Eduard Mörike (1804 – 1875)

  Deutscher Dichter, der nach dem Besuch der protestantischen Klosterschule in Urach, von 1822 - 26 im Tübinger Stift studierte, wo er Freundschaft mit David Friedrich Strauß und Friedrich Theodor Vischer schloss. Nach verschiedenen Vikariaten war Mörike 1834 - 43 Pfarrer in Cleversulzbach. 1844 wechselte er nach Mergentheim. Von 1851 - 66 lehrte er Literatur am Stuttgarter Katharinen-Stift. Seit 1866 lebte er zurückgezogen in Lorch, Nürtingen, zuletzt wieder in Stuttgart. — In Mörikes Gedichten vereint sich der Klangreichtum des Volkslieds mit Goethescher Gegenständlichkeit und antiker Formenklarheit, in der sich (dennoch) die romantische Behaglichkeit der Biedermeierzeit eindeutig widerspiegelt. So verbinden sich in seinen Gedichten Schönheit und Wirklichkeit, Kunst und Leben in einem einzigartigen, unauflösbaren Spannungsverhältnis. Mörikes Gedichte wurden häufig vertont (u. a. von Johannes Brahms, Robert Schumann).

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Inhaltsverzeichnis
Gesang Weylas, Gefunden, Gebet, Die Elemente


Gesang Weylas
Du bist Orplid, mein Land!
Das ferne leuchtet;
Vom Meere dampfet dein besonnter Strand
Den Nebel, so der Götter Wange feuchtet.

Uralte Wasser steigen
Verjüngt um deine Hüften, Kind!
Vor deiner Gottheit beugen
Sich Könige, die deine Wärter sind.

Gefunden
Zeus, um die Mitte zu finden vom Erdkreis, den er beherrschte,
Wußte den sinnigsten Rat; kindliche Dichtung erzählts:
Adler, ein Paar, von Morgen den einen, den andern von Abend,
Ließ er fliegen, zugleich, gegeneinander gekehrt.
Wo sie alsdann, gleichmäßiger Kraft mit den Fittigen strebend,
Trafen zusammen, da fand, was er verlangte, der Gott.
So, wo die Weisheit sich und die Schönheit werden begegnen,
Stellet den Dreifuß keck, bauet den Tempel nur auf!

Gebet
Herr! schicke, was du willt,
Ein Liebes oder Leides;
Ich bin vergnügt, daß beides
Aus Deinen Händen quillt.

Wollest mit Freuden
Und wollest mit Leiden
Mich nicht überschütten!
Doch in der Mitten
Liegt holdes Bescheiden.

Die Elemente
Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf,
dass die Kinder Gottes offenbar werden
Paulus a. d. Röm. 8,19

Am schwarzen Berg da steht der Riese,
Steht hoch der Mond darüber her;
Die weißen Nebel auf der Wiese
Sind Wassergeister aus dem Meer:
Ihrem Gebieter nachgezogen
Vergiften sie die reine Nacht,
Aus deren hoch geschwungnem Bogen
Das volle Heer der Sterne lacht.

Still schaut der Herr auf seine Geister,
Die Faust am Herzen fest geballt;
Er heißt der Elemente Meister,
Heißt Herr der tödlichen Gewalt;
Ein Gott hat sie ihm übergeben,
Ach, ihm die schmerzenreichste Lust!
Und namenlose Seufzer heben
Die ehrne, göttergleiche Brust.

Die Keule schwingt er jetzt, die alte,
Vom Schlage dröhnt der Erde Rund,
Dann springt durch die gewaltge Spalte
Der Riesenkörper in den Grund.
Die fest verschloßnen Feuer tauchen
Hoch aus uraltem Schlund herauf,
Da fangen Wälder an zu rauchen,
Und prasseln wild im Sturme auf.

Er aber darf nicht still sich fühlen,
Beschaulich im verborgnen Schacht,
Wo Gold und Edelsteine kühlen,
Und hellen Augs der Elfe wacht:
Brünstig verfolgt er, rastlos wütend,
Der Gottheit grauenvolle Spur,
Des Busens Angst nicht überbietend
Mit allen Schrecken der Natur.

Soll er den Flug von hundert Wettern
Laut donnernd durcheinander ziehn,
Des Menschen Hütte niederschmettern,
Aufs Meerschiff sein Verderben sprühn,
Da will das edle Herz zerreißen,
Da sieht er schrecklich sich allein;
Und doch kann er nicht würdig heißen,
Mit Göttern ganz ein Gott zu sein.

Noch aber blieb ihm eine Freude,
Nachdem er Land und Meer bewegt,
Wenn er bei Nacht auf öder Heide
Die Sehnsucht seiner Seele pflegt.
Da hängen ungeheure Ketten
Aus finstrem Wolkenraum herab,
Dran er, als müßten sie ihn retten,
Sich schwingt zum Himmel auf und ab.

Dort weilen rosige Gestalten
In heitern Höhen, himmlisch klar,
Und fest am goldnen Ringe halten
Sie schwesterlich das Kettenpaar;
Sie liegen ängstlich auf den Knieen
Und sehen sanft zum wilden Spiel,
Und wie sie im Gebete glühen,
Löst, wie ein Traum, sich sein Gefühl.

Denn ihr Gesang tönt mild und leise,
Er rührt beruhigend sein Ohr:
O folge harmlos deiner Weise,
Dazu Allvater dich erkor!
Dem Wort von Anfang muß du trauen,
In ihm laß deinen Willen ruhn!
Das Tiefste wirst du endlich schauen,
Begreifen lernen all dein Tun.

Und wirst nicht länger menschlich hadern,
Wirst schaun der Dinge heilge Zahl,
Wie in der Erde warmen Adern,
Wie in dem Frühlingssonnenstrahl,
Wie in des Sturmes dunkeln Falten
Des Vaters göttlich Wesen schwebt,
Den Faden freundlicher Gewalten,
Das Band geheimer Eintracht webt.

Einst wird es kommen, daß auf Erden
Sich höhere Geschlechter freun,
Und heitre Angesichter werden
Des Ewigschönen Spiegel sein,
Wo aller Engelsweisheit Fülle
Der Menschengeist in sich gewahrt,
In neuer Sprachen Kinderhülle
Sich alles Wesen offenbart.

Und auch die Elemente mögen,
Die gottversöhnten, jede Kraft
In Frieden auf und nieder regen,
Die nimmermehr Entsetzen schafft;
Dann, wie aus Nacht und Duft gewoben,
Vergeht dein Leben unter dir,
Mit lichtem Blick steigst du nach oben,
Denn in der Klarheit wandeln wir.

Aus: Eduard Mörike, Gedichte. Auswahl und Nachwort von Bernhard Zeller (S.52, S88ff.)
Reclams Universalbibliothek Nr. 7661, © 1977 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages