Gerhard Tersteegen (1697 – 1769)

>>>Gott

Die Verschreibung an Jesus mit dem eigenen Blute

Meinem Jesu!
Ich verschreibe mich dir, meinem einzigen Heiland und Bräutigam Christus Jesus, zu deinem völligen und ewigen Eigentum. Ich entsage von Herzen allem Recht und Macht, so mir der Satan über mich selbst mit Unrecht möchte gegeben haben, von diesem Abend an, als an welchem du, mein Blutbräutigam, mein Goel (hebräisch: Erlöser), durch deinen Todeskampf, Ringen und Blutschwitzen im Garten Gethsemane mich dir zum Eigentum erkauft, die Pforten der Hölle zersprengt und das liebevolle Herz deines Vaters eröffnet hast. Von diesem Abend an sei dir mein Herz und ganze Liebe auf ewig zum schuldigen Dank ergeben und aufgeopfert! Von nun an bis in Ewigkeit nicht mein, sondern dein Wille geschehe! Befiehl, herrsche und regiere in mir! Ich gebe dir Vollmacht über mich und verspreche, mit deiner Hilfe und Beistand eher dieses mein Blut bis auf den letzten Tropfen vergießen zu lassen, als mit Willen und Wissen in- oder auswendig dir untreu oder ungehorsam zu werden. Siehe, da hast du mich ganz, süßer Seelenfreund, in keuscher, jungfräulicher Liebe dir stets anzuhangen! Dein Geist weiche nicht von mir, und dein Todeskampf unterstütze mich! Ja, Amen! Dein Geist versiegele es, was in Einfalt geschrieben dein unwürdiges Eigentum
Gerhard Tersteegen
am Gründonnerstag Abend anno 1724
S. 236

Die drei Geburtstage der Kinder Gottes
In Jesu geliebter Bruder!
Dass so manche liebe Herzen sich so viel an meinem so schlechten Leben und an dessen Erhaltung im Fleisch gelegen sein lassen, demütigt mich in der Wahrheit gar sehr. Obgleich ihre herzliche Liebe mir zugleich zur Erquickung ist, wofür die göttliche Liebe ihrer aller Herzen wiederum erquicken wolle!

Im Nachsehen in meinem Lebenskalender finde ich viel Rotes und viel Schwarzes. Ich will sagen, mehr Elend, mehr Sünden, mehr Torheiten und Schwachheiten, als andere, die mich lieben, von mir denken möchten. Dieses nenne ich das Schwarze, welches mir bis diese Stunde sehr missfällt. Aber es erschreckt mich nicht mehr so, weil mir das Rote — ich meine die überfließende Gnade und die Kraft des roten Blutes Jesu — auf solchem Grunde so viel schöner in die Augen zu fallen scheint. Oh, der Herr erhalte und fördere nur in mir und allen diesen lieben mit mir verbundenen Herzen das unschätzbare Werk seiner Gnade, damit wir alle würdiglich wandeln mögen, nicht nur dem Herrn, der uns erkauft und berufen hat, sondern auch seinen Gnadenkindern, unter welche wir gekommen sind. Damit auch von uns keines dahinten bleibe, sondern mein und unser aller letzter Geburtstag von Engeln mit Freuden gefeiert werden möge.

Denn die Kinder Gottes haben dreierlei Geburtstage. Durch den ersten natürlichen kommen sie zu dem Licht dieser unteren Welt. Da weint das Kind billig; die Verwandten aber freuen sich. Durch den zweiten, den Gnadengeburtstag, nämlich die Wiedergeburt, werden sie stufenweise aus dem engen, finstern Naturstand ins Licht der Gnade versetzt. Da weint auch mehrenteils das Kind, aber es freuen sich gewiss die Engel im Himmel, sobald nur ein Sünder Buße tut.

Dasjenige, was wir den Tod nennen, das nannten und feierten die ersten als einen Geburtstag der Märtyrer und Heiligen. Dieser dritte Geburtstag, der leibliche Tod, erlöst Gottes Kinder aus dieser bangen Welt. aus dem engen Gefängnis dieses Leibes der Demütigung und aus allem Druck und Seelengefahr, da sie recht fröhlich ausgeboren und versetzt werden in die Weite der lieben, süßen Ewigkeit. Zwar geht‘s auch bei dieser letzten Geburt oft sehr unansehnlich und bedrängt her, dass das Gnadenkind wohl gar auch ächzen und weinen muss, bis es durchkommt. Aber alles zu seinem Besten. Bald ist‘s getan, da es mit Jesu wird heißen: »Es ist vollbracht«. Die Engel stehen bei dieser Geburt schon bereit, das zur seligen Ewigkeit geborene Kind auf ihre Arme zu nehmen und in Gottes Schoß zu tragen. Da freuen sie sich herzkindlich, dass ein Kind zur Licht-, Liebes- und Freudenwelt geboren ist. Da wird Geburtstag gefeiert. Da singt man. wie ihr dort gesungen habt, und ich, weil ich‘s musste. mitgesungen habe: »Liebe, die du mich zum Bilde…« (Lied von Johann Scheffler alias Angelus Silesius) . Und zu einem jeden Vers singen die Engel ihr Gloria. Ehre sei Gott in der Höhe. Halleluja.

Und darum soll ich und sollt auch ihr es nun ferner mit Gott wagen, die kurzen Geburtsschmerzen, ich will sagen, die mancherlei Beschwerlichkeiten des bald beendigten Pilgerwegs, nicht scheuen, sondern wir sollen uns fein schicken und bücken, wissend, dass unsere Arbeit nicht vergeblich sei in dem Herrn. Amen.

Herr Jesu, bleibe bei uns, denn es will Abend werden. Mein Herr grüßt und segnet euch alle und einen jeden insbesondere. Jesus spreche dazu sein Amen . S. 237-238
Aus: Klassiker des Protestantismus, Band VI, Das Zeitalter des Pietismus, herausgegeben von Martin Schmidt und Wilhelm Jannasch, Carl Schünemann Verlag Bremen