Hans Küng
(1928 - )
>>>Gott
Inhaltsverzeichnis
Was können wir von Jesus wissen?
Die Präexistenz des Erlösers Jesus
Christus
Was können
wir von Jesus wissen?
Diese neutestamentlichen Schriften sind
in der Tat keine uninteressierten Dokumentarberichte und erst recht keine neutrale
wissenschaftliche Geschichtsschreibung, sie sind vielmehr engagierte
Glaubenszeugnisse, die bereits zum Glauben an diesen Jesus aufrufen.
An einer eigentlichen Chronologie, Topologie, gar Psychologie des Lebens Jesu
sind sie nicht interessiert. Ja, ein »Leben
Jesu« im neuzeitlichen Sinn wollen sie gerade nicht bieten: Nur
zwei der vier Evangelien enthalten Geschichten von der Kindheit Jesu,
und alle vier enthalten nichts weiteres über die Zeit bis zum 30. Lebensjahr Jesu. Erst mit der Verkündigung des 30jährigen
setzen sie bekanntlich ein.
Aber heißt dies nun, dass sie als historische Quellen für das,
was der irdische, geschichtliche jüdische Jesus selber
gesagt, getan und erlitten hat, gar nicht in Frage kommen? Gegen das, was
Karl Barth, Rudolf Bultmann und Paul Tillich, aber
auf jüdischer Seite auch Samuel Sandmel und
andere jüdische Gelehrte in der ersten Jahrhunderthälfte, oft mit
falscher Berufung auf Albert Schweitzers »Geschichte
der Leben-Jesu-Forschung« und aufgrund dogmatischer Vorurteile,
behauptet haben, hat sich gezeigt: Es ist durchaus möglich, auch sinnvoll,
ja notwendig, hinter die Glaubenszeugnisse auf den Jesus der Geschichte zurückzufragen.
Denn wenn diese auch nicht einfach Berichte sind, so enthalten sie doch Berichte
und gründen in Berichten vom wirklichen Jesus.
Mit anderen Worten: Die Geschichten von Jesus selbst
lassen nach seiner wirklichen Geschichte fragen.
Gegen eine immer noch allzu verbreitete historische Skepsis sei gesagt: In der
langen und oft stürmischen Geschichte der modernen Exegese hat sich die Jesus-Überlieferung als historisch relativ
zuverlässig erwiesen. Und zwischen der oberflächlichen Leichtgläubigkeit
des unkritischen und der radikalen Skepsis des hyperkritischen Lesers läßt
nur eine möglichst umfassend angewandte historisch-kritische Methode den
richtigen Weg finden. Geht es doch nicht
darum, eine kontinuierlich sich entwickelnde Biographie
zu eruieren, wohl aber das wirklich
mir Jesus Geschehene: die charakteristischen Grundzüge
und Umrisse von Jesu Verkündigung, Verhalten und Geschick.
Davon sind denn faktisch auch immer die dogmatischen Quellen-Skeptiker christlicher
oder jüdischer Provenienz ausgegangen, soweit, dass selbst Rudolf
Bultmann ein äußerst dichtes, inhaltsreiches Jesus-Buch
(1926) hatte schreiben können. Auch Samuel
Sandmel wollte zumindest »gewisse reine Fakten« als »historisch unbezweifelbar«
festhalten: »Jesus,
der die öffentliche Aufmerksamkeit in Galiläa unter der Herrschaft
von Herodes Antipas als Tetrarchen auf sich zog, war eine wirkliche Persönlichkeit,
der Anführer einer Bewegung. Er hatte Anhänger, die Jünger genannt
wurden. Der Anspruch wurde erhoben, entweder durch ihn oder für ihn, dass
er der langerwartete jüdische Messias sei. Er begab sich von Galiläa
nach Jerusalem, vermutlich um das Jahr 29 oder 30, und dort wurde er hingerichtet,
gekreuzigt von den Römern als ein politischer Rebell. Nach seinem Tod glaubten
seine Jünger, dass er von den Toten auferweckt und zum Himmel aufgefahren
sei, dass er aber zu gegebener Zeit zur Erde zurückkehren werde, für
das letzte göttliche Gericht über die Menschheit.«
Die meisten jüdischen Jesus-Forscher meinen nun freilich bezüglich
der charakteristischen Grundzüge und Umrisse von Jesu Verkündigung,
Verhalten und Geschick erheblich mehr sagen zu können, und dies zuallermeist
in Übereinstimmung mit den maßgeblichen christlichen Exegeten. Ein
breiter jüdisch-christlicher Konsens
steht hinter folgenden historischen Ergebnissen:
