Joseph Maria Hoené-Wronski (1778 – 1853)
Polnischer Mathematiker und Philosoph,
der Schöpfer des Wortes und Begriffes »Messianismus« war.
In ihm hat diese Lehre auch ihre vollendetste Ausprägung erfahren. Er lebte als Emigrant in Paris und schrieb ausschließlich französisch.
Messianismus bedeutete für ihn geistige Gesundung der gesamten Menschheit durch Erkenntnis des Absoluten. Der Mensch soll alle das Leben bedrohenden
Gegensätze überwinden und gottähnliche Schöpferkraft erlangen. Mystisches und rational-kritisches Denken kommt in Wronski zu
einer überzeugenden Synthese. Die nationalistische Verengung seiner
messianistischen Lehre durch Adam Mickiewicz und andere empfand er als Profanierung. Siehe auch Wikipedia |
Selbstschöpfung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ursprüngliche
Heterogenität von Wissen und Sein das Prinzip eben jener Heterogenität ist, die zwischen dem Wahren und dem Guten statt hat, und diese wiederum das
Prinzip der Heterogenität, die zwischen den beiden Parteiungen besteht:
der des göttlichen und der des menschlichen Rechtes. Sie machen die soziale
Antinomie der fünften Periode aus . . . In der systematischen und finalen
Identität zwischen dem Prinzip des Seins und dem des Wissens, im Absoluten
selbst, haben wir den Punkt der Versöhnung der beiden heterogenen Prinzipien
des Universums gefunden . . .
Man muss also einmal das Wahre, das ausschlaggebende Objekt für die
eine Partei bis zum Rang des absolut Wahren, zum andern das Gute, das für
die andere Partei ausschlaggebende Objekt, bis zum Rang des absolut Guten erheben.
Das absolut Wahre und das absolut Gute werden dann realiter identisch sein und
jegliche Opposition zwischen den beiden sozialen Parteiungen wird aufhören
. . . Wie können jedoch die Menschen zum absolut Wahren und Guten erhoben
werden? Durch die Entdeckung der Wahrheit oder des Absoluten selbst! . . . nur
dann wird, wenn die Menschheit noch besteht, diese lange und entscheidende Periode
beendet sein, wird ein neues, majestätisches Morgenrot für die Erde
aufgehen . . .
. . . aus dieser spontanen Vereinigung aller Meinungen zu Gunsten der Wahrheit wird natürlich eine soziale Harmonie entstehen, die das distinktive Merkmal
dieser sechsten Periode sein wird . . .
. . . wir müssen besonders auf die Vervollkommnung hinweisen, die die Religion
erfahren muß, damit endlich die christliche Kirche wirklich zur Universalkirche
der Erde werden kann . . . alle religiösen Parteiungen müssen aufhören
und eine allgemeine religiöse Union wird sich notwendiger Weise durchsetzen
. . .
So wird mit der öffentlichen und allgemeinen Entdecktheit der Essenz des
Absoluten schließlich die siebente und letzte Periode der Menschheit einsetzen,
der Triumph der Erde, die soziale Vollendung, die bis heute so sehr ersehnt
und so sehr missverstanden wird . . .
. . . der Mensch wird soweit gelangen, in sich selbst das Genie von eigenen
Gnaden (autogénie) zu entwickeln und so seine absolute, seine Selbstschöpfung
bewerkstelligen. Sie wird die Frucht nicht nur dieser siebenten Periode, sondern
der gesamten Existenz der Erde sein. In der Tat ist das Genie von eigenen Gnaden
als das dem Nichts, diesem ersten Element des Universums, Entgegengesetzte,
ist die Selbstschöpfung das andere Element, das notwendige und unabdingbare
Komplement für die Existenz des Universums und der Schöpfung im allgemeinen.
Ohne dieses komplementäre Element hätte das Universum keinen Endzweck
und — was mehr gilt — es könnte nicht begriffen werden.
Erst wenn sich dieses schöpferische Bewusstsein im Menschen entwickelt
hat, wird das Gute endlich zum einzig möglichen Ziel seiner Handlungen,
gleich der höchsten Schöpferkraft Gottes, der »nur im Guten
besteht und sich ewig nur durch das Gute reproduziert«. Wenn die Menschheit
in ihrer letzten Periode also soweit gelangt ist, dieses schöpferische
Bewusstsein offen zu entwickeln, das unfehlbar das Gute gewährleistet
und das von der Entdecktheit des Absoluten untrennbar ist, werden diejenigen
Menschen, welche öffentlich als die Bewahrer der Wahrheit anerkannt sind,
allgemein als Gesetzgeber gutgeheißen werden. Sie werden also kraft dieser
allgemeinen Billigung einen heiligen Rat bilden, dem alle irdischen Angelegenheiten
spontan unterbreitet werden. Dann endlich werden die edlen Menschenrechte, deren
Erringung so viel Blut gekostet hat, sich voll entfalten können, ohne die
schmerzlichen Pflichten des Menschen anzutasten, die bis heute die Menschheit
vor Anarchie und Zerstörung geschützt haben und sie noch lange schützen
müssen.
Enthalten in: Slavische Geisteswelt. West- und Südslavien,
Mensch und Welt. (S.106-108)
Herausgegeben von St. Hafner, O. Turecek und C. Wytrzens, Holle Verlag