Franz Hartmann (1838 – 1912)
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Deutscher
Arzt, Schriftsteller und Hauptvertreter der Theosophie deutschsprachigen
Raum, der nach eigenem Bekunden unter Einwirkung von Chloroform
beim Zahnarzt sein erstes »Out-of-body«
Erlebnis hatte. 1865 kam er als Schiffsarzt in die USA, wo er die nächsten 18 Jahre hauptsächlich verbrachte. 1881
wurde er Mitglied in der Freimaurer-Loge
»Georgetown Nr. 12«. Die entscheidende geistige Wende erlebte er im folgenden Jahr beim Lesen des Buches
»Entschleierte Isis« (Isis unveiled) von H.
P. Blavatsky mit der Konsequenz, dass er 1883 in die amerikanische
Theosophische Gesellschaft (TG) eintrat und Ende desselben Jahres auf
Einladung Oberst Olcotts nach Indien übersiedelte,
wohin die Leitung der Theosophischen Gesellschaft verlegt worden war.
Im Mai 1885 fuhr Hartmann
mit H. P. Blavatsky nach Deutschland, wo er von nun an seine Wirkungsstätte aufschlug. Während Blavatsky
nach zwei Jahren nach England ging, wo sie eine weitere theosophische
Zeitschrift herausgab, beschäftigte sich Hartmann mit den Werken
der christlichen Mystiker und versah sie mit einer Reihe von Kommentaren.
Im Jahre 1893 begann Hartmann - der übrigens auch poetische Übertragung der Bhagavadagita ins Deutsche vornahm – mit der Herausgabe der Zeitschrift »Lotosblüten«, in der er durch einfache, volksnahe
Darstellung der theosophischen Lehren »Wahrheitssucher« zu »Wahrheitsfindern« machen
wollte. 1896 gründete er die deutsche Theosophische
Gesellschaft. Außerdem wird gemunkelt, dass er um die Jahrhundertwende überaus geheime Hochgrad-Freimaurer-Orden in Kempten und in der Schweiz gegründet haben soll. Die Theosophie, wie sie von H. P. Blavatsky und Franz
Hartmann sowie als Anthroposophie von Rudolf
Steiner verkündet wurde, wird von den großen christlichen
Kirchen als Irrlehre angesehen, weil diese in keiner Weise mit der Lehre
der Hl. Schrift vereinbar seien. |
Inhaltsverzeichnis
Was ist Theosophie?,
Ziele der Theosophischen
Gesellschaft, Es ist
nur ein Gott, aber es sind vielerlei Kräfte, Die
Kraft des Glaubens,
Die Macht der Gedanken,
Der Tod ist nicht das Ende
des Lebens, Wahrheit
ist die Frucht der Erkenntnis, Welt
der Erscheinungen,
Die wahre Wiedergeburt,
Der Kreislauf der Wiederverkörperungen
Bhagvadgita – das hohe Lied von der Unsterblichkeit
Shankhya – Das Buch
der Lehren, Von der göttlichen
Vollkommenheit, Von der Erlangung
der wahren Erkenntnis
Was
ist Theosophie?
Daß das Wort »Theosophie« kein
deutsches Wort ist, dafür kann ich nichts. Ich habe es nicht eingeführt,
sondern das hat der Apostel Paulus (1.
Kor. 2, 7) getan, als er von der »heimlichen,
verborgenen theosophia (Weisheit Gottes)« sprach, die »keiner
von den Obersten dieser Welt erkannt hat«, wohl aber jene, die
Gott lieben. Wenn ich ein anderes Wort für »Theosophie«
anführen sollte, wäre es: klare Einsicht
oder das Wissen, weshalb und wozu wir auf der Welt sind.
Theosophie hat nichts mit Theologie zu tun. Diese verhält sich zur Theosophie
wie die Theorie zur Praxis oder das Wissen zum Können. Um ein Theologe
zu werden, braucht man nur Verstand und ein gutes Gedächtnis; hingegen
kann niemand ein wahrer Theosoph werden ohne den Geist der Wahrheit und das
Licht der Erkenntnis.
Theosophie ist auch kein System von Glaubensartikeln.
Sie ist das Licht der Weisheit, das den zu ihr Erwachenden befähigt, die
Wahrheit, die in ihm selber liegt, zu erkennen.
Wer dieses Licht nicht besitzt, sucht die Wahrheit in allen Bibliotheken und
bei allen Lehrern vergeblich.
Recht gesehen, ist Theosophie das Endziel aller Erziehung,
allen geistigen Wachstums, aller Evolution und aller Religion. Dabei
bleibt es sich gleich, ob einer, der sich selbst erkennt, Christ oder Jude ist,
Türke oder Heide, Mann oder Weib, oder welcher Weltanschauung er zuneigt.
Alle diese Dinge sind äußerlicher Natur und haben nichts mit dem
inneren Menschen zu tun.
Darum ist es auch unsinnig, von einer deutschen oder indischen, christlichen
oder islamischen Theosophie zu sprechen. Denn Theosophie ist ja das, was allen
Philosophien und Religionen und aller Mystik als Gipfelerfahrung gemeinsam ist:
die Erkenntnis der Gottunmittelbarkeit des Menschen durch das innere Selbst.
Wer hier noch Unterschiede macht, weiß nichts vom Wesen der Gottesweisheit.
Weiter verwechsle man die Theosophie nicht mit den verschiedenen theosophischen
Lehren. Lehre und Leben sind zweierlei. Bloßes Wissen ist noch kein Besitz
der Weis¬heit. Der Zweck theosophischer Lehren ist im übrigen nicht,
das eigene Denken zu ersetzen, sondern lediglich, Material zum Selbst-Denken
zu liefern und den Weg zur
Erkenntnis zu zeigen, den jeder selbst und allein gehen muß, wenn er Erkenntnis
und Weisheit erlangen will. In Büchern findet man
göttliche Weisheit nur soweit, als man sie in sich selbst gefunden hat.
Und dazu gelangt man nur durch Selbst-Erkenntnis und Hingabe an Gott.
Wer dazu Gedrucktes wünscht, lese die Bücher der Mystiker.
Im übrigen ist der oft geäußerte Wunsch, die Gottesweisheit
in einer Nußschale zu besitzen, jederzeit erfüllbar: jeder ist selbst
diese Nußschale und die in ihm verborgene Weisheit ist der Kern. Wer diesen
göttlichen Kern in sich findet und dadurch zur Einheit mit dem Göttlichen
gelangt, hat alles. S.117ff.
Ziele
der Theosophischen Gesellschaft
Wie zwischen Theosophie und theosophischen Lehren gilt es auch zwischen der
theosophischen Bewegung und theosophischen Gesellschaften zu unterscheiden.
Der leitende Gedanke der Theosophischen Bewegung ist
der, daß jeder bestrebt sein soll, sein eigenes wahres Wesen und die in
ihm wohnenden göttlichen Kräfte kennenzulernen, deren Entfaltung nichts
im Wege steht als der Ich-Wahn, der Eigendünkel und der Egoismus mit ihrem
Gefolge.
Eine theosophische Gesellschaft hingegen
ist ein Verein, der sich der Förderung der Wahrheitserkenntnis widmet.
Die beste theosophische Gesellschaft ist demnach jene mit den meisten Mitgliedern,
die zur Selbsterkenntnis gelangt sind. Das äußert sich nicht durch
Vielwisserei, sondern durch Taten der Liebe als Ausdruck der Einheit. Wer in
allen Wesen sein eigenes göttliches Selbst erkennt, liebt Gott in jedem
Geschöpf als sein eigen Selbst.
Wer sich noch auf Autoritäten stützt, ist noch nicht sein eigener
Herr. Wer aber sein eigener Herr ist, braucht weder Lehrer noch Leiter. Er
weiß, daß niemand durch die Mitgliedschaft in einem Verein zum Theosophen
wird, sondern nur durch Selbsterkenntnis, durch die er erst für die Gottesweisheit
aufnahmefähig wird.
Trotzdem ist die Arbeit der verschiedenen theosophischen Gesellschaften zu begrüßen,
und auch ich habe ihre Entwicklung gefördert und vorangetrieben, wenn auch
die einzige Gemeinschaft, der ich mich durch mein Selbst zugehörig fühle,
die Unsichtbare Kirche Gottes ist — eine geistige Gemeinschaft, die keine
äußeren Bindungen kennt, weil ihre Glieder durch den Geist der Liebe
und der Weisheit innerlich geeint sind und umeinander wissen. S.119f.
Es ist
nur ein Gott, aber es sind vielerlei Kräfte
Das Wort »Gott«, das sinngemäß
das »Gute« bedeutet, war ursprünglich
ein Neutrum. Erst nach Einführung des Christentums wurde »das
Gott« in »der Gott« umgewandelt.
In der indischen Mystik wird der Urgrund allen Seins als »Parabrahman«
bezeichnet, als das Göttlich-Absolute. Erst mit Beginn der Schöpfung
tritt das Brahman als der Brahma in Erscheinung.
Alle Religionen meinen bei dem Wort »Gott«
dasselbe. Es ist nur ein Gott, aber es
sind vielerlei Kräfte. Es ist nur ein Leben, aber es offenbart sich in
vielerlei Formen. Es ist nur ein Licht, aber es tritt in den Geschöpfen
in verschiedenen Graden in Erscheinung. Es ist nur eine Liebe, aber sie wirkt
verschieden je nach dem Gegenstand, auf den sie sich richtet.
Der fromme Schwärmer betrachtet Gott als etwas Fernstehendes
und Unerreichbares und als Gegenstand der Hoffnung oder der Furcht. Solcher
Glaube ist Selbsttrug. Der Wahrheit kommt er erst näher, wenn wir Gott
in uns selbst finden und uns in ihm. Wir haben dann den Trug der Zweiheit überwunden
und sind zur Einheit gelangt, auf die alle Mystik und Theosophie zielt als auf
das allein Wirkliche.
Wir ehren Gott durch die Erkenntnis seiner
Gegenwart in uns, unser Leben durch gute
Taten und unsere Nächsten dadurch,
daß wir Gott, das Gute, in ihnen sehen und fördern. Um das Wesen
Gottes zu erkennen, muß man das Wesen der göttlichen Liebe
begreifen. Liebe läßt sich nicht
lehren, nur wer sie hat und übt, kennt sie.
Gott kann, wie Meister Eckehart sagt,
nicht beschrieben werden. Alle Eigenschaften, die wir ihm zulegen, besagen nichts
über sein Wesen, Es ist nutzlos, durch wissenschaftliche Forschung zur
Gott-Erkenntnis zu gelangen. Richten wir aber den Blick auf die Wahrheit, daß
Gott allgegenwärtig ist, so wird, was schwierig ist, leicht. Denn wenn
er allgegenwärtig ist, ist er auch in uns selbst, und wir brauchen dann
nur uns selbst in Wahrheit kennenzulernen, um Gott zu erkennen. Mit
der Gott-Erkenntnis gewinnen wir Gottesweisheit im höchsten Sinne
des Wortes.
Gottesweisheit oder Theosophie bedeutet Erkenntnis Gottes als des Geistes des
Guten und der Liebe. Wer dessen gewiß ist, sieht sich überall vom
absolut Guten umgeben und hat keine Ursache, ängstlich oder unzufrieden,
traurig oder besorgt zu sein. Er ist nie und nirgends allein, denn Gott ist
stets mit all seiner Liebe, Macht und Weisheit in ihm. Er erkennt alle Wesen
und Dinge wie sich selbst als Offenbarungen des göttlichen Geistes und
ist zugleich selbst Licht im Lichte Gottes. S.81f.
Die Kraft
des Glaubens
Der Glaube ist eine dreifache Kraft der Wahrheit, der Erkenntnis und der Vollkommenheit:
Als Kraft der Wahrheit führt der
Glaube zur Selbst-Erkenntnis und zur Freiwerdung durch den innewohnenden Christus.
Je höher einer sich im Glauben erhebt, desto umfassender wird sein geistiges
Wahrnehmungsvermögen und seine Fähigkeit der Wahrheitserkenntnis.
Dieser Glaube hängt weder von Meinungen und verstandesmäßigen
Überzeugungen noch von Beweisen ab. Er ist innerliches
Gewißsein der Wahrheit des Verbundenseins mit dem allgegenwärtigen
göttlichen Leben. Zeugnis dieses Glaubens sind die Werke, die er
im Geiste der Weisheit vollbringt.
Dieser Glaube ist wie eine Pflanze: er entspringt aus dem Samen der Selbsterkenntnis,
wächst durch die Kraft der Liebe, wird stark durch die Tat und entfaltet
sich zu einem mächtigen Baum der Weisheit, der Himmel und Erde verbindet.
—
Als Kraft der Erkenntnis ist der Glaube
jene göttliche Macht, die, wie schon Paulus (1.
Röm. 1, 16) erkannte, »selig macht alle,
die an sie glauben«. Dieser Glaube ist Wirkkraft, die im Menschen
zur Tatkraft wird und geistig Tote lebendig macht. Er wirkt als
Gedankenmacht zuerst auf das Gemüt des Menschen, von dort auf den
Körper und schließlich auf die Umwelt und bis hinauf in die höchsten
geistigen Sphären.
Jede Kraft reicht so weit wie der Glaube, der sie entfesselt und beseelt. Durch
den Glauben werden Kranke geheilt, Hindernisse auf dem Wege zum Licht beseitigt
und die Fülle des Guten ins Dasein gerufen. Wer diesen Glauben im Herzen
trägt, bedarf keiner Helfer.
Als Kraft der Vollkommenheit wirkt der
Glaube schon im geistig noch unerwachten Menschen als Erfüller der Wünsche.
Im geistig wiedergeborenen Menschen ist er die allvermögende Kraft Gottes,
die zum belebenden Hauch, zum lebendigen Wort und zur Vollendung schaffenden
Tat wird.
Glaube ist nicht Phantasie, sondern intuitive Wahrheitsgewißheit und dynamische
Wirkkraft. Er ist es, der den Neuen Menschen in uns zum Leben erweckt, die Pforten
des Himmels aufspringen und unvergängliche Werke der Liebe sich entfalten
läßt. S.80f.
Die
Macht der Gedanken
Der Mensch ist Geist, und die Gedanken, die er in sich erzeugt und hegt, sind
Teile seines Wesens und äußern sich in seinem Tun und Lassen. Die
Folgen, die seinem Denken entspringen, wirken auf ihn selbst zurück.
Die Gedanken sind die Bausteine, aus denen sich der Charakter zusammensetzt.
Die Gedankengeister, die einer in sich aufgenommen hat, bleiben sein Eigentum
und wer¬den auch beim Ableben seines Körpers nicht vernichtet, sondern
bleiben lebendig und begleiten seine Seele — bis ins nächste Dasein
und darüber hinaus.
Experimente der Suggestion und Hypnose haben die Augen für die Tatsache
geöffnet, daß Gedanken »Dinge«
sind, die Nutzen wie Schaden bringen können. Was
der Mensch denkt, das wird er. Nur zu oft hat er sich durch ichhaftes Denken
mit einer starren Kruste umgeben — seine Umweltverhältnisse und Schicksale
—, die ihn in seiner freien Entfaltung und Bewegung einengen und behindern.
Je mehr er sich seiner Ichheit überläßt,
desto kleinlicher wird sein Denken und Trachten und desto kurzsichtiger sein
Geist, bis er schließlich nichts mehr wahrnimmt als seine vergängliche
Persönlichkeit.
Der Strom seiner Gedanken wirkt aber nicht nur auf seinen Charakter und seinen
Körper, sondern auch auf die Menschen um ihn entsprechend niederziehend
ein. Die unguten Gedankenströme vieler Menschen vereinigen
sich und vergiften die geistige Atmosphäre; sie wirken auf immer
mehr Seelen deprimierend und irreführend. So kann der im Kopf eines unguten
Menschen ausgeheckte Plan zu einem Verbrechen durch einen anderen, auch wenn
er nichts davon weiß, zum Zwangsgedanken und zur Tat werden...