dass Jesus aus Nazaret in Galiläa stammte,
dass er als Sohn des Zimmermanns Joseph und
der Mirjam geboren wurde,
dass er im Kreis von mehreren Brüdern und Schwestern aufwuchs,
dass er sich vom asketischen Bußprediger Johannes
die (wie immer zu verstehende) Taufe geben
ließ,
dass er sich erst jetzt zur öffentlichen Wirksamkeit berufen sah und
die Jesus-Bewegung (mehr oder weniger unmittelbar) aus der Täuferbewegung hervorgegangen ist,
dass er als Wanderprediger die Nähe des endzeitlichen Gottesreiches
angesagt und sein Volk zur Umkehr aufgerufen hat,
dass er dabei auch zahlreiche Heilungswunder, besonders auch an psychisch
Kranken, wirkte,
dass er, in Distanz zur eigenen Familie, zu Mutter und Geschwistern, eine
Jüngergruppe um sich sammelte,
dass er vor allem bei den »Armen« aller Art, den Deklassierten, den Verfemten, den Kranken und besonders den Frauen,
Gehör fand,
dass er sich schon in Galiläa in einen sich verschärfenden Konflikt
mit den jüdischen Autoritäten verwickelt sah,
dass er so beim Volk immer weniger Anklang fand,
dass er dann besonders bei der Verkündigung in Jerusalem einen augenscheinlichen
Mißerfolg und schließlich einen gewaltsamen Tod erfuhr.
Die meisten christlichen Exegeten zeigen sich etwas zurückhaltender bezüglich
wunderbarer Erscheinungen (z. B. die Historizität der Himmelsstimme bei
der Taufe oder bei Naturwundern) und bezüglich eines Messiasbewußtseins
Jesu. Wie immer: »Nie seit
Reimarus«, so meint der Exeget James
H. Charlesworth aus amerikanischem Blickwinkel für die 80er Jahre
feststellen zu dürfen, »haben so viele Gelehrte
so viele bemerkenswerte Bücher über den historischen Jesus veröffentlicht«,
und hebt unter über 30 wissenschaftlichen Werken hervor auf christlicher
Seite F. F. Bruce und P.
P. Sanders und auf jüdischer Seite G. Cornfeld,
D. Flusser, G. Vermes. S.384-386
Aus: Hans Küng, Das Judentum, Serie Piper SP 12827, Piper München
Zürich
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Herrn
Prof. Dr. Hans Küng, s. a.
http://www.weltethos.org/index1.htm
Die
Präexistenz des Erlösers Jesus Christus
Das Neue Testament enthält eine große Zahl von Aussagen über
die ewige Präexistenz
Jesu
Christi. Dieser fundamentale Aspekt der Christologie ist bei den Synoptikern
mehr vorausgesetzt als ausgesagt, doch wird er in der paulinischen und johanneischen
Theologie — hier aber mit großer Selbstverständlichkeit —
voll ins Licht gestellt. Es genügt nicht, diese Aussagen in der Trinitätstheologie
zu berücksichtigen, sind sie doch gerade für die Schöpfungs-
und Erlösungslehre von höchster Bedeutung. Dies sei im Sinne der katholischen
Theologie kurz aufgezeigt, wobei vorläufig Jesu Christi
Wirken in der Zeit etwas zurückgestellt wird.
Jesu Christi Ursprung
ist die Ewigkeit Gottes:
Für Paulus
ist Jesus Christus «die
Kraft und die Weisheit
Gottes» (1 K 1,24), «das
Ebenbild des unsichtbaren Gottes» (Kol 1,16;
2 K 4,4) und damit «der Grund. . der gelegt
ist» (1 K 3,11), der «Erstgeborene
aller Schöpfung» (Kol 1,16), «vor
allem»(Kol 1,17). «Es
gefiel ihm (dem Vater),
in ihm die ganze Fülle der Gottheit wohnen zu lassen»
(Kol 1,19); er ist so einfachhin «das
Geheimnis Gottes» (Kol 2,2; vgl. 1 K 2,1),
«in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit
leibhaftig» (Kol 2,9). Er ist «der
Abglanz der Herrlichkeit», «der Ausdruck seines Wesens»
(Hb 1,3).—
Für Johannes ist Jesus
Christus das eine Wort Gottes, in dem sich der Vater
vor und in alle Ewigkeit voll ausspricht:
«Im Anfang war des Wort war
bei Gott, und Gott war das Wort; dies war im Anfang bei Gott» (Jo
1,1 f); so ist er «Leben», «Licht»
(1,4). Von Ewigkeit ist er als «der
eingeborene Sohn Gottes» (1, 14.18; 3, 16.18;
1 Jo 4,9) «im Schoße des Vaters»
(Jo 1,18). «Ehe Abraham
war», ist er (8,58). Der Vater hat
ihn «geliebt vor der Grundlegung der WeIt»(17,24).
