Petrus von Alcantara, ursprünglich Juan Garavita (1499 – 1562)

Spanischer Mystiker, Priester und Ordensreformer aus adeligem Geschlecht, der vor seinem Ordenseintritt Juan Garavita de Sanabria hieß. Nach seinem Studium in Salamanca trat Petrus im Jahre 1515 dem Franziskanerorden bei, in dem er 1524 zum Priester geweiht und später Ordensoberer wurde. Petrus wirkte intensiv an der Reform des Franziskanerordens mit und gründete 1561 eine Reformkongregation, aus der später die »Alcantariner« (als selbständiger Zweig der Franziskaner) hervorgingen. Petrus war geistlicher Berater und Beichtvater der Theresia von Avila.

Siehe auch Wikipedia , Heiligenlexikon und Kirchenlexikon

Über Betrachtung und Beschauung
Wenn man nach einem Buche betrachtet, so soll man sich doch nicht so an die ausgeführten Betrachtungen halten, als ob man nicht zu anderem übergehen dürfe, woran das Gemüt mehr Andacht und Frucht findet. Denn da aller dieser Übungen Sinn und Ziel die Andacht ist, so muss das für das beste gelten, was am besten zu diesem Ziele fördert.

Man soll es vermeiden, zuviel mit dem Verstand zu forschen, und sich eher auf wirksame Bewegung des Gemütes und Willens als auf wissenschaftliches Nachdenken verlegen.

Anderseits müssen auch dem Affekte gewisse Schranken gezogen werden, damit er nicht in allzu flammende Bewegung gerate. Daher ist wohl zu beachten, daß die Andacht nicht mit Gewalt herausgepreßt werden darf, wie einige etwa bei der Betrachtung des Leidens Christi sich in eine künstliche Erregung des Mitleids und der Tränen hineinarbeiten... Es ist genug, sich dem leidenden Heiland im Geiste zu nähern und ihn ruhig und einfältigen Gemütes anzuschauen, freilich mit zartem und mitleidigem Herzen, aber mehr in Bereitschaft, sich empfänglich zu halten für die Anmutungen der göttlichen Gnade, als in dem Bestreben, sie mit Gewalt hervorzurufen.

Wenn man im Gebet nicht sogleich die erwünschte Süßigkeit der Andacht empfindet, so soll man doch nicht den Mut fallen lassen und nicht abstehen von der begonnenen Übung, sondern langmütig und standhaft die Andacht des Herrn abwarten ... Wenn nach einigem Warten der Herr kommt, so danke ihm für seine gnädige und gütige Ankunft! Bleibt er aus, so demütige dich vor ihm und bekenne dich auch seiner Heimsuchung unwürdig und laß es dir genug sein, ihn im Geist und in der Wahrheit angebetet zu haben! Denn solches fordert er ...

Der Diener Gottes soll sich nicht begnügen, einen fühlbaren Geschmack aus der Betrachtung gezogen zu haben, wie etliche meinen, wenn sie etliche Tränen erpresst oder eine gewisse Weichheit in ihrem Herzen empfunden haben, nun sei das Ziel und Ende ihrer Betrachtung erreicht. Solche Rührung reicht aber noch lange nicht hin zum Ziel der Betrachtung. So wenig zur Befeuchtung der Erde ein dünner Regen genügt, der nur den Staub anfeuchtet und die Oberfläche netzt. Vielmehr ein nachhaltiger Regen ist nötig, der in die Eingeweide der Erde eindringt und sie durch und durch tränkt, um die Fruchtkeime zu gedeihlichem Wachstum zu treiben. So wird auch ein Überfluss himmlischer Wasser erfordert, um die Früchte guter Werke hervorzubringen. Darum ermahnen mit Recht die erfahrenen Lehrer des geistlichen Lebens, ein jeder solle auf diese heilige Übung der Betrachtung so viel Zeit verwenden, als er nur kann. Sicher ist es viel nützlicher, einmal eine lange Zeit darauf zu verwenden, als öfter nur eine kurze ...

Mir scheint, dass nicht weniger als eineinhalb bis zwei Stunden dazu genommen werden müssen. Denn nicht selten bedarf es einer ganzen Stunde zur Stimmung der Saiten unserer Harfe, zur Abscheidung der Phantasie von allerlei unnützen Vorstellungen und zur Erhebung des Herzens über das sinnliche Gefühlsleben hinaus. Wir müssen auch noch einige Zeit übrig haben, um die Früchte der Betrachtung einzuheimsen.

Wenn die Seele, innerhalb oder außerhalb des Gebetes, mit besonderen göttlichen Tröstungen begnadet wird, so soll sie diese Gelegenheit ergreifen und so kostbare Zeit nicht unbenützt verstreichen lassen. Denn bei guter Brise legt man mehr in einer Stunde zurück als sonst in vielen Tagen.

Bei der Übung des inneren Gebetes mu
ss die Betrachtung mit der Beschauung verbunden werden.

Man bemerke wohl den Unterschied der beiden Dinge: Das Geschäft der Betrachtung ist es, die göttlichen und himmlischen Dinge fleißig zu überdenken, um im Herzen fromme Anmutungen zu erwecken, wie wenn einer mit dem Stahle Feuer aus dem Stein zu schlagen sucht. Die Beschauung aber, die auf die Betrachtung folgt, erfreut sich an dem schon brennenden Feuer, mit andern Worten, sie genießt in der Stille die erlangte göttliche Heimsuchung und heilige Liebe, nicht mit vielen Begriffen, Urteilen und Verstandesschlüssen, sondern in einer reinen und einfältigen Anschauung der Wahrheit. Darum sagt ein heiliger Lehrer: »Die Betrachtung geht mit viel Mühe voran und mit geringerer Frucht, die Beschauung aber gewährt ohne alle Mühe den reichlichsten Nutzen.« Jene sucht, diese hat gefunden. Jene bereitet die Speisen, diese verkostet sie. Jene denkt nach und überlegt, diese schaut und genießt. Kurz, jene ist das Mittel, diese der Zweck; jene der Weg und die Bewegung, diese das Ziel und die Ruhe.

Daraus ergibt sich ein Grundsatz, der von allen Lehrern des geistlichen Lebens angenommen, aber von wenigen Lesern verstanden wird: Wenn der Zweck erreicht ist, fallen die Mittel. Der Schiffer ruht, nachdem er im Hafen gelandet. So mu
ss auch der Betrachtende, sobald er durch die Mühe und Arbeit der Betrachtung angelangt in dem ruhigen Genuss der Beschauung, den beschwerlichen Weg des Nachdenkens und des Forschens verlassen, um sich zu begnügen, als stünde Gott vor ihm, einfachen Blickes ihn anzuschauen und die geschenkte Anmutung der Liebe, der Bewunderung, der Freude zu genießen. Denn der Zweck alles Betrachtens besteht ja nicht in erkenntnismäßiger Erforschung, sondern in der Erhebung des Gemütes und Willens durch die göttliche Liebe ... Deshalb gibt man denen, die sich von der göttlichen Liebe entflammt fühlen, den Rat, alles Denken fahren zu lassen, und wäre es noch so erhaben — nicht weil es böse wäre, sondern weil es ein größeres Gut verhindern würde ...

Und ich sage noch mehr: Auch dich selbst sollst du vergessen und all dein Tun! Denn es sagt einer der heiligen Väter: »Das Gebet ist vollkommen erst dann, wenn der Betende sein Gebet nicht merkt.« Und das gilt nicht nur vom Ende der Betrachtung, sondern auch von der Mitte und allen einzelnen Teilen. Sooft dich dieser geistliche Schlummer befällt und deinen Verstand einschläfert, sollst du die süße Labung genießen, solange sie vorhält.

Was aber die Seele in diesem geistlichen Schlafe für Wirkungen empfindet von dem Lichte, das sie durchdringt, welche Sättigung und Liebe, welchen Frieden und Trost sie dann genießt: das kann keine Zunge aussprechen. Es übersteigt allen Sinn, und solche Glückseligkeit übertrifft alle Freude der Welt.

Manche sind vom Feuer der Liebe so entzündet, dass sie beim bloßen Namen Gottes, ohne alle vorige Betrachtung, aufhüpfen vor Freude. Sie bedürfen, um Gott zu lieben, ebensowenig des Nachdenkens oder der Überlegung, als eine Mutter oder Gattin dessen bedarf, um ihr Kind oder den Gemahl zu lieben. Andere sind so in Gott versunken, nicht allein im Gebet, sondern auch bei ihrem äußeren Tun, daß sie alles Geschaffene und sich selbst völlig vergessen.

Kein Wunder, dass die göttliche Liebe solche Wirkung hervorbringt, wenn schon die irdische Liebe so stark werden kann, daß sie den Menschen wahnsinnig macht. Oder sollen wir der Gnade weniger Kraft zuschreiben als der Natur und der Sünde?

Wenn also die Seele die Wirkung der göttlichen Liebe in sich verspürt, so soll sie nicht davon abkehren, und wenn sie auch die ganze Zeit ihres Betens dabei zubrächte.


Da nun der Umgang mit Gott an sich sehr süß und wohlig ist und aller bitteren Mischung frei (wie der Weise sagt), so geschieht es, dass viele dem geistlichen Leben in all seinen Übungen — Lesen, mündlich Beten, Betrachten, Empfang der Sakramente — aus dem geheimen Trieb heraus sich widmen, der auf solche Befriedigung aus ist. Ihr erster Antrieb zu einem frommen Leben beruht im Verlangen nach jener wunderbaren Süße. Das ist ein schlimmer Irrtum, und viele sind es, die ihm anheimfallen.

Der Hauptzweck in all unserem Tun soll sein, Gott zu lieben und ihn aus ganzen Herzen zu suchen.
Jene aber lieben und suchen mehr sich selbst als Gott. Denn ihre Befriedigung und ihr Genuß ist es, was sie suchen, genau wie es bei der alten, heidnischen Weisheit war.

Diese Art von Egoismus ist nach den Worten eines geistlichen Lehrers eine Habsucht, eine Wollust und Unmäßigkeit, nicht minder schlimm als die fleischliche.

Dazu kommt, dass Menschen, die einmal von diesem Übel befallen sind, sowohl sich selbst wie andere nach ihren Tröstungen beurteilen. Jeder sei vollkommen oder unvollkommen, meinen sie, je nachdem er mehr oder weniger Geschmack und Empfindung an göttlichen Dingen habe. Aber das ist weit gefehlt!

Und wenn es ungeordnet ist, geistliche Tröstungen und Genüsse zu suchen, um darin zu schwelgen — wenn man sie nur lieben soll, sofern sie zum Fortschritt im sittlichen Wollen spornen: so wird es noch viel weniger statthaft sein, nach Erscheinungen, Offenbarungen und dergleichen Dingen zu verlangen. Denn daraus erwächst den Menschen, die noch nicht in tiefer Demut gründen, eine große Gefahr ...


Der Mensch soll sich befleißen, daß er immer in Demut und Ehrfurcht mit Gott verkehre, wie St. Augustin tat, von dem man liest, dass er »nur mit Furcht und Zittern zu frohlocken wagte.«
S.63ff.
Aus: Gott in uns. Die Mystik der Neuzeit. Von Otto Karrer, Verlag "Ars sacra" Josef Müller, München