Philipp Jacob Spener (1635 – 1705)
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Deutscher evangelischer Theologe, der seit 1666 als Pfarrer in Frankfurt a.M., 1686 Oberhofprediger in Dresden, 1691 Propst und Pfarrer von St. Nicolai in Berlin tätig war. Sein Hauptwerk »Pia desideria oder Herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirchen samt einigen dahin einfältig abzweckenden christlichen Vorschlägen« wurde zur Programmschrift des lutherischen Pietismus. In ihm forderte Spener – nach einer kritischen Analyse des Zustandes der Kirche - ein Christentum der Tat, vermehrte Beschäftigung mit der Bibel, erbauliche statt gelehrte Predigt. Mit der Forderung nach »Wiedergeburt« des einzelnen und der »Hoffnung auf bessere Zeiten für die Kirche« (Bekehrung der Juden, Untergang des Papsttums, Überwindung der Religionsspaltung) begegnete er wirksam der Glaubens- und Kirchenkritik von Aufklärung und Spiritualismus. Siehe auch Wikipedia und Heiligenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Die Lehre von der Wiedergeburt
Die Früchte der Wiedergeburt
Die
Lehre von der Wiedergeburt
Wo eine Materie unsers Christentums nötig ist, so ist es gewiss diejenige
von der Wiedergeburt, als in welche unsere Bekehrung, Rechtfertigung und der
Anfang unserer Heiligung mit einlauft, und sie auch der Grund ist aller übriger
Heiligung, oder der Bronnen, aus dem alles, was in unserm ganzen Leben von uns
oder an uns Gutes ist oder geschiehet, notwendig herfließen muss.
Daher wer denselben unter uns recht verstehet, verstehet gewiss sein ganzes
Christentum auch recht ...
Wann wir also mit wenig Worten geben wollen, was es seie, das Reich GOttes sehen,
so heißt‘s so viel: zeitlich und ewig selig werden.
Denn wo wir müssen von neuem geboren werden, ... so kann solches nicht
anders als von oben herab geschehen: Dann
die neue Geburt muss durch eine Schöpfers-Kraft geschehen, die GOtt
allein zukommet, und also von oben her geschehen muß. Es soll aber sein
eine Geburt, und also etwas Wirkliches, dass wahrhaftig alsdann etwas wird und worden ist, was vorhin nicht gewesen war.
...
Hier merken wir um so bald aus der Kraft des Worts selbst, dass also die
Wiedergeburt etwas Wirkliches seie, dadurch etwas in den Menschen gewirket wird,
das darnach vorhanden ist und bleibet, dahingegen in der Rechtfertigung dergleichen
nicht geschiehet, sondern dieselbe allein in einer Zurechnung dessen, was der
Mensch sonst nicht hätte, und einer Nicht-Zurechnung desjenigen, was wahrhaftig
bei dem Menschen ist, bestehet, ohne wirkliche Änderung oder Schaffung
etwas Gewisses in dem Menschen, so aber notwendig in der Wiedergeburt sein muss.
Dieses Wort erinnert uns aber gleich unterschiedlicherlei: Nämlich
1. ... einer, der krank ist, bedarf nicht, dass er zu einens andern Menschen
geboren werde; wer unwissend ist, bedarf nicht, dass er ein anderer Mensch
geboren werde, sondern er bedarf nur, unterrichtet zu werden, hier aber muss eine ganze neue Geburt vorgehen. ...
2. erinnert uns auch das Wort der Wiedergeburt, dass der Mensch in derselben nichts tue. Wann ein Kind geboren, oder
vielmehr wo es empfangen wird: so tut das Kind nichts. Sondern was mit ihm geschieht,
geschieht von GOtt...
3. folget auch daraus, dass unter einem Wiedergebornen und Unwiedergebornen
gar ein großer Unterscheid seie, denn jener ist ein ganz anderer Mensch,
als er gewest war: denn obwohl Leib und Seele dem Wesen nach einerlei bleiben,
so ist dennoch das Innere, Sinn und Gemüt, allerdings unterschieden. ...
4. Aus der Empfängnis und Geburt kommt es her, daß einer seiner Eltern
Kind und Sohn ist, und also auch aus der Wiedergeburt werden wir eigentlich
GOttes Kinder und Söhne. Zwar aus der Schöpfung ist GOtt auch bereits
unser Vater. Aber wie noch eine genauere Kindschaft GOttes ist, nach welcher
allein die Glaubige GOttes Kinder sind, und aus solcher Kindschaft das Erbe
haben, so kommt solche Kindschaft allein aus der Wiedergeburt her...
Die
Früchte der Wiedergeburt
Also betrachten wir, wie dieses ein teures Gut der
Wiedergeburt sei, daß Christus seinen Gläubigen der Herr, ihre Gerechtigkeit
ist.
I. ist dieses erstlich zum Grund zu legen, dass Christus selbst gerecht sei .. 2. ist er auch gerecht darinnen gewesen,
nachdem er an unsere Stelle getreten, und vor uns Bürge worden ist ...