Er ist also der, «der von Anfang an ist»
(1 Jo 2,13f): «Der Erste»
(Apk 1,17; vgl. 2,8; 22,13), das «Alpha»(Apk
22,13), «der Anfang» (Apk
22,13).
Es wird hier geredet von Jesus Christus in der
Ewigkeit Gottes, von Jesus Christus, der
noch nicht Mensch geworden ist, der aber —
und das ist wichtig — Mensch werden wird.
Es wird geredet vom Verbum incarnandum, dessen
Menschwerdung nicht in der Zeit, wohl aber in Gottes
unveränderlichem, ewigen
und wirkkräftigen Ratschluß bereits Wirklichkeit ist: «Das
fehllose und unbefleckte Lamm Christus... war schon vor der Grundlegung der
Welt zuvor ersehen, ist aber erst am Ende der Zeiten geoffenbart worden, euch
zugute» (1 Pt 1,190). Es ist «das Lamm,
geschlachtet vom Anbeginn der Welt an» (Apk
13,8).
Diese Stellen reden von der ewigen Präexistenz des Erlösers. Deswegen
kann die Erlösung in Jesus Christus von der
Heiligen Schrift als ein ewiges Geheimnis
geschildert werden: Was in der Geschichte geschieht, ist nur Offenbarung
dieses ewigen Geheimnisses,
nicht neu, nur neu verkündet: «Das Geheimnis,
das seit Anbeginn der Zeiten und Geschlechter verborgen war, das aber jetzt
seinen Heiligen verkündet wurde; diesen wollte Gott kundtun, wie reich
die Herrlichkeit dieses Geheimnisses unter den Völkern ist: Christus in
euch, die Hoffnung auf die Herrlichkeit»
(Kol 1,26—27). Es ist die «Offenbarung
des Geheimnisses, das ewige Zeiten verschwiegen war, das aber jetzt enthüllt
ist» (Röm 16,25), «die
Verwirklichung des Geheimnisses, das von Urzeiten her in dem Gott,
der alles schuf, verborgen war, damit jetzt den Mächten und Gewalten
des Himmels die vielgestaltige Weisheit Gottes kund werde durch die Kirche,
gemäß dem ewigen Ratschluß, den er gemacht hat in Jesus Christus
unserem Herrn» (Eph 3,9—11), «Gottes
Weisheit im Geheimnis, die einst verborgen war und die Gott vor aller Zeit
zu unserer Verherrlichung vorherbestimmt hat» (1
K 2,7).
So gilt vom Erlöser: «Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit» (Hb 13,8); dieser ist «vor allem»(Kol 1,17), «im Anfang»(Jo 1, 1), «ehe Abraham war» (Jo 8,58), «der Erste» (Apk 1,17; 2,8; 22,13), «das Alpha» (Apk 22,13), «der Anfang» (Apk 22,13). «Was von Anfang an war, was wir gehört und mit unsern Augen gesehen, was wir geschaut und mit unseren Händen berührt haben vom Worte des Lebens — denn das Leben ist erschienen; wir haben es gesehen, wir bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbar geworden ist — also was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch... » (1 Jo 1,1—3).
Die Schriftworte vom präexistenten
Christus sind also nicht zu verstehen als eine
philosophisch-metaphysische
Logos- oder Hypostasenspekulation
(im Sinne des Philon etwa), sondern in der
Heilsperspektive: regelmäßig stehen sie im Zusammenhang mit der Erlösung.
Die absolute Bedeutung des anscheinend rein relativ-zeitlichen Erlösungsgeschehens
stellt die Heilige Schrift dadurch heraus, daß sie — gleichsam zurück-
und hinaufblickend — die göttlich-ewige Herkunft
dieses Geschehens aufweist. Durch die Begründung der Existenz des
Gottmenschen in Gottes
ewigem und wirkkräftigem Ratschluß wird so gerade die schlechthin
einmalige Geschichtlichkeit der Menschwerdung gegenüber
allem anderen historischen Geschehen unüberbietbar zur Geltung gebracht.
Obwohl jedem zeitlichen Geschehen eine gewisse («ideelle»)
Ewigkeit in Gottes Ratschluß zuerkannt werden
muß, findet doch nur bei Christus das eine
Ganz-Andere statt: Dieses Geschehen betrifft nicht nur ein in sich zeitliches,
außergöttliches Sein, sondern es betrifft das
ewige göttliche Sein selbst. Es geht um die vollkommene Vereinigung
einer geschöpflich-zeitlichen Natur mit dem
unveränderlich-ewigen Gott.
Weil die Menschwerdung in Gottes Ratschluß von Ewigkeit wirkkräftig
beschlossen war, konnte sie schon vor ihrem historischen Wirklichwerden ihre
erlösende Kraft ausstrahlen lassen. Deswegen konnte die Gnade Jesu Christi
schon im AT wirken: Abraham freute sich, weil er Jesu
Tag sah (Jo 8,56); Isaias prophezeite von
Jesus, «indem er seine Herrlichkeit sah» (Jo 12,41); die
Väter tranken aus dem Felsen, Christus, der ihnen folgte (1
K 10,4), eine «Wolke von Zeugen»
gibt es, die «Gerechtigkeit übten»
und die «Verheißungen erlangten»
(Hb 11,33; 12,1), «Heilige»,
die vor Christus gestorben sind
(Mt 27,52; vgl. 1 Pt 3,19; Eph 4,8). Deswegen auch — wir werden
es noch sehen — konnte die Gnade Jesu Christi
im Sündenfall rettend eingreifen und bereits in der
Schöpfung geheimnisvoll anwesend sein.
Die Bedeutung, die diese Schrifttexte von Jesu
Christi Präexistenz für die Rechtfertigungslehre haben, kann
schwerlich übertrieben werden; die nächsten Kapitel werden sie aufhellen.
Die theologische Erklärung dieser Präexistenz selbst aber gehört
zu den schwierigen Dingen der Theologie. Eine weitere Vertiefung soll erst am
Ende dieser Arbeit versucht werden, in einem Exkurs, damit die Proportionen
des vorliegenden Kapitels gewahrt bleiben und vor allem, weil so die jetzigen
Darlegungen als von unserer besonderen — und durchaus diskutablen —
Deutung unabhängig erscheinen. Es genügt einstweilen, daß auch
schon der präexistente Christus — als Verbum
incarnandum — etwas mit der Erlösung zu tun hat, daß
die Inkarnation in Gottes ewigem Ratschluß wirkkräftig
beschlossen liegt.
Jesus Christus steht in seiner Präexistenz nicht allein vor dem
Auge des Vaters. Mit der Kirche, ja mit der Menschheit
zusammen, so steht er nach den Worten der Heiligen Schrift vor dem Vater. In
Gottes Ewigkeit wurden auch wir Menschen mit und
in Jesus Christus erwählt. Das ist —
in Jo 1 angedeutet — vor allem die Lehre
des Prologes zum Epheserbrief: «Gepriesen sei der
Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der
uns mit jedem geistlichen Segen in der Himmelswelt gesegnet hat in
Christus. Hat er uns doch schon vor der
Grundlegung der Welt in ihm
auserwählt, daß wir heilig und makellos seien vor seinem Angesicht,
und hat er uns durch Jesus Christus zur
Kindschaft in ihm vorherbestimmt nach dem Ratschluß seines Willens: zum
Lobpreis der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns begnadigt hat in dem
Geliebten. In diesem haben wir die Erlösung durch sein Blut, nämlich
die Vergebung unserer Übertretungen, nach dem Reichtum seiner Gnade, die
er uns durch Mitteilung aller Weisheit und Einsicht in überströmender
Fülle hat zuteil werden lassen. Er hat uns ja das Geheimnis
seines Willens kundgetan, gemäß seinem Ratschluß, den er sich
vorgesetzt in ihm, um die Fülle der
Zeiten heraufzuführen: alles, was im Himmel und auf Erden ist, in
Christus dem Haupte neu zusammenzufassen. In ihm sind wir auch
Erben, vorherbestimmt nach dem Beschluß dessen, der alles nach dem Ratschluß
seines Willens vollbringt: wir sollten sein zum Lobpreis seiner Herrlichkeit,
wir, die wir unsere Hoffnung von vornherein auf Christus
gesetzt haben» (Eph 1,3—12).
