Franz Grillparzer (1791 – 1872)
Österreichischer Dichter, der nach Abschluss des Jura-Studiums 1813 Beamter und 1832 Archivdirektor der Finanzverwaltung wurde. 1856 trat er als Hofrat in den Ruhestand. Nach relativ frühem Erfolg geriet er in Schwierigkeiten mit der Zensur. Im Jahre 1838 zog er sich nach dem Misserfolg von »Weh dem, der lügt« aus der Öffentlichkeit zurück. Reisen nach Frankreich, England, Italien und Griechenland konnten seine trübe Stimmung nicht aufheitern. Erst spät erfuhr er vielfache Ehrungen. In seinem dramatischen Werk verbinden sich das Erbe des österreichischen Barock, des Wiener Volkstheaters, der deutschen Romantik und Klassik mit dem beginnenden psychologischen Realismus. Überall erscheint sein Grundkonflikt zwischen Gewissen und Handeln und zwischen Kunst und Leben. Grillparzers Gedichte sind Klagen über das Missverhältnis zwischen Leben und Dichtung. Seine Selbstbiographie und seine Tagebücher verdeutlichen seine Lebensproblematik. Siehe auch Wikipedia und Projekt Gutenberg |
Inhaltsverzeichnis
Vom
Schicksal Sammlung Seele |
Christentum
und Religion Gott |
Vom
Schicksal
Die Griechen nannten Schicksal
die unbekannte Größe
= x, die den Erscheinungen
der moralischen Welt zugrunde liegt, deren Ursache
unserem Verstande
verborgen bleibt, ob wir gleich ihre Wirkungen gewahr werden. Der ganze Begriff
war lediglich ein Ausfluss des dem menschlichen Geiste angeborenen Strebens,
dem Begründeten einen Grund aufzufinden, des Strebens, ein Kausalitätsband unter den Erscheinungen
der moralischen Welt herzustellen.
Dieses Streben des menschlichen Geistes liegt in seiner Natur und besteht gegenwärtig
noch ebenso, wie unter den Heiden. Es sollte zwar scheinen, als ob das Christentum
hierin die Lage der Dinge ganz geändert hätte, es scheint aber nur
so. Das Christentum hat uns einen allmächtigen
Gott gegeben, der
in seinen Händen die Gründe alles Seins hält, und von dem alle Veränderungen ausgehen. Das ist genug, um das ahnende Gemüt zu befriedigen. Aber auch,
um den grübelnden Verstand, die schwelgende
Phantasie zu
bezähmen? Die Erfahrung von 1800 Jahren hat das Gegenteil gezeigt. Wir
kennen Gott als den letzten
Ring in der Kette der Dinge,
aber die Mittelglieder fehlen, und gerade eine Reihe
sucht der Verstand. Statt, wie das Gemüt von
oben anzufangen und das Irdische an jenes zu knüpfen, beginnt der Verstand, seiner Natur nach, von dem, was er fasst, von dem untersten Gliede nämlich,
und sucht nun zu dem obersten auf einer Leiter ohne Stufen emporzusteigen. Hat
er sich hier eine Weile vergebens abgemattet, so bricht die Phantasie,
die er bisher zügelte, los und verknüpft die hier und dort sichtbaren
Ringe der in Dunkel gehüllten Kette mit ihrem Bande, und — »nihil
novi in mundo!« Tausend Dinge, die wir nicht begreifen, tausend
Schickungen, deren ausgleichenden Grund wir nicht
einsehen und die uns ewig an die lästige Beschränktheit der menschlichen
Natur verweisen, machen uns irre; die Gewohnheit, Erscheinungen,
die aufeinander folgen, in dem Verhältnis von Ursache
und Wirkung zu betrachten, trägt das Ihrige bei. Dass das wirklich
so ist, zeigt der so allgemein verbreitete Glaube an: Glück,
Zufall, Vorbedeutung; unheilbringende Tage, Worte, Handlungen;
die Astrologie, die Chiromantie usw. Der Glaube
an einen gütigen und gerechten Gott wird dadurch
nicht aufgehoben — auch devote Personen hängen
an derlei Aberglauben —, sondern nur für Augenblicke aus dem Gesichte
gerückt. Die Phantasie ist zufrieden, ihr
Gebäude bis zu einer Höhe geführt zu haben, deren Entfernung
ein klares Weiterschauen unmöglich macht, und ergötzt sich an den
verfließenden Umrissen. So ist es, und so wird es bleiben, bis es das
Gemüt mit seinem Ahnen und Glauben bis zur Deutlichkeit der Verstandesbegriffe
und Phantasiebilder gebracht hat, das heißt, bis ans Ende der Welt.
Aus: Deutscher Geist. Ein Lesebuch aus zwei Jahrhunderten,
Erster Band (S.873-874)
Suhrkamp Verlag 1953
Sammlung!
Mein Kind. sprach das der Zufall bloß?
Wie, oder fühltest du des Wortes Inhalt,
das du gesprochen, Wonne meinem Ohr?
Du hast genannt den mächt‘gen Weltenhebel,
der alles Große tausendfach erhöht
und selbst das Kleinste näherrückt den Sternen,
des Helden Tat, des Sängers heilig Lied,
des Sehers Schau‘n, der Gottheit Spur und Walten.
Die Sammlung hat‘s getan und hat‘s erkannt,
und die Zerstreuung nur verkennt‘s und spottet.
Spricht‘s so in dir, dann, Kind, Glück auf!
Dann wirst du wandeln hier, ein selig Wesen,
des Staubes Wünsche weichen scheu zurück.
Und wie der Mann, der abends blickt ge‘n Himmel,
im Zwielicht noch, und nichts ersieht als Grau,
farbloses Grau, nicht Nacht und nicht erleuchtet,
doch schauend unverwandt, blinkt dort ein Stern
und dort ein zweiter, dritter, hundert, tausend,
die Ahnung einer reichen, gotterhellten Nacht
ihm nieder in die feuchten, sel‘gen Augen fällt.
Gestalten bilden sich und Nebel schwinden,
der Hintergrund der Wesen tut sich auf,
was aller Welt verborgen wird dir klar.
Seele
Nehmt ihr einen früheren Zustand der Seele an vor ihrer Vereinigung mit
dem Körper? Nein. Also ist sie bei der Geburt des Menschen entstanden,
und warum soll sie nicht vergehen können, wenn sie entstanden ist?
Mit der Gesundheit der Seele (Moral) ist es wie mit der des Körpers. Ohne
Gesundheit keine ersprießliche Tätigkeit. Aber die Erhaltung der
Gesundheit zum Geschäfte eines Lebens machen, ist die Sache der müßigen
Toren und Hypochondristen.
Christentum
und Religion
Die christliche Religion hat das vor allen anderen voraus, daß sie sich
leicht allen Kulturstufen, gewissermaßen sogar den höchsten, anpaßt.
So könnte man sagen, die christliche Religion werde dauern bis ans Ende
der Welt. Wenigstens wird sie nicht so leicht von einer andern verdrängt
werden.
Es ist schon darum ein Unsinn, von einem göttlichen Recht zu sprechen,
weil der Begriff vom Recht die Idee der Unvollkommenheit mit sich führt.
Das Recht widerstreitet der moralischen Gesetzgebung, indem es das Prinzip des
Egoismus über das der Liebe setzt. Gottes Wort sagt: »Liebe deinen Feind!« Das Recht sagt: »Schlag‘ ihn tot, wenn er dich schädigt.«
Der Hauptirrtum bei Beurteilung der alten Religionen besteht darin, dass
man sie schon von vornherein für ein Ganzes nimmt, indessen sie
doch, einige Nationalübereinstimmungen vorausgesetzt, atomistisch aus einzelnen
Sagen, Zutaten, Tempelwundern und Priesterlügen sich heranbildeten.
Wenn man die praktische Seite des Heidentums mit der des Christentums in zwei
Worten vergleichen wollte, könnte man sagen: Das Heidentum hielt den am
höchsten, der die meisten Vorzüge, das Christentum den, der
die wenigsten Fehler hat.
Religion ist die Poesie der unpoetischen Menschen.
Die Irreligiösen sind religiöser, als sie selbst wissen, die Religiösen
sind‘s weniger, als sie meinen.
Das Christentum war seiner frühesten Beschaffenheit nach offenbar nur als
Sekte berechnet. Es hat all das Abgeschlossene, sich Ausschließende, Überspannte,
aber auch Liebenswürdige, das von jeher den Stillen im Lande eigen war.
Das Papsttum wusste aus dem einfachen Grundstoffe allerdings etwas zu machen,
wodurch diese Lehre, obgleich mit Aufopferung ihres besten Teiles, eine Weltreligion
für liebende und hassende, hoffende und fürchtende Menschen werden
konnte.
Ein Erklärungsgrund des weiten Umsichgreifens der päpstlichen
Macht gegen die weltliche im Mittelalter mag unter anderem wohl auch in
dem Umstande zu finden sein, dass die Päpste gewählt
wurden, wobei man doch immer mehr oder weniger auf ihre Eigenschaften Rücksicht
nahm, indessen die weltlichen Regenten Erbherren waren. Wirklich findet
sich im ganzen Mittelalter beinahe kein Papst ohne ausgezeichnete Talente.
Die christliche Religion hindert keine Art Bildung, und zwar darum, weil sie
außer dem vortrefflichen Satz: »Liebe Gott über alles und deinen
Nächsten wie dich selbst!« durchaus nichts Festes in ihren Anordnungen
hat. Daher war das Christentum in seinen Anfängen quietistisch und separatistisch,
später sektiererisch, im Mittelalter roh und abgöttisch, dann grausam
und fanatisch, und erst in der neueren Zeit hat es mit der Bildung Frieden geschlossen.
Gott
Wenn die Menschen einen Gott denken können, so ist dieser Gedanke schon
ein Gott, vielleicht aber kein anderer Gott als dieser Gedanke.
Wäre es denn nicht der Gottheit höchst unwürdig, in Angelegenheit
der größten Wichtigkeit so dunkle und schwer verständliche Vorschriften
zu geben, dass sie von gleich gescheiten und gleich guten Menschen so widersprechende
Auslegungen zuließen, als dies zwischen Protestanten und Katholiken der
Fall ist?
Aus: Franz Grillparzer: Gedanken und Betrachtungen.
Ausgewählt von Joh. Ferch (S.20-21,59- 62)
Scherz Verlag