Johann
von Kastl (um 1400)
Deutscher Mystiker. Die genauen Lebensdaten sind unbekannt. Er war
Benediktiner und wohl schon vor 1399 Prior der oberpfälzischen Reform-Abtei
Kastl (Bistum Eichstätt), die 1098 gegründet wurde und besonders unter
dem Reform-Abt Hermann (1322—56), einem Freund Ludwigs des Bayern, eine
Blütezeit erlebte (berühmte Schreibschule: Kastler Reimchronik, Sammelcodex
Pommersfelden u. a.). Von 1348 bis 1409 besuchten viele Kastler Mönche
die Universität Prag, unter ihnen war Johann von Kastl, der dort als Magister
wirkte.
Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon
Wie die Beschauung
in Gott allen anderen Übungen vorzuziehen sei
Alle Dinge außer Gott sind Wirkung und Werk des Schöpfers selbst.
Sie haben ihr Können und Sein und alles das, was sie sind und können,
begrenzt. Aus Nichts hervorgerufen, sind sie von Nichtigkeiten umgeben und streben
von sich aus zum Nichts. Notwendigerweise empfangen sie ihr Dasein, ihre Erhaltung,
ihr Wirken, was in ihnen ist, und so alles in jedem einzelnen Augenblicke von
Gott selbst, dem höchsten Werkmeister. Aus sich selbst sind sie wahrhaft
unzulänglich, für sich und für andere. Sie verhalten sich zum
Wirken Gottes wie das Nichts zum Etwas, wie das Endliche zum Unendlichen.
Darum sei all unser Beschauen, Leben und Handeln allein auf Gott gerichtet,
sei in Gott, über Gott und wegen Gott: er wüßte und vermöchte
durch einen einzigen Wink seines Willens unendlich vollkommenere Geschöpfe
als die schon geschaffenen hervorzubringen. Es gibt also für Vernunft und
Gemüt keine nützlichere und vollkommenere Beschauung und keinen glückseligeren
Genuß der Liebe als in Gott selbst, dem Schöpfer, dem höchsten
und wahren Gute, von dem, in dem, durch den und für den alles ist. Er genügt
sich selbst und allen in unendlichem Maße, er, der von Ewigkeit her in
höchster Einfachheit die Vollkommenheiten aller Wesen in sich enthält.
Es gibt nichts in ihm, was nicht er selbst ist. In ihm und durch ihn bestehen
die Ursachen aller unbeständigen Dinge. In ihm ruhen die unveränderlichen
Ursprünge aller veränderlichen Dinge, sowohl der vernünftigen
wie der unvernünftigen. In ihm leben die ewigen Gründe der zeitlichen
Wesen. Er erfüllt alles, er erfüllt alles und jedes wesentlich mit
seinem ganzen Selbst. Durch seine Wesenheit ist er jedem Dinge innerlich
näher und gegenwärtiger als dieses Ding sich selbst. In ihm sind alle
Dinge zugleich vereinigt und leben ewig in ihm.
Wenn übrigens jemand durch seine Schwäche oder durch die Ungeübtheit
seiner Vernunft genötigt wird, sich bei der Beschauung mehr mit den Geschöpfen
zu beschäftigen, dann scheint doch diese beste, wahre und fruchtbare Beschauung
jedem Sterblichen möglich, daß bei all seinen Beschauungen und Betrachtungen,
ob sie nun die Geschöpfe oder den Schöpfer zum Gegenstande haben,
wenigstens die innere Freude sich zum Schöpfer selbst erhebe, zu dem einen
und dreifaltigen Gotte in seiner Seele, damit das Feuer der göttlichen
Liebe und des wahren Lebens in ihm und in anderen entflammt werde, zum Verdienste
für die Seligkeit des ewigen Lebens.
Zu beachten ist hier der Unterschied zwischen der Beschauung der gläubigen
Katholiken und der der heidnischen Weltweisen. Die Beschauung der Weltweisen
sucht nur die eigene Vollkommenheit des Beschauenden, bleibt in der eigenen
Vernunft stehen und ihr Ziel ist also Vernunfterkenntnis. Dagegen bezweckt die
Beschauung der Heiligen und der Katholiken die Liebe Gottes, ihres Gegenstandes;
daher bleibt sie nicht mit der Erkenntnis in der Vernunft als ihrem letzten
Ziele stehen, sondern geht durch die Liebe in Gemüt und Wille über.
Darum haben die Heiligen bei ihrer Beschauung die Liebe Gottes als hauptsächliches
Ziel. Es ist beseligender, den Herrn Jesus Christus durch die Gnade zu erkennen
und geistigerweise zu besitzen, als ohne die Gnade ihn leiblich oder gar wesentlich
zu haben.
Wenn die Seele sich von allen Dingen loslöst und in sich selbst einkehrt,
dann weitet sich das Auge der Beschauung und sie errichtet sich eine Leiter,
auf der sie zur Beschauung Gottes emporsteigt. Diese Beschauung entflammt die
Seele zur Liebe der himmlischen, göttlichen und ewigen Güter. Alles
Zeitliche schaut sie nur von ferne, wie wenn es nichts wäre. Wenn wir also
auf dem »Wege der Verneinung« zu Gott emporsteigen, so verneinen
wir an ihm zunächst alles, was körperlich, sinnlich wahrnehmbar und
vorstellbar ist; zweitens verneinen wir auch das, was unserer Vernunfterkenntnis
gemäß ist; zuletzt verneinen wir sogar das Sein, wie es in den Geschöpfen
vorhanden ist. Auf diese Weise werden wir, nach der Lehre des Dionysios, am
besten mit Gott vereinigt, soweit dies dem Zustande der irdischen Wanderschaft
gegeben ist. Dies ist das mystische »Dunkel«, in dem, wie man sagt,
Gott wohnt und in das Moses [2. Mose 19,9] eintrat, und durch welches man zum
«unnahbaren Lichte» kommt [1. Tim. 6,16]. Aber »nicht das
Geistige kommt zuerst, sondern das Leibliche« [1. Kor. 15,46]. Man muß
also die gewöhnliche Ordnung einhalten und von der Mühe der Tätigkeit
zur Ruhe der Beschauung fortschreiten, von den sittlichen Tugenden zu denen
der höchsten Beschauung emporsteigen.
Warum also, o meine Seele, beschäftigst du dich vergeblich mit überaus
vielen Dingen und leidest doch Mangel dabei? Suche und liebe dies eine beste
Gut, in dem alles Gute beschlossen ist, — und es genügt. Unglückselig
derjenige, der alles weiß und hat, außer Gott, Gott aber nicht kennt.
Und wer alle Dinge und Gott kennt, der ist nicht wegen jener glücklich,
sondern allein Gottes wegen. In diesem Sinne schreibt der heilige Johannes [Joh,
17,3]: »Dies ist das ewige Leben, daß sie dich erkennen« usw.; und der Psalmist [Ps. 16,15] sagt: »Ich werde gesättigt werden, wenn
deine Herrlichkeit erscheint.«
Man soll sich nicht so sehr um das wirkliche Gefühl der Andacht
bemühen, als vielmehr mit dem Willen an Gott festhangen
Ferner bemühe dich nicht viel um augenblickliche Andacht, um süße
Gefühle oder gar Tränen; sondern sei nur dem Geiste nach durch den
guten Willen und in der Vernunft mit dem Gott in dir vereinigt. Denn über
alles liebt Gott eine von Phantasiebildern freie Seele, d. h. frei von Vorstellungen,
Bildern und Eindrücken der geschaffenen Dinge. Es geziemt sich, daß
ein Mönch sich aller Kreatur entledige, um frei und unbehindert allein
nach dem Gotte in sich zu streben, ihm sich zu widmen und ihm anzuhangen. Darum
verleugne dich selbst, damit du bloß und frei Christus nachfolgest, deinem
Herrn und Gott, der wahrhaft arm, gehorsam, keusch und verdemütigt war
und gelitten hat, an Jessen Leben und Tod viele ein Ärgernis nahmen, wie
aus dem Verlaufe des Evangeliums erhellt.
Die vom Leibe getrennte Seele beachtet nicht, was und wie ihrem verlassenen
Leibe geschieht, ob man ihn verbrenne oder aufhänge oder verfluche; sie
betrübt sich nicht wegen dieser dem Leibe zugefügten Unbilden. Sie
denkt nur an das «Jetzt« der Ewigkeit und an jenes «Eine Notwendige«,
wovon der Herr im Evangelium [Lk. 10,42] spricht. So verhalte auch du dich zu
deinem Leibe, als wenn du nicht mehr im Leibe wohntest, und denke immer an die
Ewigkeit deiner Seele in Gott und richte deine Gedanken eifrig auf jenes «Eine«, von dem Christus sagt: «Eines nur ist notwendig.«
Dadurch wirst du große Gnade fühlen, die dir zur Läuterung des
Geistes und zur Vereinfachung des Herzens hilft.
Jenes «Eine« ist dir am gegenwärtigsten, wenn du dich von Phantasievorstellungen
und allen anderen Zerstreuungen läuterst. Dann wirst du bald fühlen,
daß es wirklich so ist, nämlich daß ein entblößter
und befreiter Geist für Gott empfänglich ist und ihm anhangt. Und
so wirst du unbesiegbar sein in allem, was dir begegnen kann, — gleich
den heiligen Märtyrern, Vätern, Auserwählten und allen Seligen.
Diese verachteten alles und dachten nur an die Sicherheit und Ewigkeit der Seele
in Gott. Innerlich so gewappnet und durch den guten Willen mit Gott vereint,
verachteten sie alles in der Welt, als ob die Seele schon gänzlich vom
Leibe getrennt wäre. Entnimm daraus, wieviel der mit Gott vereinte gute
Wille vermag: Durch diese Versenkung der Seele in Gott, in dieser starken und
geistigen Trennung vom Fleische, betrachtet sie ihren äußeren Menschen
gleichsam von ferne, wie wenn er nicht ihr eigen wäre. Und was ihr oder
ihrem Fleische geschieht, verachtet sie so, als ob es jemand anderem widerführe
oder einem fühllosen Geschöpfe. Denn »wer Gott anhangt, ist Ein Geist mit ihm« [1. Kor. 6,17].
Wage es also gar niemals, vor deinem Herrn, dem Gotte in dir, etwas zu denken
oder dir vorzustellen, worüber du erröten müßtest, wenn
die Menschen dich hörten oder sähen, — wegen der höchsten
Ehrfurcht, die Gott gebührt. Auch dies ist eine gerechte Forderung, daß
du all dein Sinnen und Denken zu Gott allein erhebest, ihn nur mit der höchsten
Schärfe des Geistes anschauest, wie wenn es nichts anderes gäbe als
ihn allein, und so die Vereinigung mit ihm genießest. Das ist ein vollkommener
Anfang des künftigen Lebens. S. 336-340
Aus: Mystische Texte des Mittelalters. Ausgewählt
und herausgegeben von Johanna Lanczkowski
Reclams Universalbibliothek Nr. 8456 © 1988 Philipp Reclam jun., Stuttgart,
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlags