Dietrich Bonhoeffer (1906 –1945 hingerichtet)

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Der Ganzheits- und Ausschließlichkeitsanspruch Christi
Nachfolge


Der Ganzheits- und Ausschließlichkeitsanspruch Christi

»Wer nicht wider uns ist, der ist für uns« (Mk9,40). Christus zieht die Grenzen der Zugehörigkeit zu ihm weiter, als es seine Jünger wünschen und tun. Hier im konkreten Fall, auf den sich das Wort Jesu bezieht, handelt es sich um einen Menschen, der, ohne persönlich Jünger und Nachfolger zu sein, mit dem Namen Jesu Teufel austreibt. Jesus verbietet den Jüngern, ihm das zu verwehren; denn »niemand, der in meinem Namen eine Wundertat tut, mag mich alsbald schmähen« (Mk9,39). Wo der Name Jesu noch genannt wird — sei es in Unwissenheit, sei es nur in der Erkenntnis seiner objektiven Gewalt, ohne dass der persönliche Gehorsam folgt, sei es stammelnd und verlegen —, dort schafft sich dieser Name selbst einen Raum, zu dem die Schmähung Jesu keinen Zutritt hat, dort ist noch ein Bereich der Macht Christi, dort soll man nicht hindernd eingreifen, sondern den Namen Jesu Christi wirken lassen. Es ist eine Erfahrung unserer Tage, dass allein der ausgesprochene Name Jesu eine ungeahnte Gewalt ausübt, und die Mühe, diesen Namen über die Lippen zu bringen, mag mit einer Ahnung der ihm innewohnenden Gewalt zusammenhängen. Wo der Name Jesu Christi genannt wird, dort ist Schutz und Anspruch. Das gilt für alle die Menschen, die in ihrem Kampf um Recht, Wahrheit, Menschlichkeit und Freiheit wieder den Namen Jesu Christi zu nennen gelernt haben, wenn auch vielfach zögernd, in echter Scheu. Dieser Name gewährt ihnen und den hohen Gütern, für die sie einstehen, Schutz, er ist zugleich der Anspruch auf diese Menschen und auf diese Güter.

»Wer nicht für mich ist, der ist wider mich«
(Mt 12,30). Es ist derselbe Jesus, der dieses Wort spricht, und während für die Abstraktion hier ein unauflöslicher Widerspruch klafft, gehören in Wirklichkeit beide Sätze Jesu notwendig zusammen. Wir haben auch hier wieder die lebendige Erfahrung für uns: als sich unter dem Druck antichristlicher Gewalten klare bekennende Gemeinden sammelten, die in strenger Zucht der Lehre und des Lebens eine klare Entscheidung für oder wider Christus suchen mußten, als diese in den Kampf gestellten bekennenden Gemeinden gerade in der Neutralität vieler Christen die allergrößte Gefahr der inneren Zersetzung und Auflösung der Kirche, ja die eigentliche Christusfeindschaft erkennen mussten, als die Ausschließlichkeit der Forderung eines klaren Christusbekenntnisses die Schar der bekennenden Christen immer kleiner werden ließ, als also das Wort: »Wer nicht für mich ist, der ist wider mich« für die christliche Gemeinde konkrete Erfahrung wurde —, da empfing sie gerade durch diese Konzentration auf das Wesentliche eine innere Freiheit und Weite, die sie vor allen ängstlichen Grenzziehungen bewahrte, da sammelten sich um sie Menschen, die aus weiter Ferne kamen und denen sie ihre Gemeinschaft und ihren Schutz nicht versagen konnte, da fragte das verletzte Recht, die unterdrückte Wahrheit, die erniedrigte Menschlichkeit, die vergewaltigte Freiheit nach ihr oder vielmehr nach ihrem Herrn, Jesus Christus, da wurde ihr das andere Wort Jesu zur lebendigen Erfahrung:»Wer nicht wider uns ist, der ist mit uns.«

Beide Worte gehören notwendig zusammen, das eine als der Ausschließlichkeitsanspruch, das andere als der Ganzheitsanspruch Jesu Christi. Je ausschließlicher, desto freier. Der isolierte Ausschließlichkeitsanspruch aber führt zu Fanatismus und Sklaverei, der isolierte Ganzheitsanspruch zur Verweltlichung und Selbstpreisgabe der Kirche. Je ausschließlicher wir Christus als unseren Herrn erkennen und bekennen, desto mehr enthüllt sich uns die Weite seines Herrschaftsbereiches.


Es ist nun keine metaphysische Spekulation, kein Theologumenon
[theologischer Lehrsatz] vom »Logos spermatikos«. sondern es ist das konkrete Erleiden der Rechtlosigkeit, organisierten Lüge, der Menschenfeindlichkeit und Gewalttat, es ist die Verfolgung des Rechts, der Wahrheit, der Menschlichkeit, der Freiheit, wodurch Menschen, denen diese Güter teuer waren, in den Schutz Jesu Christi und damit unter seinen Anspruch getrieben wurden und wodurch die Gemeinde Jesu Christi die Weite ihrer Verantwortung erfuhr. Nicht ruhige, stetige Machtentfaltung des Namens Christi, wie sie uns das Mittelalter darstellt, aber auch nicht der Versuch, den Namen Jesu Christi durch Verbindung mit menschlichen Namen und Gütern vor der Welt zu rechtfertigen, zu Ohren zu bringen, zu verzieren, wie es die Apologeten der ersten christlichen Jahrhunderte unternehmen, sondern dieses im Leiden erwachte und geschenkte Wiedererkennen des Ursprungs, die unter Verfolgung geschehene Flucht zu Christus ist es, unter der sich uns heute das Verhältnis von Kirche und Welt darstellt. Nicht Christus muß sich durch die Anerkennung der Güter des Rechtes, der Wahrheit, der Freiheit vor der Welt rechtfertigen, sondern diese Güter sind es, die der Rechtfertigung bedürftig geworden sind, und ihre Rechtfertigung heißt allein Jesus Christus. Nicht eine ,,christliche Kultur“ muß den Namen Jesu Christi vor der Welt noch akzeptabel machen, sondern der gekreuzigte Christus ist Zuflucht, Rechtfertigung, Schutz und Anspruch geworden für die ins Leiden gekommenen höheren Güter und ihre Verfechter. Es ist der in seiner Gemeinde verfolgte und leidende Christus, bei dem Recht und Wahrheit und Menschlichkeit und Freiheit Zuflucht suchen; es ist der in der Welt keine Herberge findende, aus der Welt verstoßene Christus der Krippe und des Kreuzes, in dessen Schutz man flieht und der so die ganze Weite seiner Macht erst offenbart. Das Kreuz Christi macht beide Worte wahr: »Wer nicht für mich ist, der ist wider mich«; »wer nicht wider uns ist, der ist für uns«.
Aus: Dietrich Bonhoeffer, Ethik. Zusammengestellt und herausgegeben von Eberhard Bethge – 7. Aufl. - (S. 61-63)
© 1949. Chr. Kaiser Verlag
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Nachfolge
Nachfolge ist Bindung an Christus; weil Christus ist, darum muß Nachfolge sein. Eine Idee von Christus, ein Lehrsystem, eine allgemeine religiöse Erkenntnis von der Gnade oder Sündenvergebung macht Nachfolge nicht notwendig, ja schließt in Wahrheit aus, ist der Nachfolge feindlich. Zu einer Idee tritt man in ein Verhältnis der Erkenntnis, der Begeisterung. vielleicht auch der Verwirklichung, aber niemals der persönlichen gehorsamen Nachfolge. Ein Christentum ohne den lebendigen Jesus Christus bleibt notwendig ein Christentum ohne Nachfolge, und ein Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum ohne Jesus Christus; es ist Idee, Mythos. Ein Christentum, in dem es nur den Vatergott, aber nicht Christus als lebendigen Sohn gibt, hebt die Nachfolge geradezu auf. Hier gibt es Gottvertrauen, aber nicht Nachfolge. Allein weil der Sohn Gottes Mensch wurde, weil er Mittler ist, ist Nachfolge das rechte Verhältnis zu ihm. Nachfolge ist gebunden an den Mittler, und wo von Nachfolge recht gesprochen wird, dort wird von dem Mittler Jesus Christus, dem Sohn Gottes gesprochen. Nur der Mittler, der Gottmensch kann in die Nachfolge rufen.

Nachfolge ohne Jesus Christus ist Eigenwahl eines vielleicht idealen Weges, vielleicht eines Märtyrerweges, aber sie ist ohne Verheißung. Jesus muß sie verwerfen . . .

Aus: Bonhoeffer, Dietrich: Lesebuch Dietrich Bonhoeffer. Hrsg. von Eberhard Bethge – 5. Aufl. –
(Kaiser-Taschenbücher; 11, S. 57
©
Chr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1951
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