Gregor von Nazianz (329 –390)

  Griechischer Dichter, Mystiker, Mönch, Bischof, Patriarch und Kirchenvater. Im arianischen Streit mit Basilius dem Großen vertrat er die jungnicänische Rechtgläubigkeit. 381 wurde er als Patriarch gewählt, konnte sich aber nicht halten und widmete sich dann auf seinem Landgut der Askese und Abfassung theologischer Schriften. Seine Werke, die er uns in Form von Predigten, Briefen, Reden und Gedichten hinterließ, sind Meisterstücke der antiken Rhetorik. Für viele ist er der »Vater der christlichen Mystik«. — Heiliger (Tag: 2. 1.)

Siehe auch Wikipedia und Heiligenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Gesang an Gott
An die eigene Seele

Aus der ersten Rede, über das Osterfest


Gesang an Gott

Jenseits aller Erscheinung - wie anders kann ich Dich nennen?
Wie soll ein Wort Dich preisen, Dich - jedem Worte unsagbar?
Wie soll ein Sinn Dich schauen, Dich - jedem Sinne unfaßbar?
Unbenannt Du allein; denn Du schufst alle Benennung,
unbekannt Du allein; denn Du schufst alle Gedanken;
alles bleibt in Dir, und von Dir wird alles vergöttlicht,
Du bist aller Ziel, Du Eins, Du Alles, Du Keines,
Du weder Eins noch All: Allnamiger, wie zu Dir rufen,
Einzig-Unbenannter? Und welcher Himmlische öffnet,
welcher Sinn, über Wolken, die Rätsel? O sei mir gnädig,
jenseits aller Erscheinung — wie anders kann ich Dich nennen?...

An die eigene Seele

Was willst du, daß dir werde? So frag ich meine Seele.
Was gilt dir groß, was kleiner an irdisch hohen Gaben?
Such dir ein glänzend Etwas, gern will ich dir es schenken;
Willst du, daß dir des Lyders, des Gyges Gabe werde?
Willst mit dem Finger herrschen, den Stein am Ringe drehend,
der birgt, wenn er verborgen, enthüllt, wenn er enthüllt wird?
Willst du das Gut des Midas, der starb an seinem Reichtum,
dem alles golden wurde, ihm goldene Fasten bringend,
maßlosen Wunsches Strafe? Willst du den Adamanten,
der Ebenen fette Erde und ungezählte Herden
an Rindern und Kamelen? Nicht dies will ich dir schenken:
Dir kann es nicht zu nehmen, mir nicht zu geben ziemen.
Ach, ich verwarf dies alles, seit ich zu Gott gefunden.
Begehrst du Macht der Throne? Willst du der Hochzeit Feste,
unheilige Zärtlichkeiten und Sporn und Gunst der Stunden?
Lockt dich, genannt zu werden in Reden und Theatern?
Willst du Gesetze stürzen mit ungerechten Finten?
Willst du die Lanzen schütteln mit kriegerischem Rufe,
des Kampfspiels Siegerbinden und Kraft, das Wild zu töten?
Den Beifall deiner Heimat, dein Bild, in Erz gegossen?
Schatten willst du von Träumen, Hauch, der vorüberrinnet...
Geh, schreite aus, mit Sohlen scharfschwingiger Begierde,
dich auf zur Höhe hebend...Ich reinige die Schwinge,
ich hebe sie mit Worten, wie ich den wohlbeschwingten
Vogel zum Äther sende.
Doch sage mir, Verruchter,
du Leib von üblem Stoffe — da ich mit dir gejocht bin,
die Herrin mit dem Knechte —, was willst du, das dir werde
noch außer Atems Herrschaft? Mehr nicht ist mein Bedürfen,
so vieles du auch wünschest. Willst du den Tisch voll Düften,
voll ungemeiner Künste der Salber und der Köche?
Von Leiern und von Händen aufpeitschende Geräusche?
Beugungen weicher Knaben, die sich unmännlich wiegen?
Tanzwirbel junger Mädchen, die schamlos sich enthüllen?
Willst fließende Gewandung um unberührte G1ieder?
Komm — wende dich zum Holze unwandelbaren Lebens!
Das ist — ich fand es endlich — Erkenntnis höchsten Gottes,
Der Ein-Drei-Strahligen Leuchte, vor der das All sich neiget.
So wird, wer weise wurde, selbst zu sich selber sprechen.
Doch wen es nicht dahindrängt, dem rinnt das Leben sinnlos,
und er rennt sinnlos weiter...

Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band I, Die Väter der Kirche . Herausgegeben von Walter Tritsch (S.256-259)
Holle Verlag , Darmstadt