Andererseits kann ein der Macht seiner Gedanken voll bewußter
Mensch, wenn er negative Fremdeinflüsse fühlt, sich durch geistige
Willenskraft dagegen schützen, indem er um sich eine
astrale Hülle guter Gedanken errichtet, die ihn wie ein Zauberkreis umgibt
und alles Negative von ihm fernhält. Ein solcher Mensch steht gedanklich
und geistig auf eigenen Füßen. Was ihn auch gegen magische Fremdeinflüsse
schützt, ist die Reinheit der Seele, der Glaube an das Gute und das Bewußtsein
seines Einsseins mit seinem innersten Selbst.
Alle sichtbaren Formen in Natur und Leben sind Symbole und Verkörperungen
unsichtbarer Kräfte: Verwirklichungen von Gedanken, gestaltgewordene Vorstellungen.
Sowie ein Gedanke ausgestrahlt oder ausgesprochen wird,
nimmt er im Gemüt eine vom Willen bewegte Form an. Er wird so zu einem
selbständigen Wesen, das Wirkungen auslöst, die vom Willen seines
Urhebers unabhängig sind, wohl aber auf diesen zurückwirken.
So erklärt sich die magische Wirkung der Gedanken und der, wie Paracelsus
es nennt, imaginativen Kraft des Gemüts: die der Autosuggestion und Suggestion,
der Sympathie und Antipathie, der Hypnose und der Wunderheilungen. Unter »Imagination«
versteht Paracelsus die innere Gestaltung eines Gedankenbildes im Gemüt,
das nach seiner Verkörperung strebt.
Der Geist faßt eine Idee, der Gedanke wächst zur plastischen Vorstellung.
Diese erhält Leben durch den Willen und wirkt sich schließlich durch
die Tat aus. So schafft jeder Gedanke Karma, gutes oder
negatives — je nach der dem Gedanken zugrundeliegenden Tendenz.
Je mehr Bewußtseins- und Willenskraft in einem Gedanken ist, desto lebendiger
und wirkstärker, dauerhafter und folgenreicher ist er. In jedem Gedanken
ist alles enthalten, was ihn zu einem individuellen Dasein befähigt —
ob dieses Dasein nun den Bruchteil einer Sekunde oder einen Zeitraum von Jahrtausenden
umfaßt.
Das ganze Universum mit all seinen Erscheinungen ist ein
Gedanke Gottes. Jedes Sonnenreich mit seinen Planeten und Monden, seinen
sichtbaren und unsichtbaren Lebensreichen ist ein Gedanke, dem ein Sinn, ein
Ziel zugrundeliegt. Ebenso ist jedes Ding, als Verkörperung eines Gedankens,
ein Zentrum von Kräften, die nach Auswirkung streben, hinter denen ein
Zielwille tätig ist.
Hierzu die Worte eines Adepten:
Jeder zur Reife gelangte Gedanke wird zu einem selbständigen
Geschöpf und tritt aus der Welt der Ursachen in die der Wirkungen ein.
Jeder gute Gedanke wird zu einem wohltätigen Engel, jeder ungute zu einem
boshaften Teufel. Durch sein Denken bevölkert der Mensch sein Gemüt,
sein Leben und seine Laufbahn unablässig mit den Produkten seiner Vorstellungen
und Begierden, Instinkte und Leidenschaften. Die Kräfte,
die er so in Bewegung setzt, wirken wieder auf andere Wesen ein je nach dem
Grade ihrer Empfänglichkeit im Guten wie im Bösen. Beim Alltagsmenschen
geschieht dies unbewußt, während der Weise bewußt wirkt.
Ein Gedanke kann, wenn er durch das Feuer des Willens zur Leidenschaft, zum
Zwang wird, das ganze Bewußtsein eines Menschen, sein Verhalten und sein
Leben beherrschen. Ebenso kann der Gedanke eines erleuchteten
Menschen, auch wenn er in der Einsamkeit und Abgeschiedenheit lebt, in die Welt
hinausschwingen und mehr Segen stiften, als die Menschen ahnen.
Möchte immer mehr Menschen die ganze Verantwortung bewußt werden,
die sie mit jedem Gedanken und jedem Wort sich selber und der Umwelt gegenüber
übernehmen. Und möchte jeder lernen, seine Gedanken zu beherrschen
und in helfende Engelskräfte zu verwandeln! S.75f.
Der Tod
ist nicht das Ende des
Lebens
Alle Religionen künden es und alle Weisen, Erleuchteten und Vollendeten
wissen es, daß der Tod das Ende des Daseins
ist, aber nicht des Lebens. Er ist nur Durchgang
und Übergang zu einer leibfreien lichteren Form des Seins.
Was sich beim Ablegen des Körpers ändert, ist der Zustand, in dem
der Seele das Wesentliche sichtbar wird, weil sich das Bewußtsein des
Selbst aus dem vergänglichen Ich der Persönlichkeit und damit aus
dem physischen Bereich der Welt in höhere, geistige Bereiche zurückgezogen
hat.
Aber bloßes Wissen um diese Wahrheit ist noch kein Beweis. Zum Eigenbeweis
durch Erkenntnis der Wahrheit gelangt man zu Lebzeiten nur durch Innewerdung
des eige¬nen Selbst. Ist dieses erkannt, ist die Todlosigkeit, die Unvergänglichkeit
des Selbst zur Selbstverständlichkeit geworden, die keiner Beweise bedarf.
Dann spricht der Geist in uns: »Ich bin das ewige
Selbst! Ich bin, der ich bin: alle Attribute meiner >Persönlichkeit<
sind dem Vergehen unterworfen. Wenn alle Attribute meines Wesens entschwunden
sind, bin ich immer noch ich selbst! In dieser Gewißheit meiner selbst
liegt meine Todüberlegenheit und Freiheit!«
Wenn in der letzten feierlichen Stunde unseres Abscheidens
die Erlebnisse unseres vergangenen Daseins wie in einem Panorama an uns vorüberziehen,
indes aus dem Körper bereits alle Anzeichen des Lebens entschwunden sind,
bestimmen die in der Seele vorherrschenden Tendenzen das Wohl oder Wehe des
weiteren Seins. Die Seele befindet sich in einer Art Übergangsstadium,
bevor sie in den höheren geistigen Regionen erwacht. Sie muß noch
abstreifen, was sie ans irdische Daseinband. Ist das geschehen, wendet sich
die Seele ihrer geistigen Heimat zu, in der sie ganz von dem erfüllt ist,
was sie liebt — bis sie schließlich nach einem längeren Zeitraum
sich zu neuer Verkörperung wieder zur physischen Ebene hinabsenkt.
Der Geist des Menschen bleibt während seines Verweilens in seiner himmlischen
Heimat seiner Unvergänglichkeit bewußt. S.120f.
Wahrheit
ist die Frucht der Erkenntnis
Die Wahrheit ist kein Produkt der Logik, sondern Frucht der Erkenntnis. Die
Logik kann nur Irrtümer zerstreuen, die sich der Erkenntnis in den Weg
stellen: falsche Vorstellungen, die der Mensch in seinem Eigendünkel sich
über sich selbst, die Natur, die Welt und Gott macht.
Viele glauben, die Wahrheit zu lieben — und lieben doch nur ihr Ich. Aber
die Wahrheit gleicht einer eifersüchtigen Frau: sie duldet keine Nebenbuhlerin
und schenkt sich nur dem, der sich ihr gänzlich und ohne Hintergedanken
ergibt und überläßt.
Suche die Wahrheit nicht in äußeren Dingen oder in anderen
Menschen, sondern in deinem eigenen Innern. Dann
erschließt sie dir ein neues Selbstgewißsein und eine innere Welt,
in der niemals Nacht ist. Wer die geistige Sonne der inneren
Welt geschaut hat, ist ein Sohn des Lichts und ein Erleuchteter.
Es gibt nur eine Wahrheit. Sie ist unveränderlich.
Und sie ist in allen Erleuchteten qualitativ die gleiche, auch wenn sie
je nach dem geistigen Horizont des Einzelnen verschieden erscheint. Je höher
einer geistig steigt, desto umfassender wird sie, ohne daß ihr Wesen sich
wandelt.
