Maxim Gorki, eigtl. Alexej Maximowitsch Peschkow (1868 – 1936)
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Russischer
Schriftsteller, der sich den Künstlernamen Gorki
(russisch = »der Bittere«) zulegte und 1934 auf dem Kongress des
sowjetischen Schriftstellerverbandes die Doktrin vom
»Sozialistischen Realismus« verkündete, als dessen klassischer Hauptvertreter er seitdem gilt. Das »Nachtasyl«,
aus dem die folgenden Textstellen stammen, ist sicherlich sein dramatisch bedeutungsvollstes Werk.
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Inhaltsverzeichnis
Ich kann die Ketten nicht zersprengen . . .
Der Mensch kann alles, wenn er will . . .
Der Mensch ist die Wahrheit
Man soll den Mensch respektieren
Ich
kann die Ketten nicht zersprengen . . . (Zweiter
Akt)
ANNA. In einem fort denk ich: mein Gott ... soll
ich denn auch dort ... in jener Welt ... solche Qualen erdulden?
LUKA. Nicht doch ... gar nichts wirst du erdulden!
Lieg nur hübsch still ... und sei nicht bange... Ruhe wirst du dort finden!
Dulde noch ein Weilchen ... wir alle müssen dulden, meine Liebe ... jeder
duldet das Leben auf seine Weise. (Er erhebt sicb
und geht mit raschen Scbritten nach der Küche.)
BUBNOW (singt).
»Späht nur, soviel ihr wollt — wie mächtig. . .«
SCHIEFKOPF. »Mich‘s in die Freiheit
auch mag ziehn . . .«
BEIDE (zweistimmig) .»ich
kann die Ketten nicht zersprengen — a—ach! Kann diesen Mauern nicht
entfliehn. . . […]
BUBNOW. »Ach, diese schweren Eisenketten
Und diese Wachen erzbewehrt. . .«
SCHIEFKOPF. Komm, Hassan! (Singend
ab.)
»Ich kann sie nimmermehr durchbrechen...« S.33f.
Der
Mensch kann alles, wenn er will . . . (Zweiter
Akt)
DER SCHAUSPIELER. Früher, als mein Organismus
noch nicht mit Alkohol vergiftet war, hatt‘ ich ein famoses Gedächtnis
... jawohl, Alter! Jetzt ... ist alles zu Ende für mich... Ich hab dieses
Gedicht immer mit großem Erfolge vorgetragen . . . unter frenetischem
Applaus! Du weißt jedenfalls nicht, was das ist. .. Applaus! Das ist wie
Branntwein, Bruder! .. . Wenn ich so vortrat, in dieser Haltung . . . (setzt
sich in Positur) und dann loslegte und ... (er
schweigt). Nichts weiß ich mehr ... nicht ein Wort ... hab
ich behalten! Und es war doch mein Lieblingsgedicht ... ist das nicht schrecklich,
Alter?
LUKA. Freilich ist‘s schlimm ... wenn du
schon vergißt, was dir das Liebste ist! In das, was man liebt, legt man
seine Seele...
DER SCHAUSPIELER. Meine Seele hab ich vertrunken,
Alter... Ich bin ein verlorener Mensch... Und warum bin ich verloren? Weil der
Glaube an mich selbst mir fehlte... Ich bin fertig ...
LUKA. Wieso denn? Laß dich doch kurieren!
Man kuriert jetzt die Trinker, hab ich gehört! Umsonst kuriert man sie,
Bruderherz... Eine Heilanstalt hat man für die Trun¬kenbolde eingerichtet
. . . da werden sie nun, heißt es, unentgeltlich behandelt. Man hat erkannt,
siehst du, daß ein Trunkenbold auch ein Mensch ist, und man ist sogar
froh, wenn einer kommt und sich kurieren lassen will. Beeil dich also! Geh hin
...
DER SCHAUSPIELER (nachdenklich). Wohin?
Wo ist das?
LUKA. In einer Stadt ist‘s ... wie heißt
sie doch? s’ist so ein merkwürdiger Name . . . Na, ich sag dir ihn
noch . . . Nur merk dir eins: mußt dich jetzt schon drauf vorbereiten!
Sei enthaltsam! Nimm dich zusammen – halt aus! . . . Und dann, wenn du
auskuriert bist, fängst du ein neues Leben an . . . ist das nicht schön,
Bruder: ein neues Leben . . . Nun, entschließe dich . . . eins, zwei,
drei!
DER SCHAUSPIELER (lächelt).
Ein neues Leben... ganz von vorn ... ja, das wäre schön!
. . . Meinst du wirklich? Ein neues Leben? (Lacht.)
Na . . . ja! Soll ich‘s versuchen? Ja, ich versuch‘s ...
LUKA. Warum denn nicht? Der
Mensch — kann alles ... wenn er nur will . . . S.36f.
Der
Mensch ist die Wahrheit (Vierter
Akt)
NASTJA (klopft mit ihrem
Glase auf den Tisch auf). Nu möcht‘ ich bloß wissen..,
warum leb ich eigentlich... hier bei euch? Ich will fort von hier... irgendwohin
will ich gehen... bis ans Ende der Welt!
DER BARON. Ohne Schuhe, Lady?
NASTJA. Ganz nackt meinetwegen! Auf allen vieren will ich kriechen!
DER BARON. Das wird ja sehr spaßig aussehen,
Lady . . . so auf allen vieren.
NASTJA. Jawohl, das tu ich! Wenn ich nur deine Fratze nicht mehr zu sehen
brauche. . . Ach, wie mir alles zuwider ist! Das ganze Leben . . . alle Menschen
. . .
SATIN. Wenn du gehst — dann nimm doch den
Schauspieler mit . . . Er will ja auch bald aufbrechen . . . er hat nämlich
in Erfahrung gebracht, daß genau einen halben Kilometer vom Ende der Welt
eine Heilanstalt für Organons existiert
DER SCHAUSPIELER (streckt
den Kopf über den Ofenrand vor). Für Organismen, Schafskopf!
SATIN. Für Organons, die mit Alkohol vergiftet
sind . . .
DER SCHAUSPIELER. Ja! Er wird aufbrechen! Sehr
bald wird er aufbrechen . . . Ihr werdet sehen!
DER BARON. Wer ist dieser »er«, Sire?
DER SCHAUSPIELER. Ich bin‘s!
DER BARON. Merci, mein lieber Jünger der .
. . äh, wie heißt sie doch? Die Göttin des Dramas der Tragödie
. . . wie hieß sie?
DER SCHAUSPIELER. Eine Muse war’s, Schafskopf!
Nicht Göttin, sondern Muse!
SATIN. Lachesis . . . Hera . . . Aphrodite . . . Atropos . . . der Teufel
soll sie alle unterscheiden! Ja . . . unser Musenjünger verläßt
uns also . . . Den Floh hat ihm der Alte ins Ohr gesetzt . . .
DER BARON. Der Alte war ein Nar . . .
DER SCHAUSPIELER. Und ihr seid Wilde! Unwissende
Knoten seid ihr! Wißt nicht mal, wer Melpomene [Muse der Tragödie]
ist. Ihr herzlosen Menschen! Ihr werdet sehen — er verläßt
euch! »Prasset nur, ihr traurigen Gesellen« ... wie es bei Beranger
heißt - ja! Er wird den Ort schon finden . . . wo es nichts mehr. . .
gar nichts mehr. . .
DER BARON. Wo es gar nichts mehr gibt, Sire?
DER SCHAUSPIELER. Ja! Gar nichts mehr! »Die
Höhle hier.., sie wird zum Grab mir werden... Ich sterbe, welk und kraftlos!«
Und ihr... warum lebt ihr nur? Warum?
DER BARON. Hör mal du — Kean oder Genie
und Leidenschaft! Brülle nicht so!
DER SCHAUSPIELER. Halt‘s Maul! Gerade werd
ich brüllen!
NASTJA (hebt den Kopf
vom Tisch empor, fuchtelt mit den Armen in der Luft herum). Immer
schrei zu! Mögen sie‘s hören!
DER BARON. Was hat das für ’nen Sinn,
Lady?
SATIN. Laß sie schwatzen, Baron! HoI sie
der Teufel, alle beide... Mögen sie schreien.. mögen sie sich die
Schädel einrennen … immerzu! Einen Sinn hat‘s schon ... Stör
die Leute nicht, wie der Alte sagte . . . Der Graukopf hat hier alles rebellisch
gemacht.
KLESCHTSCH. Hat alle gelockt . . . irgendwohin
. . . und wußte selber den Weg nicht . . .
DER BARON. Der Alte war ein Scharlatan . . .
NASTJA. ’s ist nicht wahr! Du bist selber ein Scharlatan!
DER BARON. Kusch dich, Lady!
KLESCHTSCH. Von der Wahrheit war er kein Freund,
der Alte . . . Ist immer mächtig über die Wahrheit hergezogen . .
. Schließlich hat er recht . . . Was nützt mir alle Wahrheit, wenn
ich nichts zu beißen habe? Da, seht euch den Fürsten an
(auf den Tataren weisend ). . . Hat sich die Hand zerquetscht bei
der Arbeit . . . jetzt heißt es, sie muß ihm abgenommen werden .
. . Da habt ihr die Wahrheit!
SATIN. (schlägt
mit der Faust auf den Tisch) Still da! Ihr seid dummes Volk, alle
miteinander. Redet bloß nicht von dem Alten! (Ruhiger.) Du, Baron, bist
der Dümmste von allen … hat keinen blauen Schimmer — und schwatzt
doch! Ein Scharlatan soll der Alte sein? Was heißt Wahrheit? Der
Mensch ist die Wahrheit! Das hat er begriffen . . . Ihr aber
nicht! Ihr seid stumpfsinnig wie die Ziegelsteine. Ich versteh ihn ganz gut,
den Alten . . . Er hat wohl geflunkert . . . aber es geschah
aus Mitleid mit euch, weiß der Teufel! Es gibt viele solcher Leute,
die aus Mitleid mit dem Nächsten lügen
... ich weiß es, hab darüber gelesen! Sie lügen so schön,
so begeistert, so wundervoll! Es gibt so trostreiche,
so versöhnende Lügen . . . Eine solche Lüge bringt es
fertig, den Klotz zu rechtfertigen, der die Hand des Arbeiters zermalmt . .
. und den Verhungernden anzuklagen . . . Ich — kenne die Lüge. Wer
ein schwaches Herz hat . . . oder wer sich von fremden Säften nährt
— der bedarf der Lüge. .. Jenem flößt sie Courage ein,
diesem leiht sie ein Mäntelchen . . . Wer aber sein
eigener Herr ist . . . wer unabhängig ist und nicht vom Schweiße
der anderen lebt — was braucht der die Lüge? Die Lüge ist die
Religion der Knechte und Herren. . . die Wahrheit — ist die Gottheit des
freien Menschen!
DER BARON. Bravo: Famos gesagt! Bin ganz deiner
Meinung! Du sprichst . . . wie’n anständiger Mensch!
SATIN. Warum soll nicht ein Gauner mal so reden wie’n anständiger
Mensch — wenn die anständigen Leute so reden wie die Gauner? Ja.
. . ich habe vieles vergessen, aber einiges hab ich doch noch behalten! Der
Alte? Das war ein ganz gescheiter Kopf! Der hat auf mich gewirkt . . . wie Säure
auf eine alte schmutzige Münze . . .Na, Prosit, er soll leben! Gieß
ein ...
(Nastja gießt ein Glas Bier ein und reicht es
Satin.)
SATIN (lächelnd).
Der Alte — der lebt von innen heraus . . . er sieht alles mit seinen eigenen
Augen an . . . Ich fragte ihn einmal: »Großvater,
wozu leben eigentlich die Menschen?«... (Sucht
in Stimme und Bewegung Luka nachzuahmen.) »Die
Menschen? Ei, die leben um des Tüchtigsten willen! Da leben zum Beispiel
die Tischler, wollen wir annehmen — lauter elendes Volk... und mit einemmal
wird aus ihrer Mitte ein Tischler geboren . . . solch ein Tischler, wie ihn
die Welt noch nie gesehen hat; allen ist er über, kein andrer Tischler
ist ihm gleich. Dem ganzen Tischlerhandwerk gibt er ein neues Gesicht . . .
sein eige¬nes Gesicht sozusagen . . . und mit einem Stoß rückt‘s
um zwanzig Jahre vorwärts . . . Und so leben auch alle andern . . . die
Schlosser und die Schuhmacher, und alle übrigen Arbeitsleute . . . auch
die Bauern . . . und sogar die Herren — nur um des Tüchtigsten willen!
Jeder denkt, er sei für sich selbst auf der Welt, und nun stellt sich‘s
heraus, daß er für jenen da ist . . . für den Tüchtigsten!
Hundert Jahre. . . oder vielleicht noch länger . . . leben sie so, für
den Tüchtigsten!«
(Nastja hlickt Satin starr ins Gesicht. Kleschtsch
hört auf an der Harmonika zu arheiten, und hört gleichfalls zu. Der
Baron läßt den Kopf sinken und trommelt mit den Fingern auf dem Tische.
Der Schauspieler streckt den Kopf üher den Ofenrand vor und sucht vorsichtig
auf die Pritsche herunterzuklettern.)
SATIN (fortfahrend).
»Alle, mein Lieber, alle leben einzig um des Tüchtigsten
willen! Darum sollen wir auch jeden Menschen respektieren . . . Wissen wir doch
nicht, wer er ist, wozu er geboren wurde, und was er noch vollbringen kann .
. . vielleicht wurde er uns zum Glück geboren . . . zu großem Nutzen
. . . Ganz besonders aber müssen wir die Kinder respektieren . . . die
kleinen Kinderchen! Die Kinderchen müssen Freiheit haben . . . Laßt
die Kinder sich ausleben . . . respektiert die Kinder!« (Lacht
still für sich.)
(Pause)
DER BARON (nachdenklich).
Für den Tüchtigsten . . . S.82ff.
Man
soll den Mensch respektieren (Vierter
Akt)
SATIN. Wenn ich angeheitert bin.., gefällt
mir alles. Hm—ja . . . Er betet? Sehr schön von ihm! Der Mensch kann
glauben oder nicht glauben . . . das ist seine Sache!
Der Mensch — ist frei . . . er hat selbst für alles aufzukommen:
für seinen Glauben, seinen Unglauben, seine Liebe, seine Vernunft. Der
Mensch trägt selbst die Kosten für alles, und darum ist er —
frei! . . . Der Mensch — ist die Wahrheit! Was heißt überhaupt
»Mensch«? Das bist nicht du, und nicht ich bin‘s, und nicht
sie sind es... nein! Sondern du, ich, sie, der alte Luka,
Napoleon, Muhammed. . . alle miteinander
sind es! (Zeichnet in der Luft die Umrisse einer menschlichen
Gestalt.) Verstanden! Das ist — etwas ganz Großes! Das
ist etwas, worin alle Anfänge stecken und alle Enden... Alles im Menschen,
alles für den Menschen. Nur der Mensch allein existiert, alles übrige
— ist das Werk seiner Hände und seines Gehirns! Der M—ensch!
Einfach großartig! So erhaben klingt das! M—men—nsch! Man
soii den Menschen respektieren! Nicht bemitleiden . . .
nicht durch Mitleid erniedrigen soll man ihn . . . sondern respektieren! Trinken
wir auf das Wohl des Menschen, Baron! Wie schön ist‘s doch —
sich als Mensch zu fühlen! Ich . . . bin ein ehemaliger Sträfling,
ein Totschläger, ein Falschspieler . . . na ja! Wenn ich auf der Straße
gehe, gucken die Leute mich an, als wär‘ ich der ärgste Spitzbube
. . . sie gehen mir aus dem Wege, sie starren hinter mir her . . . und öfters
sagen sie zu mir: Halunke! Windbeutel! Warum arbeitest du nicht? . . . Arbeiten?
Wozu? Um satt zu werden? (Lacht laut auf.) Ich habe die Menschen immer verachtet,
die um das Sattwerden gar zu besorgt sind. Nicht darauf kommt‘s an, Baron!
Nicht darauf! Der Mensch ist die Hauptsache! Der Mensch steht höher als
der satte Magen! (Erhebt sich von seinem Platze.)
DER BARON (schüttelt den Kopf). Du
denkst nach über die Dinge . . . Das ist vernünftig . . . das wärmt
dir das Herz an . . . Mir ist‘s nicht gegeben. (Sieht sich vorsichtig
um und fährt leise fort.) Ich fürchte mich manchmal, Bruder . . .
verstehst du! Ich verlier den Mut, denn ich sage mir: Was weiter?
SATIN (geht auf und ab). Dummes
Zeug! Vor wem soll der Mensch sich fürchten?
DER BARON. So weit ich zurückdenken kann,
siehst du . . . war s mir immer, als ob ein Nebel auf meinem Gehirn läge.
Ich wußte nie recht, was mit mir los war . . . ich fühlte mich immer,
als ob ich mein Leben lang mich nur an- und ausgezogen hätte . . . warum?
Keine Ahnung! Ich habe gelernt . . . habe die Uniform des adeligen Instituts
getragen . . . aber was habe ich gelernt? Keine Ahnung . . . Ich habe geheiratet
— zog einen Frack an, dann einen Schlafrock . . . nahm mir ein Scheusal
von Weib — warum? Keine Ahnung . . . Ich hab alles durchgebracht, was
da war — und trug ein schäbiges graues Jackett und fuchsige Hosen...
aber wie ich eigentlich auf den Hund gekommen bin? Nicht die blasse Ahnung .
. . Ich wurde beim Kameralhof angestellt . . . bekam eine Uniform, eine Mütze
mit Kokarde . . . ich unterschlug amtliche Gelder . . . zog den Sträflingskittel
an . . . dann — zog ich das hier an . . . Und alles . . . geschah wie
im Träume . . . lächerlich, was?
SATIN. Nicht sehr . . . Ich find‘s eher dumm
. . .
DER BARON. Ja . . . auch mir scheint es dumm .
. . Aber irgendeinen Zweck muß es doch haben, daß
ich geboren wurde . . . wie?
SATIN (lacht). Schon möglich . . .
Der Mensch wird um des Tüchtigsten willen geboren!
(Nickt mit dem Kopfe.) Stimmt .
. . ausgezeichnet!
DER BARON. Diese . . . Nastja
. . . Läuft einfach fort . . . will doch mal sehen, wo sie steckt!
Es ist doch immer... (Ab. Pause.)
DER SCHAUSPIELER. Du, Tatar! (Pause.)
Fürst!
(Der Tatar wendet den Kopf nach ihm um.)
DER SCHAUSPIELER. Bete für mich . . .
DER TATAR. Was willst du?
DER SCHAUSPIELER (leise).
Beten sollst du . . . für mich!
DER TATAR (nach kurzem Schweigen).
Bete doch selber...
DER SCHAUSPIELER
(klettert rasch vom Ofen herunter, tritt an den Tisch heran, gießt sich
mit zitternder Hand ein Glas Branntwein ein, trinkt und geht hastig, fast laufend
in den Hausflur). Jetzt geh ich!
SATIN. He — du, Sigambrer! Wohin?
(Er pfeift.)
(Medwedew, in einer wattierten
Frauenjacke, und Bubnow kommen herein — beide
ein wenig angeheitert. Bubnow trägt in der einen Hand ein Bund Brezeln,
in der andern ein paar geräucherte Fische, unter dem Arm eine Flasche Branntwein,
in der Rocktasche eine zweite.)
MEDWEDEW. Das Kamel ist . . . ’ne Art Esel, sozusagen. Nur daß
es keine Ohren hat . . .
BUBNOW. Hör endlich auf! Bist selber —
eine Art Esel. S.89ff.
Aus: Maxim Gorki, Nachtasyl. Szenen aus der Tiefe in vier Akten. Übersetzung
und Nachwort von August Scholz. Reclams Universalbibliothek Nr. 7671, ©
1957 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlages