Krishna (?)

  Indischer Held und religionsstiftender Gottmensch. Der Name Krishna ist altindisch und bedeutet »der Schwarze«. Ursprünglich war Krishna ein legendärer Stammes-Heros, dessen Mythologie mit der eines Hirtengottes verschmolzen wurde. Nach den Puranas wuchs Krishna unter Hirten auf, um den Nachstellungen seines Onkels Kamsa zu entgehen. Viele Legenden erzählen von seinen Heldentaten und Liebesabenteuern mit den Hirtinnen. Im Mittelalter wurde die Liebe Buddhas zu ihm zum Symbol mystischer Hingabe (Bhakti). Dargestellt wird er u. a. als kriechendes Kind mit Butterklumpen in der erhobenen Hand, als Knabe auf der Schlange Kalyja tanzend oder als flötenspielender Hirte (Venugspala). Einerseits wird Krishna als heldenhafte Gestalt eines legendären Mythos überliefert, andererseits als Offenbarer tiefer religiöser Weisheit. In der - in das indische Epos Mahâbhârata eingefügten - Bhagavadgitâ wird Krishna erstmals als Erscheinungsform des Allgottes Vishnu dargestellt, als dessen 8. Herabkunft (Avatara) er verehrt wird. In diesem großartigen Lehrgedicht erscheint Krishna als Wagenlenker des Fürsten Arjuna, dem er - zur Überwindung seiner Gewissenbisse vor der Schlacht - vishnuitische Heils- und Weisheitslehren verkündet. Gleich in den ersten Versen des zweiten Gesangs der Bhagavadgitâ offenbart der »Gottmensch« Krishna als »Erhabener« den Kern seiner tiefen Weisheit.

Siehe auch Wikipedia

Bhagavadgita – Des Erhabenen Sang Bhagavadgita siehe auch >>Franz Hartmann
Zweiter Gesang

Doch lächelnd sprach zu ihm darauf, als er ihn so voll Kleinmut sah,
Inmitten beider Heeresreihn der
heilige Krishna dieses Wort:

Du redest gut, allein du klagst um die, die nicht beklagenswert,
Nicht Tote noch auch Lebende beklagt jemals der Weisen Schar.
Nie war die Zeit, da ich nicht war, und du und diese Fürsten all,
Noch werden jemals wir nicht sein, wir alle, in zukünftger Zeit!

Denn wie der Mensch in diesem Leib Kindheit, Jugend und Alter hat,
So kommt er auch zu neuem Leib, - der Weise wird da nicht verwirrt.
Der Atome Berührung nur ist kalt und warm, bringt Lust und Leid,
Sie kommen, gehen. ohn‘ Bestand, — ertrage sie, o Bhârata!

Der weise Mann, den diese nicht erregen, o du starker Held,
Der Leid und Lust gleichmütig trägt, der reift für die Unsterblichkeit.
Es gibt kein Werden aus dem Nichts, noch wird zu Nichts das Seiende!
Die Grenze beider ist erschaut von denen, die die Wahrheit schaun.

Doch wisse, unvergänglich ist die Macht, durch die das All gewirkt!
Des Ewigen Vernichtung kann bewirken niemand, wer‘s auch sei.
Vergänglich sind die Leiber nur, — in ihnen weilt der ew‘ge Geist,
Der unvergänglich, unbegrenzt — drum kämpfe nur, du Bhârata!

Wer denkt, es töte je der Geist oder werde getötet je,
Der denkt nicht recht! Er tötet nicht, noch wird jemals getötet
Niemals wird er geboren, niemals stirbt er,
Nicht ist geworden er, noch wird er werden,
Der Ungeborne, Ewige, Alte — nimmer
Wird er getötet, wenn den Leib man tötet.

Wer ihn als unvernichtbar kennt, als ewig und unwandelbar,
Wie kann ein solcher töten je, wie töten lassen, Prithâ-Sohn
Gleichwie ein Mann die altgewordnen Kleider
Ablegt und andre, neue Kleider anlege,
So auch ablegend seine alten Leiber
Geht ein der Geist in immer andre, neue.

Es schneiden ihn die Wasser nicht, es brennet ihn das Feuer nicht,
Es nässet ihn das Wasser nicht, es dörret ihn auch nicht der Wind.
Zu schneiden nicht, zu brennen nicht, zu nässen nicht, zu dörren nicht,
Er ist beständig, überall, fest, ewig, unerschütterlich.
Unsichtbar und unvorstellbar und unveränderlich heißt er,
Darum, sobald du ihn erkannt, darfst du nicht mehr beklagen ihn.

Und wenn für stets geboren auch, für stets gestorben du ihn hältst.
Doch darfst du, Held mit starkem Arm, um diesen trauern nimmermehr.
Denn dem Gebornen ist der Tod, dem Toten die Geburt bestimmt, —
Da unvermeidlich dies Geschick, darfst nicht darüber trauern du.
Unsichtbar sind die Anfänge der Wesen und ihr Ende auch,
Die Mitte nur ist sichtbar uns — was gibt‘s für Grund zur Klage da?
S.34-35

Vierter Gesang
Der Erhabene sprach
Gar viel Geburten hab‘ ich schon durchlebt — du auch, o Arjuna! —
Ich weiß von ihnen allen noch‘, doch du weißt nichts davon, o Held
!
Zwar ungeboren, ewig auch und aller Wesen Herr bin ich,
Und doch entsteh‘ ich oftmals neu durch meines Wesens Wunderkraft.

Denn immer wenn die Frömmigkeit hinschwinden will o Bhârata,
Ruchlosigkeit ihr Haupt erhebt, dann schaff ich mich selber neu.
Zum Schutz der guten Menschen hier und zu der Bösen Untergang,
Die Frömmigkeit zu fest‘gen neu, entsteh‘ in jedem Alter‘ ich.

Und wer mein Werden und mein Tun, das göttliche, in Wahrheit kennt,
Erleidet keine Neugeburt, — er geht im Tode zu mir ein.
Von Neigung. Furcht und Zorn befreit, mir ähnlich und auf mich gestützt.
Durch der Erkenntnis Buße rein, gingen schon viele auf in mir,
Wie diese mir sich wenden zu, so liebe ich hinwiedrum sie;
Es wandeln meinen Bahnen nach durchaus die Menschen, Prithâ/Sohn.

Erfolg bei seinen Taten wünscht der Mensch, wenn er die Götter ehrt,
Rasch kommt ja in der Menschenwelt Erfolg, der aus der Tat entspringt.
Ich bin‘s, der die vier Kasten schuf, nach Art und Tun sie unterschied,
Wisse, ich bin es, der da wirkt und nicht wirkt, ich, der Ewige.

Mich kann die Tat beflecken nicht, — die Frucht der Tat begehr‘ ich nicht!
Wer so mich und mein Wesen kennt, wird nicht gefesselt durch die Tat.
In solcher Einsicht strebten schon die Alten der Erlösung zu,
Darum vollbringe du die Tat, wie schon die Alten sie vollbracht.

Was ist denn Tat? was ist Nichttun? — das ist‘s, was Weise selbst verwirrt;
Drum will die Tat ich künden dir, wodurch du kommst vom Übel frei.
Denn achten muß man auf die Tat, achten auf unerlaubtes Tun,
Muß achten auf das Nichttun auch, — der Tat Wesen ist abgrundtief
Wer in der Tat das Nichttun schaut und in dem Nichttun grad‘ die Tat,
Der ist ein einsichtsvoller Mensch, andächtig tut er jede Tat.

Wer Gier und Wunsch bei jeglichem Beginnen ganz und gar verbannt,
Wer in des Wissens Feu‘r die Tat verbrannt hat, heißt ein weiser Mann.
Wer an der Taten Frucht nicht hängt, stets zufrieden, nicht Hilfe braucht, —
Wenn er im Tun sich auch bewegt, so tut er doch in Wahrheit nichts.
Nichts wünschend, zügelnd seinen Geist, aufgebend jeglichen Besitz,
Nur mit dem Körper tu‘nd die Tat, — so bleibt er frei von Sündenschuld.

Vergnügt mit dem, was er bekommt, nicht neidisch, gegensatzentrückt,
Gleich bei Erfolg wie Mißerfolg, wird er durch keine Tat verstrickt.
Wer frei von Hang ist und erlöst, wem in Erkenntnis ruht der Geist,
Indes er sich um‘s Opfer müht, dem löst das Tun sich völlig auf.

Die Gottheit ist das Opfer selbst, die Gottheit lebt im Opferfeu‘r,
Drum geht zur Gottheit ein der Mensch, der an solch göttlich Tun gedenkt.
Die Einen führen Opfer aus, die dem und jenem Gott geweiht,
Die Andern bringen Opfer dar im Feuer der Theologie.

Gehör und andre Sinne bringt der Eine im Entsagungsfeu‘r,
Der Andre bringt die Sinnenwelt im Feuer seiner Sinne dar‘.
Der Sinne und des Atems Tun bringt mancher Andre ganz und gar
Im Feu‘r der Selbstbezähmung dar, das durch Erkenntnis ist entflammt.
Noch Andre bringen Hab und Gut, bringen Buße und Andacht dar,
Stilles Studium und Erkenntnis als Asketen der strengsten Art.

Im Aushauch bringen dar den Hauch, im Hauch den Aushauch Andere,
Hemmend des Hauchs und Aushauchs Weg, der Atmungshemmung ganz geweiht.
Andre, sich der Speis‘ enthaltend, bringen Leben im Leben dar.
Das Opfer kennen diese all, das Opfer macht sie sündenfrei.

Wer Opferrestes Nektar speist, der geht ins ew’ge Brahman ein;
Doch wer nicht opfert, der erlangt nicht diese, wie denn jene Welt?
So mannigfalt‘ge Opfer sind in Brahmans Munde dargebracht, —
Sie alle stammen aus der Tat, — dies wisse! dann wirst du erlöst.

Besser als Opfer allen Guts ist der Erkenntnis Opfer, Held!
Denn jede Tat, ganz lückenlos, in der Erkenntnis liegt sie drin.
Dies wisse, wenn du fromm dich beugst, die Lehrer fragst und sie verehrst,
Erkenntnis werden lehren dich die Weisen, die die Wahrheit schaun.

Hast du‘s erkannt, o Pându-Sohn, wirst du nicht wiederum betört,
Dadurch wirst alle Wesen du in dir erschaun und dann in mir.

Auch wenn ein größrer Sünder du als alle andern Sünder bist,
Doch wirst mit der Erkenntnis Schiff du fahren übers Meer der Schuld.
Gleichwie das Feuer, wenn es flammt, zu Asche all das Brennholz macht,
So brennt auch der Erkenntnis Feu‘r zu Asche alle Taten dir.
Kein Läutrungsmittel gibt‘s ja hier, das der Erkenntnis sich vergleicht;
Das findet selber in sich selbst, wer durch Andacht vollendet ist.

Dem Gläub‘gen fällt Erkenntnis zu, der nach ihr sucht, die Sinne zähmt;
Wer die Erkenntnis fand, gelangt zum höchsten Seelenfrieden bald.

Wer unwissend und glaubenslos dem Zweifel nachgibt, geht zugrund;
Nicht diese, noch auch jene Welt, noch Glück ist je des Zweiflers Teil.

Doch wer der Andacht weiht sein Tun, den Zweifel durch Einsicht zerstört,
Sein selber mächtig ist, fürwahr, den binden auch die Taten nicht.
Zerschneide mit des Wissens Schwert den Zweifel, der aus Torheit stammt.
Im Herzen! Weih der Andacht dich! Erhebe dich, o Bhârata!
S.44-47

Siebenter Gesang
Der Erhabene sprach
Wie du mich ganz erkennen wirst, von Zweifel frei, das höre nun!
Dies Wissen und Erkennen dir verkünden will ich ohne Rest;
Wenn du‘s erkannt hast, bleibt dir hier nichts zu erkennen übrig mehr.

Unter Tausenden von Menschen strebt nach Vollendung einer kaum,
Von den erfolgreich Strebenden kennt wahrhaft mich kaum einer noch.
Erde, Wasser, Feuer, Äther, Luft, Sinn, Geist, Selbstbewußtsein auch —
Dies alles ist meine Natur, die sich achtfältig hat verteilt.

Die niedre ist das! außer ihr hab‘ ich noch eine höhere Natur,
— sie ist das Leben selbst und sie ist‘s, die die Welt erhält.
Aus ihrem Schoße kommen all die Wesen her — dies fasse recht!
Ich bin für diese ganze Welt der Urquell und der Untergang.

Es gibt nichts Höheres als mich, — kein andres Ding, was es auch sei! —
Auf mich ist dieses All gereiht wie Perlenreihen an der Schnur.

Ich bin des Wassers Feuchtigkeit, ich bin das Licht in Sonn‘ und Mond,
Das heilge Om der Veden all, der Ton im Äther, Kraft im Mann!

Der reine Duft im Erdenkloß, der Glanz im Feuer, das bin ich!
Das Leben in den Wesen all, die Buße in den Büßern auch.

Der ew‘ge Same bin ich auch von allen Wesen — wisse dies!

Die Einsicht der Einsichtigen, der Würd‘gen Würde, das bin ich.

Ich bin der Kraftbegabten Kraft, die frei von Neigung und Begier;
Die Liebe, die erlaubt und recht, in allen Wesen — die bin ich!

Ja, alles Sein — der Güte Reich, der Leidenschaft und Finsternis —
Es stammt aus mir, es ist in mir, - doch ich bin trotzdem nicht in ihm!

Verwirret durch all dieses Sein in der drei Qualitäten Reich,
Erkennt die Welt es nicht, daß ich höher und unvergänglich bin.
Mein göttlich Scheinbild dieser Welt, darüber kommt man schwer hinweg.
Doch wer mir selbst sich wendet zu, der zwinget dieses Zauberbild.

Die Frevler, die Gemeinen und die Toren kommen nicht zu mir;
Beraubt des Wissens durch den Schein suchen sie bei Dämonen Heil.

Vier Arten guter Menschen gibt‘s, die mich verehren:
Wer Leid trägt, wer erkennen will, wer Gut erwirbt, wer wissend ist.
Der Beste ist der Wissende, der andächtig nur eins verehrt;
Ich bin der Freund des Wissenden vor allem, und er ist mein Freund.

Vortrefflich sind sie alle, doch der Wissende, das ist mein Selbst,
Denn mit andächt‘ger Seele kommt zu mir er als zum höchsten Heil
Wenn der Geburten Reih‘ zu End‘, gelangt zu mir der Wissende;
»Gott ist das All!« — schwer findet sich ein Edler, welcher das erkennt.
Die, denen Gier das Wissen raubt, die gehn zu andern Göttern hin.
Halten an manche Regel sich, — sie lenkt die eigene Natur.
Und welche Gottheit einer auch im Glauben zu verehren strebt, —
Ich sehe seinen Glauben an und weis‘ ihm zu den rechten Platz.

Wenn er in festem Glauben strebt nach seines Gottes Huld und Gnad,
Dann wird zuteil ihm, was er wünscht, denn gern wend‘ ich ihm Gutes zu.

Doch bleibt beschränkt nur der Erfolg bei denen, die beschränkten Sinns.

Die Götter findet, wer sie ehrt! wer mich verehrt, gelangt zu mir!
Unsichtbar bin ich! nur der Tor kann glauben, daß ich sichtbar ward.
Mein höhres Sein, das ewige, das höchste, blieb ihm unbekannt.
Nicht jedem bin ich offenbar, weil mich der Maya Schein verhüllt,
Betört erkennt die Welt mich nicht, den Ungebornen, Ewigen.

Ich kenne die vergangenen, die gegenwärt‘gen Wesen all,
Und die noch ruhn im Zukunftsschoß! doch niemand gibt es, der mich kennt.

Der doppelten Verwirrung Raub, die aus Neigung und Haß entspringt,
Werden die Wesen allesamt in dieser Schöpfung ganz verwirrt.
Die frommen Menschen aber, die das Böse von sich abgetan,
Vom Doppel/Irrwahn auch befreit verehren sie mich festen Sinns.

Die zu mir flüchten, strebend nach Erlösung von Alter und Tod,
Die kennen dieses Brahman ganz, das höchste Selbst, das ganze Werk!
Die mich kennen als Haupt und Herrn der Wesen, Götter, Opfer all, —
Auch sterbend daran halten fest — die Frommen kennen wahrhaft mich.
S.56-58

Achter Gesang
Der Erhabene sprach
Brahman ist ew‘ges, höchstes Sein, sein Wesen ist das höchste Selbst,
Die Schöpfung, die den Ursprung all der Wesen wirkt, ist »Werk« genannt.
Werden über den Wesen steht, über den Göttern der Urgeist,
»Über den Opfern« — das bin ich, schon hier im Leib, du bester Mensch!

Wer in der Todesstunde mein gedenkend scheidet aus dem Leib,
Der gehet in mein Wesen ein, darüber kann kein Zweifel sein.
An wessen Wesen immer er gedenkt, wenn er den Leib verläßt,
In dessen Wesen geht er ein und paßt sich dessen Wesen an.

Zu allen Zeiten denke drum an mich allein und kämpfe frisch!
In mich versenk‘ Sinn und Verstand, dann gehst du sicher ein in mich.
Wenn fleißig Andacht er geübt, nichts andres in Gedanken sucht,
Dann geht zum höchsten Urgeist ein, dem himmlischen, wer an ihn denkt.

Wer an den alten Weisen, den Regierer,
Der feiner ist als fein, sich stets erinnert,
Den Schöpfer dieses Alls, der unausdenkbar,
Der sonnenfarbig, jenseit alles Dunkels, —
Wer festen Sinns im Tode sein gedenket,
Hingebungsvoll und mit der Kraft der Andacht,
Den Lebensgeist zwischen den Brauen sammelnd,
Der geht zum höchsten Urgeist ein im Himmel.

Was Vedenkenner »unvergänglich« nennen,
Wohin die neigungsfreien Büßer kommen,
Wonach begehrend man in Keuschheit lebet,
Die Stätte will ich dir in Kürze schildern.

Des Körpers Tore schließend all, den Sinn im Herzen fest haltend,
Den Lebensgeist im Kopf sammelnd, der strengen Andacht zugewandt;
Brahmans einsilb‘gen Namen
»Om«! aussprechend und gedenkend mein —
Wer so den Leib verlassend stirbt, der wandelt auf der höchsten Bahn.

Wer an nichts andres jemals denkt und immerdar an mich gedenkt,
Wer in beständ‘ger Andacht lebt, der ist es, der mich leicht erlangt.

Die Edlen, die zu mir gelangt und die Vollendung so erreicht,
Erleiden keine Neugeburt, wo Schmerz wohnt und Vergänglichkeit.

Die Welten, bis zu Brahmans Welt, bewahren nicht vor Neugeburt,
Doch wer zu mir gekommen ist, für den gibt‘s keine Neugeburt.

Die, denen Brahmans Tag bekannt, der tausend Weltenalter währt, —
Und Brahmans Nacht, die grad so lang, — die kennen wahrhaft Tag und Nacht.

Aus dem Unsichtbaren entspringt das Sichtbare, wann kommt der Tag, -
Wann kommt die Nacht, dann löst sich‘s auf im Innern, das unsichtbar heißt.

Der Wesen Schar, die immer neu geworden ist, sie löst sich auf,
Wann kommt die Nacht, — doch unbedingt ersteht sie neu, wann kommt der Tag.

Doch jenseits dieses Lebens gibt‘s ein andres, ewig, unsichtbar,
Das, ob auch alle Wesen hier vergehen selber nicht vergeht.

Unsichtbar, unvergänglich heißt‘s, man nennt es auch die höchste Bahn;
Erreicht man‘s, kehrt man nicht zurück! sieh, das ist meine höchste Statt!

Der höchste Urgeist wird erlangt durch Liebe, die nichts andres sucht, -
Er, in dem alle Wesen sind, durch den die ganze WeIt gemacht.

Wann aber zur Nichtwiederkehr der Fromme kommt, sobald er stirbt,
Wann Wiederkehr sein Schicksal bleibt, das will ich nun verkünden dir:
Feuer, Licht, Tag, wachsender Mond, das Halbjahr, wo die Sonne hoch,
Wenn dann ein Brahmankenner stirbt, dann geht er auch zu Brahman ein.

Rauch und Nacht und schwindender Mond, das Halbjahr, wo die Sonne tief
Da geht der Fromme zu dem Licht des Mondes und kehrt einst zurück.
Der helle und der dunkle Pfad, sie sind als ewige bekannt,
Einer führt zur Nichtwiederkehr, auf dem andern kehrt man zurück‘.
Wer diese beiden Pfade kennt, der Fromme wird niemals betört,
Zu allen Zeiten weihe dich der Andacht drum, o Arjuna!

Was für das Vedalesen, Opfern, Büßen
Und Spenden auch als Tugendlohn verheißen,
Weit über das hinaus gelangt der Fromme,
Der dies erkennt, — er kommt zur höchsten Stätte
! S.59-61

Neunter Gesang
Der Erhabene sprach
Nun will ich das Geheimste dir verkünden — hör mich willig an! —
Wenn dieses Wissen du erlangt, dann wirst vom Übel du erlöst.
Königs/Wissen und -Geheimnis, das höchste Läutrungsmittel ist‘s,
Deutlich faßbar, heilig, ewig, und doch zu üben kinderleicht.

Die Menschen, welche glaubenslos sich dieser Lehre nicht vertraun,
Verfehlen mich. — sie kehren um auf des Todes, der Wandrung Bahn.
Durch mich ist ausgespannt dies All, die Welt — unsichtbar bin ich selbst —
Die Wesen alle sind in mir, ich aber bin in ihnen nicht.

Und wied‘rum sind sie nicht in mir — sieh mein, des Herrschers Wundermacht! —
Mein Ich weilt in den Wesen nicht, doch trägt es sie und bildet sie.
Wie der Wind in dem leeren Raum allüberall beständig geht,
So auch die Wesen allesamt weilen in mir — das fasse recht!

Die Wesen all beim Weltenend‘ gehn ein in meine Urnatur,
Bricht dann ein neu Weltalter an, dann schaffe ich sie wieder neu.
Fußend auf meiner Urnatur schaff’ ich sie neu und wieder neu,
Die ganze Schar der Wesen hier, streng nach dem Willen der Natur.

Und all dies Tun und wieder Tun legt mir doch keine Fesseln an;
Ganz gleichmütig bin ich dabei und hing‘ an diesen Taten nicht.
Ich wache drüber, — die Natur gebiert, was steht und was sich regt;
Aus diesem Grund, o Kuntî/Sohn, bewegt sich weiter fort die Welt.

Die Toren nur mißachten mich in meiner menschlichen Gestalt,
Sie kennen nicht mein höh‘res Sein, den großen Herrn der Wesen all.
Eitles hoffend, Eitles winkend, Eitles wissend, verstandberaubt,
Halten sie an die trügende Natur böser Dämonen sich.

Die Edlen aber halten sich an meine göttliche Natur,
Mich ehren sie und mich allein als ew‘gen Urquell alles Seins.
Sie rühmen mich ohn‘ Unterlaß, streben zu mir hin fest und treu,
Sie huld‘gen in Verehrung mir und weihen sich der Andacht ganz.

Der Erkenntnis Opfer bringen andre dar und verehren mich,
Der ich All-Eins und vielfach doch gesondert überall hin schau‘ —
Ich bin das Opfer, Gottesdienst, der Manen Trank, das heil‘ge Kraut,
Das Opferlied. das Opferschmalz, das Feuer und die Spende ich!

Ich bin der Vater dieser Welt, bin Mutter, Schöpfer, Ahnherr auch,
Bin Lehre, Läutrung, heilges Om, bin Rik, Siman und Yajus auch.

Weg, Erhalter, Herrscher, Zeuge, Wohnort, Zuflucht und guter Freund,
Ursprung, Vergehen, fester Stand, der Schatz, der ew‘ge Same auch.

Die Wärme schaff’ ich, Regen, Flut halt‘ ich zurück, laß‘ strömen ich,
Ich bin Unsterblichkeit und Tod, bin Sein und Nichtsein, Arjuna!

Die vedenkund‘gen frommen Somatrinker,
Sie streben opfernd nach der Bahn zum Himmel;
Wenn sie erlangt die reine Welt des Indra,
Genießen sie im Himmel Götterfreuden.
Wenn dort den großen Himmel sie genossen,
Wenn ihr Verdienst erschöpft, gehn sie zur Erde;
So, die sich halten an der Veden Satzung,
Erlangen Gehn und Kommen, wunschbesessen.

Doch die nur mir Verehrung weihn und an nichts andres denken mehr,
Diesen ganz mir Hingegebnen gewähr‘ die volle Wohlfahrt ich.

Auch die glaubensvoll ergeben andern Göttern Verehrung weihn,
Selbst diese ehren doch nur mich, wenn auch nicht grade regelrecht.
Denn der Genießer und der Herr von allen Opfern bin
nur ich;
In Wahrheit kennen sie mich nicht, drum sinken wieder sie hinab.

Die sich Göttern und Vätern weihn, gehn zu Göttern und Vätern hin,
Geisterdiener zu den Geistern; wer mich verzehrt, der kommt zu mir.
Wer in Verehrung Blüt‘ und Blatt. Frucht und Wasser mir bietet dar,
Solch Huld‘gungsopfer frommen Sinns nehm‘ ich an und genieß‘ es auch.

Was du tust und was du issest, was du opferst und was du gibst,
Wenn du büßest, Sohn des Kuntî, — dies alles bringe du mir dar!
So wirst frei du von den Fesseln, die gut und böses Tun dir bringt,
Ob du nun handelst oder nicht, erlöset gehst du ein zu mir.

Gleich bin zu allen Wesen ich, ich habe weder Feind noch Freund,
Doch die liebend mich verehren, die sind in mir, in ihnen ich.
Ein großer Sünder selbst, wenn er mich verehrt und nur mich allein,
Soll gelten als ein guter Mann, weil er sich recht entschieden hat.
Er wird gar bald ein frommer Mann und geht zu ew‘gem Frieden ein!
Erkenne dies, o Kuntî/Sohn — wer mich verehrt, geht nicht zugrund!

Wenn sie an mich nur halten sich — stammen sie auch aus schlechtem Schoß,
Weiber, Vâicyas und Cûdras selbst — sie wandeln doch die höchste Bahn.
Wieviel mehr reine Brahmanen und fromme Königsweisen auch!
In diese nicht‘ge, arge Welt hineingestellt, verehre mich!
An mich denkend, mich verehrend, mir opfernd, huld‘ge mir allein!
Gibst du in Andacht mir dich hin, dann gehst du einstmals ein zu mir.
S.62-64

Zehnter Gesang
Der Erhabene sprach
Nun höre noch ein Wort von mir, ein höchstes, du Großarmiger!
Ich sag‘ es dir, weil du mich liebst und weil ich auf dein Heil bedacht.

Es kennen meinen Ursprung nicht die Götter noch die Weisen auch,
Weil ich der Götter Urquell bin und auch der Weisen allesamt.

Wer mich kennt als den Herrn der Welt, der ungeboren, anfangslos, —
Ein solcher Mensch ist nicht betört, der wird von allen Sünden frei.

Einsicht, Wissen, Nichtbetörung, Geduld, Wahrheit und Zucht und Ruh,
Glück, Leid, Entstehen und Vergehn, Gefahr, sowie auch Sicherheit;
Nichtverletzung, Gleichmut, Frieden, Buße, Spenden, Ehre und Schmach, —
Die mannigfachen Zustände der Wesen stammen all von mir.

Die sieben Weisen alter Zeit und die vier Manus 1 ebenso,
Sie sind im Geist von mir gezeugt, deren Kinder die Menschen sind.
Wer diese Macht und Wunderkraft an mir in voller Wahrheit kennt,
Dem wird zuteil nie wankende Andacht, — da kann kein Zweifel sein.

Ich bin der Ursprung dieses Alls, aus mir geht dieses All hervor, —
In solcher Ansicht huld‘gen mir die Weisen, ganz von Lieb‘ erfüllt.
Mein denkend, in mir lebend ganz und sich erweckend wechselsweis,
Erzählend immerdar von mir, sind sie zufrieden und sind froh.
Diesen Immerandächtigen, die mich verehren liebevoll,
Verleih‘ des Geistes Andacht ich, durch welche sie zu mir eingehn.
Diesen auch aus Barmherzigkeit vernichte ich die Finsternis
Des Nichtwissens mit hellem Licht des Wissens, ruhend in mir selbst.

Arjuna sprach
Höchstes Brahman, höchste Stätte und höchste Läuterung bist du!
Den ew‘gen Geist, den himmlischen, den Urgott, mächtig, ungebor‘n —
So nennen dich die Weisen all, — auch der Gottweise Nârada,
Asita, Vyâsa, Devala2— und auch du selber sagst es mir.

Dies alles halte ich für wahr, was du mir sagst, o Keçava!
Denn deine Offenbarung ist Göttern und Geistern unbekannt,
Du selber aber kennst dich wohl durch dich selber, o höchster Geist,
Der Wesen Heiland du und Herr, Gott der Götter und der Herr der Welt!

Du kannst es künden ohne Rest, denn himmlisch ist ja deine Macht,
Mit welcher Macht du diese Welt durchdrungen hast und stehst so da.
Wie erkenn‘ ich dich, Heiliger, wenn ich auch immer denk‘ an dich
In welchem Zustand deines Seins soll ich dich fassen, Herrlicher
Ausführlicher erzähl‘ mir noch von deiner Wunderkraft und Macht!
Hör‘ ich den Nektar deines Worts, dann hör‘ ich mich wohl niemals satt.

Der Erhabene sprach
Wohlan, so will ich‘s künden dir, denn himmlisch ist ja meine Macht, —
Das Wichtigste nur nenn‘ ich dir, denn End‘ und Grenzen hab‘ ich nicht.

Ich bin die Seele dieser Welt, in aller Wesen Herz bin ich,
Ich bin der Anfang, Mitte ich und Ende auch der Wesen all,
Vishnu unter den Adityas3, die Sonn‘ in der Gestirne Schar,
Marîci4 in der Marut Schar, der Mond im Sternenheer bin ich!

Bin der Sâman von den Vedas, hin Indra in der Götter Heer,
Von den Sinnen der innre Sinn, — der Wesen Einsicht, das bin ich.
Bin von den Rudras Cankara5, Kuver6 in der Yakshas Heer,
Bin von den Vasus7 all das Feu‘r, von den Bergen der Meru8 ich.

Wisse, daß ich der erste bin von den Priestern, Brihaspati9!
Von den Feldherrn bin ich Skanda10, von den Seen bin ich das Meer.
Von den Rishis bin ich Bhrigu, von den Worten bin ich das Om11,
Im Gottesdienst ein leis Gebet, als Gebirg der Himâlaya;
Der Açvattha12 von den Bäumen, von den Gottweisen Nârada,
Als Gandharve Citraratha13, von den Seligen Kapila14;
Wisse, ich bin Uccâihçravas15 unter den Rossen, meerentstammt,
Als Elephant Airâvaratas16, — Unter Menschen bin ich der Fürst;
Von den Waffen der Donnerkeil, unter den Kühen Kâmaduh17,
Als Erzeuger der Liebesgott, unter den Schlangen Vâsuki18.
Bin Ananta19 bei den Nâgas, bin Varuna20 im Wasserreich,
Bin von den Vätern Aryaman, bin Yama21 in der Zwingherrn Schar.

Bin Prahlâda22 bei den Dâityas, unter den Zählenden die Zeit,
Bin der Löwe unter den Tieren, unter den Vögeln Garuda23
Bin von den Reinigern der Wind, bin Râma in der Helden Schar,
Bin von den Fischen der Delphin, von den Flüssen der Gangâ/Strom.
Anfang und End‘ der Schöpfungen und Mitte bin ich, Arjuna,
Kunde höchsten Geists im Wissen, der Redner Rede, das bin ich!

Unter den Lauten bin ich A24, bin Dvandva25 als Compositum,
Ich bin die Zeit, die nie vergeht, bin der Schöpfer, der allhin schaut.

Ich bin der Tod, der alles raubt, der Ursprung des, was werden soll;
Als Weib: die Ehre, Anmut, Red‘, Erinnrung, Einsicht, Kraft, Geduld.

Von den Sâmans bin ich Brihat26, von den Metren die Gâyatri27,
Bin als Monat Mârgaçîrsha28 und der Frühling als Jahreszeit;
Der Würfel unter dem, was trügt, der Glanz der Glänzenden bin ich,
Der Sieg bin ich, Entschluß hin ich, der Guten Güte, das bin ich.

Vâsudeva29 bei den Vrishnis, unter den Pândus Arjuna,
Vyâsa30 unter den Asketen, unter den Dichtern Uçanas31.
Der Stock bin ich der Strafenden, die Politik der Kämpfenden,
Als Geheimnis bin ich Schweigen32, bin das Wissen der Wissenden.

Was nur von allen Wesen hier der Same ist, ja das bin ich!
Es gibt kein Ding, das ohne mich besteht; sei‘s ruhend, sei‘s bewegt.
Kein Ende gibt‘s, o Held, meiner himmlischen Wunderkraft
Andeutungsweise hab‘ ich nur von ihrem Umfang dir erzählt.

Was es Herrliches irgend gibt, was schön ist und was kraftvoll ist,
Das, wisse, stammet alles her aus einem Teile meiner Kraft.
Indes, was soll dir, Arjuna, dies mannigfalt‘ge Wissen all? —
Mit einem Teile meiner selbst hab‘ ich dies Weltall festgestellt!


1 Vorsteher, resp. Schöpfer und Ordner der großen Weltperioden, der vier Weltalter. Auf den mythischen Manu des jetzigen Weltalters wird das berühmte Gesetzbuch zurückgeführt.
2 Bekannte Seher der Vorzeit.
3 Eine Ordnung höchster Götter.
4 Marîci, der oberste unter den Sturmgöttern, den Marut.
5 Cankara, der Heilvolle, ein Beiname des Civa-Rudra, welcher seit alters als der oberste unter den Rudras, einer Ordnung göttlicher Wesen, gilt, die halb unheimlich und gefahrbringend, halb heilvoll und helfend gedacht sind.
6 Kuvera ist Gott des Reichtums, Herr der Yaksha genannten Halbgötter oder Elfen.
7 Eine bestimmte Götterordnung.
8 Meru, der mythische Weltenberg. Er ist aus Gold, die sieben Weltinseln liegen um ihn herum, und die Gestirne kreisen um ihn.
9 Brihaspati, Herr des Gebets, der Priester unter den Göttern.
10 Skanda, der Kriegsgott.
11 Das heiligste Wort, von mystischer Bedeutung.
12Der heilige Feigenbaum.
13Citraratha ist König der Gandharven genannten Halbgötter.
14Kapila, ein mythischer Weiser, der angebliche Begründer der Sânkhya-Lehre.
15Ein mythisches Roß, das bei der Quirlung des Ozeans durch die Götter herausgekommen sein soll — Prototyp und Urbild aller Rosse.
16Der bei der Quirlung des Ozeans herausgekommene Elefant, das Reittier des Indra, Prototyp aller Elefanten.
17
Die berühmte Wunschkuh, die jeden Wunsch alsbald erfüllte.
18Der Fürst der Schlangen.
19Ananta »Unendlich«, Beiname des Cesha, des Königs der Nâga oder Schlangendämonen.
20Der Gott der Gewässer.
21Der Todesgott.
22Prahlâda oder Prahrâda, der fromme Sohn des bösen Riesen Hiranyakaçipu — ein standhafter Verehrer Vishnus unter dem götterfeindlichen Dämonengeschlechte der Dâityras; vgl. die rührende Geschichte des Prahrâda bei Schach, Stimmen vom Ganges.
23Der mythische König der Vögel, Reittier des Vishnu.
24Weil dies der erste Buchstabe ist, auch im Alphabet der Inder.
25Das Dvandva oder copulative Kompositum steht in der Grammatik der Inder als erstes da in der Reihe der Nominal-Composita, daher es auf diesem Gebiet eine führende Stellung einnimmt.
26Das Brihat ist einer der hervorragendsten unter den Sâmans oder heiligen Opfergesängen.
27Hervorragend wichtiges und heiliges Metrum im Rigveda.
28Der erste Monat im Jahre.
29Vâsudeva, ein Beiname des Krishna; als solcher gehört er zum Geschlechte der Vrishnis.
30Der berühmte mythische Verfasser des Mahâbhârata.
31Ein schon im Rigveda genannter Dichter und Seher der Vorzeit.
32Eigentlich: Unter den geheimen verborgenen Dingen bin ich das Schweigen. S.65-69

Dreizehnter Gesang
Der Erhabene sprach
Dieser Leib, o Sohn der Kuntî, er wird bezeichnet als das »Feld«,
Wer diesen kennt, den nennet man den »Feldkenner«1 — es ist der Geist!
Wisse, daß ich Feldkenner bin auf allen Feldern, Bhârata!
Vom »Feld« und von dem »Feldkenner« das Wissen ist des Namens wert2.

Doch was das Feld und wie es ist, wie sich verändernd und woher,
Auch des Feldkenners Art und Macht vernimm in Kürze nun von nur.
In manchen Rhythmen sang es einst vielfältig manches Sängers Mund,
In klaren, wohlbegründeten Brahman-Büchern verkündet ist‘s.

Die Elemente und das Ich, der Verstand, das Unsichtbare,
Zehn Sinne und der inn‘re Sinn3, auch die fünf Sinnesreiche noch;
Begehren, Hassen, Lust und Leid, Körper, Denken und Festigkeit, —
Zusammen wird‘s das »Feld« genannt, in dem ein ew‘ger Wechsel wohnt4.

Bescheidenheit und Redlichkeit, das Nichtverletzen, die Geduld,
Reinheit, Ehrfurcht vor dem Lehrer, Beständigkeit, Selbstzügelung;
Entsagung von der Sinnenwelt, vor allem auch Selbstlosigkeit,
Ein recht Erwägen, wie Geburt, Tod, Alter, Krankheit Schmerz bewirkt;
Kein Hang zur Welt, noch Sichklammern an Söhne, Gattin, Haus und Hof,
Beständige Gleichmütigkeit bei jedem Schicksal, gut und bös;
Verehrung, die sich nicht verirrt, durch Andacht, die nur mir geweiht,
Das Wohnen in der Einsamkeit, an Gesellschaft sich nicht erfreun;
Stetes Erkennen höchsten Geist‘s, die Einsicht in des Wissens Zweck,
ist es, was man Wissen nennt, — was anders ist, Nichswissen heißt‘s.

Ich sag‘ dir, was man wissen muß, was die Unsterblichkeit verschafft,
Das anfangslose, höchste Brahm, nicht Sein noch Nichtsein wird‘s genannt.

Hände und Füße, Augen, Köpf‘ und Münder hat es überall,
Auch Ohren hat‘s in aller Welt, das All umfassend steht es da;
Strahlend durch aller Sinne Kraft, von allen Sinnen doch ganz frei,
Alltragend, qualitätenlos, und doch der Qualitäten froh;
In- und außerhalb der Wesen, sich bewegend und unbewegt,
Unerfaßbar ob der Feinheit, ganz fern und wiederum ganz nah;
Nicht zerteilet in den Wesen und wie zerteilt doch steht es da,
Als der Wesen Träger kennt es, der sie verschlingt und wieder zeugt.

Das Licht der Lichter wird‘s genannt, das über aller Finsternis,
Wissen, wißbar, wissenswürdig, in Jedes Herzen steckt es drin.

So vom »Feld« und von dem Wissen und Wissenswürdgen sagt‘ ich dir5, —
Wer mich verehrt und dies erkennt, wird teilhaft meines Wesens sein.

Natur und Geist — das wisse du — ohne Anfang sie beide sind;
Doch Veränd‘rung und Qualität entspringen beid‘ aus der Natur.

Bei allem, was das Tun betrifft, dafür ist die Natur Prinzip.
Beim Genießen von Lust und Leid wird der Geist das Prinzip genannt.

Der Geist, in die Natur gebannt, schmeckt, was sie schafft, die Qualität,
Sein Hängen an der Qualität ist Ursach steter Neugeburt.

Der Zeuge, der Gewährer auch, Träger, Genießer, großer Herr
Und höchstes Selbst6 auch wird genannt in diesem Leib der höchste Geist7.

Wer so den Geist und die Natur zusamt den Qualitäten kennt,
Wo und wie er sich auch bewegt, erleidet keine Neugeburt.

Durch Versenkung schauen manche in sich und durch sich selbst das Selbst,
Andre schaun‘s durch Kraft des Denkens8, durch Werkübung noch andere;
Andre ehren es unwissend, da sie von andern es gehört;
Wer in den Lebewesen all denselben höchsten Herrn erblickt,
Der nicht vergeht, wenn sie vergehn, — wer das erkennt, hat recht erkannt.

Denn wer denselben Herrn erkennt als den, der allen innewohnt,
Verletzt das Selbst nicht durch das Selbst und wandelt so die höchste Bahn9.

Und wer die Taten allerwärts durch die Natur nur sieht geschehn,
Das Selbst dabei als nichthandelnd erkennet, der hat recht erkannt.

Wenn er die Sonderexistenz der Wesen all in Einem schaut,
Und von Diesem aus entwickelt, dann wandelt er zum Brahman hin.

Dies ewige und höchste Selbst, ohn‘ Anfang, ohne Qualität,
Wenn es auch in dem Körper wohnt, doch handelt‘s nicht, wird nicht befleckt.
Der Äther ist allüberall10, wird nicht befleckt, weil er zu fein, —
So wird das Selbst auch nicht befleckt, auch wenn‘s in allen Körpern weilt.

Wie die Sonne die ganze Welt allein mit ihrem Licht erhellt,
So erleuchtet das ganze Feld der Herr des Felds, o Bhârata!
Die zwischen Feld und Feldkenner den Unterschied mit Wissensaug‘
Erkennen, die Erlösung auch von der Natur, — die gehn zu Gott.

1Das materielle und das geistige, erkennende Prinzip — Natur einerseits, Geist andererseits — werden sich hier gegenübergestellt unter originellen Namen. Das erstere wird als Feld oder Ort (kshetra) gefaßt und bezeichnet das Gebiet, auf welchem oder in welchem das geistige, erkennende Prinzip sich bewegt. Dieses letztere, die Seele, erhält die merkwürdige Bezeichnung Kenner des Feldes oder des Ortes, der Feldkenner (kshetrajna). Man begreift den Gedanken, doch muß man sich an die originelle Auffassung erst gewöhnen.
2Das Wissen von jenen beiden großen Prinzipien verdient wirklich Wissen genannt zu werden.
3Man rechnet fünf Wahrnehmungssinne — Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Gefühl — und fünf Tatsinne — Reden, Greifen, Gehen, Entleeren, Zeugen; dazu kommt als elfter der sogen. innere Sinn (manas), der sie als Zentralorgan regiert.
4Nur der innerste Kern unseres geistigen Wesens gilt der indischen Philosophie als ewig, unwandelbar, göttlich oder der Vereinigung mit dem Göttlichen. Der Verstand u. a. m. wird als Produkt der Natur, der Prakriti, die hier »das Feld« heißt, angesehen. Jeder innerste, ewige, göttliche Kern unseres Wesens ist qualitätenlos; das ganze Reich der Qualitäten gehört der Natur, dem »Feld« an und ist eben darum ewigem Wechsel unterworfen. Das Ewige in uns ist von einem geistigen und einem körperlichen Leibe umgeben, welche beide nicht dauern, sondern sich wandeln, resp. auch zugrunde gehen. Die Erlösung des Ewigen in uns aus den Banden der Natur ist das Ziel, dem wir zustreben sollen.
5Wieder stehen sich hier die beiden großen Prinzipien gegenüber. Wie das »Feld«, d. i. die Natur, mir dem Nichtwissen (im Vedânta), der Mayâ, zusammenfällt, so das Wissen mit dem Wissenswürdigen, dem ewigen, geistigen Prinzip, dem alten Brahman-Atman, dem »Feldkenner«, wie es oben heißt, der Seele, die Eins ist und doch in eines Jeden Herzen steckt, scheinbar zerteilt und doch in Wahrheit ewig ungeteilt.
6Der höchste Atman, Paramâtmâ (Atman Selbst).
7Der höchste Purusha (purushah parah); Atman und Purusha sind als ein und dasselbe erkannt, nur verschiedene Bezeichnungen derselben Größe, die zu Anfang und Ende des Gesanges »der Feldkenner« genannt wird.
8Sânkhya-Yoga; ähnlich Deussen: »Durch Hingebung an die Reflexion«.
9 Diese beiden Verse, 27 und 28, sind ein klassischer Ausdruck der schon in den Upanishaden gewonnenen Weisheit des tat tvam asi, der einzig haltbaren philosophischen Grundlage der altruistischen Moral. Sie sind es, auf welche darum Schopenhauer am Schluß seiner berühmten Abhandlung über die »Grundlage der Moral« hindeutet, mit den denkwürdigen Worten: »In allen Jahrhunderten hat die arme Wahrheit darüber erröten müssen, daß sie paradox war: und es ist doch nicht ihre Schuld. Sie kann nicht die Gestalt des thronenden allgemeinen Irrtums annehmen. Da sieht sie seufzend auf zu ihrem Schutzgott, der Zeit, welcher ihr Sieg und Ruhm zuwinkt, aber dessen Flügelschläge so groß und langsam sind, daß das Individuum darüber hinstirbt. So bin denn auch ich mir des Paradoxen, welches diese metaphysische Auslegung des ethischen Urphänomens für die an ganz andersartige Begründungen der Ethik gewöhnten occidentalisch Gebildeten haben muß, sehr wohl bewußt, kann jedoch der Wahrheit nicht Gewalt antun. Vielmehr ist alles, was ich aus dieser Rücksicht über mich vermag, daß ich durch eine Anführung belege, wie jene Metaphysik der Ethik schon vor Jahrtausenden die Grundansicht der indischen Weisheit war, auf welche ich zurückdeute, wie Kopernikus auf das von Aristoteles und Ptolemäos verdrängte Weltsystem der Pythagoreer. Im Bhagavad-Gita, Lectio 53; 27, 28, heißt es nach A. W. v. Schlegels Übersetzung: Eundem in omnibus animantibus consistentem summum dominum, istis pereuntibus haud pereuntem qui cernit, is vere cernit. — Eundem vere cernens ubique praesentem dominum, non violat semetipsum sua ipsius culpa: exinde pergit ad summum iter. —
10Der freie Raum oder der Äther (âkâça) gilt bei den Indern als das fünfte Element. S.80-84

Sechzehnter Gesang
Der Erhabene sprach
Furchtlosigkeit, Wesensreinheit, in Wissensandacht Festigkeit,
Spenden, Selbstbezähmung, Opfer, Studium, Buße und Redlichkeit;
Nichtschäd‘gen, Wahrheit, Nichtzürnen, Nichtverleumden, Friede, Verzicht,
Milde, Mitleid mit dem Wesen, Scham, Nichtbegier, Nicht-Unstätsein;
Kraft, Reinheit, Festigkeit, Geduld, Nichtkränken, nicht hochmüt‘ger Sinn,
Die finden sich bei einem, der zum Götterlos geboren ist.

Heuchelei und Stolz und Hochmut, ein rauhes Wesen, Zornigkeit,
Nichtwissen auch — bei dem, der zu Dämonenlos geboren ist.

Götterlos führt zur Erlösung, Dämonenlos zur Fesselung!

Nicht traure, denn zum Götterlos bist du geboren, Pându/Sohn!
Zwiefach ist hier der Wesen Art: teils göttlich, teils dämonisch auch;
Die göttliche ist schon erklärt, nun hör‘ von der dämonischen.

Weder Handeln noch Nichthandeln verstehn dämonische Menschen recht;
Guter Wandel, Reinheit, Wahrheit — die finden sich bei ihnen nicht.

Die Welt ist unwahr, ohne Halt und ohne Herrn, — so sagen sie;
Nicht folgerecht entstand die Welt, Begierde nur rief sie hervor.

In diese Ansicht ganz verbohrt, törichten Sinnes und verderbt,
Richten durch Freveltaten sie die Welt zugrund, — unsel‘ges Volk!

Von unstillbarer Gier erfüllt, voll Trug und Stolz und Übermut,
Töricht, böse Dinge wählend, führen ein schmutz‘ges Leben sie.

Ihr Denken schweift ganz unbeschränkt, meint: mit dem Tod ist alles aus!
Genießen ist ihr höchstes Gut! »Es gibt nichts weiter«, denken sie.

In hundert Hoffnungen verstrickt, der Gier verfallen und dem Zorn,
Häufen sie, ihrer Lust zulieb, sich unrechtmäßig Schätze auf:
Nun hab‘ ich dieses schon erlangt und jenen Wunsch erreich‘ ich noch,
Dies hab‘ ich schon, und jener Schatz, der wird in Zukunft mir zuteil:
Dieser Feind ist schon getötet, die andern werd‘ ich töten noch,
Ich bin Herr, ich bin Genießer, bin erfolgreich, glücklich und stark!

Ich bin reich, ich bin von Adel! welcher andre ist mir wohl gleich
Opfern, schenken, froh sein will ich! so denken sie, verblendet ganz.
Wirr durch allerhand Gedanken, gefangen in des Irrtums Netz,
Ergeben völlig dem Genuß, in schmutz‘ge Hölle stürzen sie.

Selbst sich ehrend, aufgeblasen, voll Stolz, voll Hochmut auf ihr Geld,
Bringen sie heuchelnd Opfer dar, die dieses Namens gar nicht wert.
Ichsucht, Gewalt, Begierde, Stolz und Zorn — dem sind ergeben sie;
Mich hassen sie im eignen Leib wie auch in andern, grimmerfüllt.
Diese Hasser, die greulichen, die schlechtsten Menschen in der Welt,
Die argen, schleudr‘ ich fort und fort in dämonischen Mutterschoß.

Durch dämonischen Mutterschoß betört in jeglicher Geburt,
Erreichen sie mich nimmermehr und wandeln so die tiefste Bahn,
Dreifaltig ist das Höllentor, wodurch die Seele geht zugrund2:
Begierde, Zorn und Habsucht sind’s – drum laß fahren diese drei!
Befreit von diesen, Kuntî/Sohn, den drei Pforten der Finsternis
Wirket der Mensch sein Seelenheil und wandelt so die höchste Bahn.

Doch wer nach seiner Willkür lebt, nicht achtend heiliges Gesetz,
Nicht erreicht die Vollendung der, nicht Glück und nicht die höchste Bahn.
Drum sei dir Richtschnur das Gesetz bei der Feststellung deines Tuns
Weißt du, was das Gesetz bestimmt, dann kannst du deine Taten tun. S.90-91
Aus: Bhagavadgita/Aschtavakragita. Indiens heilige Gesänge
Bhagavadgita. Des Erhabenen Gesang,. Übertragen und kommentiert von Leopold von Schröder
Diederichs Gelbe Reihe DG 12, Eugen Diederichs Verlag, München