Keine Religion ist höher als die Wahrheit, lautet der Grundsatz der Theosophischen
Gesellschaft. Zur Erkenntnis der Wahrheit bedarf es keiner Gelehrsamkeit, sondern
nur der Bereitschaft, sich dem Einstrom des Lichts der Weisheit in Stille und
Schweigen offenzuhalten.
Wird die Wahrheit erkannt, die daraus entspringende Liebe durch die Tat verwirklicht,
so werden alle Reformen, die die Menschheit bisher ohne diese Liebe durch äußere
Mittel und Methoden vergeblich zu erzwingen suchte, von selbst eintreten, und
die Erde wird nicht länger ein Ort der Qual für die meisten Geschöpfe
sein, sondern ein Paradies für alle werden. S.121f.
Welt der
Erscheinungen
Wenn die Theosophie mit dem Vedanta die Welt als »mâyâ«
bezeichnet, heißt das nicht, daß sie die Existenz der sichtbaren
Welt leugnet und die Augen vor ihr verschließt, sondern nur, daß
sie als sinnenhafte Erscheinungsform der wirklichen geistigen
Welt wertet.
In der Tat leben wir in einer Welt der Erscheinungen und
urteilen nach dem Anschein. Wir erfreuen uns unseres trugvollen Daseins
und sind darin für eine Weile glück¬lich. Doch weiter glücklicher
ist der, der sich vom Sinnentrug gelöst hat und sein wahres Wesen und auch
das der Welt erkennt. Sein Glück ist nicht flüchtig, sondern von Dauer.
Für ihn ist das Universum ein verkörperter Gedanke Gottes. Das haben
Dichter wie Schiller ausgesprochen, aber nur Einzelne
haben erkannt, wie dieses Denken in Gott vor sich geht.
Indem Gott »denkt«, erschafft und durchgottet
er die Welt als Ab- und Ebenbild seiner selbst. Auch im letzten Atom
ist er in seiner ewigen Wesenheit gegenwärtig, wie die Bhagavad Gita es
ausdrückt: »Über alle Welten und Wesen
erhaben, wohnt der Unendliche dennoch in ihnen allen; in sich selbst unbewegt,
bewegt er sich in seiner Schöpfung und seinen Geschöpfen. Er ist fern
und zugleich unendlich nahe.«
Alles Sichtbare ist Gleichnis des Unsichtbaren, alles Vergängliche
Symbol des Unvergänglichen. Alle Formen sind Verkörperungen geistiger
Kräfte und Mächte. Alles Leben ist Offenbarung
göttlichen Wesens. Dieses Wesen ist unwahrnehmbar, aber der geistigen
Anschauung faßbar.
Vom Geiste aus gesehen ist das Universum ein lebendi¬ger All-Organismus,
in dem der Geist sich in unzähligen Bewußtseinsformen zur Selbst-
und Gott-Erkenntnis und Gottwerdung emporringt. Und dieses Gottwärtsstreben
findet nicht nur auf der Erde statt, sondern auf unzähligen Welten im All.
Die für uns sichtbaren Geschöpfe unserer Welt sind nicht die einzigen
lebenden Wesen im Universum. Es gibt außer uns unzählige
andere Wesenheiten, die alle innerlich untereinander und mit uns verbunden sind
als Bruder-Pilger auf jenem gemeinsamen Wege zur Gottheit, der über unzählige
Verkörperungen zur schließlichen Wiedergeburt und Gotteinheit führt.
S.124f.
Die
wahre Wiedergeburt
Solange der Mensch noch nicht seiner wahren göttlichen Natur bewußt
geworden ist, wird er immer wieder neue Rollen in der
Welt der Erscheinungen spielen — dorthin gezogen
und getrieben von seiner Daseinsgier — bis er endlich sein Selbst,
den Gottmenschen in ihm, gefunden hat und zur Freiheit
gelangt.
Bis dahin ist er dem Gesetz von Saat und Ernte — Karma — unterworfen,
der ausgleichenden Gerechtigkeit, nach der er die Folgen einstigen Denkens und
Tuns heute und die von heute in künftigen Leben erfährt und nach der
es keine andere »Vergebung der Sünden«
gibt als durch die Einswerdung mit dem göttlichen
Selbst, die ihn von der Ichheit befreit.
Wir nennen das, was den Kreislauf der Wiederverkörperungen
beendet, die Wiedergeburt. Sie
ist das Erwachen des Gottesbewußtseins im Menschen
und der Übertritt in eine höhere Seinsstufe oder Klasse der
kosmischen Lebensschule: der Übergang vom Verweslichen ins Unverwesliche,
von dem der Sinnenmensch nichts weiß.
In dieser Wiedergeburt wird im irdischen der himmlische Mensch offenbar. Er
sieht dann alles im strahlenden Licht der Sonne der Weisheit, die im Innern
aufgegangen ist.
Sein Selbst ist diese Sonne. Sie durchleuchtet alles mit ihrem Glanz.
Wenn der innere geistige Mensch geboren, zum Bewußtsein und zur Reife
gelangt ist, kann von Wiedergeburt und wahrem Selbstsein gesprochen werden.
Ohne dies ist der Mensch ein Scheinwesen, das sich für etwas hält,
was es noch nicht ist, und sich eben dadurch hindert, zu erkennen und zu sein,
was es ist.
Diese Wiedergeburt aus dem Geiste fördert der Mensch dadurch, daß
er die Nichtigkeit allen irdischen Anscheins und aller
äußeren Werte durchschaut und sich,
wie ein Erwachsener die Spielsachen seiner Kindheit beiseite legt, von
allem Vergänglichen um sich herum löst und seine Zuflucht im Wesentlichen,
in Gott sucht.
Wer sein göttliches Selbst, das in Gott seine Wurzel hat, in seinem Herzen
findet, erlangt wahre Herrschaft über sich selbst. Er ist sich selber
zum Gesetz geworden. Er lebt, doch nicht mehr er, das Ich, lebt, sondern sein
göttliches Selbst — Christus in ihm .— lebt. Er hat die Stufe
des sat¬chitananda, der »Seins-Bewußtseins-Seligkeit«,
wie der Inder es nennt, erreicht.
Der Wiedergeborene erkennt sein eigenes göttliches
Selbst in allen Wesen und weiß sich mit allem, was lebt, ebenso eins wie
mit Gott selbst. In ihm ist die ganze Fülle der Gottheit gegenwärtig.
Da die Gottheit die Ichheit aufgezehrt hat, ist er, der
»Sohn«, mit dem »Vater«
eins. Das Unoffenbare
ist in ihm zur Offenbarung und Verwirklichung gelangt.
Im Wiedergeborenen erblicken wir den Inbegriff aller Vollkommenheit und die
Verkörperung aller göttlichen Eigenschaften und Kräfte. Er ist
zum vollkommenen Ebenbild Gottes und ein Erleuchteter
und Vollendeter geworden.
Eben dies ist der Zustand, in den wir alle eingehen können und werden,
weil wir im Urgrund unseres Wesens bereits in ihm leben. Er erscheint uns nur
fremd und unfaßbar, weil wir noch der Nichterkenntnis verhaftet und unserem
wahren Selbst noch fern sind. S.125ff.
Der
Kreislauf der Wiederverkörperungen
Nach dem Ablegen des Körpers im sogenannten »Tode«
kehrt der unzerstörbare Teil des Menschenwesens — seine Individualität
— in seine geistige Heimat zurück. Er nimmt
alle Elemente und Erinnerungen mit sich, die er während seines Erdendaseins
erworben und seinem Wesen eingefügt hat. Der Rest bleibt zurück
und löst sich auf.
In der geistigen Weit erwacht nach einer mehr oder minder langen »Zeit«
der Ruhe und Erfahrungskristallisation zu Kräften und Eigenschaften
aufs neue der Durst, das Verlangen nach physischem Dasein.
Der Geist verschafft sich mit Hilfe einer wahlverwandten Mutter ein neues Körperkleid,
in das alle Neigungen, Kräfte und Tendenzen, die in früheren Daseinsformen
erworben wurden, einge¬woben werden, und in dem das Karma der Vergangenheit
— und zwar das gemeinsame Karma, das den Geist gerade
mit diesen Eltern verbindet — mit der Zeugung und Geburt wieder in seine
Rechte tritt.
So beginnt das Spiel des Lebens von neuem. Jedes neue Erdenleben gleicht einem
Tage im kosmischen Lebensjahr des Geistes.
Unter Reinkarnation (Wiederverkörperung)
wird eben dieses Wiedereintreten der geistigen Individualität in
eine neue persönliche Verkörperung auf Erden oder gar auf einer anderen
planetarischen Welt verstanden. Der Mensch gleicht einem Schauspieler, der unter
immer neuen Masken (»persona« heißt
»Maske«) und in immer neuen Rollen
auf der Bühne des Daseins auftritt, dabei aber doch immer der Gleiche bleibt.
Ein einziges Dasein auf dieser Welt genügt nicht,
um alle Erfahrungen zu gewinnen, die das Leben in überreicher Fülle
bietet, oder um gar jene Vollkommenheit zu erlangen, die Jesus Christus von
uns fordert. Meister Eckehart vergleicht den Geist
des Menschen darum mit Recht einem Zimmermann, der sich immer wieder eine neue
Wohnstatt zimmert.
Noch deutlicher sagt es die Bhagavad Gita: »Wie
ein Mensch, der ein altes Kleid ablegt und ein neues anzieht, so offenbart sich
die ewige Wesenheit, das Selbst, nach dem Ablegen seines Körperkleides
in einem anderen, neu sich bildenden Leibe... Wie im gegenwärtigen Dasein
Kindheit und Jugend, Reife und Alter nur vergängliche Erscheinungsformen
des ewigen inneren Menschen während seiner irdischen Verkörperung
sind, so ist es auch im nächsten und in jedem folgenden Dasein. Die Weisen
bleiben deshalb gelassen.«
Die Zeit zwischen zwei Verkörperungen ist verschieden lang, je nach den
Erfahrungen und den geistigen Kräften, die die Seele im irdischen Dasein
erworben hat, die sich dann in der geistigen Welt zu Eigenschaften entwickeln.
Je mehr Erfahrungen gewonnen wurden, desto länger dauert der Aufenthalt
in den geistigen Welten. Wo wenig oder nichts vorhanden ist, erfolgt
die Wiederverkörperung um so bälder.
Mit der geistigen Reife nimmt die Fähigkeit der Rückerinnerung
an frühere Leben zu, die bei Kindern nicht selten ist, aber durch
die Sinneseindrücke im neuen Dasein, durch die Erziehung daheim und in
der Schule zumeist rasch erstickt wird. Aber wenn der Mensch zum Selbstsein
erwacht, wird auch die Erinnerung lebendig.
Mit ihr vertieft sich die Erkenntnis, daß der Sinn
der Wiederverkörperungen in der irdischen Schule der Erfahrung der ist,
daß wir lernen, durch Überwindung der Nichterkenntnis und der Unzulänglichkeiten
zur Selbstbesinnung und Selbstverwirklichung zu gelangen und den
Erlöser aus dem Kreislauf der Notwendigkeit in uns selber zu finden.
Die Schule der göttlichen Weisheit hat viele Klassen,
und es mag oft mehr als ein Leben dauern, bis wir uns den Lehrstoff einer
Klasse zu eigen gemacht haben. Aber was sind Jahrtausende und Jahrmillionen
für unser ewiges Selbst, das über Raum und Zeit erhaben ist?
Dunkel und unbegreifbar bleibt seine Pilgerfahrt durch die Unendlichkeit nur
dem, dessen geistige Sinne noch nicht erwacht sind. Hat er aber einmal begriffen,
daß der Weg zu Gott innen ist und daß
er sich selber zum Wege werden muß, dann wird das für ihn
zum Pfad ins Licht, auf dem er immer vollkommener die ewige Einheit seines Selbst
mit dem All-Selbst der Gottheit erkennt und verwirklicht und so — vielleicht
gar in diesem Dasein — zur Wiedergeburt
gelangt. Mit dieser Wiedergeburt endet der Kreislauf der
Wiederkehr — es sei denn, er übernimmt freiwillig eine Mission für
die Welt. S.127ff.
Aus: K.O. Schmidt, Was ist Theosophie. Wesen und Mystik der Theosophie. Ein
Franz-Hartmann-Brevier, Drei Eichen Verlag
Bhagavadgita
– das hohe Lied von der Unsterblichkeit Bhagavadgita
siehe auch >>Krishna
Shankhya
– Das Buch der Lehren
Die Weisen trauern nicht um das was lebt,
Noch um den Tod. Nie gab es eine Zeit,
In der ich nicht war, oder du; auch Jene,
Dor Erde Herrscher, waren stets, noch wird
Die Zeit in Zukunft kommen, wenn nur einer
Aufhören wird zu sein, der wahrhaft ist.
Was wirklich ist, lebt ewig. Wie im Körper
Auf Kindheit Jugend und dann Alter folgt,
So folgt Entstehung und Vergehung stets
Für die Gefäße, die der Geist bewohnt.
Das was unsterblich ist im Menschenherzen,
Wird wieder neu in Leibern offenbar.
Die Weisen wissen es und trauern nicht.
Dein Sinnenleben ist‘s allein, das dich
Mit Stofflichem verbindet, Kälte, Hitze
Und Lust und Schmerzen dich empfinden läßt.
Kurz ist‘s und wechselnd; trag‘ es mit Geduld.
Die in sich selbst erstarkte Menschenseele,
Die über diese Dinge sich erhebt,
In Freud und Leid sich gleich und ruhig bleibt,
Besteht in Ewigkeit. Was wahrhaft ist,
Bleibt wirklich stets, und was nicht wirklich ist,
Kann nie in Wahrheit sein; doch zwischen Sein
Und Schein zu unterscheiden, das vermag
Die Weisheit dessen, der die Wahrheit kennt.
So wisse denn: Unsterblich ist der Geist,
Der alles Lebens Kraft und Ursach’ ist.
Er kann nicht untergehen, niemand kann
Des Daseins Grund, das Ewige vernichten.
Die flücht‘gen Schattenleiber nur, die wir
Des Geistes Tempel nennen, die vom Geist
Bewohnt und überschattet werden, sterben.
Lass‘ sie denn sterben, Prinz, und kämpfe mutig.
Wer sagt: »Ich hab‘ getötet«, oder glaubt,
Daß man ihn töten könne, urteilt falsch.
Sein wahres Selbst erkennt er nicht, das nie
Getötet werden kann und auch nicht tötet.
Nie wird‘s geboren; niemals endet es.
Anfang und Ende und Veränd‘rung sind
Nur Träume, die das Zeitliche betreffen.
Formen vergehen, doch der Geist besteht.
Und wer das Wesen aller Dinge kennt,
Das unerschaffen, unvergänglich ist,
Der weiß auch, daß das Wesentliche nicht
Vernichtet wird, wenn auch die Form vergeht.
So wie ein Mensch die abgetrag‘nen Kleider
Von gestern ablegt und ein neu Gewand
Am Morgen wählt, so legt des Menschen Geist
Des Fleisches morsch geword‘ne Hülle ab,
Und erbt aufs neu‘ ein andres Haus von Fleisch.
Durch Waffen wird es nicht verletzt
Verbrennt es nicht, durch Wasser wird es nicht
Ersäuft, noch bringt der Wind es zum Vertrocknen.
Es wird von nichts durchdrungen, unverbrennlich
Und unzerstörbar ist es, doch durchdringt
Es alle Dinge; unbewegIich selbst,
Bewegt es alles. Niemand kann es sehen,
Und kein Gedanke kann es in sich fassen.
Auch kann man es nicht beschreiben. Wer es geistig
Erkennt, der wird auch deshalb nicht mehr trauern,
Wenn man ihm sagt, daß dieser oder jener
Gestorben sei. Du weißt, der Abgeschied‘ne
Ist gleich dem Neugebor‘nen. Beide leben.
Das Wesen beider ist der Eine Geist.
Das, was geboren wird, muß schließlich sterben:
Des Sterbens Ende ist die Neugeburt;
So heischt es das Gesetz; betrüb‘ dich nicht,
Da du des ewigen Gesetzes Lauf
Nicht ändern kannst. Veränd‘rung ist das
Los
Von allen Dingen. Sieh! Im ew‘gen Sein
Ist jedes Ding unoffenbar enthalten.
Dann kommt‘s zum Vorschein und beim Tode kehrt’s
Dorthin zurück, woher‘s gekommen war.
Siehe, das Leben, das alles erfüllt,
Tief im Geheimnis ist es verhüllt.
Wer kann es fassen, teer es ergründen,
Welche Sprache sein Wesen verkünden?
Noch ist es niemand vor Augen gekommen,
Nie hat ein Ohr seine Stimme vernommen;
Die Seele allein nur kann es versteh‘n,
Wenn Sehen und Hören stille steh‘n.
Dies Leben, das in allen Dingen ist,
Wohnt im Verborg‘nen, unzerstörbar ist‘s,
Wo es auch wohnet; deshalb traure nicht,
Und kämpfe, tapf‘rer Krieger, für dein Recht. […]
Dies ist die Lehre
Des »Sankhya«*, die leicht zu fassen ist. *Das
objektive Wissen des Kopfes
Doch höre nun die tiefre Yogalehre*, *Die
Erkenntnis des Herzens durch Vereinigung
Die, wenn du sie begreifst und festhältst,
Die Ketten Deines Schicksals lösen wird:
Da wird kein Ziel verfehlt, und keine Hoffnung
Bleibt unerfüllt. Nichts geht verloren. Selbst
Ein kleiner Glaube schützt vor großer Furcht.
Da ist nur ein Gesetz, doch vielerlei
Sind die Gesetze derer, die nicht selbst
Beständig sind, und schwierig zu befolgen.
Der Toren Rede klingt gar salbungsvoll,
Wenn sie der Veden weise Sprüche preisen.
Buchstaben kennen sie, doch nicht den Geist,
Und denken, daß der leere Schall genüge.
Mit eitler Selbstsucht ist ihr Herz erfüllt;
Für ihre Werke suchen sie Belohnung
Im Himmel und in künftigen Geburten.
Auf Macht und Reichtum hoffend, die als »Früchte
Der guten Tat« entspringen, wenn man fleißig
Frommen Gebräuchen folgt und Opfer gibt.
Doch sieh! Die Hoffnung derer, die nach Macht
Und Reichtum streben, ist die Frucht des Wahnes
Der Eigenheit, und nicht des wahren Glaubens.
Sie sind nur Schwärmer und sie kennen nicht
Die volle Wahrheit; lehren mancherlei,
Was in den Veden steht, bezüglich der
Drei Eigenschaften der Natur, doch du
Sei frei von den drei Eigenschaften, frei
Von Gegensätzen, frei von jenem »Ich«,
Das nur sich selbst und seinen Vorteil sucht.
Zufrieden sei und ruhig, selbstbeherrscht.
Wie man das Wasser, das dem Teich entfließt,
Zu vielerlei Gebrauch verwenden kann,
So deuten die Brahmanen auch die Veden,
Gerade so, wie‘s ihren Zwecken dienlich:
Du aber such‘ für deine Zwecke nichts.
Tu‘, was du willst, und wolle, was du sollst.
Das Werk allein soll deine Sorge sein,
Und nicht der Vorteil, der daraus entspringt;
Nicht nach der Werke Früchte sollst du trachten,
Doch sei nicht müßig, sondern handle.
Tu‘, Was du zu tun hast, weil‘s geschehen muß,
Und sorg‘ dich nicht dabei um den Gewinn,
Der für dich abfällt. Laß den Selbstwahn
zieh‘n;
Glück oder Unglück sei dir gleichviel wert.
Gleichmut ist Y o g a.
Alles, was du tust,
Wenn’s deinem Selbst entspringt, hat wenig Wert.
Mehr das Werk gilt die Erkenntnis. Nimm
Im Himmel deines Innern deine Zuflucht,
Und die Tugend nicht, wie viel sie bringt.
Bedauernswert sind die, die in Erwartung
Von Lohn die Tugend üben. Siehe, wer
In der Ergebung handelt, wirkt nicht selbst;
Denn das Gesetz der Weisheit wirkt durch ihn;
Erhaben ist es über gut und böse,
Und er in ihm; drum übe dich darin.
Dies ist das rechte Tun.
Der Weise sucht
Nicht nach Verdienst und Lohn für seine Werke.
Erhaben ist er über alles »Selbst«.
So dringt er langsam nach und nach empor
Zur Freiheit aus des Körperlebens Banden
Zum Sitz der Seligkeit. Wenn deine Seele
In der Erkenntnis fest steht und die Pfade
Des Trug‘s und Irrtums überwunden hat,
So wird sie sich um das nicht länger kümmern,
Was recht und unrecht scheint, noch was die Schrift
Verbietet und gebietet; sie erkennt
Die Wahrheit in der Kraft der Wahrheit selbst.
In ihr erlangt sie Yoga und den Frieden. [...]
Wenn, o Pritha‘s Sohn!
Ein Mensch den Wünschen, die das Herz bewegen
Entsagt hat und in sich zur Ruh‘ gekommen,
Den Frieden in sich selbst gefunden hat,
So hat er Yog‘ erlangt. Ein solcher Mensch
Wird nicht von Gram betrübt, und kein Genuß
Belustigt ihn. Er wird nicht mehr bewegt
Von Habsucht, Furcht, Neid oder Zorn; er ruht
In der Erkenntnis, die sein Glaube bringt.
Er ist ein Muni oder Heiliger;
»Einsiedler« nennt man ihn, weil er,
befreit
Von äußern Dingen, in sich selber lebt.
Er ist an niemanden und nichts gebunden,
Von Wünschen frei, im Unglück nicht verzagend,
Vom Glücke nicht erregt. Dies sind die Zeichen
Des Menschen, der ein wahrhaft Weiser ist.
Wie die Schildkröte unter ihrem Schild
Die Glieder einzieht, wenn Gefahr sich naht,
So wendet er vom Äußern die fünf Sinne
Dem Innern zu. Dies ist der Weisheit Zeichen.
Die Sinne haben keine Macht mehr über ihn,
Der selbstbeherrscht den Sinnen sich entschlägt;
Selbst der Geschmack am Sinnlichen vergeht
Dem, der der Lust daran entwachsen ist.
Woh1 kann‘s geschehen, daß zuweilen selbst
Der Weise durch den Sturm des Sinnlichen
Erschüttert wird und fällt; dann soll er trachten,
Des Reiches Herrschaft wieder zu erlangen,
Indem er nur an mich, den Höchsten denkt;
In mich vertieft; denn weise ist nur, wer
Sein eignes Selbst durch meine Kraft beherrscht.
Wenn der Gedanke über Dingen brütet,
Die Gegenstand der Sinne sind, entspringt
Die Neigung zu denselben; zur Begierde
Wächst sie heran und wird zur Leidenschaft;
Die Leidenschaft zur Flamme; dann erfolgt
Vergessenheit des Wahren, Unvernunft
Und unvernünft‘ges Handeln, bis zuletzt
Der Mensch verdirbt.
Doch wem das Sinnliche
So viel wie nichts ist, wer es weder liebt
Noch haßt, wenn er es auch benützt und sich‘s
Zu Diensten macht, Herr seiner selbst, der findet
Die Ruhe. Aus der Ruhe kommt der Frieden,
Und aus dem Frieden wahre Seligkeit;
Das Ende alles Weh‘s und die Erlösung
Von allen Leiden.
Sieh! der Geist von dem,
Der seiner Sinne Sklave ist, erkennt
Sein himmlisches, sein wahres Wesen nicht.
Für ihn ist keine Sammlung. keine Ruh‘
Und keine wahre Seligkeit. Er gleicht
Dem Schiff, das steuerlos vom Sturm getrieben,
Dem Untergang entgegeneilt. Doch wer
Vom Sinnlichen sich nicht bewegen läßt,
Herr seiner selbst in seinem Herzen ist,
Hat wahre Weisheit. Wo für andere
Nur Dunkel herrscht, sieht er den hellen Tag
In seiner Seele; was den Nichterleuchteten
Wie helles Taglicht scheint, das ist für ihn,
Der es mit klarem Geistesaug‘ durchschaut,
Der Nichterkenntnis tiefe Finsternis.
So ist der Heilige; und wie das Meer
In seinem Schoß die Flüsse aller Länder
Empfängt und doch in seinen Grenzen bleibt,
So ist der Weise. Aus dem Weltall strömt
Der Sinne Blendwerk seiner Seele zu,
Doch es bewegt nicht ihn, den Herrn der Sinne.
Von allem Sehnen frei, ist er der Meister
Und nicht der Diener seiner niederen Lüste;
Von Hochmut frei und frei vom Wahn des »Selbsts«,
Hat er den Frieden. — Dies, o Pritha‘s Sohn,
Ist Brahmas ew‘ges Sein. Wer es erlangt,
Ist ohne Furcht, von allen Leiden frei,
Und furchtlos geht er in der Todesstunde
In Brahmas Dasein, ins Nirwana ein. S.19ff.
Von
der göttlichen Vollkommenheit
Vernimm noch weiter, edler Held, die Lehre,
Die ich dir biete, weil sie dich erfreut,
Und ich den rechten Weg dich führen will.
In ihm sei deine Zuflucht und dein Heil.
Die‘ Götter kennen meinen Ursprung nicht,
Und auch die Weisen nicht des Daseins Quelle.
Aus meiner Allmacht kam der Götter Schar,
Ich selber bin der Ursprung aller Weisen.
Wer mich, den mächt‘gen Herrn der Welt erkennt,
Den Ungebor‘nen, der ohn‘ Anfang ist,
Der wandelt sündlos unter Sterblichen,
Von Irrtum frei im hohen Glaubenslicht.
Verstand, Erkenntnis, Irrtumlosigkeit,
Geduld und Wahrheit, Selbstbeherrschung, Lust
Und Schmerz und Ruhe, Furcht und Mut,
Geburt und Tod, Entstehen und Vergeh‘n,
Unschuld, Entsagung und Zufriedenheit,
Bescheidenheit und Gleichmut, Güte, Ruhm;
Was immer dem Geschöpf zu eigen ist
Und es erfüllt, das alles stammt aus mir.
Die sieben Weisen, die vier Patriarchen,
Und auch die M a n u s, die mein Wesen trugen,
Der Menschheit Stammeseltern; alle gingen
Aus meines Geistes hoher Kraft hervor.
Wer meine Geistesgröße in sich trägt
Und meine schöpferische Kraft erkennt,
Der ist auch eins mit mir, in meinem Wesen
Mit mir vereinigt; daran zweifle nicht.
Mein Urgedanke schuf das Sternenheer,
Der Götter Himmel und das Reich der Erde;
Der Weise, welcher meine Allmacht kennt,
Ist Eins mit mir und mir in allem gleich.
Sein Dasein geht in meinem Dasein auf,
Und ich in seinem; er verherrlicht mich,
Und wird durch mich verklärt. So lebt er frei
Von Täuschung in der hohen Weisheit Licht.
Wer mir in Liebe treu ergeben ist,
Und mich in Wahrheit ehrfurchtsvoll verehrt,
Dem geb‘ ich gerne meiner Weisheit Kraft,
Und meine Gnade leitet ihn zu mir.
In seinem Herzen wohnend, bin ich selbst
Der Wahrheit Licht, das dann sein eigen ist,
Und dessen Kraft die Dunkelheit zerstört,
Die aus der Nichterkenntnis Nacht entsprang. […]
Kein Wesen kann mich ganz erkennen.
Ich bin der Geist. der in der Seelen Tiefe,
In jedem Wesen unergründlich wohnt;
Der Dinge Anfang, Mitte und ihr Ende,
Ihr Ursprung, Dasein und ihr Untergang.
Ich bin das Wirkende im Reich der Kräfte,
Der Sonnenglanz im Himmelssonnenchor,
Der Sturmgott, wenn im Raum die Stürme brausen,
Der helle Mond im nächt‘gen Sternenheer.
Ich bin das Buch der Lieder in den Veden,
In Indra‘s Himmel bin ich Vasava.
Von allen Sinnen bin ich die Empfindung,
Und unter Geisteskräften der Verstand.
Ich bin Schankara* unter den Zerstörern, *
Schiva (das Umbildende).
Der Riesen Größe und der Geister Geist,
Das Feuer unter allem, was da läutert,
Und unter Bergesgipfeln der Merû.
Bei Priestern bin ich stets der Hohepriester;
Von den im Weltall ringenden Gewalten
Der Oberfeldherr; unter den Gewässern
Der Ozean, der alle Fluten trinkt.
Wo Weise sind, bin ich der Sitz der Weisheit,
In jedem andachtsvollen Laut das OM*, *
das Wort für die Herrlichkeit Gottes seine Allgegenwart
Der Himalaya unter den Gebirgen,
Und die Erhebung im Gebet der Frommen.
Der Baum des Lebens unter allen Bäumen,
Und unter den Erleuchteten das Licht,
Die Harmonie im Rundgesang der Sphären
Und unter Heiligen die Heiligung.
Bin Uttschaischrava unter edlen Rossen,
Das Flügelpferd der hohen Poesie;
Airâvata als Elefantenkönig*, *
der Elefant ist das Symbol der Weisheit und Größe.
Und unter Männern höchster Potentat.
Ich bin der Blitz in feurigen Geschossen,
Und unter fetten Kühen* die Natur, *
die Kuh ist das Symbol der Fruchtbarkeit
Als Zeugungskraft der holde Liebesgott
Und unter klugen »Schlangen« Wißbegier*.
* die Schlange ist das Symbol
des Wissens
Der Drachenkönig bin ich unter Drachen.
Als Wassergott der Schöpfer aller Welten,
Von Stammesältesten der Menschheit Stamm.
Und Yama* unter denen, die da richten,
*Wasser als das Symbol des Weltgedankens
In aller Zeitenmessung Ewigkeit,
Und unter Zauberkünstlern die Magie,
Der Löwe unter beutelust‘gen Tieren,
Der Adler unter allem, was da fliegt.
Die Freiheit bin ich in dem Reich der Lüfte,
Als Gott des Kriegs bin ich das Kriegesglück,
Als Wassertiersymbol das Krokodil*, *Symbol
der Zerstörung und Wiedererneuerung
Und unter Flüssen stellt mich Ganges dar.*
*Symbol des ewigen Lebensstromes und er Unsterblichkeit
Ich bin der Anfang, Mitte und das Ende
Der ganzen Welt, ihr Schein sowohl als Sein,
Der Weisen Weisheit und der Augen Licht,
Das Seh‘n der Sehenden, der Sprache Wort.
Das A im Alphabet, der Rede Sinn,
Das Leben aller Lebenden, die Liebe
Der Liebenden, die keine Grenzen hat;
Der Allerschaffer und der Allernährer;
Kein Ding und doch der Ursprung aller Dinge,
Und auch der Tod, das Ende jedes Dings.
Als Tugend bin ich die Zufriedenheit,
Bescheidenheit, Beredsamkeit, Geduld.
Als Hymne bin ich selbst das Hohelied,
Als Weihgebet das heil‘ge Gayatri* *Anrufung
Gottes
Von Monaten der Mond des neuen Lebens,
Und holder Frühling in den Jahreszeiten.
In des Betrügers Hand das Würfelspiel.
Der Glanz in allen Dingen, welche glänzen.
Die Güte in den guten Menschenherzen,
Der Großen Größe und der Sieg der Sieger.
Als Vasudeva bin ich Herr des Alls,
Und unter Menschen du, Ardschuna, selbst;
Als Büßer stellt verkörpert mich Vyasa,
Als Dichterfürst der Held Usana dar.
Ich bin in allem Gott, der Starken Stärke.
Der Schönen Schönheit und der Schlauen List,
Das Wissen im Verstand der Wissenden,
Die Stille, wo das Gottgeheimnis wohnt.
In jedem Ding bin ich des Dinges Same,
In jeder Kraft die Urkraft aller Kräfte,
In jedem Sein der Ursprung alles Seins;
Denn ich bin alles, ohne mich ist nichts.
Nichts, was da lebt, lebt anders als durch mich,
Und meines Daseins Fülle hat kein Ende.
Unendlich groß ist meine Herrlichkeit;
Doch nur ein Teil davon ist hier erwähnt.
Und wo ein Ding in seinen Eigenschaften
Dir herrlich scheint, da bin ich selbst in ihm.
Das, was es herrlich scheinen läßt, ist nur
Der Widerschein von meiner Herrlichkeit.
Allein, wozu, Ardschuna, weit‘res Forschen?
Ich bin in allen Dingen nur ich selbst,
Doch ging aus meinem Selbst das ganze All
Als Offenbarung meiner Selbst hervor. S.80ff.
Von
der Erlangung der wahren Erkenntnis
O Erdensohn, der Stoff, den du erblickst,
Ist Kschetra (das
»Gefäß«), ein Spielplatz ist‘s,
In dem des Lebens Kräfte sich bewegen.
Was wahrnimmt, ist Kschetradschna (oder
»Geist«)
Ich bin die Seele, die in allen Dingen
Enthalten ist; die wahrnimmt und erkennt.
Die wirkliche Erkenntnis ist nur jene,
Die in sich selbst das, was sie ist, erkennt.
So höre denn, was jener Spielraum ist,
Was sich ihm eignet und woher er stammt;
Was ihn verändert und was ihn belebt
Und ihm den Schein der eig‘nen Größe leiht.
Die Elemente, das bewußte Leben,
Gemüt und unsichtbare Geisteskraft,
Die äuß‘re Form mit ihren Toren
Und die fünf Sinne bilden das Gefäß,
Das sich die Seele baut. Abneigung, Neigung,
Empfindung, Eigenwille, Lust und Schmerz,
Denkfähigkeit und Selbstbewußtsein sind
Die Eigenschaften, die ihm angehören.
Bescheidenheit, Aufrichtigkeit, Geduld,
Rechtschaffenheit und Unschuld, Reinheit, Treue,
Beständigkeit und Starkmut, Selbstbeherrschung,
Ehrfurcht für Heiliges und Wahrheitsliebe,
Verachtung sinnlicher Vergnügungen,
Erkenntnis all des Übels, das Geburt
Verursacht (nämlich: Alter, Krankheit Schmerz
Und Tod der Dinge, die vergänglich sind),
Dann Geistesgröße und Erhabenheit,
Nichtüberschätzung der Familienbande,
Die uns an Weib und Kind und Heimat fesseln;
Ein ruhevolles Herz in Freud und Leid,
Mit Glaubenshoheit und ein fromm‘ Gemüt,
Zur Andacht stets gestimmt und oft in mich
Vertieft, ein Herz, das mir ergeben, liebt
Mit mir allein zu sein und Vielheit meidet.
Ausdauer im Verharren in dem Geist
Der Wahrheit und der Liebe. — Dieses ist
Die wahre Gottesweisheit; alles andre
Entspringt der Nichterkenntnis Dunkelheit.
Dies ist das Licht und die Erkenntnis, welche
Unsterblichkeit verleiht, das Absolute
Ohn‘ Anfang oder Ende, welches weder
Das Sat (das Sein) noch Asat (Nichtsein)
ist.
Gott ist und ist auch nicht! In allen Formen
Der Herrscher, ist er dennoch unbeschränkt.
Des Himmels Kräfte sind des Herrschers Hände,
Allsehend ist sein Auge, seine Füße
Sind überall; er ist es, der die Welt
Erleuchtet und erhält und sie umfaßt.
Glorreich in aller Sinne Kraft und doch
An nichts gebunden; Meister jedes Werkes,
Und doch von allem frei: bewegungslos
Und der Beweger doch von allem; Er,
Den niemand fassen kann, und der von allem
Der Träger ist, der unteilbare Eine;
Unendlich nah‘ und unermeßlich ferne,
Ist selbst das Leben, das er allen gibt.
Er ist der Allerhalter, der am Ende
Die Welt zerstört und sie aufs neu‘ erschafft.
Er ist das Licht der Lichter, das die Nacht
Erleuchtet; der Erkenner, das Erkannte
Und die Erkenntnis selbst, die in den Herzen
Von allen wohnt.
Nun hab ich Dir
Verkündet, was des Lebens Quelle ist,
Und was der Stoff. Wer wahrhaft an mich glaubt,
Und sich in mir erkennt, der kommt zu mir.
Auch sollst du wissen, daß sowohl der Geist
Als auch das Stoffliche ohn‘ Anfang ist,
Und daß die Eigenschaften der Natur
In der Natur selbst ihren Ursprung haben.
Es wirkt der Stoff durch seine eignen Kräfte
Und baut sich wandelbare Formen auf;
Der Geist, der sie bewohnt und überschattet,
Verursacht, daß sie Lust und Leid empfinden.
Wenn sich der Geist mit Stofflichem verbindet,
So nimmt er an den Eigenschaften teil,
Die der Natur gehören, und mit ihnen
Erzeugt durch sie er Gutes und auch Böses.
Der höchste Weltgeist ist der höchste Herrscher,
»Zuschauer und Besitzer« nennt man
ihn.
Verkörpert selbst, in ird‘scher Hülle bleibt
Er unberührt von Werken der Natur.
Wer so sich selbst als diesen Geist erkennt,
Der hat durch ihn das wahre Licht erlangt;
Als Sohn des Lichts, von seiner Last befreit,
Wird er nicht mehr zu neuer Qual geboren.
Durch Selbstbeherrschung finden manche Menschen
Das Selbst der Seele; manche finden es
Durch tiefes Denken oder Heiligkeit,
Und wieder andere durch gute Werke.
Auch hören manche Menschen davon reden
Und suchen dann nach Licht und finden es.
Der Lehre folgend handeln sie gerecht
Und überwinden so den bittern Tod.
Ein jedes Ding, in dem das Leben waltet,
Ob es beweglich sei, ob unbewegt,
Ob Pflanze oder Tiergebild‘, entsteht
Durch die Vereinigung von Geist und Stoff.
Und wer in den veränderlichen Formen
Mich, den alleinigen und höchsten Herrn,
Den Unerschaffnen, der sich niemals ändert,
Erblickt, der ist der Seher, welcher sieht.
Wer den Allgegenwärtigen, den Herrn
Der Welt in sich und andern Wesen sieht,
Der schädigt sich nicht mehr und sündigt nicht;
Er schreitet sicher der Vollendung zu.
Auch wer erkennt, daß das, was die Natur
Hervorbringt, nur durch die Natur geschieht,
Daß nicht die Seele handelnd auftritt, sondern
Nur zusieht und besitzt, auch der sieht klar.
Und wer der Wesen ungezähltes Heer
Als Vielheit sieht, die aus der Einheit stammt,
In der zuletzt sich alles wieder eint,
Der hat die Einheit und er lebt in Gott.
Der höchste Gott ist frei von jedem Zwang,
Frei von den Eigenschaften der Natur,
Und wird, auch wenn er einverleibt erscheint,
Durch nichts, was die Natur bewirkt, befleckt.
Gleichwie der Äther durch die Körper dringt,
Und doch durch diese nicht verändert wird,
So wohnt der Weltgeist in den Wesen frei,
Und wird durch deren Werke nicht befleckt.
So wie der Sonnenschein die Luft durchdringt,
Und doch nicht durch den Ort, in dem er weilt,
Verdorben wird, so scheint das Licht der Seele
An allen Orten rein und unbefleckt.
Wer durch der Weisheit Auge klar erkennt,
Wie sich der Geist vom Stoffe unterscheidet,
Und wie sich Licht und Dunkelheit bekämpfen,
Der folgt dem Licht und geht zum Frieden ein. S.102ff.
Aus : Die Bhagavadgita oder Das Hohe Lied enthaltend die Lehre der Unsterblichkeit.
In poetischer Form nach Edwin Arnolds Sanskrit-Üebersetzung ins Deutsche
übertragen von Dr. Franz Hartmann, Bücher der Schatzkammer