Salomo Ludwig Steinheim (1789 – 1866)
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Deutschjüdischer Arzt, Dichter und Religionsphilosoph, der seine religionsphilosophischen Ansichten in dem vierbändigen Werk »Offenbarung nach dem Lehrbegriff der Synagoge« schildert. Danach beruht die religiöse Wahrheit ausschließlich auf Offenbarung. Seiner Auffassung nach ist die Vernunft nicht fähig, die religiöse Wahrheit zu erkennen. Erstaunlicherweise kommt Steinheim trotz seiner antirationalistischen Gedanken im Wesentlichen zu den gleichen Glaubensinhalten, die Immanuel Kant mit Gott, Freiheit und Unsterblichkeit umschreibt. Siehe auch Wikipedia |
Die Offenbarung
nach dem Lehrbegriff der Synagoge: Offenbarung (I
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Offenbarung ist ein großes, ehrwürdiges Wort, das auf ein zwiefaches
Heiligtum hindeutet: auf die Vorsehung in all ihrer Gnade und Barmherzigkeit und auf eine Menschenepoche, die jenes Unterrichts, jener Mitteilung gewürdigt
ward und würdig war. Das Wort Offenbarung ist so groß und so ehrwürdig,
dass selbst derjenige, welcher es durch die Tat entweiht oder zerstört,
noch glaubt, es in seiner Hülle, wie den Leichnam eines erschlagenen großen
Helden, schonen und ehren zu müssen. Allein gerade hier liegt der erste
Grund der Schwierigkeiten, jene unsere Frage zu lösen. Hätten die
Männer, die sich vom Vorhandensein einer solchen Tatsache nicht überzeugen,
sich ihres Inhalts nicht vergewissern konnten, mit wackerer Entschlossenheit
gegen die Annahme derselben protestiert und hätten sie es nicht vorgezogen,
statt dessen das Wort selbst stehenzulassen, aber an seinem Sinne so lange zu
nagen und zu drehen, bis man, getäuscht, zwar das Wort, allein mit anderem
Gehalte, gleichsam noch die Larve, eine ausgekernte Fruchtschale und schale
Frucht, zurückbehielt: es stände um diese Angelegenheit um vieles
besser! . . .
Den eigentlichen Begriff, die wahre Wortbedeutung, hat man verworfen und an
die Sache selbst seit langem nicht mehr geglaubt; und weil das Wort ein so althergebrachtes,
so weit in die Vorzeit hineinragendes war, dass man es nicht füglich
abzuschaffen wagen mochte, so hat man es, nach dem System einer fortschreitenden
religiösen Entwicklung des Gefühls, des menschlichen Bewusstseins,
ausgebalgt, und der ausbälgende Verstand ist selbst hineingekrochen und
hat es mit sich selbst aufgeblasen, getrocknet, aufgestellt oder wie die bekannte
Löwenhaut umgenommen, es mit ein Paar Glasaugen versehen. Und in solcher
Gestalt mit affektierter Heiligkeit und mit einem widerwärtigen Scheinleben
treffen wir es in den theologischen und philosophischen Kunstkabinetten aller
Zeiten bis auf den heutigen Tag . . .
Wenn man vielerlei Offenbarung nennt, das nichts weniger als eine solche ist,
dann ist es nicht eine Kleinigkeit, die wirkliche Offenbarung ihren Charakteren
nach genau zu bestimmen, um sie danach, fände man sie tatsächlich,
anzuerkennen, sondern vielmehr eine Sache von höchster Bedeutung.
Nennt man ferner vielerlei Offenbarung, was nichts weniger als offenbart ist,
dann hat man nicht leichtes Werk, selbige zum Seinigen zu machen, was sie schon
ist, und anzuerkennen, was man schon im voraus getan hat; sondern vielmehr eine
der verräterischsten Verleugnungen aller und jeder Offenbarung zu bekämpfen;
weil eben derselbe, der die Wahrheit und das Dasein der wirklichen Offenbarung
uns bestätigen will, uns etwas ganz anderes, eine falsche Münze mit
täuschendem Gepräge, in die Hand steckt und in unserm Unternehmen
einen Kampf veranlasst, einen Gegner zu entwaffnen und zu besiegen, der
sich das Ansehn gibt, als stände er mit in unserer Reihe und föchte
unter derselben Fahne. Dadurch wird das schließliche Geschäft der
Nachweisung einer Offenbarung in der Tat unnötigerweise erschwert und verweitläufigt.
Dagegen hat denn aber diese verdoppelte Schwierigkeit wieder ihr Gutes. Sie
trägt nämlich den unschätzbaren Vorteil in sich, dass sie,
indem sie zugleich das Maß und die Form des Schiboleth für die Offenbarung an die Nicht-Offenbarung anlegt, nunmehr auch dieser
Trug- und Luggestalt den letzten Schimmer von wahrem Sein entzieht und dieselbe
wie einen bösen Schrecken verschwinden heißt . . .
Die Offenbarung, ist sie anders weder Täuschung
noch Betrug, soll uns Menschen ganz neue Dinge lehren
von Gott und seinen Werken. Sie soll uns
neue Aufschlüsse geben über unsere Bestimmung, über unsere
Seele und ihre Kräfte; sie soll uns Belehrung mitteilen über das Werden aller Dinge und über ihren inneren Zusammenhang miteinander. Insoweit
die Offenbarung Gotteslehre, eine neue Verkündigung
Gottes von ihm und über sich selbst (nicht von ihm als bloßem Autor, sondern auch über ihn als Gegenstand
derselben) ist, macht sie sich anheischig, den Menschen von einem Gotte
zu unterweisen, der unserem Geist ein ganz neuer Gott ist; von einem höchsten
Geiste, der von der Seele des Menschen, außerhalb dieses Aufschlusses
von außen her und ohne diese Nachricht, nicht entdeckt und nicht erdacht
werden kann. Weder durch Reflexion noch durch Erfahrung
oder irgendein mögliches Mittel, mit welchem der Geist des Menschen andere
Wahrheiten in sich und aus sich entwickelt, soll diese Lehre der Offenbarung
erklärlich sein; sondern sie soll der Art sein, dass sie dem Menschen
nur durch ein vernehmliches Wort von außen, durch das
Ohr, zugekommen sein kann. Während durch eine bloß innere
Wahrnehmung und ein inneres Vernehmen kein äußerlich als Objekt uns
Gegebenes, uns gegenüber Vorhandenes erscheint, sondern, im Kreise, das
Vernehmende auch das Vernommene ist und nur ein möglicherweise inneres
Scheinobjekt, ein Gegenbild des Bildenden, eine Selbstanschauung des schauenden,
endlichen, beschränkten Geistes im Menschen zustande kommt. S.343ff.
Aus: Jüdischer Glaube, Eine Auswahl aus zwei Jahrtausenden. Herausgegeben
von Wilhelm Jerusalem, Verlag Schibli-Doppler, Birsfelden-Basel