Diese unsere Einheit mit Jesus Christus
ist also schon vor der Grundlegung der Welt der
eine ewige Ratschluß und Heilsplan Gottes. Diesen
Ratschluß hält Gott durch — gegen
die Sünde — zu unserer Rechtfertigung und Verherrlichung. Dieser
ewige Ratschluß geht alle Menschen
an, ja die ganze Welt («Himmel
und Erde»), er wird aber durchgeführt — wie die folgenden
Kapitel des Briefes zeigen — in der Kirche,
die das «Geheimnis Christi» (Eph
3,4) genannt wird.
Und so ist auch die Kirche — in Christus
und auf ihre Weise — ein ewiges
Geheimnis: «Er hat
uns erwählt in ihm vor
der Grundlegung der Welt»
(Eph 1,4). Wir wurden berufen durch «seine
Gnade, die er uns in Jesus Christus vor ewigen Zeiten geschenkt,
jetzt aber durch die Erscheinung Christi Jesu, unseres Erlösers offenbart
hat» (2 Tim 1,9).
Gott hat uns «von
Anfang an zum Heil erwählt» (2
Thess 2,13). Wir haben «das ewige Leben,
das der untrügliche Gott verheißen hat vor ewigen Zeiten, wofür
er zu seiner Zeit sein Wort geoffenbart hat» (Tit
1,2—3). Und zu uns wird gesagt werden: «Nehmt
das Reich in Besitz, das euch bereitet ist seit der
Schöpfung der Welt» (Mt
25,34). Die Tieranbeter aber sind die «Erdenbewohner,
deren Namen nicht geschrieben stehen im Lebensbuch des Lammes, das geschlachtet
ist vom Anbeginn der Welt an» (Apk
13,8; vgl. auch 17,8).
Weil Gott dieses
Geheimnis seit Ewigkeit in sich erwägt,
hat die altchristliche Tradition — auf biblischem Fundamente weiterbauend
— der Kirche ewige Existenz im Ratschlusse Gottes
zugeschrieben und sie sogar als präexistentes
himmlisches Wesen betrachtet, das in der Fülle der Zeiten auf Erden
offenbar geworden ist.
Es ist selbstverständlich, daß der Kirche nie
eine Präexistenz zukommen kann, wie sie ihrem Haupte Jesus
Christus zukommt. Wie wir schon sagten, findet nur bei ihm eine «substantielle»
Einigung des ewigen Gottes selbst (in
seinem Sohn) mit einer zeitlichen Natur
statt; nur bei ihm geht es um eine «hypostatische»
Union.
Was aber an Gedanken einer «präexistenten»
Kirche richtig sein dürfte:
Gott hat von Ewigkeit
her in seinem Sohn, der Mensch
werden sollte, an die Menschheit gedacht, an das
Heil aller Menschen
(1 Tim 2,4 usw): Aus diesem einen Heilsplan kann
die Kirche als das «Geheimnis», der
«Leib», die «Braut»
Jesu Christi nicht weggedacht werden. Von Anfang
an ist die ganze Weltgeschichte durch diesen christlich-kirchlichen Heilsplan
Gottes faktisch bestimmt; sie wird so —
durch Gottes besondere Gnade
— zur Heilsgeschichte, zu einer Christus-,
ja zu einer Kirchengeschichte (was selbstverständlich
keine Grundlage ist für einen «christlichen»
Integralismus oder einen «kirchlichen» Totalitarismus).
Hier findet der die ganze katholische Tradition durchziehende Gedanke
einer «Kirche von Anbeginn» seinen
Platz: Diese wäre zu verstehen als die mit dem Anbeginn der
Schöpfung beginnende geschichtliche Verwirklichung der im
ewigen Ratschluß Gottes «präexistenten»
Kirche. «Sic ergo dicendum est quod, accipiendo
generaliter secundum totum tempus mundi, Christus est caput omnium hominum:
sed secundum diversos gradus»; und als Begründung: «quia corpus
Ecclesiae constituitur ex hominibus qui fuerunt principio mundi usque ad finem
ipsius» (Thomas Aq. 5. th. III, q. 8, a. 300).
Das also ist der Heilsratschluß
Gottes, wirkkräftig gefaßt in Gottes
Ewigkeit: Gott entscheidet sich in seinem Sohne
für das Heil aller Menschen durch die Kirche.
S.130ff.
Aus: Hans Küng, Rechtfertigung, Serie Piper SP
674, Piper München Zürich
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Herrn
Prof. Dr. Hans Küng, s. a.
http://www.weltethos.org/index1.htm