Wie denn eines Bürgen Gerechtigkeit darinnen bestehet, dass er völlige
Zahlung leiste.
II. Er muss aber auch unsere Gerechtigkeit sein,
Er war gekommen, dass er uns wieder zu dem Vater, in dessen Vereinigung
die Seligkeit bestehet, brächte, und uns das Recht gebe, wiederum zu demselben
und seiner Gnaden Genuß zu kommen; da wäre aber seiner Gerechtigkeit
entgegen gewesen, uns zu dem Vater und der Seligkeit zu bringen, wo wir immer
Ungerechte und Sünder blieben, also mußte er uns zu einer Gerechtigkeit
helfen, in welcher wir vor Gottes gerechtem Gericht bestehen, und deswegen vor
seinem Angesicht ohne Furcht und getrost erscheinen dürfren....
Dieses ist also der selige Wechsel der Personen, in welchem die vornehmste Kraft
des Evangelii bestehet, daß vor Gott Christus an der Sünder Stelle
trat, und hingegen wir, wo wir im Glauben das Recht an Christum und seiner Gerechtigkeit
erlangen, hinwieder an seine Stelle treten und nicht mehr vor Gottes Gericht
in uns, sondern in ihm angesehen werden.
III. Diese Gerechtigkeit nun ... hat in sich die Vergebung der Sünden ...
Also weil die Sünde unser größestes Elend ist, so ist hingegen
diese Gerechtigkeit, die wir in Christo haben ... unser größestes
Gut, das uns von solchem größesten Übel der Sünden befreiet
... Daraus folget, wann ich Vergebung der Sünden habe, so ist keine Sünde
mehr da. Darinnen bestehet nun die größeste Herrlichkeit der Kinder
GOttes, dass, ob sie wohl in sich betrachtet immer noch Sünder wären,
sie gleichwohl in Christo wahrhaftig vor Gott Gerechte sind, und keine Sünde
mehr vor Gottes Gericht haben... Es sind vergeben und also ganz abgetan alle
vorige Sünden, wie schwer sie gewesen, und wie lang sie fortgesetzt worden
wären ... Es sind auch vergeben alle Sünden, die der Gläubige
noch wirklich an sich hat. ...
V. Diese Gerechtigkeit Jesu Christi ist nun ein herrliches Gut der Wiedergeburt, ja wir haben gesehen, daß die Schenkung derselben nach unserer Erklärung
selbst das andere Stück davon ist; es mag aber auch dero Frucht heißen,
weil sie nicht allein so zu reden in dem ersten Augenblick der Wiedergeburt
... geschenket wird, sondern weil die Wiedergebornen, solange sie in ihrer Wiedergeburt
stehen, immerfort derselbigen genießen ...
Es ist diese vorgetragene Lehr eine von den wichtigsten ..., und bestehet gleichsam
das Herz des Evangelii in derselben, wie sie denn der Grund der Seligkeit ist,
und unser Glaube immer darauf beruhen ... muß ...
Also werden auch die Gläubige zu einem Tempel Gottes geweiht
in der Taufe ... als in dem Bad der Wiedergeburt
...
Also dürfen wir Gott auch nirgend anders, als wann wir ihn finden wollen,
in unsern Herzen suchen, wo er sich finden, von uns anbeten lassen, und unsern
Dienst annehmen will. Damit werden unsere Tempel und Kirchen oder dem Gebrauch
nicht verworfen ... Aber wenn wir in der äußerlichen Kirchen Gott
recht dienen wollen, so müssen wir ein jeglicher seine innerliche Kirche
gleichsam mitbringen, das ist, unser Herz muß so bewandt sein, daß
Gott drinnen wohne, und wir auch selbst in der Versammlung den meisten Dienst
in demselben verrichten müssen: dahingegen aber dieser, so bloß außer
dem Herzen geschehe, Heuchelei geachtet werden würde. Weil wir aber sollen
Gottes Tempel sein und heißen, so müssen wir auch heilig sein und
uns heilig halten. ...
Aus: Philipp Jakob Spener: Der hochwichtige Artikul
von der Wiedergeburt, dem Ursachen, Mittel, Art, Pflichten, Würden, Kennzeichen
und übrigen dahin gehörigen Materien, aus unterschiedlichen Texten
heil. Schrift. Frankfurts. M.: Zünner, 1696. S. 1, 5—8 (1. Predigt),
S. 802—806, 808 (52. Predigt), S. 839, 841 f. (54. Predigt),
Text auch enthalten in: Die Philosophie der deutschen Aufklärung, Texte
und Darstellung von Raffaele Ciafardone, Deutsche Bearbeitung von Norbert Hinke und Rainer Specht
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8667 (S.226-230) © 1990 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Welches nun eben unsere Hauptlehre giebet: dass die Wiedergeburt an ihren Früchten kenntlich seie. Dessen
Satzes Gründe sind folgende:
1. Weil wir vor uns selbst zu allem Guten untüchtig und zu dem Bösen
allein geneigt sind... Daher, wo sich Gutes findet und zeigt, so ist‘s
eine Anzeige, daß der Mensch aus einer andern Geburt haben muß,
was er aus der ersten nicht hat oder haben kann, ja das Gegenteil desselben
natürlicherweise bei ihm ist. Wir sind tot, wo sich also Lebenshandlungen
zeigen, so muß eine Auferweckung geschehen sein: welches eine unfehlbare
Wahrheit ist.
2. Weil alle Geburt nicht ohne ihre Kraft und Würkung einer gleichen Natur
ist. Unsere natürliche Geburt ist kräftig gewest, daß wir daraus
Menschen sind, und alles zu tun vermögen, was Menschen zukommt. Unsere
sündliche Geburt; sofern sie sündlich ist, hat auch diese Kraft, daß
wir aus derselben zur Sünde geneigt sind, und solche tun können, ja
einen Trieb darzu fühlen. Warum sollte die einige Geburt aus GOtt schwächer
und unkräftiger sein? ...
Zum dritten wird diese Wahrheit auch damit bestätiget, weil wir in der
Schrift dahin gewiesen werden, uns selbst wohl zu prüfen. 2. Kor. 13/5: Versuchet euch selbst, ob ihr im Glauben seid, prüfet
euch selbst! Oder erkennet ihr euch selbst nicht, daß Jesus Christus in
euch ist? ... Galat. 3/26: Ihr seid alle
Gottes Kinder durch den Glauben in Christo Jesu. Also auch, ob Christus uns
ist.... Also redet Paulus von einem Gut der Wiedergeburt, er sagt
aber, wir sollen uns prüfen und versuchen, ob wir also bewandt seien? So
muß denn die Wiedergeburt auch ihre kantbare Merkzeichen haben, an denen
man sich prüfen könne, daß der Apostolische Befehl nicht vergebens
seie.
Wir müssen uns aber nach den rechten Kennzeichen prüfen, damit wir
uns nicht in unser Prüfung selbst betrügen. Solche Kennzeichen sind
nun nicht:
1. Die bloße empfangene Tauf. Dann solche bringt nicht mehr mit sich, als dass wir damals wiedergeboren
worden sind, nicht aber, dass wir gewiss noch in solcher Wiedergeburt
stehen. Es nutzt uns aber nicht, daß wir einmal wiedergeboren gewesen,
wo wir solches wieder verloren haben. Nun mag aber die Wiedergeburt wieder verloren,
und derjenige, der Gottes Kind gewesen, wiederum ein Kind des Teufels werden,
wie Adam begegnet ist. ...
Also müssen wir sehen, ob wir noch in unserer Tauf, in dero Pflicht und
Kraft, stehen oder nicht? Einmal, wo wir nicht in täglicher Reu und Buß
den alten Adam töten, und den neuen Menschen lassen herauskommen, so ist
die Tauf verleugnet ...
Ferner ist auch noch kein gnugsam Kennzeichen der
bloße äußerliche Gebrauch der göttlichen Gnadenmittel
des Worts und des Hl. Abendmahls....
Drittens ist auch noch nicht ein gnugsam und gültig Zeugnis der Wiedergeburt
ein äußerlich Moral und ehrbares Leben, welches wir auch bei vielen Heiden ... antreffen. ... Und ist ein großer
Unterscheid unter einem äußerlichen ehrbaren Leben und einem wiedergebornen
Leben.
... das ehrbare Leben außer dem Christentum behält zum Grund sich
selbst, daß der Mensch gleichwohl alles um sein selbst willen tue: seine
Ehre suche, nur eben dass es nicht gegen die Gerechtigkeit und mit Unterdrückung
oder Schaden anderer geschehe ... Das wiedergeborne Leben aber will mehr von
uns haben, dass wir schlechterdings uns selbst verleugnen, und unsere Ehr,
Lust und Nutzen nicht mehr suchen, sondern einig und allein die Ehre Gottes
und des Nächsten, samt unserem ewigen Heil, zum Zweck setzen müssen
...
... das ehrbare Leben richtet sich nach der Welt Gewohnheit ..., aber das wiedergeborne
Leben richtet sich allein nach Gottes Ordnung, und stellet sich der Welt nicht
gleich, ob man auch deswegen Schaden und Verachtung von derselben und denen
nach ihr gesinnten Leuten haben sollte....
Es gehöret aber zu einem solchen gottseligen Wandel, wo er solle ein Kennzeichen
der wahren Wiedergeburt sein, dass ein solcher Mensch das Gute tue, gleichsam
von innen und also von Herzen, daß ... gleichwohl auch etwas anders in
seinem Herzen seie, das ihn dazu antreibt, nämlich der Trieb des guten
Geistes und dessen Wirkung in ihm ...
Aus: Philipp Jakob Spener: Erste geistliche Schrifften.
Frankfurt a. M.: Zünner, 1699. 5. 759—763, 765 (5. Predigt).
Text auch enthalten in: Die Philosophie der deutschen Aufklärung, Texte
und Darstellung von Raffaele Ciafardone Deutsche Bearbeitung von Norbert Hinke und Rainer Specht
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8667 (S.230-232) © 1990 Philipp Reclam jun., Stuttgart