weiden es hinwegnimmt und die Tempel
Ergreift, wenn die Ehre
Des Halbgotts und der Seinen
Verweht und selber sein Angesicht
Der Höchste wendet
Darob, daß nirgend ein
Unsterbliches mehr am Himmel zu sehn ist oder
Auf grüner Erde, was ist dies?

Es ist der Wurf des Säemanns, wenn er fasst
Mit der Schaufel den Weizen,
Und wirft, dem Klaren zu, ihn schwingend über die Tenne.
Ihm fällt die Schale vor den Füßen, aber
Ans Ende kommet das Korn,
Und nicht ein Übel ists, wenn einiges
Verloren gehet und von der Rede
Verhallet der lebendige Laut,
Denn göttliches Werk auch gleichet dem unsern.
Nicht alles will der Höchste zumal.
Zwar Eisen träget der Schacht,
Und glühende Harze der Ätna,
So hätt' ich Reichtum,
Ein Bild zu bilden, und ähnlich
Zu schaun, wie er gewesen, den Christ,

Wenn aber einer spornte sich selbst,
Und traurig redend, unterweges, da ich wehrlos wäre
Mich überfiele, daß ich staunt' und von dem Gotte
Das Bild nachahmen möcht' ein Knecht –
Im Zorne sichtbar sah' ich einmal
Des Himmels Herrn, nicht, daß ich sein sollt etwas, sondern
Zu lernen. Gütig sind sie, ihr Verhaßtestes aber ist,
So lange sie herrschen, das Falsche, und es gilt
Dann Menschliches unter Menschen nicht mehr.
Denn sie nicht walten, es waltet aber
Unsterblicher Schicksal und es wandelt ihr Werk
Von selbst, und eilend geht es zu Ende.
Wenn nämlich höher gehet himmlischer
Triumphgang, wird genennet, der Sonne gleich
Von Starken der frohlockende Sohn des Höchsten,

Ein Losungszeichen, und hier ist der Stab
Des Gesanges, niederwinkend,
Denn nichts ist gemein. Die Toten wecket
Er auf, die noch gefangen nicht
Vom Rohen sind. Es warten aber
Der scheuen Augen viele
Zu schauen das Licht. Nicht wollen
Am scharfen Strahle sie blühn,
Wiewohl den Mut der goldene Zaum hält.
Wenn aber, als
Von schwellenden Augenbraunen
Der Welt vergessen
Stilleuchtende Kraft aus heiliger Schrift fällt, mögen
Der Gnade sich freuend, sie
Am stillen Blicke sich üben.

Und wenn die Himmlischen jetzt
So, wie ich glaube, mich lieben
Wie viel mehr dich,
Denn eines weiß ich,
Daß nämlich der Wille
Des ewigen Vaters viel
Dir gilt. Still ist sein Zeichen
Am donnernden Himmel. Und Einer stehet darunter
Sein Leben lang. Denn noch lebt Christus.
Es sind aber die Helden, seine Söhne
Gekommen all und heilige Schriften
Von ihm und den Blitz erklären
Die Taten der Erde bis itzt,
Ein Wettlauf unaufhaltsam. Er ist aber dabei. Denn seine Werke sind
Ihm alle bewußt von jeher.

Zu lang, zu lang schon ist
Die Ehre der Himmlischen unsichtbar.
Denn fast die Finger müssen sie
Uns führen und schmählich
Entreißt das Herz uns eine Gewalt.
Denn Opfer will der Himmlischen jedes,
Wenn aber eines versäumt ward,
Nie hat es Gutes gebracht.
Wir haben gedienet der Mutter Erd'
Und haben jüngst dem Sonnenlichte gedient,
Unwissend, der Vater aber liebt,
Der über allen waltet,
Am meisten, daß gepfleget werde
Der feste Buchstab, und Bestehendes gut
Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.
S.88ff.
Aus: Friedrich Hölderlin, Gedichte, Eine Auswahl. Herausgegeben von Gerhard Kurz . Reclams Universalbibliothek Nr. 18242 . © 2003 Philipp Reclam jun., Stuttgart