Maulana Dschelaladdin Rumi (1207 - 1273)

In Afghanistan geborener islamischer Mystiker und persischer Dichter. Rumi ist der Sohn eines bedeutenden mystischen Theologen, der sich mit seiner Familie in Anatolien (Rum, daher sein Beiname Rumi) niederließ. Im Alter von 35 Jahren begegnete er dem Sufi Schamsuddin von Tabriz, der sein geistiger Lehrmeister und »mystischer Geliebter« wurde. Unter dem Einfluss Schams wandte sich Rumi von den Wissenschaften ab und widmete sich ganz der Mystik. Er gründete den Orden der Maulawi, der tanzenden Derwische. Auf Bitten seines Lieblingsschüler Husamuddin verfasste er sein Hauptwerk »Masnawi«, ein tiefgründiges mystisches Lehrgedicht, das von den Sufis als »der Koran in persischer Zunge« gepriesen wird. Kaum ein anderes Werk der mystischen Literatur hat so viele Kommentare erfahren wie dieses Gedicht, das in über 25000 Versen eine wahre Enzyklopädie der Mystik darstellt. Es ist jedoch keine systematische Zusammenfassung mystischer Theorien, sondern der spontane Ausdruck mystischer Erfahrungen in immer wechselnden Bildern, Anekdoten, Geschichten, die oftmals unauflöslich miteinander verwoben sind.

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Siehe auch Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis

Der Gottesmann
Nicht-Sein war es und ward zum Sein —
Liebesberauscht


Der Gottesmann
Der Gottesmann ist trunken ohne Wein,
Der Gottesmann wird satt ohn‘ Speise sein.
Der Gottesmann ist stets verzückt, verwirrt,
Dem Gottesmann ist Schlaf und Hunger Schein.
Der Gottesmann ist in der Kutte Schah,
Der Gottesmann ist Schatz in Schutt und Stein.
Der Gottesmann ist nicht aus Wind noch Staub,
Der Gottesmann ist nicht aus Feuerschein.
Der Gottesmann ist unbegrenztes Meer,
Der Gottesmann schenkt Perlen von allein.
Der Gottesmann hat hundert Mond‘ und Stern‘,
Der Gottesmann hat hundert Sonnen rein.
Der Gottesmann ward wissend nur durch Gott;
Der Gottesmann weiß nicht aus Bücherreih‘n.
Der Gottesmann ist jenseits Sünd‘ und Recht,
Dem Gottesmann ist Glaub‘ und Unglaub‘ klein.
Der Gottesmann, er ritt vom Nichtsein fort,
Der Gottesmann zieht hoch zu Roß nun ein.
Der Gottesmann ist, Schamsuddin, versteckt;
Den Gottesmann such du und find ihn fein!

Aus: Dschelaladdin Rumi, Aus dem Diwan, Unesco Sammlung representativer Werke, Asiatische Reihe
Aus dem Persischen übertragen und eingeleitet von Annemarie Schimmel
Reclams Universalbibliothek Nr. 8911 (S. 17 )
© 1964 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages

Nicht-Sein war es und ward zum Sein —
Lange blieb hingewandt mein Ohr:
denn es erwartete sehnlich,
Wollte dem Ruf von Wo-kein-Ort
gerne lauschen mit Schweigen.
Längst schon gewöhnte sich das Ohr,
das süße Klänge trinkt,
Daß es aus Himmel- und Erdenreich
höre den Klang zum Reigen!
Ein Zweig vom Himmelstanze ist
nur aller Reigen auf Erden,
Und von dem Seelentanze sind
Tänze des Lebens gleich Zweigen!
Du höre auf den Donnerhall,
wie auf die Bäume er wirket —
Knospen und Früchte müssen sich
klagend zur Erde neigen.
Hallte ein Ruf im Nicht-Sein: da
sagte das Nicht-Sein: ,,Gewiß,
Ich setz den Fuß in jenes Land,
froh, grün und frisch mich zu zeigen.“
Es hörte Gottes Urzeit-Ruf,
tanzend ward es und berauscht,
Nicht-Sein war es und ward zum Sein —
Herzen und Tulpen und Feigen!

Aus: Dschelaladdin Rumi, Aus dem Diwan, Unesco Sammlung representativer Werke, Asiatische Reihe
Aus dem Persischen übertragen und eingeleitet von Annemarie Schimmel
Reclams Universalbibliothek Nr. 8911 (S. 61 )
© 1964 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages

Liebesberauscht
Was soll ich tun, o ihr Muslims? Ich kenne mich selber nicht:
Ich bin weder Christ noch Jude, auch Parse und Muslim nicht;
Vom Osten nicht, noch vom Westen, vom Festland nicht, noch vom Meer,
Nicht stamm ich vom Schoße der Erde und nicht aus des Himmels Licht.
Ich bin nicht aus Staub oder Wasser, aus Feuer nicht, noch aus Wind,
Vom Sein nicht, vom Werden, vom Thron nicht, nicht saß ich auf Teppichen schlicht.
Nicht Indien hat mich geboren, nicht China, Saqsin und Bulghar,
Nicht gegen Iraq noch das Ostland erkenne ich Sohnespflicht.
Rizwän nicht noch Eden, noch Hölle ist heimatlich mir vertraut,
Das Diesseits nicht noch das Jenseits, noch Adams und Evas Gesicht.
Mein Ort ist da, wo kein Ort ist, mein Zeichen ist ganz ohne Mal,
Nicht Körper bin ich noch Seele — ein Glanz nur von Seinem Licht.
Die Zweiheit hab ich verworfen, ich sah in zwei Welten nur eins:
Ich suche und kenne und rufe nur Ihn, bis das Auge mir bricht.
Er ist der Erste und Letzte, ist Schale und ist der Kern.
In allem — außer O Gott, Er!« — an Kenntnis es mir gebricht.
Die beiden Welten entglitten der Hand des Trunkenen leicht:
Ich leiste auf alles andre als Tollheit und Zechen Verzicht!
O Herr, war ich einmal im Leben nur einen Hauch ferne von dir,
So trage ich ob dieses Hauches mein Lebtag der Reue Gewicht!
Und sollte ich eines Tages mit Dir mich vereinen, mein Freund,
So liegt unter meinen Füßen tief drunten der zwei Welten Schicht.
O Schamsi Täbriz, sieh, so trunken und liebesberauscht bin ich hier,
Daß ich außer Rausch und Vergnügen Geschichte nicht weiß noch Gedicht!

Aus: Dschelaladdin Rumi, Aus dem Diwan, Unesco Sammlung representativer Werke, Asiatische Reihe
Aus dem Persischen übertragen und eingeleitet von Annemarie Schimmel
Reclams Universalbibliothek Nr. 8911 (S. 61-62 )
© 1964 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages