Agnostizismus (griech. ágnôstos = nicht erkennbar)
Unter Agnostizismus (siehe Wikipedia) versteht man heutzutage im Allgemeinen »die Lehre von der Unerkennbarkeit des wahren Seins einschließlich der unbegreiflichen Tranzendenz von jeglichen etwaigen göttlichen und überbersinnlichen Geschehens«. Der Begriff Agnostiker wurde nach dem englischen Naturforscher und Theologen Robert Flint von Thomas Henry Huxley erstmals im Jahre 1869 in Analogie auf den »deus absconditus«, den verborgenen Gott, des Neuen Testaments geprägt für die Bezeichnung der Menschen, die behaupten, dass sie nichts über die die letzten Gründe des Seins wissen können uns damit im Grunde jede Metaphysik ablehnen. Nun lässt sich kein größerer, perfekterer und lehrreicherer Widerspruch in sich selbst denken, als die Behauptung die Platon zugeschrieben wird (aber so pauschal von ihm gar nicht gemeint war): »Ich weiß, dass ich nichts weiß«, denn in dem »Ich weiß« wird nämlich eine Behauptung aufgestellt, die in dem »dass ich nichts weiß« zugleich komplett widerrufen wird. Man könnte es dabei belassen und sagen: die Agnostiker gestehen ein, dass sie gar nichts wissen können und es deshalb am besten wäre, wenn sie ihrer Maxime folgen würden und ganz einfach stillschweigen würden.

Platon (427 - 347 v. Chr.)
In der Apologie des Sokrates lässt Platon den Sokrates in seiner eitlen Verteidigungsrede u. a. die folgenden Worte sagen.

»Bedenkt nun, weshalb ich dieses sage: Ich will euch nämlich erklären, woher doch die Verleumdung gegen mich entstanden ist. Denn nachdem ich dieses gehört, gedachte ich bei mir also: Was meint doch wohl der Gott? Und was will er etwa andeuten? Denn das bin ich mir doch bewusst, dass ich weder viel noch wenig
weise bin. Was meint er also mit der Behauptung, ich sei der Weiseste? Denn lügen wird er doch wohl nicht; das ist ihm ja nicht verstattet. Und lange Zeit konnte ich nicht begreifen, was er meinte; endlichwendete ich mich gar ungern zur Untersuchung der Sache auf folgende Art: Ich ging zu einem von den für weise Gehaltenen, um dort, wenn irgendwo, das Orakel zu überführen und dem Spruch zu zeigen: »Dieser ist doch wohl weiser als ich, du aber hast auf mich ausgesagt«. Indem ich nun diesen beschaute - denn ihn mit Namen zu nennen ist nicht nötig; es war aber einer von den Staatsmännern, auf welchen schauend es mir folgendergestalt erging, ihr Athener: Im Gespräch mit ihm schien mit dieser Mann zwar vielen andern Menschen auch, am meisten aber sich selbst sehr weise vorzukommen, es zu sein aber gar nicht. Darauf nun versuchte ich ihm zu zeigen, er glaubte zwar weise zu sein, wäre es aber nicht; wodurch ich dann ihm selbst verhasst ward und vielen der Anwesenden. Indem ich also fortging, gedachte ich bei mir selbst: weiser als dieser Mann bin ich nun freilich. Denn es mag wohl eben keiner von uns beiden etwas Tüchtiges oder Sonderliches wissen; allein dieser doch meint zu wissen, da er nicht weiß, ich aber, wie ich eben nicht weiß, so meine ich es auch nicht . Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er, dass ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen . Hierauf ging ich dann zu einem andern von den für noch weiser als jener Geltenden, und es dünkte mich eben dasselbe, und ich wurde dadurch auch ihm und vielen andern verhasst«.
Platon, Sämtliche Werke 1 , Apologie , Kriton, Protagoras, Ion, Hippias II, Charmides, Laches, Euthyphron, Gorgias, Appologie, S.12f.
In der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher mit der Stephanus-Numerierung, herausgegeben von Walter F. Otto, Ernesto Grasso,Gert Plamböck, Rowohlts Klassiker 39

Arthur Koestler (1905 – 1983 Selbstmord)
Ein Blick durchs Schlüsselloch
Während des Spanischen Bürgerkrieges saß ich 1937 einige Monate als angeblicher Spion im Gefängnis der Franco-Leute in Sevilla, und mir drohte die Todesstrafe. Damals hatte ich, in der Einzelhaft, Erlebnisse und Empfindungen, die mir dem »ozeanischen Gefühl« der Mystiker zu gleichen schienen und die ich später in einem autobiographischen Bericht zu schildern versuchte. Ich nannte jene Erlebnisse »die Stunden am Fenster«. Der nun folgende, recht zwanglos formulierte Auszug ließe sich als »Credo eines Agnostikers« bezeichnen: »Die »Stunden am Fenster«, die mit der rationalen Erkenntnis der Möglichkeiten endlicher Aussagen über das Unendliche begonnen hatten — und die tatsächlich eine Reihe solcher Aussagen auf einer nicht rationalen Ebene darstellten — hatten mich mit der unmittelbaren Gewissheit erfüllt, dass es eine höhere Ordnung der Realität gibt und dass diese höhere Ordnung allein dem Sein seinen Sinn verleiht. Später nannte ich das >die Realität der dritten Ordnung<. Die enge Welt der Sinneswahrnehmungen bildete die erste Ordnung; diese Welt war von einer begrifflichen umgeben, welche die nicht direkt wahrnehmbaren Phänomene umfasste, wie Schwerkraft, elektromagnetische Felder und den gekrümmten Raum. Diese zweite Ordnung der Realität füllte die Lücken der ersten aus und gab der fragmentarischen Welt der Sinne erst ihre Bedeutung.

Auf analoge Art hüllte die dritte Ordnung der Realität die zweite ein, durchdrang sie und verlieh ihr Sinn. Sie enthielt okkulte Phänomene , die man weder auf der sinnlichen noch auf der begrifflichen Ebene verstehen oder erklären konnte — Meteore, die den gewölbten Himmel der Primitiven durchkreuzen.

So wie die begriffliche Ordnung die Illusionen und Entstellungen der Sinne bloßlegte, so zeigte die >dritte Ordnung<, dass Zeit, Raum und Kausalität, die scheinbare Isolierung, Abgeschlossenheit und raum-zeitliche Begrenzungen des Ichs von der nächst höheren Schicht her gesehen nur optische Täuschungen waren. Wenn man die Illusionen der ersten Art als wahr unterstellte, dann ertrank die Sonne jede Nacht im Meer, und ein Splitter im Auge war größer als der Mond; und betrachtete man die begriffliche Welt fälschlicherweise als die letzte Realität, wurde die Welt zu einer ebenso absurden, von einem Idioten oder von idiotischen Elektronen erzählten Geschichte, in der kleine Kinder von Autos überfahren und kleine andalusische Bauern durch Herz, Mund oder Augen geschossen wurden, Geschichten ohne Sinn und Verstand. Aber wie man die Anziehungskraft eines Magneten nicht mit der Haut spüren konnte, so konnte man auch nicht hoffen, in begrifflicher Form die Natur der letzten Realität zu erfassen. Es war ein mit Geheimtinte geschriebener Text, und obwohl man ihn nicht lesen konnte, war das Wissen um die Existenz eines solchen Textes hinreichend, um die Daseinsform eines Menschen zu ändern und ihm den Willen beizubringen, seine Handlungen dem neuen Text anzupassen.

Es machte mir Spass, diese Parabel weiter auszuspinnen. Der Kapitän eines Schiffes begibt sich auf die Fahrt mit einer versiegelten Order in der Tasche, die er erst auf hoher See öffnen darf. Er wartet ungeduldig auf diesen Augenblick, der aller Ungewissheit ein Ende machen wird; als es aber soweit ist und er den Umschlag aufreisst, findet er nur die unsichtbare Geheimschrift, die allen Versuchen einer chemischen Behandlung widersteht. Hie und da wird ein Wort sichtbar, oder eine Zahl, die einen Meridian bezeichnet; dann verschwindet alles wieder. Er wird den genauen Wortlaut des Befehls nie erfahren, auch nicht, ob er ihn ausgeführt hat oder bei seiner Aufgabe versagte. Aber sein Wissen um den Befehl in seiner Tasche, auch wenn er nicht entziffert werden kann, lässt ihn anders denken und handeln, als der Kapitän eines Vergnügungsdampfers oder eines Piratenschiffs handelt.

Ich glaube auch zu wissen, dass Gründer von Religionen, Propheten, Heilige und Seher in manchen Augenblicken fähig waren, Fragmente des Geheimtextes zu lesen. Später hatten sie ihn dann redigiert, dramatisiert und ausgeschmückt, bis sie selbst nicht mehr sagen konnten, welche seiner Teile authentisch waren.«

Aus: Arhur Koestler, „Der Mensch – Irrläufer der Evolution“, (S. 329-331)
© 1978 by Arthur Koestler, Gesamtdeutsche Rechte beim Scherz Verlag, Bern. Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Scherz Verlages


Protagoras (um 481 – um 411 v. Chr.)
In Bezug auf die Götter
Von den Göttern vermag ich nichts festzustellen, weder, dass es sie gibt, noch, dass es sie nicht gibt, noch, was für eine Gestalt sie haben; denn vieles hindert ein Wissen hierüber: die Dunkelheit der Sache und die Kürze des menschlichen Lebens . [...]
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 119, Die Vorsokratiker herausgegeben von Wilhelm Capelle
Die Fragmente und Quellenberichte übersetzt und eingeleitet von Wilhelm Capelle (S.333) , © 1968 by Alfred Kröner Verlag, Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart